das Linksbündnis Nouveau Front Populaire (NFP) will nach seinem Sieg bei den Parlamentswahlen in Frankreich den Premierminister stellen, inzwischen wagen sich weitere Kandidaten aus der Deckung. Der Vorsitzende der Sozialistischen Partei, Olivier Faure, erklärte am Dienstag, er sei “bereit, dieses Amt zu übernehmen”. Aus Sicht seiner Verbündeten könnte Faure als gemäßigter Politiker die Lage beruhigen, zugleich genieße der erfahrene Abgeordnete den Respekt der anderen Partner im Bündnis.
Das Linksbündnis drängt Präsident Emmanuel Macron, einen neuen Regierungschef aus ihren Reihen zu nominieren. Der Präsident solle sich “ab sofort” an die NFP wenden und ihr den Regierungsauftrag erteilen, fordert das Bündnis in einer Erklärung. Die NFP-Parteien wollen trotz fehlender absoluter Mehrheit allein regieren und verhandeln derzeit unter Hochdruck, wen sie als Premier vorschlagen. Vertreter von La France Insoumise (LFI) beanspruchten am Dienstag den Posten erneut für die Linksaußen-Partei, die innerhalb des Bündnisses etwas mehr Abgeordnete stellt als die Sozialisten. Ihr Anführer Jean-Luc Mélenchon ist in den anderen Parteien aber nicht vermittelbar; als Alternative wird die LFI-Abgeordnete Clémence Guetté gehandelt.
Der ehemalige Premierminister Édouard Philippe forderte in einem Interview auf France 2 dazu auf, einen Mitte-Rechts-Block zu bilden. Auch der ehemalige Premierminister Jean-Pierre Raffarin drängte die gaullistischen Les Républicains (LR), mit Macrons Lager zusammenzuarbeiten. Gemeinsam kämen die zentristischen Blöcke auf 222 Abgeordnete, 40 mehr als das Linksbündnis. “Es heißt LR oder LFI”, warnte Raffarin mit Blick auf die Linksaußen. Allerdings müssen sich die Republikaner angesichts der Spaltung vor der Wahl erst selbst finden. Diskutiert wird unter anderem eine Neugründung unter anderem Namen.
Eine Woche vor der konstituierenden Sitzung sortiert sich das Europaparlament. Die Fraktionen verständigten sich am Dienstag weitgehend auf die Verteilung der wichtigsten Ämter. Dazu zählen insbesondere die 14 Vizepräsidentenposten und der Vorsitz in den 20 Ausschüssen. Die Ausschussvorsitzenden haben viel Macht, sie setzen die Agenda und haben eine führende Rolle in den Trilogen mit Rat und Kommission.
Bei den Vizepräsidenten stehen zwei Kandidatinnen aus Deutschland fest. Sabine Verheyen (CDU) tritt die Nachfolge von Rainer Wieland (CDU) an, der seit 2009 EP-Vize war und den Sprung ins Europaparlament nicht mehr geschafft hat. Die Politikerin aus Nordrhein-Westfalen setzte sich bei einer internen Abstimmung knapp gegen Andreas Schwab aus Baden-Württemberg durch. Die CDU-Abgeordneten aus NRW pochten darauf, diesmal besser abzuschneiden als die Baden-Württemberger, die zuletzt viele Führungspositionen innehatten.
Bei den Sozialdemokraten tritt Katarina Barley wieder an, die SPD-Politikerin war schon in der vergangenen Wahlperiode Vizepräsidentin. Ob Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) Vizepräsidentin werden will, ist noch nicht klar. Sie würde den Vorsitz im Verteidigungsausschuss vorziehen, wenn dieser ein Vollausschuss würde und Kompetenzen vom Industrieausschuss bekäme. Doch danach sah es gestern nicht aus: Die Verhandlungen über die Aufwertung des Verteidigungsausschusses (SEDE) seien gescheitert, hieß es im Parlament.
Bei der Vergabe der Chefposten in den Ausschüssen hat Bernd Lange gute Aussichten, erneut Vorsitzender des Handelsausschusses zu werden. Der SPD-Abgeordnete leitet den INTA bereits seit zehn Jahren. Dagegen muss die CDU/CSU-Gruppe in der neuen Legislaturperiode voraussichtlich kürzertreten.
Bislang stellte sie in vier Ausschüssen den Vorsitz. Nur David McAllister, Chef des Auswärtigen Ausschusses (AFET), darf weitermachen, wie es hieß. Der Agrarausschuss (AGRI), den bislang Norbert Lins geleitet hatte, geht dem Vernehmen nach an die nationalkonservative EKR-Fraktion, ebenso wie der Haushaltsausschuss (BUDG). Womöglich erhält die CDU/CSU-Gruppe noch der Vorsitz im Verfassungs- (AFCO) sowie im Rechnungsprüfungsausschuss (CONT). Das soll erst nächste Woche entschieden werden.
Zunächst hieß es, dass die Ausschüsse mit gesetzgeberischer Kompetenz Priorität für die EVP haben sollten, die bei der Verteilung nach dem D’Hondt-Verfahren insgesamt sechs Vollausschüsse und einen Unterausschuss gezogen hat. Im Umweltausschuss etwa wird die Rückabwicklung des Verbrenner-Aus entschieden, der Industrie- sowie der Agrarausschuss behandeln zentrale politische Themen der Union. Am Ende blieb den deutschen Christdemokraten vor allem der zwar prestigeträchtige, aber für die Gesetzgebungsarbeit unerhebliche Auswärtige Ausschuss.
Den Vorsitz im einflussreichen Industrieausschuss (ITRE) sicherte sich die polnische EVP-Delegation. Der für Innen- und Justizpolitik zuständige LIBE geht an die spanische Partido Popular. Zunächst hatte die EKR den unter anderem für die Asylpolitik zuständigen Ausschuss beansprucht, sie tauschte den Posten aber mit der EVP gegen den Vorsitz im AGRI, wie es im Parlament hieß.
Die zweitgrößte Fraktion der Sozialdemokraten hat fünf Ausschüsse gezogen. Der Wirtschafts- und Währungsausschuss (ECON) wird voraussichtlich erneut von der französischen Abgeordneten Aurore Lalucq geleitet. Auch der in der vergangenen Legislatur wichtige Ausschuss für Umwelt und Gesundheit (ENVI) soll an die italienischen Sozialdemokraten gehen, an wen ist noch unklar. Das Portfolio des ENVI bleibt allerdings, anders als zuletzt erwartet, das gleiche wie bislang. Es wird keinen eigenen Vollausschuss für die Themen Gesundheit und Lebensmittelsicherheit geben. Sie bleiben stattdessen im Kompetenzbereich des ENVI.
Die Grünen könnten trotz ihrer Sitzverluste nach der Europawahl an Einfluss EP zulegen. Sie bekommen einen Vizepräsidenten im EU-Parlament und zwei Ausschussvorsitzende. Damit hat es für sich schon gelohnt, dass sie künftig Teil der Von-der-Leyen-Koalition mitverhandelnIn der vergangenen Legislatur hatten sie mit Anna Cavazzini den Vorsitz im Binnenmarkt-Ausschuss (IMCO) und mit der Finnin Heidi Hautala eine EP-Vizepräsidentin.
Cavazzini soll den Chefposten im IMCO behalten. Abgestimmt wird heute in der Fraktion. Zusätzlich bekommen die Grünen den Vorsitz im Menschenrechts-Ausschuss (DROI). Ein Franzose soll den Zuschlag hierfür erhalten. Damit ist auch klar, dass Michael Bloss gute Chancen hat, Chef der deutschen Gruppe der Grünen zu werden, da Cavazzini ihren Wunschposten bekommt und Sergey Lagodinsky als Fraktions-Vize bereits bedient ist.
Für die Renew-Fraktion bleibt der Vorsitz im Rechtsausschuss (JURI) und im Entwicklungsausschuss (DEVE). Zudem zogen die Liberalen den Vorsitz im Verteidigungsausschuss, der wohl Unterausschuss des Auswärtigen Ausschusses bleibt. Die Linksfraktion wiederum zog den Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten (EMPL). Diesem soll die ehemalige finnische Bildungsministerin Li Andersson vorsitzen, die im Juni mit einem Rekordresultat ins Europäische Parlament gewählt wurde.
Bei der Aufteilung nach D’Hondt hat auch die neue Rechtsaußen-Fraktion der “Patrioten für Europa” zwei Ausschüsse gezogen, den Verkehrsausschuss (TRAN) und den Ausschuss für Kultur und Bildung (CULT). Allerdings wollen die anderen Fraktionen erneut einen Cordon sanitaire um die Rechten errichten, die beiden Ausschussvorsitze werden daher voraussichtlich noch auf andere Gruppen verteilt.
Herr Thimm, kann ein wiedergewählter Präsident Trump einfach aus der Nato austreten?
Die kurze Antwort auf die Frage lautet: ja.
Niemand kann ihn daran hindern?
Da muss man zwischen der Gesetzeslage und der Praxis unterscheiden. In der Außenpolitik ist der Präsident führend. Er ist der Diplomat-in-Chief, also der oberste Diplomat, und er ist der Commander-in-Chief, also der Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Und diese Rollenzuschreibung gibt ihm die Initiative und die entscheidende Macht. Der Kongress kann auf die Außenpolitik Einfluss nehmen über den Haushalt, über die Finanzierung von diplomatischen Aktivitäten und über die Ratifizierung von Verträgen. Um Verträgen beizutreten, braucht man in der Regel die Zustimmung des Kongresses. Aber um aus Verträgen wieder auszutreten, braucht man sie de facto nicht.
Nun gab es ja in der Vergangenheit Bestrebungen im Kongress, ein Gesetz auf den Weg zu bringen, das einen Nato-Austritt ausschließt, weil man schon antizipiert hat, dass Trump vielleicht eine zweite Amtszeit bekommt. Hat das irgendwelche Wirkung?
Das interpretiere ich vor allem als politisches Signal, dass der Kongress nicht einverstanden wäre damit, wenn Trump den Nato-Vertrag aufkündigen würde. Das war ja eine überparteiliche Gesetzesinitiative. Auch da gilt: Der rechtliche Status eines solchen Gesetzes ist ungeklärt. Wir wissen auch von Donald Trump, dass er es mit den Gesetzen manchmal nicht so genau nimmt. Und: Das Gesetz müsste gerichtlich geprüft werden. Das würde lange dauern. Ob es dann praktisch durchgesetzt würde, selbst wenn der Kongress vor Gericht Recht bekommen würde, wäre noch eine ganz andere Frage.
Der politische Schaden wäre dann ja schon angerichtet. Er müsste also gar nicht unbedingt austreten?
Ich würde es nicht vollständig ausschließen, aber ich halte es für nicht wahrscheinlich. Die größere Gefahr sehe ich darin, dass er die Glaubwürdigkeit der Allianz unterminiert, dass er die Beistandsklausel, den Artikel 5 des Nato-Vertrages, infrage stellt. Dass er die nukleare Abschreckung der USA für die Nato-Mitglieder – also auch für Deutschland – infrage stellt. Damit schafft er Unsicherheit und gibt anderen – zum Beispiel Russland – die Chance auszutesten, wie weit der Beistand der USA reicht.
Das hat er bereits gemacht.
Genau, er hat sich tatsächlich schon dahingehend geäußert, dass sich diejenigen, die nicht ihrer Selbstverpflichtung, zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben, nicht auf die USA verlassen können. Er hat das in der letzten Zeit wieder etwas relativiert und behauptet, er hätte das nur aus taktischen Gründen gesagt, um eben die Nato-Verbündeten dazuzubekommen, dass sie sich an ihre Selbstverpflichtung halten. Aber da bin ich nicht so sicher.
Würde es nicht Widerstand geben, wenn er dieses Bündnis infrage stellt, auch von Seiten der Republikaner?
Die Republikaner haben sich in letzter Zeit als äußerst flexibel erwiesen und sehr viele von Trumps Positionen, die sie vorher überhaupt nicht vertreten haben, einfach übernommen. Also auch die ganze Haltung gegenüber Russland in der Republikanischen Partei hat sich ja erst durch Trump radikal geändert. Von einer Partei, die eigentlich immer Hardliner gegenüber Russland war und die Demokraten dafür kritisiert hat, dass sie zu verständnisvoll waren. Zu einer Partei, die plötzlich ganz viel Verständnis für Putins Russland hat. Aber ich glaube, der Austritt aus der Nato würde auch vielen Republikanern zu weit gehen. Er würde über die Parteigrenzen hinweg sehr deutlichen Widerstand provozieren. Aus dem außen- und sicherheitspolitischen Establishment und auch aus dem Militär.
Normalerweise neigt das amerikanische Militär nicht zur Rebellion.
Den Generälen ist sehr wohl bewusst, dass die Nato eben nicht nur ein altruistisches Geschenk an die Verbündeten ist, sondern ein ganz wichtiges Asset für die USA. Die Nato ist ein Machtverstärker, der den Einfluss der USA sowohl militärisch als auch diplomatisch in der Welt vergrößert. Die amerikanischen Stützpunkte in Europa dienen als Basis für den gesamten Nahen Osten, für Afrika und sind auch nicht so ohne Weiteres verzichtbar. Ich glaube tatsächlich, als Commander-in-Chief könnte er das befehlen und das Militär würde dann den Befehl umsetzen. Also die Rebellion würde es im Vorfeld geben.
Es gilt als gesichert, dass der damalige Generalsstabschef Mark Milley beim Sturm auf das Kapitol im Januar 2021 geheime Vorkehrungen getroffen haben soll, Trumps Zugriff auf die Atomwaffen einzuschränken. Würde die Militärführung bei einem Nato-Austritt eingreifen?
Nicht im Sinne von Befehlsverweigerung, da gilt das Primat der Politik. Aber da würde dann ganz Washington mobilisiert werden, um dagegen aufzuschreien! Deswegen glaube ich auch tatsächlich, dass dieser formale Austritt nicht erfolgen würde. Aber wie gesagt, alles, was darunter ist, da kann er den Schaden anrichten, bevor jemand etwas dagegen tun kann.
Johannes Thimm ist stellvertretender Forschungsgruppenleiter Amerika der Stiftung Wissenschaft und Politik. Er beschäftigt sich wissenschaftlich mit den USA, transatlantischen Beziehungen und den Vereinten Nationen.
Nach dem Rauswurf aus der bisherigen ID-Fraktion kann die AfD wohl noch eine neue Gruppe im Europaparlament zusammenstellen. Der Fraktion “Europa der souveränen Nationen” sollen neben 14 deutschen Abgeordneten auch 15 weitere MEPs aus sieben Mitgliedstaaten angehören, wie es aus Kreisen der AfD-Parteiführung hieß. Darunter sind unter anderem Abgeordnete der polnischen Konfederacja, Se Acabó La Fiesta aus Spanien und der französischen Reconquête von Éric Zemmour. Der AfD-Spitzenkandidat bei der Europawahl, Maximilian Krah, wird nicht Teil der Fraktion sein. Er war nach der Europawahl von seinen Parteikollegen aus der AfD-Delegation ausgeschlossen worden.
Die AfD würde damit rechtsextreme Kräfte zusammenbringen, die bei der neuen Fraktion “Patrioten für Europa” außen vor geblieben sind. Viktor Orbán und Marine Le Pen hatten eine Zusammenarbeit mit der AfD abgelehnt, weil ihnen die deutschen Rechtsaußen zu extrem waren. Für die Bildung einer Fraktion sind mindestens 23 Abgeordnete aus sieben Mitgliedstaaten erforderlich. Eine Fraktionsangehörigkeit bringt organisatorische und finanzielle Vorteile mit sich. tho/fk
Langsam füllen sich die Sitze der nächsten EU-Kommission mit potenziellen Kandidaten. Zu Beginn dieser Woche entschied die schwedische Regierung, dass ihre aktuelle Ministerin für EU-Angelegenheiten und nordische Kooperation Jessika Roswall Schwedens neue EU-Kommissarin werden soll.
Roswall gehört wie Premierminister Ulf Kristersson der konservativen “Moderata samlingspartiet” (Moderate Sammlungspartei) an und würde die aktuelle schwedische Kommissarin Ylva Johansson ablösen. Die Sozialdemokratin ist Kommissarin für innere Sicherheit und Migration.
Auch der belgische EU-Kommissar Didier Reynders meldete seine Ambitionen für einen Sitz in der nächsten Kommission an. Der aktuelle Justizkommissar hatte sich zuvor um den Job als Generalsekretär des Europarats beworben, war aber vor zwei Wochen dem ehemaligen Schweizer Bundesrat Alain Berset unterlegen. Nun will sich Reynders also mit dem Posten als EU-Kommissar zufriedengeben.
Reynders Partei, das liberale “Mouvement Réformateur” (MR), hat dank eines starken Wahlergebnisses bei den belgischen Wahlen gute Chancen, den EU-Kommissar weiterhin zu stellen. Dem ehemaligen Vize-Premier und langjährigen belgischen Minister könnte höchstens noch Konkurrenz aus den eigenen Reihen im Weg stehen. Wenn die beliebte ehemalige Premierministerin Sophie Wilmès sich dazu entscheidet, für den Kommissionsposten zu kandidieren, dürfte es eng werden für Reynders.
Nach der Nominierung durch ihre Regierungen müssen die Kommissionskandidaten noch durch das Europäische Parlament bestätigt werden. Welches Dossiers sie übernehmen werden, ist noch unklar.
Die Sicherheitslage in Europa erfordert nach Auffassung von Digital Europe einen neuen Verteidigungsansatz. Mit digitalen Innovationen stünden entscheidende Waffen zur Verteidigung zur Verfügung, heißt es im aktuellen Report “Europa, eine sichere und digitale Weltmacht: Empfehlungen für die Digitalisierung der Verteidigung”. Demnach sind digitale Technologien der Schlüssel zur Transformation der Verteidigungsfähigkeiten der EU.
Der Lobbyverband Digital Europe vertritt die Interessen einer Vielzahl führender Technologieunternehmen, einschließlich Google, Microsoft, Apple und Huawei, die oft als “Big Tech” bezeichnet werden. Darüber hinaus sind prominente europäische Unternehmen wie Siemens, Nokia und Philips ebenfalls Mitglieder im Verband.
Der Report unterstreicht die zentrale Rolle digitaler Technologien wie Künstlicher Intelligenz (KI), Big Data und Cloud-Computing. Diese Innovationen könnten nicht nur die Verteidigungsfähigkeiten Europas verbessern, sondern auch dessen Reaktionsfähigkeit auf neue Bedrohungen erhöhen. Die jüngsten Konflikte, insbesondere der Krieg in der Ukraine, verdeutlichten die Bedeutung von technologischer Zusammenarbeit zwischen Regierungen und Privatwirtschaft.
Zu den wichtigsten Empfehlungen des Reports zählt eine Zuweisung von 25 Prozent der EU- und NATO-Mittel für digitale Technologien. Der Bericht fordert zudem einen einheitlichen EU-Verteidigungsmarkt, da fragmentierte nationale Beschaffungsprogramme den Fortschritt behinderten. Die jüngste Initiative über die Einrichtung eines Instruments zur Stärkung der europäischen Verteidigungsindustrie durch gemeinsame Beschaffung (EDIRPA) sei ein Schritt in die richtige Richtung, jedoch seien weitergehende Maßnahmen notwendig, um das volle Potenzial Europas auszuschöpfen.
Standardisierung und Interoperabilität stellen nach Meinung der Autoren weitere Schlüsselfaktoren dar. Unterschiedliche Digitalisierungsniveaus in den Mitgliedstaaten schafften Interoperabilitätsprobleme. Der Bericht schlägt vor, das High-Level Forum on European Standardisation auf Dual-Use-Technologien auszuweiten, um die Standardisierungsbemühungen zu vereinfachen und Skaleneffekte zu erzielen.
Der Bericht identifiziert zehn Schlüsseltechnologien, die Europas Sicherheitslage in Zukunft prägen werden:
Diese Technologien böten einen umfassenden Werkzeugkasten, um die Verteidigungsfähigkeiten der EU zu transformieren und sie besser auf zukünftige Bedrohungen vorzubereiten. vis
Der EU-Dachverband Housing Europe fordert, dass das Thema bezahlbarer Wohnraum in der aktuellen Debatte um die strategische Agenda mehr Beachtung findet. “Erschwinglicher Wohnraum für Beschäftigte ist auch für die Wettbewerbsfähigkeit von zentraler Bedeutung. Viele Arbeitnehmer haben bereits Schwierigkeiten, eine Wohnung zu finden – vor allem in städtischen Gebieten”, sagte die Generalsekretärin von Housing Europe Sorcha Edwards zu Table.Briefings. Der Dachverband Housing Europe vereint nationale und regionale Verbände des öffentlichen, genossenschaftlichen und sozialen Wohnungsbaus auf europäischer Ebene.
Laut Eurostat sind Mieten seit 2010 im EU-Schnitt um ein Fünftel (21 Prozent) teurer geworden. Noch drastischere Preisanstiege gibt es bei den Immobilienpreisen – diese sind in den vergangenen 13 Jahren um fast die Hälfte (46 Prozent) gestiegen. Gerade in Großstädten und Ballungsräumen sind die Preissteigerungen noch deutlicher. Derzeit werde das Thema Wettbewerbsfähigkeit allerdings hauptsächlich unter geostrategischen Gesichtspunkten oder in Fragen der Technologie diskutiert, sagte Edwards.
Das Thema Wohnen ist Sache der Mitgliedstaaten. Dennoch verfügt die EU über einige Instrumente, um nationale Wohnbauprogramme anzukurbeln – etwa über Förderprogramme und Zugang zur Finanzierung. Zuletzt war das Thema Wohnen auch im Wahlkampf der Linken, Grünen und Sozialdemokraten prominent thematisiert worden.
Rückenwind bekommt die Forderung von Housing Europe auch vom sogenannten “Letta-Report” zur Lage des Binnenmarkts, der das Thema im Frühjahr als drängendes Handlungsfeld identifizierte. Der Bericht argumentiert, dass der Mangel an bezahlbaren Wohnraum sowohl für die Personenfreizügigkeit als auch für das “Recht zu bleiben” eine Gefahr sei – und damit eine Bedrohung für das Funktionieren des Binnenmarkts.
Der Verband Housing Europe fordert insgesamt 57 Milliarden an zusätzlichen Geldern für bezahlbaren Wohnraum und 15 Milliarden für Renovierungen und energetische Sanierungen. “Die Mittel müssen nicht alle vom Staat kommen, sondern sollten genutzt werden, um private Mittel für mehr sozialen, öffentlichen und genossenschaftlichen Wohnungsbau zu mobilisieren.”
Zudem solle das Thema Wohnen Priorität bekommen: “Idealerweise mit einer Taskforce, die von einem Vizepräsidenten der Kommission geleitet wird“, sagt Edwards. Diese sollte regelmäßig die relevanten Interessengruppen zusammenbringen. Denn: Ein Problem der derzeitigen EU-Wohnungspolitik sei die mangelnde Kohärenz, betont die Housing Europe-Generalsekretärin. Das zeige sich auch darin, dass es in Ländern mit einem kleineren öffentlichen oder gemeinnützigen Wohnungssektor schwierig sei, Zugang zu den entsprechenden Programmen zu bekommen. “Derzeit gibt es allein 19 verschiedene Töpfe mit unterschiedlichen Anforderungen und Finanzierungsmöglichkeiten“, sagte Edwards.
Aus Kreisen der S&D-Fraktion hieß es vor dem Treffen mit Ursula von der Leyen am Dienstag, das Thema bezahlbarer Wohnraum werde dort auf der Agenda stehen. lei
Zum großen Nato-Gipfel anlässlich des 75. Bündnis-Geburtstags wird Generalleutnant Wolfgang Wien nicht nach Washington reisen. Aber die Vor- und Nachbereitungen liegen auch in seiner Verantwortung. Seit Oktober 2023 ist er Deutschlands höchster militärischer Vertreter bei der Nato und der EU in Brüssel.
Mit den Vertretern der 31 weiteren Bündnispartner arbeitet er im Militärausschuss der Nato in Brüssel daran, die politischen Entscheidungen, die auf Gipfeln wie dem in Washington getroffen werden, militärisch vorzubereiten und umzusetzen. Er arbeitet mit den anderen Nationen daran, dass alle Ressourcen zur Verfügung stehen. Die Verteidigungspläne, die die Nato als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg vor zwei Jahren erstellt und angepasst hat, sollen in die Realität umgesetzt werden. Wien kennt die Realität. “In Deutschland stehen die Soldaten vor den Kasernen keine Schlange”, sagt er dazu – und anderen Nationen ginge es ähnlich.
Um die Dringlichkeit dafür zu unterstreichen, dass sich das ändern muss, umreißt er die aktuelle geopolitische Lage: Russland, China und eine mögliche zweite Amtszeit Donald Trumps – all dies seien Herausforderungen für das Bündnis, die aus seiner Sicht deutlich mehr Investitionen in die Verteidigung erfordern. Wien versucht nicht, die Situation zu beschönigen.
Trump sei eine Herausforderung – er selbst war während der ersten Amtszeit Trumps in Brüssel, aber unabhängig davon, wie die Wahl ausgeht, werde von vielen Seiten erwartet, dass die USA Kräfte in Europa abziehen. Der Krieg gegen Russland sei ein Krieg auf Augenhöhe. Das bedeutet “Sterben und Tod und Vernichtung”. Mit jedem Satz wird deutlicher: Hier spricht ein Soldat und kein Politiker, und zwar einer, der das große Ganze sieht.
Wie Russland, so beschreibt er auch China als Systemkonkurrenten, gegen den die westlichen Werte verteidigt werden müssten. Und auch hier versucht er nicht, die Realität zu verschleiern. “Ich hoffe nicht, dass es zu einem militärischen Konflikt in Asien kommt, aber es gibt Anzeichen, dass alles darauf hinausläuft.”
Wien war selbst dreimal im Ausland im Einsatz. Damals ging es um Krisenbewältigung, heute geht es um Bündnisverteidigung. Vor allem den Einsatz in Afghanistan bezeichnet er als eine “erfüllende Zeit”. Auch wenn der gesamte Einsatz rückblickend sicherlich kein Erfolg war, so hätten die Tätigkeiten der Multinationalen Battlegroup, die er damals als Kommandeur aufbaute und führte, doch Früchte getragen. Noch heute steht ein Kinderkrankenhaus, das er damals mit seiner Truppe aufgebaut hat. Was ihn aber vor allem stolz macht, ist, dass er alle Männer (damals war keine Frau mit im Einsatz) lebend wieder nach Hause bringen konnte. Mehrmals habe er sich gedacht: “Wenn das morgen jetzt schiefgeht, dann schreibst du den Brief an die Ehefrau.”
Seine Karriere begann Wien bei den Panzergrenadieren. Zufälle führten ihn als Büroleiter von Staatssekretär Gerd Hoofe nah an die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, bis er schließlich Vizepräsident des BND und anschließend Deutschlands höchster Soldat bei der Nato wurde. Er erklärt das auch mit “Glück”. Zur richtigen Zeit am richtigen Ort.
Wer ihm genauer zuhört, der spürt, dass dazu aber auch viel Führungsvermögen, Menschengefühl, Disziplin und auch Verzicht gehörten. Vor allem mit Blick auf die Familie scheint ihm das nicht immer leicht gefallen zu sein. Natürlich frage man sich manchmal, ob man da alles richtig gemacht habe, die richtigen Prioritäten gesetzt habe.
Seine Anwesenheit beim Nato-Gipfel hat für ihn auf jeden Fall keine Priorität. Dort ist der Platz für politische Entscheidungsträger, für große Symbole. Die Ziele des Gipfels benennt er trotzdem sehr klar. Ganz oben steht: Geschlossenheit demonstrieren. Das ist Aufgabe genug, bei 32 Nationen mit völlig unterschiedlichen Interessen. Die Worte einer politischen Abschlusserklärung danach in die Tat umzusetzen, das wird dann wieder in den Hauptstädten und bei ihm und den Kollegen in Brüssel liegen. Wilhelmine Preußen
Gerade erst wurde er ins Europaparlament gewählt, schon sieht sich Fidias Panayiotou als der “demokratischste Politiker”. Das Social-Media-Phänomen aus Zypern hat über 2,6 Millionen Abonnenten bei Youtube. Dort wurde Panayiotou berühmt mit Clips, in denen er sieben Tage ohne Geld auf einem Flughafen wohnt, gefährliche Sportarten ausprobiert oder wochenlang darauf hinarbeitet, sein Idol Elon Musk zu umarmen.
Bei der Europawahl kam Panayiotou aus dem Stand auf über 19 Prozent der Stimmen und damit auf einen Sitz im Europaparlament. Das ist auch deswegen bemerkenswert, weil völlig unklar ist, wo sich der 24-Jährige politisch verortet.
Die Entscheidung, ob er sich einer Fraktion anschließt, hat er nun seinen Followern überlassen. Wie er in einem Video mitteilte, sei er nach “langen Gesprächen” den Grünen zugeneigt gewesen und habe dann bei Tiktok darüber abstimmen lassen, ob er zu den Grünen gehen oder fraktionslos bleiben solle. Eine deutliche Mehrheit habe für die Fraktionslosigkeit gestimmt. Dem sei er nun nachgekommen. In seinen Augen repräsentiert das eine direktere Demokratie für die Menschen.
Wer die hochgelobte Serie “Parlament” gesehen hat, dürfte sich an die Figur des Captain Europe aus der dritten Staffel erinnert fühlen. Im blauen Ganzkörperanzug versucht der von Lucas Englander verkörperte Abgeordnete, radikal direkte Demokratie zu leben. Von seinem Smartphone, das er stets am Handgelenk trägt, will er in jeder Situation unmittelbar die Forderungen seiner Follower umsetzen, muss dann aber feststellen, dass dabei ziemlicher Blödsinn herauskommen kann.
Zehn Prozent der Menschen seines Landes hätten sich an der Umfrage beteiligt, sagt Panayiotou. Dass eine Umfrage bei Tiktok alles andere als repräsentativ ist, unterschlägt er großzügig. Ohne Fraktion verzichtet Panayiotou auf Einfluss im Parlament, wichtige Aufgaben in den Ausschüssen bleiben Fraktionslosen vorenthalten, sie sind somit so gut wie gar nicht an der Gesetzgebung beteiligt. Das zu erklären, wäre aber wohl zu mühsam in einem Tiktok-Clip. Sarah Schaefer
das Linksbündnis Nouveau Front Populaire (NFP) will nach seinem Sieg bei den Parlamentswahlen in Frankreich den Premierminister stellen, inzwischen wagen sich weitere Kandidaten aus der Deckung. Der Vorsitzende der Sozialistischen Partei, Olivier Faure, erklärte am Dienstag, er sei “bereit, dieses Amt zu übernehmen”. Aus Sicht seiner Verbündeten könnte Faure als gemäßigter Politiker die Lage beruhigen, zugleich genieße der erfahrene Abgeordnete den Respekt der anderen Partner im Bündnis.
Das Linksbündnis drängt Präsident Emmanuel Macron, einen neuen Regierungschef aus ihren Reihen zu nominieren. Der Präsident solle sich “ab sofort” an die NFP wenden und ihr den Regierungsauftrag erteilen, fordert das Bündnis in einer Erklärung. Die NFP-Parteien wollen trotz fehlender absoluter Mehrheit allein regieren und verhandeln derzeit unter Hochdruck, wen sie als Premier vorschlagen. Vertreter von La France Insoumise (LFI) beanspruchten am Dienstag den Posten erneut für die Linksaußen-Partei, die innerhalb des Bündnisses etwas mehr Abgeordnete stellt als die Sozialisten. Ihr Anführer Jean-Luc Mélenchon ist in den anderen Parteien aber nicht vermittelbar; als Alternative wird die LFI-Abgeordnete Clémence Guetté gehandelt.
Der ehemalige Premierminister Édouard Philippe forderte in einem Interview auf France 2 dazu auf, einen Mitte-Rechts-Block zu bilden. Auch der ehemalige Premierminister Jean-Pierre Raffarin drängte die gaullistischen Les Républicains (LR), mit Macrons Lager zusammenzuarbeiten. Gemeinsam kämen die zentristischen Blöcke auf 222 Abgeordnete, 40 mehr als das Linksbündnis. “Es heißt LR oder LFI”, warnte Raffarin mit Blick auf die Linksaußen. Allerdings müssen sich die Republikaner angesichts der Spaltung vor der Wahl erst selbst finden. Diskutiert wird unter anderem eine Neugründung unter anderem Namen.
Eine Woche vor der konstituierenden Sitzung sortiert sich das Europaparlament. Die Fraktionen verständigten sich am Dienstag weitgehend auf die Verteilung der wichtigsten Ämter. Dazu zählen insbesondere die 14 Vizepräsidentenposten und der Vorsitz in den 20 Ausschüssen. Die Ausschussvorsitzenden haben viel Macht, sie setzen die Agenda und haben eine führende Rolle in den Trilogen mit Rat und Kommission.
Bei den Vizepräsidenten stehen zwei Kandidatinnen aus Deutschland fest. Sabine Verheyen (CDU) tritt die Nachfolge von Rainer Wieland (CDU) an, der seit 2009 EP-Vize war und den Sprung ins Europaparlament nicht mehr geschafft hat. Die Politikerin aus Nordrhein-Westfalen setzte sich bei einer internen Abstimmung knapp gegen Andreas Schwab aus Baden-Württemberg durch. Die CDU-Abgeordneten aus NRW pochten darauf, diesmal besser abzuschneiden als die Baden-Württemberger, die zuletzt viele Führungspositionen innehatten.
Bei den Sozialdemokraten tritt Katarina Barley wieder an, die SPD-Politikerin war schon in der vergangenen Wahlperiode Vizepräsidentin. Ob Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) Vizepräsidentin werden will, ist noch nicht klar. Sie würde den Vorsitz im Verteidigungsausschuss vorziehen, wenn dieser ein Vollausschuss würde und Kompetenzen vom Industrieausschuss bekäme. Doch danach sah es gestern nicht aus: Die Verhandlungen über die Aufwertung des Verteidigungsausschusses (SEDE) seien gescheitert, hieß es im Parlament.
Bei der Vergabe der Chefposten in den Ausschüssen hat Bernd Lange gute Aussichten, erneut Vorsitzender des Handelsausschusses zu werden. Der SPD-Abgeordnete leitet den INTA bereits seit zehn Jahren. Dagegen muss die CDU/CSU-Gruppe in der neuen Legislaturperiode voraussichtlich kürzertreten.
Bislang stellte sie in vier Ausschüssen den Vorsitz. Nur David McAllister, Chef des Auswärtigen Ausschusses (AFET), darf weitermachen, wie es hieß. Der Agrarausschuss (AGRI), den bislang Norbert Lins geleitet hatte, geht dem Vernehmen nach an die nationalkonservative EKR-Fraktion, ebenso wie der Haushaltsausschuss (BUDG). Womöglich erhält die CDU/CSU-Gruppe noch der Vorsitz im Verfassungs- (AFCO) sowie im Rechnungsprüfungsausschuss (CONT). Das soll erst nächste Woche entschieden werden.
Zunächst hieß es, dass die Ausschüsse mit gesetzgeberischer Kompetenz Priorität für die EVP haben sollten, die bei der Verteilung nach dem D’Hondt-Verfahren insgesamt sechs Vollausschüsse und einen Unterausschuss gezogen hat. Im Umweltausschuss etwa wird die Rückabwicklung des Verbrenner-Aus entschieden, der Industrie- sowie der Agrarausschuss behandeln zentrale politische Themen der Union. Am Ende blieb den deutschen Christdemokraten vor allem der zwar prestigeträchtige, aber für die Gesetzgebungsarbeit unerhebliche Auswärtige Ausschuss.
Den Vorsitz im einflussreichen Industrieausschuss (ITRE) sicherte sich die polnische EVP-Delegation. Der für Innen- und Justizpolitik zuständige LIBE geht an die spanische Partido Popular. Zunächst hatte die EKR den unter anderem für die Asylpolitik zuständigen Ausschuss beansprucht, sie tauschte den Posten aber mit der EVP gegen den Vorsitz im AGRI, wie es im Parlament hieß.
Die zweitgrößte Fraktion der Sozialdemokraten hat fünf Ausschüsse gezogen. Der Wirtschafts- und Währungsausschuss (ECON) wird voraussichtlich erneut von der französischen Abgeordneten Aurore Lalucq geleitet. Auch der in der vergangenen Legislatur wichtige Ausschuss für Umwelt und Gesundheit (ENVI) soll an die italienischen Sozialdemokraten gehen, an wen ist noch unklar. Das Portfolio des ENVI bleibt allerdings, anders als zuletzt erwartet, das gleiche wie bislang. Es wird keinen eigenen Vollausschuss für die Themen Gesundheit und Lebensmittelsicherheit geben. Sie bleiben stattdessen im Kompetenzbereich des ENVI.
Die Grünen könnten trotz ihrer Sitzverluste nach der Europawahl an Einfluss EP zulegen. Sie bekommen einen Vizepräsidenten im EU-Parlament und zwei Ausschussvorsitzende. Damit hat es für sich schon gelohnt, dass sie künftig Teil der Von-der-Leyen-Koalition mitverhandelnIn der vergangenen Legislatur hatten sie mit Anna Cavazzini den Vorsitz im Binnenmarkt-Ausschuss (IMCO) und mit der Finnin Heidi Hautala eine EP-Vizepräsidentin.
Cavazzini soll den Chefposten im IMCO behalten. Abgestimmt wird heute in der Fraktion. Zusätzlich bekommen die Grünen den Vorsitz im Menschenrechts-Ausschuss (DROI). Ein Franzose soll den Zuschlag hierfür erhalten. Damit ist auch klar, dass Michael Bloss gute Chancen hat, Chef der deutschen Gruppe der Grünen zu werden, da Cavazzini ihren Wunschposten bekommt und Sergey Lagodinsky als Fraktions-Vize bereits bedient ist.
Für die Renew-Fraktion bleibt der Vorsitz im Rechtsausschuss (JURI) und im Entwicklungsausschuss (DEVE). Zudem zogen die Liberalen den Vorsitz im Verteidigungsausschuss, der wohl Unterausschuss des Auswärtigen Ausschusses bleibt. Die Linksfraktion wiederum zog den Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten (EMPL). Diesem soll die ehemalige finnische Bildungsministerin Li Andersson vorsitzen, die im Juni mit einem Rekordresultat ins Europäische Parlament gewählt wurde.
Bei der Aufteilung nach D’Hondt hat auch die neue Rechtsaußen-Fraktion der “Patrioten für Europa” zwei Ausschüsse gezogen, den Verkehrsausschuss (TRAN) und den Ausschuss für Kultur und Bildung (CULT). Allerdings wollen die anderen Fraktionen erneut einen Cordon sanitaire um die Rechten errichten, die beiden Ausschussvorsitze werden daher voraussichtlich noch auf andere Gruppen verteilt.
Herr Thimm, kann ein wiedergewählter Präsident Trump einfach aus der Nato austreten?
Die kurze Antwort auf die Frage lautet: ja.
Niemand kann ihn daran hindern?
Da muss man zwischen der Gesetzeslage und der Praxis unterscheiden. In der Außenpolitik ist der Präsident führend. Er ist der Diplomat-in-Chief, also der oberste Diplomat, und er ist der Commander-in-Chief, also der Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Und diese Rollenzuschreibung gibt ihm die Initiative und die entscheidende Macht. Der Kongress kann auf die Außenpolitik Einfluss nehmen über den Haushalt, über die Finanzierung von diplomatischen Aktivitäten und über die Ratifizierung von Verträgen. Um Verträgen beizutreten, braucht man in der Regel die Zustimmung des Kongresses. Aber um aus Verträgen wieder auszutreten, braucht man sie de facto nicht.
Nun gab es ja in der Vergangenheit Bestrebungen im Kongress, ein Gesetz auf den Weg zu bringen, das einen Nato-Austritt ausschließt, weil man schon antizipiert hat, dass Trump vielleicht eine zweite Amtszeit bekommt. Hat das irgendwelche Wirkung?
Das interpretiere ich vor allem als politisches Signal, dass der Kongress nicht einverstanden wäre damit, wenn Trump den Nato-Vertrag aufkündigen würde. Das war ja eine überparteiliche Gesetzesinitiative. Auch da gilt: Der rechtliche Status eines solchen Gesetzes ist ungeklärt. Wir wissen auch von Donald Trump, dass er es mit den Gesetzen manchmal nicht so genau nimmt. Und: Das Gesetz müsste gerichtlich geprüft werden. Das würde lange dauern. Ob es dann praktisch durchgesetzt würde, selbst wenn der Kongress vor Gericht Recht bekommen würde, wäre noch eine ganz andere Frage.
Der politische Schaden wäre dann ja schon angerichtet. Er müsste also gar nicht unbedingt austreten?
Ich würde es nicht vollständig ausschließen, aber ich halte es für nicht wahrscheinlich. Die größere Gefahr sehe ich darin, dass er die Glaubwürdigkeit der Allianz unterminiert, dass er die Beistandsklausel, den Artikel 5 des Nato-Vertrages, infrage stellt. Dass er die nukleare Abschreckung der USA für die Nato-Mitglieder – also auch für Deutschland – infrage stellt. Damit schafft er Unsicherheit und gibt anderen – zum Beispiel Russland – die Chance auszutesten, wie weit der Beistand der USA reicht.
Das hat er bereits gemacht.
Genau, er hat sich tatsächlich schon dahingehend geäußert, dass sich diejenigen, die nicht ihrer Selbstverpflichtung, zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben, nicht auf die USA verlassen können. Er hat das in der letzten Zeit wieder etwas relativiert und behauptet, er hätte das nur aus taktischen Gründen gesagt, um eben die Nato-Verbündeten dazuzubekommen, dass sie sich an ihre Selbstverpflichtung halten. Aber da bin ich nicht so sicher.
Würde es nicht Widerstand geben, wenn er dieses Bündnis infrage stellt, auch von Seiten der Republikaner?
Die Republikaner haben sich in letzter Zeit als äußerst flexibel erwiesen und sehr viele von Trumps Positionen, die sie vorher überhaupt nicht vertreten haben, einfach übernommen. Also auch die ganze Haltung gegenüber Russland in der Republikanischen Partei hat sich ja erst durch Trump radikal geändert. Von einer Partei, die eigentlich immer Hardliner gegenüber Russland war und die Demokraten dafür kritisiert hat, dass sie zu verständnisvoll waren. Zu einer Partei, die plötzlich ganz viel Verständnis für Putins Russland hat. Aber ich glaube, der Austritt aus der Nato würde auch vielen Republikanern zu weit gehen. Er würde über die Parteigrenzen hinweg sehr deutlichen Widerstand provozieren. Aus dem außen- und sicherheitspolitischen Establishment und auch aus dem Militär.
Normalerweise neigt das amerikanische Militär nicht zur Rebellion.
Den Generälen ist sehr wohl bewusst, dass die Nato eben nicht nur ein altruistisches Geschenk an die Verbündeten ist, sondern ein ganz wichtiges Asset für die USA. Die Nato ist ein Machtverstärker, der den Einfluss der USA sowohl militärisch als auch diplomatisch in der Welt vergrößert. Die amerikanischen Stützpunkte in Europa dienen als Basis für den gesamten Nahen Osten, für Afrika und sind auch nicht so ohne Weiteres verzichtbar. Ich glaube tatsächlich, als Commander-in-Chief könnte er das befehlen und das Militär würde dann den Befehl umsetzen. Also die Rebellion würde es im Vorfeld geben.
Es gilt als gesichert, dass der damalige Generalsstabschef Mark Milley beim Sturm auf das Kapitol im Januar 2021 geheime Vorkehrungen getroffen haben soll, Trumps Zugriff auf die Atomwaffen einzuschränken. Würde die Militärführung bei einem Nato-Austritt eingreifen?
Nicht im Sinne von Befehlsverweigerung, da gilt das Primat der Politik. Aber da würde dann ganz Washington mobilisiert werden, um dagegen aufzuschreien! Deswegen glaube ich auch tatsächlich, dass dieser formale Austritt nicht erfolgen würde. Aber wie gesagt, alles, was darunter ist, da kann er den Schaden anrichten, bevor jemand etwas dagegen tun kann.
Johannes Thimm ist stellvertretender Forschungsgruppenleiter Amerika der Stiftung Wissenschaft und Politik. Er beschäftigt sich wissenschaftlich mit den USA, transatlantischen Beziehungen und den Vereinten Nationen.
Nach dem Rauswurf aus der bisherigen ID-Fraktion kann die AfD wohl noch eine neue Gruppe im Europaparlament zusammenstellen. Der Fraktion “Europa der souveränen Nationen” sollen neben 14 deutschen Abgeordneten auch 15 weitere MEPs aus sieben Mitgliedstaaten angehören, wie es aus Kreisen der AfD-Parteiführung hieß. Darunter sind unter anderem Abgeordnete der polnischen Konfederacja, Se Acabó La Fiesta aus Spanien und der französischen Reconquête von Éric Zemmour. Der AfD-Spitzenkandidat bei der Europawahl, Maximilian Krah, wird nicht Teil der Fraktion sein. Er war nach der Europawahl von seinen Parteikollegen aus der AfD-Delegation ausgeschlossen worden.
Die AfD würde damit rechtsextreme Kräfte zusammenbringen, die bei der neuen Fraktion “Patrioten für Europa” außen vor geblieben sind. Viktor Orbán und Marine Le Pen hatten eine Zusammenarbeit mit der AfD abgelehnt, weil ihnen die deutschen Rechtsaußen zu extrem waren. Für die Bildung einer Fraktion sind mindestens 23 Abgeordnete aus sieben Mitgliedstaaten erforderlich. Eine Fraktionsangehörigkeit bringt organisatorische und finanzielle Vorteile mit sich. tho/fk
Langsam füllen sich die Sitze der nächsten EU-Kommission mit potenziellen Kandidaten. Zu Beginn dieser Woche entschied die schwedische Regierung, dass ihre aktuelle Ministerin für EU-Angelegenheiten und nordische Kooperation Jessika Roswall Schwedens neue EU-Kommissarin werden soll.
Roswall gehört wie Premierminister Ulf Kristersson der konservativen “Moderata samlingspartiet” (Moderate Sammlungspartei) an und würde die aktuelle schwedische Kommissarin Ylva Johansson ablösen. Die Sozialdemokratin ist Kommissarin für innere Sicherheit und Migration.
Auch der belgische EU-Kommissar Didier Reynders meldete seine Ambitionen für einen Sitz in der nächsten Kommission an. Der aktuelle Justizkommissar hatte sich zuvor um den Job als Generalsekretär des Europarats beworben, war aber vor zwei Wochen dem ehemaligen Schweizer Bundesrat Alain Berset unterlegen. Nun will sich Reynders also mit dem Posten als EU-Kommissar zufriedengeben.
Reynders Partei, das liberale “Mouvement Réformateur” (MR), hat dank eines starken Wahlergebnisses bei den belgischen Wahlen gute Chancen, den EU-Kommissar weiterhin zu stellen. Dem ehemaligen Vize-Premier und langjährigen belgischen Minister könnte höchstens noch Konkurrenz aus den eigenen Reihen im Weg stehen. Wenn die beliebte ehemalige Premierministerin Sophie Wilmès sich dazu entscheidet, für den Kommissionsposten zu kandidieren, dürfte es eng werden für Reynders.
Nach der Nominierung durch ihre Regierungen müssen die Kommissionskandidaten noch durch das Europäische Parlament bestätigt werden. Welches Dossiers sie übernehmen werden, ist noch unklar.
Die Sicherheitslage in Europa erfordert nach Auffassung von Digital Europe einen neuen Verteidigungsansatz. Mit digitalen Innovationen stünden entscheidende Waffen zur Verteidigung zur Verfügung, heißt es im aktuellen Report “Europa, eine sichere und digitale Weltmacht: Empfehlungen für die Digitalisierung der Verteidigung”. Demnach sind digitale Technologien der Schlüssel zur Transformation der Verteidigungsfähigkeiten der EU.
Der Lobbyverband Digital Europe vertritt die Interessen einer Vielzahl führender Technologieunternehmen, einschließlich Google, Microsoft, Apple und Huawei, die oft als “Big Tech” bezeichnet werden. Darüber hinaus sind prominente europäische Unternehmen wie Siemens, Nokia und Philips ebenfalls Mitglieder im Verband.
Der Report unterstreicht die zentrale Rolle digitaler Technologien wie Künstlicher Intelligenz (KI), Big Data und Cloud-Computing. Diese Innovationen könnten nicht nur die Verteidigungsfähigkeiten Europas verbessern, sondern auch dessen Reaktionsfähigkeit auf neue Bedrohungen erhöhen. Die jüngsten Konflikte, insbesondere der Krieg in der Ukraine, verdeutlichten die Bedeutung von technologischer Zusammenarbeit zwischen Regierungen und Privatwirtschaft.
Zu den wichtigsten Empfehlungen des Reports zählt eine Zuweisung von 25 Prozent der EU- und NATO-Mittel für digitale Technologien. Der Bericht fordert zudem einen einheitlichen EU-Verteidigungsmarkt, da fragmentierte nationale Beschaffungsprogramme den Fortschritt behinderten. Die jüngste Initiative über die Einrichtung eines Instruments zur Stärkung der europäischen Verteidigungsindustrie durch gemeinsame Beschaffung (EDIRPA) sei ein Schritt in die richtige Richtung, jedoch seien weitergehende Maßnahmen notwendig, um das volle Potenzial Europas auszuschöpfen.
Standardisierung und Interoperabilität stellen nach Meinung der Autoren weitere Schlüsselfaktoren dar. Unterschiedliche Digitalisierungsniveaus in den Mitgliedstaaten schafften Interoperabilitätsprobleme. Der Bericht schlägt vor, das High-Level Forum on European Standardisation auf Dual-Use-Technologien auszuweiten, um die Standardisierungsbemühungen zu vereinfachen und Skaleneffekte zu erzielen.
Der Bericht identifiziert zehn Schlüsseltechnologien, die Europas Sicherheitslage in Zukunft prägen werden:
Diese Technologien böten einen umfassenden Werkzeugkasten, um die Verteidigungsfähigkeiten der EU zu transformieren und sie besser auf zukünftige Bedrohungen vorzubereiten. vis
Der EU-Dachverband Housing Europe fordert, dass das Thema bezahlbarer Wohnraum in der aktuellen Debatte um die strategische Agenda mehr Beachtung findet. “Erschwinglicher Wohnraum für Beschäftigte ist auch für die Wettbewerbsfähigkeit von zentraler Bedeutung. Viele Arbeitnehmer haben bereits Schwierigkeiten, eine Wohnung zu finden – vor allem in städtischen Gebieten”, sagte die Generalsekretärin von Housing Europe Sorcha Edwards zu Table.Briefings. Der Dachverband Housing Europe vereint nationale und regionale Verbände des öffentlichen, genossenschaftlichen und sozialen Wohnungsbaus auf europäischer Ebene.
Laut Eurostat sind Mieten seit 2010 im EU-Schnitt um ein Fünftel (21 Prozent) teurer geworden. Noch drastischere Preisanstiege gibt es bei den Immobilienpreisen – diese sind in den vergangenen 13 Jahren um fast die Hälfte (46 Prozent) gestiegen. Gerade in Großstädten und Ballungsräumen sind die Preissteigerungen noch deutlicher. Derzeit werde das Thema Wettbewerbsfähigkeit allerdings hauptsächlich unter geostrategischen Gesichtspunkten oder in Fragen der Technologie diskutiert, sagte Edwards.
Das Thema Wohnen ist Sache der Mitgliedstaaten. Dennoch verfügt die EU über einige Instrumente, um nationale Wohnbauprogramme anzukurbeln – etwa über Förderprogramme und Zugang zur Finanzierung. Zuletzt war das Thema Wohnen auch im Wahlkampf der Linken, Grünen und Sozialdemokraten prominent thematisiert worden.
Rückenwind bekommt die Forderung von Housing Europe auch vom sogenannten “Letta-Report” zur Lage des Binnenmarkts, der das Thema im Frühjahr als drängendes Handlungsfeld identifizierte. Der Bericht argumentiert, dass der Mangel an bezahlbaren Wohnraum sowohl für die Personenfreizügigkeit als auch für das “Recht zu bleiben” eine Gefahr sei – und damit eine Bedrohung für das Funktionieren des Binnenmarkts.
Der Verband Housing Europe fordert insgesamt 57 Milliarden an zusätzlichen Geldern für bezahlbaren Wohnraum und 15 Milliarden für Renovierungen und energetische Sanierungen. “Die Mittel müssen nicht alle vom Staat kommen, sondern sollten genutzt werden, um private Mittel für mehr sozialen, öffentlichen und genossenschaftlichen Wohnungsbau zu mobilisieren.”
Zudem solle das Thema Wohnen Priorität bekommen: “Idealerweise mit einer Taskforce, die von einem Vizepräsidenten der Kommission geleitet wird“, sagt Edwards. Diese sollte regelmäßig die relevanten Interessengruppen zusammenbringen. Denn: Ein Problem der derzeitigen EU-Wohnungspolitik sei die mangelnde Kohärenz, betont die Housing Europe-Generalsekretärin. Das zeige sich auch darin, dass es in Ländern mit einem kleineren öffentlichen oder gemeinnützigen Wohnungssektor schwierig sei, Zugang zu den entsprechenden Programmen zu bekommen. “Derzeit gibt es allein 19 verschiedene Töpfe mit unterschiedlichen Anforderungen und Finanzierungsmöglichkeiten“, sagte Edwards.
Aus Kreisen der S&D-Fraktion hieß es vor dem Treffen mit Ursula von der Leyen am Dienstag, das Thema bezahlbarer Wohnraum werde dort auf der Agenda stehen. lei
Zum großen Nato-Gipfel anlässlich des 75. Bündnis-Geburtstags wird Generalleutnant Wolfgang Wien nicht nach Washington reisen. Aber die Vor- und Nachbereitungen liegen auch in seiner Verantwortung. Seit Oktober 2023 ist er Deutschlands höchster militärischer Vertreter bei der Nato und der EU in Brüssel.
Mit den Vertretern der 31 weiteren Bündnispartner arbeitet er im Militärausschuss der Nato in Brüssel daran, die politischen Entscheidungen, die auf Gipfeln wie dem in Washington getroffen werden, militärisch vorzubereiten und umzusetzen. Er arbeitet mit den anderen Nationen daran, dass alle Ressourcen zur Verfügung stehen. Die Verteidigungspläne, die die Nato als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg vor zwei Jahren erstellt und angepasst hat, sollen in die Realität umgesetzt werden. Wien kennt die Realität. “In Deutschland stehen die Soldaten vor den Kasernen keine Schlange”, sagt er dazu – und anderen Nationen ginge es ähnlich.
Um die Dringlichkeit dafür zu unterstreichen, dass sich das ändern muss, umreißt er die aktuelle geopolitische Lage: Russland, China und eine mögliche zweite Amtszeit Donald Trumps – all dies seien Herausforderungen für das Bündnis, die aus seiner Sicht deutlich mehr Investitionen in die Verteidigung erfordern. Wien versucht nicht, die Situation zu beschönigen.
Trump sei eine Herausforderung – er selbst war während der ersten Amtszeit Trumps in Brüssel, aber unabhängig davon, wie die Wahl ausgeht, werde von vielen Seiten erwartet, dass die USA Kräfte in Europa abziehen. Der Krieg gegen Russland sei ein Krieg auf Augenhöhe. Das bedeutet “Sterben und Tod und Vernichtung”. Mit jedem Satz wird deutlicher: Hier spricht ein Soldat und kein Politiker, und zwar einer, der das große Ganze sieht.
Wie Russland, so beschreibt er auch China als Systemkonkurrenten, gegen den die westlichen Werte verteidigt werden müssten. Und auch hier versucht er nicht, die Realität zu verschleiern. “Ich hoffe nicht, dass es zu einem militärischen Konflikt in Asien kommt, aber es gibt Anzeichen, dass alles darauf hinausläuft.”
Wien war selbst dreimal im Ausland im Einsatz. Damals ging es um Krisenbewältigung, heute geht es um Bündnisverteidigung. Vor allem den Einsatz in Afghanistan bezeichnet er als eine “erfüllende Zeit”. Auch wenn der gesamte Einsatz rückblickend sicherlich kein Erfolg war, so hätten die Tätigkeiten der Multinationalen Battlegroup, die er damals als Kommandeur aufbaute und führte, doch Früchte getragen. Noch heute steht ein Kinderkrankenhaus, das er damals mit seiner Truppe aufgebaut hat. Was ihn aber vor allem stolz macht, ist, dass er alle Männer (damals war keine Frau mit im Einsatz) lebend wieder nach Hause bringen konnte. Mehrmals habe er sich gedacht: “Wenn das morgen jetzt schiefgeht, dann schreibst du den Brief an die Ehefrau.”
Seine Karriere begann Wien bei den Panzergrenadieren. Zufälle führten ihn als Büroleiter von Staatssekretär Gerd Hoofe nah an die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, bis er schließlich Vizepräsident des BND und anschließend Deutschlands höchster Soldat bei der Nato wurde. Er erklärt das auch mit “Glück”. Zur richtigen Zeit am richtigen Ort.
Wer ihm genauer zuhört, der spürt, dass dazu aber auch viel Führungsvermögen, Menschengefühl, Disziplin und auch Verzicht gehörten. Vor allem mit Blick auf die Familie scheint ihm das nicht immer leicht gefallen zu sein. Natürlich frage man sich manchmal, ob man da alles richtig gemacht habe, die richtigen Prioritäten gesetzt habe.
Seine Anwesenheit beim Nato-Gipfel hat für ihn auf jeden Fall keine Priorität. Dort ist der Platz für politische Entscheidungsträger, für große Symbole. Die Ziele des Gipfels benennt er trotzdem sehr klar. Ganz oben steht: Geschlossenheit demonstrieren. Das ist Aufgabe genug, bei 32 Nationen mit völlig unterschiedlichen Interessen. Die Worte einer politischen Abschlusserklärung danach in die Tat umzusetzen, das wird dann wieder in den Hauptstädten und bei ihm und den Kollegen in Brüssel liegen. Wilhelmine Preußen
Gerade erst wurde er ins Europaparlament gewählt, schon sieht sich Fidias Panayiotou als der “demokratischste Politiker”. Das Social-Media-Phänomen aus Zypern hat über 2,6 Millionen Abonnenten bei Youtube. Dort wurde Panayiotou berühmt mit Clips, in denen er sieben Tage ohne Geld auf einem Flughafen wohnt, gefährliche Sportarten ausprobiert oder wochenlang darauf hinarbeitet, sein Idol Elon Musk zu umarmen.
Bei der Europawahl kam Panayiotou aus dem Stand auf über 19 Prozent der Stimmen und damit auf einen Sitz im Europaparlament. Das ist auch deswegen bemerkenswert, weil völlig unklar ist, wo sich der 24-Jährige politisch verortet.
Die Entscheidung, ob er sich einer Fraktion anschließt, hat er nun seinen Followern überlassen. Wie er in einem Video mitteilte, sei er nach “langen Gesprächen” den Grünen zugeneigt gewesen und habe dann bei Tiktok darüber abstimmen lassen, ob er zu den Grünen gehen oder fraktionslos bleiben solle. Eine deutliche Mehrheit habe für die Fraktionslosigkeit gestimmt. Dem sei er nun nachgekommen. In seinen Augen repräsentiert das eine direktere Demokratie für die Menschen.
Wer die hochgelobte Serie “Parlament” gesehen hat, dürfte sich an die Figur des Captain Europe aus der dritten Staffel erinnert fühlen. Im blauen Ganzkörperanzug versucht der von Lucas Englander verkörperte Abgeordnete, radikal direkte Demokratie zu leben. Von seinem Smartphone, das er stets am Handgelenk trägt, will er in jeder Situation unmittelbar die Forderungen seiner Follower umsetzen, muss dann aber feststellen, dass dabei ziemlicher Blödsinn herauskommen kann.
Zehn Prozent der Menschen seines Landes hätten sich an der Umfrage beteiligt, sagt Panayiotou. Dass eine Umfrage bei Tiktok alles andere als repräsentativ ist, unterschlägt er großzügig. Ohne Fraktion verzichtet Panayiotou auf Einfluss im Parlament, wichtige Aufgaben in den Ausschüssen bleiben Fraktionslosen vorenthalten, sie sind somit so gut wie gar nicht an der Gesetzgebung beteiligt. Das zu erklären, wäre aber wohl zu mühsam in einem Tiktok-Clip. Sarah Schaefer