der EU-Betrieb erwacht in dieser Woche allmählich aus dem Sommerschlaf. Den Auftakt machen wie üblich die Außenminister: Am Donnerstag kommen Annalena Baerbock und ihre Kollegen zum informellen Rat in Brüssel zusammen. Der Außenbeauftragte Josep Borrell hatte das eigentlich in Budapest geplante Gymnich-Treffen bekanntlich verlegt, aus Ärger über Viktor Orbáns eigenmächtige “Friedensmission”. Am Freitag sind dann die Verteidigungsminister dran, wobei sich Boris Pistorius von seinem Parlamentarischen Staatssekretär Thomas Hitschler vertreten lässt.
Ursula von der Leyen werkelt derweil weiter an ihrer neuen Kommission. In dieser Woche will sie die ersten Kandidaten der Mitgliedstaaten zum Vorstellungsgespräch treffen. Das Personaltableau soll dann Mitte September stehen. Weitgehend ignoriert haben die nationalen Regierungen bislang die Aufforderung der Kommissionspräsidentin, ihr jeweils einen männlichen und einen weiblichen Namen vorzuschlagen – und so zeichnet sich ein kräftiger Männerüberschuss ab.
Der Chef der SPD-Europaabgeordneten, René Repasi, kritisiert das als “respektlos”, er droht damit, schwächeren Kommissaranwärtern das Leben in den Anhörungen im Parlament schwer zu machen. Allerdings hat das Europaparlament beim Thema Geschlechtergerechtigkeit selbst keine weiße Weste.
Von der Leyen will sich so leicht nicht geschlagen geben: Wenn Frauen schon zahlenmäßig in der neuen Kommission unterrepräsentiert sind, so sollen besonders einflussreiche Aufgabenbereiche eben an Kommissarinnen gehen. Mehr dazu lesen Sie in dieser Ausgabe.
Ich wünsche Ihnen einen guten Start in die neue Woche!
Vor einem Monat hatte Ursula von der Leyen die Mitgliedstaaten gebeten, ihr jeweils eine Frau und einen Mann für die neue EU-Kommission vorzuschlagen. Nachgekommen ist ihrer Bitte bislang kaum eine Regierung. Kurz vor Ablauf der Frist Ende August zeichnet sich klar ab: Von der Leyen wird nicht wie gewünscht ein annähernd gleichermaßen mit Frauen und Männern besetztes College formen können.
16 männliche Kandidaten haben die Mitgliedstaaten bislang öffentlich nominiert – und nur sechs Frauen. Von der Leyen und die designierte Außenbeauftragte Kaja Kallas sind da bereits mitgezählt. In ihrer ersten Amtszeit war es der CDU-Politikerin noch als erster Kommissionspräsidentin gelungen, annähernd ein Gleichgewicht herzustellen: Zu Beginn waren zwölf der inzwischen 27 Kommissionsmitglieder Frauen, später stieg ihre Zahl auf 13.
Von der Leyens Problem: Sie hat keine rechtliche Handhabe. Die Regierungen entscheiden selbständig, wen sie für die Kommission nominieren. In ihren Gesprächen mit den Staats- und Regierungschefs habe von der Leyen auf weibliche Kandidaten gedrungen, heißt es in Brüssel. Doch diese hätten vielfach innenpolitische Zwänge wie Koalitionsabsprachen geltend gemacht – und auf die übrigen Mitgliedstaaten verwiesen. Einige wenige argumentierten schlicht, sie hätten keine geeignete Kandidatin für den Brüsseler Topjob. Und so kommen vielfach doch Männer zum Zuge:
Von der Leyen setzt nun die Druckmittel ein, die sie hat, um den Frauenanteil doch noch in die Höhe zu treiben: die Verteilung von Zuständigkeiten und Einfluss innerhalb ihrer Kommission liegt in ihrer Macht. Etliche Staats- und Regierungschefs haben Wünsche angemeldet, welche Portfolios sie gerne mit ihren Vertretern besetzen würden. Von der Leyen signalisierte hier dem Vernehmen nach, dass diese Wünsche in bestimmten Fällen nicht zu den (männlichen) Kandidaten passten. Die Botschaft: Entweder ihr sendet eine besser geeignete Kandidatin – oder der Ressortwunsch bleibt unerfüllt.
Von der Leyen habe ihren Gesprächspartnern zudem deutlich gemacht, “dass wenige Frauen mehr Einfluss haben werden”, heißt es in Brüssel. Sprich: Wenn Frauen im College unterrepräsentiert sind, dann sollen diese zumindest gewichtige Posten erhalten, sei es als Vizepräsidentin oder in bedeutenden Ressorts wie etwa Wettbewerb, Handel oder Haushalt. Wenn nicht quantitativ, so soll die Gleichberechtigung der Geschlechter doch zumindest beim politischen Einfluss gelingen.
Gestandene Ministerinnen wie die Spanierin Teresa Ribera oder die Finnin Henna Virkkunen dürfen daher auf wichtige Posten in der neuen Kommission hoffen. Zumal von der Leyen bei ihren neuen Kommissarinnen und Kommissaren stärker darauf achten will, dass die Bewerber administrative Erfahrung mitbringen.
In dieser Woche sollen die ersten Vorstellungsgespräche stattfinden, das vorläufige Personaltableau dürfte Mitte September stehen. Anschließend müssen sich die designierten Kommissare den Anhörungen im Europaparlament stellen.
Von der Leyen hofft, mit ihren Argumenten noch den ein oder anderen Mitgliedstaat dazu zu bewegen, doch eine Frau zu nominieren. Fünf Regierungen haben noch niemanden vorgeschlagen, darunter Italien.
Rom will eigentlich Fratelli-Europaminister Raffaele Fitto nach Brüssel schicken. Jedoch wird Giorgia Meloni dem Vernehmen nach von der Leyens Wunsch nachkommen und auch eine Frau nominieren. Die parteilose Geheimdienstkoordinatorin Elisabetta Belloni hat daher gute Chancen und ist zudem parteipolitisch weniger exponiert.
Auch Portugal will zwei Kandidaten unterschiedlichen Geschlechts nominieren: Ex-Finanzministerin Maria Luísa Albuquerque hätte als einzige Frau im Rennen somit auch gute Chancen, Kommissarin zu werden.
Auch die öffentlich vorgeschlagenen Namen sind nicht alle in Stein gemeißelt. So hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zwar erneut Binnenmarktkommissar Thierry Breton nominiert, doch angesichts der schwierigen Regierungsbildung in Paris könnte sich hier noch etwas tun.
Die Kommissionspräsidentin kann zudem auf Rückendeckung durch das Europaparlament setzen, das über die Anhörungen der Kandidaten und die Zustimmung zur gesamten Kommission eigene Hebel hat. Der Vorsitzende des SPD-Abgeordneten, René Repasi, kritisiert es als “respektlos, dass die Regierungen Frau von der Leyens Bitte um zwei Kandidaten verschiedenen Geschlechts derart schamlos ignorieren”.
Die Regeln des Parlaments verlangten es, das Geschlechtergleichgewicht für das gesamte Kollegium als Kriterium zu beachten, sagt er. Das Parlament werde die Eignung der Vorschläge daher sehr genau prüfen: “Schwache männliche Kandidaten werden vor diesem Hintergrund eine schwere Zeit im Parlament haben und dürfen keine Gnade erwarten.”
Frau Hmaidi, China ist das einzige Land, das spezifische Exportkontrollen für Technologie eingeführt hat. Wie setzt es diese Kontrollen um?
Tatsächlich handelt es sich um das einzige Land, das wir finden konnten, das nicht nur Dual-Use-Güter kontrolliert, sondern explizit eine Liste von kontrollierten Technologien führt. Beijing hat dazu seine vorhandenen Instrumente, wie das Investment Screening, stark erweitert. Es hat dadurch einen viel detaillierteren Überblick über die Technologieflüsse als Europas Regierungen.
Warum kann das zum Problem werden?
Diese Maßnahmen sind besonders relevant für uns, wenn es um chinesische Investitionen etwa in Elektroautofabriken geht. Die chinesische Regierung entscheidet sehr genau, welche ihrer Unternehmen wo in Europa Fabriken für welche Produkte bauen.
Das ist ja eine erhebliche Asymmetrie. Die Europäer haben jahrzehntelang in China investiert und ihre Technologien herausgerückt, ohne dass der Staat wusste, was läuft.
In der Tat fehlt in den meisten Fällen in Europa eine detaillierte Erfassung und Kontrolle von Technologietransfers. Zwar gibt es internationale Abkommen wie das Wassenaar-Abkommen für Dual-Use-Technologien, aber für viele Produkte fehlen umfassende Daten, wann sie in welcher Menge übertragen wurden. Selbst innerhalb Europas sind die Zusammenarbeit und der Informationsaustausch zwischen Ländern wie Deutschland und Frankreich noch lückenhaft.
Zuletzt war in Deutschland der Gedanke aufgekommen, man könne in der EU eine Solarindustrie gemeinsam mit China ansiedeln. Doch Ihren Forschungsergebnissen zufolge läge das gar nicht in Chinas Interesse.
Schon seit Ende 2022 diskutierte die chinesische Regierung über die Aufnahme von Solartechnologien in ihre Kontrollliste. Letztlich wurde diese Technologie jedoch nicht aufgenommen, da die chinesischen Solarhersteller Bedenken geäußert haben. Sie befürchteten, dass Exportbeschränkungen zu Marktanteilsverlusten in Südostasien führen könnten und dass europäische Länder versuchen, ihre Lieferketten unabhängig von China zu gestalten.
Wo könnte China künftig Druck auf die EU ausüben?
Industrierohstoffe wie Gallium und Germanium sind bereits von chinesischen Ausfuhrkontrollen betroffen. Es geht aber auch um Dinge wie die Lizenz für Nutzung der Technologie für die Herstellung von Magneten für Windturbinen. Oder Algorithmen, etwa den von TikTok. Das alles fällt unter Chinas Technologie-Exportkontrollen. Zusätzlich sind auch Drohnen und Materialien für kugelsichere Westen von Exportkontrollen betroffen, von denen viele von deutschen Mittelständlern hergestellt werden.
Welches Szenario entwerfen Sie für den Konfliktfall?
China könnte bestimmte Materialien einfach nicht mehr liefern. Zudem könnten chinesische Unternehmen keine Produktionsstätten für Technologien wie Windturbinen in Deutschland mehr ansiedeln.
Was sollte Europa jetzt tun, angesichts Chinas Nutzung von Technologie in Handelskonflikten?
Der erste Schritt ist das Sammeln von Informationen über Chinas Fortschritte in verschiedenen Technologien und auch zu Europas eigenen Aktivitäten und Fähigkeiten. Wichtig ist, dies auf europäischer Ebene zu tun, um ein umfassendes Bild zu erhalten. Zudem benötigen wir in den Ministerien mehr Technologie- und Industrieexperten, da derzeit oft nur Juristen oder langjährige Bürokraten tätig sind. Es muss eine neue Kompetenz im Bereich Technologien aufgebaut werden.
Besonderen Ärger erregt in Brüssel derzeit das chinesische Vorgehen, militärisch relevante Waren mit Russland zu teilen, ohne offiziell Waffen oder auch nur Dual-Use-Güter an den befreundeten Nachbarn zu liefern. Wie klappt dieser Spagat?
China weiß genau, welche Kontrollen es offiziell durchführen kann, ohne die eigenen Unternehmen zu behindern oder Russland zu schaden, und dabei zugleich international gut aussieht. Oft ist die Umsetzung dieser Kontrollen so gestaltet, dass sie chinesische Unternehmen nicht betreffen. Wenn Europa ein Unternehmen sanktioniert, tritt zudem oft einfach das Nächste in Erscheinung. Dieses kann dann wieder so lange Geschäfte machen, bis es seinerseits von der EU sanktioniert wird. Darüber hinaus waren beispielsweise chinesische Exportkontrollen für Drohnen so konzipiert, dass kommerzielle chinesische Drohnen nicht betroffen waren. Die haben aber bedeutsame Anwendungen auf dem Schlachtfeld.
Wie reagiert Europa auf diese Herausforderungen?
Europa war bisher zu passiv und hat versucht, mit China zu diskutieren, anstatt konsequent Sanktionen zu verhängen, die es europäischen Firmen verbieten würde, mit chinesischen Firmen auf der Sanktionsliste zu handeln.
Liegt das Kernproblem darin, dass mit China ein Systemrivale so viel wichtige Technologie auf so hohem Niveau herstellt?
Das Problem ist weniger die Qualität der Technologie, sondern dass die chinesische Produktion günstiger ist. Lange Zeit galt das Credo, dass günstiger besser ist, ohne zu erkennen, wie strategisch China diese Marktmacht aufgebaut hat. Chinas Regierung und Unternehmen sind bereit, kurzfristige finanzielle Nachteile in Kauf zu nehmen, um langfristig Abhängigkeiten aufzubauen und die Handelsketten um China herum in seinem Sinne neu zu gestalten.
Lohnt es sich daher, um krisenfester zu werden, Waren zu höheren Preisen in Europa herzustellen?
Es ist wichtig, strategisch zu analysieren, welche Produkte wir vorrätig halten müssen, auch wenn das höhere Kosten verursacht. In manchen Fällen können Zölle sinnvoll sein, um zu verhindern, dass chinesische Produkte die Preise unterbieten. Allerdings wäre es kontraproduktiv, wenn Europa, die USA, Japan und Südkorea alle die gleichen Produkte teurer als in China herstellen und dadurch Überkapazitäten erzeugen. Stattdessen sollten westliche Länder ihre Produktion koordinieren und bestehende Vorteile nutzen, wie Europas Position in der Produktion von Leistungshalbleitern.
Sind Subventionen ein geeignetes Mittel, um mehr technologische Sicherheit zu erreichen?
Es gibt auch die Möglichkeit, Industrien zeitweise zu subventionieren, um sie langfristig wettbewerbsfähig zu machen, wie China es bei Elektroautos vorgemacht hat. Es ist aber nicht realistisch, alle Industrien zu subventionieren. Daher muss entschieden werden, welche Industrien so wichtig sind, dass Subventionen sich lohnen. Das könnte zum Beispiel die Chip-Industrie sein, deren Produkte für viele andere Branchen essenziell sind, oder 5G, wo Deutschland und Europa aus Gründen der technologischen Sicherheit eigene Anbieter benötigen. Wir subventionieren ja auch jetzt schon die Landwirtschaft, weil Nahrung essenziell ist.
Wer soll in Europa die Entscheidungen treffen, welche Wirtschaftszweige so wichtig sind, dass sie Förderung verdienen?
Nur die Politik kann diese Prioritäten setzen und bestimmen, wie viel das kosten darf.
Antonia Hmaidi ist Senior Analyst bei der Berliner Denkfabrik Merics, dem Mercator Institute for China Studies. Anlass für das Interview ist ein neuer Report, den Hmaidi zusammen mit Rebecca Arcesati und François Chimits verfasst hat: Keeping value chains at home – How China controls foreign access to technology and what it means for Europe.
Nach der Gründung einer eigenen Rechtsaußen-Fraktion im Europaparlament plant die AfD auch die Gründung einer europäischen Partei. Für den Schritt wurde ein Vorläuferverein mit dem Namen “Europa der souveränen Nationen – ESN e.V.” gegründet, dem unter anderem die Parteichefs Tino Chrupalla und Alice Weidel angehören. Mit dem Antrag vom Freitag, der Table.Briefings vorliegt, bitten Weidel und Chrupalla den Parteikonvent um Anerkennung des Vereins und Gründung der Partei. Der Konvent wird am 28. September in einer Sondersitzung tagen.
Die Parteiführung hatte nach Informationen von Table.Briefings zunächst einen anderen Weg zur Gründung vorgesehen. Der Chrupalla-Vertraute Frank Pasemann soll sich im Vorfeld mit Vertretern der anderen Mitgliedsparteien getroffen haben. Diese haben dem Vernehmen nach Druck auf die AfD ausgeübt, damit die Partei möglichst schnell entsteht – sie wollen über die Parteienfinanzierung an damit verbundene Gelder kommen.
Eine Gründung ohne Zustimmung von Parteitag oder Konvent war im Gespräch. Kritiker könnten nämlich monieren, dass mit der Gründung der neuen Partei der Anschein einer “Selbstbedienungsmentalität” entstehen könnte, den die AfD in Brüssel sonst selbst kritisiert. Auch soll diskutiert worden sein, ob die Bulgaren die Partei gründen und dann an die AfD überschreiben, damit es schneller zur Gründung kommt. Relevante Kreise der AfD haben diesen Schritt aber abgelehnt. Nun geht die AfD den offiziellen Weg. fk, dpa
Der Gründer des Messengerdienstes Telegram, Pawel Durow, ist in Frankreich festgenommen worden. Der in Frankreich gesuchte Russe wurde am Samstag nach seiner Ankunft aus Aserbaidschan am Flughafen Le Bourget in Polizeigewahrsam genommen, wie französische Medien berichteten.
Demnach wurde Durow in Frankreich gesucht, weil die Behörden Vorermittlungen gegen ihn eingeleitet hätten. Er wird verdächtigt, sich durch fehlendes Eingreifen bei Telegram und unzureichende Kooperation mit den Ordnungskräften des Drogenhandels, Betrugs und Vergehen im Zusammenhang mit Kindesmissbrauch mitschuldig gemacht zu haben. Am Sonntagabend sollte ein Ermittlungsverfahren gegen den 39-Jährigen eingeleitet werden.
Die Telegram-Macher waren wegen unzureichender Moderation der Inhalte auch in Deutschland scharf kritisiert worden. Der Messengerdienst fällt bislang nicht unter die strengen Regeln des Digital Services Act für sehr große Online-Plattformen, weil er nach eigenen Angaben knapp unterhalb der Schwelle von 45 Millionen aktiven Nutzern pro Monat in Europa bleibt. Allerdings laufen die Gespräche zwischen dem Unternehmen und der Kommission noch.
Durow hatte Telegram mit seinem Bruder Nikolai gegründet, nachdem beide bereits das Netzwerk Vk.com ins Leben gerufen hatten, eine Art russischsprachiges Facebook. Telegram ist in Russland eines der wichtigsten Online-Netzwerke, das auch von vielen Behörden und Politikern zur Kommunikation genutzt wird. Im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine wird der Dienst von beiden Seiten für Mitteilungen genutzt.
Durows Verhältnis zur russischen Obrigkeit gilt als schwierig. Der Verkauf von Vk.com erfolgte unter Druck. Zuvor hatte er sich geweigert, Daten der Teilnehmer der Protestbewegung in der Ukraine gegen den damaligen Präsidenten Viktor Janukowitsch an den russischen Geheimdienst weiterzugeben. Er selbst floh kurz darauf aus Russland.
Die Durow-Brüder versprechen, die Daten der Nutzerinnen und Nutzer von Telegram zu schützen. Mit den russischen Behörden legte sich der exzentrische Internet-Milliardär deshalb schon vor Jahren an. dpa/tho
Nach den Sondierungsgesprächen mit Präsident Emmanuel Macron am Freitag hat sich das linke Lager zuversichtlich gezeigt. “Wir gehen mit guten Nachrichten aus diesem Treffen”, sagte Grünen-Chefin Marine Tondelier. Der Vorsitzende der Sozialisten, Olivier Faure, sagte, Macron habe anerkannt, dass Stabilität nicht gleichbedeutend mit der Weiterführung seiner Politik sei. Dies sei ein wichtiges Signal.
Macron will gut sechs Wochen nach der Parlamentswahl mit einer Reihe von Gesprächen den Weg für eine neue Regierung bereiten. Er hatte wiederholt betont, dass er eine große und stabile Mehrheit wolle. Die Konservativen machten am Freitag im Anschluss an ihr Gespräch mit dem Präsidenten aber klar, nicht Teil einer Regierungskoalition sein zu wollen und gegen jegliche Regierung unter Beteiligung der linksradikalen LFI mit einem Misstrauensvotum zu stimmen.
Am Montag will Macron noch mit den Rechtsnationalen um Marine Le Pen sowie den Vorsitzenden der beiden Parlamentskammern sprechen. Sozialisten-Chef Faure sagte, Macron habe zugesagt, nach Abschluss der Gespräche schnell einen neuen Premier ernennen zu wollen. Tondelier forderte: “Wir brauchen am Dienstag eine Antwort.”
Bei der Parlamentswahl vor gut sechs Wochen landete das Linksbündnis auf Platz eins, vor Macrons Mitte-Kräften und dem rechten Rassemblement National. Eine absolute Mehrheit erhielt aber keines der Lager. Seit der Wahl herrscht im Land politischer Stillstand. Macron nahm zwar den Rücktritt seines Premiers Gabriel Attal an, ernannte aber keinen neuen Regierungschef. dpa/tho
Die Ukraine ist nicht nur Kriegsschauplatz und Frontstaat gegenüber einem imperialen Russland, sondern eines der rohstoffreichsten Länder Europas. Das bekannte, aber bis dato wenig erkundete Rohstoffpotenzial des Landes umfasst zahlreiche mineralische und metallische Rohstoffe, die die EU als kritisch und strategisch eingestuft hat.
Würde es gelingen, die ukrainischen Metallerzvorkommen zu erschließen, könnten damit vier strategische Ziele erreicht werden, die im gemeinsamen Interesse der Ukraine und der EU liegen. Erstens: Durch die Einnahmen aus der Rohstoffförderung kann die prekäre Finanzlage der Ukraine verbessert und ein nachhaltiger Beitrag zum Wiederaufbau des Landes geleistet werden.
Zweitens: eine ganze Reihe an Metallrohstoffen bilden die Grundlage für moderne Waffensysteme, die die ukrainische Armee erfolgreich im Kampf gegen Russland einsetzt und die mittlerweile unentbehrlich geworden sind, etwa Drohnen, Munition, Panzerlegierungen. Durch den Aufbau einer ukrainischen Rüstungsindustrie, die die eigenen Rohstoffe nutzt, könnte das Land befähigt werden, einen Teil der benötigten Rüstungsgüter künftig selbst zu produzieren.
Drittens: Die Ukraine ist ein geeigneter Partner, um die hohen Importabhängigkeiten der EU, insbesondere von China, zu verringern. Und viertens: Mit der verstärkten Zusammenarbeit im Rohstoffsektor kann die stufenweise Integration der Ukraine in den europäischen Binnenmarkt beschleunigt werden.
Schon zu Sowjetzeiten war die Ukraine Kernregion für die Rohstoff- und Schwerindustrie. Eisenerz und Steinkohle waren lange Zeit die wichtigsten Bodenschätze. Doch das Land hat viel mehr zu bieten: Bei den aus EU-Sicht strategischen Rohstoffen hat das Land bedeutende Vorkommen, vor allem an diversen Titanverbindungen, Mangan, Magnesiummetall und Naturgraphit. Titan und Mangan sind im Fahrzeugbau und in der Luft- und Raumfahrttechnik essenziell.
Ferner werden die für die grüne Energiewende unentbehrlichen Rohstoffe Lithium, Seltene Erden, Kobalt, Chrom und weitere Industrierohstoffe exploriert. Die bekannten Rohstoffvorkommen liegen sowohl in der vergleichsweise sicheren Westukraine als auch im besetzten und umkämpften Osten. Weitere Explorationen sind notwendig, um das ganze Rohstoffpotenzial genauer zu kartieren und zu bewerten.
Damit die Ukraine möglichst umfassend und nachhaltig von ihren Bodenschätzen profitiert und diese nicht unter russische Kontrolle fallen, ist es erfolgskritisch, dass die EU-Mitgliedsstaaten und europäische Unternehmen noch in Kriegszeiten Investitionen poolen und Lieferketten aufbauen. Dies kann nur gelingen, wenn sich Politik und Wirtschaft gemeinsam auf ein langfristiges Engagement einstellen. Da die EU bereits im Jahr 2021 ein Memorandum of Understanding für eine strategische Rohstoffpartnerschaft mit der Ukraine unterzeichnet hat, kann an bestehende politische Vereinbarungen und Ziele (EU Critical Raw Materials Act) angeknüpft werden.
Die praktischen Kooperationsfelder umfassen etwa eine verstärkte Zusammenarbeit der geologischen Dienste der Mitgliedsstaaten mit dem Ukrainian Geological Survey. Die Schlüsselfelder sind die potenzielle Weiterverarbeitung der ukrainischen Rohstoffe zu Zwischen- und Endprodukten in Schmelz- und Hüttenbetrieben, ergo von der Raffinade zum Rüstungsgut. Hierfür ist die politische und finanzielle Flankierung durch europäische Mittelgeber notwendig, entweder durch deutsche Hermes-Deckungen, unternehmensbasierte Direktinvestitionen (wie jüngst durch Rheinmetall) oder durch die Einstufung aussichtsreicher Rohstoffprojekte als IPCEI (Important Projects of Common European Interest).
Trotz der enormen Risiken und Probleme im Land (Raketenbeschuss, Stromversorgung, Korruption) ist es in strategischer Hinsicht geboten, nicht erst bis nach dem Krieg zu warten, sondern substanzielle Unterstützungsmaßnahmen schon jetzt einzuleiten. Denn die potenzielle Rohstoffförderung und der Aufbau der Ukraine als europäische Rüstungsschmiede gehen Hand in Hand. Diese Verbundziele können eine positive Entwicklungswirkung für die kriegsgebeutelte Ukraine wie auch die rohstoffabhängige EU entfalten.
Die Autoren sind Mitglieder im Arbeitskreis Junge Außenpolitik der Konrad-Adenauer-Stiftung. Jakob Kullik ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Internationale Politik der Technischen Universität Chemnitz. Juliana Süß ist Research Fellow für Space Security am Royal United Services Institute (RUSI). Yilmaz Akkoyun ist Referent im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ).
der EU-Betrieb erwacht in dieser Woche allmählich aus dem Sommerschlaf. Den Auftakt machen wie üblich die Außenminister: Am Donnerstag kommen Annalena Baerbock und ihre Kollegen zum informellen Rat in Brüssel zusammen. Der Außenbeauftragte Josep Borrell hatte das eigentlich in Budapest geplante Gymnich-Treffen bekanntlich verlegt, aus Ärger über Viktor Orbáns eigenmächtige “Friedensmission”. Am Freitag sind dann die Verteidigungsminister dran, wobei sich Boris Pistorius von seinem Parlamentarischen Staatssekretär Thomas Hitschler vertreten lässt.
Ursula von der Leyen werkelt derweil weiter an ihrer neuen Kommission. In dieser Woche will sie die ersten Kandidaten der Mitgliedstaaten zum Vorstellungsgespräch treffen. Das Personaltableau soll dann Mitte September stehen. Weitgehend ignoriert haben die nationalen Regierungen bislang die Aufforderung der Kommissionspräsidentin, ihr jeweils einen männlichen und einen weiblichen Namen vorzuschlagen – und so zeichnet sich ein kräftiger Männerüberschuss ab.
Der Chef der SPD-Europaabgeordneten, René Repasi, kritisiert das als “respektlos”, er droht damit, schwächeren Kommissaranwärtern das Leben in den Anhörungen im Parlament schwer zu machen. Allerdings hat das Europaparlament beim Thema Geschlechtergerechtigkeit selbst keine weiße Weste.
Von der Leyen will sich so leicht nicht geschlagen geben: Wenn Frauen schon zahlenmäßig in der neuen Kommission unterrepräsentiert sind, so sollen besonders einflussreiche Aufgabenbereiche eben an Kommissarinnen gehen. Mehr dazu lesen Sie in dieser Ausgabe.
Ich wünsche Ihnen einen guten Start in die neue Woche!
Vor einem Monat hatte Ursula von der Leyen die Mitgliedstaaten gebeten, ihr jeweils eine Frau und einen Mann für die neue EU-Kommission vorzuschlagen. Nachgekommen ist ihrer Bitte bislang kaum eine Regierung. Kurz vor Ablauf der Frist Ende August zeichnet sich klar ab: Von der Leyen wird nicht wie gewünscht ein annähernd gleichermaßen mit Frauen und Männern besetztes College formen können.
16 männliche Kandidaten haben die Mitgliedstaaten bislang öffentlich nominiert – und nur sechs Frauen. Von der Leyen und die designierte Außenbeauftragte Kaja Kallas sind da bereits mitgezählt. In ihrer ersten Amtszeit war es der CDU-Politikerin noch als erster Kommissionspräsidentin gelungen, annähernd ein Gleichgewicht herzustellen: Zu Beginn waren zwölf der inzwischen 27 Kommissionsmitglieder Frauen, später stieg ihre Zahl auf 13.
Von der Leyens Problem: Sie hat keine rechtliche Handhabe. Die Regierungen entscheiden selbständig, wen sie für die Kommission nominieren. In ihren Gesprächen mit den Staats- und Regierungschefs habe von der Leyen auf weibliche Kandidaten gedrungen, heißt es in Brüssel. Doch diese hätten vielfach innenpolitische Zwänge wie Koalitionsabsprachen geltend gemacht – und auf die übrigen Mitgliedstaaten verwiesen. Einige wenige argumentierten schlicht, sie hätten keine geeignete Kandidatin für den Brüsseler Topjob. Und so kommen vielfach doch Männer zum Zuge:
Von der Leyen setzt nun die Druckmittel ein, die sie hat, um den Frauenanteil doch noch in die Höhe zu treiben: die Verteilung von Zuständigkeiten und Einfluss innerhalb ihrer Kommission liegt in ihrer Macht. Etliche Staats- und Regierungschefs haben Wünsche angemeldet, welche Portfolios sie gerne mit ihren Vertretern besetzen würden. Von der Leyen signalisierte hier dem Vernehmen nach, dass diese Wünsche in bestimmten Fällen nicht zu den (männlichen) Kandidaten passten. Die Botschaft: Entweder ihr sendet eine besser geeignete Kandidatin – oder der Ressortwunsch bleibt unerfüllt.
Von der Leyen habe ihren Gesprächspartnern zudem deutlich gemacht, “dass wenige Frauen mehr Einfluss haben werden”, heißt es in Brüssel. Sprich: Wenn Frauen im College unterrepräsentiert sind, dann sollen diese zumindest gewichtige Posten erhalten, sei es als Vizepräsidentin oder in bedeutenden Ressorts wie etwa Wettbewerb, Handel oder Haushalt. Wenn nicht quantitativ, so soll die Gleichberechtigung der Geschlechter doch zumindest beim politischen Einfluss gelingen.
Gestandene Ministerinnen wie die Spanierin Teresa Ribera oder die Finnin Henna Virkkunen dürfen daher auf wichtige Posten in der neuen Kommission hoffen. Zumal von der Leyen bei ihren neuen Kommissarinnen und Kommissaren stärker darauf achten will, dass die Bewerber administrative Erfahrung mitbringen.
In dieser Woche sollen die ersten Vorstellungsgespräche stattfinden, das vorläufige Personaltableau dürfte Mitte September stehen. Anschließend müssen sich die designierten Kommissare den Anhörungen im Europaparlament stellen.
Von der Leyen hofft, mit ihren Argumenten noch den ein oder anderen Mitgliedstaat dazu zu bewegen, doch eine Frau zu nominieren. Fünf Regierungen haben noch niemanden vorgeschlagen, darunter Italien.
Rom will eigentlich Fratelli-Europaminister Raffaele Fitto nach Brüssel schicken. Jedoch wird Giorgia Meloni dem Vernehmen nach von der Leyens Wunsch nachkommen und auch eine Frau nominieren. Die parteilose Geheimdienstkoordinatorin Elisabetta Belloni hat daher gute Chancen und ist zudem parteipolitisch weniger exponiert.
Auch Portugal will zwei Kandidaten unterschiedlichen Geschlechts nominieren: Ex-Finanzministerin Maria Luísa Albuquerque hätte als einzige Frau im Rennen somit auch gute Chancen, Kommissarin zu werden.
Auch die öffentlich vorgeschlagenen Namen sind nicht alle in Stein gemeißelt. So hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zwar erneut Binnenmarktkommissar Thierry Breton nominiert, doch angesichts der schwierigen Regierungsbildung in Paris könnte sich hier noch etwas tun.
Die Kommissionspräsidentin kann zudem auf Rückendeckung durch das Europaparlament setzen, das über die Anhörungen der Kandidaten und die Zustimmung zur gesamten Kommission eigene Hebel hat. Der Vorsitzende des SPD-Abgeordneten, René Repasi, kritisiert es als “respektlos, dass die Regierungen Frau von der Leyens Bitte um zwei Kandidaten verschiedenen Geschlechts derart schamlos ignorieren”.
Die Regeln des Parlaments verlangten es, das Geschlechtergleichgewicht für das gesamte Kollegium als Kriterium zu beachten, sagt er. Das Parlament werde die Eignung der Vorschläge daher sehr genau prüfen: “Schwache männliche Kandidaten werden vor diesem Hintergrund eine schwere Zeit im Parlament haben und dürfen keine Gnade erwarten.”
Frau Hmaidi, China ist das einzige Land, das spezifische Exportkontrollen für Technologie eingeführt hat. Wie setzt es diese Kontrollen um?
Tatsächlich handelt es sich um das einzige Land, das wir finden konnten, das nicht nur Dual-Use-Güter kontrolliert, sondern explizit eine Liste von kontrollierten Technologien führt. Beijing hat dazu seine vorhandenen Instrumente, wie das Investment Screening, stark erweitert. Es hat dadurch einen viel detaillierteren Überblick über die Technologieflüsse als Europas Regierungen.
Warum kann das zum Problem werden?
Diese Maßnahmen sind besonders relevant für uns, wenn es um chinesische Investitionen etwa in Elektroautofabriken geht. Die chinesische Regierung entscheidet sehr genau, welche ihrer Unternehmen wo in Europa Fabriken für welche Produkte bauen.
Das ist ja eine erhebliche Asymmetrie. Die Europäer haben jahrzehntelang in China investiert und ihre Technologien herausgerückt, ohne dass der Staat wusste, was läuft.
In der Tat fehlt in den meisten Fällen in Europa eine detaillierte Erfassung und Kontrolle von Technologietransfers. Zwar gibt es internationale Abkommen wie das Wassenaar-Abkommen für Dual-Use-Technologien, aber für viele Produkte fehlen umfassende Daten, wann sie in welcher Menge übertragen wurden. Selbst innerhalb Europas sind die Zusammenarbeit und der Informationsaustausch zwischen Ländern wie Deutschland und Frankreich noch lückenhaft.
Zuletzt war in Deutschland der Gedanke aufgekommen, man könne in der EU eine Solarindustrie gemeinsam mit China ansiedeln. Doch Ihren Forschungsergebnissen zufolge läge das gar nicht in Chinas Interesse.
Schon seit Ende 2022 diskutierte die chinesische Regierung über die Aufnahme von Solartechnologien in ihre Kontrollliste. Letztlich wurde diese Technologie jedoch nicht aufgenommen, da die chinesischen Solarhersteller Bedenken geäußert haben. Sie befürchteten, dass Exportbeschränkungen zu Marktanteilsverlusten in Südostasien führen könnten und dass europäische Länder versuchen, ihre Lieferketten unabhängig von China zu gestalten.
Wo könnte China künftig Druck auf die EU ausüben?
Industrierohstoffe wie Gallium und Germanium sind bereits von chinesischen Ausfuhrkontrollen betroffen. Es geht aber auch um Dinge wie die Lizenz für Nutzung der Technologie für die Herstellung von Magneten für Windturbinen. Oder Algorithmen, etwa den von TikTok. Das alles fällt unter Chinas Technologie-Exportkontrollen. Zusätzlich sind auch Drohnen und Materialien für kugelsichere Westen von Exportkontrollen betroffen, von denen viele von deutschen Mittelständlern hergestellt werden.
Welches Szenario entwerfen Sie für den Konfliktfall?
China könnte bestimmte Materialien einfach nicht mehr liefern. Zudem könnten chinesische Unternehmen keine Produktionsstätten für Technologien wie Windturbinen in Deutschland mehr ansiedeln.
Was sollte Europa jetzt tun, angesichts Chinas Nutzung von Technologie in Handelskonflikten?
Der erste Schritt ist das Sammeln von Informationen über Chinas Fortschritte in verschiedenen Technologien und auch zu Europas eigenen Aktivitäten und Fähigkeiten. Wichtig ist, dies auf europäischer Ebene zu tun, um ein umfassendes Bild zu erhalten. Zudem benötigen wir in den Ministerien mehr Technologie- und Industrieexperten, da derzeit oft nur Juristen oder langjährige Bürokraten tätig sind. Es muss eine neue Kompetenz im Bereich Technologien aufgebaut werden.
Besonderen Ärger erregt in Brüssel derzeit das chinesische Vorgehen, militärisch relevante Waren mit Russland zu teilen, ohne offiziell Waffen oder auch nur Dual-Use-Güter an den befreundeten Nachbarn zu liefern. Wie klappt dieser Spagat?
China weiß genau, welche Kontrollen es offiziell durchführen kann, ohne die eigenen Unternehmen zu behindern oder Russland zu schaden, und dabei zugleich international gut aussieht. Oft ist die Umsetzung dieser Kontrollen so gestaltet, dass sie chinesische Unternehmen nicht betreffen. Wenn Europa ein Unternehmen sanktioniert, tritt zudem oft einfach das Nächste in Erscheinung. Dieses kann dann wieder so lange Geschäfte machen, bis es seinerseits von der EU sanktioniert wird. Darüber hinaus waren beispielsweise chinesische Exportkontrollen für Drohnen so konzipiert, dass kommerzielle chinesische Drohnen nicht betroffen waren. Die haben aber bedeutsame Anwendungen auf dem Schlachtfeld.
Wie reagiert Europa auf diese Herausforderungen?
Europa war bisher zu passiv und hat versucht, mit China zu diskutieren, anstatt konsequent Sanktionen zu verhängen, die es europäischen Firmen verbieten würde, mit chinesischen Firmen auf der Sanktionsliste zu handeln.
Liegt das Kernproblem darin, dass mit China ein Systemrivale so viel wichtige Technologie auf so hohem Niveau herstellt?
Das Problem ist weniger die Qualität der Technologie, sondern dass die chinesische Produktion günstiger ist. Lange Zeit galt das Credo, dass günstiger besser ist, ohne zu erkennen, wie strategisch China diese Marktmacht aufgebaut hat. Chinas Regierung und Unternehmen sind bereit, kurzfristige finanzielle Nachteile in Kauf zu nehmen, um langfristig Abhängigkeiten aufzubauen und die Handelsketten um China herum in seinem Sinne neu zu gestalten.
Lohnt es sich daher, um krisenfester zu werden, Waren zu höheren Preisen in Europa herzustellen?
Es ist wichtig, strategisch zu analysieren, welche Produkte wir vorrätig halten müssen, auch wenn das höhere Kosten verursacht. In manchen Fällen können Zölle sinnvoll sein, um zu verhindern, dass chinesische Produkte die Preise unterbieten. Allerdings wäre es kontraproduktiv, wenn Europa, die USA, Japan und Südkorea alle die gleichen Produkte teurer als in China herstellen und dadurch Überkapazitäten erzeugen. Stattdessen sollten westliche Länder ihre Produktion koordinieren und bestehende Vorteile nutzen, wie Europas Position in der Produktion von Leistungshalbleitern.
Sind Subventionen ein geeignetes Mittel, um mehr technologische Sicherheit zu erreichen?
Es gibt auch die Möglichkeit, Industrien zeitweise zu subventionieren, um sie langfristig wettbewerbsfähig zu machen, wie China es bei Elektroautos vorgemacht hat. Es ist aber nicht realistisch, alle Industrien zu subventionieren. Daher muss entschieden werden, welche Industrien so wichtig sind, dass Subventionen sich lohnen. Das könnte zum Beispiel die Chip-Industrie sein, deren Produkte für viele andere Branchen essenziell sind, oder 5G, wo Deutschland und Europa aus Gründen der technologischen Sicherheit eigene Anbieter benötigen. Wir subventionieren ja auch jetzt schon die Landwirtschaft, weil Nahrung essenziell ist.
Wer soll in Europa die Entscheidungen treffen, welche Wirtschaftszweige so wichtig sind, dass sie Förderung verdienen?
Nur die Politik kann diese Prioritäten setzen und bestimmen, wie viel das kosten darf.
Antonia Hmaidi ist Senior Analyst bei der Berliner Denkfabrik Merics, dem Mercator Institute for China Studies. Anlass für das Interview ist ein neuer Report, den Hmaidi zusammen mit Rebecca Arcesati und François Chimits verfasst hat: Keeping value chains at home – How China controls foreign access to technology and what it means for Europe.
Nach der Gründung einer eigenen Rechtsaußen-Fraktion im Europaparlament plant die AfD auch die Gründung einer europäischen Partei. Für den Schritt wurde ein Vorläuferverein mit dem Namen “Europa der souveränen Nationen – ESN e.V.” gegründet, dem unter anderem die Parteichefs Tino Chrupalla und Alice Weidel angehören. Mit dem Antrag vom Freitag, der Table.Briefings vorliegt, bitten Weidel und Chrupalla den Parteikonvent um Anerkennung des Vereins und Gründung der Partei. Der Konvent wird am 28. September in einer Sondersitzung tagen.
Die Parteiführung hatte nach Informationen von Table.Briefings zunächst einen anderen Weg zur Gründung vorgesehen. Der Chrupalla-Vertraute Frank Pasemann soll sich im Vorfeld mit Vertretern der anderen Mitgliedsparteien getroffen haben. Diese haben dem Vernehmen nach Druck auf die AfD ausgeübt, damit die Partei möglichst schnell entsteht – sie wollen über die Parteienfinanzierung an damit verbundene Gelder kommen.
Eine Gründung ohne Zustimmung von Parteitag oder Konvent war im Gespräch. Kritiker könnten nämlich monieren, dass mit der Gründung der neuen Partei der Anschein einer “Selbstbedienungsmentalität” entstehen könnte, den die AfD in Brüssel sonst selbst kritisiert. Auch soll diskutiert worden sein, ob die Bulgaren die Partei gründen und dann an die AfD überschreiben, damit es schneller zur Gründung kommt. Relevante Kreise der AfD haben diesen Schritt aber abgelehnt. Nun geht die AfD den offiziellen Weg. fk, dpa
Der Gründer des Messengerdienstes Telegram, Pawel Durow, ist in Frankreich festgenommen worden. Der in Frankreich gesuchte Russe wurde am Samstag nach seiner Ankunft aus Aserbaidschan am Flughafen Le Bourget in Polizeigewahrsam genommen, wie französische Medien berichteten.
Demnach wurde Durow in Frankreich gesucht, weil die Behörden Vorermittlungen gegen ihn eingeleitet hätten. Er wird verdächtigt, sich durch fehlendes Eingreifen bei Telegram und unzureichende Kooperation mit den Ordnungskräften des Drogenhandels, Betrugs und Vergehen im Zusammenhang mit Kindesmissbrauch mitschuldig gemacht zu haben. Am Sonntagabend sollte ein Ermittlungsverfahren gegen den 39-Jährigen eingeleitet werden.
Die Telegram-Macher waren wegen unzureichender Moderation der Inhalte auch in Deutschland scharf kritisiert worden. Der Messengerdienst fällt bislang nicht unter die strengen Regeln des Digital Services Act für sehr große Online-Plattformen, weil er nach eigenen Angaben knapp unterhalb der Schwelle von 45 Millionen aktiven Nutzern pro Monat in Europa bleibt. Allerdings laufen die Gespräche zwischen dem Unternehmen und der Kommission noch.
Durow hatte Telegram mit seinem Bruder Nikolai gegründet, nachdem beide bereits das Netzwerk Vk.com ins Leben gerufen hatten, eine Art russischsprachiges Facebook. Telegram ist in Russland eines der wichtigsten Online-Netzwerke, das auch von vielen Behörden und Politikern zur Kommunikation genutzt wird. Im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine wird der Dienst von beiden Seiten für Mitteilungen genutzt.
Durows Verhältnis zur russischen Obrigkeit gilt als schwierig. Der Verkauf von Vk.com erfolgte unter Druck. Zuvor hatte er sich geweigert, Daten der Teilnehmer der Protestbewegung in der Ukraine gegen den damaligen Präsidenten Viktor Janukowitsch an den russischen Geheimdienst weiterzugeben. Er selbst floh kurz darauf aus Russland.
Die Durow-Brüder versprechen, die Daten der Nutzerinnen und Nutzer von Telegram zu schützen. Mit den russischen Behörden legte sich der exzentrische Internet-Milliardär deshalb schon vor Jahren an. dpa/tho
Nach den Sondierungsgesprächen mit Präsident Emmanuel Macron am Freitag hat sich das linke Lager zuversichtlich gezeigt. “Wir gehen mit guten Nachrichten aus diesem Treffen”, sagte Grünen-Chefin Marine Tondelier. Der Vorsitzende der Sozialisten, Olivier Faure, sagte, Macron habe anerkannt, dass Stabilität nicht gleichbedeutend mit der Weiterführung seiner Politik sei. Dies sei ein wichtiges Signal.
Macron will gut sechs Wochen nach der Parlamentswahl mit einer Reihe von Gesprächen den Weg für eine neue Regierung bereiten. Er hatte wiederholt betont, dass er eine große und stabile Mehrheit wolle. Die Konservativen machten am Freitag im Anschluss an ihr Gespräch mit dem Präsidenten aber klar, nicht Teil einer Regierungskoalition sein zu wollen und gegen jegliche Regierung unter Beteiligung der linksradikalen LFI mit einem Misstrauensvotum zu stimmen.
Am Montag will Macron noch mit den Rechtsnationalen um Marine Le Pen sowie den Vorsitzenden der beiden Parlamentskammern sprechen. Sozialisten-Chef Faure sagte, Macron habe zugesagt, nach Abschluss der Gespräche schnell einen neuen Premier ernennen zu wollen. Tondelier forderte: “Wir brauchen am Dienstag eine Antwort.”
Bei der Parlamentswahl vor gut sechs Wochen landete das Linksbündnis auf Platz eins, vor Macrons Mitte-Kräften und dem rechten Rassemblement National. Eine absolute Mehrheit erhielt aber keines der Lager. Seit der Wahl herrscht im Land politischer Stillstand. Macron nahm zwar den Rücktritt seines Premiers Gabriel Attal an, ernannte aber keinen neuen Regierungschef. dpa/tho
Die Ukraine ist nicht nur Kriegsschauplatz und Frontstaat gegenüber einem imperialen Russland, sondern eines der rohstoffreichsten Länder Europas. Das bekannte, aber bis dato wenig erkundete Rohstoffpotenzial des Landes umfasst zahlreiche mineralische und metallische Rohstoffe, die die EU als kritisch und strategisch eingestuft hat.
Würde es gelingen, die ukrainischen Metallerzvorkommen zu erschließen, könnten damit vier strategische Ziele erreicht werden, die im gemeinsamen Interesse der Ukraine und der EU liegen. Erstens: Durch die Einnahmen aus der Rohstoffförderung kann die prekäre Finanzlage der Ukraine verbessert und ein nachhaltiger Beitrag zum Wiederaufbau des Landes geleistet werden.
Zweitens: eine ganze Reihe an Metallrohstoffen bilden die Grundlage für moderne Waffensysteme, die die ukrainische Armee erfolgreich im Kampf gegen Russland einsetzt und die mittlerweile unentbehrlich geworden sind, etwa Drohnen, Munition, Panzerlegierungen. Durch den Aufbau einer ukrainischen Rüstungsindustrie, die die eigenen Rohstoffe nutzt, könnte das Land befähigt werden, einen Teil der benötigten Rüstungsgüter künftig selbst zu produzieren.
Drittens: Die Ukraine ist ein geeigneter Partner, um die hohen Importabhängigkeiten der EU, insbesondere von China, zu verringern. Und viertens: Mit der verstärkten Zusammenarbeit im Rohstoffsektor kann die stufenweise Integration der Ukraine in den europäischen Binnenmarkt beschleunigt werden.
Schon zu Sowjetzeiten war die Ukraine Kernregion für die Rohstoff- und Schwerindustrie. Eisenerz und Steinkohle waren lange Zeit die wichtigsten Bodenschätze. Doch das Land hat viel mehr zu bieten: Bei den aus EU-Sicht strategischen Rohstoffen hat das Land bedeutende Vorkommen, vor allem an diversen Titanverbindungen, Mangan, Magnesiummetall und Naturgraphit. Titan und Mangan sind im Fahrzeugbau und in der Luft- und Raumfahrttechnik essenziell.
Ferner werden die für die grüne Energiewende unentbehrlichen Rohstoffe Lithium, Seltene Erden, Kobalt, Chrom und weitere Industrierohstoffe exploriert. Die bekannten Rohstoffvorkommen liegen sowohl in der vergleichsweise sicheren Westukraine als auch im besetzten und umkämpften Osten. Weitere Explorationen sind notwendig, um das ganze Rohstoffpotenzial genauer zu kartieren und zu bewerten.
Damit die Ukraine möglichst umfassend und nachhaltig von ihren Bodenschätzen profitiert und diese nicht unter russische Kontrolle fallen, ist es erfolgskritisch, dass die EU-Mitgliedsstaaten und europäische Unternehmen noch in Kriegszeiten Investitionen poolen und Lieferketten aufbauen. Dies kann nur gelingen, wenn sich Politik und Wirtschaft gemeinsam auf ein langfristiges Engagement einstellen. Da die EU bereits im Jahr 2021 ein Memorandum of Understanding für eine strategische Rohstoffpartnerschaft mit der Ukraine unterzeichnet hat, kann an bestehende politische Vereinbarungen und Ziele (EU Critical Raw Materials Act) angeknüpft werden.
Die praktischen Kooperationsfelder umfassen etwa eine verstärkte Zusammenarbeit der geologischen Dienste der Mitgliedsstaaten mit dem Ukrainian Geological Survey. Die Schlüsselfelder sind die potenzielle Weiterverarbeitung der ukrainischen Rohstoffe zu Zwischen- und Endprodukten in Schmelz- und Hüttenbetrieben, ergo von der Raffinade zum Rüstungsgut. Hierfür ist die politische und finanzielle Flankierung durch europäische Mittelgeber notwendig, entweder durch deutsche Hermes-Deckungen, unternehmensbasierte Direktinvestitionen (wie jüngst durch Rheinmetall) oder durch die Einstufung aussichtsreicher Rohstoffprojekte als IPCEI (Important Projects of Common European Interest).
Trotz der enormen Risiken und Probleme im Land (Raketenbeschuss, Stromversorgung, Korruption) ist es in strategischer Hinsicht geboten, nicht erst bis nach dem Krieg zu warten, sondern substanzielle Unterstützungsmaßnahmen schon jetzt einzuleiten. Denn die potenzielle Rohstoffförderung und der Aufbau der Ukraine als europäische Rüstungsschmiede gehen Hand in Hand. Diese Verbundziele können eine positive Entwicklungswirkung für die kriegsgebeutelte Ukraine wie auch die rohstoffabhängige EU entfalten.
Die Autoren sind Mitglieder im Arbeitskreis Junge Außenpolitik der Konrad-Adenauer-Stiftung. Jakob Kullik ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Internationale Politik der Technischen Universität Chemnitz. Juliana Süß ist Research Fellow für Space Security am Royal United Services Institute (RUSI). Yilmaz Akkoyun ist Referent im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ).