am Sonntag findet in Frankreich die erste Runde der Parlamentswahlen statt. Selten war der politische Einsatz so hoch, sowohl auf französischer als auch auf europäischer Ebene. Selten war die politische Lage so unübersichtlich. Selten war die Zukunft Frankreichs so ungewiss.
Denn eine rechtsextreme Partei ist in Frankreich an der Schwelle zur Macht, zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg: Der Rassemblement National und seine Verbündeten erreichen in Umfragen 36 Prozent, vor dem Linksbündnis Nouveau Front Populaire (29 Prozent) und Emmanuel Macrons Parteienbündnis Ensemble pour la République (19,5 Prozent). Er mache sich Sorgen wegen der Wahlen in Frankreich, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz im ARD-Sommerinterview.
Der RN strebt die absolute Mehrheit an, also 289 Sitze. Sollte das gelingen, würde am Tag nach der für den 7. Juli geplanten Stichwahl eine neue Regierung gebildet. Frankreich würde dann von einer “Koalition” mit Präsident Emmanuel Macron auf der einen und Jordan Bardella vom RN als Regierungschef auf der anderen Seite regiert werden. Diese Machtteilung wäre alles andere als einvernehmlich.
Auch auf europäischer Ebene dürfte ein derartiger Wahlsieg des RN für Aufregung sorgen. In einem Interview mit der “Financial Times” versprach Bardella, das politische “Gewicht” seines Wahlsiegs zu nutzen, um die Beiträge Frankreichs zum EU-Haushalt um zwei Milliarden Euro zu senken. “Ich will eine Rückerstattung erreichen”, sagte er.
Eigentlich wollte Macron dem RN mit der Ankündigung zur Neuwahl “eine scharfe Granate in die Beine” werfen, wie “Le Monde” berichtet. Offensichtlich hat er sich schwer geirrt: Er hat den Stift geworfen und die Granate vor seine Füße fallen lassen. Nur, dass die Granate das ganze Land trifft.
Starten Sie gut ins Wochenende.
Die heiße Phase der Fraktionsbildung für das nächste Europaparlament läuft. AfD und BSW, die bislang keiner Fraktion angehören, rennt die Zeit weg. Am Donnerstag, 4. Juli, ist “cut off day”. Bis dahin melden die Fraktionen im Europaparlament der Parlamentsverwaltung die Namen ihrer Mitglieder für die zehnte Legislaturperiode.
Auch nach diesem “cut off day” sind zwar jederzeit Wechsel in die Fraktionen möglich. Doch die gemeldete Zahl der Mitglieder ist eine wichtige Kenngröße. Sie entscheidet darüber, wie viele Posten bei Vize-Präsidenten, Quästoren und Ausschussvorsitzenden eine Fraktion bekommt.
Die Mitglieder von AfD und BSW zählen zu aktuell noch 87 von 720 gerade gewählten Abgeordneten, die eine Woche vor dem cut off noch keinen Anschluss an eine Fraktion gefunden haben. In der vergangenen Wahlperiode waren zuletzt 63 Abgeordnete fraktionslos. Darunter waren 13 Abgeordnete des ungarischen Fidesz und acht der AfD. Die Geschäftsordnung des Europaparlaments sieht vor, dass eine neue Fraktion nur genehmigt wird, wenn sie mindestens 23 Mitglieder aus mindestens sieben Mitgliedstaaten hat.
Die meisten Abgeordneten wollen Mitglied einer Fraktion sein. Eine Ausnahme ist Martin Sonneborn. Bereits in der dritten Wahlperiode strebt er wieder den fraktionslosen Zustand an und verzichtet darauf, seinen grundlegenden Rechten als Abgeordneter nachzukommen – nämlich, sich an der Gesetzgebungsarbeit zu beteiligen.
Der Fraktionsstatus ist aus zwei Gründen interessant. Er bringt
Die Fraktionen bekommen je Mitglied rund 100.000 Euro im Jahr. Das Geld ist dazu da, die Fraktionsarbeit zu finanzieren, das Sekretariat der Fraktion zu unterhalten sowie Kampagnen zu bezahlen. Auch die Fraktionslosen bekommen Geld. Pro Kopf erhalten sie jedoch deutlich weniger. Rechnerisch steht Fraktionsmitgliedern etwa doppelt so viel Geld für ihre politische Arbeit zu wie fraktionslosen Mitgliedern des Europaparlaments. Der Haushaltsartikel 400 des Europaparlaments regelt die Details.
Im Jahr 2024 stellt die Verwaltung allen Abgeordneten (705 MEPs in der neunten Wahlperiode; 720 MEPs in der zehnten Wahlperiode) darüber 67,5 Millionen Euro zur Verfügung. Der Aufteilungsschlüssel der Mittel für Haushaltsartikel 400 bevorzugt Mitglieder von Fraktionen. Bei einem Parlament mit 705 Abgeordneten stehen jedem der 63 fraktionslosen Mitglieder demnach rund 63.000 Euro im Jahr zu. Jeder der 642 Abgeordneten, die Mitglied einer Fraktion waren, hatte in einer ersten Verteilungsrunde Anspruch auf mindestens 97.000 Euro.
Hinzu kommen noch einmal mehrere Tausend Euro je nach Fraktionsgröße. Als kleinster Fraktion stehen der Linksfraktion mit rund 6.100 Euro je MEP in der zweiten Runde am meisten Gelder zu. Rechnerisch hat jeder der 37 Abgeordneten der Linksfraktion Anspruch auf Fraktionsgelder in Höhe von rund 103.000 Euro im Jahr.
Diese Gelder sind nicht zur freien Verfügung für die MEPs. Es gibt klare Regeln, was sie abrechnen dürfen und was nicht. Nach dem jüngsten verfügbaren Jahresabschluss der EVP-Fraktion etwa hat sie im Jahr 2022 rund 16 Millionen Euro aus dem Europaparlament bekommen. Mit einem Großteil des Geldes wurde das Sekretariat finanziert, das jeder Fraktion zusteht. Vom Rest wurde Werbematerial bezahlt, Werbung geschaltet, Konferenzen veranstaltet oder Einladungen gegeben.
Stärker als das Geld schlägt aber der politische Einfluss ins Gewicht, den der Fraktionsstatus verleiht. Die wichtigen Posten im Europaparlament werden je nach Größe ausschließlich an die Fraktionen verteilt:
Die Fraktionslosen gehen bei dieser Verteilung leer aus. Sie sind auch außen vor, wenn es um die Organisation der Abläufe und der Gesetzgebung im Parlament geht. Dafür ist die Konferenz der Präsidenten (COP) zuständig, in der die Fraktionschefs mit dem Parlamentspräsidenten alle wichtigen Entscheidungen treffen. Die Fraktionslosen haben keinen Sprecher. Ein Vertreter von ihnen darf zwar an der Konferenz der Präsidenten teilnehmen. Der oder die Europaabgeordnete hat aber nur Beobachterstatus, darf nicht abstimmen.
Die Redezeit im Plenum und in den Ausschüssen wird den Fraktionen je nach Größe zugeteilt. Mitglieder von Fraktionen bekommen deutlich mehr Redezeit. Die Fraktionslosen treffen untereinander Absprachen, wie sie sich ihre Redezeit aufteilen. Auch bei den Delegationsreisen kommen sie nur dann zum Zuge, wenn die Mitglieder von Fraktionen sich gemeldet haben und noch Plätze frei sein sollten.
Fraktionslose sind faktisch von der Gesetzgebungsarbeit ausgeschlossen. Sie können zwar Mitglied in Ausschüssen werden. Der Ausschussvorsitzende entscheidet aber selbst, ob er Fraktionslosen das Rederecht gibt. Es wird von den Ausschussvorsitzenden unterschiedlich gehandhabt.
Fraktionslose können zwar einen Bericht bekommen, das ist aber sehr selten. Sie bekommen eigentlich nur dann einen Bericht, wenn niemand aus den Fraktionen Interesse hat. Fraktionslose können weder Schattenberichterstatter noch Koordinator werden.
Nein, Giorgia Meloni oder Viktor Orbán waren es diesmal nicht. Olaf Scholz und Emmanuel Macron waren es. Sie haben beim Abendessen des ersten Gipfeltages mit Änderungswünschen zur Strategischen Agenda die Diskussion verzögert. Die deutsch-französische Wunschliste betraf gleich mehrere Kapitel vom Klima über Verteidigung, Wettbewerbsfähigkeit und Erweiterung. Das Kapitel zur Klimapolitik sollte zum Beispiel um den Satz ergänzt werden: “Wir werden die Umsetzung des Green Deal vorantreiben und diesen dabei weiter ausbauen.” Beim Kapitel Verteidigung sollte dafür der Verweis auf Flaggschiffprojekte gestrichen werden.
Die strategische Agenda schreibt die Linien für die nächste Kommission fest und ist über Wochen zwischen dem EU-Ratspräsidenten Charles Michel sowie den Botschaftern der Mitgliedstaaten verhandelt worden. Dabei war das Dokument weitgehend verwässert worden, um die nötige Einstimmigkeit zu erzielen. Die Strategische Agenda habe nicht mehr die Bedeutung von früheren Jahren, heißt es bei Diplomaten. Vor diesem Hintergrund versuchten Scholz und Macron, dem Dokument einige Zähne einzusetzen und andere wie etwa bei der Referenz zu europäischer Finanzierung von Rüstungsprojekten zu ziehen. Die deutsch-französischen Änderungswünsche lösten Irritationen aus, blieben aber ohne Erfolg.
Am späteren Abend meldete Charles Michel dann die Einigung. Die Runde ging dann zur Diskussion über die Spitzenjobs über. Ursula von der Leyen und Kaja Kallas hätten den Saal verlassen, hieß es aus dem Umfeld von Michel. Die Staats- und Regierungschefs waren bei der Ankunft bemüht, Giorgia Melonis Unmut über das Verfahren bei der Vorentscheidung zum Personalpaket zu entkräften. Niemand respektiere Italiens Ministerpräsidentin mehr als er, sagte Donald Tusk. Alle 27 Mitgliedstaaten seien gleichbedeutend, ergänzte Olaf Scholz. Die Absprache unter Konservativen, Sozialdemokraten und Liberalen sei wichtig gewesen, um jetzt rasch eine Einigung herbeiführen zu können.
Giorgia Meloni könne mit dem Personalpaket leben, sagten Diplomaten. Informell gebe es Gespräche über ein gewichtiges Portfolio für Italien in der nächsten EU-Kommission. Mehr als zehn Staaten hätten aber Interessen hinterlassen, die sich zum Teil überlappen. Emmanuel Macron kündigte bei einem Treffen von Renew im Vorfeld des Gipfels an, Thierry Breton erneut als Kommissar nach Brüssel schicken zu wollen. Luxemburgs christdemokratischer Regierungschef Luc Frieden wollte Medienberichte nicht kommentieren, wonach Olaf Scholz ihn gebeten haben soll, nicht seinen konservativen Parteifreund Christoph Hansen, sondern den sozialdemokratischen Spitzenkandidaten Nicolas Schmit als Kommissar zu nominieren.
Weißer Rauch gegen Mitternacht: “Mission erfüllt“, sagte Charles Michel und sprach von einem Zeichen der Einheit. Es sei ein großer Erfolg, dass man schnell zu einer Verständigung gekommen sei, freute sich Olaf Scholz. Giorgia Meloni habe sich bei der zweiten Amtszeit für Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin enthalten, aber gegen den Sozialisten António Costa als EU-Ratspräsident und gegen Kaja Kallas als Außenbeauftragte gestimmt, hieß es am späten Abend. Orbán habe gegen von der Leyen, aber für Costa gestimmt und sich bei Kallas enthalten.
Der Gipfel hatte am frühen Nachmittag mit Präsident Volodymyr Selensky als Gast begonnen. Wichtigster Punkt war die Unterzeichnung eines Sicherheitsabkommen zwischen der EU und der Ukraine: Mit dem Abkommen verspricht die EU, der Ukraine “weiterhin jede erforderliche politische, finanzielle, wirtschaftliche, humanitäre, militärische und diplomatische Unterstützung zukommen zu lassen”. Das gelte “so lange und so intensiv wie nötig”. Die Vereinbarung sieht unter anderem konkret einen neuen Krisenmechanismus vor. Sollte Russland etwa Atomwaffen einsetzen oder etwa nach einem möglichen Waffenstillstand erneut angreifen, soll es auf Ersuchen einer der beiden Seiten innerhalb von 24 Stunden Konsultationen geben. Gemeinsam würde dann über mögliche Unterstützung, etwa durch Waffenlieferungen beraten. Einen direkten militärischen Beistand sagt die EU in der Vereinbarung nicht zu.
Der ukrainische Präsident zeigte sich erleichtert. “Mit diesem Abkommen verpflichten sich zum ersten Mal alle 27 Mitgliedstaaten, die Ukraine unabhängig von internen institutionellen Veränderungen umfassend zu unterstützen”, betonte er auf X. Bundeskanzler Olaf Scholz sagte, das Abkommen sei ein “Zeichen der Solidarität in schwieriger Zeit”. Berlin hatte bereits im Februar eine bilaterale Sicherheitsvereinbarung mit der Ukraine abgeschlossen. Ähnliche Abkommen gibt es mit den USA, Frankreich und Belgien. Die EU-Vereinbarung ergänzt diese Zusagen.
Thema am Nachmittag auch die Lage in Nahost sowie die Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Die EU-Staaten müssten in den nächsten zehn Jahren 500 Milliarden Euro in Verteidigung investieren, sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Die Finanzierung sei über höhere nationale Beiträge oder neue Eigenmittel möglich. Um größere Investitionen zu stemmen, sei aber auch die gemeinsame Aufnahme von Schulden möglich. Die Entscheidung liege bei den Mitgliedstaaten. Vor allem die Niederlande und Deutschland stemmen sich gegen eine neue Diskussion um Euro- oder Verteidigungsbonds. In einem Brief vor dem Gipfel forderten Polen sowie Estland, Lettland und Litauen eine gemeinsame Sicherheitsinfrastruktur entlang der Grenze zu Belarus und Russland: Es brauche eine gemeinsame Verteidigungsinitiative, um die Europäer heute und in Zukunft zu schützen. Angesichts des Ausmaßes und der Kosten sei eine gemeinsame Finanzierung nötig. Eine Forderung, der Scholz zu später Stunde pauschal eine klare Absage erteilte. Eurobonds seien keine Option, die EU-Verträge ließen eine europäische Finanzierung von Rüstungsbeschaffung nicht zu.
03.07.2024
Wöchentliche Kommissionssitzung
Themen: Präsentation der EFA-Bewertung des finanzpolitischen Kurses für die Eurozone im Jahr 2025 (mit Niels Thygesen). Vorläufige Tagesordnung
04.07.2024
EuGH-Urteil zum LKW-Kartell
Themen: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) urteilt darüber, ob das ungarische Oberste Gericht dafür zuständig ist, darüber zu entscheiden, ob die Mercedes-Benz Group AG LKW zu kartellbedingt überhöhten Preisen an ein ungarisches Unternehmen verkauft hat. Vorabentscheidungsersuchen
Cut-off-date für die Bildung der Fraktionen in der zehnten Wahlperiode des Europaparlaments ist der 4. Juli. Bis dahin sollte die Bildung der Fraktionen abgeschlossen sein. Das heißt: Am 4. Juli melden die Fraktionen ihre Mitglieder an die Verwaltung. Auf der Basis der Zahlen nimmt die Parlamentsverwaltung die Aufteilung der 720 Sitze nach Fraktionen vor.
Der weitere Zeitplan für die Konstituierung der Ausschüsse wurde von der Konferenz der Präsidenten (COP) beschlossen:
In der darauffolgenden Woche formieren sich die Ausschüsse. Damit soll frühestens am 23. Juli begonnen werden. Ein Ausschuss ist konstituiert, wenn die Mitglieder den Vorsitzenden und den ersten Stellvertreter gewählt haben. Drei weitere Vizevorsitzende können auch später noch gewählt werden. Wie zu hören ist, soll sich an der Größe der Ausschüsse nicht viel ändern. Ziel der Parlamentsverwaltung ist, dass in jedem Ausschuss eine Frau entweder Vorsitzende oder Stellvertreterin wird. Doch in den Fraktionen gibt es Bedenken, ob diese Vorgabe einzuhalten ist.
Am 24. Juli sollen sich erstmals die Koordinatoren treffen. Gewählt werden sie von den Fraktionen. Bei den Koordinatoren laufen in den Ausschüssen die Fäden für die Gesetzgebungsarbeit zusammen. Sie entscheiden letztlich, welche Abgeordnete einen Bericht bekommen und beraten auch Änderungsanträge.
In Brüssel heißt es, dass die Unterausschüsse für Gesundheit und Verteidigung Vollausschüsse werden sollen. Es gilt als wahrscheinlich, dass der Verfassungsausschuss (AFCO) ein neutralisierter Ausschuss bleibt. Das heißt: Bei der Vergabe der Ausschüsse an die Abgeordneten würde er weiterhin nicht gewertet. Abgeordnete dürfen nur in zwei Vollausschüssen Mitglied sein. mgr
Das chinesische Handelsministerium stellt die rechtliche Grundlage des EU-Handelsinstrumentes zu Subventionen aus dem Ausland infrage. Das Ministerium teilte am Donnerstag mit, Beschwerden des Verbands chinesischer Maschinenindustrie CCCME über die Foreign Subsidies Regulation (FSR) der EU zu prüfen. Der CCCME ist eine halboffizielle Handelsorganisation für Maschinen und Elektronik und vertritt unter anderem Automobilhersteller und Produzenten von Solarpaneelen.
Im Mittelpunkt stehe die Frage, ob die FSR mutmaßlich Handelshemmnisse für chinesische Unternehmen darstelle, so das Ministerium. Es handele sich dabei um “voreingenommene Praktiken” der Europäischen Union. Die FSR der EU soll verhindern, dass ausländische Unternehmen in der EU einen Vorteil durch Subventionen aus dem Heimatland haben.
Die Bewertung durch Peking, die zu weiteren Gegenmaßnahmen führen könnte, sei im Gange. Einzelheiten würden zu gegebener Zeit bekannt gegeben, sagte He. “Wir verfolgen die Antisubventionsverordnung der EU sehr genau, da sie enorme Auswirkungen auf chinesische Unternehmen hat, die in die EU exportieren und dort investieren”, sagte He. Die Chinesische Handelskammer in der EU begrüßte den Schritt in einer Mitteilung.
CCCME hatte laut der “South China Morning Post” Mitte Juni bereits eine “starke Opposition” gegen die Zusatzzölle der EU auf chinesische Elektrofahrzeuge zum Ausdruck gebracht und offen das Ergebnis der Brüsseler Untersuchung infrage gestellt. Die Verhandlungen zwischen der EU und China zu den Zusatzzöllen laufen derzeit. Arbeitsgruppen beider Seiten seien im engen Austausch, sagte Ministeriumssprecher He. Bis zum 4. Juli muss dazu eine Lösung gefunden werden, sonst greifen die zunächst festgelegten vorläufigen Zusatzzölle.
Bundeskanzler Olaf Scholz soll Medienberichten zufolge nun gleich hohe Zölle beider Seiten auf Autoimporte vorgeschlagen haben. Das berichteten Handelsblatt und AFP unter Berufung auf Regierungs- und EU-Kreise. Demnach soll ein Zollsatz von 15 Prozent im Gespräch sein, die Höhe könne sich aber noch ändern. Die EU-Kommission hält die Überlegungen dem Bericht zufolge aber für untauglich. ari
Nachdem die belgische EU-Ratspräsidentschaft es trotz intensiver Bemühungen nicht geschafft hat, unter den Mitgliedstaaten einen mehrheitsfähigen Kompromiss zur Deregulierung neuer Gentechniken zu finden, dürfte die Arbeit an dem Dossier auf absehbare Zeit deutlich schleppender vorangehen. Ungarn, das ab 1. Juli die Ratspräsidentschaft übernimmt, gilt als gentechnik-kritisch.
Man werde die Gespräche weiterführen, sagt ein Sprecher der ungarischen Präsidentschaft zu Table.Briefings, will sich aber nicht dazu bekennen, während der sechsmonatigen Amtszeit auch eine Einigung anzustreben. Auch Polen, das im Anschluss in der ersten Jahreshälfte 2025 den Ratsvorsitz innehaben wird, ist bisher nicht von dem Vorschlag überzeugt. Die scheidende belgische Ratspräsidentschaft hatte noch Anfang der Woche einen letzten Kompromissvorschlag vorbereitet, entschied sich aber letztlich, ihn nicht mehr den EU-Botschaftern vorzulegen, weil sich weiter nicht die nötige Mehrheit abzeichnete.
Der EU-Bauernverband Copa Cogeca reagierte mit Bedauern auf das Scheitern der Bemühungen Belgiens. Werde der Deregulierungsvorschlag nicht bald umgesetzt, würden Landwirte in der EU gegenüber Kollegen in Drittstaaten benachteiligt. Der Verband Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG) begrüßte die Verzögerung dagegen und sprach zum Start der ungarischen Präsidentschaft von einer Atempause zu dem Thema. jd
Der Digitalverband Bitkom fordert, die Bestimmungen zum algorithmischen Management aus der Plattformarbeitsrichtlinie rasch auf alle Bereiche der Wirtschaft auszuweiten. “Die Verwendung algorithmischer Systeme am Arbeitsplatz sollte in der gesamten Wirtschaft einheitlich betrachtet werden”, sagt Adél Holdampf-Wendel, Bereichsleiterin Future of Work und Arbeitsrecht bei Bitkom, zu Table.Briefings. Denn auch andere Unternehmen setzten schon längst die Technologien ein. “Werden nur digitale Arbeitsplattformen reguliert, drohen Wettbewerbsverzerrungen“, sagt Holdampf-Wendel.
Zudem warnt sie davor, dass es zu Überschneidungen mit anderen EU-Gesetzen, wie etwa dem AI Act oder der Datenschutzgrundverordnung kommen kann – gerade in Hinblick auf die Transparenzregelungen. “Es ist daher wichtig, dass die nationale Umsetzung aus einem Guss ist und darauf geachtet wird, möglichst keine Widersprüche oder Dopplungen zwischen den Gesetzen zu schaffen.”
Digitalplattformen wie Essenslieferdienste setzten algorithmisches Management ein, um Fahrer und Aufträge zusammenzubringen. Auch spielt der Algorithmus eine Rolle bei der Deaktivierung oder Sperrung der Nutzer-Accounts. Abseits der Digitalplattformen findet sich algorithmisches Management etwa im Vertrieb oder der Logistik. Dort kann damit die Performance einzelner Mitarbeiter überwacht und verglichen werden, Arbeitsanweisungen oder Warnungen ausgesprochen werden.
Das Gesetz regelt in Sachen algorithmisches Management unter anderem:
Auch Bernd Waas, Professor für Arbeitsrecht an der Goethe-Universität Frankfurt, unterstreicht im Gespräch mit Table.Briefings: “Steuerung durch Algorithmen gibt es zwar insbesondere bei den Digitalplattformen, wir finden sie inzwischen aber überall in der Arbeitswelt.” Studien zeigten, dass etwa algorithmisches Nudging, also kleine Anstöße, so wirksam sei wie explizite Dienstanweisungen. “Ich sehe hier durchaus einen Reglungsbedarf. Das Gesetz zur Plattformarbeit könnte daher gut als Blaupause für andere Bereiche dienen“, sagt Waas.
Tatsächlich dürften die Forderungen der Experten auf fruchtbaren Boden fallen – es gilt als sehr wahrscheinlich, dass es in der kommenden Legislatur einen Vorstoß seitens der Kommission gibt.
Mit Blick auf die Implementierung der bestehenden Plattformarbeitsrichtlinie hat Bitkom-Expertin Holdampf-Wendel einen weiteren Wunsch an die Bundesregierung: “Das deutsche Umsetzungsgesetz sollte die Vorgaben der Richtlinie für den Einsatz algorithmischer Managementsysteme nicht erweitern. Wir brauchen eine Lösung, die europaweit einheitlich ist.”
Die EU-Plattformarbeitsrichtlinie wurde nach einem langwierigen Verhandlungsprozess im April vom Parlament formell angenommen. Das Gesetz muss noch formell vom Rat beschlossen werden. Dann kann es im Amtsblatt erscheinen und in nationales Recht umgesetzt werden. Umstritten war in der Richtlinie vor allem der Teil zur Scheinselbstständigkeit. Die Bestimmungen zum algorithmischen Management wurden dagegen weniger kontrovers diskutiert. lei
Die Kommission hat am Donnerstag eine 12-wöchige Konsultation von Interessengruppen zum Programm Digital Europe eingeleitet. Ziel der Konsultation ist es, Einblicke in die Bedürfnisse der Interessengruppen in Bezug auf die digitale Transformation, den Nutzen des Programms und mögliche Verbesserungen zu gewinnen. Dabei will die Kommission verschiedene Perspektiven berücksichtigen. Sie fordert kleine und mittlere Unternehmen, NGOs, Hochschulen, Sozialpartner, Behörden und andere Organisationen sowie Bürger aus EU-Mitgliedstaaten und assoziierten Ländern auf, ihre Meinung abzugeben.
Digital Europe ist ein Finanzierungsprogramm der EU mit einem Budget von mehr als 7,9 Milliarden Euro. Ziel ist, Unternehmen, Bürgern und öffentlichen Verwaltungen digitale Technologien zugänglich zu machen. Es ergänzt andere EU-Programme wie etwa Horizon Europe (für Forschung und Innovation) und die Fazilität Connecting Europe (für digitale Infrastruktur) und andere.
Die Konsultation läuft bis zum 20. September. Anschließend wird die Kommission einen zusammenfassenden Bericht über die Ergebnisse der Konsultation und die Antworten der Interessengruppen veröffentlichen. Die Rückmeldungen sollen zu möglichen Verbesserungen im Programm führen und die Gestaltung künftiger Initiativen unterstützen.
Für die überarbeitete Richtlinie über die Netz- und Informationssicherheit (NIS2-Richtlinie) zur Abwehr von Cyberbedrohungen in Europa will die EU-Kommission bis zum 17. Oktober einen Durchführungsrechtsakt erlassen. Auch hier bittet sie um Rückmeldungen zu ihrem Entwurf innerhalb der kommenden vier Wochen.
In dem neuen Rechtsakt will die Kommission die technischen und methodischen Anforderungen an das Risikomanagement zur Cybersicherheit für bestimmte Einrichtungen in den Bereichen digitale Infrastrukturen, digitale Anbieter und Verwaltung von IT- und Kommunikationsdiensten (B2B) festlegen.
Die NIS2-Richtlinie deckt nun mittlere und große Einrichtungen aus einer größeren Anzahl von Sektoren ab, die für Wirtschaft und Gesellschaft von entscheidender Bedeutung sind. Dazu gehören Anbieter von öffentlichen elektronischen Kommunikationsdiensten, digitalen Diensten, Abwasser- und Abfallentsorgung, Herstellung kritischer Produkte, Post- und Kurierdienste sowie öffentliche Verwaltung. vis
Die Kommission hat am Donnerstag den Startschuss gegeben für die Verleihung des Europäischen Preises für Innovatorinnen 2025. Mit dem Preis zeichnet die Kommission Frauen aus, die mit bahnbrechenden Innovationen positive Veränderungen für die Menschen und den Planeten bewirken. Ausgezeichnet werden Frauen aus der gesamten EU sowie aus Ländern, die mit dem EU-Forschungs- und Innovationsprogramm Horizon Europe assoziiert sind. Die Bewerbungsfrist endet am 25. September 2024 um 17 Uhr.
Der Europäische Preis für Innovatorinnen ist eine Initiative, die vom Europäischen Innovationsrat (EIC) und dem Europäischen Innovations- und Technologieinstitut (EIT) unterstützt wird. Die Gewinnerinnen werden in drei Preiskategorien ausgewählt: EIC Women Innovators, EIC Rising Innovators und EIT Women Leadership.
“Dieser Preis trägt dazu bei, die Gleichstellung der Geschlechter in Wirtschaft und Technologie zu stärken, indem er sich für weibliche Innovationstalente und von Frauen geführte Unternehmen einsetzt”, sagte Iliana Ivanova, Kommissarin für Innovation, Forschung, Kultur, Bildung und Jugend. vis
Das war sicherlich nicht das Kalkül des französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Die politische Bombe, die er nur eine Stunde nach den Ergebnissen der Europawahlen zündete, sollte sein Lager im Kräftemessen mit dem rechtsextremen Rassemblement National (RN) stärken – indem er auf Stimmenfang auf der linken Seite gehen wollte.
Nun ist aber das Gegenteil der Fall. Entgegen allen Erwartungen ist es den verschiedenen linken Parteien gelungen, sich sehr schnell zum neuen Bündnis Nouveau Front populaire (NFP) zusammenzuschließen. Dieser Formation gehören die Umweltschützer Les Écologistes an, die linkspopulistische Partei La France insoumise von Jean-Luc Mélenchon, die Kommunistische Partei Frankreichs, die Sozialistische Partei (aus der die beiden Präsidenten François Mitterrand und François Hollande hervorgegangen sind) sowie die Mitte-Links-Partei Place publique des Europaabgeordneten Raphaël Glucksmann.
Die NFP ist nun zur zweitstärksten politischen Kraft des Landes geworden. Sie liegt hinter dem Rassemblement National und weit vor der Partei von Emmanuel Macron: Der RN kommt in Umfragen auf 36 Prozent, NFP auf 29 Prozent und Macrons Partei Ensemble pour la République auf 19 Prozent.
In kürzester Zeit ist die NFP zur Alternative zu den Rechtsextremen geworden. Es ist der Gipfel der Ironie: Emmanuel Macron selbst kam 2017 mit der Behauptung an die Macht, er sei das “Bollwerk” gegen die extreme Rechte. Damals wurde er Präsident mit den Stimmen linker Wähler, die Marine Le Pen verhindern wollten. Das Muster wiederholte sich 2022. Nun versucht Macron erneut, die Karte “Entweder ich oder die extreme Rechte” zu spielen. Es ist der Grund, aus dem er die Nationalversammlung auflöste und Neuwahlen anordnete.
Doch dieses Mal ist etwas anders: Die linken Wähler wollen Macron nicht mehr. Sie sind zermürbt von der Rentenreform, dem Verfall des öffentlichen Dienstes, dem Entwurf des Einwanderungsgesetzes, der Ideen des RN aufgreift.
Auf der anderen Seite des politischen Spektrums wird in Frankreich zunehmend freier über die Ideen des RN gesprochen. Mit anderen Worten: Die Angst vor der extremen Rechten ist nicht mehr populär. Und in einem von Polarisierung geprägten politischen Umfeld scheint sich eine große Mehrheit der Franzosen nur auf eines einigen zu können: die Ablehnung Macrons. Das geht so weit, dass sich manche Kandidaten des macronistischen Lagers geweigert haben, sein Gesicht auf ihre Wahlplakate zu drucken.
Im ersten Wahlgang an diesem Sonntag könnte die Linke ein sehr gutes Ergebnis holen, heißt es in einer Analyse der Jean-Jaures-Stiftung. Der Thinktank steht der Sozialistischen Partei nahe. Doch ob das auch für den zweiten Wahlgang am 7. Juli gelte, sei ungewiss. Denn spätestens in der Stichwahl müsse das linke Bündnis Stimmen gewinnen, die nicht links sind. Und das könnte schwierig werden.
Das Problem: “die Omnipräsenz von Jean-Luc Mélenchon“, heißt es in der Analyse. Umfragen bestätigen diese These: 51 Prozent der Franzosen und 70 Prozent der Linkswähler glauben, dass der Europaabgeordnete Raphaël Glucksmann ein Vorteil für die NFP ist, während 81 Prozent der Franzosen und 66 Prozent der Linkswähler glauben, dass Mélenchon ein Nachteil für das Bündnis darstellt. Denn viele Franzosen stören sich daran, dass Mélenchon auf allen Kanälen präsent ist – ebenso wie an seinen verbalen Entgleisungen und an seiner Polemik.
Ein Beispiel für Mélenchons Rhetorik: Im April beleidigte er den Präsidenten der Universität Lille, Régis Bordet. Dieser hatte beschlossen, eine von Mélenchons Partei La France insoumise organisierte Konferenz über Gaza abzusagen, weil er der Ansicht war, dass eine ausgeruhte Debatte in diesem Rahmen nicht möglich sei. Mélenchon verglich Bordet daraufhin mit Adolf Eichmann.
Auch innerhalb des linken Bündnisses gibt es Kritik. Am vergangenen Sonntag forderte Macrons Vorgänger, der Sozialist François Hollande, Mélenchon auf, sich angesichts der “Ablehnung”, die er hervorrufe, zurückzunehmen. “Wenn ich eine Botschaft zu übermitteln habe, dann die, dass Jean-Luc Mélenchon (…), wenn er der Nouveau Front populaire einen Dienst erweisen will, sich beiseitelegen und schweigen muss”, sagte Hollande, der um einen Platz im Parlament kämpft.
Damit haben Macron und Mélenchon eine große Gemeinsamkeit: ihre Unbeliebtheit.
am Sonntag findet in Frankreich die erste Runde der Parlamentswahlen statt. Selten war der politische Einsatz so hoch, sowohl auf französischer als auch auf europäischer Ebene. Selten war die politische Lage so unübersichtlich. Selten war die Zukunft Frankreichs so ungewiss.
Denn eine rechtsextreme Partei ist in Frankreich an der Schwelle zur Macht, zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg: Der Rassemblement National und seine Verbündeten erreichen in Umfragen 36 Prozent, vor dem Linksbündnis Nouveau Front Populaire (29 Prozent) und Emmanuel Macrons Parteienbündnis Ensemble pour la République (19,5 Prozent). Er mache sich Sorgen wegen der Wahlen in Frankreich, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz im ARD-Sommerinterview.
Der RN strebt die absolute Mehrheit an, also 289 Sitze. Sollte das gelingen, würde am Tag nach der für den 7. Juli geplanten Stichwahl eine neue Regierung gebildet. Frankreich würde dann von einer “Koalition” mit Präsident Emmanuel Macron auf der einen und Jordan Bardella vom RN als Regierungschef auf der anderen Seite regiert werden. Diese Machtteilung wäre alles andere als einvernehmlich.
Auch auf europäischer Ebene dürfte ein derartiger Wahlsieg des RN für Aufregung sorgen. In einem Interview mit der “Financial Times” versprach Bardella, das politische “Gewicht” seines Wahlsiegs zu nutzen, um die Beiträge Frankreichs zum EU-Haushalt um zwei Milliarden Euro zu senken. “Ich will eine Rückerstattung erreichen”, sagte er.
Eigentlich wollte Macron dem RN mit der Ankündigung zur Neuwahl “eine scharfe Granate in die Beine” werfen, wie “Le Monde” berichtet. Offensichtlich hat er sich schwer geirrt: Er hat den Stift geworfen und die Granate vor seine Füße fallen lassen. Nur, dass die Granate das ganze Land trifft.
Starten Sie gut ins Wochenende.
Die heiße Phase der Fraktionsbildung für das nächste Europaparlament läuft. AfD und BSW, die bislang keiner Fraktion angehören, rennt die Zeit weg. Am Donnerstag, 4. Juli, ist “cut off day”. Bis dahin melden die Fraktionen im Europaparlament der Parlamentsverwaltung die Namen ihrer Mitglieder für die zehnte Legislaturperiode.
Auch nach diesem “cut off day” sind zwar jederzeit Wechsel in die Fraktionen möglich. Doch die gemeldete Zahl der Mitglieder ist eine wichtige Kenngröße. Sie entscheidet darüber, wie viele Posten bei Vize-Präsidenten, Quästoren und Ausschussvorsitzenden eine Fraktion bekommt.
Die Mitglieder von AfD und BSW zählen zu aktuell noch 87 von 720 gerade gewählten Abgeordneten, die eine Woche vor dem cut off noch keinen Anschluss an eine Fraktion gefunden haben. In der vergangenen Wahlperiode waren zuletzt 63 Abgeordnete fraktionslos. Darunter waren 13 Abgeordnete des ungarischen Fidesz und acht der AfD. Die Geschäftsordnung des Europaparlaments sieht vor, dass eine neue Fraktion nur genehmigt wird, wenn sie mindestens 23 Mitglieder aus mindestens sieben Mitgliedstaaten hat.
Die meisten Abgeordneten wollen Mitglied einer Fraktion sein. Eine Ausnahme ist Martin Sonneborn. Bereits in der dritten Wahlperiode strebt er wieder den fraktionslosen Zustand an und verzichtet darauf, seinen grundlegenden Rechten als Abgeordneter nachzukommen – nämlich, sich an der Gesetzgebungsarbeit zu beteiligen.
Der Fraktionsstatus ist aus zwei Gründen interessant. Er bringt
Die Fraktionen bekommen je Mitglied rund 100.000 Euro im Jahr. Das Geld ist dazu da, die Fraktionsarbeit zu finanzieren, das Sekretariat der Fraktion zu unterhalten sowie Kampagnen zu bezahlen. Auch die Fraktionslosen bekommen Geld. Pro Kopf erhalten sie jedoch deutlich weniger. Rechnerisch steht Fraktionsmitgliedern etwa doppelt so viel Geld für ihre politische Arbeit zu wie fraktionslosen Mitgliedern des Europaparlaments. Der Haushaltsartikel 400 des Europaparlaments regelt die Details.
Im Jahr 2024 stellt die Verwaltung allen Abgeordneten (705 MEPs in der neunten Wahlperiode; 720 MEPs in der zehnten Wahlperiode) darüber 67,5 Millionen Euro zur Verfügung. Der Aufteilungsschlüssel der Mittel für Haushaltsartikel 400 bevorzugt Mitglieder von Fraktionen. Bei einem Parlament mit 705 Abgeordneten stehen jedem der 63 fraktionslosen Mitglieder demnach rund 63.000 Euro im Jahr zu. Jeder der 642 Abgeordneten, die Mitglied einer Fraktion waren, hatte in einer ersten Verteilungsrunde Anspruch auf mindestens 97.000 Euro.
Hinzu kommen noch einmal mehrere Tausend Euro je nach Fraktionsgröße. Als kleinster Fraktion stehen der Linksfraktion mit rund 6.100 Euro je MEP in der zweiten Runde am meisten Gelder zu. Rechnerisch hat jeder der 37 Abgeordneten der Linksfraktion Anspruch auf Fraktionsgelder in Höhe von rund 103.000 Euro im Jahr.
Diese Gelder sind nicht zur freien Verfügung für die MEPs. Es gibt klare Regeln, was sie abrechnen dürfen und was nicht. Nach dem jüngsten verfügbaren Jahresabschluss der EVP-Fraktion etwa hat sie im Jahr 2022 rund 16 Millionen Euro aus dem Europaparlament bekommen. Mit einem Großteil des Geldes wurde das Sekretariat finanziert, das jeder Fraktion zusteht. Vom Rest wurde Werbematerial bezahlt, Werbung geschaltet, Konferenzen veranstaltet oder Einladungen gegeben.
Stärker als das Geld schlägt aber der politische Einfluss ins Gewicht, den der Fraktionsstatus verleiht. Die wichtigen Posten im Europaparlament werden je nach Größe ausschließlich an die Fraktionen verteilt:
Die Fraktionslosen gehen bei dieser Verteilung leer aus. Sie sind auch außen vor, wenn es um die Organisation der Abläufe und der Gesetzgebung im Parlament geht. Dafür ist die Konferenz der Präsidenten (COP) zuständig, in der die Fraktionschefs mit dem Parlamentspräsidenten alle wichtigen Entscheidungen treffen. Die Fraktionslosen haben keinen Sprecher. Ein Vertreter von ihnen darf zwar an der Konferenz der Präsidenten teilnehmen. Der oder die Europaabgeordnete hat aber nur Beobachterstatus, darf nicht abstimmen.
Die Redezeit im Plenum und in den Ausschüssen wird den Fraktionen je nach Größe zugeteilt. Mitglieder von Fraktionen bekommen deutlich mehr Redezeit. Die Fraktionslosen treffen untereinander Absprachen, wie sie sich ihre Redezeit aufteilen. Auch bei den Delegationsreisen kommen sie nur dann zum Zuge, wenn die Mitglieder von Fraktionen sich gemeldet haben und noch Plätze frei sein sollten.
Fraktionslose sind faktisch von der Gesetzgebungsarbeit ausgeschlossen. Sie können zwar Mitglied in Ausschüssen werden. Der Ausschussvorsitzende entscheidet aber selbst, ob er Fraktionslosen das Rederecht gibt. Es wird von den Ausschussvorsitzenden unterschiedlich gehandhabt.
Fraktionslose können zwar einen Bericht bekommen, das ist aber sehr selten. Sie bekommen eigentlich nur dann einen Bericht, wenn niemand aus den Fraktionen Interesse hat. Fraktionslose können weder Schattenberichterstatter noch Koordinator werden.
Nein, Giorgia Meloni oder Viktor Orbán waren es diesmal nicht. Olaf Scholz und Emmanuel Macron waren es. Sie haben beim Abendessen des ersten Gipfeltages mit Änderungswünschen zur Strategischen Agenda die Diskussion verzögert. Die deutsch-französische Wunschliste betraf gleich mehrere Kapitel vom Klima über Verteidigung, Wettbewerbsfähigkeit und Erweiterung. Das Kapitel zur Klimapolitik sollte zum Beispiel um den Satz ergänzt werden: “Wir werden die Umsetzung des Green Deal vorantreiben und diesen dabei weiter ausbauen.” Beim Kapitel Verteidigung sollte dafür der Verweis auf Flaggschiffprojekte gestrichen werden.
Die strategische Agenda schreibt die Linien für die nächste Kommission fest und ist über Wochen zwischen dem EU-Ratspräsidenten Charles Michel sowie den Botschaftern der Mitgliedstaaten verhandelt worden. Dabei war das Dokument weitgehend verwässert worden, um die nötige Einstimmigkeit zu erzielen. Die Strategische Agenda habe nicht mehr die Bedeutung von früheren Jahren, heißt es bei Diplomaten. Vor diesem Hintergrund versuchten Scholz und Macron, dem Dokument einige Zähne einzusetzen und andere wie etwa bei der Referenz zu europäischer Finanzierung von Rüstungsprojekten zu ziehen. Die deutsch-französischen Änderungswünsche lösten Irritationen aus, blieben aber ohne Erfolg.
Am späteren Abend meldete Charles Michel dann die Einigung. Die Runde ging dann zur Diskussion über die Spitzenjobs über. Ursula von der Leyen und Kaja Kallas hätten den Saal verlassen, hieß es aus dem Umfeld von Michel. Die Staats- und Regierungschefs waren bei der Ankunft bemüht, Giorgia Melonis Unmut über das Verfahren bei der Vorentscheidung zum Personalpaket zu entkräften. Niemand respektiere Italiens Ministerpräsidentin mehr als er, sagte Donald Tusk. Alle 27 Mitgliedstaaten seien gleichbedeutend, ergänzte Olaf Scholz. Die Absprache unter Konservativen, Sozialdemokraten und Liberalen sei wichtig gewesen, um jetzt rasch eine Einigung herbeiführen zu können.
Giorgia Meloni könne mit dem Personalpaket leben, sagten Diplomaten. Informell gebe es Gespräche über ein gewichtiges Portfolio für Italien in der nächsten EU-Kommission. Mehr als zehn Staaten hätten aber Interessen hinterlassen, die sich zum Teil überlappen. Emmanuel Macron kündigte bei einem Treffen von Renew im Vorfeld des Gipfels an, Thierry Breton erneut als Kommissar nach Brüssel schicken zu wollen. Luxemburgs christdemokratischer Regierungschef Luc Frieden wollte Medienberichte nicht kommentieren, wonach Olaf Scholz ihn gebeten haben soll, nicht seinen konservativen Parteifreund Christoph Hansen, sondern den sozialdemokratischen Spitzenkandidaten Nicolas Schmit als Kommissar zu nominieren.
Weißer Rauch gegen Mitternacht: “Mission erfüllt“, sagte Charles Michel und sprach von einem Zeichen der Einheit. Es sei ein großer Erfolg, dass man schnell zu einer Verständigung gekommen sei, freute sich Olaf Scholz. Giorgia Meloni habe sich bei der zweiten Amtszeit für Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin enthalten, aber gegen den Sozialisten António Costa als EU-Ratspräsident und gegen Kaja Kallas als Außenbeauftragte gestimmt, hieß es am späten Abend. Orbán habe gegen von der Leyen, aber für Costa gestimmt und sich bei Kallas enthalten.
Der Gipfel hatte am frühen Nachmittag mit Präsident Volodymyr Selensky als Gast begonnen. Wichtigster Punkt war die Unterzeichnung eines Sicherheitsabkommen zwischen der EU und der Ukraine: Mit dem Abkommen verspricht die EU, der Ukraine “weiterhin jede erforderliche politische, finanzielle, wirtschaftliche, humanitäre, militärische und diplomatische Unterstützung zukommen zu lassen”. Das gelte “so lange und so intensiv wie nötig”. Die Vereinbarung sieht unter anderem konkret einen neuen Krisenmechanismus vor. Sollte Russland etwa Atomwaffen einsetzen oder etwa nach einem möglichen Waffenstillstand erneut angreifen, soll es auf Ersuchen einer der beiden Seiten innerhalb von 24 Stunden Konsultationen geben. Gemeinsam würde dann über mögliche Unterstützung, etwa durch Waffenlieferungen beraten. Einen direkten militärischen Beistand sagt die EU in der Vereinbarung nicht zu.
Der ukrainische Präsident zeigte sich erleichtert. “Mit diesem Abkommen verpflichten sich zum ersten Mal alle 27 Mitgliedstaaten, die Ukraine unabhängig von internen institutionellen Veränderungen umfassend zu unterstützen”, betonte er auf X. Bundeskanzler Olaf Scholz sagte, das Abkommen sei ein “Zeichen der Solidarität in schwieriger Zeit”. Berlin hatte bereits im Februar eine bilaterale Sicherheitsvereinbarung mit der Ukraine abgeschlossen. Ähnliche Abkommen gibt es mit den USA, Frankreich und Belgien. Die EU-Vereinbarung ergänzt diese Zusagen.
Thema am Nachmittag auch die Lage in Nahost sowie die Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Die EU-Staaten müssten in den nächsten zehn Jahren 500 Milliarden Euro in Verteidigung investieren, sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Die Finanzierung sei über höhere nationale Beiträge oder neue Eigenmittel möglich. Um größere Investitionen zu stemmen, sei aber auch die gemeinsame Aufnahme von Schulden möglich. Die Entscheidung liege bei den Mitgliedstaaten. Vor allem die Niederlande und Deutschland stemmen sich gegen eine neue Diskussion um Euro- oder Verteidigungsbonds. In einem Brief vor dem Gipfel forderten Polen sowie Estland, Lettland und Litauen eine gemeinsame Sicherheitsinfrastruktur entlang der Grenze zu Belarus und Russland: Es brauche eine gemeinsame Verteidigungsinitiative, um die Europäer heute und in Zukunft zu schützen. Angesichts des Ausmaßes und der Kosten sei eine gemeinsame Finanzierung nötig. Eine Forderung, der Scholz zu später Stunde pauschal eine klare Absage erteilte. Eurobonds seien keine Option, die EU-Verträge ließen eine europäische Finanzierung von Rüstungsbeschaffung nicht zu.
03.07.2024
Wöchentliche Kommissionssitzung
Themen: Präsentation der EFA-Bewertung des finanzpolitischen Kurses für die Eurozone im Jahr 2025 (mit Niels Thygesen). Vorläufige Tagesordnung
04.07.2024
EuGH-Urteil zum LKW-Kartell
Themen: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) urteilt darüber, ob das ungarische Oberste Gericht dafür zuständig ist, darüber zu entscheiden, ob die Mercedes-Benz Group AG LKW zu kartellbedingt überhöhten Preisen an ein ungarisches Unternehmen verkauft hat. Vorabentscheidungsersuchen
Cut-off-date für die Bildung der Fraktionen in der zehnten Wahlperiode des Europaparlaments ist der 4. Juli. Bis dahin sollte die Bildung der Fraktionen abgeschlossen sein. Das heißt: Am 4. Juli melden die Fraktionen ihre Mitglieder an die Verwaltung. Auf der Basis der Zahlen nimmt die Parlamentsverwaltung die Aufteilung der 720 Sitze nach Fraktionen vor.
Der weitere Zeitplan für die Konstituierung der Ausschüsse wurde von der Konferenz der Präsidenten (COP) beschlossen:
In der darauffolgenden Woche formieren sich die Ausschüsse. Damit soll frühestens am 23. Juli begonnen werden. Ein Ausschuss ist konstituiert, wenn die Mitglieder den Vorsitzenden und den ersten Stellvertreter gewählt haben. Drei weitere Vizevorsitzende können auch später noch gewählt werden. Wie zu hören ist, soll sich an der Größe der Ausschüsse nicht viel ändern. Ziel der Parlamentsverwaltung ist, dass in jedem Ausschuss eine Frau entweder Vorsitzende oder Stellvertreterin wird. Doch in den Fraktionen gibt es Bedenken, ob diese Vorgabe einzuhalten ist.
Am 24. Juli sollen sich erstmals die Koordinatoren treffen. Gewählt werden sie von den Fraktionen. Bei den Koordinatoren laufen in den Ausschüssen die Fäden für die Gesetzgebungsarbeit zusammen. Sie entscheiden letztlich, welche Abgeordnete einen Bericht bekommen und beraten auch Änderungsanträge.
In Brüssel heißt es, dass die Unterausschüsse für Gesundheit und Verteidigung Vollausschüsse werden sollen. Es gilt als wahrscheinlich, dass der Verfassungsausschuss (AFCO) ein neutralisierter Ausschuss bleibt. Das heißt: Bei der Vergabe der Ausschüsse an die Abgeordneten würde er weiterhin nicht gewertet. Abgeordnete dürfen nur in zwei Vollausschüssen Mitglied sein. mgr
Das chinesische Handelsministerium stellt die rechtliche Grundlage des EU-Handelsinstrumentes zu Subventionen aus dem Ausland infrage. Das Ministerium teilte am Donnerstag mit, Beschwerden des Verbands chinesischer Maschinenindustrie CCCME über die Foreign Subsidies Regulation (FSR) der EU zu prüfen. Der CCCME ist eine halboffizielle Handelsorganisation für Maschinen und Elektronik und vertritt unter anderem Automobilhersteller und Produzenten von Solarpaneelen.
Im Mittelpunkt stehe die Frage, ob die FSR mutmaßlich Handelshemmnisse für chinesische Unternehmen darstelle, so das Ministerium. Es handele sich dabei um “voreingenommene Praktiken” der Europäischen Union. Die FSR der EU soll verhindern, dass ausländische Unternehmen in der EU einen Vorteil durch Subventionen aus dem Heimatland haben.
Die Bewertung durch Peking, die zu weiteren Gegenmaßnahmen führen könnte, sei im Gange. Einzelheiten würden zu gegebener Zeit bekannt gegeben, sagte He. “Wir verfolgen die Antisubventionsverordnung der EU sehr genau, da sie enorme Auswirkungen auf chinesische Unternehmen hat, die in die EU exportieren und dort investieren”, sagte He. Die Chinesische Handelskammer in der EU begrüßte den Schritt in einer Mitteilung.
CCCME hatte laut der “South China Morning Post” Mitte Juni bereits eine “starke Opposition” gegen die Zusatzzölle der EU auf chinesische Elektrofahrzeuge zum Ausdruck gebracht und offen das Ergebnis der Brüsseler Untersuchung infrage gestellt. Die Verhandlungen zwischen der EU und China zu den Zusatzzöllen laufen derzeit. Arbeitsgruppen beider Seiten seien im engen Austausch, sagte Ministeriumssprecher He. Bis zum 4. Juli muss dazu eine Lösung gefunden werden, sonst greifen die zunächst festgelegten vorläufigen Zusatzzölle.
Bundeskanzler Olaf Scholz soll Medienberichten zufolge nun gleich hohe Zölle beider Seiten auf Autoimporte vorgeschlagen haben. Das berichteten Handelsblatt und AFP unter Berufung auf Regierungs- und EU-Kreise. Demnach soll ein Zollsatz von 15 Prozent im Gespräch sein, die Höhe könne sich aber noch ändern. Die EU-Kommission hält die Überlegungen dem Bericht zufolge aber für untauglich. ari
Nachdem die belgische EU-Ratspräsidentschaft es trotz intensiver Bemühungen nicht geschafft hat, unter den Mitgliedstaaten einen mehrheitsfähigen Kompromiss zur Deregulierung neuer Gentechniken zu finden, dürfte die Arbeit an dem Dossier auf absehbare Zeit deutlich schleppender vorangehen. Ungarn, das ab 1. Juli die Ratspräsidentschaft übernimmt, gilt als gentechnik-kritisch.
Man werde die Gespräche weiterführen, sagt ein Sprecher der ungarischen Präsidentschaft zu Table.Briefings, will sich aber nicht dazu bekennen, während der sechsmonatigen Amtszeit auch eine Einigung anzustreben. Auch Polen, das im Anschluss in der ersten Jahreshälfte 2025 den Ratsvorsitz innehaben wird, ist bisher nicht von dem Vorschlag überzeugt. Die scheidende belgische Ratspräsidentschaft hatte noch Anfang der Woche einen letzten Kompromissvorschlag vorbereitet, entschied sich aber letztlich, ihn nicht mehr den EU-Botschaftern vorzulegen, weil sich weiter nicht die nötige Mehrheit abzeichnete.
Der EU-Bauernverband Copa Cogeca reagierte mit Bedauern auf das Scheitern der Bemühungen Belgiens. Werde der Deregulierungsvorschlag nicht bald umgesetzt, würden Landwirte in der EU gegenüber Kollegen in Drittstaaten benachteiligt. Der Verband Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG) begrüßte die Verzögerung dagegen und sprach zum Start der ungarischen Präsidentschaft von einer Atempause zu dem Thema. jd
Der Digitalverband Bitkom fordert, die Bestimmungen zum algorithmischen Management aus der Plattformarbeitsrichtlinie rasch auf alle Bereiche der Wirtschaft auszuweiten. “Die Verwendung algorithmischer Systeme am Arbeitsplatz sollte in der gesamten Wirtschaft einheitlich betrachtet werden”, sagt Adél Holdampf-Wendel, Bereichsleiterin Future of Work und Arbeitsrecht bei Bitkom, zu Table.Briefings. Denn auch andere Unternehmen setzten schon längst die Technologien ein. “Werden nur digitale Arbeitsplattformen reguliert, drohen Wettbewerbsverzerrungen“, sagt Holdampf-Wendel.
Zudem warnt sie davor, dass es zu Überschneidungen mit anderen EU-Gesetzen, wie etwa dem AI Act oder der Datenschutzgrundverordnung kommen kann – gerade in Hinblick auf die Transparenzregelungen. “Es ist daher wichtig, dass die nationale Umsetzung aus einem Guss ist und darauf geachtet wird, möglichst keine Widersprüche oder Dopplungen zwischen den Gesetzen zu schaffen.”
Digitalplattformen wie Essenslieferdienste setzten algorithmisches Management ein, um Fahrer und Aufträge zusammenzubringen. Auch spielt der Algorithmus eine Rolle bei der Deaktivierung oder Sperrung der Nutzer-Accounts. Abseits der Digitalplattformen findet sich algorithmisches Management etwa im Vertrieb oder der Logistik. Dort kann damit die Performance einzelner Mitarbeiter überwacht und verglichen werden, Arbeitsanweisungen oder Warnungen ausgesprochen werden.
Das Gesetz regelt in Sachen algorithmisches Management unter anderem:
Auch Bernd Waas, Professor für Arbeitsrecht an der Goethe-Universität Frankfurt, unterstreicht im Gespräch mit Table.Briefings: “Steuerung durch Algorithmen gibt es zwar insbesondere bei den Digitalplattformen, wir finden sie inzwischen aber überall in der Arbeitswelt.” Studien zeigten, dass etwa algorithmisches Nudging, also kleine Anstöße, so wirksam sei wie explizite Dienstanweisungen. “Ich sehe hier durchaus einen Reglungsbedarf. Das Gesetz zur Plattformarbeit könnte daher gut als Blaupause für andere Bereiche dienen“, sagt Waas.
Tatsächlich dürften die Forderungen der Experten auf fruchtbaren Boden fallen – es gilt als sehr wahrscheinlich, dass es in der kommenden Legislatur einen Vorstoß seitens der Kommission gibt.
Mit Blick auf die Implementierung der bestehenden Plattformarbeitsrichtlinie hat Bitkom-Expertin Holdampf-Wendel einen weiteren Wunsch an die Bundesregierung: “Das deutsche Umsetzungsgesetz sollte die Vorgaben der Richtlinie für den Einsatz algorithmischer Managementsysteme nicht erweitern. Wir brauchen eine Lösung, die europaweit einheitlich ist.”
Die EU-Plattformarbeitsrichtlinie wurde nach einem langwierigen Verhandlungsprozess im April vom Parlament formell angenommen. Das Gesetz muss noch formell vom Rat beschlossen werden. Dann kann es im Amtsblatt erscheinen und in nationales Recht umgesetzt werden. Umstritten war in der Richtlinie vor allem der Teil zur Scheinselbstständigkeit. Die Bestimmungen zum algorithmischen Management wurden dagegen weniger kontrovers diskutiert. lei
Die Kommission hat am Donnerstag eine 12-wöchige Konsultation von Interessengruppen zum Programm Digital Europe eingeleitet. Ziel der Konsultation ist es, Einblicke in die Bedürfnisse der Interessengruppen in Bezug auf die digitale Transformation, den Nutzen des Programms und mögliche Verbesserungen zu gewinnen. Dabei will die Kommission verschiedene Perspektiven berücksichtigen. Sie fordert kleine und mittlere Unternehmen, NGOs, Hochschulen, Sozialpartner, Behörden und andere Organisationen sowie Bürger aus EU-Mitgliedstaaten und assoziierten Ländern auf, ihre Meinung abzugeben.
Digital Europe ist ein Finanzierungsprogramm der EU mit einem Budget von mehr als 7,9 Milliarden Euro. Ziel ist, Unternehmen, Bürgern und öffentlichen Verwaltungen digitale Technologien zugänglich zu machen. Es ergänzt andere EU-Programme wie etwa Horizon Europe (für Forschung und Innovation) und die Fazilität Connecting Europe (für digitale Infrastruktur) und andere.
Die Konsultation läuft bis zum 20. September. Anschließend wird die Kommission einen zusammenfassenden Bericht über die Ergebnisse der Konsultation und die Antworten der Interessengruppen veröffentlichen. Die Rückmeldungen sollen zu möglichen Verbesserungen im Programm führen und die Gestaltung künftiger Initiativen unterstützen.
Für die überarbeitete Richtlinie über die Netz- und Informationssicherheit (NIS2-Richtlinie) zur Abwehr von Cyberbedrohungen in Europa will die EU-Kommission bis zum 17. Oktober einen Durchführungsrechtsakt erlassen. Auch hier bittet sie um Rückmeldungen zu ihrem Entwurf innerhalb der kommenden vier Wochen.
In dem neuen Rechtsakt will die Kommission die technischen und methodischen Anforderungen an das Risikomanagement zur Cybersicherheit für bestimmte Einrichtungen in den Bereichen digitale Infrastrukturen, digitale Anbieter und Verwaltung von IT- und Kommunikationsdiensten (B2B) festlegen.
Die NIS2-Richtlinie deckt nun mittlere und große Einrichtungen aus einer größeren Anzahl von Sektoren ab, die für Wirtschaft und Gesellschaft von entscheidender Bedeutung sind. Dazu gehören Anbieter von öffentlichen elektronischen Kommunikationsdiensten, digitalen Diensten, Abwasser- und Abfallentsorgung, Herstellung kritischer Produkte, Post- und Kurierdienste sowie öffentliche Verwaltung. vis
Die Kommission hat am Donnerstag den Startschuss gegeben für die Verleihung des Europäischen Preises für Innovatorinnen 2025. Mit dem Preis zeichnet die Kommission Frauen aus, die mit bahnbrechenden Innovationen positive Veränderungen für die Menschen und den Planeten bewirken. Ausgezeichnet werden Frauen aus der gesamten EU sowie aus Ländern, die mit dem EU-Forschungs- und Innovationsprogramm Horizon Europe assoziiert sind. Die Bewerbungsfrist endet am 25. September 2024 um 17 Uhr.
Der Europäische Preis für Innovatorinnen ist eine Initiative, die vom Europäischen Innovationsrat (EIC) und dem Europäischen Innovations- und Technologieinstitut (EIT) unterstützt wird. Die Gewinnerinnen werden in drei Preiskategorien ausgewählt: EIC Women Innovators, EIC Rising Innovators und EIT Women Leadership.
“Dieser Preis trägt dazu bei, die Gleichstellung der Geschlechter in Wirtschaft und Technologie zu stärken, indem er sich für weibliche Innovationstalente und von Frauen geführte Unternehmen einsetzt”, sagte Iliana Ivanova, Kommissarin für Innovation, Forschung, Kultur, Bildung und Jugend. vis
Das war sicherlich nicht das Kalkül des französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Die politische Bombe, die er nur eine Stunde nach den Ergebnissen der Europawahlen zündete, sollte sein Lager im Kräftemessen mit dem rechtsextremen Rassemblement National (RN) stärken – indem er auf Stimmenfang auf der linken Seite gehen wollte.
Nun ist aber das Gegenteil der Fall. Entgegen allen Erwartungen ist es den verschiedenen linken Parteien gelungen, sich sehr schnell zum neuen Bündnis Nouveau Front populaire (NFP) zusammenzuschließen. Dieser Formation gehören die Umweltschützer Les Écologistes an, die linkspopulistische Partei La France insoumise von Jean-Luc Mélenchon, die Kommunistische Partei Frankreichs, die Sozialistische Partei (aus der die beiden Präsidenten François Mitterrand und François Hollande hervorgegangen sind) sowie die Mitte-Links-Partei Place publique des Europaabgeordneten Raphaël Glucksmann.
Die NFP ist nun zur zweitstärksten politischen Kraft des Landes geworden. Sie liegt hinter dem Rassemblement National und weit vor der Partei von Emmanuel Macron: Der RN kommt in Umfragen auf 36 Prozent, NFP auf 29 Prozent und Macrons Partei Ensemble pour la République auf 19 Prozent.
In kürzester Zeit ist die NFP zur Alternative zu den Rechtsextremen geworden. Es ist der Gipfel der Ironie: Emmanuel Macron selbst kam 2017 mit der Behauptung an die Macht, er sei das “Bollwerk” gegen die extreme Rechte. Damals wurde er Präsident mit den Stimmen linker Wähler, die Marine Le Pen verhindern wollten. Das Muster wiederholte sich 2022. Nun versucht Macron erneut, die Karte “Entweder ich oder die extreme Rechte” zu spielen. Es ist der Grund, aus dem er die Nationalversammlung auflöste und Neuwahlen anordnete.
Doch dieses Mal ist etwas anders: Die linken Wähler wollen Macron nicht mehr. Sie sind zermürbt von der Rentenreform, dem Verfall des öffentlichen Dienstes, dem Entwurf des Einwanderungsgesetzes, der Ideen des RN aufgreift.
Auf der anderen Seite des politischen Spektrums wird in Frankreich zunehmend freier über die Ideen des RN gesprochen. Mit anderen Worten: Die Angst vor der extremen Rechten ist nicht mehr populär. Und in einem von Polarisierung geprägten politischen Umfeld scheint sich eine große Mehrheit der Franzosen nur auf eines einigen zu können: die Ablehnung Macrons. Das geht so weit, dass sich manche Kandidaten des macronistischen Lagers geweigert haben, sein Gesicht auf ihre Wahlplakate zu drucken.
Im ersten Wahlgang an diesem Sonntag könnte die Linke ein sehr gutes Ergebnis holen, heißt es in einer Analyse der Jean-Jaures-Stiftung. Der Thinktank steht der Sozialistischen Partei nahe. Doch ob das auch für den zweiten Wahlgang am 7. Juli gelte, sei ungewiss. Denn spätestens in der Stichwahl müsse das linke Bündnis Stimmen gewinnen, die nicht links sind. Und das könnte schwierig werden.
Das Problem: “die Omnipräsenz von Jean-Luc Mélenchon“, heißt es in der Analyse. Umfragen bestätigen diese These: 51 Prozent der Franzosen und 70 Prozent der Linkswähler glauben, dass der Europaabgeordnete Raphaël Glucksmann ein Vorteil für die NFP ist, während 81 Prozent der Franzosen und 66 Prozent der Linkswähler glauben, dass Mélenchon ein Nachteil für das Bündnis darstellt. Denn viele Franzosen stören sich daran, dass Mélenchon auf allen Kanälen präsent ist – ebenso wie an seinen verbalen Entgleisungen und an seiner Polemik.
Ein Beispiel für Mélenchons Rhetorik: Im April beleidigte er den Präsidenten der Universität Lille, Régis Bordet. Dieser hatte beschlossen, eine von Mélenchons Partei La France insoumise organisierte Konferenz über Gaza abzusagen, weil er der Ansicht war, dass eine ausgeruhte Debatte in diesem Rahmen nicht möglich sei. Mélenchon verglich Bordet daraufhin mit Adolf Eichmann.
Auch innerhalb des linken Bündnisses gibt es Kritik. Am vergangenen Sonntag forderte Macrons Vorgänger, der Sozialist François Hollande, Mélenchon auf, sich angesichts der “Ablehnung”, die er hervorrufe, zurückzunehmen. “Wenn ich eine Botschaft zu übermitteln habe, dann die, dass Jean-Luc Mélenchon (…), wenn er der Nouveau Front populaire einen Dienst erweisen will, sich beiseitelegen und schweigen muss”, sagte Hollande, der um einen Platz im Parlament kämpft.
Damit haben Macron und Mélenchon eine große Gemeinsamkeit: ihre Unbeliebtheit.