heute soll die Hängepartie der Regierungsbildung in den Niederlanden beendet werden. Um Mitternacht läuft die Frist ab, bis zu der die vom Parlament bestellte Verhandlungsgruppe ihren Vorschlag unterbreiten soll. Es gilt als sehr wahrscheinlich, dass sich die vier beteiligten Parteien zusammenraufen. Dies sind: die rechtsextreme PVV von Geert Wilders, die langjährige liberale Regierungspartei VVD, die von Dilan Yeşilgöz-Zegerius geführt wird, sowie die beiden Newcomerparteien – die NSC des Ex-Christdemokraten Pieter Omtzigt zum einen und die BBB der Bauernaktivistin Caroline van de Plas zum anderen.
Gemeinsam werden sie wohl die Regierung in Den Haag bilden. Klar ist bereits, dass keine der Parteien den Ministerpräsidenten stellen wird, sondern ein Experte, der von außen kommt, dieses Amt übernehmen wird. Wie sie oder er heißen wird? Gestern war das Gerücht zu vernehmen, dass der Sozialdemokrat Ronald Plasterk es machen könnte. Plasterk hat die Sondierungen koordiniert.
Es ist damit zu rechnen, dass das Regierungsprogramm im Kapitel Migration dem Wahlergebnis entsprechend rigoros ausfällt. In der Wirtschafts- und Sozialpolitik wird es spannend: Wilders will eher Schulden machen und Geld ausgeben, Omtzigt bewegt sich auf der klassisch niederländischen Linie des Konsolidierens.
Der Fahrplan sieht vor, dass im Anschluss an die Einigung die Fraktionen um ihre Zustimmung gebeten werden, um am Dienstag dann in der Tweede Kamer nach einer Plenardebatte den künftigen Ministerpräsidenten zu wählen – knapp sechs Monate nach den Wahlen. Spätestens morgen früh sollten wir also wissen, welcher Regierungschef aus dem Nachbarland zum nächsten Europäischen Rat anreist.
Kommen Sie gut durch den Tag!
Noch gibt Maia Pandschikidse die Hoffnung nicht auf. Es werde den Druck der Straße und der westlichen Partner brauchen, um eine Inkraftsetzung des Gesetzes über “Transparenz ausländischen Einflusses” noch zu verhindern, sagt die frühere Botschafterin in Berlin und ehemalige Außenministerin Georgiens. Im Parlament in Tiflis haben am Dienstag wie erwartet die Abgeordneten der Regierungspartei Georgischer Traum das sogenannte ausländische Agentengesetz in dritter Lesung trotz der Proteste im Land durchgedrückt. Die EU-freundliche Präsidentin Salome Surabischwili hat angekündigt, ein Veto gegen das Gesetz nach russischem Vorbild einzulegen.
Die Präsidentin habe dafür 14 Tage Zeit, sagt Maia Pandschikidse. Die Hoffnung der 64-Jährigen ruht auf diesem kleinen Zeitfenster, in dem eine Inkraftsetzung noch verhindert werden könnte. Danach reiche der Regierungspartei eine einfache Mehrheit, um das Veto zu überstimmen. Würde Georgien damit in die russische Einflusssphäre fallen? “Auf jeden Fall, ja”, sagt die Ex-Außenministerin. Die Regierung argumentiere, dass es ihr um Transparenz gehe. Aber NGOs, Hilfsorganisationen oder Medien müssten ja heute schon in jährlichen Steuererklärungen ihre Einnahmen und die Geldgeber ebenfalls ihre Bücher offenlegen.
Das Gesetz zu den Auslandsagenten sei nur der Anfang, wie das Beispiel Russland zeige, so Maia Pandschikidse. Egal, ob es sich um eine politische Stiftung, eine Wohltätigkeitsorganisation oder unabhängige Medien gehe: Wer mehr als 20 Prozent der Mittel von außerhalb des Landes bekommt, wird sich registrieren lassen müssen, und zwar als NGO, das “ausländischen Interessen dient”. Die Organisationen seien dann gebrandmarkt. In einem nächsten Schritt würden wie in Russland Oppositionelle von Wahlen ausgeschlossen oder Organisationen verboten. Ausländische Geldgeber würden sich dann zurückziehen, das Land immer isolierter dastehen.
Wie konnte es so weit kommen? Noch vor einem Jahr hat Georgiens Regierung ein ähnliches Gesetz im letzten Moment zurückgezogen. Der Rückzieher damals sei Voraussetzung gewesen, damit Georgien im Dezember 2023 dann den Status als Beitrittskandidat habe bekommen können, sagt Maia Pandschikidse. Die Regierung habe der Bevölkerung einerseits signalisiert, dass sie alles für eine Annäherung an die EU unternehme. Nun werde aber alles getan, dass es mit der Integration nicht klappt und die EU ihre Zusage auf Eis lege.
Der Druck aus Moskau auf die Regierungspartei sei sehr groß, der Linie treu zu bleiben, die von Russland vorgegeben werde. Die Regierung in Tiflis werde am Ende seiner proeuropäischen Bevölkerung erzählen, Brüssel wolle Georgien gar nicht in der EU.
Worte alleine würden nicht reichen, damit die europäischen Partner Einfluss nehmen können, sagt Maia Panschikidse. Am Dienstag blockierten Ungarn und die Slowakei zudem dem Vernehmen nach ein gemeinsames Statement der 27 Mitgliedstaaten, das die Dienste von Josep Borrell vorbereitet hatten. Der EU-Außenbeauftragte wollte am Abend eine Stellungnahme im eigenen Namen abgeben, um die Entwicklung in Tiflis zu verurteilen und vor negativen Auswirkungen auf die Beitrittsperspektive zu warnen. Georgien dürfte auch beim nächsten Treffen der EU-Außenminister am 27. Mai auf der Agenda stehen.
Es werde wichtig sein, Maßnahmen zu finden, die nicht die Bevölkerung bestraften, sondern ausschließlich die Regierung, sagt Maia Pandschikidse. Eine Möglichkeit sieht die ehemalige Außenministerin in Einreiseverboten für Abgeordnete und deren Familien, die sich für das Agentengesetz ausgesprochen hätten. Oppositionelle der Regierungspartei redeten in einer zunehmend antieuropäischen Rhetorik davon, dass Europa für die falschen Werte stehe, etwa mit Blick auf die gleichgeschlechtliche Ehe oder Liberalisierung von Drogen.
Gleichzeitig besitzen viele von ihnen Wohnungen im Ausland oder lassen ihre Kinder an europäischen oder amerikanischen Universitäten studieren. Einreiseverbote etwa schon zur Fußball-EM werde auch den Abgeordneten der Regierungspartei zeigen, was es bedeute, isoliert zu sein. Eine Isolation, die bald dem ganzen Land drohe, wenn die Regierung die europäische Perspektive verbaue.
Wichtig ist es Maia Pandschikidse zu unterstreichen, dass die europäischen Partner in den nächsten Tagen sich nicht auf Diskussionen um Retuschen an dem Agentengesetz einlassen. Das sei eine Falle der Regierungspartei. Kosmetische Anpassungen änderten nichts an der Zielrichtung des Gesetzes, den Weg für eine ähnliche Entwicklung wie in Russland vorzubereiten und das Land in der Einflusssphäre Moskaus zu verankern. Es gebe nichts zu verschönern an dem Gesetz, es müsse einfach weg.
Wenn die Europaabgeordnete Gaby Bischoff (SPD) in diesen Tagen in Berlin Straßenwahlkampf macht, dann sprechen sie Passanten immer wieder auf die EU-Mindestlohnrichtlinie an. “Die Leute sagen: Das ist einmal was ganz Konkretes aus Europa für mich. Das finden sie gut.” Und genau da will die Gewerkschafterin auch nach der Wahl anknüpfen. “Viele haben begriffen, dass es das soziale Europa braucht.” Die auseinandergehende Einkommensschere enttäusche viele. “Deswegen gehen so viele Menschen den Populisten auf den Leim”, so Bischoff zu Table.Briefings.
Rückenwind bekommt sie von einer aktuellen Eurobarometerumfrage. Zuletzt rangierte der Kampf gegen Armut und Ausgrenzung auf Platz eins der Themen (33 Prozent), die sich die Befragten im Europawahlkampf wünschten. Dicht gefolgt von Gesundheit (32 Prozent), auch wenn die EU dort bei beidem kaum Kompetenzen hat.
Im neuen Mandat wird mit Vorschlägen der Kommission in folgenden Bereichen gerechnet:
Es werden Dossiers fortgeführt: Da wäre zum einen der EU-Talentepool, der europäische Arbeitgeber einfacher mit ausländischen Fachkräften zusammenbringen und dadurch den Fachkräftemangel in Europa lindern soll. Ein Kommissionsvorschlag liegt auf dem Tisch und wird im Parlament von Renew-Berichterstatterin Abir Al-Sahlani betreut.
Die Überarbeitung der Eurobetriebsräterichtlinie wird fortgesetzt. Mit dieser sollen die transnationalen Arbeitnehmergremien gestärkt werden. Das Ziel von Berichterstatter Dennis Radtke (CDU) ist, dass der zuständige Ausschuss bereits im September das Mandat abstimmt.
Umstritten ist die Forderung der Grünen nach einer Mindestsicherungsrichtlinie, wie sie etwa MEP Katrin Langensiepen fordert. “Was die Mindestlohnrichtlinie für den Kampf gegen zu niedrige Löhne ist, das ist die europäische Grundsicherung für den Bereich Soziales.” Ihr Argument: “Wir müssen den Menschen zeigen, dass die Europäische Union ganz konkrete Verbesserungen für sie schafft.”
Technisch könne das Ganze angelehnt an die Mindestlohnrichtlinie erfolgen, sagt Langensiepen Table.Briefings. Die EU gebe nur eine Zielvorgabe, etwa dass das Sozialsicherungsniveau in der EU gemessen an den Löhnen der jeweiligen Länder armutsfest sein soll. Wie genau die Staaten das erreichen? Etwa über ein steuerfinanziertes Modell oder Sozialversicherungen – das solle weiter den Ländern selbst überlassen bleiben.
Teils heftige Ablehnung kommt dazu nicht nur aus einzelnen Mitgliedstaaten, sondern auch aus Reihen von Konservativen, Christdemokraten und Liberalen. Das Thema könnte dennoch eine Chance haben: Denn die Grünen bringen sich als Partner der nächsten inoffiziellen Koalition im Parlament in Stellung. Und könnten einen entsprechenden Vorstoß dazu zur Bedingung machen.
In diesem Wahlkampf taucht zudem das Thema bezahlbares Wohnen auf. “Es ist eine der großen sozialen Konfliktlinien unserer Gesellschaft“, sagt MEP und Linksparteivorsitzender Martin Schirdewan. Er möchte daher noch einmal ran an die Verordnung zu Kurzzeitvermietungen und abschreckende Strafen für Verstöße nachverhandeln. “Außerdem benötigen wir eine Ausnahme im Wettbewerbsrecht für Investitionen in bezahlbaren Wohnraum.” Es gebe Gründe im Wettbewerbsrecht, warum der soziale Wohnungsbau in ganz Europa einbreche.
Rückenwind kommt von unerwarteter Stelle. Enrico Letta, der Sonderbeauftragte der Kommission, hatte in seinem Bericht zur Funktionsweise des Binnenmarktes darauf hingewiesen, dass der Mangel an bezahlbaren Wohnraum eine Gefahr für den Binnenmarkt darstelle. Die Mietpreise in der EU seien seit 2010 um 22,1 Prozent gestiegen. Letta fordert etwa eine Taskforce bezahlbarer Wohnraum und eine weiter gefasste Definition von “soziales Wohnen” in den Bestimmungen zu den Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse. Die Definition sei bisher zu eng gefasst und behindere staatlichen Wohnbaupolitiken.
Die Liberalen wünschen sich möglichst wenige Vorstöße. Ihre Schwerpunkte liegen bei der Freizügigkeit von Arbeitnehmenden und der Gewinnung neuer Fachkräfte wie etwa durch den EU-Talentepool, der nach kanadischen Vorbild ausgebaut werden soll. Die Plattformarbeitsrichtline möchte die FDP am liebsten wieder abwickeln.
Bewegung könnte es bei der Betriebsratsumgehung in Europäischen Aktiengesellschaften geben, den Societas Europaea oder SE-Gesellschaften. “Mein Anspruch ist, dass die SE-Mitbestimmung Tesla-fest wird“, so der CDU-Sozialpolitiker Denis Radtke. Derzeit können etwa deutsche Betriebe die verpflichtende Mitbestimmung im Aufsichtsrat für Unternehmen ab 500 Beschäftigten umgehen, wenn sie zuvor mit weniger Mitarbeitenden die Rechtsform einer SE annehmen. Der Autobauer Tesla etwa wird von der IG Metall dafür kritisiert, über die Wahl der Rechtsform SE die deutsche Mitbestimmung zu umgehen.
Auch eine Reform der Europäischen Arbeitsbehörde (ELA) könnte auf die Agenda kommen. “Die ELA braucht Zähne”, so Radtke weiter. Die Evaluierung der Behörde soll bis August abgeschlossen sein. Danach geht es um ein mögliches neues Mandat – nach Willen des Parlaments soll die ELA mehr Kompetenzen bekommen und personell besser ausgestattet werden. Einen Entschließungsantrag aus dem Parlament dazu gibt es seit Januar.
Sozialdemokratin Bischoff will zudem die Reform der Verordnung zur Koordinierung der Sozialen Sicherheitssysteme über die Ziellinie zu bringen. Vorgeschlagen wurde die Überarbeitung bereits 2016 von der Kommission, doch auch nach 18 Trilogen war keine Einigung möglich.
Der EU wurde lange vorgeworfen, die soziale Dimension zu vernachlässigen. Das war laut Laura Rayner vom European Policy Center (epc) zuletzt aber nicht mehr der Fall. Die vergangenen fünf Jahre seien die “erfolgreichsten Jahre für Arbeit und Soziales auf europäischer Ebene überhaupt” gewesen, auch wenn es noch immer viel Handlungsbedarf gebe, sagt Rayner Table.Briefings.
Besonders die Mindestlohnrichtlinie sowie die Richtlinie zur Plattformarbeit haben für viel Aufmerksamkeit gesorgt. Doch: Die Chancen für europäische Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik hätten sich eingetrübt. In den Reden von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyens hat das Thema Wettbewerbsfähigkeit zuletzt einen prominenteren Platz eingenommen – die Rolle der Tarifparteien für Europa betont sie seltener.
Business Europe erteilte vielen sozial- und arbeitsmarktpolitischen Initiativen Absagen – zuletzt etwa der Erklärung von La Hulpe. Stattdessen betont der Verband, dass Bürokratieabbau und die Stärkung der Wirtschaft Vorrang haben müsse. Eine weitere Herausforderung ist für Sozialpolitiker, dass das Parlament vermutlich nach rechts rückt. epc-Analystin Rayner prognostiziert dennoch: “Ich denke, dass es keine großen Rüschritte in den kommenden Jahren beim sozialen Europa und der Umsetzung der sozialen Säule geben wird. Aber auch keine großen Fortschritte.”
Die US-Regierung belegt wie erwartet eine ganze Reihe chinesischer Produkte mit Sonderzöllen. Auf Elektroautos werden die Zölle von 25 auf 100 Prozent angehoben, teilte die Regierung am Dienstag in Washington mit. Auf Lithium-Ionen-Batterien für Elektrofahrzeuge und andere Batterieteile werden künftig 25 Prozent statt wie bisher 7,5 Prozent fällig. Für Solarzellen und Halbleiter verdoppelt Washington den Zollsatz auf 50 Prozent. Hinzu kommen Zölle auf bestimmte kritische Materialien, Hafenkräne sowie Medizinartikel wie Kanülen und Schutzmasken.
Damit heizen die USA den Handelskonflikt zwischen den beiden Großmächten weiter an. China flute die globalen Märkte mit künstlich verbilligten Exporten zulasten heimischer Hersteller – so lautet die Begründung des Weißen Hauses für die Maßnahmen. Seit Jahrzehnten klagen die USA über ein enormes Handelsdefizit mit China. Doch gerade chinesische Elektroautohersteller meiden den US-Markt ohnehin überwiegend, eben wegen der geopolitischen Spannungen.
Andere Firmen wie der Solarhersteller Longi Green Energy investieren in den USA: Gemeinsam mit der US-Firma Invenergy gründete Longi ein Joint Venture namens Illuminate USA, das seit Februar Solarmodule in Ohio produziert, die der chinesischen Miteigentümer auf seiner Website allerdings eher versteckt.
Peking reagierte auf die Sonderzölle bereits vorab mit scharfer Kritik und kündigte an, “alle notwendigen Maßnahmen” zu ergreifen, um die eigenen Interessen zu verteidigen. Es droht ein neuer Zollwettlauf, der auch die EU in Mitleidenschaft ziehen dürfte. “Da wird jetzt die EU nacheifern, denn das Argument ‘jetzt rollt die Lawine auf Europa’ haben die Franzosen mit (dem französischen Präsidenten, d.Red.) Macron schon in der Schublade”, erwartet etwa der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer.
Macron bezeichnete Strafzölle auf chinesische E-Autos am Dienstag im Interview mit Bloomberg als “No-brainer”. Es gehe dabei nicht um Geopolitik: “Was wir wollen, ist einfach Reziprozität.” Die EU erhebt derzeit zehn Prozent Zölle auf E-Autos, China dagegen zwischen 15 und 24 Prozent.
Umgekehrt haben sich Bundeskanzler Olaf Scholz und der schwedische Ministerpräsident Ulf Kristersson am Dienstag in Stockholm gemeinsam ablehnend zu EU-Strafzöllen gegen chinesische E-Autos geäußert. Scholz wies darauf hin, dass “gegenwärtig jedenfalls 50 Prozent der Importe von Elektrofahrzeugen aus China von westlichen Marken kommen, die selber dort produzieren und nach Europa importieren”. Das unterscheide Europa von Amerika. Auch Kristersson äußerte sich ablehnend: “Wir wollen den globalen Handel ja nicht zerlegen, das ist eine dumme Idee.”
Bernd Lange (SPD), Chef des Handelsausschusses im Europaparlament, befürchtet, dass die EU-Wirtschaft die Leidtragende sein wird. “Wir könnten einen großen Teil des Preises zahlen, da es möglich ist, dass etwa chinesische E-Fahrzeuge leichter den Weg in die EU finden.” Die America-first-Saga werde mit dem Schritt um ein unrühmliches Kapitel reicher.
Und weiter: “Die USA bringen ihre Abkopplungsstrategie von China auf das nächste Level und verstärken damit ihren konfrontativen Ansatz.” Diese zusätzlichen Zölle sollten vor allem einen kleinen Teil der Wählerschaft zufriedenstellen, die bei den Präsidentschaftswahlen im November entscheidend sein könnte. ck/rtr
Die EU-Kommission hat am Montag Empfehlungen und Leitlinien zur Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED) veröffentlicht. Sie beziehen sich auf Planungsbeschleunigung, die Ausweisung von Beschleunigungsgebieten für erneuerbare Energie und das Auktionsdesign. Erneuert wurde außerdem eine Plattform, auf der die Mitgliedstaaten Informationen zu ihren Ausschreibungen veröffentlichen.
Die Empfehlungen konkretisieren auch die Schlechterstellung von chinesischen Technologieanbietern bei Ausschreibungen für Erneuerbare. Nach den Energie-Beihilfeleitlinien (KUEBLL) und dem temporären Krisenbeihilferahmen TCTF können die Mitgliedstaaten für 30 Prozent der Ausschreibungskriterien Anforderungen stellen, die sich nicht auf den Preis beziehen. Darunter fallen zum Beispiel Kriterien für die Cybersicherheit von Komponenten, die auch durch den Net-Zero Industry Act (NZIA) verlangt werden.
Diese beträfen laut den aktuellen Empfehlungen vor allem die Windindustrie: “Ein Kriterium könnte Security-by-Design der digitalen Netze in den Windkraftanlagen sein.” Im Staff-Working-Document drängt die Kommission die EU-Staaten außerdem zu einheitlich hohen Anstrengungen: “Die Mitgliedstaaten werden ermutigt, robuste Cybersicherheitsvorschriften zu erlassen, um sicherzustellen, dass die schwächsten Glieder der EU nicht ausgenutzt werden.”
Laut den Empfehlungen müssen ausländische Turbinenhersteller Risikobewertungen durchführen und auch dokumentieren, wie sie mit Daten umgehen und wo diese Daten gespeichert werden. “Chinesische Unternehmen könnten das nach einer Umstellungsphase sicherlich einrichten, aber derzeit akzeptieren sie diese Bedingung noch nicht”, heißt es dazu aus der Windindustrie. “An dieser Stelle könnte es in der Zukunft daher zu Ausschlüssen kommen.” ber
In der Entwicklung eines europäischen Wasserstoffmarktes wollen Deutschland, Belgien und die Niederlande noch enger zusammenarbeiten. Die Wasserstoffräte der drei Länder haben dazu am Montag ein Memorandum of Understanding unterzeichnet. “Es zielt darauf ab, eine Plattform für die Zusammenarbeit zwischen Industrien, Regierungen, Universitäten, Forschungsinstituten und Zivilgesellschaften zu schaffen, um Innovation und Nachhaltigkeit im Wasserstoffsektor zu fördern”, heißt es in einer gemeinsamen Presseerklärung.
“Belgien und die Niederlande werden wichtige Hubs sein, um Wasserstoff zur deutschen Industrie zu transportieren. Dazu gehören auch die Harmonisierung von Vorschriften und die Implementierung gemeinsamer Infrastrukturen für Import, Abnahme und Transport“, sagte Tom Hautekiet, Vorsitzender des Belgischen Wasserstoffrates.
Ziele des MoU sind die Umsetzung der Erneuerbare-Energien-Richtlinie und gemeinsame Initiativen in der Markt- und Technologieentwicklung sowie im Bereich Policy, Regulatorik und in der Kommunikation mit Stakeholdern. “Das Memorandum of Understanding stellt einen neuen Meilenstein in unseren gemeinsamen Bemühungen um eine nachhaltige Energiezukunft dar. Wir werden unser Fachwissen und unsere Ressourcen nutzen, um bedeutende Fortschritte bei der Einführung und Integration von Wasserstofftechnologien zu erzielen”, sagte Katherina Reiche, Vorsitzende des Nationalen Wasserstoffrats. ber
Am Dienstag haben sich die EU-Finanzminister während ihrer Ratssitzung in Brüssel auf die “FASTER” genannte Quellensteuerreform geeinigt. Bei grenzüberschreitenden Investitionen werden heute oft Quellensteuern auf Dividenden- und Zinsauszahlungen in einem Land erhoben, während dieselben Einkommen im anderen Land der Einkommenssteuer unterliegen. EU-Staaten organisieren sich bilateral, um Doppelbesteuerung zu vermeiden. Dies führt aber oft zu komplexen und langwierigen Prozessen, die grenzüberschreitende Investitionen verteuern und Betrug ermöglichen.
Im Juni 2023 hatte die EU-Kommission einen Reformvorschlag präsentiert, der die Quellenbesteuerung europaweit harmonisieren soll. Nach Anpassungen durch die Finanzminister sieht die Richtlinie so aus:
Im Rat der Finanzminister hatten sich einige kleinere Staaten gegen die Reform gestellt, weil sie durch die Umstellung eine zu hohe administrative Belastung fürchteten. Unter anderem Tschechien hatte sich dafür eingesetzt, dass nur Mitgliedstaaten mit großen Kapitalmärkten die neuen Fast-Track-Prozesse einführen müssen. Der Kompromiss besagt nun, dass Mitgliedstaaten, deren Kapitalmarkt gemessen an der Kapitalisierung kleiner ist als 1,5 Prozent des gesamten EU-Kapitalmarkts, die neuen Prozesse nicht einführen müssen.
Der Kompromiss war unter anderem deshalb notwendig, weil es um ein Steuerdossier geht, für das es Einstimmigkeit braucht. Das Parlament hat nur ein Konsultationsrecht. Da der Text seit der letzten Konsultation aber verändert wurde, muss das Parlament noch einmal zurate gezogen werden. Die Richtlinie muss bis Ende 2028 in nationales Recht transponiert werden, und die nationalen Regeln müssen spätestens ab dem 1. Januar 2030 in Kraft treten.
Die Quellensteuerreform wird auch als wichtige Voraussetzung für die Kapitalmarktunion gesehen, da langwierige Steuerrückerstattungsprozesse und Doppelbesteuerung die grenzüberschreitenden Investitionen verteuern. Der erfolgreiche Kompromiss ist ein kleiner Fortschritt für die Kapitalmarktunion, zeigt mit seinen Ausnahmen aber gleichzeitig, wie langwierig und unvollständig die Reformbemühungen sind. jaa
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will in einer möglichen zweiten Amtszeit entschiedener gegen Desinformation aus dem Ausland vorgehen. Dazu solle die Kommission ein European Democracy Shield aufbauen. In ihrer Rede auf dem Democracy Summit in Kopenhagen warnte sie davor, “dass unsere Demokratien von den Handlangern der Autoritären gekapert werden”. Die grundlegenden Prinzipien unserer Demokratien würden heute angegriffen wie nie zuvor. “Ich bin besonders besorgt über den Anstieg der ausländischen Einmischung und Manipulation in unseren Gesellschaften, unseren Demokratien und unseren Wahlen.”
In den vergangenen Wochen seien “Schwärme von negativer Desinformation” zu sehen gewesen. Als Beispiel nannte sie ein Video, das fälschlicherweise behauptete, eine Tuberkulose-Epidemie stehe bevor, weil ukrainische Soldaten in französischen Krankenhäusern seien. Es gehe dabei nicht nur um Fälschungen und erfundene Inhalte, es gehe auch darum, Einfluss zu nehmen und Chaos zu schaffen.
Desinformation oder böswillige Einmischung seien nicht neu, konstatierte von der Leyen. Allerdings schritten die dafür verwendeten Techniken schneller voran, als die Gesellschaft sich anpassen und reagieren könne. “Es ist also jetzt an der Zeit, unsere Maßnahmen auf die nächste Ebene zu heben.” Europa müsse so ehrgeizig sein, wie es die Bedrohung erfordere. “Wenn ich als Präsidentin der Kommission gewählt werde”, werde sie einen europäischen Demokratieschild als “eine der Schlüsselprioritäten der nächsten Kommission vorschlagen”. Dieses Democracy Shield solle sich auf die größten Bedrohungen durch ausländische Einmischung und Manipulation konzentrieren.
Als ein Element des europäischen Demokratieschildes nannte von der Leyen die Erkennung und Aufdeckung von Informationsmanipulation, was freie Medien und öffentliches Wissen erfordere. Dafür sei aber auch eine bessere Informations- und Bedrohungsaufklärung durch die verschiedenen Geheimdienste auf nationaler Ebene nötig. Wichtig sei, neue gemeinsame Fähigkeiten auf europäischer Ebene zu schaffen.
“Ich glaube, Europa braucht jetzt seine eigene spezialisierte Struktur zur Bekämpfung ausländischer Einmischung”, sagte von der Leyen. “Sie wird die notwendige Expertise bündeln und mit bestehenden nationalen Agenturen vernetzen und koordinieren.” Ein weiteres Element sei der Digital Services Act. Bei der Durchsetzung müsse die EU “sehr wachsam und kompromisslos sein”. vis
Die EU will Influencer stärker in die Verantwortung nehmen. Dazu hat der Rat am Dienstag Schlussfolgerungen “zur Unterstützung von Influencern als Urheber von Online-Inhalten in der EU” angenommen. Die Europäer verbringen immer mehr Zeit online. Das bedeute, dass Influencer “einen größeren Einfluss als je zuvor darauf haben, wie wir die Welt wahrnehmen und verstehen“, sagte der flämische Minister Benjamin Dalle, unter anderem zuständig für Jugend und Medien. Um sicherzustellen, dass dieser Einfluss positiv sei, müsse die EU die Influencer “unterstützen”.
Die Maßnahmen zielen darauf ab, die Medienkompetenz und das verantwortungsvolle Verhalten von Influencern zu stärken und gleichzeitig die Einhaltung der relevanten gesetzlichen Verpflichtungen sicherzustellen.
In seinen Schlussfolgerungen stellt der Rat fest, dass Influencer eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung der öffentlichen Meinung und persönlicher Ansichten, insbesondere bei Jugendlichen spielen. Online-Communitys förderten ein Gefühl der Zugehörigkeit und des sozialen Engagements. Allerdings berge ihr Einfluss auch Risiken wie Cybermobbing, Desinformationen und ungesunde Vergleiche, die die psychische und physische Gesundheit von Minderjährigen beeinträchtigen können.
In seinen Schlussfolgerungen schlägt der Rat den Mitgliedstaaten und der Kommission eine Reihe von Maßnahmen vor. So ermutigt er die Mitgliedstaaten, mit den Influencern und ihren Vertretern in Kontakt zu treten, um sicherzustellen, dass sie sich ihrer Rolle in der Medienwelt und der für sie geltenden Rechtsvorschriften bewusst sind. Die Kommission solle EU-Fonds und -Programme zur Medienerziehung nutzen, um Medienkompetenz und Verantwortungsbewusstsein zu stärken.
Er rät auch, Selbstregulierungsgremien oder -mechanismen wie etwa einen ethischen Kodex oder ähnliche Initiativen zu unterstützen. Und er fordert die Mitgliedstaaten und die Kommission auf, dass sie Influencer einbeziehen, wenn es um Medienpolitik geht, die sie betreffen könnte – einschließlich des verstärkten Einsatzes von KI. vis
Österreich behindert auf der Brennerroute mit Maßnahmen gegen den Lkw-Verkehr den freien Warenverkehr in Europa. Zu diesem Ergebnis kommt die EU-Kommission in ihrer begründeten Stellungnahme. Auf den Autobahnen A 12 und A 13 hat die Landesregierung Tirol etwa Nachtfahrverbote, Dosierung von Lastwagen und Fahrverbote an Samstagen angeordnet.
Damit gibt die Kommission einer Beschwerde der Regierung Italiens statt. Mit der Stellungnahme hält die Kommission zudem fest, dass nicht-österreichische Betriebe härter getroffen werden als einheimische Betriebe. Jetzt steht Italien der Weg frei, Klage gegen die Maßnahmen vor dem Europäischen Gerichtshof einzureichen.
CSU-Verkehrspolitiker Markus Ferber: “Die Kommission stellt klar, worunter viele Anrainerstaaten Österreichs seit Jahren leiden. Österreich blockiert den freien Warenverkehr in Europa.” mgr
556 Feuerwehrleute aus 12 Ländern stellt Brüssel im Rahmen des Rescue-EU-Programms in diesem Jahr bereit, um lokale Feuerwehren bei der Bekämpfung von Waldbränden zu unterstützen. Sie sind in Frankreich, Griechenland, Portugal und Spanien stationiert und mit einer eigenen Flotte von 28 Flugzeugen und vier Hubschraubern ausgestattet. Zusammen mit dem Zentrum für Koordination von Notfallmaßnahmen (ERCC) sollen Waldbrände früh erkannt und zügig bekämpft werden, um Schäden zu minimieren.
In der EU sind 2023 nach Angaben der Kommission mehr als eine halbe Million Hektar Wald den Bränden zum Opfer gefallen – eine Fläche doppelt so groß wie Luxemburg. In diesem Jahr will man besser vorbereitet sein und auch künftig mehr in den Waldbrandschutz investieren: Die Kommission nimmt 600 Millionen Euro an EU-Mitteln in die Hand, um weitere 12 Löschflugzeuge und neun Hubschrauber zu finanzieren.
Doch nicht nur die EU ist an der koordinierten Brandbekämpfung beteiligt. Auch Island, Norwegen, Serbien, Nordmazedonien, Montenegro, Türkei, Bosnien und Herzegowina, Albanien, Moldau und die Ukraine nehmen am Katastrophenschutzverfahren teil. So soll neben der Resilienz gegen Naturkatastrophen auch die europäische Solidarität gestärkt werden. luk
Am vergangenen Montag traf sich der Aufsichtsrat des neuen Think-Tanks Brussels Institute for Geopolitics (BIG) zum ersten Mal. Als Ziel hat sich der Think-Tank gesetzt, das geopolitische Denken in der EU zu fördern. “Um in diesem neuen Zeitalter der Konflikte erfolgreich zu sein, muss Europa lernen, in Kategorien von Macht, Interessen und Strategie zu denken und zu handeln”, steht im Leitbild des BIG. Und weiter: “Um seine demokratische Offenheit nach innen zu bewahren, muss Europa seine Haltung nach außen stärken, indem es nach innen Kant und nach außen Machiavelli praktiziert.”
Staatssekretär Heiko Thoms, der im Bundesfinanzministerium für die Finanzmarktpolitik, die Europapolitik und die internationale Finanzpolitik zuständig ist, übernimmt den Vorsitz des BIG-Aufsichtsrats. “Es ist drängend und wichtig, geostrategisches Denken der politischen Akteure in der EU und in den Mitgliedstaaten weiter zu schärfen”, sagte Thoms zu Table.Briefings. “Gerade für Deutschland mit seinem offenen Wirtschaftsmodell ist eine geopolitisch starke und gut aufgestellte EU essenziell.”
Thoms, der das Amt als Vorstandsvorsitzender in privater Funktion übernimmt, erhofft sich, dass die EU dank der Arbeit von BIG ihre Interessen künftig besser definieren und durchsetzen kann. Der Think-Tank wurde von den Schriftstellern und EU-Experten Hans Kribbe und Luuk van Middelaar initiiert und 2022 mit Unterstützung von Emmanuel Macron, Olaf Scholz und Mark Rutte gegründet.
Getragen wird er neben Frankreich, Deutschland und den Niederlanden auch von vier weiteren Mitgliedstaaten sowie von den Unternehmensmitgliedern Airbus, Merifin und Raiffeisen Bank International. jaa
Es sind bewegte Zeiten für die jüdische Studierende in Deutschland. Ausgerechnet am jüdischen Holocaust-Gedenktag Jom haScho’a wurde Hanna Veiler, die Vorsitzende der Jüdischen Studierendenunion (JSUD) mit gerade mal 26 Jahren zur “Frau Europas” ausgezeichnet. Zur gleichen Zeit finden an deutschen Universitäten Proteste gegen den anhaltenden Militäreinsatz Israels in Gaza statt, bei denen auch antisemitische Parolen gerufen werden. Sie reihen sich in die Proteste an US-amerikanischen Universitäten ein, die mittlerweile so groß geworden ist, dass Präsident Joe Biden sich einschaltete. Veiler sagt: “Wir leben in einer Zeit, in der jüdische Studierende keine Pause bekommen.”
Mit dem Preis der Europäischen Bewegung Deutschland wird Hanna Veiler für ihr Engagement für junges jüdisches Leben in Europa geehrt. Sie setzt sich dafür ein, dass Jüdischsein in Deutschland nicht nur über die Schoa und aktuelle Bedrohungen definiert wird. Stattdessen, so Veiler, müsse es eigene, positive Identifikationsmöglichkeiten für junge Jüdinnen und Juden geben.
Ein besonderer Fokus ihrer Arbeit im Vorstand der JSUD liegt auf postsowjetischem Judentum. Erst kürzlich organisierte sie eine Reise zu einer der letzten bestehenden postsowjetisch-jüdischen Communitys Europas. Immerhin 90 Prozent der Jüdinnen und Juden in Deutschland kommen aus der ehemaligen Sowjetunion, die Hälfte davon aus der Ukraine. “Für die meisten Jüdinnen und Juden sind es gerade zwei Kriege, die uns biografisch treffen”, sagt Veiler.
Seit dem 7. Oktober und den Protesten an Universitäten hat sich die Arbeit der jüdischen Studierendenunion stark verändert. “Das Klima an den Universitäten wird zunehmend untragbar für Jüdinnen und Juden”, sagt Veiler. Sie berichtet von jüdischen Studierenden, die sich mittlerweile nicht mehr auf ihren Campus trauen. “Es ist vor allem der soziale Raum der Universität, den jüdische Studierende nun meiden.” Veiler ist auch in der European Union of Jewish Students aktiv. Dort zeigt sich ein ähnliches Bild: In den vergangenen Wochen wurden jüdische Studierende in Amsterdam angegriffen, in Wien wurden antisemitische Parolen skandiert.
Von den deutschen Universitäten ist Hanna Veiler enttäuscht. In den vergangenen Monaten sei ihr klar geworden, dass es den Einrichtungen vorrangig um ihre Reputation gehe. “An sehr vielen Universitäten herrscht Hilflosigkeit, sobald es um Antisemitismus geht.” Es gebe keine Protokolle, keine Ablaufpläne, keine Struktur dafür, wie man mit Antisemitismus umgeht.
Dabei war ein Ausbruch von Antisemitismus an deutschen Unis ihrer Meinung nach erwartbar gewesen. Gerade linker Antisemitismus sei schon lange eng mit akademischen Strukturen verbunden und viel zu lange ignoriert worden. Deswegen gab die JSUD in Kooperation mit jüdischen Regionalverbänden zu Beginn des Wintersemesters kurz nach dem 7. Oktober eine Broschüre heraus, in der sie vor Übergriffen warnte.
Im Zuge der Pro-Palästina-Proteste wird auch immer wieder um Meinungsfreiheit gestritten. Veiler sagt: “Natürlich unterstelle ich nicht allen, die da jetzt kämpfen, antisemitisch zu sein, aber am Ende des Tages hat das einen Schaden für die jüdische Community und jüdische Studierende am Campus.” Dabei stellt sich die Frage, warum die Demonstrierenden es nicht schaffen, gegen den israelischen Militäreinsatz zu demonstrieren, ohne dabei antisemitisch zu sein. Diese Welle des Antisemitismus trete in einer Phase auf, in der jüdisches Leben in Deutschland im Aufschwung gewesen sei, sagt Veiler. “All diese Prozesse von Emanzipation, Sichtbarmachung und jüdischem Selbstverständnis wurden einfach um zehn Jahre zurückgeworfen.” Leonard Schulz
heute soll die Hängepartie der Regierungsbildung in den Niederlanden beendet werden. Um Mitternacht läuft die Frist ab, bis zu der die vom Parlament bestellte Verhandlungsgruppe ihren Vorschlag unterbreiten soll. Es gilt als sehr wahrscheinlich, dass sich die vier beteiligten Parteien zusammenraufen. Dies sind: die rechtsextreme PVV von Geert Wilders, die langjährige liberale Regierungspartei VVD, die von Dilan Yeşilgöz-Zegerius geführt wird, sowie die beiden Newcomerparteien – die NSC des Ex-Christdemokraten Pieter Omtzigt zum einen und die BBB der Bauernaktivistin Caroline van de Plas zum anderen.
Gemeinsam werden sie wohl die Regierung in Den Haag bilden. Klar ist bereits, dass keine der Parteien den Ministerpräsidenten stellen wird, sondern ein Experte, der von außen kommt, dieses Amt übernehmen wird. Wie sie oder er heißen wird? Gestern war das Gerücht zu vernehmen, dass der Sozialdemokrat Ronald Plasterk es machen könnte. Plasterk hat die Sondierungen koordiniert.
Es ist damit zu rechnen, dass das Regierungsprogramm im Kapitel Migration dem Wahlergebnis entsprechend rigoros ausfällt. In der Wirtschafts- und Sozialpolitik wird es spannend: Wilders will eher Schulden machen und Geld ausgeben, Omtzigt bewegt sich auf der klassisch niederländischen Linie des Konsolidierens.
Der Fahrplan sieht vor, dass im Anschluss an die Einigung die Fraktionen um ihre Zustimmung gebeten werden, um am Dienstag dann in der Tweede Kamer nach einer Plenardebatte den künftigen Ministerpräsidenten zu wählen – knapp sechs Monate nach den Wahlen. Spätestens morgen früh sollten wir also wissen, welcher Regierungschef aus dem Nachbarland zum nächsten Europäischen Rat anreist.
Kommen Sie gut durch den Tag!
Noch gibt Maia Pandschikidse die Hoffnung nicht auf. Es werde den Druck der Straße und der westlichen Partner brauchen, um eine Inkraftsetzung des Gesetzes über “Transparenz ausländischen Einflusses” noch zu verhindern, sagt die frühere Botschafterin in Berlin und ehemalige Außenministerin Georgiens. Im Parlament in Tiflis haben am Dienstag wie erwartet die Abgeordneten der Regierungspartei Georgischer Traum das sogenannte ausländische Agentengesetz in dritter Lesung trotz der Proteste im Land durchgedrückt. Die EU-freundliche Präsidentin Salome Surabischwili hat angekündigt, ein Veto gegen das Gesetz nach russischem Vorbild einzulegen.
Die Präsidentin habe dafür 14 Tage Zeit, sagt Maia Pandschikidse. Die Hoffnung der 64-Jährigen ruht auf diesem kleinen Zeitfenster, in dem eine Inkraftsetzung noch verhindert werden könnte. Danach reiche der Regierungspartei eine einfache Mehrheit, um das Veto zu überstimmen. Würde Georgien damit in die russische Einflusssphäre fallen? “Auf jeden Fall, ja”, sagt die Ex-Außenministerin. Die Regierung argumentiere, dass es ihr um Transparenz gehe. Aber NGOs, Hilfsorganisationen oder Medien müssten ja heute schon in jährlichen Steuererklärungen ihre Einnahmen und die Geldgeber ebenfalls ihre Bücher offenlegen.
Das Gesetz zu den Auslandsagenten sei nur der Anfang, wie das Beispiel Russland zeige, so Maia Pandschikidse. Egal, ob es sich um eine politische Stiftung, eine Wohltätigkeitsorganisation oder unabhängige Medien gehe: Wer mehr als 20 Prozent der Mittel von außerhalb des Landes bekommt, wird sich registrieren lassen müssen, und zwar als NGO, das “ausländischen Interessen dient”. Die Organisationen seien dann gebrandmarkt. In einem nächsten Schritt würden wie in Russland Oppositionelle von Wahlen ausgeschlossen oder Organisationen verboten. Ausländische Geldgeber würden sich dann zurückziehen, das Land immer isolierter dastehen.
Wie konnte es so weit kommen? Noch vor einem Jahr hat Georgiens Regierung ein ähnliches Gesetz im letzten Moment zurückgezogen. Der Rückzieher damals sei Voraussetzung gewesen, damit Georgien im Dezember 2023 dann den Status als Beitrittskandidat habe bekommen können, sagt Maia Pandschikidse. Die Regierung habe der Bevölkerung einerseits signalisiert, dass sie alles für eine Annäherung an die EU unternehme. Nun werde aber alles getan, dass es mit der Integration nicht klappt und die EU ihre Zusage auf Eis lege.
Der Druck aus Moskau auf die Regierungspartei sei sehr groß, der Linie treu zu bleiben, die von Russland vorgegeben werde. Die Regierung in Tiflis werde am Ende seiner proeuropäischen Bevölkerung erzählen, Brüssel wolle Georgien gar nicht in der EU.
Worte alleine würden nicht reichen, damit die europäischen Partner Einfluss nehmen können, sagt Maia Panschikidse. Am Dienstag blockierten Ungarn und die Slowakei zudem dem Vernehmen nach ein gemeinsames Statement der 27 Mitgliedstaaten, das die Dienste von Josep Borrell vorbereitet hatten. Der EU-Außenbeauftragte wollte am Abend eine Stellungnahme im eigenen Namen abgeben, um die Entwicklung in Tiflis zu verurteilen und vor negativen Auswirkungen auf die Beitrittsperspektive zu warnen. Georgien dürfte auch beim nächsten Treffen der EU-Außenminister am 27. Mai auf der Agenda stehen.
Es werde wichtig sein, Maßnahmen zu finden, die nicht die Bevölkerung bestraften, sondern ausschließlich die Regierung, sagt Maia Pandschikidse. Eine Möglichkeit sieht die ehemalige Außenministerin in Einreiseverboten für Abgeordnete und deren Familien, die sich für das Agentengesetz ausgesprochen hätten. Oppositionelle der Regierungspartei redeten in einer zunehmend antieuropäischen Rhetorik davon, dass Europa für die falschen Werte stehe, etwa mit Blick auf die gleichgeschlechtliche Ehe oder Liberalisierung von Drogen.
Gleichzeitig besitzen viele von ihnen Wohnungen im Ausland oder lassen ihre Kinder an europäischen oder amerikanischen Universitäten studieren. Einreiseverbote etwa schon zur Fußball-EM werde auch den Abgeordneten der Regierungspartei zeigen, was es bedeute, isoliert zu sein. Eine Isolation, die bald dem ganzen Land drohe, wenn die Regierung die europäische Perspektive verbaue.
Wichtig ist es Maia Pandschikidse zu unterstreichen, dass die europäischen Partner in den nächsten Tagen sich nicht auf Diskussionen um Retuschen an dem Agentengesetz einlassen. Das sei eine Falle der Regierungspartei. Kosmetische Anpassungen änderten nichts an der Zielrichtung des Gesetzes, den Weg für eine ähnliche Entwicklung wie in Russland vorzubereiten und das Land in der Einflusssphäre Moskaus zu verankern. Es gebe nichts zu verschönern an dem Gesetz, es müsse einfach weg.
Wenn die Europaabgeordnete Gaby Bischoff (SPD) in diesen Tagen in Berlin Straßenwahlkampf macht, dann sprechen sie Passanten immer wieder auf die EU-Mindestlohnrichtlinie an. “Die Leute sagen: Das ist einmal was ganz Konkretes aus Europa für mich. Das finden sie gut.” Und genau da will die Gewerkschafterin auch nach der Wahl anknüpfen. “Viele haben begriffen, dass es das soziale Europa braucht.” Die auseinandergehende Einkommensschere enttäusche viele. “Deswegen gehen so viele Menschen den Populisten auf den Leim”, so Bischoff zu Table.Briefings.
Rückenwind bekommt sie von einer aktuellen Eurobarometerumfrage. Zuletzt rangierte der Kampf gegen Armut und Ausgrenzung auf Platz eins der Themen (33 Prozent), die sich die Befragten im Europawahlkampf wünschten. Dicht gefolgt von Gesundheit (32 Prozent), auch wenn die EU dort bei beidem kaum Kompetenzen hat.
Im neuen Mandat wird mit Vorschlägen der Kommission in folgenden Bereichen gerechnet:
Es werden Dossiers fortgeführt: Da wäre zum einen der EU-Talentepool, der europäische Arbeitgeber einfacher mit ausländischen Fachkräften zusammenbringen und dadurch den Fachkräftemangel in Europa lindern soll. Ein Kommissionsvorschlag liegt auf dem Tisch und wird im Parlament von Renew-Berichterstatterin Abir Al-Sahlani betreut.
Die Überarbeitung der Eurobetriebsräterichtlinie wird fortgesetzt. Mit dieser sollen die transnationalen Arbeitnehmergremien gestärkt werden. Das Ziel von Berichterstatter Dennis Radtke (CDU) ist, dass der zuständige Ausschuss bereits im September das Mandat abstimmt.
Umstritten ist die Forderung der Grünen nach einer Mindestsicherungsrichtlinie, wie sie etwa MEP Katrin Langensiepen fordert. “Was die Mindestlohnrichtlinie für den Kampf gegen zu niedrige Löhne ist, das ist die europäische Grundsicherung für den Bereich Soziales.” Ihr Argument: “Wir müssen den Menschen zeigen, dass die Europäische Union ganz konkrete Verbesserungen für sie schafft.”
Technisch könne das Ganze angelehnt an die Mindestlohnrichtlinie erfolgen, sagt Langensiepen Table.Briefings. Die EU gebe nur eine Zielvorgabe, etwa dass das Sozialsicherungsniveau in der EU gemessen an den Löhnen der jeweiligen Länder armutsfest sein soll. Wie genau die Staaten das erreichen? Etwa über ein steuerfinanziertes Modell oder Sozialversicherungen – das solle weiter den Ländern selbst überlassen bleiben.
Teils heftige Ablehnung kommt dazu nicht nur aus einzelnen Mitgliedstaaten, sondern auch aus Reihen von Konservativen, Christdemokraten und Liberalen. Das Thema könnte dennoch eine Chance haben: Denn die Grünen bringen sich als Partner der nächsten inoffiziellen Koalition im Parlament in Stellung. Und könnten einen entsprechenden Vorstoß dazu zur Bedingung machen.
In diesem Wahlkampf taucht zudem das Thema bezahlbares Wohnen auf. “Es ist eine der großen sozialen Konfliktlinien unserer Gesellschaft“, sagt MEP und Linksparteivorsitzender Martin Schirdewan. Er möchte daher noch einmal ran an die Verordnung zu Kurzzeitvermietungen und abschreckende Strafen für Verstöße nachverhandeln. “Außerdem benötigen wir eine Ausnahme im Wettbewerbsrecht für Investitionen in bezahlbaren Wohnraum.” Es gebe Gründe im Wettbewerbsrecht, warum der soziale Wohnungsbau in ganz Europa einbreche.
Rückenwind kommt von unerwarteter Stelle. Enrico Letta, der Sonderbeauftragte der Kommission, hatte in seinem Bericht zur Funktionsweise des Binnenmarktes darauf hingewiesen, dass der Mangel an bezahlbaren Wohnraum eine Gefahr für den Binnenmarkt darstelle. Die Mietpreise in der EU seien seit 2010 um 22,1 Prozent gestiegen. Letta fordert etwa eine Taskforce bezahlbarer Wohnraum und eine weiter gefasste Definition von “soziales Wohnen” in den Bestimmungen zu den Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse. Die Definition sei bisher zu eng gefasst und behindere staatlichen Wohnbaupolitiken.
Die Liberalen wünschen sich möglichst wenige Vorstöße. Ihre Schwerpunkte liegen bei der Freizügigkeit von Arbeitnehmenden und der Gewinnung neuer Fachkräfte wie etwa durch den EU-Talentepool, der nach kanadischen Vorbild ausgebaut werden soll. Die Plattformarbeitsrichtline möchte die FDP am liebsten wieder abwickeln.
Bewegung könnte es bei der Betriebsratsumgehung in Europäischen Aktiengesellschaften geben, den Societas Europaea oder SE-Gesellschaften. “Mein Anspruch ist, dass die SE-Mitbestimmung Tesla-fest wird“, so der CDU-Sozialpolitiker Denis Radtke. Derzeit können etwa deutsche Betriebe die verpflichtende Mitbestimmung im Aufsichtsrat für Unternehmen ab 500 Beschäftigten umgehen, wenn sie zuvor mit weniger Mitarbeitenden die Rechtsform einer SE annehmen. Der Autobauer Tesla etwa wird von der IG Metall dafür kritisiert, über die Wahl der Rechtsform SE die deutsche Mitbestimmung zu umgehen.
Auch eine Reform der Europäischen Arbeitsbehörde (ELA) könnte auf die Agenda kommen. “Die ELA braucht Zähne”, so Radtke weiter. Die Evaluierung der Behörde soll bis August abgeschlossen sein. Danach geht es um ein mögliches neues Mandat – nach Willen des Parlaments soll die ELA mehr Kompetenzen bekommen und personell besser ausgestattet werden. Einen Entschließungsantrag aus dem Parlament dazu gibt es seit Januar.
Sozialdemokratin Bischoff will zudem die Reform der Verordnung zur Koordinierung der Sozialen Sicherheitssysteme über die Ziellinie zu bringen. Vorgeschlagen wurde die Überarbeitung bereits 2016 von der Kommission, doch auch nach 18 Trilogen war keine Einigung möglich.
Der EU wurde lange vorgeworfen, die soziale Dimension zu vernachlässigen. Das war laut Laura Rayner vom European Policy Center (epc) zuletzt aber nicht mehr der Fall. Die vergangenen fünf Jahre seien die “erfolgreichsten Jahre für Arbeit und Soziales auf europäischer Ebene überhaupt” gewesen, auch wenn es noch immer viel Handlungsbedarf gebe, sagt Rayner Table.Briefings.
Besonders die Mindestlohnrichtlinie sowie die Richtlinie zur Plattformarbeit haben für viel Aufmerksamkeit gesorgt. Doch: Die Chancen für europäische Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik hätten sich eingetrübt. In den Reden von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyens hat das Thema Wettbewerbsfähigkeit zuletzt einen prominenteren Platz eingenommen – die Rolle der Tarifparteien für Europa betont sie seltener.
Business Europe erteilte vielen sozial- und arbeitsmarktpolitischen Initiativen Absagen – zuletzt etwa der Erklärung von La Hulpe. Stattdessen betont der Verband, dass Bürokratieabbau und die Stärkung der Wirtschaft Vorrang haben müsse. Eine weitere Herausforderung ist für Sozialpolitiker, dass das Parlament vermutlich nach rechts rückt. epc-Analystin Rayner prognostiziert dennoch: “Ich denke, dass es keine großen Rüschritte in den kommenden Jahren beim sozialen Europa und der Umsetzung der sozialen Säule geben wird. Aber auch keine großen Fortschritte.”
Die US-Regierung belegt wie erwartet eine ganze Reihe chinesischer Produkte mit Sonderzöllen. Auf Elektroautos werden die Zölle von 25 auf 100 Prozent angehoben, teilte die Regierung am Dienstag in Washington mit. Auf Lithium-Ionen-Batterien für Elektrofahrzeuge und andere Batterieteile werden künftig 25 Prozent statt wie bisher 7,5 Prozent fällig. Für Solarzellen und Halbleiter verdoppelt Washington den Zollsatz auf 50 Prozent. Hinzu kommen Zölle auf bestimmte kritische Materialien, Hafenkräne sowie Medizinartikel wie Kanülen und Schutzmasken.
Damit heizen die USA den Handelskonflikt zwischen den beiden Großmächten weiter an. China flute die globalen Märkte mit künstlich verbilligten Exporten zulasten heimischer Hersteller – so lautet die Begründung des Weißen Hauses für die Maßnahmen. Seit Jahrzehnten klagen die USA über ein enormes Handelsdefizit mit China. Doch gerade chinesische Elektroautohersteller meiden den US-Markt ohnehin überwiegend, eben wegen der geopolitischen Spannungen.
Andere Firmen wie der Solarhersteller Longi Green Energy investieren in den USA: Gemeinsam mit der US-Firma Invenergy gründete Longi ein Joint Venture namens Illuminate USA, das seit Februar Solarmodule in Ohio produziert, die der chinesischen Miteigentümer auf seiner Website allerdings eher versteckt.
Peking reagierte auf die Sonderzölle bereits vorab mit scharfer Kritik und kündigte an, “alle notwendigen Maßnahmen” zu ergreifen, um die eigenen Interessen zu verteidigen. Es droht ein neuer Zollwettlauf, der auch die EU in Mitleidenschaft ziehen dürfte. “Da wird jetzt die EU nacheifern, denn das Argument ‘jetzt rollt die Lawine auf Europa’ haben die Franzosen mit (dem französischen Präsidenten, d.Red.) Macron schon in der Schublade”, erwartet etwa der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer.
Macron bezeichnete Strafzölle auf chinesische E-Autos am Dienstag im Interview mit Bloomberg als “No-brainer”. Es gehe dabei nicht um Geopolitik: “Was wir wollen, ist einfach Reziprozität.” Die EU erhebt derzeit zehn Prozent Zölle auf E-Autos, China dagegen zwischen 15 und 24 Prozent.
Umgekehrt haben sich Bundeskanzler Olaf Scholz und der schwedische Ministerpräsident Ulf Kristersson am Dienstag in Stockholm gemeinsam ablehnend zu EU-Strafzöllen gegen chinesische E-Autos geäußert. Scholz wies darauf hin, dass “gegenwärtig jedenfalls 50 Prozent der Importe von Elektrofahrzeugen aus China von westlichen Marken kommen, die selber dort produzieren und nach Europa importieren”. Das unterscheide Europa von Amerika. Auch Kristersson äußerte sich ablehnend: “Wir wollen den globalen Handel ja nicht zerlegen, das ist eine dumme Idee.”
Bernd Lange (SPD), Chef des Handelsausschusses im Europaparlament, befürchtet, dass die EU-Wirtschaft die Leidtragende sein wird. “Wir könnten einen großen Teil des Preises zahlen, da es möglich ist, dass etwa chinesische E-Fahrzeuge leichter den Weg in die EU finden.” Die America-first-Saga werde mit dem Schritt um ein unrühmliches Kapitel reicher.
Und weiter: “Die USA bringen ihre Abkopplungsstrategie von China auf das nächste Level und verstärken damit ihren konfrontativen Ansatz.” Diese zusätzlichen Zölle sollten vor allem einen kleinen Teil der Wählerschaft zufriedenstellen, die bei den Präsidentschaftswahlen im November entscheidend sein könnte. ck/rtr
Die EU-Kommission hat am Montag Empfehlungen und Leitlinien zur Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED) veröffentlicht. Sie beziehen sich auf Planungsbeschleunigung, die Ausweisung von Beschleunigungsgebieten für erneuerbare Energie und das Auktionsdesign. Erneuert wurde außerdem eine Plattform, auf der die Mitgliedstaaten Informationen zu ihren Ausschreibungen veröffentlichen.
Die Empfehlungen konkretisieren auch die Schlechterstellung von chinesischen Technologieanbietern bei Ausschreibungen für Erneuerbare. Nach den Energie-Beihilfeleitlinien (KUEBLL) und dem temporären Krisenbeihilferahmen TCTF können die Mitgliedstaaten für 30 Prozent der Ausschreibungskriterien Anforderungen stellen, die sich nicht auf den Preis beziehen. Darunter fallen zum Beispiel Kriterien für die Cybersicherheit von Komponenten, die auch durch den Net-Zero Industry Act (NZIA) verlangt werden.
Diese beträfen laut den aktuellen Empfehlungen vor allem die Windindustrie: “Ein Kriterium könnte Security-by-Design der digitalen Netze in den Windkraftanlagen sein.” Im Staff-Working-Document drängt die Kommission die EU-Staaten außerdem zu einheitlich hohen Anstrengungen: “Die Mitgliedstaaten werden ermutigt, robuste Cybersicherheitsvorschriften zu erlassen, um sicherzustellen, dass die schwächsten Glieder der EU nicht ausgenutzt werden.”
Laut den Empfehlungen müssen ausländische Turbinenhersteller Risikobewertungen durchführen und auch dokumentieren, wie sie mit Daten umgehen und wo diese Daten gespeichert werden. “Chinesische Unternehmen könnten das nach einer Umstellungsphase sicherlich einrichten, aber derzeit akzeptieren sie diese Bedingung noch nicht”, heißt es dazu aus der Windindustrie. “An dieser Stelle könnte es in der Zukunft daher zu Ausschlüssen kommen.” ber
In der Entwicklung eines europäischen Wasserstoffmarktes wollen Deutschland, Belgien und die Niederlande noch enger zusammenarbeiten. Die Wasserstoffräte der drei Länder haben dazu am Montag ein Memorandum of Understanding unterzeichnet. “Es zielt darauf ab, eine Plattform für die Zusammenarbeit zwischen Industrien, Regierungen, Universitäten, Forschungsinstituten und Zivilgesellschaften zu schaffen, um Innovation und Nachhaltigkeit im Wasserstoffsektor zu fördern”, heißt es in einer gemeinsamen Presseerklärung.
“Belgien und die Niederlande werden wichtige Hubs sein, um Wasserstoff zur deutschen Industrie zu transportieren. Dazu gehören auch die Harmonisierung von Vorschriften und die Implementierung gemeinsamer Infrastrukturen für Import, Abnahme und Transport“, sagte Tom Hautekiet, Vorsitzender des Belgischen Wasserstoffrates.
Ziele des MoU sind die Umsetzung der Erneuerbare-Energien-Richtlinie und gemeinsame Initiativen in der Markt- und Technologieentwicklung sowie im Bereich Policy, Regulatorik und in der Kommunikation mit Stakeholdern. “Das Memorandum of Understanding stellt einen neuen Meilenstein in unseren gemeinsamen Bemühungen um eine nachhaltige Energiezukunft dar. Wir werden unser Fachwissen und unsere Ressourcen nutzen, um bedeutende Fortschritte bei der Einführung und Integration von Wasserstofftechnologien zu erzielen”, sagte Katherina Reiche, Vorsitzende des Nationalen Wasserstoffrats. ber
Am Dienstag haben sich die EU-Finanzminister während ihrer Ratssitzung in Brüssel auf die “FASTER” genannte Quellensteuerreform geeinigt. Bei grenzüberschreitenden Investitionen werden heute oft Quellensteuern auf Dividenden- und Zinsauszahlungen in einem Land erhoben, während dieselben Einkommen im anderen Land der Einkommenssteuer unterliegen. EU-Staaten organisieren sich bilateral, um Doppelbesteuerung zu vermeiden. Dies führt aber oft zu komplexen und langwierigen Prozessen, die grenzüberschreitende Investitionen verteuern und Betrug ermöglichen.
Im Juni 2023 hatte die EU-Kommission einen Reformvorschlag präsentiert, der die Quellenbesteuerung europaweit harmonisieren soll. Nach Anpassungen durch die Finanzminister sieht die Richtlinie so aus:
Im Rat der Finanzminister hatten sich einige kleinere Staaten gegen die Reform gestellt, weil sie durch die Umstellung eine zu hohe administrative Belastung fürchteten. Unter anderem Tschechien hatte sich dafür eingesetzt, dass nur Mitgliedstaaten mit großen Kapitalmärkten die neuen Fast-Track-Prozesse einführen müssen. Der Kompromiss besagt nun, dass Mitgliedstaaten, deren Kapitalmarkt gemessen an der Kapitalisierung kleiner ist als 1,5 Prozent des gesamten EU-Kapitalmarkts, die neuen Prozesse nicht einführen müssen.
Der Kompromiss war unter anderem deshalb notwendig, weil es um ein Steuerdossier geht, für das es Einstimmigkeit braucht. Das Parlament hat nur ein Konsultationsrecht. Da der Text seit der letzten Konsultation aber verändert wurde, muss das Parlament noch einmal zurate gezogen werden. Die Richtlinie muss bis Ende 2028 in nationales Recht transponiert werden, und die nationalen Regeln müssen spätestens ab dem 1. Januar 2030 in Kraft treten.
Die Quellensteuerreform wird auch als wichtige Voraussetzung für die Kapitalmarktunion gesehen, da langwierige Steuerrückerstattungsprozesse und Doppelbesteuerung die grenzüberschreitenden Investitionen verteuern. Der erfolgreiche Kompromiss ist ein kleiner Fortschritt für die Kapitalmarktunion, zeigt mit seinen Ausnahmen aber gleichzeitig, wie langwierig und unvollständig die Reformbemühungen sind. jaa
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will in einer möglichen zweiten Amtszeit entschiedener gegen Desinformation aus dem Ausland vorgehen. Dazu solle die Kommission ein European Democracy Shield aufbauen. In ihrer Rede auf dem Democracy Summit in Kopenhagen warnte sie davor, “dass unsere Demokratien von den Handlangern der Autoritären gekapert werden”. Die grundlegenden Prinzipien unserer Demokratien würden heute angegriffen wie nie zuvor. “Ich bin besonders besorgt über den Anstieg der ausländischen Einmischung und Manipulation in unseren Gesellschaften, unseren Demokratien und unseren Wahlen.”
In den vergangenen Wochen seien “Schwärme von negativer Desinformation” zu sehen gewesen. Als Beispiel nannte sie ein Video, das fälschlicherweise behauptete, eine Tuberkulose-Epidemie stehe bevor, weil ukrainische Soldaten in französischen Krankenhäusern seien. Es gehe dabei nicht nur um Fälschungen und erfundene Inhalte, es gehe auch darum, Einfluss zu nehmen und Chaos zu schaffen.
Desinformation oder böswillige Einmischung seien nicht neu, konstatierte von der Leyen. Allerdings schritten die dafür verwendeten Techniken schneller voran, als die Gesellschaft sich anpassen und reagieren könne. “Es ist also jetzt an der Zeit, unsere Maßnahmen auf die nächste Ebene zu heben.” Europa müsse so ehrgeizig sein, wie es die Bedrohung erfordere. “Wenn ich als Präsidentin der Kommission gewählt werde”, werde sie einen europäischen Demokratieschild als “eine der Schlüsselprioritäten der nächsten Kommission vorschlagen”. Dieses Democracy Shield solle sich auf die größten Bedrohungen durch ausländische Einmischung und Manipulation konzentrieren.
Als ein Element des europäischen Demokratieschildes nannte von der Leyen die Erkennung und Aufdeckung von Informationsmanipulation, was freie Medien und öffentliches Wissen erfordere. Dafür sei aber auch eine bessere Informations- und Bedrohungsaufklärung durch die verschiedenen Geheimdienste auf nationaler Ebene nötig. Wichtig sei, neue gemeinsame Fähigkeiten auf europäischer Ebene zu schaffen.
“Ich glaube, Europa braucht jetzt seine eigene spezialisierte Struktur zur Bekämpfung ausländischer Einmischung”, sagte von der Leyen. “Sie wird die notwendige Expertise bündeln und mit bestehenden nationalen Agenturen vernetzen und koordinieren.” Ein weiteres Element sei der Digital Services Act. Bei der Durchsetzung müsse die EU “sehr wachsam und kompromisslos sein”. vis
Die EU will Influencer stärker in die Verantwortung nehmen. Dazu hat der Rat am Dienstag Schlussfolgerungen “zur Unterstützung von Influencern als Urheber von Online-Inhalten in der EU” angenommen. Die Europäer verbringen immer mehr Zeit online. Das bedeute, dass Influencer “einen größeren Einfluss als je zuvor darauf haben, wie wir die Welt wahrnehmen und verstehen“, sagte der flämische Minister Benjamin Dalle, unter anderem zuständig für Jugend und Medien. Um sicherzustellen, dass dieser Einfluss positiv sei, müsse die EU die Influencer “unterstützen”.
Die Maßnahmen zielen darauf ab, die Medienkompetenz und das verantwortungsvolle Verhalten von Influencern zu stärken und gleichzeitig die Einhaltung der relevanten gesetzlichen Verpflichtungen sicherzustellen.
In seinen Schlussfolgerungen stellt der Rat fest, dass Influencer eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung der öffentlichen Meinung und persönlicher Ansichten, insbesondere bei Jugendlichen spielen. Online-Communitys förderten ein Gefühl der Zugehörigkeit und des sozialen Engagements. Allerdings berge ihr Einfluss auch Risiken wie Cybermobbing, Desinformationen und ungesunde Vergleiche, die die psychische und physische Gesundheit von Minderjährigen beeinträchtigen können.
In seinen Schlussfolgerungen schlägt der Rat den Mitgliedstaaten und der Kommission eine Reihe von Maßnahmen vor. So ermutigt er die Mitgliedstaaten, mit den Influencern und ihren Vertretern in Kontakt zu treten, um sicherzustellen, dass sie sich ihrer Rolle in der Medienwelt und der für sie geltenden Rechtsvorschriften bewusst sind. Die Kommission solle EU-Fonds und -Programme zur Medienerziehung nutzen, um Medienkompetenz und Verantwortungsbewusstsein zu stärken.
Er rät auch, Selbstregulierungsgremien oder -mechanismen wie etwa einen ethischen Kodex oder ähnliche Initiativen zu unterstützen. Und er fordert die Mitgliedstaaten und die Kommission auf, dass sie Influencer einbeziehen, wenn es um Medienpolitik geht, die sie betreffen könnte – einschließlich des verstärkten Einsatzes von KI. vis
Österreich behindert auf der Brennerroute mit Maßnahmen gegen den Lkw-Verkehr den freien Warenverkehr in Europa. Zu diesem Ergebnis kommt die EU-Kommission in ihrer begründeten Stellungnahme. Auf den Autobahnen A 12 und A 13 hat die Landesregierung Tirol etwa Nachtfahrverbote, Dosierung von Lastwagen und Fahrverbote an Samstagen angeordnet.
Damit gibt die Kommission einer Beschwerde der Regierung Italiens statt. Mit der Stellungnahme hält die Kommission zudem fest, dass nicht-österreichische Betriebe härter getroffen werden als einheimische Betriebe. Jetzt steht Italien der Weg frei, Klage gegen die Maßnahmen vor dem Europäischen Gerichtshof einzureichen.
CSU-Verkehrspolitiker Markus Ferber: “Die Kommission stellt klar, worunter viele Anrainerstaaten Österreichs seit Jahren leiden. Österreich blockiert den freien Warenverkehr in Europa.” mgr
556 Feuerwehrleute aus 12 Ländern stellt Brüssel im Rahmen des Rescue-EU-Programms in diesem Jahr bereit, um lokale Feuerwehren bei der Bekämpfung von Waldbränden zu unterstützen. Sie sind in Frankreich, Griechenland, Portugal und Spanien stationiert und mit einer eigenen Flotte von 28 Flugzeugen und vier Hubschraubern ausgestattet. Zusammen mit dem Zentrum für Koordination von Notfallmaßnahmen (ERCC) sollen Waldbrände früh erkannt und zügig bekämpft werden, um Schäden zu minimieren.
In der EU sind 2023 nach Angaben der Kommission mehr als eine halbe Million Hektar Wald den Bränden zum Opfer gefallen – eine Fläche doppelt so groß wie Luxemburg. In diesem Jahr will man besser vorbereitet sein und auch künftig mehr in den Waldbrandschutz investieren: Die Kommission nimmt 600 Millionen Euro an EU-Mitteln in die Hand, um weitere 12 Löschflugzeuge und neun Hubschrauber zu finanzieren.
Doch nicht nur die EU ist an der koordinierten Brandbekämpfung beteiligt. Auch Island, Norwegen, Serbien, Nordmazedonien, Montenegro, Türkei, Bosnien und Herzegowina, Albanien, Moldau und die Ukraine nehmen am Katastrophenschutzverfahren teil. So soll neben der Resilienz gegen Naturkatastrophen auch die europäische Solidarität gestärkt werden. luk
Am vergangenen Montag traf sich der Aufsichtsrat des neuen Think-Tanks Brussels Institute for Geopolitics (BIG) zum ersten Mal. Als Ziel hat sich der Think-Tank gesetzt, das geopolitische Denken in der EU zu fördern. “Um in diesem neuen Zeitalter der Konflikte erfolgreich zu sein, muss Europa lernen, in Kategorien von Macht, Interessen und Strategie zu denken und zu handeln”, steht im Leitbild des BIG. Und weiter: “Um seine demokratische Offenheit nach innen zu bewahren, muss Europa seine Haltung nach außen stärken, indem es nach innen Kant und nach außen Machiavelli praktiziert.”
Staatssekretär Heiko Thoms, der im Bundesfinanzministerium für die Finanzmarktpolitik, die Europapolitik und die internationale Finanzpolitik zuständig ist, übernimmt den Vorsitz des BIG-Aufsichtsrats. “Es ist drängend und wichtig, geostrategisches Denken der politischen Akteure in der EU und in den Mitgliedstaaten weiter zu schärfen”, sagte Thoms zu Table.Briefings. “Gerade für Deutschland mit seinem offenen Wirtschaftsmodell ist eine geopolitisch starke und gut aufgestellte EU essenziell.”
Thoms, der das Amt als Vorstandsvorsitzender in privater Funktion übernimmt, erhofft sich, dass die EU dank der Arbeit von BIG ihre Interessen künftig besser definieren und durchsetzen kann. Der Think-Tank wurde von den Schriftstellern und EU-Experten Hans Kribbe und Luuk van Middelaar initiiert und 2022 mit Unterstützung von Emmanuel Macron, Olaf Scholz und Mark Rutte gegründet.
Getragen wird er neben Frankreich, Deutschland und den Niederlanden auch von vier weiteren Mitgliedstaaten sowie von den Unternehmensmitgliedern Airbus, Merifin und Raiffeisen Bank International. jaa
Es sind bewegte Zeiten für die jüdische Studierende in Deutschland. Ausgerechnet am jüdischen Holocaust-Gedenktag Jom haScho’a wurde Hanna Veiler, die Vorsitzende der Jüdischen Studierendenunion (JSUD) mit gerade mal 26 Jahren zur “Frau Europas” ausgezeichnet. Zur gleichen Zeit finden an deutschen Universitäten Proteste gegen den anhaltenden Militäreinsatz Israels in Gaza statt, bei denen auch antisemitische Parolen gerufen werden. Sie reihen sich in die Proteste an US-amerikanischen Universitäten ein, die mittlerweile so groß geworden ist, dass Präsident Joe Biden sich einschaltete. Veiler sagt: “Wir leben in einer Zeit, in der jüdische Studierende keine Pause bekommen.”
Mit dem Preis der Europäischen Bewegung Deutschland wird Hanna Veiler für ihr Engagement für junges jüdisches Leben in Europa geehrt. Sie setzt sich dafür ein, dass Jüdischsein in Deutschland nicht nur über die Schoa und aktuelle Bedrohungen definiert wird. Stattdessen, so Veiler, müsse es eigene, positive Identifikationsmöglichkeiten für junge Jüdinnen und Juden geben.
Ein besonderer Fokus ihrer Arbeit im Vorstand der JSUD liegt auf postsowjetischem Judentum. Erst kürzlich organisierte sie eine Reise zu einer der letzten bestehenden postsowjetisch-jüdischen Communitys Europas. Immerhin 90 Prozent der Jüdinnen und Juden in Deutschland kommen aus der ehemaligen Sowjetunion, die Hälfte davon aus der Ukraine. “Für die meisten Jüdinnen und Juden sind es gerade zwei Kriege, die uns biografisch treffen”, sagt Veiler.
Seit dem 7. Oktober und den Protesten an Universitäten hat sich die Arbeit der jüdischen Studierendenunion stark verändert. “Das Klima an den Universitäten wird zunehmend untragbar für Jüdinnen und Juden”, sagt Veiler. Sie berichtet von jüdischen Studierenden, die sich mittlerweile nicht mehr auf ihren Campus trauen. “Es ist vor allem der soziale Raum der Universität, den jüdische Studierende nun meiden.” Veiler ist auch in der European Union of Jewish Students aktiv. Dort zeigt sich ein ähnliches Bild: In den vergangenen Wochen wurden jüdische Studierende in Amsterdam angegriffen, in Wien wurden antisemitische Parolen skandiert.
Von den deutschen Universitäten ist Hanna Veiler enttäuscht. In den vergangenen Monaten sei ihr klar geworden, dass es den Einrichtungen vorrangig um ihre Reputation gehe. “An sehr vielen Universitäten herrscht Hilflosigkeit, sobald es um Antisemitismus geht.” Es gebe keine Protokolle, keine Ablaufpläne, keine Struktur dafür, wie man mit Antisemitismus umgeht.
Dabei war ein Ausbruch von Antisemitismus an deutschen Unis ihrer Meinung nach erwartbar gewesen. Gerade linker Antisemitismus sei schon lange eng mit akademischen Strukturen verbunden und viel zu lange ignoriert worden. Deswegen gab die JSUD in Kooperation mit jüdischen Regionalverbänden zu Beginn des Wintersemesters kurz nach dem 7. Oktober eine Broschüre heraus, in der sie vor Übergriffen warnte.
Im Zuge der Pro-Palästina-Proteste wird auch immer wieder um Meinungsfreiheit gestritten. Veiler sagt: “Natürlich unterstelle ich nicht allen, die da jetzt kämpfen, antisemitisch zu sein, aber am Ende des Tages hat das einen Schaden für die jüdische Community und jüdische Studierende am Campus.” Dabei stellt sich die Frage, warum die Demonstrierenden es nicht schaffen, gegen den israelischen Militäreinsatz zu demonstrieren, ohne dabei antisemitisch zu sein. Diese Welle des Antisemitismus trete in einer Phase auf, in der jüdisches Leben in Deutschland im Aufschwung gewesen sei, sagt Veiler. “All diese Prozesse von Emanzipation, Sichtbarmachung und jüdischem Selbstverständnis wurden einfach um zehn Jahre zurückgeworfen.” Leonard Schulz