der Feind steht links oder ist ein Liberaler – aber sicher nicht rechts. So kann man Éric Ciottis Weltanschauung wohl getrost zusammenfassen. Schon bei den Präsidentschaftswahlen 2022 sagte der heutige Vorsitzende der französischen Konservativen Les Républicains, er würde lieber dem rechtsextremen Kandidaten Éric Zemmour seine Stimme schenken als Macron, sollte es zu einer Stichwahl zwischen den beiden kommen. Zudem sieht er Frankreich in Gefahr wegen der “extrem gefährlichen” linken Bewegung La France Insoumise.
Ciottis Schluss: Bei den anstehenden französischen Parlamentswahlen brauche es ein Bündnis der Rechten mit dem rechtsextremen Rassemblement National (RN). “Wir sagen die gleichen Dinge, also hören wir auf, uns eine erfundene Opposition auszudenken”, erklärte Ciotti der erstaunten TV-Moderatorin des Senders TF1 am Dienstag.
Ciotti will also die Brandmauer zum RN einreißen, die bislang gestanden hat. Er hat seine Partei weit nach rechts geführt, mit wenig Erfolg. Bei den Europawahlen kamen Les Républicains auf nur 7,3 Prozent der Stimmen – dabei stellten die Partei schon mehrere Präsidenten. Nun werden Rücktrittsforderungen laut, auch viele führende Vertreter von Ciottis eigener Partei lehnen den Vorstoß ab. “Es ist besser, Wahlen zu verlieren, als seine Seele zu verlieren”, sagte Senatorin Sophie Primas und kündigte ihren Rückzug aus der Partei an.
RN-Gründerin Marine Le Pen nannte Ciottis Vorstoß dagegen “mutig”. Für die Rechtsextremen kommt dieser nur allzu gelegen: Trotz viel Zuspruch wird der RN bei den Neuwahlen die absolute Mehrheit wohl nicht alleine knacken können.
Auch im Europaparlament könnte der Schritt Folgen haben, wenn Ciotti ernstmacht mit dem Vorhaben: “Wenn die französischen Les Républicains wirklich diesen Weg nach rechts einschlagen, wird es in der EVP keinen Platz mehr für diese einst stolze Partei geben, die sich durch diese Anbiederung selbst an den Rand drängt”, sagte Jürgen Hardt, außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU, am Dienstag.
Das erste Treffen der sieben Fraktionschefs nach der Europawahl war schneller vorbei als geplant. Zwei Stunden waren angesetzt für die erste Conference of Presidents (COP) der Fraktionsvorsitzenden mit EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola. 15 Minuten vor Ende war es vorbei. Einziges Ergebnis: Metsola, die kraft Amtes vor dem Europäischen Rat zu den Staats- und Regierungschefs spricht, soll daran erinnern, dass das Europaparlament am Spitzenkandidatenprinzip festhält.
EVP, S&D und Renew gingen aber nicht so weit, Wahlsiegerin Ursula von der Leyen zur Kandidatin des Europaparlaments für den Posten zu machen. Auch das fällt auf: Die Fraktionschefs haben keinen Beschluss gefasst, bereits in der ersten Sitzungswoche Mitte Juli die Wahl der Kommissionspräsidentin anzustreben.
So ist es doch nur die indirekte Aufforderung an Metsola, in der Runde dafür zu werben, dass die Staats- und Regierungschefs EVP-Spitzenkandidatin Ursula von der Leyen dem Europaparlament für eine zweite Amtszeit vorschlagen. Laut den Verträgen ist es die Aufgabe des Europäischen Rates, im Lichte des Ausgangs der Europawahl einen Kandidaten für das Amt vorzuschlagen. Wichtig: Normalerweise treffen die Staats- und Regierungschefs ihre Beschlüsse einstimmig, für den Vorschlag des Kommissionspräsidenten reicht die qualifizierte Mehrheit.
Vor der COP hatte EVP-Chef Manfred Weber mit Iratxe García Pérez (S&D) und Valérie Hayer (Renew) zusammengesessen. Dies sei der turnusmäßige Austausch der drei Fraktionschefs der alten informellen Von-der-Leyen-Koalition, wurde anschließend betont, und nicht etwa Start der Verhandlungen über die Inhalte eines erneuten Bündnisses.
Die Augen richten sich jetzt auf den Rat. Weber wiederholte, was er seit Sonntagabend immer wieder sagt: “Ich erwarte, dass der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz den ersten Schritt macht und Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin vorschlägt.” Die Staats- und Regierungschefs sollen bei ihrem Treffen am Montag ein Personalpaket vorschlagen, mit von der Leyen als Kommissionspräsidentin.
Weber und Grünen-Chefin Terry Reintke blieben laut Augenzeugen noch rund eine halbe Stunde länger im Saal und unterhielten sich unter vier Augen. Danach sagte Reintke, es seien nur Vorgespräche gewesen, keine Verhandlungen. Für diese stehe man weiterhin bereit.
Weber richtete seine Einladung zu Verhandlungen erneut nur an Sozialdemokraten und Liberale. Zwar erfüllten die Grünen die drei Hauptkriterien für eine Zusammenarbeit mit der EVP – Pro-Europa, Pro-Ukraine, Pro-Rechtstaatlichkeit. Doch die Grünen hätten beispielsweise den Migrationspakt abgelehnt – ein Schlüsselthema für Weber. Er wies die Frage zurück, ob er statt mit den Grünen lieber mit EU-kritischen Kräften kooperiere, die in der EKR-Fraktion sitzen. EKR-Abgeordnete aus Tschechien und Italien hätten dem Migrationspakt zugestimmt. Weber schließt also weiterhin eine Zusammenarbeit zumindest mit Teilen der EKR nicht aus.
Während Weber auf das Abendessen der Staats- und Regierungschefs am Montag wartet, sortieren sich die Fraktionen. Am Dienstag trafen die neu gewählten Abgeordneten in Brüssel ein. Die ersten nationalen Delegationen der Fraktionen wählten ihre Vorsitzenden. Die Chefs der nationalen Delegationen haben in den Wochen bis zur konstituierenden Sitzung viel zu tun. Sie müssen mit den anderen Chefs der Delegationen aushandeln, wer wo zum Zuge kommt: Es fallen die Entscheidungen über die Posten in Fraktionsführung, als Koordinatoren, Ausschussvorsitze, Vize-Präsidenten und Quästoren im Parlament. Dabei ist mitentscheidend, wie viele Abgeordnete in ihrer Delegation sind.
In der 29 Abgeordnete umfassenden Gruppe der CDU/CSU-Abgeordneten wurde Daniel Caspary wiedergewählt. Er bekam 16 Stimmen bei einer Enthaltung und elf Gegenstimmen (siehe News in dieser Ausgabe). Bereits am Montag hatte die nur noch 14 Abgeordnete umfassende Europa-SPD im Willi-Brandt-Haus René Repasi einstimmig wieder zu ihrem Chef gewählt.
Bei der fünfköpfigen FDP-Truppe in der Renew-Fraktion ist noch nicht geklärt, ob Moritz Körner weiterhin führt. Spitzenkandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann hätte den ersten Zugriff, doch die 66-Jährige ist neu im Europaparlament. Die Grünen wollen den Chef der arg zusammengeschrumpften deutschen Gruppe erst in der letzten Juniwoche wählen. Die Linke, bei der es nur noch drei MEPs aus Deutschland gibt, peilt das ebenfalls an. Mitarbeit: Lukas Scheid, Till Hoppe
Die EU-Lieferkettenrichtlinie sei “ein Symbol für die verfehlte Politik der Vergangenheit“, erklärte die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) Table.Briefings. “Mit neuem Elan und klarem Mandat sollte Europa diesen verfehlten Beschluss korrigieren.” Gleichfalls äußerte sich Gesamtmetall-Hauptgeschäftsführer Oliver Zander: “Die Richtlinie ist und bleibt falsch und überfordert die Unternehmen”. Auf Veränderungen drängt ebenfalls der Verband der Chemischen Industrie (VCI) und verweist auf die Überlastung mittelständischer Unternehmen. “Wenn die neue EU-Kommission ihren Fokus auf Industriepolitik legt, sollte sie auch den Mut haben, nach einer pragmatischen Lösung zu suchen”. Gleichzeitig betont der VCI die prinzipielle Bedeutung der Richtlinie, sie “verfolgt ein wichtiges und richtiges Ziel”.
An der Lieferkettenregulierung scheiden sich weiter die Geister in der deutschen Wirtschaft. Nicht zuletzt aufgrund des Drucks großer Lobbyverbände hatte die Große Koalition seinerzeit ein zahmeres nationales Gesetz verabschiedet als geplant. So verzichtete sie auf eine zivilrechtliche Haftung. Auf europäischer Ebene musste die belgische Ratspräsidentschaft die Richtlinie auf den letzten Metern deutlich abschwächen, um im Rat eine Mehrheit der Länder zu gewinnen. Allerdings scheiterten europäische Industrieverbände und die FDP mit ihrem Vorhaben, die Regelung ganz zu verhindern. Sie geht weiter als die deutsche, hier ist etwa die zivilrechtliche Haftung vorgesehen. Nun nehmen deutsche Verbände einen neuen Anlauf, um national und europäisch Veränderungen zu erreichen.
Bestärkt sehen sie sich durch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck. Er sprach beim Tag der Familienunternehmer davon, dass man bei einer zügigen Umsetzung des neuen EU-Rechts pragmatisch beim deutschen Gesetz vorgehen solle, indem man es aussetze oder deutlich reduziere. Der Schutz von Menschenrechten und Umweltstandards werde nur Erfolg haben, “wenn Vorgaben auch bei den Unternehmen Akzeptanz finden”. Vor einem halben Jahr hatte er sich ähnlich geäußert. Gleichzeitig lässt er keinen Zweifel daran, dass Lieferkettengesetze “ethisch richtig” seien. Waren, für die Kinder schufteten, Erwachsene litten oder Umwelt zerstört werde, “sollten nicht bei uns verkauft werden”. Seine Partei hatte im EU-Parlament zu den entschiedenen Verfechtern der Lieferkettenregulierung gehört.
Die Bundesregierung berät seit geraumer Zeit darüber, wie angesichts der Kritik am deutschen Gesetz und der Verabschiedung der EU-Regulierung mit dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) verfahren werden soll. “Entschieden werde am Ende wohl nicht mehr anhand fachpolitischer Argumente”, erfuhr Table.Briefings aus Regierungskreisen. Längst seien Interessenabwägungen der Koalitionsspitzen am Werk, welche die Fachressorts nur noch begrenzt mitsteuern könnten. Der Umgang mit dem LkSG drohe zu einem Posten im Poker um die schwierigen Haushaltsberatungen zu werden, heißt es.
Ein Stopp des Gesetzes wäre “ein wichtiger Beitrag für die Wirtschaftswende“, reagierte FDP-Fraktionschef Christian Dürr auf Habeck. SPD-Fraktionsgeschäftsführer Rolf Mützenich lehnt dessen Idee dagegen entschieden ab. Der Wirtschaftsminister erweise den “langjährigen Bemühungen, um eine an Menschenrechten und fairen Löhnen orientierte und gegen Ausbeutung gerichtete Wirtschaftspolitik einen Bärendienst”. Es sei “gewohnte Praxis, nationale Regelungen an EU-Recht anzupassen”, sagte Mützenich. “Bis dahin bleibt es aber beim gültigen Gesetz.”
Das LkSG ist seit 2023 in Kraft und galt zunächst für Unternehmen mit mindestens 3.000 Mitarbeitenden, seit 2024 für Unternehmen ab 1.000 Beschäftigten. Große Unternehmen – laut Angaben des BMZ rund 900 – haben also bereits ihren ersten Jahresbericht vorgelegt. Der Volkswagen Konzern etwa veröffentlichte diesen Ende Mai.
Die EU-Richtlinie muss binnen zwei Jahren von den EU-Mitgliedstaaten in nationales Recht übertragen werden. Es gilt zunächst für Unternehmen mit mehr als 5.000 Beschäftigten, später sinkt die Schwelle auf 1.000 Arbeitnehmer.
Auch Europaabgeordnete kündigten nicht zuletzt im Wahlkampf an, das europäische Lieferkettengesetz noch einmal ändern und eingrenzen zu wollen. Der Umweltpolitiker Peter Liese (CDU) hatte vor der Europawahl im Gespräch mit Table.Briefings vorgeschlagen, das Gesetz zu überarbeiten und auf Lieferungen zu beschränken, “in denen große Mengen aus Staaten eingeführt werden, in denen es tatsächlich riesige Probleme etwa mit Abholzung oder Kinderarbeit gibt.”
Ob es realistisch ist, das Gesetz noch einmal zu ändern, sei schwer abzuschätzen, erklärte Lieses Parteikollege Axel Voss, der das EU-Lieferkettengesetz als Schattenberichterstatter für die EVP mitverhandelt hatte. Die neue EU-Kommission müsste dazu bereit sein; das Parlament könnte sich höchstens in einem Initiativbericht für eine Änderung aussprechen. Grundsätzlich hält Voss das europäische Gesetz für deutlich unbürokratischer – für deutsche Unternehmen sei es deshalb nur dann sinnvoll, es zu ändern, wenn das deutsche Gesetz verschwinden würde. Dieses Argument werde in Deutschland jedoch nicht mehr gehört: Zu vergiftet sei die Stimmung von der Debatte um das LkSG, sagte Voss.
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, bei dem die Federführung für das LkSG liegt, tritt für ambitionierte Regeln im Bereich der Unternehmensverantwortung ein, hatte sich aber bereits während der Verhandlungen für die europäische Regel gegenüber einer Vereinfachung des LkSG kompromissbereit gezeigt. In der Praxis gibt es vor allem ein Problem: Große Unternehmen wälzen Verpflichtungen auf KMU ab, obwohl dies nicht gestattet ist. Aber viele KMU lassen sich darauf ein, aus Sorge, ansonsten Aufträge zu verlieren. Der gleiche Konflikt tritt nun auch bei der Erfassung von Klimaemissionen auf.
Einen sachgerechten Ausgleich der Interessen zwischen Regierung und Wirtschaft beim LkSG halten Beobachter prinzipiell für möglich. Voraussetzung wäre eine grundsätzliche Zustimmung aller Akteure zum Grundprinzip der Unternehmensverantwortung. Aber daran hapere es, erfuhr Table.Briefings aus Regierungskreisen. Vor allem der BDA und Teile des BDI – besonders Gesamtmetall – führten einen Diskurs, der letztlich auf die Abschaffung der Lieferkettenregulierung ziele. Das erschwere einen Kompromiss und pragmatische Lösungen im bestehenden “System”, heißt es.
Gesamtmetall-Hauptgeschäftsführer Oliver Zander erklärte, der Verband bekenne sich “unverändert zu den UN-Leitprinzipien [für Wirtschaft und Menschenrechte]”, auf die Lieferkettengesetze zurückgehen. Allerdings würden die Leitprinzipien klar “zwischen der Verantwortlichkeit der verschiedenen Akteure im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte” unterscheiden. Leider kämen die Staaten ihrer Pflicht zum Menschenrechtsschutz nur unzureichend nach. Die “offensichtliche Lücke” könnten aber die Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie nicht füllen, sagt Zander Table.Briefings. Der BDA beantwortete eine entsprechende Frage nicht. Dagegen erklärt der VCI: “Wir stehen fest zum Grundprinzip der Unternehmensverantwortung nach den UN-Leitprinzipien. Sie haben sich als internationaler Standard bewährt.” Verankert seien die Prinzipien auch im Chemie-Branchenstandard für nachhaltige Wertschöpfung.
Markus Löning, früherer Menschenrechts-Beauftragter der Bundesregierung, hält den Vorschlag von Habeck für fehlgeleitet. “Das ist ein verstörendes Signal an viele Unternehmen, bei denen die Risiko-Management-Prozesse bereits sehr weit gediehen sind”, sagte er zu Table.Briefings. Er glaube auch nicht daran, dass die Unternehmen dadurch tatsächlich umfassend entlastet würden: Die Unternehmen seien durch verschiedene EU-Richtlinien verpflichtet, die Menschenrechte in ihren Lieferketten einzuhalten. Sinn mache es aber, wenn der Gesetzgeber sich mit der Frage beschäftige, wie Unternehmen die Anforderungen unterschiedlicher Lieferkettengesetze etwa zu Entwaldung, Zwangsarbeit oder Lieferketten so koordinieren könnten, dass sie diese mit einem Risikosystem handhaben könnten. Löning betreibt das Beratungsunternehmen Löning Human Rights & Responsible Business.
“Unternehmen sollten aus eigenem Interesse die Risiken in ihrer Lieferkette kennen, unabhängig davon, wie strikt oder umfassend die Regulierungen ausfallen”, sagte Tanja Relly, Senior Strategic Business Development des Anbieters von Nachhaltigkeits-Ratings Ecovadis. “Bürokratie und Kosten wären bloß eine Ausrede, um sich um die Transformation des eigenen Unternehmens zu drücken.” Scharf kritisierte auch der Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft (BNW) den Vorstoß und verwies auf die bereits laufende Umsetzung des Gesetzes in Unternehmen. “Wenn das Gesetz jetzt nicht greift, bleiben die Firmen auf den Kosten sitzen – und wir laufen Gefahr, die Wirtschaft von morgen abzuwürgen“, sagte die Geschäftsführerin Katharina Reuter. “Wir sollten das Momentum jetzt nutzen und Transparenz und Menschenrechte nicht für fadenscheinige Profit- und Lobbyinteressen opfern.”
Daniel Caspary wurde als Chef der deutschen CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament knapp bestätigt. Der Abgeordnete, der die Gruppe mit 29 MEPs seit 2017 leitet, setzte sich gegen Sven Simon durch. In einer Kampfabstimmung holte Caspary 16 Stimmen bei elf Gegenstimmen und einer Enthaltung. Angelika Niebler (CSU) ist Stellvertreterin Casparys. Christine Schneider (CDU) und Monika Hohlmeier (CSU) wurden als parlamentarische Geschäftsführerinnen in ihren Ämtern bestätigt. mgr
Die Partei des Fortschritts zieht überraschend mit einem Abgeordneten ins neu gewählte Europaparlament ein. Gewählt wurde der 27-jährige Parteisprecher Lukas Sieper. “Wir haben noch eine Menge Arbeit vor uns, weil wir auch nicht unbedingt damit gerechnet haben, dass es uns gelingt, einen Abgeordneten ins Europäische Parlament zu schicken”, sagt Sieper im Gespräch mit Table.Briefings.
Der Jurist aus Köln ist einer der drei Gründer der Partei. Mit zwei Freunden saß er 2020 in einer Kölner Kneipe und die drei ärgerten sich sowohl über die deutsche Politik wegen der rückständigen Verwaltung, als auch über die Europapolitik wegen der schlechten Kommunikation. Die Menschen hätten etwas Besseres verdient, meinten die drei. Sie schrieben zehn Ideen auf – unter anderem Digitalisierung der Verwaltung, kostenfreier ÖPNV, Abbau des Föderalismus in der Bildung. “Alles, was mit gesundem Menschenverstand nachvollziehbar ist”, erklärt Sieper. Am nächsten Morgen waren sie immer noch überzeugt, dass das zehn gute Punkte sind und gründeten am 20. April 2020 die Partei des Fortschritts (PdF).
Die ersten Parteimitglieder kamen aus dem Freundeskreis. Bundesweite Bekanntheit erlangte die PdF bei der Bundestagswahl 2021, obwohl sie nur in Nordrhein-Westfalen antrat. Es war der Wahl-O-Mat, der der PdF bundesweit neue Mitglieder brachte. “Was die Partei verbindet, ist die gemeinsame politische Vision”, sagt Sieper. “Vertreten sind alle Schichten aus dem ganzen Land. Zum Teil haben sie sich noch nie persönlich gesehen.” Denn die Partei des Fortschritts ist digital von Anfang an. Auch jede Parteisitzung ist digital.
Bei den Europawahlen 2024 war es wiederum der Wahl-O-Mat, der viele Wählerinnen und Wähler auf die PdF aufmerksam machte. “Wir gehen davon aus, dass es die Themen sind, die die Menschen zu uns bringen“, sagt Sieper. “In unserem Europawahlprogramm steht drin, was die Menschen interessiert zu Sicherheit und Verteidigung, Migration und Asyl, Gesundheit und Bildung.”
Ihre Positionen formuliert die Partei des Fortschritts sowohl mit ihren Mitgliedern als auch mit Nicht-Mitgliedern mittels eines digitalen innerparteilichen parlamentarischen Systems (Parteiparlamente) in dem alle gleichberechtigt sind. “Voraussetzung ist allein die Überzeugung vom demokratischen Prozess, die Treue zu Fakten und einer gesunden, menschenfreundlichen politischen Kultur”, heißt es im Wahlprogramm.
Die PdF beginne nun, andere politische Partner zu suchen, die ihre Werte und Grundsätze teilen, kündigt der neu gewählte Europaabgeordnete an. Werte und Grundsätze der Partei finden sich nicht nur im Wahl-, sondern auch im Grundsatzprogramm der PdF. Die Partei distanziert sich darin von Extremisten von rechts oder links, von Querdenkern und Verschwörungsanhängern.
Die PdF betont in ihrem Grundsatzprogramm soziale Gerechtigkeit, Solidarität und Chancengleichheit und hat eine starke Ausrichtung auf Sozialstaat und Integration. Die meisten Überschneidungen scheint sie mit der SPD zu haben. Die PdF teilt jedoch auch viele Ansichten mit der FDP in Bezug auf Digitalisierung und individuelle Freiheit, sowie mit der CDU bezüglich Europapolitik und einer gewissen konservativen Grundhaltung hinsichtlich demokratischer Werte. Tatsächlich erschien die PdF beim Wahl-O-Mat-Ergebnis von SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert auf Platz drei (siehe Bild).
Die Ausrichtung der Partei? “Fortschritt in jeder Hinsicht”, erklärt Sieper. “Dass die Gesellschaft sich weiterentwickelt, nicht nur in der Frage der Digitalisierung, sondern auch in der Wirtschaft, auf gesellschaftspolitischer Ebene, im Bildungswesen, einfach in allen Bereichen.”
Wo verortet sich die PdF im Parteienspektrum? “Gar nicht”, sagt der PdF-Abgeordnete. “Wir sind ideologiefrei und arbeiten mit jedem zusammen, der sich innerhalb des demokratischen Spektrums bewegt. Es geht uns um die Sache.” Konsequenterweise will sich die PdF keiner Fraktion anschließen, weil alle Fraktionen ideologisch seien. “Wir sind pragmatisch und nicht im Lagerdenken verhaftet, sondern folgen dem gesunden Menschenverstand.” Daher will die PdF ihre eigene Fraktion gründen. vis
Die EU wird einem Medienbericht zufolge womöglich die Umsetzung neuer Vorschriften für die Handelsgeschäfte von Banken um ein Jahr verschieben. Mit diesem Schritt werde verhindert, dass durch eine frühzeitige Einführung europäische Finanzinstitute gegenüber Geldhäusern aus den USA benachteiligt würden, berichtete die Agentur Bloomberg am Dienstag unter Berufung auf Insider.
Die EU hatte im Mai erklärt, sie habe endgültig grünes Licht dafür gegeben, die strengeren Kapitalvorschriften für Banken – der letzte große Baustein des “Basel III” genannten globalen Reformwerks zur Stärkung der Banken – ab Januar 2025 einzuführen.
In dem Bloomberg-Bericht hieß es weiter, eine formelle Entscheidung über die teilweise Verzögerung der Vorschriften sei noch nicht getroffen worden. Dies könne aber in den kommenden Wochen geschehen. Von der EU war zunächst keine Stellungnahme zu dem Bericht erhältlich. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron kritisiert schon seit Längerem, dass US-Banken die sogenannten Basel-III-Eigenkapitalregeln nicht anwenden würden, was zu Wettbewerbsnachteilen für die europäischen Institute führe. Im April hatte Macron dafür plädiert, die EU solle überprüfen, wie sie die Vorschriften umsetze. Die Ländergemeinschaft könne nicht der einzige Wirtschaftsraum sein, der sie anwende. rtr
Der Aufschwung fiel am Ende schwächer aus als erwartet – dennoch zählen die Rechtsaußenparteien zu den wichtigsten Gewinnern der Europawahl. Vor allem in Westeuropa konnten sie in zahlreichen Mitgliedstaaten zulegen. Insgesamt stellen Rechtsaußenparteien künftig rund 175 Sitze, ein knappes Viertel des Parlaments.
Die größten rechten Einzelparteien sind das französische Rassemblement National (RN, 30 Sitze), die italienischen Fratelli d’Italia (FdI, 24), die polnische PiS (18), die deutsche AfD (15) und die ungarische Fidesz (10). Dahinter folgen die italienische Lega (8), die niederländische PVV von Geert Wilders, die österreichische FPÖ, die spanische Vox und die polnische Konfederacja (je 6).
Wie sich diese Parteien in Fraktionen zusammenfinden werden, ist allerdings noch weitgehend offen. Traditionell versammelte die EKR-Fraktion (unter anderem mit FdI und PiS) eher NATO-freundliche, die ID (mit RN und AfD) eher russlandfreundliche Rechtsparteien. Die ungarische Fidesz war seit ihrem Austritt aus der EVP fraktionslos.
In den vergangenen Wochen kam diese Konstellation jedoch in Bewegung. Angesichts zahlreicher Skandale wurde die AfD auf Betreiben des RN aus der ID-Fraktion ausgeschlossen. Zugleich bemühte sich RN-Chefin Marine Le Pen sichtlich um eine Annäherung an Giorgia Melonis FdI. Die ungarische Fidesz strebt den Beitritt zur EKR-Fraktion an, ist dort aber nicht allen Mitgliedern willkommen.
Und dann sendete auch noch die EVP-Fraktion Signale einer Öffnung nach rechts – allerdings nur zu jenen Parteien, die “pro-Europa, pro-Ukraine und pro-Rechtsstaat” sind, was nach Lesart der EVP die FdI einschließt, RN und PiS aber nicht. Europas Rechte ist dabei, sich neu zu strukturieren, aber wie könnte sie in Zukunft aussehen?
Szenario 1: Keine Veränderungen. Bleibt alles wie bisher, würden sich FdI, PiS und Vox in der EKR-Fraktion wiederfinden, RN, Lega, PVV und FPÖ in der ID; AfD, Fidesz und Konfederacja wären fraktionslos. Beide Rechtsfraktionen könnten mit Verstärkung durch einige kleine Newcomer-Parteien rechnen, blieben mit rund 75 und 65 Sitzen im neuen Parlament aber nur vierte und fünfte Kraft hinter der liberalen Renew. Dass wirklich ein so großer Block von Rechtsaußenparteien auf die Vorteile einer Fraktionsmitgliedschaft verzichtet, ist aber eher unwahrscheinlich.
Szenario 2: Fidesz zur EKR. Fidesz hat wiederholt den Wunsch nach einem EKR-Beitritt geäußert. Doch während PiS und FdI für diese Möglichkeit offen wären, drohen andere Mitglieder, in diesem Fall die Fraktion zu verlassen: So fürchtet etwa die tschechische ODS (3 Sitze) dadurch einen weiteren Rechtsruck der Fraktion, und die rumänische AUR (5 Sitze) will aus einem ungarnfeindlichen Nationalismus heraus nicht mit der Fidesz zusammenarbeiten. Ein Beitritt der Fidesz könnte deshalb womöglich dazu führen, dass die EKR am Ende kleiner statt größer wird.
Szenario 3: Fidesz zu ID. Als Alternative könnte sich die Fidesz deshalb auch der ID-Fraktion anschließen, die dafür grundsätzlich offen ist. Bislang hat die Fidesz das vermieden, auch um nicht mit der AfD zusammenzuarbeiten – aber die ist nun ohnehin nicht mehr dabei. In diesem Szenario kämen EKR und ID beide auf rund 75 Sitze, wenn auch die EKR wohl einen leichten Vorsprung behalten würde.
Szenario 4: Neue AfD-Fraktion. Auch die AfD will nicht gern fraktionslos bleiben. Die Rückkehr in die ID dürfte allerdings erst einmal versperrt sein – zumal das französische RN sich nun im nationalen Parlamentswahlkampf befindet. Damit bleibt nur die Gründung einer eigenen Fraktion, wofür nach Geschäftsordnung des Parlaments Abgeordnete aus mindestens sieben verschiedenen Ländern nötig sind. Infrage kämen neben der Konfederacja auch die bulgarische Vazrazhdane (3 Sitze), die ungarische MHM (1), die griechische NIKI (1) und vielleicht die spanische SALF (3), die alle neu ins Parlament eingezogen sind, sowie einzelne Überläufer:innen von EKR- oder ID-Mitgliedsparteien. Insgesamt dürfte es recht knapp werden. Falls es der AfD gelingt, könnte die dritte Rechtsfraktion aber mit rund 35 Sitzen rechnen.
Szenario 5: Große Rechtsfraktion. Die Idee einer Fusion von EKR und ID zu einer einzelnen großen Rechtsfraktion geistert schon seit Jahren durch die europäische Debatte, ohne jemals Realität zu werden. Auch diesmal haben Politiker:innen von PiS, RN und Fidesz diese Idee wieder ins Spiel gebracht – wohl auch, um an dem politischen Einfluss und dem guten Verhältnis Giorgia Melonis zur EVP teilzuhaben. Meloni selbst hat daran allerdings wohl wenig Interesse: Zum einen würde die Fusion eben jenes gute Verhältnis zur EVP gefährden; zum anderen wären die FdI in der Großfraktion schon rein zahlenmäßig nur noch zweite Kraft hinter dem RN. Wie in Szenario 2 wäre zudem auch hier mit dem Abgang etlicher Altmitglieder zu rechnen, sei es in Richtung der EVP oder der neuen AfD-Fraktion, die in diesem Fall recht sicher zustande käme. Auch dieses Szenario ist also sehr unwahrscheinlich.
Szenario 6: Fraktion der EVP-Freunde. Die Versuche der EVP, das Rechtsaußen-Lager in einen “akzeptablen” und einen “inakzeptablen” Teil zu spalten, könnten schließlich noch zu einem letzten Szenario führen: einer Fraktion, die nur Rechtsparteien enthält, die aus Sicht der EVP “pro-Europa, pro-Ukraine und pro-Rechtsstaat” sind. Da diese Kriterien in der Praxis recht dehnbar sind, könnte als Maßstab auch dienen, mit wem EVP-Mitgliedsparteien auf nationaler Ebene Koalitionen eingegangen sind oder einzugehen bereit waren. In diesem Fall könnte die neue Fraktion FdI, Lega, PVV, FPÖ, Vox, ODS, die schwedischen SD (3), die finnischen PS (1), die estnische EKRE (1) und die kroatische DP (1) umfassen, insgesamt also rund 60 Sitze. Dieses Szenario würde zu einer kräftigen Durchmischung bisheriger EKR- und ID-Parteien führen. Ganz ernstzunehmen ist es allerdings auch nicht – schließlich gibt es auch unter den Rechtsaußenparteien gewachsene Netzwerke, die sie nicht ohne Weiteres aufgeben werden.
der Feind steht links oder ist ein Liberaler – aber sicher nicht rechts. So kann man Éric Ciottis Weltanschauung wohl getrost zusammenfassen. Schon bei den Präsidentschaftswahlen 2022 sagte der heutige Vorsitzende der französischen Konservativen Les Républicains, er würde lieber dem rechtsextremen Kandidaten Éric Zemmour seine Stimme schenken als Macron, sollte es zu einer Stichwahl zwischen den beiden kommen. Zudem sieht er Frankreich in Gefahr wegen der “extrem gefährlichen” linken Bewegung La France Insoumise.
Ciottis Schluss: Bei den anstehenden französischen Parlamentswahlen brauche es ein Bündnis der Rechten mit dem rechtsextremen Rassemblement National (RN). “Wir sagen die gleichen Dinge, also hören wir auf, uns eine erfundene Opposition auszudenken”, erklärte Ciotti der erstaunten TV-Moderatorin des Senders TF1 am Dienstag.
Ciotti will also die Brandmauer zum RN einreißen, die bislang gestanden hat. Er hat seine Partei weit nach rechts geführt, mit wenig Erfolg. Bei den Europawahlen kamen Les Républicains auf nur 7,3 Prozent der Stimmen – dabei stellten die Partei schon mehrere Präsidenten. Nun werden Rücktrittsforderungen laut, auch viele führende Vertreter von Ciottis eigener Partei lehnen den Vorstoß ab. “Es ist besser, Wahlen zu verlieren, als seine Seele zu verlieren”, sagte Senatorin Sophie Primas und kündigte ihren Rückzug aus der Partei an.
RN-Gründerin Marine Le Pen nannte Ciottis Vorstoß dagegen “mutig”. Für die Rechtsextremen kommt dieser nur allzu gelegen: Trotz viel Zuspruch wird der RN bei den Neuwahlen die absolute Mehrheit wohl nicht alleine knacken können.
Auch im Europaparlament könnte der Schritt Folgen haben, wenn Ciotti ernstmacht mit dem Vorhaben: “Wenn die französischen Les Républicains wirklich diesen Weg nach rechts einschlagen, wird es in der EVP keinen Platz mehr für diese einst stolze Partei geben, die sich durch diese Anbiederung selbst an den Rand drängt”, sagte Jürgen Hardt, außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU, am Dienstag.
Das erste Treffen der sieben Fraktionschefs nach der Europawahl war schneller vorbei als geplant. Zwei Stunden waren angesetzt für die erste Conference of Presidents (COP) der Fraktionsvorsitzenden mit EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola. 15 Minuten vor Ende war es vorbei. Einziges Ergebnis: Metsola, die kraft Amtes vor dem Europäischen Rat zu den Staats- und Regierungschefs spricht, soll daran erinnern, dass das Europaparlament am Spitzenkandidatenprinzip festhält.
EVP, S&D und Renew gingen aber nicht so weit, Wahlsiegerin Ursula von der Leyen zur Kandidatin des Europaparlaments für den Posten zu machen. Auch das fällt auf: Die Fraktionschefs haben keinen Beschluss gefasst, bereits in der ersten Sitzungswoche Mitte Juli die Wahl der Kommissionspräsidentin anzustreben.
So ist es doch nur die indirekte Aufforderung an Metsola, in der Runde dafür zu werben, dass die Staats- und Regierungschefs EVP-Spitzenkandidatin Ursula von der Leyen dem Europaparlament für eine zweite Amtszeit vorschlagen. Laut den Verträgen ist es die Aufgabe des Europäischen Rates, im Lichte des Ausgangs der Europawahl einen Kandidaten für das Amt vorzuschlagen. Wichtig: Normalerweise treffen die Staats- und Regierungschefs ihre Beschlüsse einstimmig, für den Vorschlag des Kommissionspräsidenten reicht die qualifizierte Mehrheit.
Vor der COP hatte EVP-Chef Manfred Weber mit Iratxe García Pérez (S&D) und Valérie Hayer (Renew) zusammengesessen. Dies sei der turnusmäßige Austausch der drei Fraktionschefs der alten informellen Von-der-Leyen-Koalition, wurde anschließend betont, und nicht etwa Start der Verhandlungen über die Inhalte eines erneuten Bündnisses.
Die Augen richten sich jetzt auf den Rat. Weber wiederholte, was er seit Sonntagabend immer wieder sagt: “Ich erwarte, dass der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz den ersten Schritt macht und Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin vorschlägt.” Die Staats- und Regierungschefs sollen bei ihrem Treffen am Montag ein Personalpaket vorschlagen, mit von der Leyen als Kommissionspräsidentin.
Weber und Grünen-Chefin Terry Reintke blieben laut Augenzeugen noch rund eine halbe Stunde länger im Saal und unterhielten sich unter vier Augen. Danach sagte Reintke, es seien nur Vorgespräche gewesen, keine Verhandlungen. Für diese stehe man weiterhin bereit.
Weber richtete seine Einladung zu Verhandlungen erneut nur an Sozialdemokraten und Liberale. Zwar erfüllten die Grünen die drei Hauptkriterien für eine Zusammenarbeit mit der EVP – Pro-Europa, Pro-Ukraine, Pro-Rechtstaatlichkeit. Doch die Grünen hätten beispielsweise den Migrationspakt abgelehnt – ein Schlüsselthema für Weber. Er wies die Frage zurück, ob er statt mit den Grünen lieber mit EU-kritischen Kräften kooperiere, die in der EKR-Fraktion sitzen. EKR-Abgeordnete aus Tschechien und Italien hätten dem Migrationspakt zugestimmt. Weber schließt also weiterhin eine Zusammenarbeit zumindest mit Teilen der EKR nicht aus.
Während Weber auf das Abendessen der Staats- und Regierungschefs am Montag wartet, sortieren sich die Fraktionen. Am Dienstag trafen die neu gewählten Abgeordneten in Brüssel ein. Die ersten nationalen Delegationen der Fraktionen wählten ihre Vorsitzenden. Die Chefs der nationalen Delegationen haben in den Wochen bis zur konstituierenden Sitzung viel zu tun. Sie müssen mit den anderen Chefs der Delegationen aushandeln, wer wo zum Zuge kommt: Es fallen die Entscheidungen über die Posten in Fraktionsführung, als Koordinatoren, Ausschussvorsitze, Vize-Präsidenten und Quästoren im Parlament. Dabei ist mitentscheidend, wie viele Abgeordnete in ihrer Delegation sind.
In der 29 Abgeordnete umfassenden Gruppe der CDU/CSU-Abgeordneten wurde Daniel Caspary wiedergewählt. Er bekam 16 Stimmen bei einer Enthaltung und elf Gegenstimmen (siehe News in dieser Ausgabe). Bereits am Montag hatte die nur noch 14 Abgeordnete umfassende Europa-SPD im Willi-Brandt-Haus René Repasi einstimmig wieder zu ihrem Chef gewählt.
Bei der fünfköpfigen FDP-Truppe in der Renew-Fraktion ist noch nicht geklärt, ob Moritz Körner weiterhin führt. Spitzenkandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann hätte den ersten Zugriff, doch die 66-Jährige ist neu im Europaparlament. Die Grünen wollen den Chef der arg zusammengeschrumpften deutschen Gruppe erst in der letzten Juniwoche wählen. Die Linke, bei der es nur noch drei MEPs aus Deutschland gibt, peilt das ebenfalls an. Mitarbeit: Lukas Scheid, Till Hoppe
Die EU-Lieferkettenrichtlinie sei “ein Symbol für die verfehlte Politik der Vergangenheit“, erklärte die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) Table.Briefings. “Mit neuem Elan und klarem Mandat sollte Europa diesen verfehlten Beschluss korrigieren.” Gleichfalls äußerte sich Gesamtmetall-Hauptgeschäftsführer Oliver Zander: “Die Richtlinie ist und bleibt falsch und überfordert die Unternehmen”. Auf Veränderungen drängt ebenfalls der Verband der Chemischen Industrie (VCI) und verweist auf die Überlastung mittelständischer Unternehmen. “Wenn die neue EU-Kommission ihren Fokus auf Industriepolitik legt, sollte sie auch den Mut haben, nach einer pragmatischen Lösung zu suchen”. Gleichzeitig betont der VCI die prinzipielle Bedeutung der Richtlinie, sie “verfolgt ein wichtiges und richtiges Ziel”.
An der Lieferkettenregulierung scheiden sich weiter die Geister in der deutschen Wirtschaft. Nicht zuletzt aufgrund des Drucks großer Lobbyverbände hatte die Große Koalition seinerzeit ein zahmeres nationales Gesetz verabschiedet als geplant. So verzichtete sie auf eine zivilrechtliche Haftung. Auf europäischer Ebene musste die belgische Ratspräsidentschaft die Richtlinie auf den letzten Metern deutlich abschwächen, um im Rat eine Mehrheit der Länder zu gewinnen. Allerdings scheiterten europäische Industrieverbände und die FDP mit ihrem Vorhaben, die Regelung ganz zu verhindern. Sie geht weiter als die deutsche, hier ist etwa die zivilrechtliche Haftung vorgesehen. Nun nehmen deutsche Verbände einen neuen Anlauf, um national und europäisch Veränderungen zu erreichen.
Bestärkt sehen sie sich durch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck. Er sprach beim Tag der Familienunternehmer davon, dass man bei einer zügigen Umsetzung des neuen EU-Rechts pragmatisch beim deutschen Gesetz vorgehen solle, indem man es aussetze oder deutlich reduziere. Der Schutz von Menschenrechten und Umweltstandards werde nur Erfolg haben, “wenn Vorgaben auch bei den Unternehmen Akzeptanz finden”. Vor einem halben Jahr hatte er sich ähnlich geäußert. Gleichzeitig lässt er keinen Zweifel daran, dass Lieferkettengesetze “ethisch richtig” seien. Waren, für die Kinder schufteten, Erwachsene litten oder Umwelt zerstört werde, “sollten nicht bei uns verkauft werden”. Seine Partei hatte im EU-Parlament zu den entschiedenen Verfechtern der Lieferkettenregulierung gehört.
Die Bundesregierung berät seit geraumer Zeit darüber, wie angesichts der Kritik am deutschen Gesetz und der Verabschiedung der EU-Regulierung mit dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) verfahren werden soll. “Entschieden werde am Ende wohl nicht mehr anhand fachpolitischer Argumente”, erfuhr Table.Briefings aus Regierungskreisen. Längst seien Interessenabwägungen der Koalitionsspitzen am Werk, welche die Fachressorts nur noch begrenzt mitsteuern könnten. Der Umgang mit dem LkSG drohe zu einem Posten im Poker um die schwierigen Haushaltsberatungen zu werden, heißt es.
Ein Stopp des Gesetzes wäre “ein wichtiger Beitrag für die Wirtschaftswende“, reagierte FDP-Fraktionschef Christian Dürr auf Habeck. SPD-Fraktionsgeschäftsführer Rolf Mützenich lehnt dessen Idee dagegen entschieden ab. Der Wirtschaftsminister erweise den “langjährigen Bemühungen, um eine an Menschenrechten und fairen Löhnen orientierte und gegen Ausbeutung gerichtete Wirtschaftspolitik einen Bärendienst”. Es sei “gewohnte Praxis, nationale Regelungen an EU-Recht anzupassen”, sagte Mützenich. “Bis dahin bleibt es aber beim gültigen Gesetz.”
Das LkSG ist seit 2023 in Kraft und galt zunächst für Unternehmen mit mindestens 3.000 Mitarbeitenden, seit 2024 für Unternehmen ab 1.000 Beschäftigten. Große Unternehmen – laut Angaben des BMZ rund 900 – haben also bereits ihren ersten Jahresbericht vorgelegt. Der Volkswagen Konzern etwa veröffentlichte diesen Ende Mai.
Die EU-Richtlinie muss binnen zwei Jahren von den EU-Mitgliedstaaten in nationales Recht übertragen werden. Es gilt zunächst für Unternehmen mit mehr als 5.000 Beschäftigten, später sinkt die Schwelle auf 1.000 Arbeitnehmer.
Auch Europaabgeordnete kündigten nicht zuletzt im Wahlkampf an, das europäische Lieferkettengesetz noch einmal ändern und eingrenzen zu wollen. Der Umweltpolitiker Peter Liese (CDU) hatte vor der Europawahl im Gespräch mit Table.Briefings vorgeschlagen, das Gesetz zu überarbeiten und auf Lieferungen zu beschränken, “in denen große Mengen aus Staaten eingeführt werden, in denen es tatsächlich riesige Probleme etwa mit Abholzung oder Kinderarbeit gibt.”
Ob es realistisch ist, das Gesetz noch einmal zu ändern, sei schwer abzuschätzen, erklärte Lieses Parteikollege Axel Voss, der das EU-Lieferkettengesetz als Schattenberichterstatter für die EVP mitverhandelt hatte. Die neue EU-Kommission müsste dazu bereit sein; das Parlament könnte sich höchstens in einem Initiativbericht für eine Änderung aussprechen. Grundsätzlich hält Voss das europäische Gesetz für deutlich unbürokratischer – für deutsche Unternehmen sei es deshalb nur dann sinnvoll, es zu ändern, wenn das deutsche Gesetz verschwinden würde. Dieses Argument werde in Deutschland jedoch nicht mehr gehört: Zu vergiftet sei die Stimmung von der Debatte um das LkSG, sagte Voss.
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, bei dem die Federführung für das LkSG liegt, tritt für ambitionierte Regeln im Bereich der Unternehmensverantwortung ein, hatte sich aber bereits während der Verhandlungen für die europäische Regel gegenüber einer Vereinfachung des LkSG kompromissbereit gezeigt. In der Praxis gibt es vor allem ein Problem: Große Unternehmen wälzen Verpflichtungen auf KMU ab, obwohl dies nicht gestattet ist. Aber viele KMU lassen sich darauf ein, aus Sorge, ansonsten Aufträge zu verlieren. Der gleiche Konflikt tritt nun auch bei der Erfassung von Klimaemissionen auf.
Einen sachgerechten Ausgleich der Interessen zwischen Regierung und Wirtschaft beim LkSG halten Beobachter prinzipiell für möglich. Voraussetzung wäre eine grundsätzliche Zustimmung aller Akteure zum Grundprinzip der Unternehmensverantwortung. Aber daran hapere es, erfuhr Table.Briefings aus Regierungskreisen. Vor allem der BDA und Teile des BDI – besonders Gesamtmetall – führten einen Diskurs, der letztlich auf die Abschaffung der Lieferkettenregulierung ziele. Das erschwere einen Kompromiss und pragmatische Lösungen im bestehenden “System”, heißt es.
Gesamtmetall-Hauptgeschäftsführer Oliver Zander erklärte, der Verband bekenne sich “unverändert zu den UN-Leitprinzipien [für Wirtschaft und Menschenrechte]”, auf die Lieferkettengesetze zurückgehen. Allerdings würden die Leitprinzipien klar “zwischen der Verantwortlichkeit der verschiedenen Akteure im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte” unterscheiden. Leider kämen die Staaten ihrer Pflicht zum Menschenrechtsschutz nur unzureichend nach. Die “offensichtliche Lücke” könnten aber die Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie nicht füllen, sagt Zander Table.Briefings. Der BDA beantwortete eine entsprechende Frage nicht. Dagegen erklärt der VCI: “Wir stehen fest zum Grundprinzip der Unternehmensverantwortung nach den UN-Leitprinzipien. Sie haben sich als internationaler Standard bewährt.” Verankert seien die Prinzipien auch im Chemie-Branchenstandard für nachhaltige Wertschöpfung.
Markus Löning, früherer Menschenrechts-Beauftragter der Bundesregierung, hält den Vorschlag von Habeck für fehlgeleitet. “Das ist ein verstörendes Signal an viele Unternehmen, bei denen die Risiko-Management-Prozesse bereits sehr weit gediehen sind”, sagte er zu Table.Briefings. Er glaube auch nicht daran, dass die Unternehmen dadurch tatsächlich umfassend entlastet würden: Die Unternehmen seien durch verschiedene EU-Richtlinien verpflichtet, die Menschenrechte in ihren Lieferketten einzuhalten. Sinn mache es aber, wenn der Gesetzgeber sich mit der Frage beschäftige, wie Unternehmen die Anforderungen unterschiedlicher Lieferkettengesetze etwa zu Entwaldung, Zwangsarbeit oder Lieferketten so koordinieren könnten, dass sie diese mit einem Risikosystem handhaben könnten. Löning betreibt das Beratungsunternehmen Löning Human Rights & Responsible Business.
“Unternehmen sollten aus eigenem Interesse die Risiken in ihrer Lieferkette kennen, unabhängig davon, wie strikt oder umfassend die Regulierungen ausfallen”, sagte Tanja Relly, Senior Strategic Business Development des Anbieters von Nachhaltigkeits-Ratings Ecovadis. “Bürokratie und Kosten wären bloß eine Ausrede, um sich um die Transformation des eigenen Unternehmens zu drücken.” Scharf kritisierte auch der Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft (BNW) den Vorstoß und verwies auf die bereits laufende Umsetzung des Gesetzes in Unternehmen. “Wenn das Gesetz jetzt nicht greift, bleiben die Firmen auf den Kosten sitzen – und wir laufen Gefahr, die Wirtschaft von morgen abzuwürgen“, sagte die Geschäftsführerin Katharina Reuter. “Wir sollten das Momentum jetzt nutzen und Transparenz und Menschenrechte nicht für fadenscheinige Profit- und Lobbyinteressen opfern.”
Daniel Caspary wurde als Chef der deutschen CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament knapp bestätigt. Der Abgeordnete, der die Gruppe mit 29 MEPs seit 2017 leitet, setzte sich gegen Sven Simon durch. In einer Kampfabstimmung holte Caspary 16 Stimmen bei elf Gegenstimmen und einer Enthaltung. Angelika Niebler (CSU) ist Stellvertreterin Casparys. Christine Schneider (CDU) und Monika Hohlmeier (CSU) wurden als parlamentarische Geschäftsführerinnen in ihren Ämtern bestätigt. mgr
Die Partei des Fortschritts zieht überraschend mit einem Abgeordneten ins neu gewählte Europaparlament ein. Gewählt wurde der 27-jährige Parteisprecher Lukas Sieper. “Wir haben noch eine Menge Arbeit vor uns, weil wir auch nicht unbedingt damit gerechnet haben, dass es uns gelingt, einen Abgeordneten ins Europäische Parlament zu schicken”, sagt Sieper im Gespräch mit Table.Briefings.
Der Jurist aus Köln ist einer der drei Gründer der Partei. Mit zwei Freunden saß er 2020 in einer Kölner Kneipe und die drei ärgerten sich sowohl über die deutsche Politik wegen der rückständigen Verwaltung, als auch über die Europapolitik wegen der schlechten Kommunikation. Die Menschen hätten etwas Besseres verdient, meinten die drei. Sie schrieben zehn Ideen auf – unter anderem Digitalisierung der Verwaltung, kostenfreier ÖPNV, Abbau des Föderalismus in der Bildung. “Alles, was mit gesundem Menschenverstand nachvollziehbar ist”, erklärt Sieper. Am nächsten Morgen waren sie immer noch überzeugt, dass das zehn gute Punkte sind und gründeten am 20. April 2020 die Partei des Fortschritts (PdF).
Die ersten Parteimitglieder kamen aus dem Freundeskreis. Bundesweite Bekanntheit erlangte die PdF bei der Bundestagswahl 2021, obwohl sie nur in Nordrhein-Westfalen antrat. Es war der Wahl-O-Mat, der der PdF bundesweit neue Mitglieder brachte. “Was die Partei verbindet, ist die gemeinsame politische Vision”, sagt Sieper. “Vertreten sind alle Schichten aus dem ganzen Land. Zum Teil haben sie sich noch nie persönlich gesehen.” Denn die Partei des Fortschritts ist digital von Anfang an. Auch jede Parteisitzung ist digital.
Bei den Europawahlen 2024 war es wiederum der Wahl-O-Mat, der viele Wählerinnen und Wähler auf die PdF aufmerksam machte. “Wir gehen davon aus, dass es die Themen sind, die die Menschen zu uns bringen“, sagt Sieper. “In unserem Europawahlprogramm steht drin, was die Menschen interessiert zu Sicherheit und Verteidigung, Migration und Asyl, Gesundheit und Bildung.”
Ihre Positionen formuliert die Partei des Fortschritts sowohl mit ihren Mitgliedern als auch mit Nicht-Mitgliedern mittels eines digitalen innerparteilichen parlamentarischen Systems (Parteiparlamente) in dem alle gleichberechtigt sind. “Voraussetzung ist allein die Überzeugung vom demokratischen Prozess, die Treue zu Fakten und einer gesunden, menschenfreundlichen politischen Kultur”, heißt es im Wahlprogramm.
Die PdF beginne nun, andere politische Partner zu suchen, die ihre Werte und Grundsätze teilen, kündigt der neu gewählte Europaabgeordnete an. Werte und Grundsätze der Partei finden sich nicht nur im Wahl-, sondern auch im Grundsatzprogramm der PdF. Die Partei distanziert sich darin von Extremisten von rechts oder links, von Querdenkern und Verschwörungsanhängern.
Die PdF betont in ihrem Grundsatzprogramm soziale Gerechtigkeit, Solidarität und Chancengleichheit und hat eine starke Ausrichtung auf Sozialstaat und Integration. Die meisten Überschneidungen scheint sie mit der SPD zu haben. Die PdF teilt jedoch auch viele Ansichten mit der FDP in Bezug auf Digitalisierung und individuelle Freiheit, sowie mit der CDU bezüglich Europapolitik und einer gewissen konservativen Grundhaltung hinsichtlich demokratischer Werte. Tatsächlich erschien die PdF beim Wahl-O-Mat-Ergebnis von SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert auf Platz drei (siehe Bild).
Die Ausrichtung der Partei? “Fortschritt in jeder Hinsicht”, erklärt Sieper. “Dass die Gesellschaft sich weiterentwickelt, nicht nur in der Frage der Digitalisierung, sondern auch in der Wirtschaft, auf gesellschaftspolitischer Ebene, im Bildungswesen, einfach in allen Bereichen.”
Wo verortet sich die PdF im Parteienspektrum? “Gar nicht”, sagt der PdF-Abgeordnete. “Wir sind ideologiefrei und arbeiten mit jedem zusammen, der sich innerhalb des demokratischen Spektrums bewegt. Es geht uns um die Sache.” Konsequenterweise will sich die PdF keiner Fraktion anschließen, weil alle Fraktionen ideologisch seien. “Wir sind pragmatisch und nicht im Lagerdenken verhaftet, sondern folgen dem gesunden Menschenverstand.” Daher will die PdF ihre eigene Fraktion gründen. vis
Die EU wird einem Medienbericht zufolge womöglich die Umsetzung neuer Vorschriften für die Handelsgeschäfte von Banken um ein Jahr verschieben. Mit diesem Schritt werde verhindert, dass durch eine frühzeitige Einführung europäische Finanzinstitute gegenüber Geldhäusern aus den USA benachteiligt würden, berichtete die Agentur Bloomberg am Dienstag unter Berufung auf Insider.
Die EU hatte im Mai erklärt, sie habe endgültig grünes Licht dafür gegeben, die strengeren Kapitalvorschriften für Banken – der letzte große Baustein des “Basel III” genannten globalen Reformwerks zur Stärkung der Banken – ab Januar 2025 einzuführen.
In dem Bloomberg-Bericht hieß es weiter, eine formelle Entscheidung über die teilweise Verzögerung der Vorschriften sei noch nicht getroffen worden. Dies könne aber in den kommenden Wochen geschehen. Von der EU war zunächst keine Stellungnahme zu dem Bericht erhältlich. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron kritisiert schon seit Längerem, dass US-Banken die sogenannten Basel-III-Eigenkapitalregeln nicht anwenden würden, was zu Wettbewerbsnachteilen für die europäischen Institute führe. Im April hatte Macron dafür plädiert, die EU solle überprüfen, wie sie die Vorschriften umsetze. Die Ländergemeinschaft könne nicht der einzige Wirtschaftsraum sein, der sie anwende. rtr
Der Aufschwung fiel am Ende schwächer aus als erwartet – dennoch zählen die Rechtsaußenparteien zu den wichtigsten Gewinnern der Europawahl. Vor allem in Westeuropa konnten sie in zahlreichen Mitgliedstaaten zulegen. Insgesamt stellen Rechtsaußenparteien künftig rund 175 Sitze, ein knappes Viertel des Parlaments.
Die größten rechten Einzelparteien sind das französische Rassemblement National (RN, 30 Sitze), die italienischen Fratelli d’Italia (FdI, 24), die polnische PiS (18), die deutsche AfD (15) und die ungarische Fidesz (10). Dahinter folgen die italienische Lega (8), die niederländische PVV von Geert Wilders, die österreichische FPÖ, die spanische Vox und die polnische Konfederacja (je 6).
Wie sich diese Parteien in Fraktionen zusammenfinden werden, ist allerdings noch weitgehend offen. Traditionell versammelte die EKR-Fraktion (unter anderem mit FdI und PiS) eher NATO-freundliche, die ID (mit RN und AfD) eher russlandfreundliche Rechtsparteien. Die ungarische Fidesz war seit ihrem Austritt aus der EVP fraktionslos.
In den vergangenen Wochen kam diese Konstellation jedoch in Bewegung. Angesichts zahlreicher Skandale wurde die AfD auf Betreiben des RN aus der ID-Fraktion ausgeschlossen. Zugleich bemühte sich RN-Chefin Marine Le Pen sichtlich um eine Annäherung an Giorgia Melonis FdI. Die ungarische Fidesz strebt den Beitritt zur EKR-Fraktion an, ist dort aber nicht allen Mitgliedern willkommen.
Und dann sendete auch noch die EVP-Fraktion Signale einer Öffnung nach rechts – allerdings nur zu jenen Parteien, die “pro-Europa, pro-Ukraine und pro-Rechtsstaat” sind, was nach Lesart der EVP die FdI einschließt, RN und PiS aber nicht. Europas Rechte ist dabei, sich neu zu strukturieren, aber wie könnte sie in Zukunft aussehen?
Szenario 1: Keine Veränderungen. Bleibt alles wie bisher, würden sich FdI, PiS und Vox in der EKR-Fraktion wiederfinden, RN, Lega, PVV und FPÖ in der ID; AfD, Fidesz und Konfederacja wären fraktionslos. Beide Rechtsfraktionen könnten mit Verstärkung durch einige kleine Newcomer-Parteien rechnen, blieben mit rund 75 und 65 Sitzen im neuen Parlament aber nur vierte und fünfte Kraft hinter der liberalen Renew. Dass wirklich ein so großer Block von Rechtsaußenparteien auf die Vorteile einer Fraktionsmitgliedschaft verzichtet, ist aber eher unwahrscheinlich.
Szenario 2: Fidesz zur EKR. Fidesz hat wiederholt den Wunsch nach einem EKR-Beitritt geäußert. Doch während PiS und FdI für diese Möglichkeit offen wären, drohen andere Mitglieder, in diesem Fall die Fraktion zu verlassen: So fürchtet etwa die tschechische ODS (3 Sitze) dadurch einen weiteren Rechtsruck der Fraktion, und die rumänische AUR (5 Sitze) will aus einem ungarnfeindlichen Nationalismus heraus nicht mit der Fidesz zusammenarbeiten. Ein Beitritt der Fidesz könnte deshalb womöglich dazu führen, dass die EKR am Ende kleiner statt größer wird.
Szenario 3: Fidesz zu ID. Als Alternative könnte sich die Fidesz deshalb auch der ID-Fraktion anschließen, die dafür grundsätzlich offen ist. Bislang hat die Fidesz das vermieden, auch um nicht mit der AfD zusammenzuarbeiten – aber die ist nun ohnehin nicht mehr dabei. In diesem Szenario kämen EKR und ID beide auf rund 75 Sitze, wenn auch die EKR wohl einen leichten Vorsprung behalten würde.
Szenario 4: Neue AfD-Fraktion. Auch die AfD will nicht gern fraktionslos bleiben. Die Rückkehr in die ID dürfte allerdings erst einmal versperrt sein – zumal das französische RN sich nun im nationalen Parlamentswahlkampf befindet. Damit bleibt nur die Gründung einer eigenen Fraktion, wofür nach Geschäftsordnung des Parlaments Abgeordnete aus mindestens sieben verschiedenen Ländern nötig sind. Infrage kämen neben der Konfederacja auch die bulgarische Vazrazhdane (3 Sitze), die ungarische MHM (1), die griechische NIKI (1) und vielleicht die spanische SALF (3), die alle neu ins Parlament eingezogen sind, sowie einzelne Überläufer:innen von EKR- oder ID-Mitgliedsparteien. Insgesamt dürfte es recht knapp werden. Falls es der AfD gelingt, könnte die dritte Rechtsfraktion aber mit rund 35 Sitzen rechnen.
Szenario 5: Große Rechtsfraktion. Die Idee einer Fusion von EKR und ID zu einer einzelnen großen Rechtsfraktion geistert schon seit Jahren durch die europäische Debatte, ohne jemals Realität zu werden. Auch diesmal haben Politiker:innen von PiS, RN und Fidesz diese Idee wieder ins Spiel gebracht – wohl auch, um an dem politischen Einfluss und dem guten Verhältnis Giorgia Melonis zur EVP teilzuhaben. Meloni selbst hat daran allerdings wohl wenig Interesse: Zum einen würde die Fusion eben jenes gute Verhältnis zur EVP gefährden; zum anderen wären die FdI in der Großfraktion schon rein zahlenmäßig nur noch zweite Kraft hinter dem RN. Wie in Szenario 2 wäre zudem auch hier mit dem Abgang etlicher Altmitglieder zu rechnen, sei es in Richtung der EVP oder der neuen AfD-Fraktion, die in diesem Fall recht sicher zustande käme. Auch dieses Szenario ist also sehr unwahrscheinlich.
Szenario 6: Fraktion der EVP-Freunde. Die Versuche der EVP, das Rechtsaußen-Lager in einen “akzeptablen” und einen “inakzeptablen” Teil zu spalten, könnten schließlich noch zu einem letzten Szenario führen: einer Fraktion, die nur Rechtsparteien enthält, die aus Sicht der EVP “pro-Europa, pro-Ukraine und pro-Rechtsstaat” sind. Da diese Kriterien in der Praxis recht dehnbar sind, könnte als Maßstab auch dienen, mit wem EVP-Mitgliedsparteien auf nationaler Ebene Koalitionen eingegangen sind oder einzugehen bereit waren. In diesem Fall könnte die neue Fraktion FdI, Lega, PVV, FPÖ, Vox, ODS, die schwedischen SD (3), die finnischen PS (1), die estnische EKRE (1) und die kroatische DP (1) umfassen, insgesamt also rund 60 Sitze. Dieses Szenario würde zu einer kräftigen Durchmischung bisheriger EKR- und ID-Parteien führen. Ganz ernstzunehmen ist es allerdings auch nicht – schließlich gibt es auch unter den Rechtsaußenparteien gewachsene Netzwerke, die sie nicht ohne Weiteres aufgeben werden.