Table.Briefing: Europe

Wie stabil ist die Von-der-Leyen-Koalition? + Warum die EU im Sahel engagiert bleiben sollte

Liebe Leserin, lieber Leser,

dass der Unterausschuss für Sicherheit und Verteidigung (SEDE) in diesen kritischen Zeiten zu einem vollwertigen Ausschuss aufgewertet wird, ist so gut wie ausgemacht. Doch über die genauen Zuständigkeiten des Ausschusses dürfte es in den kommenden Wochen noch sehr heftige Debatten geben. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), die am Dienstag zur Vorsitzenden des (noch) Unterausschusses des Europaparlaments gewählt wurde, will, dass der Unterausschuss mehr Verantwortung über industrielle Verteidigungsfragen erhält.

Die ehemalige Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Deutschen Bundestag sagte Table.Briefings, dass “Defense Policy and Defence Industrie nicht getrennt betrachtet werden dürfen”, und Strack-Zimmermann fügte hinzu, dass über die neuen Kompetenzen vor allem mit den Ausschüssen für auswärtige Angelegenheiten (AFET) und dem Ausschuss für Industrie (ITRE) über den Sommer und im September verhandelt wird.

Es ist davon auszugehen, dass keiner der Ausschüsse gerne Kompetenzen abtreten will. Aus AFET-Kreisen heißt es jedoch, dass die Zuständigkeiten hier bereits klar abgetrennt sind und der Vorsitzende des Ausschusses David McAllister selbst die Aufwertung des Unterausschusses gefordert hat. Die Auseinandersetzungen mit ITRE und dem Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO) dürften daher weit schwerer wiegen. 

Diese sind auch an die Entwicklungen in der EU-Kommission gekoppelt. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat versprochen, den Posten eines EU-Verteidigungskommissars zu schaffen, der die Koordination zur Stärkung der industriellen Basis und der Innovation im Rüstungssektor übernehmen soll.

Der Ausschuss im Parlament soll die Kompetenzen des neuen Kommissars spiegeln. Verteidigungsthemen werden derzeit vor allem von Binnenmarktkommissar Thierry Breton übernommen, der die Verantwortung sicherlich nicht widerstandslos in fremde Hände legen wird. Nach der Sommerpause werden diese Machtkämpfe dann erst so richtig an Fahrt aufnehmen.

Ein erholsames Wochenende wünscht Ihnen

Ihre
Wilhelmine Preußen
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Analyse

Wie stabil ist die neue Von-der-Leyen-Koalition?

Noch im Mai hatten Ursula von der Leyen und Manfred Weber recht offen mit dem Gedanken gespielt, mit Parteien aus dem nationalkonservativen Lager wie den Fratelli d’Italia zu kooperieren. Nach der Europawahl am 9. Juni war davon schnell keine Rede mehr. Der einfache Grund: Ein Mitte-Rechts-Bündnis aus Liberalen, EVP und EKR hätte keine Mehrheit gehabt. Und die beiden führenden Christdemokraten mussten befürchten, durch eine offene Zusammenarbeit mit der EKR die Sozialdemokraten und Teile der Liberalen zu verprellen. 

Stattdessen konzentrierten sie sich darauf, ein Bündnis mit S&D und Renew zu schmieden. Von der Leyen bemühte sich zusätzlich um die Unterstützung der Grünen. Aus den vier Mitte-Fraktionen kamen daher wohl auch die allermeisten der 401 Stimmen, die von der Leyen für eine zweite Amtszeit zur Kommissionspräsidentin wählten.

S&D warnt EVP vor “schmutzigen Deals mit Rechtsaußen”

Doch das bedeutet nicht, dass dieses Bündnis auch in den Abstimmungen über einzelne Gesetzesvorhaben Bestand hat. Feste Koalitionen wie im Bundestag kennt das Europaparlament ohnehin nicht, und konservative Kräfte in der EVP wollen nicht auf die Option verzichten, ihre Agenda mithilfe rechter Abgeordneter durchzusetzen. Passieren könnte dies bei Verhandlungen über das Verbrenner-Aus oder die Einbeziehung der Landwirtschaft in den Green Deal.

Führende S&D-Abgeordnete warnen die EVP bereits davor, “schmutzige Deals mit Rechtsaußen zu machen”. Der Politikwissenschaftler Manuel Müller mahnt: “Je offener die EVP mit den Rechtsaußen zusammenarbeitet, desto mehr wird das Vertrauen im Mitte-Bündnis zerstört.”

EVP (188 Sitze) und EKR (78) kommen zusammen auf 266 Sitze. Gemeinsam mit Renew (77) hätte diese rechtsliberale Mehrheit rechnerisch 343 Sitze und erreicht damit eine Größenordnung, mit der sie mit einigen Stimmen von den ganz Rechten Abstimmungen gewinnen könnte.

Die Fraktionen werden zwar niemals einheitlich abstimmen im Europaparlament. So ausgeprägt ist die Fraktionsdisziplin nicht. Dennoch zeigen die Zahlen, dass es bei der Gesetzgebung zu Allianzen zwischen EVP, EKR und Liberalen kommen könnte. Auch im rechten Flügel von Renew gebe es Kräfte wie die niederländische VVD, “die sicherlich im Einzelfall mit der EKR stimmen würden”, sagt Müller. Die Partei koaliert in Den Haag mit dem Rechtsextremen Geert Wilders.

340 Stimmen reichen schon für eine Mehrheit

Hinzu kommt: Bei Abstimmungen über einzelne Berichte zu Gesetzesvorhaben ist selten die absolute Mehrheit von 360 Sitzen nötig. Die Fraktionen rechnen damit, dass auch im Europaparlament mit nun 719 Sitzen in der Regel 340 Stimmen ausreichen, um eine Abstimmung zu gewinnen.

EKR-Co-Fraktionschef Nicola Procaccini setzt genau darauf: “Es gibt eine bürgerlich-konservative Mehrheit in diesem Europaparlament. Das wird sich bei den Gesetzgebungen zeigen”, sagte er im Plenum. Die Gewichte im neuen Parlament haben sich tatsächlich nach rechts verschoben. EVP, EKR und die Patrioten für Europa von Viktor Orbán und Marine Le Pen kommen zusammen auf 350 Sitze. Rechts neben den Patrioten kommt zudem noch die rechtsradikale Fraktion ESN um die AfD mit weiteren 25 Sitzen. Zum Vergleich: Im letzten Europaparlament kamen EVP, EKR und ID nur auf 304 Sitze.

Keine Absprachen mit Rechtsradikalen

Bislang gab es grundsätzlich keine Absprachen zwischen EVP und Rechtsradikalen. EVP-Abgeordnete unterstützten auch keine Anträge, die von den Rechtsaußen gestellt wurden. Es kam vor, dass ID-Abgeordnete im Sinne der EVP abstimmten, durchaus auch, dass ihre Stimme schon einmal den Ausschlag gab. Aber miteinander geredet wurde nicht. EVP-Chef Manfred Weber beteuert, dass die Brandmauer nach rechts Bestand hat.

Doch diese schließt die EKR nicht per se mit aus. In der EVP rechnet man aber damit, dass EKR-Chefin Giorgia Meloni die 24 Abgeordneten der Fratelli anhalten wird, sich eng mit der EVP-Linie abzustimmen. Hinzu kommen als mögliche Unterstützer vonseiten der EKR jeweils drei Abgeordnete des tschechischen ODS und der flämischen NVA, die bereits für von der Leyen gestimmt haben dürften.

Bernd Lange (SPD), einer der erfahrensten Abgeordneten und bereits in der sechsten Wahlperiode dabei, vertraut darauf, dass die EVP am “Cordon sanitaire” zu den beiden rechtsradikalen Fraktionen festhält. Er erkennt auch an: “Ohne die EVP gibt es im neuen Parlament keine Mehrheiten, das muss man akzeptieren.”

Warnung an die Kommission

Die Christdemokraten bringt dies in eine neue Machtposition. Ein erfahrener EVP-Abgeordneter rechnet damit, dass bei der Gesetzgebung “fast immer die Plattform” von EVP, S&D und Renew für Mehrheiten sorgen werde, womöglich erweitert um Stimmen von der EKR. Allerdings: Sollte die Kommission etwa in der Umweltpolitik in Manier von Frans Timmermans, ehemaliger Vize-Präsident für den Green Deal, sehr weitreichende Vorschläge einbringen, dann könne die EVP auf Blockade setzen. Mögliche Kandidaten dafür sind die neuen Vorschläge zur Pestizidreduzierung oder eine Einbeziehung der Landwirtschaft in den Emissionshandel.

Auf EVP-Seite wird sehr genau beobachtet, ob Teresa Ribera in der Kommission eine Rolle bekommt wie früher Frans Timmermans. Die Sozialistin und ehemalige spanische Umweltministerin gilt ihnen als Hardlinerin. 

Druckmittel gegen die Sozialdemokraten

Die Blockadeoptionen der Christdemokraten bringen wiederum die Mitte-Links-Fraktionen unter Zugzwang. “Die EVP hat damit ein Druckmittel, um Zugeständnisse von den Sozialdemokraten erzwingen zu können”, sagt Nicolai von Ondarza, Forschungsgruppenleiter der Stiftung Wissenschaft und Politik. Diese müssten sich dann kompromissbereit zeigen.

In der S&D-Fraktion wird genau dies befürchtet. Sie drängte deshalb auf eine schriftliche Vereinbarung zwischen den Fraktionen, die von der Leyen unterstützen. EVP-Chef Weber aber wollte sich nicht binden lassen. Ein hochrangiger S&D-Abgeordneter fordert daher einen “regelmäßigen Dialog” mit der EVP-Fraktion. Die EVP von Deals mit Rechtsaußen abzuhalten, werde ein “Drahtseilakt”.

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EU-Sahel-Beauftragte: Konzentration auf Küstenländer in Westafrika ist ein Fehler

Emanuela Claudia Del Re, die EU-Sonderbeauftragte für die Sahelzone.
Emanuela Claudia Del Re, die EU-Sonderbeauftragte für die Sahelzone.

Frau Del Re, wieso haben ausgerechnet Mali, Burkina Faso und Niger keine Regierungsvertreter zur Generalversammlung der Sahel-Allianz in Berlin geschickt?

Ich glaube nicht, dass es eine starke politische Botschaft ist. Niger nimmt nicht immer an internationalen Veranstaltungen teil, aber Mali und Burkina Faso schon. Ich habe kürzlich in Brüssel sowohl den Außenminister von Mali als auch den Außenminister von Burkina Faso getroffen. Wir werden die Umstände in Zukunft prüfen, aber sie waren bei vielen Gelegenheiten anwesend. Von Deutschland gibt es laufende Projekte in allen Ländern des Sahel, und wie ich immer sage, Deutschland ist ein Riese in der Region, sowohl was das Engagement angeht als auch, was die Mittel betrifft.

Wissen Sie also, warum sie nicht gekommen sind?

Ich weiß es nicht.

Wie ernst nehmen Sie den Einfluss Russlands in der Region?

Ich nehme das sehr ernst. Russland ist seit Jahrzehnten in Afrika präsent, also kein Neuling. Offensichtlich hat sich mit dem Krieg in der Ukraine aber alles geändert. Sie setzen ihre normalen Beziehungen fort, die es immer gegeben hat. Aber sie bemühen sich, ihre Fähigkeit zur Desinformation zu verfeinern, zu intensivieren und zu erweitern. Das ist ein echtes Kriegsinstrument. Ich fürchte das sehr, weil es sehr einfach ist, böswillige Botschaften zu verbreiten. Das wird zu einer wirklichen Sorge der EU. Die EU hat eine spezielle Taskforce eingerichtet, um dieser Art von Kommunikation entgegenzuwirken. Diese dringt in die Mentalität der Bevölkerung ein und kann sehr schädlich sein, weil sie ein Bild der EU schafft, das nicht akzeptabel ist.

An welchem Punkt unterscheiden sich die Perspektiven der EU-Länder auf die Lage im Sahel?

Es gibt unterschiedliche Perspektiven. Denn, obwohl wir einen Konsens erreicht haben – und ich habe wirklich hart darum gekämpft, sicherzustellen, dass die 27 Länder einen Konsens über die Notwendigkeit des Engagements erreichen – gibt es diese Idee, die seit kurzem prominent ist: Es geht um eine transaktionale Art der Entwicklungszusammenarbeit, bei der man den Grad der Zusammenarbeit und die Bereitschaft zur Zusammenarbeit der Länder, mit denen man eine Partnerschaft eingegangen ist, beurteilt. Auf der Grundlage ihres Verhaltens – ob sie sich gut verhalten und gute Leistungen erbringen oder nicht – entscheidet man, ob man weiter investieren soll.

Aus deutschen Regierungskreisen ist zu hören, dass man um das Versagen Frankreichs im Sahel herumarbeiten müsse.

Nun, im Augenblick denke ich, dass Frankreich eine Selbstreflexion durchmacht. Sie wollen offensichtlich weiter in der Region engagiert bleiben, aber sie müssen eine neue Dimension finden und auch natürlich einen Weg, um einen Dialog mit diesen Ländern zu führen, wenn die Länder leider in ihrer aktuellen Erzählung, besonders auf politischer Ebene, immer demonstrieren, dass sie gegen Frankreich sind.

Sie sagen, dass die EU mit den Junta-Ländern kooperieren müsse, aus Ihrer Sicht, selbst mit Ländern wie Burkina, wo Menschen verschwinden. Auch Journalisten. Wie funktioniert das, und mit wem können Sie offen sprechen?

Ich spreche auch mit der Zivilgesellschaft, aber die Tatsache, dass Sie mit den Behörden sprechen, ist grundlegend. Denn wenn wir unsere Botschaften nicht übermitteln, sagen wir ihnen nicht, wie gefährlich es ist, sich auf eine bestimmte Weise zu verhalten. Es ist ein Prozess, der in Gang gesetzt werden muss. Natürlich ist es im Augenblick sehr schwierig, mit den Militärjuntas zu sprechen, weil sie sehr aggressiv sind. Ich selbst habe etwa den Präsidenten von Mali mehrmals getroffen.

Haben Sie also Zugang zum Präsidenten von Mali, General Assimi Goïta?

Ja, ich hatte Zugang zum Präsidenten. In letzter Zeit habe ich aber mehr mit den Ministern gesprochen. Und natürlich gab es Dinge, die unsere Beziehungen beeinträchtigt haben. Insbesondere die Ankunft der Wagner-Gruppe hat unsere Beziehungen beeinträchtigt. Das war für uns eine absolute rote Linie. Natürlich weiß ich, dass auch andere Russen kommen, aber es kommen auch Iraner. Die Region ist sehr überfüllt. Die Leute denken, es sei eine Wüste, aber ich finde sie sehr überfüllt und auch sehr dynamisch. Das Risiko für die EU besteht darin, von diesen historischen Bewegungen ausgeschlossen zu bleiben.

Ich betone immer die Resilienz der EU, obwohl ich den Begriff nicht mag. Wir reden immer über die Resilienz von Gesellschaften. Was ist mit der Resilienz der EU angesichts dieser Veränderungen? Die meiste Zeit sind wir orientierungslos. In einigen Fällen sind wir schockiert, als wären wir gelähmt. Und ich denke, es ist an der Zeit, dass wir als EU darauf vorbereitet sind, die Schocks zu bewältigen.

Welche Rolle spielen die Küstenländer in Westafrika?

Natürlich müssen wir sie verteidigen und ihnen helfen, weil sie unter den Auswirkungen der Sicherheitsbedrohungen aus dem Sahel leiden. Aber ich denke, sich auf die Küstenländer zu konzentrieren und nicht auf den Sahel, insbesondere den zentralen Sahel, und vor allem Burkina Faso, das das Epizentrum all dieser Phänomene ist, wäre ein strategischer Fehler. Jetzt ist die Zeit für eine ordentliche Planung für die Zukunft, um die Resilienz der EU zu erhöhen und sie insbesondere als den politischen Partner zu erhalten, den wir für den Sahel benötigen. Denn andernfalls, wenn wir weiterhin für die Demokratie eintreten, müssen wir das mit sehr starken Argumenten unterstützen, weil Demokratie keine magische Formel ist. Sie ist ein Prozess. Und deshalb müssen wir politisch sein. Das finde ich im Moment in der EU am schwierigsten.

Die Italienerin Emanuela Claudia Del Re wurde 2021 vom EU-Rat zur EU-Sonderbeauftragten für den Sahel ernannt. Ihre Amtszeit läuft bis November 2024. Die Soziologin hatte eine lange Forschungskarriere, bevor sie 2018 Mitglied des italienischen Parlaments wurde (Movimento 5 Stelle). Del Re war Vize-Ministerin für auswärtige Angelegenheiten und internationale Zusammenarbeit Italiens unter Ministerpräsident Giuseppe Conte.

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News

Kommission verklagt Bayern wegen Kürzungen beim Familiengeld für Kinder im Ausland

Im Streit um Familienleistungen will die EU-Kommission Deutschland und Italien vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) verklagen. Das teilte sie am Donnerstag mit. In beiden Fällen geht es um den Vorwurf der Diskriminierung von mobilen EU-Bürgern. Diese erhalten in Bayern zum Teil niedrigere Familienleistungen oder werden in Italien für einen gewissen Zeitraum sogar davon ausgeschlossen.

In Bayern gibt es das nun beklagte Familiengeld seit 2018. Die Leistung ist unabhängig vom Einkommen und Erwerbsstatus der Eltern und wird zusätzlich zum Kindergeld ausgezahlt. Aktuell sind es mindestens 250 euro pro Kind. Allerdings werden die Leistungen gekürzt, wenn die Kinder in einem anderen Mitgliedstaat mit niedrigeren Lebenshaltungskosten leben. Da die Höhe abhängig von den dortigen Kosten ist, spricht man auch von einer Indexierung.

Kommission: “Gleichbehandlung ist Grundprinzip der EU”

Nach Auffassung der Kommission ist diese Indexierung nicht mit dem EU-Recht vereinbar. Sie sieht mobile Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus der EU diskriminiert. “Es ist eines der Grundprinzipien der EU, dass Menschen ganz unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit gleich behandelt werden”, schreibt die Kommission. Mobile Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus der EU, die in gleicher Weise zum Sozialversicherungssystem beitrügen und “dieselben Steuern zahlen wie einheimische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer”, hätten Anspruch auf dieselben Sozialleistungen. Sie sollten deswegen Familienleistungen in gleicher Höhe erhalten wie andere Beschäftigte in Bayern auch.

Italien geht bei seinen Familienleistungsregeln sogar noch weiter als Bayern: EU-Arbeitnehmer bekommen dort die 2022 beschlossene, neue Familienleistung gar nicht, wenn sie erst weniger als zwei Jahre in Italien leben. Kein Geld gibt es zudem Kinder, die im EU-Ausland leben, heißt es von der Kommission. Die Begründung zur Einleitung der Klage ist sehr ähnlich wie im Falle Bayerns. Auch hier sieht die Kommission mobile EU-Bürger diskriminiert.

Das bayrische Familienministerium erklärte Table.Briefings auf Anfrage, dass man zunächst die Klageschrift abwarten wolle. “Die darin enthaltenen Argumente der Kommission werden im Anschluss bewertet”, teilte ein Sprecher mit. Allerdings zeigte man sich optimistisch: “Nach aktuellem Erkenntnisstand ist es grundsätzlich mit europäischem Recht vereinbar, dass Familiengeldempfänger, deren Kinder in bestimmten EU-Mitgliedstaaten mit niedrigeren Lebenshaltungskosten als in Bayern leben, auch ein entsprechend geringeres Familiengeld erhalten.” Das italienische Familienministerium antwortete bis Redaktionsschluss nicht.

Österreichs Indexierung bereits gekippt

Claudia Maria Hofmann, Professorin für Öffentliches Recht und Europäisches Sozialrecht an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder), geht dagegen davon aus, dass sich die Kommission in beiden Fällen durchsetzen wird. Zum Fall Bayern sagte sie Table.Briefings: “Aus meiner Sicht ist die Rechtslage dort ganz klar unionsrechtswidrig.” Die Kommission habe bereits 2022 in einem ähnlichen Fall gegen Österreich vor dem EuGH gewonnen. Die Ergebnisse dieser Entscheidung hat ein Urteil des Sozialgerichts Bayreuth aus dem Sommer 2023 auf die bayrischen Regelungen übertragen und diese ebenfalls für nicht vereinbar mit dem Unionsrecht erklärt.

“Anders als Grundsicherungsleistungen, wo es gewisse Einschränkungen geben kann, ist unionsrechtlich bei Familienleistungen klar normiert, dass sie allen EU-Bürgern gleichermaßen zukommen müssen“, sagte Hofmann. Ausnahmen gebe es nur etwa für Asylsuchende. Generell hält sie eine Indexierung der Leistung unionsrechtlich für heikel.

Im Rechtsstreit zwischen der Kommission und Österreich habe der EuGH etwa ausgeführt, dass eine Indexierung von Familienleistungen nicht mit dem Argument unterschiedlicher Kaufkraftniveaus in anderen Mitgliedstaaten begründet werden könne. Denn auch etwaige Preisunterschiede innerhalb Österreichs wirkten sich nicht auf die Leistungshöhe aus, argumentierte das Gericht. “Ich denke, dass man das Urteil auf Bayern übertragen kann”, sagte Hofmann.

2022 hatte der EuGH schon einmal eine deutsche Regelung, damals zum Kindergeld, für unionsrechtswidrig erklärt. Die Bundesregierung hatte 2019 EU-Bürger vom Kindergeldbezug in den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts in Deutschland ausgeschlossen, wenn diese erwerbslos waren. Das sei nicht zulässig und verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, urteilte das Gericht damals. lei

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Rechtsstaatlichkeit: EU-Kommission verklagt Ungarn erneut vor dem EuGH

Die EU-Kommission verklagt Ungarn erneut vor dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH). Grund ist diesmal die aus Sicht der Behörde unzureichende Umsetzung einer EU-Richtlinie zu Rechten von Verdächtigen oder beschuldigten Personen in einem Strafverfahren und Verfahren zur Vollstreckung eines europäischen Haftbefehls. Konkret geht es unter anderem darum, dass ungarische Bestimmungen zu möglichen Abweichungen vom Recht auf Zugang zu Rechtsbeistand gegen EU-Recht verstoßen könnten.

Von der EU-Kommission heißt es zu dem Verfahren: “Die EU setzt sich dafür ein, dass die Grundrechte von Verdächtigen und beschuldigten Personen gewahrt werden.” Auch für die Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen eines Mitgliedstaats durch die anderen EU-Länder brauche es gemeinsame Mindestanforderungen.

Sollte das Verfahren vor dem EuGH mit einem Urteil im Sinn der EU-Kommission enden, müsste die Regierung des rechtspopulistischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán die derzeitigen Regeln anpassen. Tut sie das nicht, könnte für jeden Tag der Zuwiderhandlung ein Zwangsgeld verhängt werden.

Ungarn gehört zu den Staaten, die sich regelmäßig wegen Verstößen gegen EU-Recht vor dem EuGH verantworten müssen. Jüngst wurde das Land etwa im Juni verurteilt, weil es Flüchtlingen keinen ausreichenden Zugang zu Asylverfahren gewährleistet. Es muss nun 200 Millionen Euro sowie ein tägliches Zwangsgeld von einer Million Euro für jeden Tag des Verzugs zahlen. dpa

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Strommarkt: Kommission bricht Ermittlungen ab

Ein möglicherweise wettbewerbswidriges Verhalten der Strombörse Epex Spot bleibt ohne Konsequenzen. Die Kommission habe beschlossen, ihre kartellrechtliche Untersuchung auf dem Markt für Dienstleistungen zur Erleichterung des Intraday-Stromhandels einzustellen, teilte die Kommission am Donnerstag mit. Betroffen waren Deutschland und mindestens fünf Nachbarstaaten. Der Thinktank Bruegel kritisiert die Einstellung des Verfahrens im Gespräch mit Table.Briefings.

Im Mai 2020 war bei der Kommission eine Beschwerde eingereicht worden, am 30. März 2021 leitete die Wettbewerbsbehörde eine förmliche Untersuchung gegen die Strombörse ein. “Die Untersuchung der Kommission konzentrierte sich auf die Frage, ob die Epex Spot SE möglicherweise Verhaltensweisen an den Tag legte, die darauf abzielten, ihre Konkurrenten vom Markt auszuschließen, indem sie die Fähigkeit ihrer Kunden, Zugang zur gesamten Liquidität des Intraday-Marktes in den betreffenden Mitgliedstaaten zu erhalten, […] einschränkte”, heißt es in der Mitteilung vom Donnerstag.

Bruegel: Strafen auch nach Gesetzesänderung sinnvoll

Im Juni habe der Beschwerdeführer dann beschlossen, seine Beschwerde zurückzuziehen – laut Kommission nach Verabschiedung der Strommarktreform und einer neuen Vorschrift in Artikel 7 der Strommarktverordnung. Demnach müssen Börsenbetreiber einander mehr Informationen über die Intraday-Märkte offenlegen.

“In Anbetracht dieses Rückzugs hat die Kommission beschlossen, ihre Untersuchung einzustellen. Die Einstellung der Untersuchung bedeutet nicht, dass das fragliche Verhalten mit den EU-Wettbewerbsregeln vereinbar ist“, heißt es in der Mitteilung weiter. Der Thinktank Bruegel findet das Vorgehen der Kommission problematisch.

“Intuitiv würde ich sagen, dass im dynamischen europäischen Stromregulierungsumfeld, Strafen für Fehlverhalten selbst dann sinnvoll sein können – also abschreckend wirken -, wenn der genaue Vorfall heute nicht mehr möglich wäre”, sagt Energieexperte Georg Zachmann. “Dass so eine Untersuchung mehr als vier Jahre braucht, ist sicher Teil des Problems und deutet auf begrenzte Kapazitäten bei der Verfolgung hin.” ber

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Anti-Entwaldung: Warum Nestlé die neuen EU-Regeln unterstützt

In einem Schreiben an die EU-Kommission haben sich die Nahrungsmittelhersteller Nestlé, Mars Wrigley und Ferrero für die Umsetzung der Verordnung für entwaldungsfreie Lieferketten (EUDR) ausgesprochen. Das berichten die Nachrichtenagentur Reuters und die NGO Global Witness, die Einsicht in das Dokument hatten. Demnach fordern die Konzerne auch Unterstützung, um die Vorgaben fristgerecht umzusetzen. Auch das niederländische Unternehmen Tony’s Chocolonely, das sich sehr für soziale und ökologische Nachhaltigkeit in seinen Lieferketten einsetzt, habe den Brief unterzeichnet.

“Die EUDR stellt einen wichtigen Schritt nach vorn dar, um die notwendige Umgestaltung des Kakao- und Schokoladensektors voranzutreiben”, berichtet Reuters aus dem Schreiben. Dies trage dazu bei, “das Risiko der Entwaldung im Zusammenhang mit Kakao- und Schokoladenprodukten auf dem EU-Markt zu minimieren”.

Produkte von entwaldeten Flächen ab Ende 2024 verboten

Gleichzeitig fordern die Unternehmen die EU auf, einen ständigen Ausschuss einzurichten, der bei der Umsetzung helfen soll. Dieser solle sich mit den Behörden der Mitgliedstaaten abstimmen und den betroffenen Unternehmen Orientierungshilfen zu Fragen wie der rechtlichen Auslegung und den Sorgfaltspflichten bieten.

Die EUDR verbietet es ab dem 30. Dezember 2024, bestimmte Produkte wie Kakao, Kaffee, Palmöl, Holz und Soja auf dem EU-Markt zu verkaufen, wenn diese auf entwaldeten Flächen produziert wurden. Lieferanten müssen dann unter anderem eine Sorgfaltserklärung einreichen.

Anders als die Schokoladenhersteller fordern viele, die Umsetzung zu verschieben: Unternehmen, Verbände, Teile der EVP-Fraktion im EU-Parlament sowie mehrere Exportländer. Im Mai hatte die US-Regierung die EU bereits um Aufschiebung gebeten; vergangene Woche schlossen sich laut Medienberichten Australien, Brasilien und weitere Länder an. Sie kritisieren unter anderem die Methodik und Datengrundlage der EU. leo

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DSA: Kommission eröffnet gegen sechs Länder Vertragsverletzungsverfahren

Die Europäische Kommission hat ein Vertragsverletzungsverfahren gegen sechs Mitgliedstaaten im Rahmen des Digital Services Act (DSA) eingeleitet. Betroffen sind Belgien, Spanien, Kroatien, Luxemburg, die Niederlande und Schweden. Diese Länder haben entweder keine Digital Services Koordinatoren benannt, die für die Umsetzung des DSA zuständig sind. Oder sie haben den Behörden nicht die Befugnisse erteilt, die zur Erfüllung der im Gesetz geforderten Aufgaben erforderlich sind – oder beides.

Die Mitgliedstaaten hatten bis zum 17. Februar 2024 Zeit, diese Behörden zu benennen. Die Digital Services Koordinatoren überwachen Online-Plattformen und Suchmaschinen, die in ihren Hoheitsgebieten niedergelassen sind, und sind die ersten Ansprechpartner für Personen und Unternehmen zur Lösung von Beschwerden in diesem Bereich.

Die betroffenen Mitgliedstaaten haben nun zwei Monate, um zu antworten und die von der Kommission angesprochenen Mängel zu beheben. Bei ausbleibenden zufriedenstellenden Antworten kann die Kommission beschließen, mit der nächsten Stufe des Vertragsverletzungsverfahrens fortzufahren. vis

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Digitaler Handel: EU und Singapur schließen Abkommen

Die EU und Singapur haben ein Abkommen über digitalen Handel abgeschlossen. Es soll den grenzüberschreitenden Datenverkehr erleichtern und führt verbindliche Regeln für den digitalen Handel ein. Dieses Abkommen ergänzt das bestehende Freihandelsabkommen aus dem Jahr 2019.

“Dieses Abkommen wird Unternehmen und Verbrauchern auf beiden Seiten zugutekommen und unsere Wirtschaftsräume enger verbinden”, sagte Valdis Dombrovskis, Exekutiv-Vizepräsident der Europäischen Kommission.

Grenzüberschreitenden Datenverkehr mit Singapur fördern

Der Handel zwischen der EU und Singapur erreichte 2022 ein Volumen von mehr als 130 Milliarden Euro. Mehr als die Hälfte des Dienstleistungshandels zwischen beiden Partnern wird bereits digital abgewickelt. Das Abkommen zielt darauf ab, Hindernisse im digitalen Handel abzubauen und den Datenschutz zu stärken.

Das Abkommen enthält Regeln zur Förderung des grenzüberschreitenden Datenverkehrs und zur Beseitigung ungerechtfertigter Handelsbarrieren. Zudem legt es Maßnahmen zur Bekämpfung von Spam fest und stärkt den Verbraucherschutz.

Mit dem Abschluss der Verhandlungen beginnen nun die nationalen Genehmigungsverfahren. Die Europäische Kommission bezeichnet das Abkommen als einen wichtigen Schritt zur Modernisierung der Handelsbeziehungen und zur Förderung eines sicheren und fairen digitalen Handels. vis

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DSGVO: Kommission legt neuen Bericht zur Durchsetzung vor

Die Europäische Kommission hat heute ihren zweiten Bericht zur Anwendung der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) veröffentlicht. Der Bericht bestätigt, dass die DSGVO weiterhin effektiv zum Schutz der Daten von Einzelpersonen und Unternehmen beiträgt. Gleichzeitig betont er die Notwendigkeit verbesserter Durchsetzungsmaßnahmen in Schlüsselbereichen.

Maryant Fernández Pérez, Leiterin der Digitalpolitik bei der Europäischen Verbraucherorganisation BEUC, nannte die DSGVO ein zentrales Element zum Schutz der persönlichen Daten von Verbrauchern. “Leider bleibt das altbekannte Problem bestehen: Die DSGVO wird oft langsam und ineffektiv durchgesetzt, insbesondere bei großen grenzüberschreitenden Fällen.”

Die DSGVO, seit Mai 2018 in Kraft, soll sicherstellen, dass personenbezogene Daten fair, sicher und transparent verarbeitet werden. Sie gilt als Grundpfeiler des digitalen Wandels in der EU. Seit dem ersten Bericht 2020 hat die EU mehrere Maßnahmen eingeführt, um den Datenschutz zu stärken und Einzelpersonen in den Mittelpunkt des digitalen Wandels zu stellen.

Verbesserungsbedarf bei Auslegung und Durchsetzung

Der neue Bericht der Kommission hebt mehrere Bereiche hervor, in denen Verbesserungen notwendig sind:

  • Adoption von Verfahrensregeln: Die Kommission fordert eine schnellere Annahme der vorgeschlagenen Verfahrensregeln zur DSGVO, um eine robuste Durchsetzung mit schnellen Rechtsbehelfen zu gewährleisten.
  • Unterstützung für KMU: Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) benötigen mehr Unterstützung bei der Einhaltung der DSGVO. Die Bereitstellung klarer Leitlinien und praktischer Werkzeuge soll ihnen helfen, die Vorschriften besser umzusetzen.
  • Einheitliche Auslegung und Durchsetzung: Eine konsistente Anwendung der DSGVO in der gesamten EU ist entscheidend. Effektive Zusammenarbeit zwischen nationalen, EU- und internationalen Regulierungsbehörden soll eine kohärente Umsetzung der digitalen EU-Vorschriften sicherstellen. vis
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Andreas Schwarz – OLAF aus der Nische holen

Andreas Schwarz ist seit dem 1. März 2023 stellvertretender Generaldirektor beim Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung Olaf.
Andreas Schwarz ist seit dem 1. März 2023 stellvertretender Generaldirektor beim Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung OLAF.

Er hat die Telefonnummer von Kristalina Georgiewa im Handy, der Geschäftsführerin des Internationalen Währungsfonds (IWF). Er hat für die EU-Kommissare Günther Verheugen und Peter Mandelson gearbeitet. Andreas Schwarz, seit März 2023 Vize-Generaldirektor bei der EU-Betrugsbekämpfungsbehörde OLAF, zählt zu den wirklich gut verdrahteten Deutschen in der EU-Kommission.

Schwarz hatte es zunächst gar nicht auf eine Karriere in der EU abgesehen. Ende der 90er Jahre schrieb er an der Universität Potsdam eine Doktorarbeit in Ökonomie über den Umbruch in Mittel- und Osteuropa nach dem Ende der Planwirtschaft. Er kam zur Forschung nach Brüssel. “Am Ende der Woche hatte ich zwei Jobangebote”, erinnert er sich. Eines davon nahm er an und bearbeitete zwei Jahre lang in der Generaldirektion Wettbewerb Beihilfefälle wie den der Raffinerie Leuna. Sein Interesse an der EU war geweckt.

Kaum jemand kennt den EU-Haushalt wie er

Nach dem Doktortitel stieg Schwarz allerdings zunächst in Deutschland bei der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit ein. 2003 kam er zurück in die Generaldirektion Entwicklung der EU-Kommission und befasste sich mit Mikrofinanzen. Um Geld ging es in seiner Karriere noch häufiger. Kaum jemand in Brüssel kennt sich im EU-Haushalt so gut aus wie der heute 54-Jährige.

2005 übernahm er erst einmal eine sehr politische Aufgabe und koordinierte in der Generaldirektion Handel die Schutzinstrumente gegen unfaire Handelspraktiken wie Antidumpingzölle. Der damalige Kommissar Peter Mandelson, ein britischer Sozialdemokrat, wollte die Instrumente reformieren, was in Mitgliedsstaaten mit stärkerer Industriebasis wie etwa Deutschland auf Widerstand stieß. Und so musste Schwarz genau diese Reform der Handelsinstrumente bekämpfen, als er 2007 in das Kabinett des damaligen Industriekommissars Günter Verheugen (SPD) wechselte.

OLAF soll in mehr Aufmerksamkeit bekommen

Auf diesen Posten folgten weitere Aufgaben in Kabinetten, zunächst beim polnischen Haushalts-Kommissar Janusz Lewandowski als Vizekabinettschef und dann in gleicher Position bei dessen bulgarischer Nachfolgerin Georgiewa. Haushalt sollte das große Thema von Schwarz werden. Er war gleich zweimal in die schwierigen Verhandlungen zum Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) involviert. Von 2016 bis 2019 leitete er die Unit für MFR in der Generaldirektion Haushalt, von 2018 bis 2022 war er Direktor für Einnahmen und MFR.

Der Wechsel zur EU-Betrugsbekämpfungsbehörde OLAF im vergangenen Jahr hatte seine Logik. Geht es hier doch darum, dass EU-Mittel nicht in dunklen Kanälen versickern. Schwarz möchte die Ermittlungsbehörde, die wegen ihres Arbeitsauftrags ein gewisses Nischendasein führt, gerne stärker in den Mainstream der Kommissionspolitik holen.

Bestens vernetzt in der Kommission

Dabei kommt ihm zugute, dass er in der EU-Kommission vernetzt ist, die Generaldirektoren und ihre Stellvertreter kennt: “Ich kann Brücken bauen.” Der Chef von OLAF, der Finne Ville Itälä, kommt aus der Politik, war in seiner Heimat Minister, später Europaabgeordneter und kennt die EU-Kommission nicht von innen.

Die Betrugsbekämpfungsbehörde OLAF mit ihren 400 Mitarbeitern schafft es selten in die Schlagzeilen. Der Jahresbericht ist regelmäßig nur eine relativ kleine Meldung wert. Die technische Expertise von OLAF ist selbst in der Kommission nicht wirklich bekannt. So beschäftigt OLAF digitale Forensiker, die Computer und Handys auswerten können. “Viele wissen gar nicht, was sie an OLAF haben”, sagt Schwarz.

Ein optimistischer Blick auf Europa

Dabei sind manche Fälle durchaus spektakulär. So musste Großbritannien nach dem Brexit insgesamt drei Milliarden Euro an die EU-Kommission überweisen, weil Betrüger in früheren Jahren den Wert von Schuhen und Textilien absichtlich zu niedrig angegeben hatten und deshalb zu wenig Zoll gezahlt haben. Der Verbrecherring hatte sich bewusst ein Land mit schwachen Zollkontrollen ausgesucht. “Für mich ist es eine Frage der Glaubwürdigkeit, dass die EU solchen Betrug verhindert”, sagt Schwarz.

Der gebürtige Mannheimer, der mit einer Dänin verheiratet ist und Dänisch spricht, kann sich nicht vorstellen, an etwas anderem zu arbeiten als an der europäischen Integration. Obwohl die Rolle der EU in der Welt sowohl gemessen an ihrer Wirtschaftskraft als auch an der Bevölkerung abnimmt, sieht Schwarz optimistisch in die Zukunft: “Die EU hat schon viele Schwierigkeiten überstanden.” Silke Wettach

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Europe.Table Redaktion

EUROPE.TABLE REDAKTION

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    Liebe Leserin, lieber Leser,

    dass der Unterausschuss für Sicherheit und Verteidigung (SEDE) in diesen kritischen Zeiten zu einem vollwertigen Ausschuss aufgewertet wird, ist so gut wie ausgemacht. Doch über die genauen Zuständigkeiten des Ausschusses dürfte es in den kommenden Wochen noch sehr heftige Debatten geben. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), die am Dienstag zur Vorsitzenden des (noch) Unterausschusses des Europaparlaments gewählt wurde, will, dass der Unterausschuss mehr Verantwortung über industrielle Verteidigungsfragen erhält.

    Die ehemalige Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Deutschen Bundestag sagte Table.Briefings, dass “Defense Policy and Defence Industrie nicht getrennt betrachtet werden dürfen”, und Strack-Zimmermann fügte hinzu, dass über die neuen Kompetenzen vor allem mit den Ausschüssen für auswärtige Angelegenheiten (AFET) und dem Ausschuss für Industrie (ITRE) über den Sommer und im September verhandelt wird.

    Es ist davon auszugehen, dass keiner der Ausschüsse gerne Kompetenzen abtreten will. Aus AFET-Kreisen heißt es jedoch, dass die Zuständigkeiten hier bereits klar abgetrennt sind und der Vorsitzende des Ausschusses David McAllister selbst die Aufwertung des Unterausschusses gefordert hat. Die Auseinandersetzungen mit ITRE und dem Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO) dürften daher weit schwerer wiegen. 

    Diese sind auch an die Entwicklungen in der EU-Kommission gekoppelt. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat versprochen, den Posten eines EU-Verteidigungskommissars zu schaffen, der die Koordination zur Stärkung der industriellen Basis und der Innovation im Rüstungssektor übernehmen soll.

    Der Ausschuss im Parlament soll die Kompetenzen des neuen Kommissars spiegeln. Verteidigungsthemen werden derzeit vor allem von Binnenmarktkommissar Thierry Breton übernommen, der die Verantwortung sicherlich nicht widerstandslos in fremde Hände legen wird. Nach der Sommerpause werden diese Machtkämpfe dann erst so richtig an Fahrt aufnehmen.

    Ein erholsames Wochenende wünscht Ihnen

    Ihre
    Wilhelmine Preußen
    Bild von Wilhelmine  Preußen

    Analyse

    Wie stabil ist die neue Von-der-Leyen-Koalition?

    Noch im Mai hatten Ursula von der Leyen und Manfred Weber recht offen mit dem Gedanken gespielt, mit Parteien aus dem nationalkonservativen Lager wie den Fratelli d’Italia zu kooperieren. Nach der Europawahl am 9. Juni war davon schnell keine Rede mehr. Der einfache Grund: Ein Mitte-Rechts-Bündnis aus Liberalen, EVP und EKR hätte keine Mehrheit gehabt. Und die beiden führenden Christdemokraten mussten befürchten, durch eine offene Zusammenarbeit mit der EKR die Sozialdemokraten und Teile der Liberalen zu verprellen. 

    Stattdessen konzentrierten sie sich darauf, ein Bündnis mit S&D und Renew zu schmieden. Von der Leyen bemühte sich zusätzlich um die Unterstützung der Grünen. Aus den vier Mitte-Fraktionen kamen daher wohl auch die allermeisten der 401 Stimmen, die von der Leyen für eine zweite Amtszeit zur Kommissionspräsidentin wählten.

    S&D warnt EVP vor “schmutzigen Deals mit Rechtsaußen”

    Doch das bedeutet nicht, dass dieses Bündnis auch in den Abstimmungen über einzelne Gesetzesvorhaben Bestand hat. Feste Koalitionen wie im Bundestag kennt das Europaparlament ohnehin nicht, und konservative Kräfte in der EVP wollen nicht auf die Option verzichten, ihre Agenda mithilfe rechter Abgeordneter durchzusetzen. Passieren könnte dies bei Verhandlungen über das Verbrenner-Aus oder die Einbeziehung der Landwirtschaft in den Green Deal.

    Führende S&D-Abgeordnete warnen die EVP bereits davor, “schmutzige Deals mit Rechtsaußen zu machen”. Der Politikwissenschaftler Manuel Müller mahnt: “Je offener die EVP mit den Rechtsaußen zusammenarbeitet, desto mehr wird das Vertrauen im Mitte-Bündnis zerstört.”

    EVP (188 Sitze) und EKR (78) kommen zusammen auf 266 Sitze. Gemeinsam mit Renew (77) hätte diese rechtsliberale Mehrheit rechnerisch 343 Sitze und erreicht damit eine Größenordnung, mit der sie mit einigen Stimmen von den ganz Rechten Abstimmungen gewinnen könnte.

    Die Fraktionen werden zwar niemals einheitlich abstimmen im Europaparlament. So ausgeprägt ist die Fraktionsdisziplin nicht. Dennoch zeigen die Zahlen, dass es bei der Gesetzgebung zu Allianzen zwischen EVP, EKR und Liberalen kommen könnte. Auch im rechten Flügel von Renew gebe es Kräfte wie die niederländische VVD, “die sicherlich im Einzelfall mit der EKR stimmen würden”, sagt Müller. Die Partei koaliert in Den Haag mit dem Rechtsextremen Geert Wilders.

    340 Stimmen reichen schon für eine Mehrheit

    Hinzu kommt: Bei Abstimmungen über einzelne Berichte zu Gesetzesvorhaben ist selten die absolute Mehrheit von 360 Sitzen nötig. Die Fraktionen rechnen damit, dass auch im Europaparlament mit nun 719 Sitzen in der Regel 340 Stimmen ausreichen, um eine Abstimmung zu gewinnen.

    EKR-Co-Fraktionschef Nicola Procaccini setzt genau darauf: “Es gibt eine bürgerlich-konservative Mehrheit in diesem Europaparlament. Das wird sich bei den Gesetzgebungen zeigen”, sagte er im Plenum. Die Gewichte im neuen Parlament haben sich tatsächlich nach rechts verschoben. EVP, EKR und die Patrioten für Europa von Viktor Orbán und Marine Le Pen kommen zusammen auf 350 Sitze. Rechts neben den Patrioten kommt zudem noch die rechtsradikale Fraktion ESN um die AfD mit weiteren 25 Sitzen. Zum Vergleich: Im letzten Europaparlament kamen EVP, EKR und ID nur auf 304 Sitze.

    Keine Absprachen mit Rechtsradikalen

    Bislang gab es grundsätzlich keine Absprachen zwischen EVP und Rechtsradikalen. EVP-Abgeordnete unterstützten auch keine Anträge, die von den Rechtsaußen gestellt wurden. Es kam vor, dass ID-Abgeordnete im Sinne der EVP abstimmten, durchaus auch, dass ihre Stimme schon einmal den Ausschlag gab. Aber miteinander geredet wurde nicht. EVP-Chef Manfred Weber beteuert, dass die Brandmauer nach rechts Bestand hat.

    Doch diese schließt die EKR nicht per se mit aus. In der EVP rechnet man aber damit, dass EKR-Chefin Giorgia Meloni die 24 Abgeordneten der Fratelli anhalten wird, sich eng mit der EVP-Linie abzustimmen. Hinzu kommen als mögliche Unterstützer vonseiten der EKR jeweils drei Abgeordnete des tschechischen ODS und der flämischen NVA, die bereits für von der Leyen gestimmt haben dürften.

    Bernd Lange (SPD), einer der erfahrensten Abgeordneten und bereits in der sechsten Wahlperiode dabei, vertraut darauf, dass die EVP am “Cordon sanitaire” zu den beiden rechtsradikalen Fraktionen festhält. Er erkennt auch an: “Ohne die EVP gibt es im neuen Parlament keine Mehrheiten, das muss man akzeptieren.”

    Warnung an die Kommission

    Die Christdemokraten bringt dies in eine neue Machtposition. Ein erfahrener EVP-Abgeordneter rechnet damit, dass bei der Gesetzgebung “fast immer die Plattform” von EVP, S&D und Renew für Mehrheiten sorgen werde, womöglich erweitert um Stimmen von der EKR. Allerdings: Sollte die Kommission etwa in der Umweltpolitik in Manier von Frans Timmermans, ehemaliger Vize-Präsident für den Green Deal, sehr weitreichende Vorschläge einbringen, dann könne die EVP auf Blockade setzen. Mögliche Kandidaten dafür sind die neuen Vorschläge zur Pestizidreduzierung oder eine Einbeziehung der Landwirtschaft in den Emissionshandel.

    Auf EVP-Seite wird sehr genau beobachtet, ob Teresa Ribera in der Kommission eine Rolle bekommt wie früher Frans Timmermans. Die Sozialistin und ehemalige spanische Umweltministerin gilt ihnen als Hardlinerin. 

    Druckmittel gegen die Sozialdemokraten

    Die Blockadeoptionen der Christdemokraten bringen wiederum die Mitte-Links-Fraktionen unter Zugzwang. “Die EVP hat damit ein Druckmittel, um Zugeständnisse von den Sozialdemokraten erzwingen zu können”, sagt Nicolai von Ondarza, Forschungsgruppenleiter der Stiftung Wissenschaft und Politik. Diese müssten sich dann kompromissbereit zeigen.

    In der S&D-Fraktion wird genau dies befürchtet. Sie drängte deshalb auf eine schriftliche Vereinbarung zwischen den Fraktionen, die von der Leyen unterstützen. EVP-Chef Weber aber wollte sich nicht binden lassen. Ein hochrangiger S&D-Abgeordneter fordert daher einen “regelmäßigen Dialog” mit der EVP-Fraktion. Die EVP von Deals mit Rechtsaußen abzuhalten, werde ein “Drahtseilakt”.

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    EU-Sahel-Beauftragte: Konzentration auf Küstenländer in Westafrika ist ein Fehler

    Emanuela Claudia Del Re, die EU-Sonderbeauftragte für die Sahelzone.
    Emanuela Claudia Del Re, die EU-Sonderbeauftragte für die Sahelzone.

    Frau Del Re, wieso haben ausgerechnet Mali, Burkina Faso und Niger keine Regierungsvertreter zur Generalversammlung der Sahel-Allianz in Berlin geschickt?

    Ich glaube nicht, dass es eine starke politische Botschaft ist. Niger nimmt nicht immer an internationalen Veranstaltungen teil, aber Mali und Burkina Faso schon. Ich habe kürzlich in Brüssel sowohl den Außenminister von Mali als auch den Außenminister von Burkina Faso getroffen. Wir werden die Umstände in Zukunft prüfen, aber sie waren bei vielen Gelegenheiten anwesend. Von Deutschland gibt es laufende Projekte in allen Ländern des Sahel, und wie ich immer sage, Deutschland ist ein Riese in der Region, sowohl was das Engagement angeht als auch, was die Mittel betrifft.

    Wissen Sie also, warum sie nicht gekommen sind?

    Ich weiß es nicht.

    Wie ernst nehmen Sie den Einfluss Russlands in der Region?

    Ich nehme das sehr ernst. Russland ist seit Jahrzehnten in Afrika präsent, also kein Neuling. Offensichtlich hat sich mit dem Krieg in der Ukraine aber alles geändert. Sie setzen ihre normalen Beziehungen fort, die es immer gegeben hat. Aber sie bemühen sich, ihre Fähigkeit zur Desinformation zu verfeinern, zu intensivieren und zu erweitern. Das ist ein echtes Kriegsinstrument. Ich fürchte das sehr, weil es sehr einfach ist, böswillige Botschaften zu verbreiten. Das wird zu einer wirklichen Sorge der EU. Die EU hat eine spezielle Taskforce eingerichtet, um dieser Art von Kommunikation entgegenzuwirken. Diese dringt in die Mentalität der Bevölkerung ein und kann sehr schädlich sein, weil sie ein Bild der EU schafft, das nicht akzeptabel ist.

    An welchem Punkt unterscheiden sich die Perspektiven der EU-Länder auf die Lage im Sahel?

    Es gibt unterschiedliche Perspektiven. Denn, obwohl wir einen Konsens erreicht haben – und ich habe wirklich hart darum gekämpft, sicherzustellen, dass die 27 Länder einen Konsens über die Notwendigkeit des Engagements erreichen – gibt es diese Idee, die seit kurzem prominent ist: Es geht um eine transaktionale Art der Entwicklungszusammenarbeit, bei der man den Grad der Zusammenarbeit und die Bereitschaft zur Zusammenarbeit der Länder, mit denen man eine Partnerschaft eingegangen ist, beurteilt. Auf der Grundlage ihres Verhaltens – ob sie sich gut verhalten und gute Leistungen erbringen oder nicht – entscheidet man, ob man weiter investieren soll.

    Aus deutschen Regierungskreisen ist zu hören, dass man um das Versagen Frankreichs im Sahel herumarbeiten müsse.

    Nun, im Augenblick denke ich, dass Frankreich eine Selbstreflexion durchmacht. Sie wollen offensichtlich weiter in der Region engagiert bleiben, aber sie müssen eine neue Dimension finden und auch natürlich einen Weg, um einen Dialog mit diesen Ländern zu führen, wenn die Länder leider in ihrer aktuellen Erzählung, besonders auf politischer Ebene, immer demonstrieren, dass sie gegen Frankreich sind.

    Sie sagen, dass die EU mit den Junta-Ländern kooperieren müsse, aus Ihrer Sicht, selbst mit Ländern wie Burkina, wo Menschen verschwinden. Auch Journalisten. Wie funktioniert das, und mit wem können Sie offen sprechen?

    Ich spreche auch mit der Zivilgesellschaft, aber die Tatsache, dass Sie mit den Behörden sprechen, ist grundlegend. Denn wenn wir unsere Botschaften nicht übermitteln, sagen wir ihnen nicht, wie gefährlich es ist, sich auf eine bestimmte Weise zu verhalten. Es ist ein Prozess, der in Gang gesetzt werden muss. Natürlich ist es im Augenblick sehr schwierig, mit den Militärjuntas zu sprechen, weil sie sehr aggressiv sind. Ich selbst habe etwa den Präsidenten von Mali mehrmals getroffen.

    Haben Sie also Zugang zum Präsidenten von Mali, General Assimi Goïta?

    Ja, ich hatte Zugang zum Präsidenten. In letzter Zeit habe ich aber mehr mit den Ministern gesprochen. Und natürlich gab es Dinge, die unsere Beziehungen beeinträchtigt haben. Insbesondere die Ankunft der Wagner-Gruppe hat unsere Beziehungen beeinträchtigt. Das war für uns eine absolute rote Linie. Natürlich weiß ich, dass auch andere Russen kommen, aber es kommen auch Iraner. Die Region ist sehr überfüllt. Die Leute denken, es sei eine Wüste, aber ich finde sie sehr überfüllt und auch sehr dynamisch. Das Risiko für die EU besteht darin, von diesen historischen Bewegungen ausgeschlossen zu bleiben.

    Ich betone immer die Resilienz der EU, obwohl ich den Begriff nicht mag. Wir reden immer über die Resilienz von Gesellschaften. Was ist mit der Resilienz der EU angesichts dieser Veränderungen? Die meiste Zeit sind wir orientierungslos. In einigen Fällen sind wir schockiert, als wären wir gelähmt. Und ich denke, es ist an der Zeit, dass wir als EU darauf vorbereitet sind, die Schocks zu bewältigen.

    Welche Rolle spielen die Küstenländer in Westafrika?

    Natürlich müssen wir sie verteidigen und ihnen helfen, weil sie unter den Auswirkungen der Sicherheitsbedrohungen aus dem Sahel leiden. Aber ich denke, sich auf die Küstenländer zu konzentrieren und nicht auf den Sahel, insbesondere den zentralen Sahel, und vor allem Burkina Faso, das das Epizentrum all dieser Phänomene ist, wäre ein strategischer Fehler. Jetzt ist die Zeit für eine ordentliche Planung für die Zukunft, um die Resilienz der EU zu erhöhen und sie insbesondere als den politischen Partner zu erhalten, den wir für den Sahel benötigen. Denn andernfalls, wenn wir weiterhin für die Demokratie eintreten, müssen wir das mit sehr starken Argumenten unterstützen, weil Demokratie keine magische Formel ist. Sie ist ein Prozess. Und deshalb müssen wir politisch sein. Das finde ich im Moment in der EU am schwierigsten.

    Die Italienerin Emanuela Claudia Del Re wurde 2021 vom EU-Rat zur EU-Sonderbeauftragten für den Sahel ernannt. Ihre Amtszeit läuft bis November 2024. Die Soziologin hatte eine lange Forschungskarriere, bevor sie 2018 Mitglied des italienischen Parlaments wurde (Movimento 5 Stelle). Del Re war Vize-Ministerin für auswärtige Angelegenheiten und internationale Zusammenarbeit Italiens unter Ministerpräsident Giuseppe Conte.

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    Kommission verklagt Bayern wegen Kürzungen beim Familiengeld für Kinder im Ausland

    Im Streit um Familienleistungen will die EU-Kommission Deutschland und Italien vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) verklagen. Das teilte sie am Donnerstag mit. In beiden Fällen geht es um den Vorwurf der Diskriminierung von mobilen EU-Bürgern. Diese erhalten in Bayern zum Teil niedrigere Familienleistungen oder werden in Italien für einen gewissen Zeitraum sogar davon ausgeschlossen.

    In Bayern gibt es das nun beklagte Familiengeld seit 2018. Die Leistung ist unabhängig vom Einkommen und Erwerbsstatus der Eltern und wird zusätzlich zum Kindergeld ausgezahlt. Aktuell sind es mindestens 250 euro pro Kind. Allerdings werden die Leistungen gekürzt, wenn die Kinder in einem anderen Mitgliedstaat mit niedrigeren Lebenshaltungskosten leben. Da die Höhe abhängig von den dortigen Kosten ist, spricht man auch von einer Indexierung.

    Kommission: “Gleichbehandlung ist Grundprinzip der EU”

    Nach Auffassung der Kommission ist diese Indexierung nicht mit dem EU-Recht vereinbar. Sie sieht mobile Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus der EU diskriminiert. “Es ist eines der Grundprinzipien der EU, dass Menschen ganz unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit gleich behandelt werden”, schreibt die Kommission. Mobile Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus der EU, die in gleicher Weise zum Sozialversicherungssystem beitrügen und “dieselben Steuern zahlen wie einheimische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer”, hätten Anspruch auf dieselben Sozialleistungen. Sie sollten deswegen Familienleistungen in gleicher Höhe erhalten wie andere Beschäftigte in Bayern auch.

    Italien geht bei seinen Familienleistungsregeln sogar noch weiter als Bayern: EU-Arbeitnehmer bekommen dort die 2022 beschlossene, neue Familienleistung gar nicht, wenn sie erst weniger als zwei Jahre in Italien leben. Kein Geld gibt es zudem Kinder, die im EU-Ausland leben, heißt es von der Kommission. Die Begründung zur Einleitung der Klage ist sehr ähnlich wie im Falle Bayerns. Auch hier sieht die Kommission mobile EU-Bürger diskriminiert.

    Das bayrische Familienministerium erklärte Table.Briefings auf Anfrage, dass man zunächst die Klageschrift abwarten wolle. “Die darin enthaltenen Argumente der Kommission werden im Anschluss bewertet”, teilte ein Sprecher mit. Allerdings zeigte man sich optimistisch: “Nach aktuellem Erkenntnisstand ist es grundsätzlich mit europäischem Recht vereinbar, dass Familiengeldempfänger, deren Kinder in bestimmten EU-Mitgliedstaaten mit niedrigeren Lebenshaltungskosten als in Bayern leben, auch ein entsprechend geringeres Familiengeld erhalten.” Das italienische Familienministerium antwortete bis Redaktionsschluss nicht.

    Österreichs Indexierung bereits gekippt

    Claudia Maria Hofmann, Professorin für Öffentliches Recht und Europäisches Sozialrecht an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder), geht dagegen davon aus, dass sich die Kommission in beiden Fällen durchsetzen wird. Zum Fall Bayern sagte sie Table.Briefings: “Aus meiner Sicht ist die Rechtslage dort ganz klar unionsrechtswidrig.” Die Kommission habe bereits 2022 in einem ähnlichen Fall gegen Österreich vor dem EuGH gewonnen. Die Ergebnisse dieser Entscheidung hat ein Urteil des Sozialgerichts Bayreuth aus dem Sommer 2023 auf die bayrischen Regelungen übertragen und diese ebenfalls für nicht vereinbar mit dem Unionsrecht erklärt.

    “Anders als Grundsicherungsleistungen, wo es gewisse Einschränkungen geben kann, ist unionsrechtlich bei Familienleistungen klar normiert, dass sie allen EU-Bürgern gleichermaßen zukommen müssen“, sagte Hofmann. Ausnahmen gebe es nur etwa für Asylsuchende. Generell hält sie eine Indexierung der Leistung unionsrechtlich für heikel.

    Im Rechtsstreit zwischen der Kommission und Österreich habe der EuGH etwa ausgeführt, dass eine Indexierung von Familienleistungen nicht mit dem Argument unterschiedlicher Kaufkraftniveaus in anderen Mitgliedstaaten begründet werden könne. Denn auch etwaige Preisunterschiede innerhalb Österreichs wirkten sich nicht auf die Leistungshöhe aus, argumentierte das Gericht. “Ich denke, dass man das Urteil auf Bayern übertragen kann”, sagte Hofmann.

    2022 hatte der EuGH schon einmal eine deutsche Regelung, damals zum Kindergeld, für unionsrechtswidrig erklärt. Die Bundesregierung hatte 2019 EU-Bürger vom Kindergeldbezug in den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts in Deutschland ausgeschlossen, wenn diese erwerbslos waren. Das sei nicht zulässig und verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, urteilte das Gericht damals. lei

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    Rechtsstaatlichkeit: EU-Kommission verklagt Ungarn erneut vor dem EuGH

    Die EU-Kommission verklagt Ungarn erneut vor dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH). Grund ist diesmal die aus Sicht der Behörde unzureichende Umsetzung einer EU-Richtlinie zu Rechten von Verdächtigen oder beschuldigten Personen in einem Strafverfahren und Verfahren zur Vollstreckung eines europäischen Haftbefehls. Konkret geht es unter anderem darum, dass ungarische Bestimmungen zu möglichen Abweichungen vom Recht auf Zugang zu Rechtsbeistand gegen EU-Recht verstoßen könnten.

    Von der EU-Kommission heißt es zu dem Verfahren: “Die EU setzt sich dafür ein, dass die Grundrechte von Verdächtigen und beschuldigten Personen gewahrt werden.” Auch für die Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen eines Mitgliedstaats durch die anderen EU-Länder brauche es gemeinsame Mindestanforderungen.

    Sollte das Verfahren vor dem EuGH mit einem Urteil im Sinn der EU-Kommission enden, müsste die Regierung des rechtspopulistischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán die derzeitigen Regeln anpassen. Tut sie das nicht, könnte für jeden Tag der Zuwiderhandlung ein Zwangsgeld verhängt werden.

    Ungarn gehört zu den Staaten, die sich regelmäßig wegen Verstößen gegen EU-Recht vor dem EuGH verantworten müssen. Jüngst wurde das Land etwa im Juni verurteilt, weil es Flüchtlingen keinen ausreichenden Zugang zu Asylverfahren gewährleistet. Es muss nun 200 Millionen Euro sowie ein tägliches Zwangsgeld von einer Million Euro für jeden Tag des Verzugs zahlen. dpa

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    Strommarkt: Kommission bricht Ermittlungen ab

    Ein möglicherweise wettbewerbswidriges Verhalten der Strombörse Epex Spot bleibt ohne Konsequenzen. Die Kommission habe beschlossen, ihre kartellrechtliche Untersuchung auf dem Markt für Dienstleistungen zur Erleichterung des Intraday-Stromhandels einzustellen, teilte die Kommission am Donnerstag mit. Betroffen waren Deutschland und mindestens fünf Nachbarstaaten. Der Thinktank Bruegel kritisiert die Einstellung des Verfahrens im Gespräch mit Table.Briefings.

    Im Mai 2020 war bei der Kommission eine Beschwerde eingereicht worden, am 30. März 2021 leitete die Wettbewerbsbehörde eine förmliche Untersuchung gegen die Strombörse ein. “Die Untersuchung der Kommission konzentrierte sich auf die Frage, ob die Epex Spot SE möglicherweise Verhaltensweisen an den Tag legte, die darauf abzielten, ihre Konkurrenten vom Markt auszuschließen, indem sie die Fähigkeit ihrer Kunden, Zugang zur gesamten Liquidität des Intraday-Marktes in den betreffenden Mitgliedstaaten zu erhalten, […] einschränkte”, heißt es in der Mitteilung vom Donnerstag.

    Bruegel: Strafen auch nach Gesetzesänderung sinnvoll

    Im Juni habe der Beschwerdeführer dann beschlossen, seine Beschwerde zurückzuziehen – laut Kommission nach Verabschiedung der Strommarktreform und einer neuen Vorschrift in Artikel 7 der Strommarktverordnung. Demnach müssen Börsenbetreiber einander mehr Informationen über die Intraday-Märkte offenlegen.

    “In Anbetracht dieses Rückzugs hat die Kommission beschlossen, ihre Untersuchung einzustellen. Die Einstellung der Untersuchung bedeutet nicht, dass das fragliche Verhalten mit den EU-Wettbewerbsregeln vereinbar ist“, heißt es in der Mitteilung weiter. Der Thinktank Bruegel findet das Vorgehen der Kommission problematisch.

    “Intuitiv würde ich sagen, dass im dynamischen europäischen Stromregulierungsumfeld, Strafen für Fehlverhalten selbst dann sinnvoll sein können – also abschreckend wirken -, wenn der genaue Vorfall heute nicht mehr möglich wäre”, sagt Energieexperte Georg Zachmann. “Dass so eine Untersuchung mehr als vier Jahre braucht, ist sicher Teil des Problems und deutet auf begrenzte Kapazitäten bei der Verfolgung hin.” ber

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    Anti-Entwaldung: Warum Nestlé die neuen EU-Regeln unterstützt

    In einem Schreiben an die EU-Kommission haben sich die Nahrungsmittelhersteller Nestlé, Mars Wrigley und Ferrero für die Umsetzung der Verordnung für entwaldungsfreie Lieferketten (EUDR) ausgesprochen. Das berichten die Nachrichtenagentur Reuters und die NGO Global Witness, die Einsicht in das Dokument hatten. Demnach fordern die Konzerne auch Unterstützung, um die Vorgaben fristgerecht umzusetzen. Auch das niederländische Unternehmen Tony’s Chocolonely, das sich sehr für soziale und ökologische Nachhaltigkeit in seinen Lieferketten einsetzt, habe den Brief unterzeichnet.

    “Die EUDR stellt einen wichtigen Schritt nach vorn dar, um die notwendige Umgestaltung des Kakao- und Schokoladensektors voranzutreiben”, berichtet Reuters aus dem Schreiben. Dies trage dazu bei, “das Risiko der Entwaldung im Zusammenhang mit Kakao- und Schokoladenprodukten auf dem EU-Markt zu minimieren”.

    Produkte von entwaldeten Flächen ab Ende 2024 verboten

    Gleichzeitig fordern die Unternehmen die EU auf, einen ständigen Ausschuss einzurichten, der bei der Umsetzung helfen soll. Dieser solle sich mit den Behörden der Mitgliedstaaten abstimmen und den betroffenen Unternehmen Orientierungshilfen zu Fragen wie der rechtlichen Auslegung und den Sorgfaltspflichten bieten.

    Die EUDR verbietet es ab dem 30. Dezember 2024, bestimmte Produkte wie Kakao, Kaffee, Palmöl, Holz und Soja auf dem EU-Markt zu verkaufen, wenn diese auf entwaldeten Flächen produziert wurden. Lieferanten müssen dann unter anderem eine Sorgfaltserklärung einreichen.

    Anders als die Schokoladenhersteller fordern viele, die Umsetzung zu verschieben: Unternehmen, Verbände, Teile der EVP-Fraktion im EU-Parlament sowie mehrere Exportländer. Im Mai hatte die US-Regierung die EU bereits um Aufschiebung gebeten; vergangene Woche schlossen sich laut Medienberichten Australien, Brasilien und weitere Länder an. Sie kritisieren unter anderem die Methodik und Datengrundlage der EU. leo

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    DSA: Kommission eröffnet gegen sechs Länder Vertragsverletzungsverfahren

    Die Europäische Kommission hat ein Vertragsverletzungsverfahren gegen sechs Mitgliedstaaten im Rahmen des Digital Services Act (DSA) eingeleitet. Betroffen sind Belgien, Spanien, Kroatien, Luxemburg, die Niederlande und Schweden. Diese Länder haben entweder keine Digital Services Koordinatoren benannt, die für die Umsetzung des DSA zuständig sind. Oder sie haben den Behörden nicht die Befugnisse erteilt, die zur Erfüllung der im Gesetz geforderten Aufgaben erforderlich sind – oder beides.

    Die Mitgliedstaaten hatten bis zum 17. Februar 2024 Zeit, diese Behörden zu benennen. Die Digital Services Koordinatoren überwachen Online-Plattformen und Suchmaschinen, die in ihren Hoheitsgebieten niedergelassen sind, und sind die ersten Ansprechpartner für Personen und Unternehmen zur Lösung von Beschwerden in diesem Bereich.

    Die betroffenen Mitgliedstaaten haben nun zwei Monate, um zu antworten und die von der Kommission angesprochenen Mängel zu beheben. Bei ausbleibenden zufriedenstellenden Antworten kann die Kommission beschließen, mit der nächsten Stufe des Vertragsverletzungsverfahrens fortzufahren. vis

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    Digitaler Handel: EU und Singapur schließen Abkommen

    Die EU und Singapur haben ein Abkommen über digitalen Handel abgeschlossen. Es soll den grenzüberschreitenden Datenverkehr erleichtern und führt verbindliche Regeln für den digitalen Handel ein. Dieses Abkommen ergänzt das bestehende Freihandelsabkommen aus dem Jahr 2019.

    “Dieses Abkommen wird Unternehmen und Verbrauchern auf beiden Seiten zugutekommen und unsere Wirtschaftsräume enger verbinden”, sagte Valdis Dombrovskis, Exekutiv-Vizepräsident der Europäischen Kommission.

    Grenzüberschreitenden Datenverkehr mit Singapur fördern

    Der Handel zwischen der EU und Singapur erreichte 2022 ein Volumen von mehr als 130 Milliarden Euro. Mehr als die Hälfte des Dienstleistungshandels zwischen beiden Partnern wird bereits digital abgewickelt. Das Abkommen zielt darauf ab, Hindernisse im digitalen Handel abzubauen und den Datenschutz zu stärken.

    Das Abkommen enthält Regeln zur Förderung des grenzüberschreitenden Datenverkehrs und zur Beseitigung ungerechtfertigter Handelsbarrieren. Zudem legt es Maßnahmen zur Bekämpfung von Spam fest und stärkt den Verbraucherschutz.

    Mit dem Abschluss der Verhandlungen beginnen nun die nationalen Genehmigungsverfahren. Die Europäische Kommission bezeichnet das Abkommen als einen wichtigen Schritt zur Modernisierung der Handelsbeziehungen und zur Förderung eines sicheren und fairen digitalen Handels. vis

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    DSGVO: Kommission legt neuen Bericht zur Durchsetzung vor

    Die Europäische Kommission hat heute ihren zweiten Bericht zur Anwendung der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) veröffentlicht. Der Bericht bestätigt, dass die DSGVO weiterhin effektiv zum Schutz der Daten von Einzelpersonen und Unternehmen beiträgt. Gleichzeitig betont er die Notwendigkeit verbesserter Durchsetzungsmaßnahmen in Schlüsselbereichen.

    Maryant Fernández Pérez, Leiterin der Digitalpolitik bei der Europäischen Verbraucherorganisation BEUC, nannte die DSGVO ein zentrales Element zum Schutz der persönlichen Daten von Verbrauchern. “Leider bleibt das altbekannte Problem bestehen: Die DSGVO wird oft langsam und ineffektiv durchgesetzt, insbesondere bei großen grenzüberschreitenden Fällen.”

    Die DSGVO, seit Mai 2018 in Kraft, soll sicherstellen, dass personenbezogene Daten fair, sicher und transparent verarbeitet werden. Sie gilt als Grundpfeiler des digitalen Wandels in der EU. Seit dem ersten Bericht 2020 hat die EU mehrere Maßnahmen eingeführt, um den Datenschutz zu stärken und Einzelpersonen in den Mittelpunkt des digitalen Wandels zu stellen.

    Verbesserungsbedarf bei Auslegung und Durchsetzung

    Der neue Bericht der Kommission hebt mehrere Bereiche hervor, in denen Verbesserungen notwendig sind:

    • Adoption von Verfahrensregeln: Die Kommission fordert eine schnellere Annahme der vorgeschlagenen Verfahrensregeln zur DSGVO, um eine robuste Durchsetzung mit schnellen Rechtsbehelfen zu gewährleisten.
    • Unterstützung für KMU: Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) benötigen mehr Unterstützung bei der Einhaltung der DSGVO. Die Bereitstellung klarer Leitlinien und praktischer Werkzeuge soll ihnen helfen, die Vorschriften besser umzusetzen.
    • Einheitliche Auslegung und Durchsetzung: Eine konsistente Anwendung der DSGVO in der gesamten EU ist entscheidend. Effektive Zusammenarbeit zwischen nationalen, EU- und internationalen Regulierungsbehörden soll eine kohärente Umsetzung der digitalen EU-Vorschriften sicherstellen. vis
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    Heads

    Andreas Schwarz – OLAF aus der Nische holen

    Andreas Schwarz ist seit dem 1. März 2023 stellvertretender Generaldirektor beim Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung Olaf.
    Andreas Schwarz ist seit dem 1. März 2023 stellvertretender Generaldirektor beim Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung OLAF.

    Er hat die Telefonnummer von Kristalina Georgiewa im Handy, der Geschäftsführerin des Internationalen Währungsfonds (IWF). Er hat für die EU-Kommissare Günther Verheugen und Peter Mandelson gearbeitet. Andreas Schwarz, seit März 2023 Vize-Generaldirektor bei der EU-Betrugsbekämpfungsbehörde OLAF, zählt zu den wirklich gut verdrahteten Deutschen in der EU-Kommission.

    Schwarz hatte es zunächst gar nicht auf eine Karriere in der EU abgesehen. Ende der 90er Jahre schrieb er an der Universität Potsdam eine Doktorarbeit in Ökonomie über den Umbruch in Mittel- und Osteuropa nach dem Ende der Planwirtschaft. Er kam zur Forschung nach Brüssel. “Am Ende der Woche hatte ich zwei Jobangebote”, erinnert er sich. Eines davon nahm er an und bearbeitete zwei Jahre lang in der Generaldirektion Wettbewerb Beihilfefälle wie den der Raffinerie Leuna. Sein Interesse an der EU war geweckt.

    Kaum jemand kennt den EU-Haushalt wie er

    Nach dem Doktortitel stieg Schwarz allerdings zunächst in Deutschland bei der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit ein. 2003 kam er zurück in die Generaldirektion Entwicklung der EU-Kommission und befasste sich mit Mikrofinanzen. Um Geld ging es in seiner Karriere noch häufiger. Kaum jemand in Brüssel kennt sich im EU-Haushalt so gut aus wie der heute 54-Jährige.

    2005 übernahm er erst einmal eine sehr politische Aufgabe und koordinierte in der Generaldirektion Handel die Schutzinstrumente gegen unfaire Handelspraktiken wie Antidumpingzölle. Der damalige Kommissar Peter Mandelson, ein britischer Sozialdemokrat, wollte die Instrumente reformieren, was in Mitgliedsstaaten mit stärkerer Industriebasis wie etwa Deutschland auf Widerstand stieß. Und so musste Schwarz genau diese Reform der Handelsinstrumente bekämpfen, als er 2007 in das Kabinett des damaligen Industriekommissars Günter Verheugen (SPD) wechselte.

    OLAF soll in mehr Aufmerksamkeit bekommen

    Auf diesen Posten folgten weitere Aufgaben in Kabinetten, zunächst beim polnischen Haushalts-Kommissar Janusz Lewandowski als Vizekabinettschef und dann in gleicher Position bei dessen bulgarischer Nachfolgerin Georgiewa. Haushalt sollte das große Thema von Schwarz werden. Er war gleich zweimal in die schwierigen Verhandlungen zum Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) involviert. Von 2016 bis 2019 leitete er die Unit für MFR in der Generaldirektion Haushalt, von 2018 bis 2022 war er Direktor für Einnahmen und MFR.

    Der Wechsel zur EU-Betrugsbekämpfungsbehörde OLAF im vergangenen Jahr hatte seine Logik. Geht es hier doch darum, dass EU-Mittel nicht in dunklen Kanälen versickern. Schwarz möchte die Ermittlungsbehörde, die wegen ihres Arbeitsauftrags ein gewisses Nischendasein führt, gerne stärker in den Mainstream der Kommissionspolitik holen.

    Bestens vernetzt in der Kommission

    Dabei kommt ihm zugute, dass er in der EU-Kommission vernetzt ist, die Generaldirektoren und ihre Stellvertreter kennt: “Ich kann Brücken bauen.” Der Chef von OLAF, der Finne Ville Itälä, kommt aus der Politik, war in seiner Heimat Minister, später Europaabgeordneter und kennt die EU-Kommission nicht von innen.

    Die Betrugsbekämpfungsbehörde OLAF mit ihren 400 Mitarbeitern schafft es selten in die Schlagzeilen. Der Jahresbericht ist regelmäßig nur eine relativ kleine Meldung wert. Die technische Expertise von OLAF ist selbst in der Kommission nicht wirklich bekannt. So beschäftigt OLAF digitale Forensiker, die Computer und Handys auswerten können. “Viele wissen gar nicht, was sie an OLAF haben”, sagt Schwarz.

    Ein optimistischer Blick auf Europa

    Dabei sind manche Fälle durchaus spektakulär. So musste Großbritannien nach dem Brexit insgesamt drei Milliarden Euro an die EU-Kommission überweisen, weil Betrüger in früheren Jahren den Wert von Schuhen und Textilien absichtlich zu niedrig angegeben hatten und deshalb zu wenig Zoll gezahlt haben. Der Verbrecherring hatte sich bewusst ein Land mit schwachen Zollkontrollen ausgesucht. “Für mich ist es eine Frage der Glaubwürdigkeit, dass die EU solchen Betrug verhindert”, sagt Schwarz.

    Der gebürtige Mannheimer, der mit einer Dänin verheiratet ist und Dänisch spricht, kann sich nicht vorstellen, an etwas anderem zu arbeiten als an der europäischen Integration. Obwohl die Rolle der EU in der Welt sowohl gemessen an ihrer Wirtschaftskraft als auch an der Bevölkerung abnimmt, sieht Schwarz optimistisch in die Zukunft: “Die EU hat schon viele Schwierigkeiten überstanden.” Silke Wettach

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