“Europa braucht ein stärkeres Kapitalmarktsystem und ein einheitlicheres Bankensystem”, sagte Larry Fink gestern beim Berlin Global Dialogue. Der Blackrock-Chef spricht damit aus, was bei der hochkarätig besetzten Konferenz in der Berliner Elite-Hochschule ESMT weitgehend Konsens ist: Europas Unternehmen brauchen besseren Kapitalzugang, damit der alte Kontinent wettbewerbsfähig bleibt.
Für Frust sorgt daher, dass die politischen Diskussionen unter den EU-Staaten über die Kapitalmarktunion seit Jahren fruchtlos verlaufen. Christian Lindner macht nun Hoffnung: “Es wird sehr bald Fortschritte geben”, sagte der Bundesfinanzminister auf der Konferenz. Konkret nennt er ein EU-weites (28.) Insolvenzrechtsregime und neue Impulse für den Verbriefungsmarkt.
In Regierungskreisen heißt es, die EU-Kommission habe bereits einen Vorschlag in der Schublade, um die Verbriefungen von Bankkrediten zu erleichtern. Dies soll den Banken mehr Spielraum in ihren Bilanzen geben, um weitere Kredite an Unternehmen zu vergeben. Die Konsultation der Branche könne in Kürze beginnen, heißt es. In Berlin hält man es für realistisch, die neue Gesetzgebung bereits im zweiten oder dritten Quartal 2025 in Rat und Europaparlament zu beschließen.
Etwas länger dauern dürfte es demnach, ein 28. Insolvenzrechtsregime aufzusetzen. Das BMF arbeitet bereits seit einigen Monaten an der Idee spezifischer neuer EU-Insolvenzregeln, die Anleiheemittenten als Alternative zu den jeweiligen nationalen Regeln wählen können. Inzwischen habe das Bundesjustizministerium zugestimmt, diesen Weg weiterzuverfolgen, heißt es in Regierungskreisen. Damit könne man die Diskussion auf die europäische Ebene heben.
Die Verständigung zwischen zwei FDP-geführten Häusern ist keine Petitesse: EU-weit sind es die Justizministerien, die seit Jahrzehnten eine Harmonisierung der nationalen Insolvenzgesetze ausbremsen. Lindner hofft nun, mit dem 28. Regime eine Brücke über diese Bedenken bauen zu können. Er verspricht sich davon eine “Magnetwirkung” – sehr viele private Anbieter würden sich für dieses Modell entscheiden. Wenn es denn kommt.
Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag!
Zwischen Manfred Weber, Chef von EVP-Fraktion und -Partei, und dem Generalsekretär der Partei, Thanasis Bakolas, ist ein offener Machtkampf eskaliert. Bakolas hat am Freitag eine Mail an die Präsidiumsmitglieder verschickt, in der er Parteichef Weber rechtswidriges Verhalten vorwirft. Weber habe Tom Vandenkendelaere, einem ehemaligen belgischen MEP, gegen die Parteistatuten einen Posten verschafft und zum “Chief of Staff” gemacht. Bakolas erklärte mit der Mail, dass er wegen des Rechtsbruchs Vandenkendelaere entlassen musste. Bakolas soll mit der Mail auch den Arbeitsvertrag von Vandenkendelaere verschickt sowie Inhalte von privaten SMS verbreitet haben.
In der EVP ist nicht bekannt, was zwischen Weber und Bakolas vorgefallen ist, dass Bakolas derart verbrannte Erde hinterlässt. Weber kann Bakolas nicht entlassen, weil er von den Delegierten gewählt wurde und noch bis zum nächsten EVP-Parteitag in Valencia einen Vertrag hat. Offenbar war Bakolas klar, dass Weber ihn nicht für eine neue Amtszeit vorschlagen würde.
Bakolas war 2019 von Weber zum Generalsekretär gemacht worden. Bakolas gilt als Vertrauter des griechischen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis. Am Montag wurde in den Führungsgremien der Partei am Rande der politischen Versammlung nun zur Gesichtswahrung von Weber beschlossen, dass die Partei Vandenkendelaere wieder einstellt. Damit ist der Machtkampf zu Gunsten Webers ausgegangen. Bakolas dürfte kaltgestellt sein. Ob Weber Vandenkendelaere zum nächsten Generalsekretär vorschlagen will, ist nicht bekannt.
Als Weber 2019 auch die Führung der Partei übernahm, verpflichtete er einen neuen Generalsekretär. Er entließ auch die beiden stellvertretenden Generalsekretäre und besetzte deren Stellen nicht neu. Nun stößt Weber eine grundlegende Reform der Partei an. Bis zum Parteitag im April in Valencia soll die Reform beschlussreif sein. Derzeit laufen die Vorarbeiten. Es wird damit gerechnet, dass Weber in Valencia erneut für den Parteivorsitz kandidieren will. Ursula von der Leyen ist qua Amt als Kommissionspräsidentin Mitglied im Präsidium der EVP.
Die EVP, die ein Zusammenschluss von nationalen Parteien zu einer europäischen Parteienfamilie ist, soll schlagkräftiger und attraktiver werden. Es wird etwa überlegt, ob die politische Versammlung, in die die Mitgliedsparteien Delegierte entsenden, deutlich verschlankt und zu einem Parteipräsidium umgebaut wird. Kritiker monieren, dass die inhaltliche Arbeit in der EVP seit Jahren brachliegt. Ziel der Parteireform soll zudem sein, dass die Mitgliedsparteien bei konzertierten Kampagnen einen Mehrwert bekommen.
Wie zu hören ist, will Weber auch in der Fraktion umbauen. Mehrere Inhaber von Leitungsfunktionen seien von Weber zu Gesprächen geladen worden und erwarteten, dass sie in den nächsten Tagen neue Posten bekommen. Weber hat sich von dem Generalsekretär der EVP-Fraktion, Simon Busuttil, im Sommer getrennt. Neue Generalsekretärin wird seine bisherige Kabinettschefin Ouarda Bensouag. Busuttil hofft, dass Weber ihm noch eine Anschlussverwendung besorgt, etwa im Kabinett eines Kommissars. Unterdessen ist klar, dass Michael Hager Kabinettschef bei Wirtschaftskommissar Valdis Dombrovskis bleibt. Hager, der bereits in zwei Mandaten das Kabinett von Kommissar Günther Oettinger leitete, gilt als einflussreichster deutscher Beamter in der Kommission und koordiniert die CDU-nahen Beamten in der Kommission.
Die ehemalige niederländische EVP-Europaabgeordnete Esther de Lange wird nicht das Kabinett von Klimakommissar Wopke Hoekstra (EVP) leiten. Die Funktion übernimmt Han ten Broeke, ein ehemaliger Abgeordneter der rechtsliberalen VVD im niederländischen Parlament. Da die Christdemokraten nicht Teil der Regierung im Haag sind, hatten die beteiligten Parteien durchgesetzt, dass zumindest der Kabinettschef des niederländischen Kommissars aus den Reihen der Regierungsparteien kommt. Was de Lange machen wird, ist offen.
Ziel des neuen französischen Premierministers ist es, das Haushaltsdefizit Frankreichs bis 2025 auf fünf Prozent und bis 2029 auf drei Prozent zu senken. Das gab Barnier am Dienstag bei seiner Regierungserklärung in der französischen Nationalversammlung bekannt.
Das französische Haushaltsdefizit für 2024 wird voraussichtlich sechs Prozent betragen, was die früheren Berechnungen der Regierung und der EU-Kommission weit übertrifft. Im Mai schätzte die Kommission, dass das französische Defizit 2024 bei 5,3 Prozent des BIP liegen würde. Die französische Regierung selbst hatte eigentlich ein Defizit von 4,4 Prozent angestrebt.
Primär soll die Defizitsenkung über eine Senkung der Ausgaben geschehen. “Die Ausgaben zu kürzen bedeutet, auf magisches Geld zu verzichten, auf die Illusion, dass alles kostenlos ist, auf die Versuchung, alles zu subventionieren”, betonte er. “Im Jahr 2025 werden also zwei Drittel der Sanierungsbemühungen durch Ausgabenkürzungen zustande kommen.”
Während die linken Parteien die Haushaltskürzungen harsch kritisieren, versucht Barnier auch das Argument der Steuergerechtigkeit in seine Pläne einzubinden. Denn neben Haushaltskürzungen plant Barnier auch Steuererhöhungen. In einem angespannten sozialen und politischen Kontext in Frankreich kündigte Michel Barnier an, dass eine “Anstrengung” von großen und sehr großen Unternehmen und den wohlhabendsten Franzosen verlangt werde.
Barnier will von jenen großen Unternehmen, mit hohen Gewinnen, eine “Beteiligung an der kollektiven Sanierung verlangen”. Vorerst macht er aber keine näheren Angaben dazu, wie genau eine solche Maßnahme aussehen würde. Der ehemalige EU-Kommissar ist der Ansicht, dass die Situation “eine gezielte, zeitlich begrenzte Anstrengung erfordert”.
Seit Juli befindet sich Frankreich in einem Defizitverfahren, weil es die Defizitgrenze von drei Prozent überschreitet. Das bedeutet, dass die Regierung das strukturelle Defizit jährlich um mindestens 0,5 Prozentpunkte reduzieren muss. Noch ist unklar, ob Barniers Haushaltsvorschlag dieses Kriterium erfüllt. Die Defizitreduktion, die durch einmalige oder temporär beschränkte Steuererhöhungen erwirkt wird, zählt jedoch nicht als Reduktion des strukturellen Defizits.
Die Situation Frankreichs wird auch in Berlin genau beobachtet. “Ich bin sehr höflich, wenn ich sage, dass ich besorgt bin über die Haushaltsentwicklungen in Frankreich und Italien”, sagte Bundesfinanzminister Lindner am gestrigen Dienstag am Berlin Global Dialogue.
In einem nächsten Schritt wird die Kommission dem Rat Mitte November einen Vorschlag zu den Finanzplänen und möglichen Sanierungsschritten für die Mitgliedstaaten unterbreiten. Dann wird auch klarer, was die Kommission von Barniers Haushaltsplänen hält – vorausgesetzt Barnier bringt seinen Haushalt bis dahin durch das französische Parlament.
Den detaillierten Haushaltsplan wird Barnier voraussichtlich am 9. Oktober präsentieren. Darauf muss der Plan von der Nationalversammlung verabschiedet werden. Barnier wird auf die Stimmen des rechtspopulistischen Rassemblement National angewiesen sein.
Barniers Spielraum bleibt innenpolitisch sehr begrenzt. Beispielhaft dafür steht die Rentenreform, die im Frühjahr 2023 unter großen Schwierigkeiten vom Parlament verabschiedet wurde und in Frankreich ein heißes Eisen bleibt. Die gesamte Linke und der Rassemblement National fordern ihre Aufhebung.
Michel Barnier rief in seiner Rede vor der Nationalversammlung dazu auf, den Dialog über dieses Thema wieder aufzunehmen. Zwar hält er es für “zwingend erforderlich, das dauerhafte Gleichgewicht unserer umlagefinanzierten Rentensysteme zu wahren”, erklärte aber, dass “einige Grenzen des am 15. April 2023 verabschiedeten Gesetzes korrigiert werden können“. “Wir schlagen den Sozialpartnern vor, über vernünftige und gerechte Anpassungen des Gesetzes nachzudenken”, sagte er.
Das andere brennende politische Thema Frankreichs ist die Kaufkraft. In diesem Zusammenhang kündigte Michel Barnier die Erhöhung des Mindestlohns “um zwei Prozent ab dem 1. November” an. Während der Mindestlohn in den vergangenen Jahren nur mechanisch mit der Inflation gestiegen war, ist dies die erste reale Mindestlohnerhöhung seit Langem. Der Mindestlohn (smic) beträgt heute 1398,70 Euro netto (1766,92 Euro brutto).
Die Anhörungen der Bewerber für die Kommissarsposten sollen am 4. November beginnen. Wenn die Anhörungen planmäßig verlaufen und keine Nachbesetzungen nötig werden, kann das Europaparlament in der Sitzungswoche vom 25. November in Straßburg über die Zustimmung zur Von-der-Leyen-Kommission II abstimmen. Das wäre 47 Tage, nachdem die Kommissionspräsidentin ihren Vorschlag für die Portfolios vorgelegt hat. 2019 hatte das Europaparlament 59 Tage später abgestimmt.
Den Zeitplan für die Anhörungen schlagen die Chefs der Ausschüsse den Fraktionsvorsitzenden (COP) vor. Die COP soll dies an diesem Mittwoch um 16 Uhr beschließen. Bei den Kompetenzen der Ausschüsse für die Anhörungen hat es noch einige Änderungen gegeben. Die Kommissare sollen jeweils zwei schriftliche Fragen vor der Anhörung beantworten. Darin sollen sie Auskunft geben zu ihren allgemeinen Kompetenzen, ihrer persönlichen Unabhängigkeit für das Amt sowie wie sie sich die Kooperation mit dem Parlament vorstellen.
Seit Montag liegen die Erklärungen der künftigen Kommissare zu finanziellen Interessen beim Rechtsausschuss des Parlaments. Die Mitglieder des Ausschusses beraten anhand der Erklärungen am Donnerstag, ob sie Interessenskonflikte mit den jeweiligen Portfolios der Kandidaten sehen. Wie zu hören ist, zeichnen sich bereits jetzt Nachfragen ab. Auch deswegen sei es sinnvoll, wenn die Anhörungen nicht bereits am 14. Oktober beginnen, wie erwogen war, heißt es im Parlament. mgr
Deutschland bleibt skeptisch gegenüber den Zusatzzöllen der Europäischen Union auf importierte Elektrofahrzeuge aus China. Berlin hofft noch immer auf eine Verhandlungslösung vor der Abstimmung der Mitgliedstaaten am Freitag.
Deutschland habe noch nicht entschieden, wie es über die Einführung der Zusatzzölle abstimmen werde, sagte Jörg Kukies, der Chefwirtschaftsberater von Bundeskanzler Olaf Scholz, am Dienstag in einem Interview mit Bloomberg TV. “Wir sind sehr stark in globalen Lieferketten integriert, daher halten wir Zölle von vornherein nicht für eine gute Idee”, sagte Kukies und betonte, dass deutsche Autohersteller “immer noch sehr stark nach China exportieren”. Kukies weiter: “Eine Verhandlungslösung wäre der Einführung von Zöllen definitiv vorzuziehen, egal wie hoch diese ausfallen.”
Kukies sagte gegenüber Bloomberg TV, dass Deutschland den Zollvorschlag der EU-Kommission prüfe, während die Gespräche zwischen den zuständigen Ministerien in Berlin über eine einheitliche Position noch andauern und bis Donnerstag abgeschlossen sein sollten. “Wir sehen, dass es aufgrund der Struktur des Vorschlags immer mehr skeptische Stimmen gibt.”
Aus EU-Kreisen war am Dienstag jedoch zu vernehmen, dass Berlin am Freitag mit “Nein” stimmen werde. Deutschland gehe zudem davon aus, dass sich eine beträchtliche Anzahl von EU-Mitgliedstaaten bei der Abstimmung am Freitag der Stimme enthalten werde, heißt es. Scholz und der französische Präsident Emmanuel Macron berieten sich am Mittwoch in Berlin zu dem Thema. Paris gilt als einer der Hauptinitiatoren hinter den Zusatzzöllen. ari
Die Gewerkschaften erhöhen den Druck auf die neue Kommission bei der sozialen Reform der Vergaberichtlinie. Mehrere Hundert Beschäftigte aus neun verschiedenen Ländern haben am Dienstag in Brüssel für bessere Arbeitsbedingungen in Jobs im Auftrag der öffentlichen Hand demonstriert. “Die Vergaberichtlinie muss klarstellen, dass Tarifverträge bei öffentlichen Ausschreibungen als Voraussetzung für eine Auftragsvergabe genommen werden können”, sagte Oliver Roethig, Regionalsekretär der europäischen Dienstleistungsgewerkschaft Uni Europa, am Dienstag Table.Briefings. Bisher gebe es in der Hinsicht gerade in kleineren Städten und Kommunen Unsicherheiten.
Roethigs Wunsch: Dass die Vergaberichtlinie sogar um eine Tariftreuepflicht ergänzt wird. Entsprechende Klauseln werden derzeit schon in mehreren deutschen Bundesländern angewandt. Auf Bundesebene plant Arbeitsminister Hubertus Heil ebenfalls ein Tariftreuegesetz. Das wird derzeit von der FDP blockiert.
Die öffentliche Auftragsvergabe macht laut EU-Kommission rund 14 Prozent des BIPs der Union aus. Laut einer Untersuchung von Uni Europa wird aber die Hälfte aller öffentlichen Ausschreibungen alleine auf Grundlage des niedrigsten Preises vergeben. Unter den Demonstrierenden waren auch Beschäftigte, die über outgesourcte Dienstleister in den europäischen Institutionen arbeiten. Eine Person, die etwa im Sicherheitsbereich arbeitet, sagte gegenüber Table.Briefings, dass sie in den vergangenen Jahren immer mehr Druck spüre. Lohnerhöhungen seien zuletzt dagegen ausgeblieben. Die Person wollte nicht genannt werden.
Ursula von der Leyen hat eine Reform des Vergabegesetzes in ihren politischen Leitlinien angekündigt. Allerdings wird die Reform dort insbesondere unter den Gesichtspunkten Versorgungssicherheit und Innovation diskutiert. Explizit heißt es, dass das Gesetz künftig die Bevorzugung gewisser europäischer Produkte in strategischen Sektoren ermöglichen solle. Außerdem sollen die Regeln vereinfacht werden. Die Zuständigkeit für die Reform des Vergabegesetzes liegt beim designierten Kommissionsvize Stéphane Séjourné, der den Bereich Wohlstand und die Industriestrategie verantworten soll.
Schon am Montag hatten mehr als 100 Ökonomen, darunter Thomas Piketty und Isabella Weber, gefordert, dass von der Leyen soziale Kriterien in der Reform der Vergaberichtlinie berücksichtigen müsse. Auch die S&D-Europaparlamentarierin Gaby Bischoff sagte gegenüber Table.Briefings. “Natürlich darf dieses Geld des Steuerzahlers keine Ausbeutung finanzieren, die mittelfristig die verantwortlichen Unternehmen vom Markt verdrängt.” lei/jaa
Die französische Regierung hat die EU zu einer stärkeren Standardisierung in der Atomwirtschaft aufgerufen. “Wir sind darauf angewiesen, dass die Industrie Zeit- und Kostenpläne einhält“, sagte Laurent Kueny, Abteilungsleiter für Energie im französischen Wirtschaftsministerium, am Dienstag beim Nuclear Energy Forum der EU-Kommission in Prag. Dafür müsse die Atomindustrie umgebaut werden und ein entscheidender Punkt dabei seien technische Standards.
“Wir müssen darüber diskutieren, welche gemeinsamen Standards wir wollen“, sagte Kueny. Anderenfalls würden Hersteller durch unterschiedlichste Anforderungen für verschiedene Technologien und EU-Länder belastet. Frankreich hat die stärkste Atomindustrie in der EU, andere große Hersteller stammen aus den USA, Russland, Japan und Südkorea.
Kueny wiederholte auch Frankreichs Forderungen, sich bei den EU-Klimazielen 2040 auf Ziele zur technologieneutralen CO₂-Reduktion zu beschränken und der Atomenergie Zugang zu EU-Förderung zu gewähren. Auf Ablehnung stößt Letzteres in der Generaldirektion Energie. “Ich bin mir nicht sicher, ob wir auf die Obsession von europäischem Geld unsere gesamte Aufmerksamkeit konzentrieren sollten”, sagte der für europäische Atompolitik zuständige stellvertretende Generaldirektor Massimo Garribba. Mehr und mehr höre er aus der Wirtschaft, dass Fachkräfte mitentscheidend für die Stärkung der Atomindustrie seien. ber
Die Energieminister beraten am 15. Oktober in Luxemburg über den Beitrag des Energiesektors zur Wettbewerbsfähigkeit der EU. Grundlage seien die Empfehlungen des Draghi-Berichts, heißt es in der Tagesordnung. Lange war nicht klar, ob die ungarische Ratspräsidentschaft für den optionalen Termin wirklich ein Treffen ansetzt.
Thema werden aber auch die zuletzt starken Unterschiede bei den Strompreisen in der EU sein. In den östlichen Mitgliedstaaten und in Italien sind sie seit Monaten deutlich höher als im Rest Europas. Griechenlands Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis hatte deshalb im September in einem Brief an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen unter anderem eine bessere europäische Koordinierung bei der Planung der Infrastruktur gefordert.
Die Kommission wird den Ministern außerdem den aktuellen Stand zur Vorsorge für den Winter geben und zur Umsetzung von REPowerEU – dem Plan, mit dem die EU bis 2027 unabhängig von russischen fossilen Energien werden will. Außerdem wird der Energieminister der Ukraine, German Galushchenko, über die Versorgungssicherheit des Landes informieren. Energiekommissarin Kadri Simson hatte die EU-Staaten bereits zu verstärkter Hilfe für die Energieinfrastruktur aufgerufen. ber
Erfahrung hat die designierte Umweltkommissarin Jessika Roswall in ihrem Zuständigkeitsbereich bislang nicht gesammelt, der Lebenslauf der 51-jährigen Juristin weist keine direkten Berührungspunkte mit Umweltthemen auf. Roswall war seit 2010 Abgeordnete der Moderaten im schwedischen Parlament für den Wahlkreis Uppsala und arbeitete zu verbraucher- und verkehrspolitischen Themen. Seit 2022 war sie EU-Ministerin, in diese Zeit fiel die schwedische Ratspräsidentschaft. In der neuen Kommission soll sie nun zuständig sein für Umwelt, Wasserresilienz und eine wettbewerbsfähige Kreislaufwirtschaft.
Als Umweltkommissarin folgt Roswall auf den Litauer Virginijus Sinkevičius, einem Grünen. Der EVP, die sich zuletzt gegen mehrere Green-Deal- und Umweltgesetze aufgelehnt hat, kommt es entgegen, eine Kollegin aus den eigenen Reihen in diesem Amt zu sehen.
Roswall wird unter Wettbewerbskommissarin Teresa Ribera arbeiten, ihr wird die Generaldirektion Umwelt (DG ENV) zugeordnet sein. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat eine Reihe an Aufgaben für Roswall vorgesehen. Gemeinsam mit Exekutiv-Vize Stéphane Séjourné soll sie zuständig für ein Gesetz zur Kreislaufwirtschaft (Circular Economy Act) sein und in diesem Rahmen eine neue bioökonomische Strategie vorschlagen.
Von der Leyen beauftragt sie auch mit der Arbeit an einem Gesetzespaket für die Chemieindustrie, das eine “nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit” dieser Industrie ermöglichen, die Chemikalienverordnung REACH vereinfachen und Klarheit über den Umgang mit Ewigkeitschemikalien (PFAS) schaffen soll.
Sie soll zudem die Europäische Strategie für Wasserresilienz erarbeiten. Bereits im vergangenen Jahr hatte die Kommission eine Wasserresilienz-Initiative angekündigt, dann jedoch unter Protest von Umweltorganisationen auf unbestimmte Zeit verschoben. Von der Leyen verlangt von Roswall auch einen Beitrag zum Klima-Anpassungs-Plan, insbesondere in Bezug auf die Prävention von Waldbränden.
Auf Roswalls Aufgabenliste stehen ferner die “Naturgutschriften” (nature credits), die von der Leyen kürzlich ins Gespräch gebracht hat. Ziel ist, private Investitionen in den Umwelt- und Artenschutz zu fördern. Dieses Modell könnte ein wichtiges Element in der Agrarpolitik der kommenden Jahre werden.
Umweltpolitiker äußern teils scharfe Kritik an Roswalls Ernennung. Als schwedische Ministerin vertrat sie eine Regierung, die bei wichtigen Umweltgesetzen auf die Bremse getreten ist. So stimmte Schweden gegen das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur und enthielt sich der Stimme, als die Beschlüsse über die Verordnungen zur Entwaldung und zu den Kohlenstoffsenken (LULUCF) gefasst wurden. Dabei geht es der schwedischen Regierung vor allem um die heimische Forstwirtschaft, die sie durch die Gesetze bedroht sieht.
Die Regierungskoalition in Stockholm, angeführt von den Moderaten, wird gestützt von den rechtsextremen und EU-skeptischen Schwedendemokraten (SD). Den Schwedendemokraten gehören auch Klimawandel-Leugner an.
Die grüne Europaabgeordnete Alice Kuhnke nannte es “besorgniserregend”, dass Schweden für die Umweltarbeit in der Kommission zuständig sei. Kuhnkes Parteikollegin Isabella Lövin schlug hoffnungsvollere Töne an: “Die schwedische Regierung hat ihre Umwelt- und Klimaarbeit verraten, um die Unterstützung der SD zu gewinnen. Jessika Roswall muss das nicht tun”, sagte die Europaabgeordnete der Zeitung “ETC“. Sie hoffe, dass Roswall als Kommissarin eine ehrgeizige Umwelt- und Klimapolitik verfolgen wird.
Besonders der Umweltausschuss des Europaparlaments dürfte einige Fragen an die Schwedin haben. Pascal Canfin, liberales ENVI-Mitglied, hat bereits angekündigt, die Anhörungen zu nutzen, um “Klarheit” über Roswalls Rolle als Umweltkommissarin zu gewinnen.
Schwedens Ministerpräsident hingegen, Roswalls Parteikollege Ulf Kristersson, zeigte sich zufrieden damit, dass sein Land die Umweltkommissarin stellt – und begründete dies in einem schriftlichen Kommentar für das schwedische Fernsehen ausgerechnet mit der Forstwirtschaft, für die Roswall zuständig sei. Zur Beruhigung kritischer Stimmen dürfte diese Aussage eher nicht beitragen. Sarah Schaefer
“Europa braucht ein stärkeres Kapitalmarktsystem und ein einheitlicheres Bankensystem”, sagte Larry Fink gestern beim Berlin Global Dialogue. Der Blackrock-Chef spricht damit aus, was bei der hochkarätig besetzten Konferenz in der Berliner Elite-Hochschule ESMT weitgehend Konsens ist: Europas Unternehmen brauchen besseren Kapitalzugang, damit der alte Kontinent wettbewerbsfähig bleibt.
Für Frust sorgt daher, dass die politischen Diskussionen unter den EU-Staaten über die Kapitalmarktunion seit Jahren fruchtlos verlaufen. Christian Lindner macht nun Hoffnung: “Es wird sehr bald Fortschritte geben”, sagte der Bundesfinanzminister auf der Konferenz. Konkret nennt er ein EU-weites (28.) Insolvenzrechtsregime und neue Impulse für den Verbriefungsmarkt.
In Regierungskreisen heißt es, die EU-Kommission habe bereits einen Vorschlag in der Schublade, um die Verbriefungen von Bankkrediten zu erleichtern. Dies soll den Banken mehr Spielraum in ihren Bilanzen geben, um weitere Kredite an Unternehmen zu vergeben. Die Konsultation der Branche könne in Kürze beginnen, heißt es. In Berlin hält man es für realistisch, die neue Gesetzgebung bereits im zweiten oder dritten Quartal 2025 in Rat und Europaparlament zu beschließen.
Etwas länger dauern dürfte es demnach, ein 28. Insolvenzrechtsregime aufzusetzen. Das BMF arbeitet bereits seit einigen Monaten an der Idee spezifischer neuer EU-Insolvenzregeln, die Anleiheemittenten als Alternative zu den jeweiligen nationalen Regeln wählen können. Inzwischen habe das Bundesjustizministerium zugestimmt, diesen Weg weiterzuverfolgen, heißt es in Regierungskreisen. Damit könne man die Diskussion auf die europäische Ebene heben.
Die Verständigung zwischen zwei FDP-geführten Häusern ist keine Petitesse: EU-weit sind es die Justizministerien, die seit Jahrzehnten eine Harmonisierung der nationalen Insolvenzgesetze ausbremsen. Lindner hofft nun, mit dem 28. Regime eine Brücke über diese Bedenken bauen zu können. Er verspricht sich davon eine “Magnetwirkung” – sehr viele private Anbieter würden sich für dieses Modell entscheiden. Wenn es denn kommt.
Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag!
Zwischen Manfred Weber, Chef von EVP-Fraktion und -Partei, und dem Generalsekretär der Partei, Thanasis Bakolas, ist ein offener Machtkampf eskaliert. Bakolas hat am Freitag eine Mail an die Präsidiumsmitglieder verschickt, in der er Parteichef Weber rechtswidriges Verhalten vorwirft. Weber habe Tom Vandenkendelaere, einem ehemaligen belgischen MEP, gegen die Parteistatuten einen Posten verschafft und zum “Chief of Staff” gemacht. Bakolas erklärte mit der Mail, dass er wegen des Rechtsbruchs Vandenkendelaere entlassen musste. Bakolas soll mit der Mail auch den Arbeitsvertrag von Vandenkendelaere verschickt sowie Inhalte von privaten SMS verbreitet haben.
In der EVP ist nicht bekannt, was zwischen Weber und Bakolas vorgefallen ist, dass Bakolas derart verbrannte Erde hinterlässt. Weber kann Bakolas nicht entlassen, weil er von den Delegierten gewählt wurde und noch bis zum nächsten EVP-Parteitag in Valencia einen Vertrag hat. Offenbar war Bakolas klar, dass Weber ihn nicht für eine neue Amtszeit vorschlagen würde.
Bakolas war 2019 von Weber zum Generalsekretär gemacht worden. Bakolas gilt als Vertrauter des griechischen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis. Am Montag wurde in den Führungsgremien der Partei am Rande der politischen Versammlung nun zur Gesichtswahrung von Weber beschlossen, dass die Partei Vandenkendelaere wieder einstellt. Damit ist der Machtkampf zu Gunsten Webers ausgegangen. Bakolas dürfte kaltgestellt sein. Ob Weber Vandenkendelaere zum nächsten Generalsekretär vorschlagen will, ist nicht bekannt.
Als Weber 2019 auch die Führung der Partei übernahm, verpflichtete er einen neuen Generalsekretär. Er entließ auch die beiden stellvertretenden Generalsekretäre und besetzte deren Stellen nicht neu. Nun stößt Weber eine grundlegende Reform der Partei an. Bis zum Parteitag im April in Valencia soll die Reform beschlussreif sein. Derzeit laufen die Vorarbeiten. Es wird damit gerechnet, dass Weber in Valencia erneut für den Parteivorsitz kandidieren will. Ursula von der Leyen ist qua Amt als Kommissionspräsidentin Mitglied im Präsidium der EVP.
Die EVP, die ein Zusammenschluss von nationalen Parteien zu einer europäischen Parteienfamilie ist, soll schlagkräftiger und attraktiver werden. Es wird etwa überlegt, ob die politische Versammlung, in die die Mitgliedsparteien Delegierte entsenden, deutlich verschlankt und zu einem Parteipräsidium umgebaut wird. Kritiker monieren, dass die inhaltliche Arbeit in der EVP seit Jahren brachliegt. Ziel der Parteireform soll zudem sein, dass die Mitgliedsparteien bei konzertierten Kampagnen einen Mehrwert bekommen.
Wie zu hören ist, will Weber auch in der Fraktion umbauen. Mehrere Inhaber von Leitungsfunktionen seien von Weber zu Gesprächen geladen worden und erwarteten, dass sie in den nächsten Tagen neue Posten bekommen. Weber hat sich von dem Generalsekretär der EVP-Fraktion, Simon Busuttil, im Sommer getrennt. Neue Generalsekretärin wird seine bisherige Kabinettschefin Ouarda Bensouag. Busuttil hofft, dass Weber ihm noch eine Anschlussverwendung besorgt, etwa im Kabinett eines Kommissars. Unterdessen ist klar, dass Michael Hager Kabinettschef bei Wirtschaftskommissar Valdis Dombrovskis bleibt. Hager, der bereits in zwei Mandaten das Kabinett von Kommissar Günther Oettinger leitete, gilt als einflussreichster deutscher Beamter in der Kommission und koordiniert die CDU-nahen Beamten in der Kommission.
Die ehemalige niederländische EVP-Europaabgeordnete Esther de Lange wird nicht das Kabinett von Klimakommissar Wopke Hoekstra (EVP) leiten. Die Funktion übernimmt Han ten Broeke, ein ehemaliger Abgeordneter der rechtsliberalen VVD im niederländischen Parlament. Da die Christdemokraten nicht Teil der Regierung im Haag sind, hatten die beteiligten Parteien durchgesetzt, dass zumindest der Kabinettschef des niederländischen Kommissars aus den Reihen der Regierungsparteien kommt. Was de Lange machen wird, ist offen.
Ziel des neuen französischen Premierministers ist es, das Haushaltsdefizit Frankreichs bis 2025 auf fünf Prozent und bis 2029 auf drei Prozent zu senken. Das gab Barnier am Dienstag bei seiner Regierungserklärung in der französischen Nationalversammlung bekannt.
Das französische Haushaltsdefizit für 2024 wird voraussichtlich sechs Prozent betragen, was die früheren Berechnungen der Regierung und der EU-Kommission weit übertrifft. Im Mai schätzte die Kommission, dass das französische Defizit 2024 bei 5,3 Prozent des BIP liegen würde. Die französische Regierung selbst hatte eigentlich ein Defizit von 4,4 Prozent angestrebt.
Primär soll die Defizitsenkung über eine Senkung der Ausgaben geschehen. “Die Ausgaben zu kürzen bedeutet, auf magisches Geld zu verzichten, auf die Illusion, dass alles kostenlos ist, auf die Versuchung, alles zu subventionieren”, betonte er. “Im Jahr 2025 werden also zwei Drittel der Sanierungsbemühungen durch Ausgabenkürzungen zustande kommen.”
Während die linken Parteien die Haushaltskürzungen harsch kritisieren, versucht Barnier auch das Argument der Steuergerechtigkeit in seine Pläne einzubinden. Denn neben Haushaltskürzungen plant Barnier auch Steuererhöhungen. In einem angespannten sozialen und politischen Kontext in Frankreich kündigte Michel Barnier an, dass eine “Anstrengung” von großen und sehr großen Unternehmen und den wohlhabendsten Franzosen verlangt werde.
Barnier will von jenen großen Unternehmen, mit hohen Gewinnen, eine “Beteiligung an der kollektiven Sanierung verlangen”. Vorerst macht er aber keine näheren Angaben dazu, wie genau eine solche Maßnahme aussehen würde. Der ehemalige EU-Kommissar ist der Ansicht, dass die Situation “eine gezielte, zeitlich begrenzte Anstrengung erfordert”.
Seit Juli befindet sich Frankreich in einem Defizitverfahren, weil es die Defizitgrenze von drei Prozent überschreitet. Das bedeutet, dass die Regierung das strukturelle Defizit jährlich um mindestens 0,5 Prozentpunkte reduzieren muss. Noch ist unklar, ob Barniers Haushaltsvorschlag dieses Kriterium erfüllt. Die Defizitreduktion, die durch einmalige oder temporär beschränkte Steuererhöhungen erwirkt wird, zählt jedoch nicht als Reduktion des strukturellen Defizits.
Die Situation Frankreichs wird auch in Berlin genau beobachtet. “Ich bin sehr höflich, wenn ich sage, dass ich besorgt bin über die Haushaltsentwicklungen in Frankreich und Italien”, sagte Bundesfinanzminister Lindner am gestrigen Dienstag am Berlin Global Dialogue.
In einem nächsten Schritt wird die Kommission dem Rat Mitte November einen Vorschlag zu den Finanzplänen und möglichen Sanierungsschritten für die Mitgliedstaaten unterbreiten. Dann wird auch klarer, was die Kommission von Barniers Haushaltsplänen hält – vorausgesetzt Barnier bringt seinen Haushalt bis dahin durch das französische Parlament.
Den detaillierten Haushaltsplan wird Barnier voraussichtlich am 9. Oktober präsentieren. Darauf muss der Plan von der Nationalversammlung verabschiedet werden. Barnier wird auf die Stimmen des rechtspopulistischen Rassemblement National angewiesen sein.
Barniers Spielraum bleibt innenpolitisch sehr begrenzt. Beispielhaft dafür steht die Rentenreform, die im Frühjahr 2023 unter großen Schwierigkeiten vom Parlament verabschiedet wurde und in Frankreich ein heißes Eisen bleibt. Die gesamte Linke und der Rassemblement National fordern ihre Aufhebung.
Michel Barnier rief in seiner Rede vor der Nationalversammlung dazu auf, den Dialog über dieses Thema wieder aufzunehmen. Zwar hält er es für “zwingend erforderlich, das dauerhafte Gleichgewicht unserer umlagefinanzierten Rentensysteme zu wahren”, erklärte aber, dass “einige Grenzen des am 15. April 2023 verabschiedeten Gesetzes korrigiert werden können“. “Wir schlagen den Sozialpartnern vor, über vernünftige und gerechte Anpassungen des Gesetzes nachzudenken”, sagte er.
Das andere brennende politische Thema Frankreichs ist die Kaufkraft. In diesem Zusammenhang kündigte Michel Barnier die Erhöhung des Mindestlohns “um zwei Prozent ab dem 1. November” an. Während der Mindestlohn in den vergangenen Jahren nur mechanisch mit der Inflation gestiegen war, ist dies die erste reale Mindestlohnerhöhung seit Langem. Der Mindestlohn (smic) beträgt heute 1398,70 Euro netto (1766,92 Euro brutto).
Die Anhörungen der Bewerber für die Kommissarsposten sollen am 4. November beginnen. Wenn die Anhörungen planmäßig verlaufen und keine Nachbesetzungen nötig werden, kann das Europaparlament in der Sitzungswoche vom 25. November in Straßburg über die Zustimmung zur Von-der-Leyen-Kommission II abstimmen. Das wäre 47 Tage, nachdem die Kommissionspräsidentin ihren Vorschlag für die Portfolios vorgelegt hat. 2019 hatte das Europaparlament 59 Tage später abgestimmt.
Den Zeitplan für die Anhörungen schlagen die Chefs der Ausschüsse den Fraktionsvorsitzenden (COP) vor. Die COP soll dies an diesem Mittwoch um 16 Uhr beschließen. Bei den Kompetenzen der Ausschüsse für die Anhörungen hat es noch einige Änderungen gegeben. Die Kommissare sollen jeweils zwei schriftliche Fragen vor der Anhörung beantworten. Darin sollen sie Auskunft geben zu ihren allgemeinen Kompetenzen, ihrer persönlichen Unabhängigkeit für das Amt sowie wie sie sich die Kooperation mit dem Parlament vorstellen.
Seit Montag liegen die Erklärungen der künftigen Kommissare zu finanziellen Interessen beim Rechtsausschuss des Parlaments. Die Mitglieder des Ausschusses beraten anhand der Erklärungen am Donnerstag, ob sie Interessenskonflikte mit den jeweiligen Portfolios der Kandidaten sehen. Wie zu hören ist, zeichnen sich bereits jetzt Nachfragen ab. Auch deswegen sei es sinnvoll, wenn die Anhörungen nicht bereits am 14. Oktober beginnen, wie erwogen war, heißt es im Parlament. mgr
Deutschland bleibt skeptisch gegenüber den Zusatzzöllen der Europäischen Union auf importierte Elektrofahrzeuge aus China. Berlin hofft noch immer auf eine Verhandlungslösung vor der Abstimmung der Mitgliedstaaten am Freitag.
Deutschland habe noch nicht entschieden, wie es über die Einführung der Zusatzzölle abstimmen werde, sagte Jörg Kukies, der Chefwirtschaftsberater von Bundeskanzler Olaf Scholz, am Dienstag in einem Interview mit Bloomberg TV. “Wir sind sehr stark in globalen Lieferketten integriert, daher halten wir Zölle von vornherein nicht für eine gute Idee”, sagte Kukies und betonte, dass deutsche Autohersteller “immer noch sehr stark nach China exportieren”. Kukies weiter: “Eine Verhandlungslösung wäre der Einführung von Zöllen definitiv vorzuziehen, egal wie hoch diese ausfallen.”
Kukies sagte gegenüber Bloomberg TV, dass Deutschland den Zollvorschlag der EU-Kommission prüfe, während die Gespräche zwischen den zuständigen Ministerien in Berlin über eine einheitliche Position noch andauern und bis Donnerstag abgeschlossen sein sollten. “Wir sehen, dass es aufgrund der Struktur des Vorschlags immer mehr skeptische Stimmen gibt.”
Aus EU-Kreisen war am Dienstag jedoch zu vernehmen, dass Berlin am Freitag mit “Nein” stimmen werde. Deutschland gehe zudem davon aus, dass sich eine beträchtliche Anzahl von EU-Mitgliedstaaten bei der Abstimmung am Freitag der Stimme enthalten werde, heißt es. Scholz und der französische Präsident Emmanuel Macron berieten sich am Mittwoch in Berlin zu dem Thema. Paris gilt als einer der Hauptinitiatoren hinter den Zusatzzöllen. ari
Die Gewerkschaften erhöhen den Druck auf die neue Kommission bei der sozialen Reform der Vergaberichtlinie. Mehrere Hundert Beschäftigte aus neun verschiedenen Ländern haben am Dienstag in Brüssel für bessere Arbeitsbedingungen in Jobs im Auftrag der öffentlichen Hand demonstriert. “Die Vergaberichtlinie muss klarstellen, dass Tarifverträge bei öffentlichen Ausschreibungen als Voraussetzung für eine Auftragsvergabe genommen werden können”, sagte Oliver Roethig, Regionalsekretär der europäischen Dienstleistungsgewerkschaft Uni Europa, am Dienstag Table.Briefings. Bisher gebe es in der Hinsicht gerade in kleineren Städten und Kommunen Unsicherheiten.
Roethigs Wunsch: Dass die Vergaberichtlinie sogar um eine Tariftreuepflicht ergänzt wird. Entsprechende Klauseln werden derzeit schon in mehreren deutschen Bundesländern angewandt. Auf Bundesebene plant Arbeitsminister Hubertus Heil ebenfalls ein Tariftreuegesetz. Das wird derzeit von der FDP blockiert.
Die öffentliche Auftragsvergabe macht laut EU-Kommission rund 14 Prozent des BIPs der Union aus. Laut einer Untersuchung von Uni Europa wird aber die Hälfte aller öffentlichen Ausschreibungen alleine auf Grundlage des niedrigsten Preises vergeben. Unter den Demonstrierenden waren auch Beschäftigte, die über outgesourcte Dienstleister in den europäischen Institutionen arbeiten. Eine Person, die etwa im Sicherheitsbereich arbeitet, sagte gegenüber Table.Briefings, dass sie in den vergangenen Jahren immer mehr Druck spüre. Lohnerhöhungen seien zuletzt dagegen ausgeblieben. Die Person wollte nicht genannt werden.
Ursula von der Leyen hat eine Reform des Vergabegesetzes in ihren politischen Leitlinien angekündigt. Allerdings wird die Reform dort insbesondere unter den Gesichtspunkten Versorgungssicherheit und Innovation diskutiert. Explizit heißt es, dass das Gesetz künftig die Bevorzugung gewisser europäischer Produkte in strategischen Sektoren ermöglichen solle. Außerdem sollen die Regeln vereinfacht werden. Die Zuständigkeit für die Reform des Vergabegesetzes liegt beim designierten Kommissionsvize Stéphane Séjourné, der den Bereich Wohlstand und die Industriestrategie verantworten soll.
Schon am Montag hatten mehr als 100 Ökonomen, darunter Thomas Piketty und Isabella Weber, gefordert, dass von der Leyen soziale Kriterien in der Reform der Vergaberichtlinie berücksichtigen müsse. Auch die S&D-Europaparlamentarierin Gaby Bischoff sagte gegenüber Table.Briefings. “Natürlich darf dieses Geld des Steuerzahlers keine Ausbeutung finanzieren, die mittelfristig die verantwortlichen Unternehmen vom Markt verdrängt.” lei/jaa
Die französische Regierung hat die EU zu einer stärkeren Standardisierung in der Atomwirtschaft aufgerufen. “Wir sind darauf angewiesen, dass die Industrie Zeit- und Kostenpläne einhält“, sagte Laurent Kueny, Abteilungsleiter für Energie im französischen Wirtschaftsministerium, am Dienstag beim Nuclear Energy Forum der EU-Kommission in Prag. Dafür müsse die Atomindustrie umgebaut werden und ein entscheidender Punkt dabei seien technische Standards.
“Wir müssen darüber diskutieren, welche gemeinsamen Standards wir wollen“, sagte Kueny. Anderenfalls würden Hersteller durch unterschiedlichste Anforderungen für verschiedene Technologien und EU-Länder belastet. Frankreich hat die stärkste Atomindustrie in der EU, andere große Hersteller stammen aus den USA, Russland, Japan und Südkorea.
Kueny wiederholte auch Frankreichs Forderungen, sich bei den EU-Klimazielen 2040 auf Ziele zur technologieneutralen CO₂-Reduktion zu beschränken und der Atomenergie Zugang zu EU-Förderung zu gewähren. Auf Ablehnung stößt Letzteres in der Generaldirektion Energie. “Ich bin mir nicht sicher, ob wir auf die Obsession von europäischem Geld unsere gesamte Aufmerksamkeit konzentrieren sollten”, sagte der für europäische Atompolitik zuständige stellvertretende Generaldirektor Massimo Garribba. Mehr und mehr höre er aus der Wirtschaft, dass Fachkräfte mitentscheidend für die Stärkung der Atomindustrie seien. ber
Die Energieminister beraten am 15. Oktober in Luxemburg über den Beitrag des Energiesektors zur Wettbewerbsfähigkeit der EU. Grundlage seien die Empfehlungen des Draghi-Berichts, heißt es in der Tagesordnung. Lange war nicht klar, ob die ungarische Ratspräsidentschaft für den optionalen Termin wirklich ein Treffen ansetzt.
Thema werden aber auch die zuletzt starken Unterschiede bei den Strompreisen in der EU sein. In den östlichen Mitgliedstaaten und in Italien sind sie seit Monaten deutlich höher als im Rest Europas. Griechenlands Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis hatte deshalb im September in einem Brief an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen unter anderem eine bessere europäische Koordinierung bei der Planung der Infrastruktur gefordert.
Die Kommission wird den Ministern außerdem den aktuellen Stand zur Vorsorge für den Winter geben und zur Umsetzung von REPowerEU – dem Plan, mit dem die EU bis 2027 unabhängig von russischen fossilen Energien werden will. Außerdem wird der Energieminister der Ukraine, German Galushchenko, über die Versorgungssicherheit des Landes informieren. Energiekommissarin Kadri Simson hatte die EU-Staaten bereits zu verstärkter Hilfe für die Energieinfrastruktur aufgerufen. ber
Erfahrung hat die designierte Umweltkommissarin Jessika Roswall in ihrem Zuständigkeitsbereich bislang nicht gesammelt, der Lebenslauf der 51-jährigen Juristin weist keine direkten Berührungspunkte mit Umweltthemen auf. Roswall war seit 2010 Abgeordnete der Moderaten im schwedischen Parlament für den Wahlkreis Uppsala und arbeitete zu verbraucher- und verkehrspolitischen Themen. Seit 2022 war sie EU-Ministerin, in diese Zeit fiel die schwedische Ratspräsidentschaft. In der neuen Kommission soll sie nun zuständig sein für Umwelt, Wasserresilienz und eine wettbewerbsfähige Kreislaufwirtschaft.
Als Umweltkommissarin folgt Roswall auf den Litauer Virginijus Sinkevičius, einem Grünen. Der EVP, die sich zuletzt gegen mehrere Green-Deal- und Umweltgesetze aufgelehnt hat, kommt es entgegen, eine Kollegin aus den eigenen Reihen in diesem Amt zu sehen.
Roswall wird unter Wettbewerbskommissarin Teresa Ribera arbeiten, ihr wird die Generaldirektion Umwelt (DG ENV) zugeordnet sein. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat eine Reihe an Aufgaben für Roswall vorgesehen. Gemeinsam mit Exekutiv-Vize Stéphane Séjourné soll sie zuständig für ein Gesetz zur Kreislaufwirtschaft (Circular Economy Act) sein und in diesem Rahmen eine neue bioökonomische Strategie vorschlagen.
Von der Leyen beauftragt sie auch mit der Arbeit an einem Gesetzespaket für die Chemieindustrie, das eine “nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit” dieser Industrie ermöglichen, die Chemikalienverordnung REACH vereinfachen und Klarheit über den Umgang mit Ewigkeitschemikalien (PFAS) schaffen soll.
Sie soll zudem die Europäische Strategie für Wasserresilienz erarbeiten. Bereits im vergangenen Jahr hatte die Kommission eine Wasserresilienz-Initiative angekündigt, dann jedoch unter Protest von Umweltorganisationen auf unbestimmte Zeit verschoben. Von der Leyen verlangt von Roswall auch einen Beitrag zum Klima-Anpassungs-Plan, insbesondere in Bezug auf die Prävention von Waldbränden.
Auf Roswalls Aufgabenliste stehen ferner die “Naturgutschriften” (nature credits), die von der Leyen kürzlich ins Gespräch gebracht hat. Ziel ist, private Investitionen in den Umwelt- und Artenschutz zu fördern. Dieses Modell könnte ein wichtiges Element in der Agrarpolitik der kommenden Jahre werden.
Umweltpolitiker äußern teils scharfe Kritik an Roswalls Ernennung. Als schwedische Ministerin vertrat sie eine Regierung, die bei wichtigen Umweltgesetzen auf die Bremse getreten ist. So stimmte Schweden gegen das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur und enthielt sich der Stimme, als die Beschlüsse über die Verordnungen zur Entwaldung und zu den Kohlenstoffsenken (LULUCF) gefasst wurden. Dabei geht es der schwedischen Regierung vor allem um die heimische Forstwirtschaft, die sie durch die Gesetze bedroht sieht.
Die Regierungskoalition in Stockholm, angeführt von den Moderaten, wird gestützt von den rechtsextremen und EU-skeptischen Schwedendemokraten (SD). Den Schwedendemokraten gehören auch Klimawandel-Leugner an.
Die grüne Europaabgeordnete Alice Kuhnke nannte es “besorgniserregend”, dass Schweden für die Umweltarbeit in der Kommission zuständig sei. Kuhnkes Parteikollegin Isabella Lövin schlug hoffnungsvollere Töne an: “Die schwedische Regierung hat ihre Umwelt- und Klimaarbeit verraten, um die Unterstützung der SD zu gewinnen. Jessika Roswall muss das nicht tun”, sagte die Europaabgeordnete der Zeitung “ETC“. Sie hoffe, dass Roswall als Kommissarin eine ehrgeizige Umwelt- und Klimapolitik verfolgen wird.
Besonders der Umweltausschuss des Europaparlaments dürfte einige Fragen an die Schwedin haben. Pascal Canfin, liberales ENVI-Mitglied, hat bereits angekündigt, die Anhörungen zu nutzen, um “Klarheit” über Roswalls Rolle als Umweltkommissarin zu gewinnen.
Schwedens Ministerpräsident hingegen, Roswalls Parteikollege Ulf Kristersson, zeigte sich zufrieden damit, dass sein Land die Umweltkommissarin stellt – und begründete dies in einem schriftlichen Kommentar für das schwedische Fernsehen ausgerechnet mit der Forstwirtschaft, für die Roswall zuständig sei. Zur Beruhigung kritischer Stimmen dürfte diese Aussage eher nicht beitragen. Sarah Schaefer