70 Prozent der Europäer kaufen regelmäßig Produkte online. Allzu oft stellen sie nach dem Kauf fest, dass ihr vermeintliches Schnäppchen von schlechter Qualität oder sogar gefälscht ist. Heute will Digitalkommissarin Henna Virkkunen eine Mitteilung zum E-Commerce vorlegen. Darin will sie einen umfassenden Werkzeugkasten vorstellen, wie die Herausforderungen durch den wachsenden Online-Handel zu bewältigen sind.
Und das ist auch bitter nötig. Denn während Plattformen wie Temu, Shein und AliExpress in Europa Millionen von Paketen pro Tag ausliefern, bleibt die EU mit der Durchsetzung ihrer eigenen Regeln oft hinterher. Die Stoßrichtung der Kommission ist klar: mehr Kontrolle, mehr Fairness, mehr Durchsetzung der bestehenden Gesetze. Die digitale Marktwirtschaft soll kein rechtsfreier Raum sein, in dem Billigimporteure aus Drittländern Wettbewerbsvorteile haben, während europäische Unternehmen unter immer neuen Auflagen ächzen.
In der Mitteilung, die Table.Briefings einsehen konnte, gibt die Kommission ihre Prioritäten bekannt. Und sie schlägt Maßnahmen vor, um die Widerstandsfähigkeit und Wirksamkeit der Zollbehörden zu verbessern. Vorgesehen ist zum Beispiel eine Zollreform. Die derzeitige Ausnahme von Einfuhrabgaben für Waren unter 150 Euro soll fallen. Das trifft vor allem chinesische Plattformen, die bislang von dieser Regel profitiert haben. Auch will die Kommission Online-Händler und Marktplätze stärker in die Pflicht nehmen, um sicherzustellen, dass nur regelkonforme Produkte auf den Markt kommen. Dabei setzt sie auch auf eine engere Zusammenarbeit zwischen Zoll, Verbraucherschützern und Marktüberwachungsbehörden, um Verstöße schneller aufzudecken.
Die Vorschläge sind dabei weniger ein radikaler Neuanfang als vielmehr eine Entschlossenheitsbekundung: Brüssel will durchgreifen.
Ich wünsche Ihnen einen erfolgreichen Tag.
Die EU und Großbritannien wollen ihre bilateralen Beziehungen wieder ausbauen. Dazu wird sich der britische Premierminister Keir Starmer am 19. Mai mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident António Costa treffen. Es sei der Auftakt zu “jährlichen Gipfeln” zur Neuausrichtung der Beziehungen zwischen London und der EU, teilte Starmers Büro in London mit.
Starmer war bereits am Montag zum EU-Sondergipfel nach Brüssel gereist. Es war das erste Mal seit dem Brexit vor fünf Jahren, dass ein britischer Regierungschef wieder an einem EU-Gipfel teilnahm. Das Treffen im Mai werde die Gelegenheit bieten, “weitere Fortschritte in Bereichen zu erzielen, die den Menschen im Vereinigten Königreich und in der EU greifbare Vorteile bringen“, hieß es in London.
Aus EU-Sicht ist dies eine gute Nachricht. Brüssel strebt seit Langem einen “Reset”, also einen Neuanfang mit London an. Die EU wolle “die engste Beziehung, die wir zusammen haben können”, hatte Costa nach Starmers Besuch am späten Montagabend in Brüssel erklärt. Auch von der Leyen sprach sich für eine engere Kooperation aus.
Dabei dürfte es zunächst vor allem um die Themen Rüstung und Verteidigung gehen. Darüber hatten beide Seiten schon auf dem Sondergipfel am Montag gesprochen. Beim Abendessen mit den 27 Staats- und Regierungschefs im Brüsseler Palais d’Egmont warb Starmer dafür, sein Land stärker in eine europäische Rüstungszusammenarbeit einzubinden.
Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Schließlich hat Großbritannien, solange es noch EU-Mitglied war, alles getan, um eine europäische Verteidigungsunion zu blockieren. Es dürfe keine Dopplung mit der Nato geben, hieß es damals in London. Nun möchte Starmer gern dabei sein, wenn ein gemeinsamer Rüstungsmarkt entsteht.
Außerdem will er sich – ähnlich wie der frühere Premier und “Brexiteer” Boris Johnson – als engster Verbündeter der Ukraine und härtester Gegner Russlands profilieren. So spricht er sich für härtere Sanktionen gegen Russland aus und sucht den Schulterschluss mit den Osteuropäern. Bei anderen Themen ist er dagegen sehr zurückhaltend.
So blockte Starmer einen europäischen Vorstoß für mehr Freizügigkeit ab. Eine “Mobilitäts-Vereinbarung“, die Brüssel für britische Studenten und junge Berufstätige vorgeschlagen hatte, um Reisen und Arbeiten in der EU zu erleichtern, sei “auf keinen Fall der richtige Ausgangspunkt für uns”, erklärte Innenministerin Yvette Cooper.
London hat andere Prioritäten. Neben Rüstung und Verteidigung steht der Abbau von Handelsbarrieren ganz oben auf Starmers Wunschliste. So ist die britische Regierung an einem Deal zur Vereinheitlichung von Veterinärkontrollen interessiert, der den seit dem Brexit erschwerten Handel mit Lebensmitteln erleichtern könnte.
Auch bei Asyl und Migration möchte London die Zusammenarbeit ausbauen. Mit dem EU-Austritt hat Großbritannien den Zugang zum Schengen-Informationssystem, aber auch zur Eurodac-Datenbank verloren. Sie speichert Fingerabdrücke und hilft bei der Identifizierung von (irregulären) Asylbewerbern. London hätte hier gern wieder Zugriff.
Die EU ist dem nicht abgeneigt, doch sie sieht diese und andere britische Wünsche als Teil eines Gesamtpakets. London könne sich nicht die Rosinen herauspicken, sondern müsse bereit sein, die Kooperation auch in anderen Bereichen auszubauen, heißt es in Brüssel. Ein Beispiel ist das Fischereiabkommen, das bereits 2026 ausläuft.
Die unterschiedlichen Erwartungen und Herangehensweisen machen schnelle Fortschritte unwahrscheinlich, zumal eine gemeinsame Perspektive fehlt. So lehnt Starmer eine Abkehr vom Brexit und eine neue EU-Mitgliedschaft ab. Eine Rückkehr in die Zollunion hat er ebenso ausgeschlossen wie den Wiedereintritt in den europäischen Binnenmarkt.
Demgegenüber träumt der polnische Regierungschef Donald Tusk vom “Breturn” – also der Rückkehr (“Return”) der Briten in die EU. Auch Deutschland würde die Beziehungen zu Großbritannien lieber heute als morgen ausbauen, wie Bundeskanzler Olaf Scholz am vergangenen Wochenende bei einem Besuch in London deutlich gemacht hat.
Zunächst droht aber eine neue Belastungsprobe. Sie kommt nicht aus Berlin oder Brüssel, sondern aus Washington: US-Präsident Donald Trump könnte versuchen, Deutschland, die EU und Großbritannien zu spalten. Das Mittel seiner Wahl sind Strafzölle. In der EU seien sie so gut wie sicher, in Großbritannien aber noch nicht, so Trump.
Wenn der unberechenbare Republikaner die Europäer abstraft, die Briten hingegen verschont, so dürfte dies den geplanten “Reset” deutlich erschweren. “Wir wollen uns nicht zwischen den USA und der EU entscheiden“, erklärte Starmer auf die Frage, welche Konsequenzen ein möglicher transatlantischer Handelskrieg hätte.
Im Zweifel hat sich Großbritannien aber oft auf die Seite der USA geschlagen. Zudem steht Starmer unter Druck der Opposition. So wirft ihm der Rechtspopulist Nigel Farage vor, ein “rejoiner at heart” zu sein – also ein Herzens-Europäer. London solle lieber ein Freihandelsabkommen mit den USA anstreben, als mit der EU zu verhandeln, so Farage. Denn die Union werde “jedes Jahr schwächer”.
Am gemeinsamen Jumbo-Ratstreffen der Industrie- und Handelsminister in Warschau waren Trumps Drohungen gegen die EU das dominante Thema. Handelskommissar Maroš Šefčovič sagte, er würde es bevorzugen, so schnell wie möglich mit seinem US-amerikanischen Gegenüber ins Gespräch zu kommen. Laut EU-Diplomaten hat die Kommission aber nach wie vor Mühe, Ansprechpartner in der Trump-Administration zu finden.
In Warschau zeigten sich die Minister unterschiedlich konziliant mit den USA. “Wenn du schwach bist, frisst er dich”, warnte der luxemburgische Außenminister Xavier Bettel. Andere, wie der finnische Handelsminister Ville Tavio, betonten vor allem, dass ein Handelskrieg zu vermeiden sei. Aus der Erfahrung Kanadas und Mexikos scheinen die Minister die Lehre zu ziehen, dass es sich lohnt, gegenüber Trump hart zu bleiben. So schlug auch kein Minister konkrete Konzessionen vor, mit denen die EU Trump entgegenkommen könnte – zu unklar erscheint das Ziel des US-Präsidenten.
Einer der Konfliktpunkte mit der US-Administration wird die Stahlindustrie sein. Ende März läuft die temporäre Aufhebung der EU-Zölle auf US-Produkte aus, die die EU ursprünglich als Reaktion auf Trumps Stahlzölle in seiner ersten Amtszeit erhoben hatte. EU-Diplomaten gehen davon aus, dass die EU die temporäre Aufhebung verlängern wird, solange Trump nicht vorher mit Zöllen zuschlägt.
Handelskommissar Šefčovič kündete zudem an, dass die Kommission daran sei, die Handelsschutzmaßnahmen für die Stahlindustrie zu verschärfen. Die Kommission werde bald einen solchen Vorschlag unterbreiten, der auch eine Verlängerung der 2026 auslaufenden Schutzmaßnahmen beinhalten werde.
Von fast allen Seiten wurde am Ratstreffen in Warschau der Wunsch nach einem geeinten Vorgehen geäußert, was sich im Konkreten jedoch nicht ganz einfach darstellt. Zentral- und osteuropäische Mitgliedstaaten sind stärker von der US-Sicherheitsgarantie abhängig als westeuropäische Staaten.
Eine spezielle Rolle spielt dabei Polen. Als Ratspräsidentschaft muss das Land eine einigende Rolle wahrnehmen. Gleichzeitig ist die polnische Regierung innenpolitisch von der Trump nahestehenden PiS unter Druck. Marek Wąsiński, Leiter der Abteilung für Weltwirtschaft am Thinktank Polish Economic Institute, geht davon aus, dass die polnische Regierung auf ein gemeinsames EU-Vorgehen setzen wird.
“Die polnische Verflechtung in den EU-Binnenmarkt bedeutet, dass Polen ein wirtschaftliches Interesse daran hat, dass der gesamte Binnenmarkt von US-Zöllen verschont bleibt, nicht nur Polen”, sagte Wąsiński Table.Briefings. Die polnische Wirtschaft sei gegenüber dem US-Markt vor allem über indirekte Exporte exponiert, zum Beispiel als Zulieferer für deutsche Exporteure, nicht so sehr über direkte Exporte. “Wir Europäer müssen zusammenhalten”, sagte der polnische Minister für wirtschaftliche Entwicklung und Technologie, Krzysztof Paszyk, während der Pressekonferenz.
Der Zusammenhalt wird aber auch in der Industriepolitik auf die Probe gestellt. Estlands stellvertretende Generalsekretärin für Wirtschaft und Innovation, Sandra Särav-Tammus, warnte, dass die zunehmende Tendenz zur Nutzung staatlicher Beihilfen die Einigkeit untergraben könnte. “Einige Peripherie-Länder wie Estland werden nie wettbewerbsfähig sein in der Autoindustrie oder in anderen großen Industrien”, erklärte sie ihre Zurückhaltung. “Wenn Europa geeint bleiben soll, können wir nicht einfach Branchen bevorzugen, die nur für einen Teil der Mitgliedstaaten relevant sind.”
Und: Sobald es konkret wird, wird es schwieriger mit der Einheit. Der neue französische Handelsminister Laurent Saint-Martin wiederholte die französische Opposition gegen das Freihandelsabkommen mit den Mercosurstaaten, wobei er sich für die kürzlich fertig verhandelte Aktualisierung des Abkommens mit Mexiko aussprach.
Šefčovič pries hingegen die Fortschritte bei den Verhandlungen von Freihandelsabkommen. Er kündete an, dass neben den intensivierten Verhandlungen mit Malaysia, Indonesien und den Philippinen auch Golfstaaten an engeren Handelsbeziehungen mit der EU sehr interessiert seien.
Die polnische Ratspräsidentschaft hatte auch die Handelsbeziehungen mit der Ukraine zur Diskussion gebracht. Am 5. Juni läuft der präferenzielle EU-Marktzugang der Ukraine aus. Das Timing ist politisch explosiv, denn die polnischen Präsidentschaftswahlen sind für den 18. Mai und den 1. Juni angesetzt und der vereinfachte Marktzugang der Ukraine stößt in Polen auf immer stärkeren Widerstand.
Unter anderem deshalb wird die EU von der Ukraine Konzessionen für eine Verlängerung des erleichterten Marktzugangs erwarten. Šefčovič erklärte, die EU wolle im Hinblick auf den sehr kostspieligen Wiederaufbau der Ukraine dafür sorgen, dass EU-Firmen von öffentlichen Aufträgen in der Ukraine profitieren können.
Aleksandar Vučić hat in den vergangenen elf Jahren als Regierungschef und Staatspräsident zahlreiche Demonstrationen erlebt. Doch noch nie war seine Macht so stark ins Wanken gebracht worden wie seit Anfang November durch die Studentenproteste.
Der Einsturz eines erst kurz zuvor fertiggestellten Vordachs am Bahnhof Novi Sad hat die Bewegung ausgelöst. Bei der Katastrophe kamen fünfzehn Passanten ums Leben. “Korruption tötet!”, lautet seither die Losung der Studierenden, eine rote Hand ist ihr Symbol. Sie steht für “das Blut an den Händen der Herrschenden”.
Die Aktivistinnen und Aktivisten fordern eine vollständige Aufklärung der Tragödie von Novi Sad durch Veröffentlichung aller Bauunterlagen und die Bestrafung der Verantwortlichen für die Tragödie. Die Renovierung des Bahnhofs war Teil einer Modernisierung der Strecke Belgrad-Budapest unter chinesischer Bauführung.
In den vergangenen drei Monaten haben sie in rund zweihundert serbischen Städten für ihre Forderungen demonstriert und damit den Bürgermeister Novi Sads sowie Ministerpräsident Miloš Vučević zum Rücktritt gezwungen. Dass ihre Protestwelle längst aus dem akademischen Milieu in die übrige Bevölkerung übergeschwappt ist, zeigten am vergangenen Wochenende die Blockaden der drei Donaubrücken von Novi Sad durch zigtausende Menschen. An ihnen beteiligten sich auch Bauern mit ihren Traktoren.
In seiner Reaktion auf die Proteste schwankt Präsident Vučić zwischen Repressionsdrohung und Dialogbereitschaft hin und her – für viele ein Zeichen für seine Verunsicherung. Er scheint zu spüren, dass ihm die Macht zu entgleiten droht. In servilem Ton lud er das Rektoratskollegium der Belgrader Universität für Mittwoch zum Gespräch, um die Wiederaufnahme des Lehrbetriebs zu erreichen, “da die aktuelle Situation nicht nur die Lehre schädigt und die Wissenschaft, sondern die Gesellschaft als Ganzes”, so Vučić.
Gleichzeitig aber heizen ihm dienende Beamte und ihm nahestehende Medien die Situation an, indem sie ausländischen Staaten wie Kroatien vorwerfen, die Proteste zu inszenieren, um nach dem Muster sogenannter bunter Revolutionen einen Regime-Wandel herbeizuführen.
Die studentisch angeführte Protestbewegung betont indes ihren unpolitischen Charakter, hält Distanz auch zu Oppositionsparteien. Ihr Kampf richte sich ausschließlich gegen Korruption, Misswirtschaft und Machtmissbrauch. Diese unpolitische Haltung bringt ihr Sympathien und Unterstützung ein, ist aber auch ein Grund dafür, dass kaum abzusehen ist, welche Folgen ihr Protest zeitigen wird.
Die zersplitterte und schwache politische Opposition fordert die Bildung einer repräsentativen Übergangsregierung, die allein faire Parlamentswahlen organisieren könne. Präsident Vučić lehnt dies ab, verspricht stattdessen, binnen zehn Tagen werde es eine Entscheidung darüber geben, ob es zu einer Regierungsumbildung oder Neuwahlen kommen wird.
Derweil kritisieren die Aktivisten der Protestbewegung das auffällige Schweigen der Repräsentanten der Europäischen Union zur politischen Situation in Serbien. Ob es darin begründet liegt, dass die EU ein starkes Interesse am Abbau eines im Land höchst umstrittenen Lithium-Vorkommens hat? Oder ob sie die Normalisierung von Serbiens Beziehungen zum Kosovo nicht durch Einmischung in dessen innere Angelegenheiten gefährden will? Darüber lässt sich trefflich spekulieren.
Einige Dutzend Intellektuelle und Künstler des Balkanstaats klagen in einem offenen Brief an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und weitere EU-Repräsentanten, dass Serbiens “undemokratisches Herrschaftssystem nicht möglich wäre” ohne die “inkonsistente Politik” der EU, “die in den letzten Jahren oft auf die offene Unterstützung der Regierung von Aleksandar Vučić hinauslief“.
Europa, so schreiben die Unterzeichner, scheine “seinen Blick systematisch von den unangenehmen und im Wesentlichen antieuropäischen Zügen der serbischen Regierung abzuwenden”. So würden “Aktivisten, Studenten, Professoren, Journalisten und Mitglieder von Oppositionsparteien festgenommen, verhaftet, verfolgt und belauscht”, und dennoch unterstützten “Schlüsselakteure der europäischen Politik die Regierung von Aleksandar Vučić öffentlich”.
Dies stehe “in völligem Widerspruch zu den elementaren europäischen Werten”, heißt es im offenen Brief. Die EU halte die vollständige Kontrolle des Regimes über die Medien mit nationaler Verbreitung, das gelähmte Justizsystem, die gefälschten Wählerlisten und sogar die Terroranschläge im Kosovo für ein sekundäres Problem. Mutmaßliche Täter seien zudem Personen, die in Serbien unter dem Schutz des Staates stünden und Millionen verdienten.
In Österreich sind die Koalitionsverhandlungen von rechter FPÖ und konservativer ÖVP zumindest vorübergehend ins Stocken geraten. “Die Regierungsverhandlungen befinden sich in einer schwierigen Phase“, hieß es vonseiten der ÖVP. Zuvor hatten österreichische Medien über einen Verhandlungsstopp berichtet – das wiesen FPÖ-Vertreter jedoch entschieden als “Ente” zurück.
Am Dienstagabend tagte der Parteivorstand der ÖVP, um die Lage zu besprechen. Die Gespräche sollten am Mittwoch fortgesetzt werden, teilte die ÖVP mit. So seien weitere Fachgruppentreffen anberaumt, um bestimmte Politikfelder zu bearbeiten. Grundsätzlich gehe es um die von der ÖVP als zentral betrachteten Fragen der Außen- und EU-Politik, hieß es.
Der neue ÖVP-Chef Christian Stocker hatte mehrfach Bedingungen für eine Koalition mit der FPÖ formuliert: Eine Koalition müsse sich zur EU bekennen und keine Einflussnahmen aus dem Ausland – insbesondere aus Russland – dulden. Die FPÖ ist extrem EU-kritisch und gilt als russlandfreundlich.
Die rechte FPÖ hatte die Parlamentswahl im Herbst 2024 gewonnen und steht erstmals vor dem Einzug ins Kanzleramt. Die ÖVP hatte unter dem inzwischen zurückgetretenen Kanzler Karl Nehammer lange Zeit eine Koalition mit der FPÖ ausgeschlossen, solange FPÖ-Parteichef Herbert Kickl zur Regierung gehören sollte. Unter Stocker vollzog die ÖVP einen Kurswechsel und wäre bereit, Juniorpartner der Rechtspopulisten zu werden.
Zeitgleich demonstrierten am Dienstagabend erneut Tausende Menschen gegen einen möglichen Rechtsruck unter einer neuen Regierung. In der Wiener Innenstadt zogen nach Einschätzung von Medien rund 20.000 Menschen vom Kanzleramt bis zur Zentrale der konservativen ÖVP. dpa
Ein Zusammenschluss von Akteuren aus der Finanzbranche hat sich dafür ausgesprochen, dass die EU-Kommission ihre “Integrität und Ambitionen” bei der Umsetzung ihrer Nachhaltigkeitsregulierung aufrechterhält. Sollte das sogenannte Omnibus-Verfahren wie von der EU angekündigt dazu führen, dass sich Pflichten von Unternehmen deutlich reduzieren, wären weitere juristische Unsicherheiten wahrscheinlich. Außerdem würde die Politik dann sowohl Investitionen als auch Europas langfristige Wettbewerbsfähigkeit gefährden, so der Appell.
Anders als die meisten Unternehmen, die eine Vereinfachung von ESG-Regeln wie bei der Omnibus-Gesetzgebung herbeisehnen, wollen Investoren genau wissen, wo mögliche Anlagerisiken lauern. Daher haben sie ein Interesse an besonders weitreichenden Berichtspflichten.
Veröffentlicht wurde das Statement von den Organisationen European Sustainable Investment Forum (Eurosif), Institutional Investors Group on Climate Change (IIGCC) und Principles for Responsible Investment (PRI). Unterzeichnet haben es unter anderem 162 Investoren und Asset Manager. Sie verwalten nach eigenen Angaben ein Vermögen von zusammen 6,6 Billionen Euro. Unter ihnen sind 17 deutsche Anleger, etwa Planet A Ventures, Hamburg Team, EB-SIM, Joh. Berenberg und Gossler & Co. KG.
In Brüssel gehen derweil die nichtöffentlichen Beratungen über die Vorschläge für die Omnibus-Verordnung weiter. Für den Donnerstag hat Wirtschaftskommissar Valdis Dombrovskis zu einem ganztägigen “Simplification Round Table” eingeladen. Auf der Agenda stehen unter anderem die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), die Taxonomie-Verordnung, die Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) und der Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM). Eingeladen sind vor allem Handelsorganisationen und Unternehmen wie die Deutsche Bank, Airbus, BMW, Volkswagen und Allianz SE. Als NGO-Vertreter stehen unter anderem WWF, Finance Watch und Human Rights Watch auf der Einladungsliste.
Mit dem Omnibus will die EU-Kommission die bürokratischen Lasten der Unternehmen aus den selbstinitiierten ESG-Gesetzen abschwächen. Ziel soll sein, Europas Wirtschaft zum Aufschwung zu verhelfen. Dombrovskis hatte kürzlich angekündigt, dass auch weitere Gesetze in das Verfahren einbezogen werden könnten. maw
Seit dem 2. Februar gelten die Verbote aus dem AI Act. Doch welche Technologien der künstlichen Intelligenz sind jetzt genau verboten und wo sind die Grenzen? Dazu hat die EU-Kommission am Dienstag Leitlinien veröffentlicht, die Klarheit darüber schaffen sollen, wie die Verbote in der Praxis anzuwenden sind. Die Leitlinien sind nicht rechtsverbindlich, sollen aber eine einheitliche Auslegung in der EU sicherstellen. Sie richten sich an Unternehmen, Behörden und Marktüberwachungsstellen, die für die Einhaltung der Vorschriften verantwortlich sind.
Artikel 5 des AI Acts verbietet das Inverkehrbringen, die Inbetriebnahme oder die Verwendung bestimmter KI-Systeme für manipulative, ausbeuterische, soziale Kontroll- oder Überwachungspraktiken, die ihrem Wesen nach gegen die Grundrechte und die Werte der Union verstoßen. Die wichtigsten Klarstellungen aus den Leitlinien dazu sind:
Obwohl die Verbote seit dem 2. Februar bereits gelten, haben die Marktaufsichtsbehörden der Mitgliedstaaten bis zum 2. August 2025 Zeit, sich auf die Überwachung der Regeln vorzubereiten. Deutschland hat – wie viele anderen Mitgliedstaaten auch – bis jetzt nicht einmal offiziell eine Behörde dafür benannt. Im Gesetzentwurf ist die Bundesnetzagentur vorgesehen.
Das bedeutet, dass die Verbote erst ein halbes Jahr nach ihrem Inkrafttreten konsequent kontrolliert werden können – eine paradoxe Lücke, in der Unternehmen theoretisch noch ungestraft gegen die Regeln verstoßen könnten. Die Kommission plant eine Beratungsstelle, um Unternehmen bei der Einhaltung zu unterstützen. vis
Damit Europa im Rennen um die Technologieführerschaft bei Künstlicher Intelligenz (KI) nicht von den USA und China abgehängt wird, fordern die führenden Start-up-Verbände Europas klare Prioritäten in der KI-Politik. “Die Europäische Union und wichtige nationale Regierungen müssen einen Rahmen schaffen, der Innovation stärkt, statt sie zu behindern”, sagt Verena Pausder, Vorstandsvorsitzende des deutschen Start-up-Verbands.
Der Verband hat gemeinsam mit France Digitale und dem European Startup Network, das 37 europäische Start-up-Verbände vertritt, eine Erklärung zum AI Action Summit kommende Woche in Paris verfasst. Darin benennen sie vier Handlungsfelder:
Die Verbände regen an, dass ein paneuropäisches Programm Kapital von institutionellen Anlegern wie Versicherungen und Pensionsfonds einsammeln und Erfolg versprechenden jungen Unternehmen zur Verfügung stellen soll. Ein solches Programm könnte sich an bestehenden Initiativen wie Tibi in Frankreich und WIN in Deutschland orientieren und wäre eine Antwort auf das Stargate Projekt in den USA.
Mehr Mittel für den Europäischen Innovationsrat (EIC) könnte nach Einschätzung der Verbände ebenfalls bei der Skalierung von jungen Unternehmen helfen. Die Verbände fordern außerdem ein 28. Regime, also einen einheitlichen Gesetzesrahmen für Unternehmens-, Steuer- und Arbeitsrecht, der gerade kleineren Unternehmen eine Alternative zum bisher zersplitterten Binnenmarkt in der EU bieten würde.
Damit die Nachfrage nach KI-Anwendungen in Europa steigt, schlagen die Verbände ein Gutscheinsystem vor. Dies würde einen Anreiz gerade auch für kleine und mittlere Unternehmen schaffen, KI anzuwenden. Bisher setzen nur knapp 14 Prozent der KMU in Europa KI ein. Diese Gutscheine könnten sich am Modell der europäischen Innovationsgutscheine orientieren und einen Teil der Kosten übernehmen, etwa auch die für das Training von Mitarbeitern, die für den Einsatz der KI geschult werden müssen.
Die Verbände sprechen sich auch dafür aus, die Standardisierung von KI zu beschleunigen und die für 2025 geplante Revision der EU-Beschaffungsregeln zu nutzen, um Start-ups zu besseren Chancen auf öffentliche Aufträge zu verhelfen. In Frankreich wurden kürzlich die Anforderungen bei Ausschreibungen für Aufträge bis zu 300.000 Euro gelockert, dies könnte als Vorbild dienen.
Die Verbände weisen darauf hin, dass die Abhängigkeit von den globalen Tech-Giganten bei der Infrastruktur eine Schwachstelle darstellt. In Europa sollten Anreize geschaffen werden, damit europäische Unternehmen Multi-Cloud Strategien entwickeln. Der Digital Markets Act (DMA) solle eingesetzt werden, damit Tech-Giganten, ihre eigenen KI-Tools nicht bevorzugen können. Ein neuer Rechtsrahmen solle außerdem den Zugang zu Daten sicherstellen. Bisher seien Start-ups hier mit Hürden konfrontiert. Silke Wettach
Die Abgeordneten der italienischen “Fünf-Sterne-Bewegung” bleiben in der Fraktion der Linken im Europaparlament. Der Fraktionsvorstand hat die volle Mitgliedschaft beschlossen. Zu Beginn der Wahlperiode war vereinbart worden, dass die acht Sterne-Abgeordneten zunächst auf Probe Mitglieder in der Fraktion werden. Mit der Entscheidung vom Dienstag bleibt es dabei, dass die Linksfraktion 46 Abgeordnete im Europaparlament hat. mgr
Die Landesregierung Baden-Württemberg ist gegen die Einführung von einheitlichen Plänen für jeden Mitgliedstaat beim nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR). “Eine solche Zentralisierung der Förderprogramme widerspräche gleichermaßen dem Grundgedanken der Kohäsionspolitik als auch dem Subsidiaritätsprinzip”, heißt es in einem Positionspapier für den MFR nach 2027, das die grün-schwarze Landesregierung beschlossen hat. In der nächsten Förderperiode müsse weiter die direkte Beteiligung der Regionen an EU-Förderprogrammen sichergestellt sein.
Die Mittel im nächsten MFR sollten prioritär für “Zukunftstechnologien” und die dafür notwendige Förderung exzellenter Forschung verwendet werden. Um die Transformation in der Automobilbranche zu unterstützen, solle der flächendeckende Ausbau der Lade- und Tankinfrastruktur für klimaneutrale Antriebe sowohl im Individual- wie auch im Güterverkehr unterstützt werden. “Daneben sollten schwerpunktmäßig der Aufbau europäischer Ökosysteme für Halbleiter und Batterien (inklusive seltener Rohstoffe) gefördert werden.”
Das Land fordert zudem, den Kofinanzierungssatz in der Kohäsionspolitik für wirtschaftlich entwickelte Regionen wieder von 40 auf 50 Prozent anzuheben. Für die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) fordert das Land, mindestens das jetzige Finanzvolumen plus Inflationsausgleich beizubehalten. Bei der GAP wird eine Überprüfung der Berichtspflichten angemahnt, um die Verwaltung schlank zu halten und den örtlichen Notwendigkeiten Rechnung zu tragen, wenn die Regionen wieder eigene Entwicklungsprogramme für den Ländlichen Raum (EPLR) erstellen könnten. mgr
Wenige Tage vor dem Beginn der 61. Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) am 14. Februar muss ein wichtiger Programmpunkt der Veranstaltung verschoben werden – die offizielle Übergabe der Konferenzleitung vom deutschen Diplomaten Christoph Heusgen an den ehemaligen Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Der Norweger folgt dem Ruf seiner Heimat und wird Finanzminister, voraussichtlich bis zu den regulären Wahlen im Herbst.
Nach Informationen von Table.Briefings soll Stoltenberg spätestens im September den Job in München antreten. In einer Pressemitteilung der MSC heißt es ferner: Solange übernehmen die derzeitigen stellvertretenden Vorsitzenden der MSC, Benedikt Franke und Botschafter Rainer Rudolph, die Leitung. Dies auf Bitten des Präsidenten des MSC-Stiftungsrates Wolfgang Ischinger.
Für die MSC ist Stoltenberg von großer Bedeutung. Er solle “uns in Zukunft vielleicht an der ein oder anderen Stelle noch einmal hochrangigere Gäste bescheren”, hatte Benedikt Franke erst kürzlich in einem Interview mit Table.Briefings gesagt.
In Norwegen war die Regierungskoalition bestehend aus der Arbeiterpartei und der Zentrumspartei vergangene Woche zerbrochen. Ministerpräsident Jonas Gahr Støre muss mehrere Ministerposten in der künftigen Minderheitsregierung neu besetzen. Nach norwegischem Recht sind vorzeitige Wahlen nicht vorgesehen. Der ehemalige norwegische Premier Stoltenberg ist ausgebildeter Wirtschaftswissenschaftler. Vor seinem Job als Nato-Generalsekretär (2014 bis 2024) war er unter anderem Vorsitzender der Arbeiterpartei. vf/mrb
70 Prozent der Europäer kaufen regelmäßig Produkte online. Allzu oft stellen sie nach dem Kauf fest, dass ihr vermeintliches Schnäppchen von schlechter Qualität oder sogar gefälscht ist. Heute will Digitalkommissarin Henna Virkkunen eine Mitteilung zum E-Commerce vorlegen. Darin will sie einen umfassenden Werkzeugkasten vorstellen, wie die Herausforderungen durch den wachsenden Online-Handel zu bewältigen sind.
Und das ist auch bitter nötig. Denn während Plattformen wie Temu, Shein und AliExpress in Europa Millionen von Paketen pro Tag ausliefern, bleibt die EU mit der Durchsetzung ihrer eigenen Regeln oft hinterher. Die Stoßrichtung der Kommission ist klar: mehr Kontrolle, mehr Fairness, mehr Durchsetzung der bestehenden Gesetze. Die digitale Marktwirtschaft soll kein rechtsfreier Raum sein, in dem Billigimporteure aus Drittländern Wettbewerbsvorteile haben, während europäische Unternehmen unter immer neuen Auflagen ächzen.
In der Mitteilung, die Table.Briefings einsehen konnte, gibt die Kommission ihre Prioritäten bekannt. Und sie schlägt Maßnahmen vor, um die Widerstandsfähigkeit und Wirksamkeit der Zollbehörden zu verbessern. Vorgesehen ist zum Beispiel eine Zollreform. Die derzeitige Ausnahme von Einfuhrabgaben für Waren unter 150 Euro soll fallen. Das trifft vor allem chinesische Plattformen, die bislang von dieser Regel profitiert haben. Auch will die Kommission Online-Händler und Marktplätze stärker in die Pflicht nehmen, um sicherzustellen, dass nur regelkonforme Produkte auf den Markt kommen. Dabei setzt sie auch auf eine engere Zusammenarbeit zwischen Zoll, Verbraucherschützern und Marktüberwachungsbehörden, um Verstöße schneller aufzudecken.
Die Vorschläge sind dabei weniger ein radikaler Neuanfang als vielmehr eine Entschlossenheitsbekundung: Brüssel will durchgreifen.
Ich wünsche Ihnen einen erfolgreichen Tag.
Die EU und Großbritannien wollen ihre bilateralen Beziehungen wieder ausbauen. Dazu wird sich der britische Premierminister Keir Starmer am 19. Mai mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident António Costa treffen. Es sei der Auftakt zu “jährlichen Gipfeln” zur Neuausrichtung der Beziehungen zwischen London und der EU, teilte Starmers Büro in London mit.
Starmer war bereits am Montag zum EU-Sondergipfel nach Brüssel gereist. Es war das erste Mal seit dem Brexit vor fünf Jahren, dass ein britischer Regierungschef wieder an einem EU-Gipfel teilnahm. Das Treffen im Mai werde die Gelegenheit bieten, “weitere Fortschritte in Bereichen zu erzielen, die den Menschen im Vereinigten Königreich und in der EU greifbare Vorteile bringen“, hieß es in London.
Aus EU-Sicht ist dies eine gute Nachricht. Brüssel strebt seit Langem einen “Reset”, also einen Neuanfang mit London an. Die EU wolle “die engste Beziehung, die wir zusammen haben können”, hatte Costa nach Starmers Besuch am späten Montagabend in Brüssel erklärt. Auch von der Leyen sprach sich für eine engere Kooperation aus.
Dabei dürfte es zunächst vor allem um die Themen Rüstung und Verteidigung gehen. Darüber hatten beide Seiten schon auf dem Sondergipfel am Montag gesprochen. Beim Abendessen mit den 27 Staats- und Regierungschefs im Brüsseler Palais d’Egmont warb Starmer dafür, sein Land stärker in eine europäische Rüstungszusammenarbeit einzubinden.
Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Schließlich hat Großbritannien, solange es noch EU-Mitglied war, alles getan, um eine europäische Verteidigungsunion zu blockieren. Es dürfe keine Dopplung mit der Nato geben, hieß es damals in London. Nun möchte Starmer gern dabei sein, wenn ein gemeinsamer Rüstungsmarkt entsteht.
Außerdem will er sich – ähnlich wie der frühere Premier und “Brexiteer” Boris Johnson – als engster Verbündeter der Ukraine und härtester Gegner Russlands profilieren. So spricht er sich für härtere Sanktionen gegen Russland aus und sucht den Schulterschluss mit den Osteuropäern. Bei anderen Themen ist er dagegen sehr zurückhaltend.
So blockte Starmer einen europäischen Vorstoß für mehr Freizügigkeit ab. Eine “Mobilitäts-Vereinbarung“, die Brüssel für britische Studenten und junge Berufstätige vorgeschlagen hatte, um Reisen und Arbeiten in der EU zu erleichtern, sei “auf keinen Fall der richtige Ausgangspunkt für uns”, erklärte Innenministerin Yvette Cooper.
London hat andere Prioritäten. Neben Rüstung und Verteidigung steht der Abbau von Handelsbarrieren ganz oben auf Starmers Wunschliste. So ist die britische Regierung an einem Deal zur Vereinheitlichung von Veterinärkontrollen interessiert, der den seit dem Brexit erschwerten Handel mit Lebensmitteln erleichtern könnte.
Auch bei Asyl und Migration möchte London die Zusammenarbeit ausbauen. Mit dem EU-Austritt hat Großbritannien den Zugang zum Schengen-Informationssystem, aber auch zur Eurodac-Datenbank verloren. Sie speichert Fingerabdrücke und hilft bei der Identifizierung von (irregulären) Asylbewerbern. London hätte hier gern wieder Zugriff.
Die EU ist dem nicht abgeneigt, doch sie sieht diese und andere britische Wünsche als Teil eines Gesamtpakets. London könne sich nicht die Rosinen herauspicken, sondern müsse bereit sein, die Kooperation auch in anderen Bereichen auszubauen, heißt es in Brüssel. Ein Beispiel ist das Fischereiabkommen, das bereits 2026 ausläuft.
Die unterschiedlichen Erwartungen und Herangehensweisen machen schnelle Fortschritte unwahrscheinlich, zumal eine gemeinsame Perspektive fehlt. So lehnt Starmer eine Abkehr vom Brexit und eine neue EU-Mitgliedschaft ab. Eine Rückkehr in die Zollunion hat er ebenso ausgeschlossen wie den Wiedereintritt in den europäischen Binnenmarkt.
Demgegenüber träumt der polnische Regierungschef Donald Tusk vom “Breturn” – also der Rückkehr (“Return”) der Briten in die EU. Auch Deutschland würde die Beziehungen zu Großbritannien lieber heute als morgen ausbauen, wie Bundeskanzler Olaf Scholz am vergangenen Wochenende bei einem Besuch in London deutlich gemacht hat.
Zunächst droht aber eine neue Belastungsprobe. Sie kommt nicht aus Berlin oder Brüssel, sondern aus Washington: US-Präsident Donald Trump könnte versuchen, Deutschland, die EU und Großbritannien zu spalten. Das Mittel seiner Wahl sind Strafzölle. In der EU seien sie so gut wie sicher, in Großbritannien aber noch nicht, so Trump.
Wenn der unberechenbare Republikaner die Europäer abstraft, die Briten hingegen verschont, so dürfte dies den geplanten “Reset” deutlich erschweren. “Wir wollen uns nicht zwischen den USA und der EU entscheiden“, erklärte Starmer auf die Frage, welche Konsequenzen ein möglicher transatlantischer Handelskrieg hätte.
Im Zweifel hat sich Großbritannien aber oft auf die Seite der USA geschlagen. Zudem steht Starmer unter Druck der Opposition. So wirft ihm der Rechtspopulist Nigel Farage vor, ein “rejoiner at heart” zu sein – also ein Herzens-Europäer. London solle lieber ein Freihandelsabkommen mit den USA anstreben, als mit der EU zu verhandeln, so Farage. Denn die Union werde “jedes Jahr schwächer”.
Am gemeinsamen Jumbo-Ratstreffen der Industrie- und Handelsminister in Warschau waren Trumps Drohungen gegen die EU das dominante Thema. Handelskommissar Maroš Šefčovič sagte, er würde es bevorzugen, so schnell wie möglich mit seinem US-amerikanischen Gegenüber ins Gespräch zu kommen. Laut EU-Diplomaten hat die Kommission aber nach wie vor Mühe, Ansprechpartner in der Trump-Administration zu finden.
In Warschau zeigten sich die Minister unterschiedlich konziliant mit den USA. “Wenn du schwach bist, frisst er dich”, warnte der luxemburgische Außenminister Xavier Bettel. Andere, wie der finnische Handelsminister Ville Tavio, betonten vor allem, dass ein Handelskrieg zu vermeiden sei. Aus der Erfahrung Kanadas und Mexikos scheinen die Minister die Lehre zu ziehen, dass es sich lohnt, gegenüber Trump hart zu bleiben. So schlug auch kein Minister konkrete Konzessionen vor, mit denen die EU Trump entgegenkommen könnte – zu unklar erscheint das Ziel des US-Präsidenten.
Einer der Konfliktpunkte mit der US-Administration wird die Stahlindustrie sein. Ende März läuft die temporäre Aufhebung der EU-Zölle auf US-Produkte aus, die die EU ursprünglich als Reaktion auf Trumps Stahlzölle in seiner ersten Amtszeit erhoben hatte. EU-Diplomaten gehen davon aus, dass die EU die temporäre Aufhebung verlängern wird, solange Trump nicht vorher mit Zöllen zuschlägt.
Handelskommissar Šefčovič kündete zudem an, dass die Kommission daran sei, die Handelsschutzmaßnahmen für die Stahlindustrie zu verschärfen. Die Kommission werde bald einen solchen Vorschlag unterbreiten, der auch eine Verlängerung der 2026 auslaufenden Schutzmaßnahmen beinhalten werde.
Von fast allen Seiten wurde am Ratstreffen in Warschau der Wunsch nach einem geeinten Vorgehen geäußert, was sich im Konkreten jedoch nicht ganz einfach darstellt. Zentral- und osteuropäische Mitgliedstaaten sind stärker von der US-Sicherheitsgarantie abhängig als westeuropäische Staaten.
Eine spezielle Rolle spielt dabei Polen. Als Ratspräsidentschaft muss das Land eine einigende Rolle wahrnehmen. Gleichzeitig ist die polnische Regierung innenpolitisch von der Trump nahestehenden PiS unter Druck. Marek Wąsiński, Leiter der Abteilung für Weltwirtschaft am Thinktank Polish Economic Institute, geht davon aus, dass die polnische Regierung auf ein gemeinsames EU-Vorgehen setzen wird.
“Die polnische Verflechtung in den EU-Binnenmarkt bedeutet, dass Polen ein wirtschaftliches Interesse daran hat, dass der gesamte Binnenmarkt von US-Zöllen verschont bleibt, nicht nur Polen”, sagte Wąsiński Table.Briefings. Die polnische Wirtschaft sei gegenüber dem US-Markt vor allem über indirekte Exporte exponiert, zum Beispiel als Zulieferer für deutsche Exporteure, nicht so sehr über direkte Exporte. “Wir Europäer müssen zusammenhalten”, sagte der polnische Minister für wirtschaftliche Entwicklung und Technologie, Krzysztof Paszyk, während der Pressekonferenz.
Der Zusammenhalt wird aber auch in der Industriepolitik auf die Probe gestellt. Estlands stellvertretende Generalsekretärin für Wirtschaft und Innovation, Sandra Särav-Tammus, warnte, dass die zunehmende Tendenz zur Nutzung staatlicher Beihilfen die Einigkeit untergraben könnte. “Einige Peripherie-Länder wie Estland werden nie wettbewerbsfähig sein in der Autoindustrie oder in anderen großen Industrien”, erklärte sie ihre Zurückhaltung. “Wenn Europa geeint bleiben soll, können wir nicht einfach Branchen bevorzugen, die nur für einen Teil der Mitgliedstaaten relevant sind.”
Und: Sobald es konkret wird, wird es schwieriger mit der Einheit. Der neue französische Handelsminister Laurent Saint-Martin wiederholte die französische Opposition gegen das Freihandelsabkommen mit den Mercosurstaaten, wobei er sich für die kürzlich fertig verhandelte Aktualisierung des Abkommens mit Mexiko aussprach.
Šefčovič pries hingegen die Fortschritte bei den Verhandlungen von Freihandelsabkommen. Er kündete an, dass neben den intensivierten Verhandlungen mit Malaysia, Indonesien und den Philippinen auch Golfstaaten an engeren Handelsbeziehungen mit der EU sehr interessiert seien.
Die polnische Ratspräsidentschaft hatte auch die Handelsbeziehungen mit der Ukraine zur Diskussion gebracht. Am 5. Juni läuft der präferenzielle EU-Marktzugang der Ukraine aus. Das Timing ist politisch explosiv, denn die polnischen Präsidentschaftswahlen sind für den 18. Mai und den 1. Juni angesetzt und der vereinfachte Marktzugang der Ukraine stößt in Polen auf immer stärkeren Widerstand.
Unter anderem deshalb wird die EU von der Ukraine Konzessionen für eine Verlängerung des erleichterten Marktzugangs erwarten. Šefčovič erklärte, die EU wolle im Hinblick auf den sehr kostspieligen Wiederaufbau der Ukraine dafür sorgen, dass EU-Firmen von öffentlichen Aufträgen in der Ukraine profitieren können.
Aleksandar Vučić hat in den vergangenen elf Jahren als Regierungschef und Staatspräsident zahlreiche Demonstrationen erlebt. Doch noch nie war seine Macht so stark ins Wanken gebracht worden wie seit Anfang November durch die Studentenproteste.
Der Einsturz eines erst kurz zuvor fertiggestellten Vordachs am Bahnhof Novi Sad hat die Bewegung ausgelöst. Bei der Katastrophe kamen fünfzehn Passanten ums Leben. “Korruption tötet!”, lautet seither die Losung der Studierenden, eine rote Hand ist ihr Symbol. Sie steht für “das Blut an den Händen der Herrschenden”.
Die Aktivistinnen und Aktivisten fordern eine vollständige Aufklärung der Tragödie von Novi Sad durch Veröffentlichung aller Bauunterlagen und die Bestrafung der Verantwortlichen für die Tragödie. Die Renovierung des Bahnhofs war Teil einer Modernisierung der Strecke Belgrad-Budapest unter chinesischer Bauführung.
In den vergangenen drei Monaten haben sie in rund zweihundert serbischen Städten für ihre Forderungen demonstriert und damit den Bürgermeister Novi Sads sowie Ministerpräsident Miloš Vučević zum Rücktritt gezwungen. Dass ihre Protestwelle längst aus dem akademischen Milieu in die übrige Bevölkerung übergeschwappt ist, zeigten am vergangenen Wochenende die Blockaden der drei Donaubrücken von Novi Sad durch zigtausende Menschen. An ihnen beteiligten sich auch Bauern mit ihren Traktoren.
In seiner Reaktion auf die Proteste schwankt Präsident Vučić zwischen Repressionsdrohung und Dialogbereitschaft hin und her – für viele ein Zeichen für seine Verunsicherung. Er scheint zu spüren, dass ihm die Macht zu entgleiten droht. In servilem Ton lud er das Rektoratskollegium der Belgrader Universität für Mittwoch zum Gespräch, um die Wiederaufnahme des Lehrbetriebs zu erreichen, “da die aktuelle Situation nicht nur die Lehre schädigt und die Wissenschaft, sondern die Gesellschaft als Ganzes”, so Vučić.
Gleichzeitig aber heizen ihm dienende Beamte und ihm nahestehende Medien die Situation an, indem sie ausländischen Staaten wie Kroatien vorwerfen, die Proteste zu inszenieren, um nach dem Muster sogenannter bunter Revolutionen einen Regime-Wandel herbeizuführen.
Die studentisch angeführte Protestbewegung betont indes ihren unpolitischen Charakter, hält Distanz auch zu Oppositionsparteien. Ihr Kampf richte sich ausschließlich gegen Korruption, Misswirtschaft und Machtmissbrauch. Diese unpolitische Haltung bringt ihr Sympathien und Unterstützung ein, ist aber auch ein Grund dafür, dass kaum abzusehen ist, welche Folgen ihr Protest zeitigen wird.
Die zersplitterte und schwache politische Opposition fordert die Bildung einer repräsentativen Übergangsregierung, die allein faire Parlamentswahlen organisieren könne. Präsident Vučić lehnt dies ab, verspricht stattdessen, binnen zehn Tagen werde es eine Entscheidung darüber geben, ob es zu einer Regierungsumbildung oder Neuwahlen kommen wird.
Derweil kritisieren die Aktivisten der Protestbewegung das auffällige Schweigen der Repräsentanten der Europäischen Union zur politischen Situation in Serbien. Ob es darin begründet liegt, dass die EU ein starkes Interesse am Abbau eines im Land höchst umstrittenen Lithium-Vorkommens hat? Oder ob sie die Normalisierung von Serbiens Beziehungen zum Kosovo nicht durch Einmischung in dessen innere Angelegenheiten gefährden will? Darüber lässt sich trefflich spekulieren.
Einige Dutzend Intellektuelle und Künstler des Balkanstaats klagen in einem offenen Brief an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und weitere EU-Repräsentanten, dass Serbiens “undemokratisches Herrschaftssystem nicht möglich wäre” ohne die “inkonsistente Politik” der EU, “die in den letzten Jahren oft auf die offene Unterstützung der Regierung von Aleksandar Vučić hinauslief“.
Europa, so schreiben die Unterzeichner, scheine “seinen Blick systematisch von den unangenehmen und im Wesentlichen antieuropäischen Zügen der serbischen Regierung abzuwenden”. So würden “Aktivisten, Studenten, Professoren, Journalisten und Mitglieder von Oppositionsparteien festgenommen, verhaftet, verfolgt und belauscht”, und dennoch unterstützten “Schlüsselakteure der europäischen Politik die Regierung von Aleksandar Vučić öffentlich”.
Dies stehe “in völligem Widerspruch zu den elementaren europäischen Werten”, heißt es im offenen Brief. Die EU halte die vollständige Kontrolle des Regimes über die Medien mit nationaler Verbreitung, das gelähmte Justizsystem, die gefälschten Wählerlisten und sogar die Terroranschläge im Kosovo für ein sekundäres Problem. Mutmaßliche Täter seien zudem Personen, die in Serbien unter dem Schutz des Staates stünden und Millionen verdienten.
In Österreich sind die Koalitionsverhandlungen von rechter FPÖ und konservativer ÖVP zumindest vorübergehend ins Stocken geraten. “Die Regierungsverhandlungen befinden sich in einer schwierigen Phase“, hieß es vonseiten der ÖVP. Zuvor hatten österreichische Medien über einen Verhandlungsstopp berichtet – das wiesen FPÖ-Vertreter jedoch entschieden als “Ente” zurück.
Am Dienstagabend tagte der Parteivorstand der ÖVP, um die Lage zu besprechen. Die Gespräche sollten am Mittwoch fortgesetzt werden, teilte die ÖVP mit. So seien weitere Fachgruppentreffen anberaumt, um bestimmte Politikfelder zu bearbeiten. Grundsätzlich gehe es um die von der ÖVP als zentral betrachteten Fragen der Außen- und EU-Politik, hieß es.
Der neue ÖVP-Chef Christian Stocker hatte mehrfach Bedingungen für eine Koalition mit der FPÖ formuliert: Eine Koalition müsse sich zur EU bekennen und keine Einflussnahmen aus dem Ausland – insbesondere aus Russland – dulden. Die FPÖ ist extrem EU-kritisch und gilt als russlandfreundlich.
Die rechte FPÖ hatte die Parlamentswahl im Herbst 2024 gewonnen und steht erstmals vor dem Einzug ins Kanzleramt. Die ÖVP hatte unter dem inzwischen zurückgetretenen Kanzler Karl Nehammer lange Zeit eine Koalition mit der FPÖ ausgeschlossen, solange FPÖ-Parteichef Herbert Kickl zur Regierung gehören sollte. Unter Stocker vollzog die ÖVP einen Kurswechsel und wäre bereit, Juniorpartner der Rechtspopulisten zu werden.
Zeitgleich demonstrierten am Dienstagabend erneut Tausende Menschen gegen einen möglichen Rechtsruck unter einer neuen Regierung. In der Wiener Innenstadt zogen nach Einschätzung von Medien rund 20.000 Menschen vom Kanzleramt bis zur Zentrale der konservativen ÖVP. dpa
Ein Zusammenschluss von Akteuren aus der Finanzbranche hat sich dafür ausgesprochen, dass die EU-Kommission ihre “Integrität und Ambitionen” bei der Umsetzung ihrer Nachhaltigkeitsregulierung aufrechterhält. Sollte das sogenannte Omnibus-Verfahren wie von der EU angekündigt dazu führen, dass sich Pflichten von Unternehmen deutlich reduzieren, wären weitere juristische Unsicherheiten wahrscheinlich. Außerdem würde die Politik dann sowohl Investitionen als auch Europas langfristige Wettbewerbsfähigkeit gefährden, so der Appell.
Anders als die meisten Unternehmen, die eine Vereinfachung von ESG-Regeln wie bei der Omnibus-Gesetzgebung herbeisehnen, wollen Investoren genau wissen, wo mögliche Anlagerisiken lauern. Daher haben sie ein Interesse an besonders weitreichenden Berichtspflichten.
Veröffentlicht wurde das Statement von den Organisationen European Sustainable Investment Forum (Eurosif), Institutional Investors Group on Climate Change (IIGCC) und Principles for Responsible Investment (PRI). Unterzeichnet haben es unter anderem 162 Investoren und Asset Manager. Sie verwalten nach eigenen Angaben ein Vermögen von zusammen 6,6 Billionen Euro. Unter ihnen sind 17 deutsche Anleger, etwa Planet A Ventures, Hamburg Team, EB-SIM, Joh. Berenberg und Gossler & Co. KG.
In Brüssel gehen derweil die nichtöffentlichen Beratungen über die Vorschläge für die Omnibus-Verordnung weiter. Für den Donnerstag hat Wirtschaftskommissar Valdis Dombrovskis zu einem ganztägigen “Simplification Round Table” eingeladen. Auf der Agenda stehen unter anderem die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), die Taxonomie-Verordnung, die Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) und der Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM). Eingeladen sind vor allem Handelsorganisationen und Unternehmen wie die Deutsche Bank, Airbus, BMW, Volkswagen und Allianz SE. Als NGO-Vertreter stehen unter anderem WWF, Finance Watch und Human Rights Watch auf der Einladungsliste.
Mit dem Omnibus will die EU-Kommission die bürokratischen Lasten der Unternehmen aus den selbstinitiierten ESG-Gesetzen abschwächen. Ziel soll sein, Europas Wirtschaft zum Aufschwung zu verhelfen. Dombrovskis hatte kürzlich angekündigt, dass auch weitere Gesetze in das Verfahren einbezogen werden könnten. maw
Seit dem 2. Februar gelten die Verbote aus dem AI Act. Doch welche Technologien der künstlichen Intelligenz sind jetzt genau verboten und wo sind die Grenzen? Dazu hat die EU-Kommission am Dienstag Leitlinien veröffentlicht, die Klarheit darüber schaffen sollen, wie die Verbote in der Praxis anzuwenden sind. Die Leitlinien sind nicht rechtsverbindlich, sollen aber eine einheitliche Auslegung in der EU sicherstellen. Sie richten sich an Unternehmen, Behörden und Marktüberwachungsstellen, die für die Einhaltung der Vorschriften verantwortlich sind.
Artikel 5 des AI Acts verbietet das Inverkehrbringen, die Inbetriebnahme oder die Verwendung bestimmter KI-Systeme für manipulative, ausbeuterische, soziale Kontroll- oder Überwachungspraktiken, die ihrem Wesen nach gegen die Grundrechte und die Werte der Union verstoßen. Die wichtigsten Klarstellungen aus den Leitlinien dazu sind:
Obwohl die Verbote seit dem 2. Februar bereits gelten, haben die Marktaufsichtsbehörden der Mitgliedstaaten bis zum 2. August 2025 Zeit, sich auf die Überwachung der Regeln vorzubereiten. Deutschland hat – wie viele anderen Mitgliedstaaten auch – bis jetzt nicht einmal offiziell eine Behörde dafür benannt. Im Gesetzentwurf ist die Bundesnetzagentur vorgesehen.
Das bedeutet, dass die Verbote erst ein halbes Jahr nach ihrem Inkrafttreten konsequent kontrolliert werden können – eine paradoxe Lücke, in der Unternehmen theoretisch noch ungestraft gegen die Regeln verstoßen könnten. Die Kommission plant eine Beratungsstelle, um Unternehmen bei der Einhaltung zu unterstützen. vis
Damit Europa im Rennen um die Technologieführerschaft bei Künstlicher Intelligenz (KI) nicht von den USA und China abgehängt wird, fordern die führenden Start-up-Verbände Europas klare Prioritäten in der KI-Politik. “Die Europäische Union und wichtige nationale Regierungen müssen einen Rahmen schaffen, der Innovation stärkt, statt sie zu behindern”, sagt Verena Pausder, Vorstandsvorsitzende des deutschen Start-up-Verbands.
Der Verband hat gemeinsam mit France Digitale und dem European Startup Network, das 37 europäische Start-up-Verbände vertritt, eine Erklärung zum AI Action Summit kommende Woche in Paris verfasst. Darin benennen sie vier Handlungsfelder:
Die Verbände regen an, dass ein paneuropäisches Programm Kapital von institutionellen Anlegern wie Versicherungen und Pensionsfonds einsammeln und Erfolg versprechenden jungen Unternehmen zur Verfügung stellen soll. Ein solches Programm könnte sich an bestehenden Initiativen wie Tibi in Frankreich und WIN in Deutschland orientieren und wäre eine Antwort auf das Stargate Projekt in den USA.
Mehr Mittel für den Europäischen Innovationsrat (EIC) könnte nach Einschätzung der Verbände ebenfalls bei der Skalierung von jungen Unternehmen helfen. Die Verbände fordern außerdem ein 28. Regime, also einen einheitlichen Gesetzesrahmen für Unternehmens-, Steuer- und Arbeitsrecht, der gerade kleineren Unternehmen eine Alternative zum bisher zersplitterten Binnenmarkt in der EU bieten würde.
Damit die Nachfrage nach KI-Anwendungen in Europa steigt, schlagen die Verbände ein Gutscheinsystem vor. Dies würde einen Anreiz gerade auch für kleine und mittlere Unternehmen schaffen, KI anzuwenden. Bisher setzen nur knapp 14 Prozent der KMU in Europa KI ein. Diese Gutscheine könnten sich am Modell der europäischen Innovationsgutscheine orientieren und einen Teil der Kosten übernehmen, etwa auch die für das Training von Mitarbeitern, die für den Einsatz der KI geschult werden müssen.
Die Verbände sprechen sich auch dafür aus, die Standardisierung von KI zu beschleunigen und die für 2025 geplante Revision der EU-Beschaffungsregeln zu nutzen, um Start-ups zu besseren Chancen auf öffentliche Aufträge zu verhelfen. In Frankreich wurden kürzlich die Anforderungen bei Ausschreibungen für Aufträge bis zu 300.000 Euro gelockert, dies könnte als Vorbild dienen.
Die Verbände weisen darauf hin, dass die Abhängigkeit von den globalen Tech-Giganten bei der Infrastruktur eine Schwachstelle darstellt. In Europa sollten Anreize geschaffen werden, damit europäische Unternehmen Multi-Cloud Strategien entwickeln. Der Digital Markets Act (DMA) solle eingesetzt werden, damit Tech-Giganten, ihre eigenen KI-Tools nicht bevorzugen können. Ein neuer Rechtsrahmen solle außerdem den Zugang zu Daten sicherstellen. Bisher seien Start-ups hier mit Hürden konfrontiert. Silke Wettach
Die Abgeordneten der italienischen “Fünf-Sterne-Bewegung” bleiben in der Fraktion der Linken im Europaparlament. Der Fraktionsvorstand hat die volle Mitgliedschaft beschlossen. Zu Beginn der Wahlperiode war vereinbart worden, dass die acht Sterne-Abgeordneten zunächst auf Probe Mitglieder in der Fraktion werden. Mit der Entscheidung vom Dienstag bleibt es dabei, dass die Linksfraktion 46 Abgeordnete im Europaparlament hat. mgr
Die Landesregierung Baden-Württemberg ist gegen die Einführung von einheitlichen Plänen für jeden Mitgliedstaat beim nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR). “Eine solche Zentralisierung der Förderprogramme widerspräche gleichermaßen dem Grundgedanken der Kohäsionspolitik als auch dem Subsidiaritätsprinzip”, heißt es in einem Positionspapier für den MFR nach 2027, das die grün-schwarze Landesregierung beschlossen hat. In der nächsten Förderperiode müsse weiter die direkte Beteiligung der Regionen an EU-Förderprogrammen sichergestellt sein.
Die Mittel im nächsten MFR sollten prioritär für “Zukunftstechnologien” und die dafür notwendige Förderung exzellenter Forschung verwendet werden. Um die Transformation in der Automobilbranche zu unterstützen, solle der flächendeckende Ausbau der Lade- und Tankinfrastruktur für klimaneutrale Antriebe sowohl im Individual- wie auch im Güterverkehr unterstützt werden. “Daneben sollten schwerpunktmäßig der Aufbau europäischer Ökosysteme für Halbleiter und Batterien (inklusive seltener Rohstoffe) gefördert werden.”
Das Land fordert zudem, den Kofinanzierungssatz in der Kohäsionspolitik für wirtschaftlich entwickelte Regionen wieder von 40 auf 50 Prozent anzuheben. Für die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) fordert das Land, mindestens das jetzige Finanzvolumen plus Inflationsausgleich beizubehalten. Bei der GAP wird eine Überprüfung der Berichtspflichten angemahnt, um die Verwaltung schlank zu halten und den örtlichen Notwendigkeiten Rechnung zu tragen, wenn die Regionen wieder eigene Entwicklungsprogramme für den Ländlichen Raum (EPLR) erstellen könnten. mgr
Wenige Tage vor dem Beginn der 61. Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) am 14. Februar muss ein wichtiger Programmpunkt der Veranstaltung verschoben werden – die offizielle Übergabe der Konferenzleitung vom deutschen Diplomaten Christoph Heusgen an den ehemaligen Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Der Norweger folgt dem Ruf seiner Heimat und wird Finanzminister, voraussichtlich bis zu den regulären Wahlen im Herbst.
Nach Informationen von Table.Briefings soll Stoltenberg spätestens im September den Job in München antreten. In einer Pressemitteilung der MSC heißt es ferner: Solange übernehmen die derzeitigen stellvertretenden Vorsitzenden der MSC, Benedikt Franke und Botschafter Rainer Rudolph, die Leitung. Dies auf Bitten des Präsidenten des MSC-Stiftungsrates Wolfgang Ischinger.
Für die MSC ist Stoltenberg von großer Bedeutung. Er solle “uns in Zukunft vielleicht an der ein oder anderen Stelle noch einmal hochrangigere Gäste bescheren”, hatte Benedikt Franke erst kürzlich in einem Interview mit Table.Briefings gesagt.
In Norwegen war die Regierungskoalition bestehend aus der Arbeiterpartei und der Zentrumspartei vergangene Woche zerbrochen. Ministerpräsident Jonas Gahr Støre muss mehrere Ministerposten in der künftigen Minderheitsregierung neu besetzen. Nach norwegischem Recht sind vorzeitige Wahlen nicht vorgesehen. Der ehemalige norwegische Premier Stoltenberg ist ausgebildeter Wirtschaftswissenschaftler. Vor seinem Job als Nato-Generalsekretär (2014 bis 2024) war er unter anderem Vorsitzender der Arbeiterpartei. vf/mrb