in Straßburg stimmt das Europaparlament heute über die neue Kommissionspräsidentin ab, in Milwaukee küren die Republikaner bei ihrer Convention den Kandidaten für die US-Präsidentschaftswahlen. Spätestens seit Donald Trump Senator J.D. Vance zu seinem Running Mate gekürt hat, ist klar: Eine zweite Amtszeit Trumps würde ungemütlich für die Europäer, in der Sicherheits- ebenso wie in der Handelspolitik.
Trumps Antipathie gegenüber der Europäischen Union hat offenkundig nicht nachgelassen, er sieht US-Unternehmen immer noch übervorteilt. Er will nicht nur Exporteure aus China mit hohen Zöllen von 60 bis 100 Prozent überziehen, sondern auch europäische Firmen mit einem Einheitssatz von zehn Prozent. Ginge es nach J.D. Vance, dürften diese sogar noch höher ausfallen.
Vance verfolge eine “klassisch merkantilistische Handelspolitik”, warnt Bernd Lange, der alte und wohl auch neue Vorsitzende des Handelsausschusses im Europaparlament. Ihn interessiere allein der Schutz der heimischen Industrie. Was in Washington noch an Respekt vor dem internationalen Handelsrecht übrig sei, werde dann rein innenpolitischem Kalkül weichen.
Doch Lange ist überzeugt, dass sich die Europäer davon nicht einschüchtern lassen und eigene Gegenmaßnahmen vorbereiten würden: “Es besteht weitgehend Einigkeit, dass die EU robust auf rechtswidrige neue Zölle und Einfuhrquoten eines US-Präsidenten Trump reagieren sollte”, sagte er Table.Briefings. Neben eigenen Zöllen verfüge die EU auch über wirksame Werkzeuge wie das Anti-Coercion-Instrument oder die Verordnung zu ausländischen Subventionen, sagt der SPD-Politiker. Und sie sei “auch willens, sie einzusetzen”.
Die Ursula-von-der-Leyen-Koalition steht. Die Chefs der Fraktionen von EVP, Sozialdemokraten und Liberalen sind sich über die politischen Inhalte, die personalpolitischen Aspekte sowie den Zuschnitt und die Aufwertung von Ausschüssen einig. Die inhaltlichen Forderungen der drei Fraktionen sollen sich in den Leitlinien wiederfinden, die Ursula von der Leyen an diesem Donnerstagmorgen den Fraktionschefs übermittelt. Die Verhandlungen, die seit der Europawahl geführt wurden, gelten damit als abgeschlossen. Es steigt die Wahrscheinlichkeit, dass von der Leyen heute als Kommissionspräsidentin wiedergewählt wird. Eine gemeinsame Erklärung der Fraktionschefs der Plattform ist nach jetzigem Stand nicht geplant.
Eigentlich wollten die Fraktionschefs von EVP, S&D und Renew am gestrigen Mittwoch bei der Konferenz der Präsidenten (COP) Änderungen bei den Ausschüssen beschließen. Doch die Entscheidung wurde auf die nächste reguläre COP im September verschoben. Um die Kompetenzen der Ausschüsse festzulegen, müsse klar sein, welche Kompetenzen der Verteidigungskommissar haben soll, der in der “Von-der-Leyen-II-Kommission” neu geschaffen werden soll. Erst dann könne man festlegen, auf wie viele Mitglieder der Verteidigungsausschuss aufgestockt werde. Vorgesehen ist:
In der Konferenz der Präsidenten haben die Fraktionschefs der rechten Fraktionen einschließlich der EKR massive Kritik am Cordon sanitaire geübt, also am Ausschluss der rechtsradikalen Fraktion “Patrioten für Europa” von der Vergabe wichtiger Posten. Es sei nicht hinzunehmen, demokratisch gewählte Abgeordnete von der Gesetzgebung auszuschließen.
Die drei Fraktionen der Plattform, EVP, S&D und Renew, hatten von der Leyen bereits in den vergangenen fünf Jahren getragen. Der erneute Schulterschluss beseitigt einen entscheidenden Unsicherheitsfaktor für die Wiederwahl der CDU-Politikerin. Bereits am Dienstag hatte sich bei der Wahl von Parlamentspräsidentin Roberta Metsola und den 14 Vizepräsidenten des Parlaments gezeigt, dass Christdemokraten, Sozialdemokraten, Liberale und auch Grüne weitgehend an einem Strang ziehen. Noch ist unklar, ob die informelle Koalition in einem Schriftstück ihre Vereinbarung festhalten will.
Die Grünen sind nicht offiziell Teil der informellen Koalition, dürften aber gleichwohl in großer Mehrzahl für von der Leyen stimmen. Eine engere Zusammenarbeit hatte EVP-Chef Manfred Weber abgelehnt, auch auf Druck von Teilen seiner Fraktion, die der Ökopartei kritisch gegenüberstehen und lieber mit Kräften aus der nationalkonservativen EKR-Fraktion kooperieren würden.
Von der Leyen und ihre Mitarbeiter haben in den vergangenen Wochen aber Gespräche mit den Grünen-Fraktionschefs Terry Reintke und Bas Eickhout geführt. In der Fraktion ist man zuversichtlich, dass von der Leyen die grünen Prioritäten Klimaschutz und Rechtsstaatlichkeit in ihrem Programm berücksichtigen wird.
Die Kandidatin wird ihre politischen Leitlinien für die zweite Amtszeit am Donnerstagmorgen um 8 Uhr an die Fraktionen übermitteln. Von der Leyen muss darin ein fein austariertes Gleichgewicht finden, in dem sich die Prioritäten der sie tragenden Fraktionen gemäß deren jeweiliger Stärke wiederfinden. Das Dokument wurde im engsten Kreis ihrer Mitarbeiter erarbeitet und soll eine Art Koalitionsvereinbarung darstellen. Die Sozialdemokraten hatten ursprünglich darauf gedrängt, zwischen den Fraktionen ein einigermaßen verbindliches Dokument auszuhandeln, konnten sich damit aber nicht gegen die EVP durchsetzen.
Die meisten Abgeordneten betonen, sie wollten erst nach der Lektüre der Leitlinien und der Rede von der Leyens im Plenum ab 9 Uhr über ihr Abstimmungsverhalten entscheiden. Die Grünen etwa werden unmittelbar nach der Rede in der Fraktion diskutieren und sich darauf verständigen, ob sie zustimmen wollen oder nicht. In der Gruppe wird davon ausgegangen, dass die meisten der 53 Abgeordneten für von der Leyen stimmen werden. Es heißt, rund sechs Abgeordnete hätten noch Vorbehalte. Die geheime Abstimmung ist für 13 Uhr angesetzt. Mit dem Ergebnis wird gegen 14:30 Uhr gerechnet.
Auch aus der liberalen Renew-Fraktion heißt es, eine große Mehrheit der 77 Abgeordneten werde sie unterstützen. Allerdings wohl nicht die fünf FDP-Parlamentarier: Strack-Zimmermann hatte von der Leyen im Wahlkampf scharf für ihre Politik kritisiert und sie vergangene Woche per Brief aufgefordert, zentrale Forderungen wie eine Abkehr vom Verbrenner-Aus und eine Absage an neue Gemeinschaftsschulden aufzugreifen.
Dazu dürfte die Kommissionspräsidentin aber kaum bereit sein, zumal diese Forderungen auch in der Renew-Fraktion nicht mehrheitsfähig sind. Ohne deutliches Entgegenkommen aber werde man von der Leyen nicht unterstützen, heißt es bei den deutschen Liberalen. Sie spekulieren dabei wohl darauf, dass die Kommissionspräsidentin auch ohne sie eine deutliche Mehrheit jenseits der nötigen 361 Stimmen haben wird.
In der Sitzung der EVP-Fraktion am Mittwoch sei nach Schilderungen von Teilnehmern zwar viel Unmut geäußert worden: Die Christdemokraten hätten als Sieger der Europawahlen mehr Posten im Parlament erhalten sollen, so die Kritik. Dennoch dürfte die große Mehrheit für von der Leyen stimmen, heißt es in der Fraktion.
Auch aus der EKR-Fraktion dürfte die CDU-Politikerin Stimmen erhalten. Je drei Abgeordnete der tschechischen ODS und der flämischen NVA werden wohl für sie stimmen. Noch unklar ist, wie sich die 24 Parlamentarier der Fratelli d’Italia von Giorgia Meloni verhalten.
Die Fraktionschefs haben weitere Beschlüsse zur Verteilung der Ausschussvorsitze an die Fraktionen gefasst. Zusätzlich zu den bisher bekannten Ausschüssen soll der Vorsitz im Haushaltskontrollausschuss (CONT) sowie im Verfassungsausschuss (AFCO) an die EVP-Fraktion gehen.
Der Vorsitz der Konferenz der Ausschussvorsitzenden (CCC) geht traditionell an EVP oder S&D, wobei diejenige Fraktion zum Zuge kommt, die nicht den Parlamentspräsidenten stellt. In der S&D-Fraktion hat die Europa-SPD den Anspruch erhoben, dass Bernd Lange wieder Chef der CCC wird. Die italienische Delegation, die zahlenmäßig am stärksten ist, hat ebenfalls den Anspruch erhoben.
Die EU-Kommission hält SMS unter Verschluss, in denen sich von der Leyen und der Pfizer-Chef Albert Bourla über Impfstofflieferungen ausgetauscht haben. Sie haben der Kommission deswegen schlechte Verwaltungspraxis vorgeworfen. Wie gravierend ist das?
Anfangs hat die EU-Kommission ja nicht einmal akzeptiert, dass SMS Dokumente sind. Ich bin keine Juristin, aber ich kann lesen. In der Verordnung steht, dass die Nachricht und nicht das Medium zählt. Deshalb sind wir zu dem Ergebnis gekommen, dass es sich um schlechte Verwaltungspraxis handeln. Im weiteren Verlauf hat die Kommission gemauert. Es gut, dass der Europäische Gerichtshof zu diesem Thema Klarheit schaffen wird. Wir wissen nicht wann, aber wahrscheinlich noch in diesem Jahr.
Vor zehn Jahren haben Sie angekündigt, Sie wollten den EU-Institutionen helfen, transparenter zu werden. Wie sieht Ihre Bilanz heute aus?
Wir haben in vielen Bereichen Verbesserungen erzielt. Gleichzeitig hat sich die EU in dieser Zeit verändert. Die Kommission hat gegenüber dem Rat an Macht hinzugewonnen, und sie ist in neuen Bereichen tätig. In der Corona-Krise hat sie die gemeinsame Impfstoff-Beschaffung gemanagt. Sie hat die Aufbau- und Resilienz-Fazilität aufgebaut und beschäftigt sich verstärkt mit Verteidigung. Sie sieht sich als geopolitischer Akteur. Die Herausforderung besteht nun darin, dass wir bei den Rechenschaftspflichten Schritt halten.
Was genau ist das Problem?
Die Kommission beruft sich immer häufiger auf Ausnahmen, die bei internationalen Beziehungen gelten, wenn sie Dokumente nicht herausgibt. Da herrscht eine gewisse Diskrepanz. Die Kommission galoppiert davon, und die Rechenschaftspflichten versuchen mitzuhalten.
Betreibt die Kommission nach Ihrer Erfahrung gezielt Geheimniskrämerei?
Zugegebenermaßen mussten viele Entscheidungen während der Krise sehr schnell fallen. Wenn sich die Kommission jetzt als Powerplayer sieht und über strategische Autonomie spricht, dann ist das schon ein gewisser Anlass zur Sorge, wie sie den Zugang zu Dokumenten handhabt. Die Kommission kann nicht den EU-Mitgliedstaaten zur Rechtsstaatlichkeit Lektionen erteilen und sich dann selbst nicht an die Regeln halten. Die Kommission beurteilt ja durchaus kritisch, wie manche Mitgliedstaaten den Zugang zu Dokumenten handhaben. Wenn sie ihre eigene Praxis beurteilen würde, dann würden die Noten wohl auch nicht so gut ausfallen.
Sie haben die Kommission kürzlich dafür gerügt, dass sie bei einem Anschlussjob von einem Beamten nach der Pensionierung nicht ausreichend auf Interessenkonflikte geachtet hat. Wie groß ist das Problem?
Manchmal sehen wir, dass Dinge, die auf den ersten Blick unbedeutend wirken, zu einem großen Problem werden. Zu Beginn des russischen Angriffskriegs hatten wir einen Energieengpass, weil Russland gezielt frühere Politiker eingekauft hatte. Jeder einzelne Fall war möglicherweise nicht so bedeutend, aber in der Summe haben diese Fälle einen enormen Schaden ausgelöst.
Interessanterweise betont die Kommission, sie stelle sicher, dass keine Interessenskonflikte auftreten können, wenn sie pensionierten Beamten einen Job im Privatsektor genehmigt. Gleichzeitig zeigen die Unternehmen ganz offen ihre Begeisterung, wenn sie frühere Beamte anheuern. Sie listen in Pressemitteilungen sogar noch genau auf, an welchen Fällen etwa jemand in der Generaldirektion für Wettbewerb gearbeitet haben. Das passt nicht zusammen.
Erwarten Sie im Herbst viel Arbeit, wenn eine neue Kommission antritt und viele in Brüssel einen neuen Job suchen?
Wahrscheinlich schon! Wir haben uns in der Vergangenheit deutlich geäußert, als der Chef der Europäischen Verteidigungsagentur zu Airbus gewechselt ist und der Chef der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde zur größten Finanzlobby-Gruppe ging. In beiden Fällen haben wir darauf hingewiesen, dass sie genau den einen Job angenommen haben, den sie nicht hätten annehmen sollen. Wir haben das Bewusstsein für die Probleme geschärft und werden das weiterhin tun. Es wird interessant sein, wie das Europäische Parlament seine neuen Regeln anwendet. Dafür sind wir allerdings nicht zuständig.
Hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen das Problem des Drehtüreffekts verstanden?
Das kann ich nicht beurteilen. Die Entscheidungen fallen an anderer Stelle in der EU-Kommission. Wir hören oft, dass Beamte ein Recht haben zu arbeiten. Und Kollegen sind meist großzügig zu Kollegen. Es spricht einiges dafür, die Entscheidung über Anschlussjobs an ein externes Ethikgremium zu verlagern.
Nähern solche Anschlussposten nicht auch das Narrativ vom Selbstbedienungsladen Brüssel? Wie wichtig ist es angesichts des Zulaufs rechter Parteien, mehr Transparenz herzustellen?
Die rechten Parteien schalten ihre Liebe für Transparenz nach Belieben an und aus. Aber wir haben in der Vergangenheit natürlich immer wieder gesehen, wie solche Fälle ausgeschlachtet wurden. Der Brite Nigel Farage hat im Europaparlament den damaligen EU-Präsidenten Jean-Claude Juncker gebeten, dass er seinem Vorgänger José Barroso Glückwünsche für seinen Posten bei Goldman Sachs ausrichtet. Solche Geschichten sind problematisch, und die Kommission sollte das verstehen.
19.07.2024 – 15:00-16:00 Uhr, online
FNF, Diskussion US-Wahlen – Was erwartet die arabische Welt?
Die Friedrich-Naumann-Stiftung (FNF) diskutiert den Blick der arabischen Welt auf die US-Wahl und erläutert die Relevanz des Wahlausgangs für die Menschen vor Ort. INFOS & ANMELDUNG
19.07.2024 – 18:00-20:00 Uhr, Ilmenau
KAS, Vortrag Die USA vor den Wahlen
Die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) informiert über die aktuelle politische und gesellschaftliche Lage in den USA. INFOS & ANMELDUNG
19.07.2024 – 23:30 Uhr, online
RLS, Diskussion Demokratie in Gefahr im globalen Norden
Die Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) beschäftigt sich mit den jüngsten Wahlkämpfen in den USA und Europa. Vorläufige Tagesordnung
22.07.2024 – 19:15-20:45 Uhr, online
AI, Diskussion Road to Election 2024
Das Aspen Institute (AI) befasst sich mit den ökonomischen Ansätzen der beiden US-Präsidentschaftskandidaten. INFOS & REGISTRATION
Die EU-Kommission von Ursula von der Leyen hat nach einem Urteil des EU-Gerichts mit der Geheimhaltung von Informationen zu milliardenschweren Corona-Impfstoffverträgen gegen EU-Recht verstoßen. Besonders mit Blick auf mögliche Interessenkonflikte und Entschädigungsregeln für Impfstoff-Hersteller habe die Brüsseler Behörde nicht ausreichend Zugang zu Dokumenten gewährt, entschieden die Richter in Luxemburg. Das Urteil kann vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) angefochten werden.
Während der Pandemie hatte die EU-Kommission in den Jahren 2020 und 2021 im Namen der Mitgliedstaaten mit Pharmaunternehmen Verträge über Hunderte Millionen Dosen Impfstoff verhandelt und abgeschlossen. Das Vorgehen stand immer wieder in der Kritik, weil die Verträge nur teilweise öffentlich gemacht wurden und weil es Verzögerungen bei der Lieferung des Impfstoffs gab. Unter anderem die Europäische Staatsanwaltschaft ermittelt in dem Zusammenhang.
2021 beantragten EU-Abgeordnete und Privatpersonen, Zugang zu den Verträgen zu bekommen. Die EU-Kommission unter Leitung von der Leyens gewährte diesen aber nur teilweise. Daher klagten die Parlamentarier und Privatpersonen und bekamen nun teilweise Recht. Das Urteil kommt einen Tag vor der Abstimmung im Europäischen Parlament über eine zweite Amtszeit von Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin.
Das Gericht beanstandete, dass die EU-Kommission nicht ausreichend begründet habe, warum ein weitgehender Zugang zu den Klauseln über Entschädigungsregeln die geschäftlichen Interessen der Unternehmen beeinträchtigen würde. Die EU-Kommission habe zudem mit Verweis auf den Schutz der Privatsphäre von Personen den Zugang zu den Dokumenten verweigert. Die Kläger hätten allerdings den besonderen Zweck des öffentlichen Interesses an der Veröffentlichung der Daten ordnungsgemäß nachgewiesen: Es lasse sich nämlich nur dann überprüfen, dass kein Interessenkonflikt bestehe, wenn die Namen und beruflichen Rollen der an den Verträgen beteiligten Personen vorliegen.
Die Klage und das Urteil seien in die Zukunft gerichtet, sagte die Europaabgeordnete Jutta Paulus (Grüne). Es gehe darum, sicherzustellen, dass die Kommission ihren Transparenzpflichten gerecht wird. Die Behörde habe zwar durchaus ein Recht auf Geheimhaltung, müsse dies aber genau begründen. Dies sei bei den Impfstoff-Beschaffungsverträgen nicht geschehen. Die Kläger – darunter Paulus – wollen nun genau beobachten, wie die Kommission das Urteil umsetzt. Es sei kein Grund, die Abstimmung über von der Leyen abzusetzen, sagt Paulus – aber auch kein Vorwand, nichts zu tun. “Im Zweifel gehen wir noch mal vor den Europäischen Gerichtshof.”
Die EU-Kommission wies nach dem Urteil darauf hin, dass sie in weiten Teilen Recht bekommen habe. Die Kritik des Gerichts beziehe sich insbesondere auf Geheimhaltungsinteressen der Pharmaindustrie, die die Kommission nicht ignorieren könne, ohne Schäden als Verhandlungspartner befürchten zu müssen. dpa/ebo
Die EVP-Fraktion hat ihre Koordinatoren in den Ausschüssen des Europaparlaments ernannt. Bis Mittwochabend konnten sich Bewerber melden. Abgeordnete von CDU und CSU besetzen auch in der neuen Legislaturperiode wieder viele der begehrten Ämter. Das sind die Namen:
Zudem haben die Fraktionen inzwischen Listen aufgestellt, welche ihrer Abgeordneten in welchen Ausschuss gehen sollen. Final sind die Listen von EVP, S&D und Co aber noch nicht. sas/tho
Die chinesische App Tiktok bleibt weiter Gatekeeper im Sinne des Digital Markets Act (DMA). In erster Instanz hat das Europäische Gericht die Klage der Tiktok-Muttergesellschaft Bytedance gegen die Einstufung abgewiesen. Das Unternehmen zeigte sich enttäuscht über diese Entscheidung. “Tiktok ist eine Plattform, die wichtigen Wettbewerb mit etablierten Anbietern fördert”, sagte eine Sprecherin. Tiktok werde nun seine “nächsten Schritte abwägen”. Die Plattform kann gegen das Urteil Berufung beim EuGH einlegen.
Die Kommission hatte Tiktok im September 2023 als Gatekeeper (Torwächter) nach dem DMA benannt. Im November 2023 erhob Bytedance eine Nichtigkeitsklage gegen diesen Beschluss und reichte auch einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz ein. Den lehnte das Gericht ab, ebenso wie jetzt die Klage.
Der europäische Verbraucherverband BEUC begrüßte das Urteil. Ebenso Andreas Schwab (CDU), Berichterstatter für den DMA. Schwab sagte, Bytedance “muss sich jetzt an unsere europäischen Vorschriften halten, die den Schutz der Nutzer und einen fairen Wettbewerb sowie einen gleichberechtigten Zugang zu den Diensten gewährleisten sollen.”
Das Gericht nannte mehrere Gründe für die Abweisung:
Das Gericht entdeckte allerdings auch Fehler, die die Kommission bei der Benennung gemacht habe. Diese hätten letztendlich aber keinen Einfluss auf die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Beschlusses gehabt. So stellte das Gericht fest,
Sollte Tiktok auf eine Berufung verzichten, hat das Urteil mehrere Implikationen für Tiktok: Es unterliegt weiterhin den strengen Auflagen und Kontrollen als Gatekeeper. Zudem muss Tiktok möglicherweise seine Geschäftsstrategie anpassen, um den Anforderungen des DMA gerecht zu werden und Sanktionen zu vermeiden. vis
Serbien soll maßgeblicher Lieferant des Batterie-Rohstoffs Lithium für die europäische Autoindustrie werden und damit die Abhängigkeit von China verringern. Bundeskanzler Olaf Scholz reist dazu am Freitag nach Belgrad, teilte die Bundesregierung am Mittwoch mit. Dort soll eine Absichtserklärung für ein Rohstoffabkommen mit der EU unterzeichnet werden. Auch der Vizepräsident der EU-Kommission, Maroš Šefčovič, wird teilnehmen.
Zudem geht es nach Angaben aus Regierungskreisen um eine Absichtserklärung zwischen der serbischen Regierung und den Firmen Rio Tinto, Mercedes-Benz, Stellantis sowie der KfW, EBRD, ElevenEs, EIT InnoEnergy und InoBat.
Seit Jahren sucht die europäische Industrie Lieferanten für Lithium in aller Welt und steht dabei in hartem Wettbewerb mit China, das auf dem Gebiet der E-Autos führend ist. Chinesische Firmen haben sich in vielen Ländern die Lithiumminen und die Weiterverarbeitung gesichert. Chinas Präsident Xi Jinping hatte auf seiner Europareise auch Station in Serbien gemacht.
“Der Abschluss eines Rohstoff-Abkommens zwischen der EU und Serbien wäre sehr wichtig für die Diversifizierung der deutschen und europäischen Industrie”, sagte Matthias Wachter, BDI-Abteilungsleiter für Rohstoffe und Internationale Zusammenarbeit. Die Lithium-Vorkommen in Serbien seien erheblich. Rio Tinto schätze, dass sie 58.000 Tonnen pro Jahr fördern könnten. “Dies entspricht etwa 17 Prozent des europäischen Bedarfs“, sagte Wachter. Es wäre auch ein wichtiger Schritt für die Heranführung Serbiens an die EU.
Möglich wird das Abkommen, weil die serbische Regierung dem Bergbaukonzern Rio Tinto eine 2022 entzogene Lizenz für das größte Lithium-Bergwerk Europas wieder gewährt. Um den geplanten Lithiumabbau gab es in Serbien lange Streit, weil Umweltschützer Rio Tinto massive mögliche Umweltschäden vorwarfen. rtr
Wie sollen Maßnahmen gegen den Klimawandel und für die Klimaanpassung finanziert werden? Geht es nach der EU-Kommission und den EU-Finanzministern, zu einem Großteil über private Investitionen. Doch das sei unrealistisch, argumentiert ein neuer Bericht der Finanz-NGO Finance Watch.
Privatinvestoren suchten nach einer attraktiven Kombination von Sicherheit und Rendite, und dies sei bei vielen Klimainvestitionen schlicht nicht gegeben, sagt der Studienautor und Finanzmarktexperte Thierry Philipponnat. Die Sustainable-Finance-Regulierungen seien zwar hilfreich, aber sie könnten die Notwendigkeit zur Profitabilität nicht ersetzen. Und eine Mehrheit der benötigten Investitionen seien angesichts ihres Risikoprofils schlicht nicht profitabel genug.
Philipponnat schreibt, dass eine stark integrierter Kapitalmarkt durchaus helfen könnte, Privatinvestitionen für Klimamaßnahmen zu mobilisieren. Dafür müsse die Marktaufsicht zentralisiert werden und Steuer-, Insolvenz-, und Unternehmensrecht harmonisiert werden – alles Dinge, bei denen aktuell nur sehr wenig Fortschritt zu beobachten ist. “Im besten Fall könnten die durch die Kapitalmarktunion gestärkten EU-Kapitalmärkte etwa ein Drittel der benötigten Mittel bereitstellen“, steht im Bericht. Dies seien zwischen 300 und 600 Milliarden Euro der 800 bis 1600 Milliarden Euro, die jedes Jahr für Projekte zur Eindämmung des Klimawandels und zur Anpassung an denselben benötigt werden.
Der Rest – also 500 Milliarden bis 1 Billion Euro – müsse durch öffentliche Mittel bereitgestellt werden. Gleichzeitig kritisiert Finance Watch die ineffiziente Art, wie der Staat aktuell Subventionen verteilt: Im aktuellen System “fehlen die Anreize und die Disziplin einer Marktwirtschaft, aber auch die Kontrolle und Lenkung einer staatlich gelenkten Wirtschaft”.
Die vier Möglichkeiten, wie das benötigte öffentliche Geld mobilisiert werden könnte, bewertet Philipponnat folgendermaßen:
Speziell die monetäre Finanzierung ist kontrovers, weil viele Ökonomen davon ausgehen, dass sie zu Hyperinflation führen kann. Philipponnat hält die darunter liegende Geldmengentheorie für von der Realität der vergangenen dreißig Jahre widerlegt. Um die bestmögliche Lösung für die Investitionslücke zu finden, sei eine offene Diskussion ohne ideologische Scheuklappen notwendig. Hierfür fordert er die EU-Kommission dazu auf, genau zu beziffern, wieviele Investitionen von privater Seite erwartet werden könnten und wieviel folglich von öffentlicher Seite zu bewältigen wäre. jaa
Dass Wolfgang Bücherl heute vollends von der europäischen Idee überzeugt ist, hat zu einem großen Teil damit zu tun, dass er mit dieser Vision aufgewachsen ist. Weniger als 15 Kilometer ist sein Geburtsort in der bayerischen Oberpfalz von der tschechischen Grenze entfernt. Im ehemaligen Zonenrandgebiet erlebte er als Jugendlicher zuerst die Abschottung mit, die mit der Ost-West-Teilung einherging.
“Für uns junge Leute war bis 1989 die Grenze das Ende der Welt”, sagt Bücherl. Ein Austausch mit den Menschen auf der anderen Seite habe nicht stattgefunden. Umso befreiender war der Wandel, den die Jahre 1989 und 1990 mit sich brachten. “Ich habe damals viel Aufbruch erlebt – und ich wollte unbedingt Teil davon sein.”
Zur Kommission kam er erstmals als Praktikant nach dem Studium der Politikwissenschaften in München. 2003 startete er dann fest bei der Brüsseler Behörde, unter anderem als Leiter des Redenschreiberteams für die Kommissare Vladimír Špidla und Vivianne Reding sowie als Koordinator der Beziehungen zum Rat. Ab 2011 setzte er seine Arbeit im Bereich der Gesundheit und Lebensmittelsicherheit fort.
Seit März ist Bücherl Leiter der Regionalvertretung der EU-Kommission in München und zuständig für Bayern und Baden-Württemberg. Für diese Aufgabe brauche es “Fingerspitzengefühl für die regionalen Spezifitäten”, sagt er. Diese bestünden etwa darin, dass Baden-Württemberg in regelmäßigem und regem Austausch zur Schweiz als Nicht-EU-Land steht, während Bayern sich verstärkt auch Richtung Osteuropa ausrichte.
Bevor Bücherl zur Regionalvertretung kam, war diese Position seit 2020 nicht fest besetzt. Das Büro wurde erst aus Berlin und dann kommissarisch vertreten. “Es wird von allen Seiten begrüßt, dass es nun wieder einen festen Leiter der Regionalvertretung für Baden-Württemberg und Bayern gibt”, sagt Bücherl. Er habe in den vergangenen Wochen ein großes Interesse der Menschen an Europa festgestellt, auch wenn häufig ein erster Impuls als Eisbrecher erfolgen müsse. “Danach sprudeln die Fragen und auch die Kritik oftmals aus den Menschen heraus.”
Thematisch stünden dabei vor allem die Demokratie und die Bürokratie der EU im Fokus. In den heutigen Zeiten sorgten sich viele Menschen zudem um die Verteidigung und Sicherheit Europas. Vor dem Hintergrund der Einflussnahme von Russland und China beobachtet Bücherl bei den Menschen, mit denen er spricht, “eine große Offenheit für eine aktive Rolle der Europäischen Union” und eine stärkere Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten.
Regional spielten die Grenzkontrollen eine große Rolle, die seit dem vergangenen Jahr an Übergängen zur Schweiz sowie nach Österreich und Tschechien Alltag sind. Besonders bei Pendlern und Einzelhändlern in Grenzregionen stoße das Thema oft auf Kritik. Auch Bücherl hat in dieser Frage Gesprächsbedarf. “Wir als Kommission sehen solche Maßnahmen der Mitgliedstaaten primär mit einem kritischen Auge, weil wir natürlich möchten, dass die Grundfreiheiten der Europäischen Union nicht dauerhaft beeinträchtigt werden und Grenzkontrollen das letzte Mittel sind.”
Die neue Kommission solle sich nach der Europawahl in der Frage positionieren und dementsprechend den Dialog mit den Mitgliedstaaten suchen. Bücherl sieht im neuen EU-Migrationspaket eine Chance, die Notwendigkeit der innereuropäischen Grenzkontrollen zu verringern. Jasper Bennink
in Straßburg stimmt das Europaparlament heute über die neue Kommissionspräsidentin ab, in Milwaukee küren die Republikaner bei ihrer Convention den Kandidaten für die US-Präsidentschaftswahlen. Spätestens seit Donald Trump Senator J.D. Vance zu seinem Running Mate gekürt hat, ist klar: Eine zweite Amtszeit Trumps würde ungemütlich für die Europäer, in der Sicherheits- ebenso wie in der Handelspolitik.
Trumps Antipathie gegenüber der Europäischen Union hat offenkundig nicht nachgelassen, er sieht US-Unternehmen immer noch übervorteilt. Er will nicht nur Exporteure aus China mit hohen Zöllen von 60 bis 100 Prozent überziehen, sondern auch europäische Firmen mit einem Einheitssatz von zehn Prozent. Ginge es nach J.D. Vance, dürften diese sogar noch höher ausfallen.
Vance verfolge eine “klassisch merkantilistische Handelspolitik”, warnt Bernd Lange, der alte und wohl auch neue Vorsitzende des Handelsausschusses im Europaparlament. Ihn interessiere allein der Schutz der heimischen Industrie. Was in Washington noch an Respekt vor dem internationalen Handelsrecht übrig sei, werde dann rein innenpolitischem Kalkül weichen.
Doch Lange ist überzeugt, dass sich die Europäer davon nicht einschüchtern lassen und eigene Gegenmaßnahmen vorbereiten würden: “Es besteht weitgehend Einigkeit, dass die EU robust auf rechtswidrige neue Zölle und Einfuhrquoten eines US-Präsidenten Trump reagieren sollte”, sagte er Table.Briefings. Neben eigenen Zöllen verfüge die EU auch über wirksame Werkzeuge wie das Anti-Coercion-Instrument oder die Verordnung zu ausländischen Subventionen, sagt der SPD-Politiker. Und sie sei “auch willens, sie einzusetzen”.
Die Ursula-von-der-Leyen-Koalition steht. Die Chefs der Fraktionen von EVP, Sozialdemokraten und Liberalen sind sich über die politischen Inhalte, die personalpolitischen Aspekte sowie den Zuschnitt und die Aufwertung von Ausschüssen einig. Die inhaltlichen Forderungen der drei Fraktionen sollen sich in den Leitlinien wiederfinden, die Ursula von der Leyen an diesem Donnerstagmorgen den Fraktionschefs übermittelt. Die Verhandlungen, die seit der Europawahl geführt wurden, gelten damit als abgeschlossen. Es steigt die Wahrscheinlichkeit, dass von der Leyen heute als Kommissionspräsidentin wiedergewählt wird. Eine gemeinsame Erklärung der Fraktionschefs der Plattform ist nach jetzigem Stand nicht geplant.
Eigentlich wollten die Fraktionschefs von EVP, S&D und Renew am gestrigen Mittwoch bei der Konferenz der Präsidenten (COP) Änderungen bei den Ausschüssen beschließen. Doch die Entscheidung wurde auf die nächste reguläre COP im September verschoben. Um die Kompetenzen der Ausschüsse festzulegen, müsse klar sein, welche Kompetenzen der Verteidigungskommissar haben soll, der in der “Von-der-Leyen-II-Kommission” neu geschaffen werden soll. Erst dann könne man festlegen, auf wie viele Mitglieder der Verteidigungsausschuss aufgestockt werde. Vorgesehen ist:
In der Konferenz der Präsidenten haben die Fraktionschefs der rechten Fraktionen einschließlich der EKR massive Kritik am Cordon sanitaire geübt, also am Ausschluss der rechtsradikalen Fraktion “Patrioten für Europa” von der Vergabe wichtiger Posten. Es sei nicht hinzunehmen, demokratisch gewählte Abgeordnete von der Gesetzgebung auszuschließen.
Die drei Fraktionen der Plattform, EVP, S&D und Renew, hatten von der Leyen bereits in den vergangenen fünf Jahren getragen. Der erneute Schulterschluss beseitigt einen entscheidenden Unsicherheitsfaktor für die Wiederwahl der CDU-Politikerin. Bereits am Dienstag hatte sich bei der Wahl von Parlamentspräsidentin Roberta Metsola und den 14 Vizepräsidenten des Parlaments gezeigt, dass Christdemokraten, Sozialdemokraten, Liberale und auch Grüne weitgehend an einem Strang ziehen. Noch ist unklar, ob die informelle Koalition in einem Schriftstück ihre Vereinbarung festhalten will.
Die Grünen sind nicht offiziell Teil der informellen Koalition, dürften aber gleichwohl in großer Mehrzahl für von der Leyen stimmen. Eine engere Zusammenarbeit hatte EVP-Chef Manfred Weber abgelehnt, auch auf Druck von Teilen seiner Fraktion, die der Ökopartei kritisch gegenüberstehen und lieber mit Kräften aus der nationalkonservativen EKR-Fraktion kooperieren würden.
Von der Leyen und ihre Mitarbeiter haben in den vergangenen Wochen aber Gespräche mit den Grünen-Fraktionschefs Terry Reintke und Bas Eickhout geführt. In der Fraktion ist man zuversichtlich, dass von der Leyen die grünen Prioritäten Klimaschutz und Rechtsstaatlichkeit in ihrem Programm berücksichtigen wird.
Die Kandidatin wird ihre politischen Leitlinien für die zweite Amtszeit am Donnerstagmorgen um 8 Uhr an die Fraktionen übermitteln. Von der Leyen muss darin ein fein austariertes Gleichgewicht finden, in dem sich die Prioritäten der sie tragenden Fraktionen gemäß deren jeweiliger Stärke wiederfinden. Das Dokument wurde im engsten Kreis ihrer Mitarbeiter erarbeitet und soll eine Art Koalitionsvereinbarung darstellen. Die Sozialdemokraten hatten ursprünglich darauf gedrängt, zwischen den Fraktionen ein einigermaßen verbindliches Dokument auszuhandeln, konnten sich damit aber nicht gegen die EVP durchsetzen.
Die meisten Abgeordneten betonen, sie wollten erst nach der Lektüre der Leitlinien und der Rede von der Leyens im Plenum ab 9 Uhr über ihr Abstimmungsverhalten entscheiden. Die Grünen etwa werden unmittelbar nach der Rede in der Fraktion diskutieren und sich darauf verständigen, ob sie zustimmen wollen oder nicht. In der Gruppe wird davon ausgegangen, dass die meisten der 53 Abgeordneten für von der Leyen stimmen werden. Es heißt, rund sechs Abgeordnete hätten noch Vorbehalte. Die geheime Abstimmung ist für 13 Uhr angesetzt. Mit dem Ergebnis wird gegen 14:30 Uhr gerechnet.
Auch aus der liberalen Renew-Fraktion heißt es, eine große Mehrheit der 77 Abgeordneten werde sie unterstützen. Allerdings wohl nicht die fünf FDP-Parlamentarier: Strack-Zimmermann hatte von der Leyen im Wahlkampf scharf für ihre Politik kritisiert und sie vergangene Woche per Brief aufgefordert, zentrale Forderungen wie eine Abkehr vom Verbrenner-Aus und eine Absage an neue Gemeinschaftsschulden aufzugreifen.
Dazu dürfte die Kommissionspräsidentin aber kaum bereit sein, zumal diese Forderungen auch in der Renew-Fraktion nicht mehrheitsfähig sind. Ohne deutliches Entgegenkommen aber werde man von der Leyen nicht unterstützen, heißt es bei den deutschen Liberalen. Sie spekulieren dabei wohl darauf, dass die Kommissionspräsidentin auch ohne sie eine deutliche Mehrheit jenseits der nötigen 361 Stimmen haben wird.
In der Sitzung der EVP-Fraktion am Mittwoch sei nach Schilderungen von Teilnehmern zwar viel Unmut geäußert worden: Die Christdemokraten hätten als Sieger der Europawahlen mehr Posten im Parlament erhalten sollen, so die Kritik. Dennoch dürfte die große Mehrheit für von der Leyen stimmen, heißt es in der Fraktion.
Auch aus der EKR-Fraktion dürfte die CDU-Politikerin Stimmen erhalten. Je drei Abgeordnete der tschechischen ODS und der flämischen NVA werden wohl für sie stimmen. Noch unklar ist, wie sich die 24 Parlamentarier der Fratelli d’Italia von Giorgia Meloni verhalten.
Die Fraktionschefs haben weitere Beschlüsse zur Verteilung der Ausschussvorsitze an die Fraktionen gefasst. Zusätzlich zu den bisher bekannten Ausschüssen soll der Vorsitz im Haushaltskontrollausschuss (CONT) sowie im Verfassungsausschuss (AFCO) an die EVP-Fraktion gehen.
Der Vorsitz der Konferenz der Ausschussvorsitzenden (CCC) geht traditionell an EVP oder S&D, wobei diejenige Fraktion zum Zuge kommt, die nicht den Parlamentspräsidenten stellt. In der S&D-Fraktion hat die Europa-SPD den Anspruch erhoben, dass Bernd Lange wieder Chef der CCC wird. Die italienische Delegation, die zahlenmäßig am stärksten ist, hat ebenfalls den Anspruch erhoben.
Die EU-Kommission hält SMS unter Verschluss, in denen sich von der Leyen und der Pfizer-Chef Albert Bourla über Impfstofflieferungen ausgetauscht haben. Sie haben der Kommission deswegen schlechte Verwaltungspraxis vorgeworfen. Wie gravierend ist das?
Anfangs hat die EU-Kommission ja nicht einmal akzeptiert, dass SMS Dokumente sind. Ich bin keine Juristin, aber ich kann lesen. In der Verordnung steht, dass die Nachricht und nicht das Medium zählt. Deshalb sind wir zu dem Ergebnis gekommen, dass es sich um schlechte Verwaltungspraxis handeln. Im weiteren Verlauf hat die Kommission gemauert. Es gut, dass der Europäische Gerichtshof zu diesem Thema Klarheit schaffen wird. Wir wissen nicht wann, aber wahrscheinlich noch in diesem Jahr.
Vor zehn Jahren haben Sie angekündigt, Sie wollten den EU-Institutionen helfen, transparenter zu werden. Wie sieht Ihre Bilanz heute aus?
Wir haben in vielen Bereichen Verbesserungen erzielt. Gleichzeitig hat sich die EU in dieser Zeit verändert. Die Kommission hat gegenüber dem Rat an Macht hinzugewonnen, und sie ist in neuen Bereichen tätig. In der Corona-Krise hat sie die gemeinsame Impfstoff-Beschaffung gemanagt. Sie hat die Aufbau- und Resilienz-Fazilität aufgebaut und beschäftigt sich verstärkt mit Verteidigung. Sie sieht sich als geopolitischer Akteur. Die Herausforderung besteht nun darin, dass wir bei den Rechenschaftspflichten Schritt halten.
Was genau ist das Problem?
Die Kommission beruft sich immer häufiger auf Ausnahmen, die bei internationalen Beziehungen gelten, wenn sie Dokumente nicht herausgibt. Da herrscht eine gewisse Diskrepanz. Die Kommission galoppiert davon, und die Rechenschaftspflichten versuchen mitzuhalten.
Betreibt die Kommission nach Ihrer Erfahrung gezielt Geheimniskrämerei?
Zugegebenermaßen mussten viele Entscheidungen während der Krise sehr schnell fallen. Wenn sich die Kommission jetzt als Powerplayer sieht und über strategische Autonomie spricht, dann ist das schon ein gewisser Anlass zur Sorge, wie sie den Zugang zu Dokumenten handhabt. Die Kommission kann nicht den EU-Mitgliedstaaten zur Rechtsstaatlichkeit Lektionen erteilen und sich dann selbst nicht an die Regeln halten. Die Kommission beurteilt ja durchaus kritisch, wie manche Mitgliedstaaten den Zugang zu Dokumenten handhaben. Wenn sie ihre eigene Praxis beurteilen würde, dann würden die Noten wohl auch nicht so gut ausfallen.
Sie haben die Kommission kürzlich dafür gerügt, dass sie bei einem Anschlussjob von einem Beamten nach der Pensionierung nicht ausreichend auf Interessenkonflikte geachtet hat. Wie groß ist das Problem?
Manchmal sehen wir, dass Dinge, die auf den ersten Blick unbedeutend wirken, zu einem großen Problem werden. Zu Beginn des russischen Angriffskriegs hatten wir einen Energieengpass, weil Russland gezielt frühere Politiker eingekauft hatte. Jeder einzelne Fall war möglicherweise nicht so bedeutend, aber in der Summe haben diese Fälle einen enormen Schaden ausgelöst.
Interessanterweise betont die Kommission, sie stelle sicher, dass keine Interessenskonflikte auftreten können, wenn sie pensionierten Beamten einen Job im Privatsektor genehmigt. Gleichzeitig zeigen die Unternehmen ganz offen ihre Begeisterung, wenn sie frühere Beamte anheuern. Sie listen in Pressemitteilungen sogar noch genau auf, an welchen Fällen etwa jemand in der Generaldirektion für Wettbewerb gearbeitet haben. Das passt nicht zusammen.
Erwarten Sie im Herbst viel Arbeit, wenn eine neue Kommission antritt und viele in Brüssel einen neuen Job suchen?
Wahrscheinlich schon! Wir haben uns in der Vergangenheit deutlich geäußert, als der Chef der Europäischen Verteidigungsagentur zu Airbus gewechselt ist und der Chef der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde zur größten Finanzlobby-Gruppe ging. In beiden Fällen haben wir darauf hingewiesen, dass sie genau den einen Job angenommen haben, den sie nicht hätten annehmen sollen. Wir haben das Bewusstsein für die Probleme geschärft und werden das weiterhin tun. Es wird interessant sein, wie das Europäische Parlament seine neuen Regeln anwendet. Dafür sind wir allerdings nicht zuständig.
Hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen das Problem des Drehtüreffekts verstanden?
Das kann ich nicht beurteilen. Die Entscheidungen fallen an anderer Stelle in der EU-Kommission. Wir hören oft, dass Beamte ein Recht haben zu arbeiten. Und Kollegen sind meist großzügig zu Kollegen. Es spricht einiges dafür, die Entscheidung über Anschlussjobs an ein externes Ethikgremium zu verlagern.
Nähern solche Anschlussposten nicht auch das Narrativ vom Selbstbedienungsladen Brüssel? Wie wichtig ist es angesichts des Zulaufs rechter Parteien, mehr Transparenz herzustellen?
Die rechten Parteien schalten ihre Liebe für Transparenz nach Belieben an und aus. Aber wir haben in der Vergangenheit natürlich immer wieder gesehen, wie solche Fälle ausgeschlachtet wurden. Der Brite Nigel Farage hat im Europaparlament den damaligen EU-Präsidenten Jean-Claude Juncker gebeten, dass er seinem Vorgänger José Barroso Glückwünsche für seinen Posten bei Goldman Sachs ausrichtet. Solche Geschichten sind problematisch, und die Kommission sollte das verstehen.
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Die EU-Kommission von Ursula von der Leyen hat nach einem Urteil des EU-Gerichts mit der Geheimhaltung von Informationen zu milliardenschweren Corona-Impfstoffverträgen gegen EU-Recht verstoßen. Besonders mit Blick auf mögliche Interessenkonflikte und Entschädigungsregeln für Impfstoff-Hersteller habe die Brüsseler Behörde nicht ausreichend Zugang zu Dokumenten gewährt, entschieden die Richter in Luxemburg. Das Urteil kann vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) angefochten werden.
Während der Pandemie hatte die EU-Kommission in den Jahren 2020 und 2021 im Namen der Mitgliedstaaten mit Pharmaunternehmen Verträge über Hunderte Millionen Dosen Impfstoff verhandelt und abgeschlossen. Das Vorgehen stand immer wieder in der Kritik, weil die Verträge nur teilweise öffentlich gemacht wurden und weil es Verzögerungen bei der Lieferung des Impfstoffs gab. Unter anderem die Europäische Staatsanwaltschaft ermittelt in dem Zusammenhang.
2021 beantragten EU-Abgeordnete und Privatpersonen, Zugang zu den Verträgen zu bekommen. Die EU-Kommission unter Leitung von der Leyens gewährte diesen aber nur teilweise. Daher klagten die Parlamentarier und Privatpersonen und bekamen nun teilweise Recht. Das Urteil kommt einen Tag vor der Abstimmung im Europäischen Parlament über eine zweite Amtszeit von Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin.
Das Gericht beanstandete, dass die EU-Kommission nicht ausreichend begründet habe, warum ein weitgehender Zugang zu den Klauseln über Entschädigungsregeln die geschäftlichen Interessen der Unternehmen beeinträchtigen würde. Die EU-Kommission habe zudem mit Verweis auf den Schutz der Privatsphäre von Personen den Zugang zu den Dokumenten verweigert. Die Kläger hätten allerdings den besonderen Zweck des öffentlichen Interesses an der Veröffentlichung der Daten ordnungsgemäß nachgewiesen: Es lasse sich nämlich nur dann überprüfen, dass kein Interessenkonflikt bestehe, wenn die Namen und beruflichen Rollen der an den Verträgen beteiligten Personen vorliegen.
Die Klage und das Urteil seien in die Zukunft gerichtet, sagte die Europaabgeordnete Jutta Paulus (Grüne). Es gehe darum, sicherzustellen, dass die Kommission ihren Transparenzpflichten gerecht wird. Die Behörde habe zwar durchaus ein Recht auf Geheimhaltung, müsse dies aber genau begründen. Dies sei bei den Impfstoff-Beschaffungsverträgen nicht geschehen. Die Kläger – darunter Paulus – wollen nun genau beobachten, wie die Kommission das Urteil umsetzt. Es sei kein Grund, die Abstimmung über von der Leyen abzusetzen, sagt Paulus – aber auch kein Vorwand, nichts zu tun. “Im Zweifel gehen wir noch mal vor den Europäischen Gerichtshof.”
Die EU-Kommission wies nach dem Urteil darauf hin, dass sie in weiten Teilen Recht bekommen habe. Die Kritik des Gerichts beziehe sich insbesondere auf Geheimhaltungsinteressen der Pharmaindustrie, die die Kommission nicht ignorieren könne, ohne Schäden als Verhandlungspartner befürchten zu müssen. dpa/ebo
Die EVP-Fraktion hat ihre Koordinatoren in den Ausschüssen des Europaparlaments ernannt. Bis Mittwochabend konnten sich Bewerber melden. Abgeordnete von CDU und CSU besetzen auch in der neuen Legislaturperiode wieder viele der begehrten Ämter. Das sind die Namen:
Zudem haben die Fraktionen inzwischen Listen aufgestellt, welche ihrer Abgeordneten in welchen Ausschuss gehen sollen. Final sind die Listen von EVP, S&D und Co aber noch nicht. sas/tho
Die chinesische App Tiktok bleibt weiter Gatekeeper im Sinne des Digital Markets Act (DMA). In erster Instanz hat das Europäische Gericht die Klage der Tiktok-Muttergesellschaft Bytedance gegen die Einstufung abgewiesen. Das Unternehmen zeigte sich enttäuscht über diese Entscheidung. “Tiktok ist eine Plattform, die wichtigen Wettbewerb mit etablierten Anbietern fördert”, sagte eine Sprecherin. Tiktok werde nun seine “nächsten Schritte abwägen”. Die Plattform kann gegen das Urteil Berufung beim EuGH einlegen.
Die Kommission hatte Tiktok im September 2023 als Gatekeeper (Torwächter) nach dem DMA benannt. Im November 2023 erhob Bytedance eine Nichtigkeitsklage gegen diesen Beschluss und reichte auch einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz ein. Den lehnte das Gericht ab, ebenso wie jetzt die Klage.
Der europäische Verbraucherverband BEUC begrüßte das Urteil. Ebenso Andreas Schwab (CDU), Berichterstatter für den DMA. Schwab sagte, Bytedance “muss sich jetzt an unsere europäischen Vorschriften halten, die den Schutz der Nutzer und einen fairen Wettbewerb sowie einen gleichberechtigten Zugang zu den Diensten gewährleisten sollen.”
Das Gericht nannte mehrere Gründe für die Abweisung:
Das Gericht entdeckte allerdings auch Fehler, die die Kommission bei der Benennung gemacht habe. Diese hätten letztendlich aber keinen Einfluss auf die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Beschlusses gehabt. So stellte das Gericht fest,
Sollte Tiktok auf eine Berufung verzichten, hat das Urteil mehrere Implikationen für Tiktok: Es unterliegt weiterhin den strengen Auflagen und Kontrollen als Gatekeeper. Zudem muss Tiktok möglicherweise seine Geschäftsstrategie anpassen, um den Anforderungen des DMA gerecht zu werden und Sanktionen zu vermeiden. vis
Serbien soll maßgeblicher Lieferant des Batterie-Rohstoffs Lithium für die europäische Autoindustrie werden und damit die Abhängigkeit von China verringern. Bundeskanzler Olaf Scholz reist dazu am Freitag nach Belgrad, teilte die Bundesregierung am Mittwoch mit. Dort soll eine Absichtserklärung für ein Rohstoffabkommen mit der EU unterzeichnet werden. Auch der Vizepräsident der EU-Kommission, Maroš Šefčovič, wird teilnehmen.
Zudem geht es nach Angaben aus Regierungskreisen um eine Absichtserklärung zwischen der serbischen Regierung und den Firmen Rio Tinto, Mercedes-Benz, Stellantis sowie der KfW, EBRD, ElevenEs, EIT InnoEnergy und InoBat.
Seit Jahren sucht die europäische Industrie Lieferanten für Lithium in aller Welt und steht dabei in hartem Wettbewerb mit China, das auf dem Gebiet der E-Autos führend ist. Chinesische Firmen haben sich in vielen Ländern die Lithiumminen und die Weiterverarbeitung gesichert. Chinas Präsident Xi Jinping hatte auf seiner Europareise auch Station in Serbien gemacht.
“Der Abschluss eines Rohstoff-Abkommens zwischen der EU und Serbien wäre sehr wichtig für die Diversifizierung der deutschen und europäischen Industrie”, sagte Matthias Wachter, BDI-Abteilungsleiter für Rohstoffe und Internationale Zusammenarbeit. Die Lithium-Vorkommen in Serbien seien erheblich. Rio Tinto schätze, dass sie 58.000 Tonnen pro Jahr fördern könnten. “Dies entspricht etwa 17 Prozent des europäischen Bedarfs“, sagte Wachter. Es wäre auch ein wichtiger Schritt für die Heranführung Serbiens an die EU.
Möglich wird das Abkommen, weil die serbische Regierung dem Bergbaukonzern Rio Tinto eine 2022 entzogene Lizenz für das größte Lithium-Bergwerk Europas wieder gewährt. Um den geplanten Lithiumabbau gab es in Serbien lange Streit, weil Umweltschützer Rio Tinto massive mögliche Umweltschäden vorwarfen. rtr
Wie sollen Maßnahmen gegen den Klimawandel und für die Klimaanpassung finanziert werden? Geht es nach der EU-Kommission und den EU-Finanzministern, zu einem Großteil über private Investitionen. Doch das sei unrealistisch, argumentiert ein neuer Bericht der Finanz-NGO Finance Watch.
Privatinvestoren suchten nach einer attraktiven Kombination von Sicherheit und Rendite, und dies sei bei vielen Klimainvestitionen schlicht nicht gegeben, sagt der Studienautor und Finanzmarktexperte Thierry Philipponnat. Die Sustainable-Finance-Regulierungen seien zwar hilfreich, aber sie könnten die Notwendigkeit zur Profitabilität nicht ersetzen. Und eine Mehrheit der benötigten Investitionen seien angesichts ihres Risikoprofils schlicht nicht profitabel genug.
Philipponnat schreibt, dass eine stark integrierter Kapitalmarkt durchaus helfen könnte, Privatinvestitionen für Klimamaßnahmen zu mobilisieren. Dafür müsse die Marktaufsicht zentralisiert werden und Steuer-, Insolvenz-, und Unternehmensrecht harmonisiert werden – alles Dinge, bei denen aktuell nur sehr wenig Fortschritt zu beobachten ist. “Im besten Fall könnten die durch die Kapitalmarktunion gestärkten EU-Kapitalmärkte etwa ein Drittel der benötigten Mittel bereitstellen“, steht im Bericht. Dies seien zwischen 300 und 600 Milliarden Euro der 800 bis 1600 Milliarden Euro, die jedes Jahr für Projekte zur Eindämmung des Klimawandels und zur Anpassung an denselben benötigt werden.
Der Rest – also 500 Milliarden bis 1 Billion Euro – müsse durch öffentliche Mittel bereitgestellt werden. Gleichzeitig kritisiert Finance Watch die ineffiziente Art, wie der Staat aktuell Subventionen verteilt: Im aktuellen System “fehlen die Anreize und die Disziplin einer Marktwirtschaft, aber auch die Kontrolle und Lenkung einer staatlich gelenkten Wirtschaft”.
Die vier Möglichkeiten, wie das benötigte öffentliche Geld mobilisiert werden könnte, bewertet Philipponnat folgendermaßen:
Speziell die monetäre Finanzierung ist kontrovers, weil viele Ökonomen davon ausgehen, dass sie zu Hyperinflation führen kann. Philipponnat hält die darunter liegende Geldmengentheorie für von der Realität der vergangenen dreißig Jahre widerlegt. Um die bestmögliche Lösung für die Investitionslücke zu finden, sei eine offene Diskussion ohne ideologische Scheuklappen notwendig. Hierfür fordert er die EU-Kommission dazu auf, genau zu beziffern, wieviele Investitionen von privater Seite erwartet werden könnten und wieviel folglich von öffentlicher Seite zu bewältigen wäre. jaa
Dass Wolfgang Bücherl heute vollends von der europäischen Idee überzeugt ist, hat zu einem großen Teil damit zu tun, dass er mit dieser Vision aufgewachsen ist. Weniger als 15 Kilometer ist sein Geburtsort in der bayerischen Oberpfalz von der tschechischen Grenze entfernt. Im ehemaligen Zonenrandgebiet erlebte er als Jugendlicher zuerst die Abschottung mit, die mit der Ost-West-Teilung einherging.
“Für uns junge Leute war bis 1989 die Grenze das Ende der Welt”, sagt Bücherl. Ein Austausch mit den Menschen auf der anderen Seite habe nicht stattgefunden. Umso befreiender war der Wandel, den die Jahre 1989 und 1990 mit sich brachten. “Ich habe damals viel Aufbruch erlebt – und ich wollte unbedingt Teil davon sein.”
Zur Kommission kam er erstmals als Praktikant nach dem Studium der Politikwissenschaften in München. 2003 startete er dann fest bei der Brüsseler Behörde, unter anderem als Leiter des Redenschreiberteams für die Kommissare Vladimír Špidla und Vivianne Reding sowie als Koordinator der Beziehungen zum Rat. Ab 2011 setzte er seine Arbeit im Bereich der Gesundheit und Lebensmittelsicherheit fort.
Seit März ist Bücherl Leiter der Regionalvertretung der EU-Kommission in München und zuständig für Bayern und Baden-Württemberg. Für diese Aufgabe brauche es “Fingerspitzengefühl für die regionalen Spezifitäten”, sagt er. Diese bestünden etwa darin, dass Baden-Württemberg in regelmäßigem und regem Austausch zur Schweiz als Nicht-EU-Land steht, während Bayern sich verstärkt auch Richtung Osteuropa ausrichte.
Bevor Bücherl zur Regionalvertretung kam, war diese Position seit 2020 nicht fest besetzt. Das Büro wurde erst aus Berlin und dann kommissarisch vertreten. “Es wird von allen Seiten begrüßt, dass es nun wieder einen festen Leiter der Regionalvertretung für Baden-Württemberg und Bayern gibt”, sagt Bücherl. Er habe in den vergangenen Wochen ein großes Interesse der Menschen an Europa festgestellt, auch wenn häufig ein erster Impuls als Eisbrecher erfolgen müsse. “Danach sprudeln die Fragen und auch die Kritik oftmals aus den Menschen heraus.”
Thematisch stünden dabei vor allem die Demokratie und die Bürokratie der EU im Fokus. In den heutigen Zeiten sorgten sich viele Menschen zudem um die Verteidigung und Sicherheit Europas. Vor dem Hintergrund der Einflussnahme von Russland und China beobachtet Bücherl bei den Menschen, mit denen er spricht, “eine große Offenheit für eine aktive Rolle der Europäischen Union” und eine stärkere Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten.
Regional spielten die Grenzkontrollen eine große Rolle, die seit dem vergangenen Jahr an Übergängen zur Schweiz sowie nach Österreich und Tschechien Alltag sind. Besonders bei Pendlern und Einzelhändlern in Grenzregionen stoße das Thema oft auf Kritik. Auch Bücherl hat in dieser Frage Gesprächsbedarf. “Wir als Kommission sehen solche Maßnahmen der Mitgliedstaaten primär mit einem kritischen Auge, weil wir natürlich möchten, dass die Grundfreiheiten der Europäischen Union nicht dauerhaft beeinträchtigt werden und Grenzkontrollen das letzte Mittel sind.”
Die neue Kommission solle sich nach der Europawahl in der Frage positionieren und dementsprechend den Dialog mit den Mitgliedstaaten suchen. Bücherl sieht im neuen EU-Migrationspaket eine Chance, die Notwendigkeit der innereuropäischen Grenzkontrollen zu verringern. Jasper Bennink