ist es ein geeigneter Trick, um Viktor Orbáns Vetomacht auszuhebeln? Josep Borrell will heute beim Treffen der EU-Außenminister einen Vorschlag präsentieren, wie Ungarns Blockade der Europäischen Friedensfazilität umgangen werden könnte.
Der Trick geht so: Die Beiträge der Mitgliedstaaten in den gemeinsamen Topf wären nicht mehr obligatorisch, sondern würden formell für freiwillig erklärt. Ungarn müsste also nicht zahlen, könnte aber das gemeinsame Instrument zur Unterstützung der Ukraine auch nicht länger blockieren.
Das Instrument der Friedensfazilität soll den Mitgliedstaaten eigentlich helfen, militärische Hilfe für die Ukraine zu finanzieren. Seit über einem Jahr blockiert Orbán jedoch die Auszahlung von inzwischen 6,6 Milliarden Euro, ein Dauerärgernis. Eine Entscheidung ist heute nicht zu erwarten, aber die Außenminister könnten dem EU-Chefdiplomaten grünes Licht geben, seinen Vorschlag zu konkretisieren.
Allerdings ist der Trick nicht ohne Risiken. So müssten die Parlamente in den meisten Mitgliedstaaten dem freiwilligen Beitrag neu zustimmen, alles andere als sicher angesichts knapper Kassen und schwieriger Mehrheiten wie etwa in Frankreich. Und sind die Weichen hin zu freiwilligen Beiträgen gestellt, wird es schwierig, zu obligatorischen Zahlungen zurückzukehren.
Auf der Agenda stehen heute auch neue Sanktionen gegen Iran wegen Lieferungen von ballistischen Raketen an Russland, was das Regime in Teheran jedoch dementiert. Die Strafmaßnahmen sollen Unternehmen und Personen treffen, die an der Lieferung iranischer Rüstungsgüter beteiligt sind.
Neben der Lage in der Ukraine wird die Eskalation im Nahen Osten das Hauptthema sein. Israels Regierung muss nach dem Beschuss von Stellungen der Uno-Friedensmission im Libanon mit deutlicher Kritik rechnen. Donnerstag und Freitag übernehmen dann die Staats- und Regierungschefs am Gipfel in Brüssel, mit Migration, Ukraine und Nahost im Fokus.
Der Streit um das Heizungsgesetz hat in Deutschland gezeigt, was passieren kann, wenn Planungen für die Energiewende nicht aufeinander abgestimmt sind. Einen ersten Entwurf musste das Wirtschaftsministerium auch deshalb zurückziehen, weil es nicht ausreichend berücksichtigt hatte, wie der Ausstieg aus Gasheizungen mit dem Ausbau der Fernwärmenetze verknüpft ist.
Ähnliche Herausforderungen gibt es bei der Abstimmung zwischen den verschiedenen Netzen für Strom, Erdgas, Wasserstoff, Fernwärme und Kälte und künftig auch Kohlendioxid zur Produktion von E-Fuels. Schließlich soll von den teuren Infrastrukturen weder zu viel noch zu wenig und auch nichts an den falschen Stellen gebaut werden. Abhilfe schaffen soll nun ein neuer Vorschlag einer von der EU-Kommission eingesetzten Arbeitsgruppe mit Vertretern aus Wissenschaft und Energiewirtschaft.
Schon im kommenden Jahr sollen erste Schritte zu einer Koordinierten Energieinfrastrukturplanung (CEI) in der EU sichtbar werden. Ein europäisches Pilotmodell für eine gemeinsame Planung von Strom- und Gasnetzen soll erstmals neue Methoden zur integrierten Planung anwenden, heißt es in dem Bericht der Expertengruppe zum Strategieplan der EU für Energietechnologie (SET-Plan).
Erste Anläufe gab es bereits. Den Auftrag zu einer gemeinsamen Planung von Strom- und Gasnetzen einschließlich Speichern und LNG-Terminals hatte der europäische Gesetzgeber schon 2013 erteilt. Erst im April hatten die Verbände ENTSO-E und ENTSO-G den jüngsten Bericht zu dem Thema vorgelegt, um auch die Planung des künftigen Wasserstoffnetzes zu berücksichtigen.
In Deutschland hatte 2022 die Dena mit ihrer Netzstudie III Überlegungen für einen Systementwicklungsplan präsentiert. Im jüngsten Netzentwicklungsplan Strom (NEP) für ein Klimaneutralitätsnetz 2045 vom März wurde solch eine systemweite Planung aber noch nicht umfassend angewendet.
Ohnehin bezweifeln Praktiker in Deutschland, ob eine umfassende Planung für alle Netze bis zur Verteilung in jedem Wohnviertel wirklich machbar ist. Keine Studie könne eine abschließende und umfassende Betrachtung aller relevanten Zusammenhänge leisten, schrieben die Stromnetzbetreiber im Vorfeld des aktuellen NEP. Die Dena sieht einen Systementwicklungsplan eher als zusätzlichen Schritt, der den Planungen für die einzelnen Netze vorgeschaltet ist, um sich besser abzustimmen.
Koordinierung trägt auch der neue europäische Vorschlag im Namen. Abstimmungsbedarf sehen die Experten auch mit den Netzen für Telekommunikation, Verkehr und Wasser. So sei beispielsweise das Abwassernetz eine mögliche Wärmequelle für die Wärmeversorgung. Eine konkrete Verbesserung wären demnach gemeinsame Kosten-Nutzen-Analysen, die nicht nur die Auswirkungen eines einzelnen Ausbauvorhabens auf den eigenen Sektor untersuchen.
Gleichzeitig schlagen die Autoren aber auch ein Forschungsprogramm vor, um die Einzelheiten einer koordinierten Infrastrukturplanung auszubuchstabieren. Bis 2030 müsse die neue Methode dann im Einsatz sein, um noch eine Wirkung für Europas Klimaneutralität 2050 zu haben.
Die EU-Handelskammer in China hat in ihrem jüngsten Positionspapier von einem “Kipppunkt” für europäische Unternehmen gesprochen. Können Sie uns die aktuelle Situation bitte einmal beschreiben?
Viele europäische Unternehmen haben sich im Laufe der Jahre in China gut behauptet, trotz vieler Herausforderungen und Hürden, denen sie in Entwicklungs- und anderen Ländern gegenüberstehen. In jüngster Zeit können die Erträge und Kapitalrenditen hier aber einfach nicht mehr mit den zunehmenden Herausforderungen Schritt halten, vor denen die Unternehmen stehen.
Wir sehen mehrere große Herausforderungen. Erstens betrifft die Konjunkturabschwächung fast jeden. Die Rentabilitäts- und Umsatzaussichten sind auf einem Rekordtief. Zweitens ist das regulatorische Umfeld für unsere Mitglieder zwar auf dem Papier verbessert worden, aber der Marktzugang ist zunehmend schwieriger geworden. Drittens sind wir mit einem viel stärker politisierten Umfeld konfrontiert, das die allgemeine Geschäftsunsicherheit noch verstärkt. Die nationale Sicherheit ist hier in China zu einem echten Schwerpunkt der Wirtschaft geworden. Viele der Initiativen konzentrieren sich auf Eigenständigkeit, dual circulation und autonome Innovation.
Gibt es dennoch etwas Optimismus?
Wir sehen noch immer das Potenzial des Marktes. Aber die Risiken und die Unsicherheit haben gerade ein Niveau erreicht, bei dem sich einige Unternehmen auch auf anderen weltweiten Märkten umsehen und dort die gleiche oder sogar eine höhere Rendite erzielen können. Die Diversifizierung bringt den Unternehmen auch eine zusätzliche Sicherheitsebene, die einige von ihnen im zunehmend politisierten Geschäftsumfeld suchen. Wir glauben, dass das einige der Hauptgründe sind, die in den letzten Jahren zu einem Rückgang der ausländischen Direktinvestitionen in China geführt haben. Das ist eine echte, verpasste Chance. Denn der Markt hat noch immer erhebliches Potenzial. Er verfügt derzeit nur nicht über den unterstützenden Rahmen, um den Unternehmen das Vertrauen zu geben, diese Investitionen zu tätigen.
Die chinesische Regierung hat zuletzt ein großes Konjunkturprogramm angekündigt. Ändert das Ihre Betrachtung?
Ich persönlich glaube nicht, dass ein Konjunkturprogramm die Antwort ist. Ich denke, einige der regulatorischen Reformen, die wir fordern, wären ein viel billigerer und effizienterer Weg. Es gibt bereits ausreichend Liquidität auf dem Markt, aber die chinesischen Verbraucher geben auch nicht mehr so viel Geld aus wie früher. Es fehlt das Vertrauen, und das veranlasst die Verbraucher dazu, für schlechte Zeiten zu sparen, insbesondere wegen des Mangels an starken sozialen Sicherheitsnetzen. Auf der Angebotsseite müssen die Investoren eine positive Rendite ihrer Investitionen erzielen. Eine Senkung der Zinssätze reicht möglicherweise nicht aus. Viele Sektoren leiden unter Überkapazitäten: Kohle, Zement, Stahl, Kleidung, Elektrofahrzeuge, Textilien und Solarmodule. Wir blicken derzeit auf einen sehr anspruchsvollen Markt. Daher stellt sich für viele Unternehmen die Frage: Ist der Gewinn das Risiko noch wert?
Was sind derzeit die größten Hürden?
Die größte Herausforderung, vor allen anderen, ist die Wirtschaft. Die Menschen sind besorgt über ihre Entwicklung. Wir glauben, dass alle Anstrengungen unternommen werden müssen, all die verschiedenen Möglichkeiten anzugehen, damit die Marktkräfte in der Wirtschaft dominierender werden können. Zwei Bereiche, in denen wir im letzten Jahr am aktivsten waren, sind die Beschaffung und der grenzüberschreitende Datentransfer. Viele Unternehmen, die früher im Bereich Beschaffung sehr erfolgreich waren, haben einen Rückgang erlebt. Und trotz der Kommentare der Regierung über den gleichberechtigten Zugang zur Beschaffung entspricht das nicht der Realität. Das ist nicht die Botschaft, die ich von unseren Mitgliedern höre. Der andere Bereich ist der grenzüberschreitende Datentransfer. Beides waren Themen, die uns im letzten Jahr sehr zu schaffen gemacht haben. Die Beschränkungen für grenzüberschreitende Daten (cross-border data restrictions, CBDT) haben Unternehmen wirklich daran gehindert, innovativ zu sein.
Sehen Sie auch positive Entwicklungen?
Ja, wir haben eine Reihe von Verbesserungen gesehen. In diesem Sommer haben wir einige CBDT-Genehmigungen in vielen Sektoren erhalten, von Pharma über Medizinprodukte bis hin zu IT. Die Negativliste wurde reduziert und China hat einige verbleibende Joint-Venture-Anforderungen abgeschafft. China hat auch viele Ziele angekündigt: Es hat sich zum Ziel gesetzt, mehr ausländische Investitionen anzuziehen, neue hochwertige Produktionskräfte zu schaffen und sich weiter zu öffnen. Das Handelsministerium tut auf allen Ebenen viel, um diese Botschaft zu verbreiten und Unternehmen zu ermutigen, hier zu expandieren und zu investieren. Es ist jedoch nicht der alleinige Entscheidungsträger, wenn es um Investitionsgenehmigungen und die zusätzlichen regulatorischen Bedenken geht, mit denen unsere Mitglieder konfrontiert sind.
Die EU hat die Zölle auf chinesische Elektrofahrzeuge genehmigt. Befürchten die europäischen Unternehmen in China, Ziel von Vergeltungsmaßnahmen zu werden?
Ja, europäische Industrien in anderen Sektoren sind besorgt und haben Angst, dass sie ebenfalls Gegenstand von Untersuchungen sein könnten. Für einige ist das bereits Realität. Es ist genau die Art von mangelnder Vorhersehbarkeit, die Unternehmen wirklich von Investitionen abhält. Man denkt, dass dies nur ein Problem der Autoindustrie ist und nichts mit der eigenen Branche zu tun hat, und dann “zack” liest man einige Tage später in den Nachrichten, dass die eigene Branche möglicherweise Gegenstand von Untersuchungen ist.
Mein Rat ist, Ruhe zu bewahren. China hat so viel in die E-Fahrzeugindustrie investiert und eine Reihe echter technologischer Fortschritte erzielt. Chinas Kompetenz im Bereich E-Fahrzeuge ist langfristig ausgelegt. China muss also ebenfalls langfristig denken. Ich bin fest davon überzeugt, dass es im Interesse Pekings liegt, ein gewisses Maß an Marktstabilität zu gewährleisten. Darüber hinaus glaube ich, dass es China helfen kann, den Zugang zu diesen Märkten aufrechtzuerhalten, indem es Win-Win-Beziehungen mit seinen Partnern findet. Das ist eigentlich sehr ähnlich zu dem, was ausländische Unternehmen bisher in China erlebt haben.
Adam Dunnett ist der Generalsekretär der europäischen Handelskammer in China. Er war davor unter anderem Vorsitzender bei EBO Worldwide Network und hat bei APCO sowie der kanadischen Botschaft in Peking gearbeitet.
China hat die Europäische Union davor gewarnt, neben den Konsultationen über Ausgleichszölle auf chinesische Elektroauto-Importe zusätzliche Preisverhandlungen mit einzelnen Autobauern zu führen. Dies würde “die Grundlage der Verhandlungen und das gegenseitige Vertrauen erschüttern”, teilte das chinesische Handelsministerium in einer Stellungnahme mit.
Die chinesische Seite habe bei den Verhandlungen bisher “ein Höchstmaß an Aufrichtigkeit und Flexibilität bewiesen”, heißt es in der Stellungnahme weiter. Man fordere die EU auf, so bald wie möglich eine Delegation nach China zu entsenden, um die nächste Phase der Konsultationen fortzuführen.”Es gibt immer noch große Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden Seiten. Bislang haben die Konsultationen keine für beide Seiten akzeptable Lösung gefunden“, zitierten Staatsmedien einen Sprecher des Handelsministeriums.
Zuvor hatte die EU einen Vorschlag der chinesischen Seite abgelehnt, nach dem in China produzierte Elektroautos in Europa zu einem verpflichtenden Mindestpreis von 30.000 Euro verkauft werden sollten. Mit dem Schritt hatte sich Peking erhofft, die Einführung von EU-Ausgleichszöllen abzuwenden. Industrieweite Mindestpreisverpflichtungen sind allerdings schwer mit Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) vereinbar. Die EU müsste Vereinbarungen mit den einzelnen Herstellern erreichen.
Zu Beginn des Monats hatte eine Abstimmung unter den EU-Mitgliedsstaaten den Weg für Zölle auf Elektroautos aus China freigemacht. Damit kann die EU-Kommission entscheiden, Abgaben in Höhe von bis zu 35,3 Prozent einzuführen. Peking wirft Brüssel im Hinblick auf die E-Auto-Zölle Protektionismus vor. Die EU ignoriere Fakten und missachte die Regeln der WTO. dpa/ari
In ihrer Rede auf dem CSU-Parteitag in Augsburg betonte EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola die Bedeutung einer proeuropäischen Mitte, die in Zeiten von Populismus und geopolitischen Spannungen pragmatische Lösungen bieten müsse. Metsola lobte den Erfolg der Europäischen Volkspartei (EVP) bei den Wahlen und mahnte, dass dieser größere Einfluss auch größere Verantwortung mit sich bringe.
Kritisch äußerte sie sich über bürokratische Hürden, die die Umsetzung von politischen Zielen erschwerten. Metsola forderte, dass die EU greifbare Fortschritte in Bereichen wie Klimaschutz, Wirtschaftsreformen und Sicherheit liefern müsse. Die EU dürfe sich nicht abschotten, sondern durch verstärkte internationale Handelsabkommen ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern. luk
Die EU-Kommission hat Temu im Rahmen des Digital Services Act ein weiteres förmliches Auskunftsersuchen (Request for Information, RFI) geschickt. Das chinesische Unternehmen soll detaillierte Informationen darüber vorlegen, wie es verhindert, dass Händler illegale Produkte auf der Plattform anbieten. Außerdem soll Temu zusätzliche Angaben machen, wie es Risiken beim Verbraucherschutz, der öffentlichen Gesundheit und dem Wohlergehen der Nutzerinnen und Nutzer reduziert.
Anlass ist der Verdacht, dass Händler über Temu – auch wiederholt – verbotene Waren anbieten und damit gegen geltende Vorschriften verstoßen. Temu muss die geforderten Informationen wie interne Richtlinien, Kontrollmechanismen und technische Vorkehrungen zur Risikominderung bis zum 21. Oktober 2024 liefern. Auf der Grundlage der Antworten entscheidet die Kommission über die nächsten Schritte, etwa die förmliche Einleitung eines Verfahrens. vis
EU-Agrarpolitiker Norbert Lins (CDU) kritisiert den Vorschlag, im mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) die Agrar- und Strukturförderung aufzulösen und die Mittel in die Haushalte der Mitgliedstaaten umzulenken. Er warnt vor einer “gefährlichen Renationalisierung des EU-Haushaltes”. Dies untergrabe nicht nur die Kompetenzen des EU-Parlaments, sondern gefährde auch die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten.
Die Grundidee des MFR bestehe darin, grenzüberschreitende Probleme gemeinschaftlich zu lösen, sagt Lins. “Eine Renationalisierung der gemeinsamen Agrarpolitik würde die Gewährleistung der Ernährungssicherheit in Europa gefährden und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft erheblich beeinträchtigen.” Mit einem solchen Instrument würde der Anspruch auf eine starke GAP aufgegeben und die solidarische Verantwortung in der EU untergraben. “Ein starkes, gemeinsames Handeln ist unerlässlich, um künftigen Herausforderungen wirksam zu begegnen”, so der CDU-Abgeordnete. mgr
Albaniens Ministerpräsident Edi Rama setzt darauf, dass es auf dem Westbalkan-Treffen im Kanzleramt zur endgültigen Verständigung über das regionale Freihandelsabkommen CEFTA kommen kann und will sein Land bis 2030 zur EU-Beitrittsreife führen. “Morgen wird es wichtig sein, den CEFTA-Mechanismus festzulegen”, sagte Rama am Sonntag im Reuters-TV-Interview mit Blick auf die Westbalkan-Konferenz im Kanzleramt am Montag.
Am Mittwoch hatte Außenministerin Annalena Baerbock bekannt gegeben, dass ein Durchbruch bei den Verhandlungen zu dem mitteleuropäischen Handelsabkommen gelungen sei, das als Vorbereitung auf einen EU-Beitritt angesehen wird. Rama lobte den 2014 gestarteten sogenannten Berlin-Prozess, der die Zusammenarbeit zwischen den sechs Westbalkan-Staaten tatsächlich verstärkt und die Länder näher an die EU herangeführt habe.
Dabei habe paradoxerweise auch Russlands Präsident Wladimir Putin mit seinem Überfall auf die Ukraine geholfen, sagte Rama. “Das war der Moment, in dem die Europäische Union erkannte, dass die geopolitische Strategie des westlichen Balkans nicht nur in der Theorie gut, sondern auch in der Praxis wichtig war”, sagte Rama. Denn die Region sei für die EU so wichtig wie umgekehrt die EU für die sechs Länder. Seit dem russischen Überfall habe es “einen echten Tempowechsel” in den Verhandlungen zwischen der EU mit Albanien, Serbien, Kosovo, Bosnien-Herzegowina, Nordmazedonien und Montenegro gegeben.
Ziel seiner Regierung sei es, dass Albanien 2030 beitrittsbereit sei. Dann müsse man sehen, ob die EU zu einer Aufnahme in der Lage sei. “Mit Gottes Hilfe wird uns zu diesem Zeitpunkt keine entscheidende Wahl im Weg stehen, denn sonst weiß man ja nie”, sagte er in Anspielung auf Abstimmungen in einzelnen EU-Staaten. Hintergrund ist, dass innenpolitischen Überlegungen der Regierungen in den Niederlanden oder Frankreich den Beitrittsprozess mit den Westbalkan-Staaten immer wieder verzögert hatten. rtr
Wer wenig verdient, soll nach dem Willen von zwei CDU-Europaabgeordneten künftig günstiger Elektroautos leasen können. Der Klimapolitiker Peter Liese und der Sozialpolitiker Dennis Radtke (beide CDU) wollen ein ähnliches Modell, wie es bereits in Frankreich gut genutzt wird, jedoch mit Einschränkungen: Die Förderung soll nicht an Bürgergeldempfänger gehen, teilten die beiden Abgeordneten mit.
Profitieren sollen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, kleine Selbstständige sowie Rentnerinnen und Rentner. Die Einkommensgrenze für die Förderung soll bei 43.750 Euro Jahresgehalt liegen – was dem aktuellen Medianlohn entspreche. Zudem soll es möglich sein, die Förderung so zu gestalten, dass chinesische Hersteller nicht in den Genuss der Förderung kommen.
Frankreich hat in diesem Jahr mit einem staatlichen Leasing von E-Modellen ab 100 Euro pro Monat begonnen. Das Angebot richtet sich an Menschen mit geringem Einkommen, die beruflich auf das Auto angewiesen sind und mindestens 15 Kilometer von ihrer Arbeitsstelle entfernt leben. dpa
Die polnische Regierung plant eine vorläufige Aussetzung des Rechts auf Asyl. Ministerpräsident Donald Tusk kündigte die vorgesehene Verschärfung am Samstag an. Es handle sich um einen Teil einer Strategie zur Eindämmung der illegalen Migration aus dem benachbarten Belarus.
Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko sowie der russische Präsident Wladimir Putin und Menschenschmuggler nutzten das Recht auf Asyl in einer Art aus, die gegen dessen Kern gehe, so Tusk. Warschau wirft Belarus seit Längerem vor, bewusst Migranten aus anderen Ländern über die Grenze nach Polen zu schleusen, um in dem EU-Land für Unfrieden zu sorgen.
Tusk sagte, er werde die neue Migrations-Strategie bei einem Regierungstreffen am Dienstag vorstellen. Er werde zudem eine Anerkennung der Maßnahme bei der Europäischen Union einfordern. rtr
87 Prozent der in der Gigabitstrategie der Bundesregierung geplanten Maßnahmen sind bereits umgesetzt oder gestartet worden. Das geht aus dem Fortschrittsbericht hervor, den das Bundesdigitalministerium am heutigen Montag vorlegen will. Den Entwurf konnte Table.Briefings bereits einsehen.
Der Bericht zeigt Fortschritte, wie die Einführung des Gigabit-Grundbuchs zur besseren Koordinierung des Netzausbaus und die Vereinfachung von Genehmigungsverfahren. Der Ausbau leistungsstarker digitaler Netze “läuft auf Hochtouren und so schnell wie noch nie“, heißt es in dem Bericht. Doch Defizite bleiben. Besonders in ländlichen Gebieten hinkt der Glasfaserausbau noch hinterher.
Ziel der Gigabitstrategie ist es, Deutschland flächendeckend mit Hochgeschwindigkeitsinternet zu versorgen. Sie steht im Einklang mit dem Gigabit Infrastructure Act (GIA) der EU, der im Mai 2024 in Kraft getreten ist. Der GIA soll die Kosten für den Ausbau digitaler Infrastrukturen senken und Genehmigungsverfahren vereinfachen, um den Anschluss aller europäischen Haushalte an leistungsfähige Netze zu gewährleisten.
Kritik kommt unter anderem vom Telekommunikationsverband (VATM) und vom Bundesverband Breitbandkommunikation (Breko). Sie werfen der Telekom Verzögerungstaktiken beim Glasfaserausbau vor und kritisieren die Bundesnetzagentur, die trotz klarer Hinweise nicht streng genug gegen die Marktdominanz der Telekom vorgehe. Die Interessen der Wettbewerber seien durch die Strategie der Telekom gefährdet, die aktuell immer noch zu 27,8 Prozent dem Staat gehört.
Um den Netzausbau weiter zu beschleunigen, hat die Bundesregierung 35 neue Maßnahmen in der Gigabitstrategie aufgelegt. Dazu gehören eine bundesweite Mobilfunkmesswoche, eine Image-Kampagne zur Förderung von Glasfaseranschlüssen und ein verstärkter Fokus auf die Glasfaser-Verkabelung innerhalb von Gebäuden, insbesondere in Mietwohnungen. vis
Ihre politische Karriere schien eigentlich vorbei – nun setzt sie zum großen Sprung nach Brüssel an. Neun Jahre nach ihrer Amtszeit als Finanzministerin, fünf Jahre nach ihrem Ausscheiden aus dem nationalen Parlament und drei Jahre nach ihrem Ausscheiden aus dem regionalen Parlament von Almeida startet die 57-jährige Ökonomin Maria Luís Albuquerque auf europäischer Ebene nochmals durch. Ursula von der Leyen will sie zur Kommissarin für Finanzdienstleistungen und für die Spar- und Investitionsunion machen.
Begonnen hatte sie ihre berufliche Karriere im portugiesischen Finanzministerium. Zwischen 1991 und 2011 arbeitete sie sich in staatsnahen Finanzjobs die Karriereleiter hoch. 2011 schaffte die Mutter dreier Kinder mit der Mitte-rechts-Partei PSD (EVP) den Einzug ins portugiesische Parlament. Als Staatssekretärin für Finanzen wurde sie sogleich Teil der Regierung.
Es waren unruhige Zeiten, geprägt von der Eurokrise und der Austeritätspolitik, die von der Troika der internationalen Geldgeber gefordert wurde und als deren Vollstreckerin Albuquerque teilweise wahrgenommen wurde. Als der damalige Finanzminister Vítor Gaspar aufgrund des zunehmenden öffentlichen Drucks 2013 zurücktrat, trat Albuquerque seine Nachfolge an. Ihre Nominierung hätte fast zum Bruch in der damaligen Mitte-rechts-Koalition geführt, da der Koalitionspartner von der Sparpolitik abweichen wollte.
Schon nach den EU-Wahlen 2014 war sie als Favoritin für einen Kommissarsposten gehandelt worden – schlussendlich wurde jedoch Carlos Moedas nominiert. Albuquerque blieb Finanzministerin, bis ihre Partei nach den Wahlen 2015 aus der Regierung flog.
Die Ex-Finanzministerin blieb zwar noch weitere vier Jahre im nationalen Parlament, doch wandte sie sich immer stärker dem Privatsektor zu. Sie übernahm Mandate im Finanzsektor, zuerst beim europäischen Fondsmanager Arrow Global Group, dann bei der Horizon Equity Group und seit September 2022 auch beim europäischen Ableger von Morgan Stanley.
Bald wird Albuquerque ihren ehemaligen Arbeitgebern als Regulatorin gegenüberstehen. Für Markus Ferber (CSU), der Albuquerque als Mitglied des Wirtschaftsausschusses in der Parlamentsanhörung im November befragen wird, ist diese Erfahrung aus dem Privatsektor nicht schlecht. “Sie muss halt beweisen, dass sie selbstständig denkt und nicht Morgan Stanley für sie denkt”, sagte er Table.Briefings.
In den Anhörungen will Ferber von Albuquerque wissen, was genau sie unter der “Spar- und Investitionsunion” versteht, die sie laut Mission Letter voranbringen soll. Die Spar- und Investitionsunion, bzw. die Kapitalmarktunion, wie sie bis vor Kurzem genannt wurde, kommt seit Jahren nur sehr schleppend voran. “Da muss jetzt etwas Leben reinkommen”, fordert Ferber.
Eine einfache Aufgabe wird das nicht, auch wenn Albuquerque 2019 und 2020 Mitglied einer EU-Expertengruppe zum Thema Kapitalmarktunion war und somit mit der Thematik sehr vertraut ist. Denn die Mitgliedstaaten stimmen nur ungern Harmonisierungsbemühungen zu, wenn diese die Wettbewerbsposition der nationalen Finanzmarktakteure gefährden könnten. Olaf Scholz’ Kritik an der Übernahme der Commerzbank ist nur das aktuellste Beispiel.
Albuquerques Parteikollegin im Wirtschaftsausschuss Lídia Pereira (EPP) erhofft sich von der neuen Finanzmarktkommissarin, dass sie die “Bankenunion inklusive einer Europäischen Einlagensicherung” fertigstellt. Die Europäische Einlagensicherung (EDIS) ist aber schon mehrfach am Widerstand einiger Mitgliedstaaten, insbesondere Deutschlands, gescheitert.
Der Mission Letter für Albuquerque bleibt wohl auch aufgrund dieser Erfahrungen mit dem starken Widerstand aus den Mitgliedstaaten an vielen Stellen sehr vage. Sie solle “daran arbeiten, die Marktaufsicht auf EU-Ebene zu verbessern”, steht dort beispielsweise. Auch dieses Jahr haben sich Finanzminister und Regierungschefs die Zähne an der Frage der harmonisierten Marktaufsicht die Zähne ausgebissen.
Einer der wenigen klar formulierten Aufträge besteht darin, den Verbriefungsmarkt wiederzubeleben. Diese Woche hat die Kommission bereits eine Konsultation dazu gestartet. Ein erster legislativer Vorschlag von Albuquerque dürfte also schon bald nach ihrem Amtsantritt vorliegen.
Wenn sie aber mehr erreichen und tatsächlich große Fortschritte in Richtung einer Kapitalmarktunion machen will, wird Albuquerque außerordentliches politisches Geschick beweisen müssen. Als Finanzministerin war es der Druck der internationalen Geldgeber, der ihr half, Reformen durchzusetzen. Als Finanzmarktkommissarin wird ihr dieses Druckmittel nicht mehr zur Verfügung stehen. János Allenbach-Ammann
ist es ein geeigneter Trick, um Viktor Orbáns Vetomacht auszuhebeln? Josep Borrell will heute beim Treffen der EU-Außenminister einen Vorschlag präsentieren, wie Ungarns Blockade der Europäischen Friedensfazilität umgangen werden könnte.
Der Trick geht so: Die Beiträge der Mitgliedstaaten in den gemeinsamen Topf wären nicht mehr obligatorisch, sondern würden formell für freiwillig erklärt. Ungarn müsste also nicht zahlen, könnte aber das gemeinsame Instrument zur Unterstützung der Ukraine auch nicht länger blockieren.
Das Instrument der Friedensfazilität soll den Mitgliedstaaten eigentlich helfen, militärische Hilfe für die Ukraine zu finanzieren. Seit über einem Jahr blockiert Orbán jedoch die Auszahlung von inzwischen 6,6 Milliarden Euro, ein Dauerärgernis. Eine Entscheidung ist heute nicht zu erwarten, aber die Außenminister könnten dem EU-Chefdiplomaten grünes Licht geben, seinen Vorschlag zu konkretisieren.
Allerdings ist der Trick nicht ohne Risiken. So müssten die Parlamente in den meisten Mitgliedstaaten dem freiwilligen Beitrag neu zustimmen, alles andere als sicher angesichts knapper Kassen und schwieriger Mehrheiten wie etwa in Frankreich. Und sind die Weichen hin zu freiwilligen Beiträgen gestellt, wird es schwierig, zu obligatorischen Zahlungen zurückzukehren.
Auf der Agenda stehen heute auch neue Sanktionen gegen Iran wegen Lieferungen von ballistischen Raketen an Russland, was das Regime in Teheran jedoch dementiert. Die Strafmaßnahmen sollen Unternehmen und Personen treffen, die an der Lieferung iranischer Rüstungsgüter beteiligt sind.
Neben der Lage in der Ukraine wird die Eskalation im Nahen Osten das Hauptthema sein. Israels Regierung muss nach dem Beschuss von Stellungen der Uno-Friedensmission im Libanon mit deutlicher Kritik rechnen. Donnerstag und Freitag übernehmen dann die Staats- und Regierungschefs am Gipfel in Brüssel, mit Migration, Ukraine und Nahost im Fokus.
Der Streit um das Heizungsgesetz hat in Deutschland gezeigt, was passieren kann, wenn Planungen für die Energiewende nicht aufeinander abgestimmt sind. Einen ersten Entwurf musste das Wirtschaftsministerium auch deshalb zurückziehen, weil es nicht ausreichend berücksichtigt hatte, wie der Ausstieg aus Gasheizungen mit dem Ausbau der Fernwärmenetze verknüpft ist.
Ähnliche Herausforderungen gibt es bei der Abstimmung zwischen den verschiedenen Netzen für Strom, Erdgas, Wasserstoff, Fernwärme und Kälte und künftig auch Kohlendioxid zur Produktion von E-Fuels. Schließlich soll von den teuren Infrastrukturen weder zu viel noch zu wenig und auch nichts an den falschen Stellen gebaut werden. Abhilfe schaffen soll nun ein neuer Vorschlag einer von der EU-Kommission eingesetzten Arbeitsgruppe mit Vertretern aus Wissenschaft und Energiewirtschaft.
Schon im kommenden Jahr sollen erste Schritte zu einer Koordinierten Energieinfrastrukturplanung (CEI) in der EU sichtbar werden. Ein europäisches Pilotmodell für eine gemeinsame Planung von Strom- und Gasnetzen soll erstmals neue Methoden zur integrierten Planung anwenden, heißt es in dem Bericht der Expertengruppe zum Strategieplan der EU für Energietechnologie (SET-Plan).
Erste Anläufe gab es bereits. Den Auftrag zu einer gemeinsamen Planung von Strom- und Gasnetzen einschließlich Speichern und LNG-Terminals hatte der europäische Gesetzgeber schon 2013 erteilt. Erst im April hatten die Verbände ENTSO-E und ENTSO-G den jüngsten Bericht zu dem Thema vorgelegt, um auch die Planung des künftigen Wasserstoffnetzes zu berücksichtigen.
In Deutschland hatte 2022 die Dena mit ihrer Netzstudie III Überlegungen für einen Systementwicklungsplan präsentiert. Im jüngsten Netzentwicklungsplan Strom (NEP) für ein Klimaneutralitätsnetz 2045 vom März wurde solch eine systemweite Planung aber noch nicht umfassend angewendet.
Ohnehin bezweifeln Praktiker in Deutschland, ob eine umfassende Planung für alle Netze bis zur Verteilung in jedem Wohnviertel wirklich machbar ist. Keine Studie könne eine abschließende und umfassende Betrachtung aller relevanten Zusammenhänge leisten, schrieben die Stromnetzbetreiber im Vorfeld des aktuellen NEP. Die Dena sieht einen Systementwicklungsplan eher als zusätzlichen Schritt, der den Planungen für die einzelnen Netze vorgeschaltet ist, um sich besser abzustimmen.
Koordinierung trägt auch der neue europäische Vorschlag im Namen. Abstimmungsbedarf sehen die Experten auch mit den Netzen für Telekommunikation, Verkehr und Wasser. So sei beispielsweise das Abwassernetz eine mögliche Wärmequelle für die Wärmeversorgung. Eine konkrete Verbesserung wären demnach gemeinsame Kosten-Nutzen-Analysen, die nicht nur die Auswirkungen eines einzelnen Ausbauvorhabens auf den eigenen Sektor untersuchen.
Gleichzeitig schlagen die Autoren aber auch ein Forschungsprogramm vor, um die Einzelheiten einer koordinierten Infrastrukturplanung auszubuchstabieren. Bis 2030 müsse die neue Methode dann im Einsatz sein, um noch eine Wirkung für Europas Klimaneutralität 2050 zu haben.
Die EU-Handelskammer in China hat in ihrem jüngsten Positionspapier von einem “Kipppunkt” für europäische Unternehmen gesprochen. Können Sie uns die aktuelle Situation bitte einmal beschreiben?
Viele europäische Unternehmen haben sich im Laufe der Jahre in China gut behauptet, trotz vieler Herausforderungen und Hürden, denen sie in Entwicklungs- und anderen Ländern gegenüberstehen. In jüngster Zeit können die Erträge und Kapitalrenditen hier aber einfach nicht mehr mit den zunehmenden Herausforderungen Schritt halten, vor denen die Unternehmen stehen.
Wir sehen mehrere große Herausforderungen. Erstens betrifft die Konjunkturabschwächung fast jeden. Die Rentabilitäts- und Umsatzaussichten sind auf einem Rekordtief. Zweitens ist das regulatorische Umfeld für unsere Mitglieder zwar auf dem Papier verbessert worden, aber der Marktzugang ist zunehmend schwieriger geworden. Drittens sind wir mit einem viel stärker politisierten Umfeld konfrontiert, das die allgemeine Geschäftsunsicherheit noch verstärkt. Die nationale Sicherheit ist hier in China zu einem echten Schwerpunkt der Wirtschaft geworden. Viele der Initiativen konzentrieren sich auf Eigenständigkeit, dual circulation und autonome Innovation.
Gibt es dennoch etwas Optimismus?
Wir sehen noch immer das Potenzial des Marktes. Aber die Risiken und die Unsicherheit haben gerade ein Niveau erreicht, bei dem sich einige Unternehmen auch auf anderen weltweiten Märkten umsehen und dort die gleiche oder sogar eine höhere Rendite erzielen können. Die Diversifizierung bringt den Unternehmen auch eine zusätzliche Sicherheitsebene, die einige von ihnen im zunehmend politisierten Geschäftsumfeld suchen. Wir glauben, dass das einige der Hauptgründe sind, die in den letzten Jahren zu einem Rückgang der ausländischen Direktinvestitionen in China geführt haben. Das ist eine echte, verpasste Chance. Denn der Markt hat noch immer erhebliches Potenzial. Er verfügt derzeit nur nicht über den unterstützenden Rahmen, um den Unternehmen das Vertrauen zu geben, diese Investitionen zu tätigen.
Die chinesische Regierung hat zuletzt ein großes Konjunkturprogramm angekündigt. Ändert das Ihre Betrachtung?
Ich persönlich glaube nicht, dass ein Konjunkturprogramm die Antwort ist. Ich denke, einige der regulatorischen Reformen, die wir fordern, wären ein viel billigerer und effizienterer Weg. Es gibt bereits ausreichend Liquidität auf dem Markt, aber die chinesischen Verbraucher geben auch nicht mehr so viel Geld aus wie früher. Es fehlt das Vertrauen, und das veranlasst die Verbraucher dazu, für schlechte Zeiten zu sparen, insbesondere wegen des Mangels an starken sozialen Sicherheitsnetzen. Auf der Angebotsseite müssen die Investoren eine positive Rendite ihrer Investitionen erzielen. Eine Senkung der Zinssätze reicht möglicherweise nicht aus. Viele Sektoren leiden unter Überkapazitäten: Kohle, Zement, Stahl, Kleidung, Elektrofahrzeuge, Textilien und Solarmodule. Wir blicken derzeit auf einen sehr anspruchsvollen Markt. Daher stellt sich für viele Unternehmen die Frage: Ist der Gewinn das Risiko noch wert?
Was sind derzeit die größten Hürden?
Die größte Herausforderung, vor allen anderen, ist die Wirtschaft. Die Menschen sind besorgt über ihre Entwicklung. Wir glauben, dass alle Anstrengungen unternommen werden müssen, all die verschiedenen Möglichkeiten anzugehen, damit die Marktkräfte in der Wirtschaft dominierender werden können. Zwei Bereiche, in denen wir im letzten Jahr am aktivsten waren, sind die Beschaffung und der grenzüberschreitende Datentransfer. Viele Unternehmen, die früher im Bereich Beschaffung sehr erfolgreich waren, haben einen Rückgang erlebt. Und trotz der Kommentare der Regierung über den gleichberechtigten Zugang zur Beschaffung entspricht das nicht der Realität. Das ist nicht die Botschaft, die ich von unseren Mitgliedern höre. Der andere Bereich ist der grenzüberschreitende Datentransfer. Beides waren Themen, die uns im letzten Jahr sehr zu schaffen gemacht haben. Die Beschränkungen für grenzüberschreitende Daten (cross-border data restrictions, CBDT) haben Unternehmen wirklich daran gehindert, innovativ zu sein.
Sehen Sie auch positive Entwicklungen?
Ja, wir haben eine Reihe von Verbesserungen gesehen. In diesem Sommer haben wir einige CBDT-Genehmigungen in vielen Sektoren erhalten, von Pharma über Medizinprodukte bis hin zu IT. Die Negativliste wurde reduziert und China hat einige verbleibende Joint-Venture-Anforderungen abgeschafft. China hat auch viele Ziele angekündigt: Es hat sich zum Ziel gesetzt, mehr ausländische Investitionen anzuziehen, neue hochwertige Produktionskräfte zu schaffen und sich weiter zu öffnen. Das Handelsministerium tut auf allen Ebenen viel, um diese Botschaft zu verbreiten und Unternehmen zu ermutigen, hier zu expandieren und zu investieren. Es ist jedoch nicht der alleinige Entscheidungsträger, wenn es um Investitionsgenehmigungen und die zusätzlichen regulatorischen Bedenken geht, mit denen unsere Mitglieder konfrontiert sind.
Die EU hat die Zölle auf chinesische Elektrofahrzeuge genehmigt. Befürchten die europäischen Unternehmen in China, Ziel von Vergeltungsmaßnahmen zu werden?
Ja, europäische Industrien in anderen Sektoren sind besorgt und haben Angst, dass sie ebenfalls Gegenstand von Untersuchungen sein könnten. Für einige ist das bereits Realität. Es ist genau die Art von mangelnder Vorhersehbarkeit, die Unternehmen wirklich von Investitionen abhält. Man denkt, dass dies nur ein Problem der Autoindustrie ist und nichts mit der eigenen Branche zu tun hat, und dann “zack” liest man einige Tage später in den Nachrichten, dass die eigene Branche möglicherweise Gegenstand von Untersuchungen ist.
Mein Rat ist, Ruhe zu bewahren. China hat so viel in die E-Fahrzeugindustrie investiert und eine Reihe echter technologischer Fortschritte erzielt. Chinas Kompetenz im Bereich E-Fahrzeuge ist langfristig ausgelegt. China muss also ebenfalls langfristig denken. Ich bin fest davon überzeugt, dass es im Interesse Pekings liegt, ein gewisses Maß an Marktstabilität zu gewährleisten. Darüber hinaus glaube ich, dass es China helfen kann, den Zugang zu diesen Märkten aufrechtzuerhalten, indem es Win-Win-Beziehungen mit seinen Partnern findet. Das ist eigentlich sehr ähnlich zu dem, was ausländische Unternehmen bisher in China erlebt haben.
Adam Dunnett ist der Generalsekretär der europäischen Handelskammer in China. Er war davor unter anderem Vorsitzender bei EBO Worldwide Network und hat bei APCO sowie der kanadischen Botschaft in Peking gearbeitet.
China hat die Europäische Union davor gewarnt, neben den Konsultationen über Ausgleichszölle auf chinesische Elektroauto-Importe zusätzliche Preisverhandlungen mit einzelnen Autobauern zu führen. Dies würde “die Grundlage der Verhandlungen und das gegenseitige Vertrauen erschüttern”, teilte das chinesische Handelsministerium in einer Stellungnahme mit.
Die chinesische Seite habe bei den Verhandlungen bisher “ein Höchstmaß an Aufrichtigkeit und Flexibilität bewiesen”, heißt es in der Stellungnahme weiter. Man fordere die EU auf, so bald wie möglich eine Delegation nach China zu entsenden, um die nächste Phase der Konsultationen fortzuführen.”Es gibt immer noch große Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden Seiten. Bislang haben die Konsultationen keine für beide Seiten akzeptable Lösung gefunden“, zitierten Staatsmedien einen Sprecher des Handelsministeriums.
Zuvor hatte die EU einen Vorschlag der chinesischen Seite abgelehnt, nach dem in China produzierte Elektroautos in Europa zu einem verpflichtenden Mindestpreis von 30.000 Euro verkauft werden sollten. Mit dem Schritt hatte sich Peking erhofft, die Einführung von EU-Ausgleichszöllen abzuwenden. Industrieweite Mindestpreisverpflichtungen sind allerdings schwer mit Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) vereinbar. Die EU müsste Vereinbarungen mit den einzelnen Herstellern erreichen.
Zu Beginn des Monats hatte eine Abstimmung unter den EU-Mitgliedsstaaten den Weg für Zölle auf Elektroautos aus China freigemacht. Damit kann die EU-Kommission entscheiden, Abgaben in Höhe von bis zu 35,3 Prozent einzuführen. Peking wirft Brüssel im Hinblick auf die E-Auto-Zölle Protektionismus vor. Die EU ignoriere Fakten und missachte die Regeln der WTO. dpa/ari
In ihrer Rede auf dem CSU-Parteitag in Augsburg betonte EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola die Bedeutung einer proeuropäischen Mitte, die in Zeiten von Populismus und geopolitischen Spannungen pragmatische Lösungen bieten müsse. Metsola lobte den Erfolg der Europäischen Volkspartei (EVP) bei den Wahlen und mahnte, dass dieser größere Einfluss auch größere Verantwortung mit sich bringe.
Kritisch äußerte sie sich über bürokratische Hürden, die die Umsetzung von politischen Zielen erschwerten. Metsola forderte, dass die EU greifbare Fortschritte in Bereichen wie Klimaschutz, Wirtschaftsreformen und Sicherheit liefern müsse. Die EU dürfe sich nicht abschotten, sondern durch verstärkte internationale Handelsabkommen ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern. luk
Die EU-Kommission hat Temu im Rahmen des Digital Services Act ein weiteres förmliches Auskunftsersuchen (Request for Information, RFI) geschickt. Das chinesische Unternehmen soll detaillierte Informationen darüber vorlegen, wie es verhindert, dass Händler illegale Produkte auf der Plattform anbieten. Außerdem soll Temu zusätzliche Angaben machen, wie es Risiken beim Verbraucherschutz, der öffentlichen Gesundheit und dem Wohlergehen der Nutzerinnen und Nutzer reduziert.
Anlass ist der Verdacht, dass Händler über Temu – auch wiederholt – verbotene Waren anbieten und damit gegen geltende Vorschriften verstoßen. Temu muss die geforderten Informationen wie interne Richtlinien, Kontrollmechanismen und technische Vorkehrungen zur Risikominderung bis zum 21. Oktober 2024 liefern. Auf der Grundlage der Antworten entscheidet die Kommission über die nächsten Schritte, etwa die förmliche Einleitung eines Verfahrens. vis
EU-Agrarpolitiker Norbert Lins (CDU) kritisiert den Vorschlag, im mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) die Agrar- und Strukturförderung aufzulösen und die Mittel in die Haushalte der Mitgliedstaaten umzulenken. Er warnt vor einer “gefährlichen Renationalisierung des EU-Haushaltes”. Dies untergrabe nicht nur die Kompetenzen des EU-Parlaments, sondern gefährde auch die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten.
Die Grundidee des MFR bestehe darin, grenzüberschreitende Probleme gemeinschaftlich zu lösen, sagt Lins. “Eine Renationalisierung der gemeinsamen Agrarpolitik würde die Gewährleistung der Ernährungssicherheit in Europa gefährden und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft erheblich beeinträchtigen.” Mit einem solchen Instrument würde der Anspruch auf eine starke GAP aufgegeben und die solidarische Verantwortung in der EU untergraben. “Ein starkes, gemeinsames Handeln ist unerlässlich, um künftigen Herausforderungen wirksam zu begegnen”, so der CDU-Abgeordnete. mgr
Albaniens Ministerpräsident Edi Rama setzt darauf, dass es auf dem Westbalkan-Treffen im Kanzleramt zur endgültigen Verständigung über das regionale Freihandelsabkommen CEFTA kommen kann und will sein Land bis 2030 zur EU-Beitrittsreife führen. “Morgen wird es wichtig sein, den CEFTA-Mechanismus festzulegen”, sagte Rama am Sonntag im Reuters-TV-Interview mit Blick auf die Westbalkan-Konferenz im Kanzleramt am Montag.
Am Mittwoch hatte Außenministerin Annalena Baerbock bekannt gegeben, dass ein Durchbruch bei den Verhandlungen zu dem mitteleuropäischen Handelsabkommen gelungen sei, das als Vorbereitung auf einen EU-Beitritt angesehen wird. Rama lobte den 2014 gestarteten sogenannten Berlin-Prozess, der die Zusammenarbeit zwischen den sechs Westbalkan-Staaten tatsächlich verstärkt und die Länder näher an die EU herangeführt habe.
Dabei habe paradoxerweise auch Russlands Präsident Wladimir Putin mit seinem Überfall auf die Ukraine geholfen, sagte Rama. “Das war der Moment, in dem die Europäische Union erkannte, dass die geopolitische Strategie des westlichen Balkans nicht nur in der Theorie gut, sondern auch in der Praxis wichtig war”, sagte Rama. Denn die Region sei für die EU so wichtig wie umgekehrt die EU für die sechs Länder. Seit dem russischen Überfall habe es “einen echten Tempowechsel” in den Verhandlungen zwischen der EU mit Albanien, Serbien, Kosovo, Bosnien-Herzegowina, Nordmazedonien und Montenegro gegeben.
Ziel seiner Regierung sei es, dass Albanien 2030 beitrittsbereit sei. Dann müsse man sehen, ob die EU zu einer Aufnahme in der Lage sei. “Mit Gottes Hilfe wird uns zu diesem Zeitpunkt keine entscheidende Wahl im Weg stehen, denn sonst weiß man ja nie”, sagte er in Anspielung auf Abstimmungen in einzelnen EU-Staaten. Hintergrund ist, dass innenpolitischen Überlegungen der Regierungen in den Niederlanden oder Frankreich den Beitrittsprozess mit den Westbalkan-Staaten immer wieder verzögert hatten. rtr
Wer wenig verdient, soll nach dem Willen von zwei CDU-Europaabgeordneten künftig günstiger Elektroautos leasen können. Der Klimapolitiker Peter Liese und der Sozialpolitiker Dennis Radtke (beide CDU) wollen ein ähnliches Modell, wie es bereits in Frankreich gut genutzt wird, jedoch mit Einschränkungen: Die Förderung soll nicht an Bürgergeldempfänger gehen, teilten die beiden Abgeordneten mit.
Profitieren sollen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, kleine Selbstständige sowie Rentnerinnen und Rentner. Die Einkommensgrenze für die Förderung soll bei 43.750 Euro Jahresgehalt liegen – was dem aktuellen Medianlohn entspreche. Zudem soll es möglich sein, die Förderung so zu gestalten, dass chinesische Hersteller nicht in den Genuss der Förderung kommen.
Frankreich hat in diesem Jahr mit einem staatlichen Leasing von E-Modellen ab 100 Euro pro Monat begonnen. Das Angebot richtet sich an Menschen mit geringem Einkommen, die beruflich auf das Auto angewiesen sind und mindestens 15 Kilometer von ihrer Arbeitsstelle entfernt leben. dpa
Die polnische Regierung plant eine vorläufige Aussetzung des Rechts auf Asyl. Ministerpräsident Donald Tusk kündigte die vorgesehene Verschärfung am Samstag an. Es handle sich um einen Teil einer Strategie zur Eindämmung der illegalen Migration aus dem benachbarten Belarus.
Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko sowie der russische Präsident Wladimir Putin und Menschenschmuggler nutzten das Recht auf Asyl in einer Art aus, die gegen dessen Kern gehe, so Tusk. Warschau wirft Belarus seit Längerem vor, bewusst Migranten aus anderen Ländern über die Grenze nach Polen zu schleusen, um in dem EU-Land für Unfrieden zu sorgen.
Tusk sagte, er werde die neue Migrations-Strategie bei einem Regierungstreffen am Dienstag vorstellen. Er werde zudem eine Anerkennung der Maßnahme bei der Europäischen Union einfordern. rtr
87 Prozent der in der Gigabitstrategie der Bundesregierung geplanten Maßnahmen sind bereits umgesetzt oder gestartet worden. Das geht aus dem Fortschrittsbericht hervor, den das Bundesdigitalministerium am heutigen Montag vorlegen will. Den Entwurf konnte Table.Briefings bereits einsehen.
Der Bericht zeigt Fortschritte, wie die Einführung des Gigabit-Grundbuchs zur besseren Koordinierung des Netzausbaus und die Vereinfachung von Genehmigungsverfahren. Der Ausbau leistungsstarker digitaler Netze “läuft auf Hochtouren und so schnell wie noch nie“, heißt es in dem Bericht. Doch Defizite bleiben. Besonders in ländlichen Gebieten hinkt der Glasfaserausbau noch hinterher.
Ziel der Gigabitstrategie ist es, Deutschland flächendeckend mit Hochgeschwindigkeitsinternet zu versorgen. Sie steht im Einklang mit dem Gigabit Infrastructure Act (GIA) der EU, der im Mai 2024 in Kraft getreten ist. Der GIA soll die Kosten für den Ausbau digitaler Infrastrukturen senken und Genehmigungsverfahren vereinfachen, um den Anschluss aller europäischen Haushalte an leistungsfähige Netze zu gewährleisten.
Kritik kommt unter anderem vom Telekommunikationsverband (VATM) und vom Bundesverband Breitbandkommunikation (Breko). Sie werfen der Telekom Verzögerungstaktiken beim Glasfaserausbau vor und kritisieren die Bundesnetzagentur, die trotz klarer Hinweise nicht streng genug gegen die Marktdominanz der Telekom vorgehe. Die Interessen der Wettbewerber seien durch die Strategie der Telekom gefährdet, die aktuell immer noch zu 27,8 Prozent dem Staat gehört.
Um den Netzausbau weiter zu beschleunigen, hat die Bundesregierung 35 neue Maßnahmen in der Gigabitstrategie aufgelegt. Dazu gehören eine bundesweite Mobilfunkmesswoche, eine Image-Kampagne zur Förderung von Glasfaseranschlüssen und ein verstärkter Fokus auf die Glasfaser-Verkabelung innerhalb von Gebäuden, insbesondere in Mietwohnungen. vis
Ihre politische Karriere schien eigentlich vorbei – nun setzt sie zum großen Sprung nach Brüssel an. Neun Jahre nach ihrer Amtszeit als Finanzministerin, fünf Jahre nach ihrem Ausscheiden aus dem nationalen Parlament und drei Jahre nach ihrem Ausscheiden aus dem regionalen Parlament von Almeida startet die 57-jährige Ökonomin Maria Luís Albuquerque auf europäischer Ebene nochmals durch. Ursula von der Leyen will sie zur Kommissarin für Finanzdienstleistungen und für die Spar- und Investitionsunion machen.
Begonnen hatte sie ihre berufliche Karriere im portugiesischen Finanzministerium. Zwischen 1991 und 2011 arbeitete sie sich in staatsnahen Finanzjobs die Karriereleiter hoch. 2011 schaffte die Mutter dreier Kinder mit der Mitte-rechts-Partei PSD (EVP) den Einzug ins portugiesische Parlament. Als Staatssekretärin für Finanzen wurde sie sogleich Teil der Regierung.
Es waren unruhige Zeiten, geprägt von der Eurokrise und der Austeritätspolitik, die von der Troika der internationalen Geldgeber gefordert wurde und als deren Vollstreckerin Albuquerque teilweise wahrgenommen wurde. Als der damalige Finanzminister Vítor Gaspar aufgrund des zunehmenden öffentlichen Drucks 2013 zurücktrat, trat Albuquerque seine Nachfolge an. Ihre Nominierung hätte fast zum Bruch in der damaligen Mitte-rechts-Koalition geführt, da der Koalitionspartner von der Sparpolitik abweichen wollte.
Schon nach den EU-Wahlen 2014 war sie als Favoritin für einen Kommissarsposten gehandelt worden – schlussendlich wurde jedoch Carlos Moedas nominiert. Albuquerque blieb Finanzministerin, bis ihre Partei nach den Wahlen 2015 aus der Regierung flog.
Die Ex-Finanzministerin blieb zwar noch weitere vier Jahre im nationalen Parlament, doch wandte sie sich immer stärker dem Privatsektor zu. Sie übernahm Mandate im Finanzsektor, zuerst beim europäischen Fondsmanager Arrow Global Group, dann bei der Horizon Equity Group und seit September 2022 auch beim europäischen Ableger von Morgan Stanley.
Bald wird Albuquerque ihren ehemaligen Arbeitgebern als Regulatorin gegenüberstehen. Für Markus Ferber (CSU), der Albuquerque als Mitglied des Wirtschaftsausschusses in der Parlamentsanhörung im November befragen wird, ist diese Erfahrung aus dem Privatsektor nicht schlecht. “Sie muss halt beweisen, dass sie selbstständig denkt und nicht Morgan Stanley für sie denkt”, sagte er Table.Briefings.
In den Anhörungen will Ferber von Albuquerque wissen, was genau sie unter der “Spar- und Investitionsunion” versteht, die sie laut Mission Letter voranbringen soll. Die Spar- und Investitionsunion, bzw. die Kapitalmarktunion, wie sie bis vor Kurzem genannt wurde, kommt seit Jahren nur sehr schleppend voran. “Da muss jetzt etwas Leben reinkommen”, fordert Ferber.
Eine einfache Aufgabe wird das nicht, auch wenn Albuquerque 2019 und 2020 Mitglied einer EU-Expertengruppe zum Thema Kapitalmarktunion war und somit mit der Thematik sehr vertraut ist. Denn die Mitgliedstaaten stimmen nur ungern Harmonisierungsbemühungen zu, wenn diese die Wettbewerbsposition der nationalen Finanzmarktakteure gefährden könnten. Olaf Scholz’ Kritik an der Übernahme der Commerzbank ist nur das aktuellste Beispiel.
Albuquerques Parteikollegin im Wirtschaftsausschuss Lídia Pereira (EPP) erhofft sich von der neuen Finanzmarktkommissarin, dass sie die “Bankenunion inklusive einer Europäischen Einlagensicherung” fertigstellt. Die Europäische Einlagensicherung (EDIS) ist aber schon mehrfach am Widerstand einiger Mitgliedstaaten, insbesondere Deutschlands, gescheitert.
Der Mission Letter für Albuquerque bleibt wohl auch aufgrund dieser Erfahrungen mit dem starken Widerstand aus den Mitgliedstaaten an vielen Stellen sehr vage. Sie solle “daran arbeiten, die Marktaufsicht auf EU-Ebene zu verbessern”, steht dort beispielsweise. Auch dieses Jahr haben sich Finanzminister und Regierungschefs die Zähne an der Frage der harmonisierten Marktaufsicht die Zähne ausgebissen.
Einer der wenigen klar formulierten Aufträge besteht darin, den Verbriefungsmarkt wiederzubeleben. Diese Woche hat die Kommission bereits eine Konsultation dazu gestartet. Ein erster legislativer Vorschlag von Albuquerque dürfte also schon bald nach ihrem Amtsantritt vorliegen.
Wenn sie aber mehr erreichen und tatsächlich große Fortschritte in Richtung einer Kapitalmarktunion machen will, wird Albuquerque außerordentliches politisches Geschick beweisen müssen. Als Finanzministerin war es der Druck der internationalen Geldgeber, der ihr half, Reformen durchzusetzen. Als Finanzmarktkommissarin wird ihr dieses Druckmittel nicht mehr zur Verfügung stehen. János Allenbach-Ammann