Ein Erdrutschsieg von Labour bei der Unterhaus-Wahl im Vereinten Königreich war erwartet worden. Dass er so deutlich ausfällt, dürfte dennoch für lange Gesichter bei den Tories sorgen. Nach Schließung der Wahllokale um 23 Uhr am Donnerstagabend ergeben die meist sehr präzisen britischen Exit Polls eine absolute Mehrheit für Keir Starmers Sozialdemokraten.
Labour hat demnach 410 der 650 Sitze im House of Commons, fast doppelt so viele wie bisher. Die Tories bekommen mit 131 Sitzen nicht einmal halb so viele Abgeordnete wie zuletzt. Die Liberal Democrats erhalten 61 Sitze, Nigel Farages Reform UK 13 Sitze und die Scottish National Party 10 Sitze.
Während die rechten Kräfte bei den Europawahlen vor einem Monat zulegten, scheint das Königreich entgegen aller Trends nach Links zu rücken. Für die Beziehungen zur EU bietet das eine Chance. Zwar wird auch ein Premier Keir Starmer keine Rückkehr Großbritanniens in die EU anstreben, jedoch könnte es in einzelnen Politikfeldern wieder mehr Zusammenarbeit geben.
Insbesondere gilt das für die Außen- und Sicherheitspolitik, da hier eine Zusammenarbeit unabhängig vom EU-Binnenmarkt möglich ist und das Vereinte Königreich sich nicht an EU-Regeln anpassen muss. Für die EU dürfte die Zusammenarbeit auch deshalb leichter werden, weil sie nicht mehr mit den für den Brexit verantwortlichen Tories reden müssen.
Labour bietet also die Möglichkeit für die Erneuerung der Beziehungen. Eine starke Partnerschaft innerhalb der westlichen Bündnisse G7 und Nato könnte vor allem im Falle einer Wiederwahl Donald Trumps in den USA wichtig werden. Europäische Sicherheit würde dann im Weißen Haus voraussichtlich keine so große Rolle mehr spielen und Europa müsste wieder mehr zusammenrücken.
Starten Sie gut ins Wochenende, aber lesen Sie vorher Europe.Table.
Ursula von der Leyen bemüht sich um die Unterstützung von EVP, S&D, Renew und Grünen. Sie nimmt sich Zeit, um ausgiebig mit den Fraktionen zu sprechen, führt Einzelgespräche mit Abgeordneten. Die Fraktionen formulieren ihre inhaltlichen Forderungen. Von Zusagen von der Leyens, dass die Forderungen erfüllt werden, machen sie ihre Stimmen beim Wahlgang in der ersten Sitzungswoche des neuen Europaparlaments ab 16. Juli in Straßburg abhängig. Im Folgenden ein Überblick der Forderungen.
EVP-Chef Manfred Weber hat einen 5-Punkte-Plan mit Vorhaben aufgestellt, über den die 188 künftigen Abgeordneten mit von der Leyen bis Donnerstagnachmittag diskutiert haben.
Im ersten Abschnitt geht es um Verteidigung und Sicherheit. “Europa muss dazu in der Lage sein, sich selbst verteidigen zu können und seinen Verpflichtungen in der Nato nachzukommen.”
Im zweiten Abschnitt geht es darum, die illegale Zuwanderung zu stoppen. Nicht Schmuggler, sondern der Staat müsse entscheiden, wer aufgenommen wird:
Das dritte Kapitel zeichnet die Wettbewerbsstrategie. Der Binnenmarkt und die Innovationsfähigkeit sind die Mittel, um die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern und die Wirtschaftsbeziehungen auszubauen:
Im vierten Kapitel geht es um den Schutz des europäischen Lebensstils. Ziel sei, Brücken zwischen den Generationen zu bauen sowie Klima und Planeten für kommende Generationen zu schützen:
Das fünfte Kapitel ist überschrieben mit Stärkung der Demokratie in der Welt. Im neuen globalen Umfeld könne Europa seine Interessen nur verteidigen, wenn es mit einer Stimme spreche, schnell reagiere und sich umgehend mit seinen Partnern abspreche.
Die Sozialdemokraten haben ebenfalls ein Papier mit Schlüsselforderungen zusammengetragen. Sie streben zur Finanzierung der Sozial-, Klima- und Industriepolitik einen Nachfolger für NextGenerationEU an. Das Investitionsprogramm zur Abfederung der Corona-Krise läuft Ende 2026 aus. Im Einzelnen fordern sie:
Finanzieren wollen sie damit unter anderem einen Green Deal Industrial Act mit einer Weiterentwicklung des Net-Zero Industry Act zu einem Buy Green and European Act. Der nächste Mehrjährige Finanzrahmen (MFR) und die neuen Eigenmittel sollen außerdem neue Verteidigungsausgaben ermöglichen.
Im Umweltbereich setzt sich S&D in der finalen Version des Forderungspapiers für ein CO₂-Reduktionsziel von 90 bis 95 Prozent für das Jahr 2040 ein und ein Festhalten am Verbrenner-Aus 2035 sowie der Verordnung für entwaldungsfreie Lieferketten.
Die Rechtsstaatlichkeit wollen die Sozialdemokraten durch Mehrheitsentscheidungen bei Verfahren nach Artikel 7 stärken. Vertragsverletzungsverfahren sollen konsequent vor den EuGH gebracht werden. Die Wahrung von Grundrechten und demokratischen Prinzipien soll eine Grundbedingung für den Zugang zu sämtlichen EU-Förderprogrammen sein.
Die Renew-Fraktion wird von der Leyen Dienstag oder Mittwoch empfangen. Der genaue Termin stand noch nicht fest. Die Liberalen diskutierten bei ihrer Sitzung am vergangenen Dienstag intern über ihre Forderungen an die designierte neue Kommissionspräsidentin. Die Fraktionsführung um Valérie Hayer ist aktuell dabei, den konsolidierten Forderungskatalog zu Papier zu bringen. Aus Sicht der Liberalen handelt es sich dabei um Bedingungen, die von der Leyen aufgreifen muss, wenn sie mit den Stimmen der Renew-Abgeordneten für eine zweite Amtszeit gewählt werden will.
Die Forderungen beziehen sich laut Beteiligten auf das institutionelle Gefüge wie auf inhaltliche Punkte:
Die Grünen haben bislang kein Papier mit ihren Forderungen geschrieben. In Gesprächen mit von der Leyen haben sie aber deutlich gemacht, was ihre Prioritäten sind:
Die Ankündigung der EU, zusätzliche Zölle auf chinesische Elektroautos zu erheben, fällt in ein zunehmend aufgeheiztes Klima. Die deutsche Autoindustrie zeigt sich nervöser denn je, während EU und China einander mangelnde Kompromissbereitschaft vorwerfen. Zwar betonen beide Seiten, eine Verhandlungslösung anzustreben. Doch ihre Positionen sind noch weit voneinander entfernt.
Ab der Nacht von Donnerstag auf Freitag gelten die Extra-Zölle, zunächst vorläufig. Erst ab November müssen die Hersteller tatsächlich die Sätze zwischen 17,4 und 37,6 Prozent zahlen. Die anfänglich genannte Zahl von 38,1 Prozent wurde nach Neuberechnungen leicht reduziert. Es gilt der etwas niedrigere Höchstsatz für Hersteller, die nicht mit den EU-Ermittlern kooperiert haben.
Aus chinesischer Sicht sind die Zölle ein unfairer Angriff auf Chinas Aufstieg und werden zusammen mit den undifferenzierten US-Zöllen von 100 Prozent auf chinesische E-Autos wahrgenommen. Die eigene Unterstützung für die noch junge Elektroauto-Industrie gilt wiederum als Instrument der Umweltpolitik.
Mit Marktkräften allein dauere es 20 bis 30 Jahre länger als unter dem Einfluss gezielter Förderung, die Wende zu klimafreundlichen Antriebsformen zu schaffen, sagte der Handelsexperte Cui Fan von der University of International Business and Economics in der Propaganda-Zeitung China Daily. Die weltweite grüne Transformation habe keine Zeit, auf einen so langsamen Übergang zu warten.
Die Forderung der EU nach einer Rückführung der Subventionen widerspricht denn auch völlig der industriepolitischen Logik in China. Die orientiert sich noch an vielen anderen Maßstäben als dem Export nach Europa, darunter Umwelt- und Modernisierungsziele, aber auch die Stützung des Arbeitsmarkts und die Entwicklung von strukturschwachen Regionen.
Die Subventionen sind so tief im System verankert, dass sie sich nicht an einem einzelnen Schalter abstellen oder herunterdrehen lassen. Als wichtige Ursache für die niedrigen Preise gilt die unkoordinierte Förderung örtlicher Anbieter in den Provinzen, die selbständig entscheiden. Dazu kam ein dramatischer Absatzrückgang infolge der immer schwereren Immobilienkrise.
Die EU-Kommission sieht dagegen in der chinesischen Förderung seiner Fahrzeugindustrie unfaire Subventionen, die zum Ziel haben, fremde Märkte zu dominieren. Die Positionen liegen nach ersten Gesprächen zwischen Handelskommissar Valdis Dombrovskis und Handelsminister Wang Wentao noch weit auseinander. Dombrovskis erklärte, die eigene Untersuchung sei so ausgewogen, dass ein Gegenschlag sinnlos sei. Am Donnerstag aber kündigte Chinas Handelsministerium eine Anti-Dumping-Prüfung für die Chemikalien-Klasse der Toluidine aus der EU an.
Das chinesische Handelsministerium ließ am Donnerstag alle Möglichkeiten offen. “Wir hoffen, dass die europäische und die chinesische Seite sich in die gleiche Richtung bewegen und dabei Aufrichtigkeit und Ernsthaftigkeit zeigen”, sagte ein Sprecher des Ministeriums. Das viermonatige Zeitfenster sei zu nutzen, um den Beratungsprozess voranzutreiben.
Deutsche Autobauer wie Volkswagen stellten sich am Donnerstag erneut gegen die Zusatzzölle. Aus Sicht von VW überwiegen die negativen Auswirkungen dieser Entscheidung die positiven Effekte für die europäische und insbesondere die deutsche Autoindustrie. Der Konzern begrüße den Wettbewerb und halte ihn für wichtig, um den Markt für E-Autos in Schwung zu bringen.
Der Bundesverband der Deutschen Industrie stellte sich am Donnerstag mit einer gewundenen Erklärung der Aufgabe, die vielfältigen Interessen seiner Mitgliedsunternehmen und die eigene Lageeinschätzung in einer Position zu integrieren. “Vorläufige Ausgleichszölle sind kein Widerspruch zu Verhandlungen”, ließ BDI-Hauptgeschäftsführerin Tanja Gönner mitteilen. “Die Verhandlungslinie der Kommission sollte die Interessenvielfalt in der EU widerspiegeln.” Sprich: Sie soll im Sinne Deutschlands nicht zu hart und kompromisslos in die Gespräche gehen. Doch: “Der BDI tritt dafür ein, marktverzerrende Auswirkungen staatlicher Industriepolitik zu minimieren und unfairen Handelspraktiken entgegenzutreten.”
Ökonomen bestätigen derweil die Wahrnehmung, dass China nach internationalen Maßstäben in ganz erheblich marktverzerrender Weise subventioniert. Die Zölle gelten grundsätzlich als Mittel, um den EU-Markt davor zu schützen.
Die Einfuhr von Kfz aus China könnte durch die Maßnahme um 42 Prozent zurückgehen, schätzen das Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel), das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) und das Supply Chain Intelligence Institute Austria (ASCII) in einer am Donnerstag veröffentlichten Berechnung. Profiteure wären vor allem EU-Marken, deren Absatz entsprechend stärker steigen kann.
Tatsächlich steigt Chinas Export steil an. Von Januar bis Mai stieg die Ausfuhr von E-Autos in alle Weltgegenden um knapp 14 Prozent auf eine gute halbe Million Stück, wie aktuelle Zahlen der China Association of Automobile Manufacturers zeigen. Das entspricht der Einschätzung der EU, dass die bisher niedrigen Absatzzahlen nicht darüber hinwegtäuschen sollten, dass der Export der günstigen Produkte ohne Handelsmaßnahmen lawinenartig ansteigen könnte.
Der Widerstand der deutschen Autoindustrie hat vielfältige Gründe. Anders als in der EU-Spitze und bei vielen Ökonomen, die das geopolitische und makroökonomische Gesamtbild einbeziehen, liegt der Fokus von Konzernmanagern auf aktuellen Geschäftszahlen. Hier ist die China-Abhängigkeit weiterhin sehr hoch.
Dazu kommt, dass viele deutsche Anbieter selbst in China für Europa produzieren und umgekehrt. Sie sind also akut für Zölle anfällig.
Sowohl Mercedes als auch BMW geben an, rund 80 Prozent der Autos für den chinesischen Markt vor Ort in China zu produzieren, aber 20 Prozent aus Europa zu verschiffen. Das sind vor allem die absoluten Top-Modelle wie die BMW 8er und 7er. Bei Volkswagen sind es Autos der Marken Porsche, Bentley und Lamborghini. All diese Exporte nach China wären von einem Gegenschlag der Volksrepublik betroffen.
Aber auch die aktuellen EU-Zölle gehen nicht an allen europäischen Anbietern spurlos vorbei:
Volkswagen und Mercedes verzichten dagegen (weitgehend) auf die Lieferung aus China in die EU.
Die umstrittenen Zölle sind ein Aufschlag auf die zehn Prozent, die die EU für Einfuhren aus allen WTO-Ländern erhebt, mit denen sie kein Freihandelsabkommen hat. Die Zollsätze verteilen sich wie folgt:
Zu den Anbietern, die mit der EU kooperiert haben und nun 20,8 Prozent zahlen müssen, gehören:
An Details und Sprachregelungen wird bis zur letzten Minute gearbeitet werden. Klar ist, dass das Paket an die Ukraine auf dem Nato-Gipfel in Washington aus vier unterschiedlichen Teilen bestehen wird. Kern sollen finanzielle Zusicherungen sein, die die Bündnispartner Kiew machen wollen. Der scheidende Generalsekretär Jens Stoltenberg wollte der Ukraine ursprünglich über mehrere Jahre hinweg 100 Milliarden Euro an Militärhilfen zusichern. Darauf konnten sich die 32 Mitgliedstaaten allerdings nicht einigen, auch weil – so heißt es in Brüssel – in vielen Mitgliedstaaten keine Budgetentscheidungen über mehrere Jahre hinweg ohne die nationalen Parlamente getroffen werden können.
Stattdessen hat man sich darauf geeinigt, lediglich innerhalb des nächsten Jahres Unterstützung im Umfang von mindestens 40 Milliarden Euro zuzusagen. Dies entspreche dem Niveau der Hilfe seit Beginn des russischen Angriffskriegs vor zweieinhalb Jahren. Wie es danach weitergeht, soll beim Gipfel 2025 besprochen werden. In der Abschlusserklärung soll trotzdem deutlich werden, dass die Nato auch darüber hinaus die entsprechende Hilfe leisten will. Und zwar so lange dies nötig sein werde.
Die genaue Ausgestaltung der Lastenteilung wird weiter verhandelt. Auch, welche Unterstützungen dazu gezählt werden und welche nicht. Aus deutscher Sicht will man die bilaterale Unterstützung und die Hilfe, die man im Rahmen der EU leistet, hineinrechnen. Berlin hat für dieses Jahr acht Milliarden Euro in Aussicht gestellt, was in etwa dem Anteil entspricht, den Deutschland leisten muss.
Unsicherheiten bestehen mit Blick auf die innenpolitischen Entwicklungen in relevanten Mitgliedsländern, allen voran den USA: Eine zweite Amtszeit des republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump könnte die Kontinuität der Ukraine-Hilfe infrage stellen. Zuletzt betonte der Ex-Präsident, dass er den Krieg in der Ukraine innerhalb kürzester Zeit stoppen könnte.
Vor diesem Hintergrund muss auch der zweite große Teil des Ukraine-Pakets gesehen werden – das “Nato Security Assistance and Training for Ukraine” (NSATU). Damit soll das US-geführte Ramstein-Format für die Koordinierung der Ukraine-Hilfen an die Nato-Struktur überführt und so sichergestellt werden, dass ein neuer US-Präsident die Hilfe nicht ohne Weiteres stoppen kann. Am Hauptsitz der Allianz ist in diesem Zusammenhang von “Trump Proofing” die Rede. Ob die Rechnung aufgeht, ist umstritten. Zusätzlicher Unsicherheitsfaktor ist Frankreich. Marine Le Pens Rassemblement National hat in der Vergangenheit auch schon mit dem erneuten Ausstieg aus dem integrierten Militärkommando gedroht.
Zudem will die Nato einen Sondergesandten in Kiew einsetzen, der vor Ort wie eine Art Botschafter die Bedürfnisse der Ukraine evaluieren und die Initiativen der Nato übersehen kann. Noch ist nicht bekannt, wer diese Rolle übernehmen soll. Die Mitgliedstaaten sind darum bemüht, einen Beamten mit Ukraine-Erfahrung für den Job zu finden.
Vierter Teil des Pakets ist die Sprachregelung mit Blick auf eine künftige Mitgliedschaft der Ukraine im Bündnis. Das Thema ist sensibel und zugleich symbolisch wichtig. Beim Nato-Gipfel in Vilnius vergangenes Jahr hatte Präsident Wolodymyr Selenskyj seiner Enttäuschung über die ausgebliebene Einladung über die sozialen Medien Luft gemacht und vorübergehend die Gipfelharmonie gefährdet. Ähnliche Misstöne will man diesmal um jeden Preis vermeiden.
In das Erwartungsmanagement ist diesmal auch Selenskyj selbst eingebunden, der ebenfalls in Washington erwartet wird. Bei der Sprachregelung will man “nicht hinter Bukarest und Vilnius” zurückfallen. Beim Gipfel in Bukarest 2008 wurde der Ukraine erstmals die Beitrittsperspektive in Aussicht gestellt. Und in Vilnius 2023 der “Membership Action Plan” (MAP) als Vorstufe gestrichen.
Am wichtigsten aber ist den Nato-Staaten nach wie vor, dass die Ukraine so schnell wie möglich die Waffensysteme erhält, die sie zur Verteidigung ihres Landes benötigt. Deswegen dürften in Washington parallel zu dem Paket auch weitere Sicherheitsabkommen geschlossen werden. Mit Blick auf die eigene Verteidigungsbereitschaft und die Probleme etwa bei der Munitionsbeschaffung wollen die Nato-Partner sich zudem zu einem Ausbau der Produktion von Rüstungsgütern verpflichten.
Vorgesehen ist, dass die Mitgliedstaaten regelmäßig nationale Verteidigungsindustriepläne vorlegen. Schon auf dem Gipfel kann die Ukraine auf weitere Patriot-Flugabwehrsysteme der Bündnispartner hoffen. Ob es tatsächlich sieben werden, wie von Kiew gewünscht, oder eventuell nur sechs, gehört zu den wenigen offenen Fragen, mit denen die Regierungschefs sich auf den letzten Metern vor dem Gipfel noch beschäftigen. Es soll vermieden werden, dass vor Ort noch zu viele Streitpunkte bestehen. Denn man will um jeden Preis ein Bild der Geschlossenheit nach Moskau senden.
08.07.-09.07.2024
Informelle Ministertagung Wettbewerb
Themen: Die zuständigen Minister kommen zu Beratungen zusammen. Infos
11.07.-12.07.2024
Informelle Ministertagung Umwelt
Themen: Diskussion über Klima- und Umweltfragen (Vorbereitung der COP29, Wettbewerbsfähigkeit der Kreislaufwirtschaft, robustes Wassermanagement, grenzüberschreitende Wasser- und Luftverschmutzung, grüne Finanzierungen der EIB). Infos
11.07.2024
EuGH-Urteil zur Verbandsklage wegen Verstößen gegen die Datenschutz-Grundverordnung
Themen: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entscheidet über die Voraussetzung für die Zulässigkeit von Verbandsklagen. Vorabentscheidungsersuchen
Es sollte eine zukunftsträchtige europäische Lösung geben, doch nun droht bei der Zertifizierung der Cybersicherheit von Cloud-Diensten eine Fragmentierung: Am Montag soll in Brüssel nach jahrelangen Vorarbeiten auf Expertenebene endlich eine Entscheidung über ein europäisches Zertifizierungssystem für Cybersicherheit (EUCS) fallen. Der europäische Branchenverband der Luft- und Raumfahrt-, Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (ASD) zeigt sich im Vorfeld alarmiert. So sei die höchste Sicherheitsstufe “High +” aus dem Vorschlag für das künftige EUCS-System im letzten Moment entfernt worden.
Der Branchenverband drängt darauf, dass die Europäische Gruppe für Sicherheitszertifizierung (ECCG) ihre Entscheidung verschiebt und die höchste Sicherheitsstufe wieder aufnimmt. Mit der Sicherheitsstufe “High+” müssten Anbieter von Cloud-Diensten garantieren, dass besonders sensible Daten im europäischen Hoheitsgebiet und unter EU-Kontrolle gespeichert werden. Der Standard würde auch garantieren, dass die Daten vor dem Zugriff aus Drittstaaten geschützt wären, dies etwa mit Blick auf extraterritoriale Vorschriften in den USA. Der hohe Schutzstandard werde auch mit Blick auf die wachsende Rolle von Künstlicher Intelligenz noch wichtiger werden.
Insbesondere Deutschland hat dem Vernehmen nach darauf gedrängt, die höchste Sicherheitsstufe aus dem europäischen System zu entfernen. Unter anderem mit dem Argument, dass es für besonders sensible Bereiche in den einzelnen Mitgliedstaaten ausreichende Vorkehrungen gebe. In Berlin befürchtet man, dass das Schutzsystem mit einer Sicherheitsstufe “High+” protektionistisch wirken könnte. Die einzigen großen Cloud-Anbieter operieren aus den USA.
Indirekt werde ein starkes EUCS-System den Aufbau eines europäischen Cloud-Systems befördern, entgegnet Leonardo Executive Giorgio Mosca, Vorsitzender der Taskforce für Cybersicherheit beim ASD. Die Forderung, die Sicherheitsstufe “High+” ins EUCS-System aufzunehmen, richte sich nicht gegen Google oder Amazon, die längst Datenzentren in Europa aufgebaut hätten. Das EUCS-System bleibe zudem freiwillig, der Wettbewerb deshalb nicht gefährdet.
Robuste und harmonisierte Schutzkriterien auf europäischer Ebene seien aber wichtig, um die Belastung für Unternehmen zu verringern, so Giorgio Mosca: “Wir brauchen eine Zertifizierung auf europäischer Ebene, die garantieren kann, dass Daten in der EU bearbeitet werden und ausschließlich europäischem Recht unterliegen”. Firmen mit hohen Sicherheitsbedürfnissen müssten sich sonst an unterschiedlichen nationalen Gesetzen orientieren. Es gehe um Kosten und Bürokratieaufwand, die eingespart werden könnten.
In Zukunft würden Cloud-Dienstleistungen im Hinblick auf Lieferketten quer durch Europa und die wachsende Rolle von KI immer wichtiger, so Mosca. Der Branchenverband befürchtet technische und wirtschaftliche Unsicherheit für Cloud-Anbieter, aber auch für die Nutzer in der Industrie. Das Ziel des EUCS müsse eine Harmonisierung sein, doch nun drohe eine Fragmentierung der Rechtsvorschriften und des Marktes. sti
Mit Finnland könnte in den kommenden Tagen ein weiterer europäischer Staat die umstrittenen Pushbacks von Geflüchteten und Migranten an der Grenze erlauben – obwohl dies nicht nur gegen die Verfassung des Landes verstoßen würde. Über ein entsprechendes Gesetz soll das finnische Parlament in Kürze abstimmen.
Die finnische Regierung will mit dem Gesetz Menschen an der Ostgrenze abwehren, die russische Sicherheitsorgane gezielt an die Grenze bringen. Moskau will damit – ähnlich wie Belarus im Baltikum und in Polen – Druck auf die EU ausüben. Geflüchtete und Migranten sind für autoritäre Mächte längst zu einem Mittel ihrer Geopolitik geworden. Demokratien wie Lettland, Litauen und Polen wehren sich jedoch mit höchst umstrittenen und von Fachleuten abgelehnten Maßnahmen dagegen, indem sie die von Belarus und Russland zu diesem Zweck benutzten Menschen zurückweisen.
“Sollte Finnland dieses Pushback-Gesetz verabschieden, muss die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten”, sagte der Grünen-Europaabgeordnete Erik Marquardt zu Table.Briefings. Finnland habe in den letzten Monaten nicht mehr als 200 Asylanträge entgegengenommen. “Wir können erwarten, dass sie diese Anträge einfach bearbeiten und rechtsstaatlich herausfinden, wer schutzbedürftig ist und wer nicht.” Wer europäische Werte ernsthaft verteidigen will, müsse auch erkennen, dass die Menschenrechte essenzieller Bestandteil Europas sind.
Im Mai 2023 hatte Litauen Pushbacks an seiner Grenze legalisiert. Lettland hatte im Oktober 2021 einen Ausnahmezustand ausgerufen, der die entsprechende Praxis erlaubt. Auch Polen, Griechenland und Kroatien schieben Geflüchtete und Migranten teils gewaltsam zurück – teilweise auch mit Todesfolge.
Für russische Medien ist der innereuropäische Streit über Migrationspolitik ein willkommenes Propagandathema. Dem eigenen Publikum präsentieren sie die Berichte darüber als Beweis für Europas “doppelte Standards”, weil die europäischen Staaten gegen die eigenen moralischen Regeln verstoßen.
In der gesamten EU beantragten 2023 rund eine Million Menschen Asyl (20 Prozent mehr als 2022), davon 4.559 in Finnland. Nach finnischen Angaben entspricht diese Zahl dem Wert vor der Corona-Pandemie. Bezogen auf die Bevölkerungszahl kommen in Finnland auf einen Asylsuchenden 1.216 Staatsbürger, in Deutschland beträgt das Verhältnis eins zu 252. vf
Die acht Abgeordneten der italienischen Fünf-Sterne-Bewegung im Europäischen Parlament treten der Fraktion der Linken bei. Es wurde eine sechsmonatige Probezeit vereinbart. Damit steigt die Anzahl der Abgeordneten der Linken von 39 auf 47.
Das Vorhaben von Bündnis Sarah Wagenknecht ist also gescheitert, mit den Fünf Sternen und anderen eine eigene Fraktion zu bilden. Die italienische Linke, die mit zwei Abgeordneten in der Linksfraktion vertreten ist, hat der Aufnahme der Fünf Sterne auf Probe zugestimmt. mgr
Das Vereinte Königreich hat gewählt. Und so langsam scheinen die Briten mit dem politischen Tsunami, der 2016 mit dem Brexit-Referendum begann, abgeschlossen zu haben – auch wenn das Land immer noch mit den Folgen zu kämpfen hat.
Auf der anderen Seite des Kanals erlebt Frankreich gerade seinen Brexit-Moment. Die Frage ist, ob die französischen Wähler am Sonntag dem Rassemblement National (RN) die absolute Mehrheit geben werden. Wenn der RN die 289-Sitze-Schwelle schafft, wird der Parteivorsitzende Jordan Bardella Premierminister und Chef einer Regierung mit Ministern aus den Reihen der extremen Rechten. Wie der Brexit wird diese neue Regierung einen politischen Tsunami in Frankreich – und in Europa – auslösen.
Im Rat entscheiden die Mitgliedstaaten meist mit qualifizierter Mehrheit: Wenn sich mindestens vier Mitgliedstaaten, die 35 Prozent der EU-Bevölkerung vertreten, zusammenschließen, um gegen Gesetzesvorschläge zu stimmen oder sich zu enthalten, bilden sie eine Sperrminorität. Und genau das könnte mit einer RN-Regierung bald häufiger vorkommen. “Die von Rechtsextremen geführten Regierungen in der EU würden die Sperrminorität mit Frankreich erreichen”, bemerkt der Europaabgeordnete und ehemaliger Vorsitzende des Umweltausschusses Pascal Canfin. Die Stimmen der Regierungen Italiens, Ungarns, der Niederlande, der Slowakei und Frankreichs machen zusammen 35,7 Prozent der EU-Bevölkerung aus.
Als der französische Europaminister Jean-Noël Barrot Ende Juni von den französischen Senatoren bei einer Anhörung zu diesem Thema befragt wurde, schob er diese Gefahr beiseite. “Es braucht keine nationalistische Partei, um eine Sperrminorität zu bilden, denn wir haben sie auch schon zuvor gebildet, um Texte zu verhindern, die gegen die französischen Interessen gerichtet waren”, bemerkte er.
In Paris und Brüssel ist man sich einig, dass es in Paris vor allem dann zum politischen Showdown kommen wird, wenn Präsident Emmanuel Macron mit einer RN-Regierung zusammenarbeiten muss. “Der Premierminister und die Regierung spielen eine sehr wichtige Rolle in der französischen Europapolitik”, so ein französischer Diplomat. Sie werde nicht nur im Élysée-Palast gemacht.
De facto wird die Europapolitik Frankreichs vom Generalsekretariat für europäische Angelegenheiten geleitet – der Behörde, die auf interministerieller Ebene die Europapolitik des Landes steuert. Sie wird auch von der ständigen Vertretung Frankreichs in Brüssel geleitet, die über eine führende Rolle bei den technischen und diplomatischen Verhandlungen im Rat verfügt. Beide Instanzen werden in erster Linie von der Regierung und nicht vom Élysée-Palast direkt gesteuert.
Wenn der RN an die Macht kommt, wird die Verabschiedung des EU-Budgets der nächsten sieben Jahre zu ernsthaften Spannungen führen. “Die Verhandlungen über den mehrjährigen Finanzrahmen für den Zeitraum 2028 bis 2034 werden komplizierter als sonst, da die EU mit einer Vielzahl von Ausgabenanträgen konfrontiert ist”, beobachtet Eulalia Rubio, Senior Researcher für europäische Wirtschaftsangelegenheiten am Jacques-Delors-Institut. Der RN fordert eine Kürzung des französischen Beitrags zum EU-Haushalt um “zwei bis drei Milliarden” Euro. Der Nettobeitrag Frankreichs beläuft sich auf etwa neun Milliarden Euro pro Jahr.
Sollte der RN an die Macht kommen und die Forderung wahr machen, werden die Verhandlungen noch komplizierter, denn der Haushalt wird einstimmig verabschiedet, was allen Staaten ein Vetorecht verleiht. Rubio erwartet, dass eine RN-Regierung sich gegen jede zusätzliche Forderung ans EU-Budget stellen wird – sei es für die Verteidigungsausgaben, die Unterstützung der Ukraine oder auch die Finanzierung von Stromnetzen. “Die neue politische Ausrichtung in Frankreich könnte die fiskalischen Ambitionen Europas erheblich schmälern”, bilanziert Rubio.
Ein Erdrutschsieg von Labour bei der Unterhaus-Wahl im Vereinten Königreich war erwartet worden. Dass er so deutlich ausfällt, dürfte dennoch für lange Gesichter bei den Tories sorgen. Nach Schließung der Wahllokale um 23 Uhr am Donnerstagabend ergeben die meist sehr präzisen britischen Exit Polls eine absolute Mehrheit für Keir Starmers Sozialdemokraten.
Labour hat demnach 410 der 650 Sitze im House of Commons, fast doppelt so viele wie bisher. Die Tories bekommen mit 131 Sitzen nicht einmal halb so viele Abgeordnete wie zuletzt. Die Liberal Democrats erhalten 61 Sitze, Nigel Farages Reform UK 13 Sitze und die Scottish National Party 10 Sitze.
Während die rechten Kräfte bei den Europawahlen vor einem Monat zulegten, scheint das Königreich entgegen aller Trends nach Links zu rücken. Für die Beziehungen zur EU bietet das eine Chance. Zwar wird auch ein Premier Keir Starmer keine Rückkehr Großbritanniens in die EU anstreben, jedoch könnte es in einzelnen Politikfeldern wieder mehr Zusammenarbeit geben.
Insbesondere gilt das für die Außen- und Sicherheitspolitik, da hier eine Zusammenarbeit unabhängig vom EU-Binnenmarkt möglich ist und das Vereinte Königreich sich nicht an EU-Regeln anpassen muss. Für die EU dürfte die Zusammenarbeit auch deshalb leichter werden, weil sie nicht mehr mit den für den Brexit verantwortlichen Tories reden müssen.
Labour bietet also die Möglichkeit für die Erneuerung der Beziehungen. Eine starke Partnerschaft innerhalb der westlichen Bündnisse G7 und Nato könnte vor allem im Falle einer Wiederwahl Donald Trumps in den USA wichtig werden. Europäische Sicherheit würde dann im Weißen Haus voraussichtlich keine so große Rolle mehr spielen und Europa müsste wieder mehr zusammenrücken.
Starten Sie gut ins Wochenende, aber lesen Sie vorher Europe.Table.
Ursula von der Leyen bemüht sich um die Unterstützung von EVP, S&D, Renew und Grünen. Sie nimmt sich Zeit, um ausgiebig mit den Fraktionen zu sprechen, führt Einzelgespräche mit Abgeordneten. Die Fraktionen formulieren ihre inhaltlichen Forderungen. Von Zusagen von der Leyens, dass die Forderungen erfüllt werden, machen sie ihre Stimmen beim Wahlgang in der ersten Sitzungswoche des neuen Europaparlaments ab 16. Juli in Straßburg abhängig. Im Folgenden ein Überblick der Forderungen.
EVP-Chef Manfred Weber hat einen 5-Punkte-Plan mit Vorhaben aufgestellt, über den die 188 künftigen Abgeordneten mit von der Leyen bis Donnerstagnachmittag diskutiert haben.
Im ersten Abschnitt geht es um Verteidigung und Sicherheit. “Europa muss dazu in der Lage sein, sich selbst verteidigen zu können und seinen Verpflichtungen in der Nato nachzukommen.”
Im zweiten Abschnitt geht es darum, die illegale Zuwanderung zu stoppen. Nicht Schmuggler, sondern der Staat müsse entscheiden, wer aufgenommen wird:
Das dritte Kapitel zeichnet die Wettbewerbsstrategie. Der Binnenmarkt und die Innovationsfähigkeit sind die Mittel, um die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern und die Wirtschaftsbeziehungen auszubauen:
Im vierten Kapitel geht es um den Schutz des europäischen Lebensstils. Ziel sei, Brücken zwischen den Generationen zu bauen sowie Klima und Planeten für kommende Generationen zu schützen:
Das fünfte Kapitel ist überschrieben mit Stärkung der Demokratie in der Welt. Im neuen globalen Umfeld könne Europa seine Interessen nur verteidigen, wenn es mit einer Stimme spreche, schnell reagiere und sich umgehend mit seinen Partnern abspreche.
Die Sozialdemokraten haben ebenfalls ein Papier mit Schlüsselforderungen zusammengetragen. Sie streben zur Finanzierung der Sozial-, Klima- und Industriepolitik einen Nachfolger für NextGenerationEU an. Das Investitionsprogramm zur Abfederung der Corona-Krise läuft Ende 2026 aus. Im Einzelnen fordern sie:
Finanzieren wollen sie damit unter anderem einen Green Deal Industrial Act mit einer Weiterentwicklung des Net-Zero Industry Act zu einem Buy Green and European Act. Der nächste Mehrjährige Finanzrahmen (MFR) und die neuen Eigenmittel sollen außerdem neue Verteidigungsausgaben ermöglichen.
Im Umweltbereich setzt sich S&D in der finalen Version des Forderungspapiers für ein CO₂-Reduktionsziel von 90 bis 95 Prozent für das Jahr 2040 ein und ein Festhalten am Verbrenner-Aus 2035 sowie der Verordnung für entwaldungsfreie Lieferketten.
Die Rechtsstaatlichkeit wollen die Sozialdemokraten durch Mehrheitsentscheidungen bei Verfahren nach Artikel 7 stärken. Vertragsverletzungsverfahren sollen konsequent vor den EuGH gebracht werden. Die Wahrung von Grundrechten und demokratischen Prinzipien soll eine Grundbedingung für den Zugang zu sämtlichen EU-Förderprogrammen sein.
Die Renew-Fraktion wird von der Leyen Dienstag oder Mittwoch empfangen. Der genaue Termin stand noch nicht fest. Die Liberalen diskutierten bei ihrer Sitzung am vergangenen Dienstag intern über ihre Forderungen an die designierte neue Kommissionspräsidentin. Die Fraktionsführung um Valérie Hayer ist aktuell dabei, den konsolidierten Forderungskatalog zu Papier zu bringen. Aus Sicht der Liberalen handelt es sich dabei um Bedingungen, die von der Leyen aufgreifen muss, wenn sie mit den Stimmen der Renew-Abgeordneten für eine zweite Amtszeit gewählt werden will.
Die Forderungen beziehen sich laut Beteiligten auf das institutionelle Gefüge wie auf inhaltliche Punkte:
Die Grünen haben bislang kein Papier mit ihren Forderungen geschrieben. In Gesprächen mit von der Leyen haben sie aber deutlich gemacht, was ihre Prioritäten sind:
Die Ankündigung der EU, zusätzliche Zölle auf chinesische Elektroautos zu erheben, fällt in ein zunehmend aufgeheiztes Klima. Die deutsche Autoindustrie zeigt sich nervöser denn je, während EU und China einander mangelnde Kompromissbereitschaft vorwerfen. Zwar betonen beide Seiten, eine Verhandlungslösung anzustreben. Doch ihre Positionen sind noch weit voneinander entfernt.
Ab der Nacht von Donnerstag auf Freitag gelten die Extra-Zölle, zunächst vorläufig. Erst ab November müssen die Hersteller tatsächlich die Sätze zwischen 17,4 und 37,6 Prozent zahlen. Die anfänglich genannte Zahl von 38,1 Prozent wurde nach Neuberechnungen leicht reduziert. Es gilt der etwas niedrigere Höchstsatz für Hersteller, die nicht mit den EU-Ermittlern kooperiert haben.
Aus chinesischer Sicht sind die Zölle ein unfairer Angriff auf Chinas Aufstieg und werden zusammen mit den undifferenzierten US-Zöllen von 100 Prozent auf chinesische E-Autos wahrgenommen. Die eigene Unterstützung für die noch junge Elektroauto-Industrie gilt wiederum als Instrument der Umweltpolitik.
Mit Marktkräften allein dauere es 20 bis 30 Jahre länger als unter dem Einfluss gezielter Förderung, die Wende zu klimafreundlichen Antriebsformen zu schaffen, sagte der Handelsexperte Cui Fan von der University of International Business and Economics in der Propaganda-Zeitung China Daily. Die weltweite grüne Transformation habe keine Zeit, auf einen so langsamen Übergang zu warten.
Die Forderung der EU nach einer Rückführung der Subventionen widerspricht denn auch völlig der industriepolitischen Logik in China. Die orientiert sich noch an vielen anderen Maßstäben als dem Export nach Europa, darunter Umwelt- und Modernisierungsziele, aber auch die Stützung des Arbeitsmarkts und die Entwicklung von strukturschwachen Regionen.
Die Subventionen sind so tief im System verankert, dass sie sich nicht an einem einzelnen Schalter abstellen oder herunterdrehen lassen. Als wichtige Ursache für die niedrigen Preise gilt die unkoordinierte Förderung örtlicher Anbieter in den Provinzen, die selbständig entscheiden. Dazu kam ein dramatischer Absatzrückgang infolge der immer schwereren Immobilienkrise.
Die EU-Kommission sieht dagegen in der chinesischen Förderung seiner Fahrzeugindustrie unfaire Subventionen, die zum Ziel haben, fremde Märkte zu dominieren. Die Positionen liegen nach ersten Gesprächen zwischen Handelskommissar Valdis Dombrovskis und Handelsminister Wang Wentao noch weit auseinander. Dombrovskis erklärte, die eigene Untersuchung sei so ausgewogen, dass ein Gegenschlag sinnlos sei. Am Donnerstag aber kündigte Chinas Handelsministerium eine Anti-Dumping-Prüfung für die Chemikalien-Klasse der Toluidine aus der EU an.
Das chinesische Handelsministerium ließ am Donnerstag alle Möglichkeiten offen. “Wir hoffen, dass die europäische und die chinesische Seite sich in die gleiche Richtung bewegen und dabei Aufrichtigkeit und Ernsthaftigkeit zeigen”, sagte ein Sprecher des Ministeriums. Das viermonatige Zeitfenster sei zu nutzen, um den Beratungsprozess voranzutreiben.
Deutsche Autobauer wie Volkswagen stellten sich am Donnerstag erneut gegen die Zusatzzölle. Aus Sicht von VW überwiegen die negativen Auswirkungen dieser Entscheidung die positiven Effekte für die europäische und insbesondere die deutsche Autoindustrie. Der Konzern begrüße den Wettbewerb und halte ihn für wichtig, um den Markt für E-Autos in Schwung zu bringen.
Der Bundesverband der Deutschen Industrie stellte sich am Donnerstag mit einer gewundenen Erklärung der Aufgabe, die vielfältigen Interessen seiner Mitgliedsunternehmen und die eigene Lageeinschätzung in einer Position zu integrieren. “Vorläufige Ausgleichszölle sind kein Widerspruch zu Verhandlungen”, ließ BDI-Hauptgeschäftsführerin Tanja Gönner mitteilen. “Die Verhandlungslinie der Kommission sollte die Interessenvielfalt in der EU widerspiegeln.” Sprich: Sie soll im Sinne Deutschlands nicht zu hart und kompromisslos in die Gespräche gehen. Doch: “Der BDI tritt dafür ein, marktverzerrende Auswirkungen staatlicher Industriepolitik zu minimieren und unfairen Handelspraktiken entgegenzutreten.”
Ökonomen bestätigen derweil die Wahrnehmung, dass China nach internationalen Maßstäben in ganz erheblich marktverzerrender Weise subventioniert. Die Zölle gelten grundsätzlich als Mittel, um den EU-Markt davor zu schützen.
Die Einfuhr von Kfz aus China könnte durch die Maßnahme um 42 Prozent zurückgehen, schätzen das Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel), das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) und das Supply Chain Intelligence Institute Austria (ASCII) in einer am Donnerstag veröffentlichten Berechnung. Profiteure wären vor allem EU-Marken, deren Absatz entsprechend stärker steigen kann.
Tatsächlich steigt Chinas Export steil an. Von Januar bis Mai stieg die Ausfuhr von E-Autos in alle Weltgegenden um knapp 14 Prozent auf eine gute halbe Million Stück, wie aktuelle Zahlen der China Association of Automobile Manufacturers zeigen. Das entspricht der Einschätzung der EU, dass die bisher niedrigen Absatzzahlen nicht darüber hinwegtäuschen sollten, dass der Export der günstigen Produkte ohne Handelsmaßnahmen lawinenartig ansteigen könnte.
Der Widerstand der deutschen Autoindustrie hat vielfältige Gründe. Anders als in der EU-Spitze und bei vielen Ökonomen, die das geopolitische und makroökonomische Gesamtbild einbeziehen, liegt der Fokus von Konzernmanagern auf aktuellen Geschäftszahlen. Hier ist die China-Abhängigkeit weiterhin sehr hoch.
Dazu kommt, dass viele deutsche Anbieter selbst in China für Europa produzieren und umgekehrt. Sie sind also akut für Zölle anfällig.
Sowohl Mercedes als auch BMW geben an, rund 80 Prozent der Autos für den chinesischen Markt vor Ort in China zu produzieren, aber 20 Prozent aus Europa zu verschiffen. Das sind vor allem die absoluten Top-Modelle wie die BMW 8er und 7er. Bei Volkswagen sind es Autos der Marken Porsche, Bentley und Lamborghini. All diese Exporte nach China wären von einem Gegenschlag der Volksrepublik betroffen.
Aber auch die aktuellen EU-Zölle gehen nicht an allen europäischen Anbietern spurlos vorbei:
Volkswagen und Mercedes verzichten dagegen (weitgehend) auf die Lieferung aus China in die EU.
Die umstrittenen Zölle sind ein Aufschlag auf die zehn Prozent, die die EU für Einfuhren aus allen WTO-Ländern erhebt, mit denen sie kein Freihandelsabkommen hat. Die Zollsätze verteilen sich wie folgt:
Zu den Anbietern, die mit der EU kooperiert haben und nun 20,8 Prozent zahlen müssen, gehören:
An Details und Sprachregelungen wird bis zur letzten Minute gearbeitet werden. Klar ist, dass das Paket an die Ukraine auf dem Nato-Gipfel in Washington aus vier unterschiedlichen Teilen bestehen wird. Kern sollen finanzielle Zusicherungen sein, die die Bündnispartner Kiew machen wollen. Der scheidende Generalsekretär Jens Stoltenberg wollte der Ukraine ursprünglich über mehrere Jahre hinweg 100 Milliarden Euro an Militärhilfen zusichern. Darauf konnten sich die 32 Mitgliedstaaten allerdings nicht einigen, auch weil – so heißt es in Brüssel – in vielen Mitgliedstaaten keine Budgetentscheidungen über mehrere Jahre hinweg ohne die nationalen Parlamente getroffen werden können.
Stattdessen hat man sich darauf geeinigt, lediglich innerhalb des nächsten Jahres Unterstützung im Umfang von mindestens 40 Milliarden Euro zuzusagen. Dies entspreche dem Niveau der Hilfe seit Beginn des russischen Angriffskriegs vor zweieinhalb Jahren. Wie es danach weitergeht, soll beim Gipfel 2025 besprochen werden. In der Abschlusserklärung soll trotzdem deutlich werden, dass die Nato auch darüber hinaus die entsprechende Hilfe leisten will. Und zwar so lange dies nötig sein werde.
Die genaue Ausgestaltung der Lastenteilung wird weiter verhandelt. Auch, welche Unterstützungen dazu gezählt werden und welche nicht. Aus deutscher Sicht will man die bilaterale Unterstützung und die Hilfe, die man im Rahmen der EU leistet, hineinrechnen. Berlin hat für dieses Jahr acht Milliarden Euro in Aussicht gestellt, was in etwa dem Anteil entspricht, den Deutschland leisten muss.
Unsicherheiten bestehen mit Blick auf die innenpolitischen Entwicklungen in relevanten Mitgliedsländern, allen voran den USA: Eine zweite Amtszeit des republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump könnte die Kontinuität der Ukraine-Hilfe infrage stellen. Zuletzt betonte der Ex-Präsident, dass er den Krieg in der Ukraine innerhalb kürzester Zeit stoppen könnte.
Vor diesem Hintergrund muss auch der zweite große Teil des Ukraine-Pakets gesehen werden – das “Nato Security Assistance and Training for Ukraine” (NSATU). Damit soll das US-geführte Ramstein-Format für die Koordinierung der Ukraine-Hilfen an die Nato-Struktur überführt und so sichergestellt werden, dass ein neuer US-Präsident die Hilfe nicht ohne Weiteres stoppen kann. Am Hauptsitz der Allianz ist in diesem Zusammenhang von “Trump Proofing” die Rede. Ob die Rechnung aufgeht, ist umstritten. Zusätzlicher Unsicherheitsfaktor ist Frankreich. Marine Le Pens Rassemblement National hat in der Vergangenheit auch schon mit dem erneuten Ausstieg aus dem integrierten Militärkommando gedroht.
Zudem will die Nato einen Sondergesandten in Kiew einsetzen, der vor Ort wie eine Art Botschafter die Bedürfnisse der Ukraine evaluieren und die Initiativen der Nato übersehen kann. Noch ist nicht bekannt, wer diese Rolle übernehmen soll. Die Mitgliedstaaten sind darum bemüht, einen Beamten mit Ukraine-Erfahrung für den Job zu finden.
Vierter Teil des Pakets ist die Sprachregelung mit Blick auf eine künftige Mitgliedschaft der Ukraine im Bündnis. Das Thema ist sensibel und zugleich symbolisch wichtig. Beim Nato-Gipfel in Vilnius vergangenes Jahr hatte Präsident Wolodymyr Selenskyj seiner Enttäuschung über die ausgebliebene Einladung über die sozialen Medien Luft gemacht und vorübergehend die Gipfelharmonie gefährdet. Ähnliche Misstöne will man diesmal um jeden Preis vermeiden.
In das Erwartungsmanagement ist diesmal auch Selenskyj selbst eingebunden, der ebenfalls in Washington erwartet wird. Bei der Sprachregelung will man “nicht hinter Bukarest und Vilnius” zurückfallen. Beim Gipfel in Bukarest 2008 wurde der Ukraine erstmals die Beitrittsperspektive in Aussicht gestellt. Und in Vilnius 2023 der “Membership Action Plan” (MAP) als Vorstufe gestrichen.
Am wichtigsten aber ist den Nato-Staaten nach wie vor, dass die Ukraine so schnell wie möglich die Waffensysteme erhält, die sie zur Verteidigung ihres Landes benötigt. Deswegen dürften in Washington parallel zu dem Paket auch weitere Sicherheitsabkommen geschlossen werden. Mit Blick auf die eigene Verteidigungsbereitschaft und die Probleme etwa bei der Munitionsbeschaffung wollen die Nato-Partner sich zudem zu einem Ausbau der Produktion von Rüstungsgütern verpflichten.
Vorgesehen ist, dass die Mitgliedstaaten regelmäßig nationale Verteidigungsindustriepläne vorlegen. Schon auf dem Gipfel kann die Ukraine auf weitere Patriot-Flugabwehrsysteme der Bündnispartner hoffen. Ob es tatsächlich sieben werden, wie von Kiew gewünscht, oder eventuell nur sechs, gehört zu den wenigen offenen Fragen, mit denen die Regierungschefs sich auf den letzten Metern vor dem Gipfel noch beschäftigen. Es soll vermieden werden, dass vor Ort noch zu viele Streitpunkte bestehen. Denn man will um jeden Preis ein Bild der Geschlossenheit nach Moskau senden.
08.07.-09.07.2024
Informelle Ministertagung Wettbewerb
Themen: Die zuständigen Minister kommen zu Beratungen zusammen. Infos
11.07.-12.07.2024
Informelle Ministertagung Umwelt
Themen: Diskussion über Klima- und Umweltfragen (Vorbereitung der COP29, Wettbewerbsfähigkeit der Kreislaufwirtschaft, robustes Wassermanagement, grenzüberschreitende Wasser- und Luftverschmutzung, grüne Finanzierungen der EIB). Infos
11.07.2024
EuGH-Urteil zur Verbandsklage wegen Verstößen gegen die Datenschutz-Grundverordnung
Themen: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entscheidet über die Voraussetzung für die Zulässigkeit von Verbandsklagen. Vorabentscheidungsersuchen
Es sollte eine zukunftsträchtige europäische Lösung geben, doch nun droht bei der Zertifizierung der Cybersicherheit von Cloud-Diensten eine Fragmentierung: Am Montag soll in Brüssel nach jahrelangen Vorarbeiten auf Expertenebene endlich eine Entscheidung über ein europäisches Zertifizierungssystem für Cybersicherheit (EUCS) fallen. Der europäische Branchenverband der Luft- und Raumfahrt-, Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (ASD) zeigt sich im Vorfeld alarmiert. So sei die höchste Sicherheitsstufe “High +” aus dem Vorschlag für das künftige EUCS-System im letzten Moment entfernt worden.
Der Branchenverband drängt darauf, dass die Europäische Gruppe für Sicherheitszertifizierung (ECCG) ihre Entscheidung verschiebt und die höchste Sicherheitsstufe wieder aufnimmt. Mit der Sicherheitsstufe “High+” müssten Anbieter von Cloud-Diensten garantieren, dass besonders sensible Daten im europäischen Hoheitsgebiet und unter EU-Kontrolle gespeichert werden. Der Standard würde auch garantieren, dass die Daten vor dem Zugriff aus Drittstaaten geschützt wären, dies etwa mit Blick auf extraterritoriale Vorschriften in den USA. Der hohe Schutzstandard werde auch mit Blick auf die wachsende Rolle von Künstlicher Intelligenz noch wichtiger werden.
Insbesondere Deutschland hat dem Vernehmen nach darauf gedrängt, die höchste Sicherheitsstufe aus dem europäischen System zu entfernen. Unter anderem mit dem Argument, dass es für besonders sensible Bereiche in den einzelnen Mitgliedstaaten ausreichende Vorkehrungen gebe. In Berlin befürchtet man, dass das Schutzsystem mit einer Sicherheitsstufe “High+” protektionistisch wirken könnte. Die einzigen großen Cloud-Anbieter operieren aus den USA.
Indirekt werde ein starkes EUCS-System den Aufbau eines europäischen Cloud-Systems befördern, entgegnet Leonardo Executive Giorgio Mosca, Vorsitzender der Taskforce für Cybersicherheit beim ASD. Die Forderung, die Sicherheitsstufe “High+” ins EUCS-System aufzunehmen, richte sich nicht gegen Google oder Amazon, die längst Datenzentren in Europa aufgebaut hätten. Das EUCS-System bleibe zudem freiwillig, der Wettbewerb deshalb nicht gefährdet.
Robuste und harmonisierte Schutzkriterien auf europäischer Ebene seien aber wichtig, um die Belastung für Unternehmen zu verringern, so Giorgio Mosca: “Wir brauchen eine Zertifizierung auf europäischer Ebene, die garantieren kann, dass Daten in der EU bearbeitet werden und ausschließlich europäischem Recht unterliegen”. Firmen mit hohen Sicherheitsbedürfnissen müssten sich sonst an unterschiedlichen nationalen Gesetzen orientieren. Es gehe um Kosten und Bürokratieaufwand, die eingespart werden könnten.
In Zukunft würden Cloud-Dienstleistungen im Hinblick auf Lieferketten quer durch Europa und die wachsende Rolle von KI immer wichtiger, so Mosca. Der Branchenverband befürchtet technische und wirtschaftliche Unsicherheit für Cloud-Anbieter, aber auch für die Nutzer in der Industrie. Das Ziel des EUCS müsse eine Harmonisierung sein, doch nun drohe eine Fragmentierung der Rechtsvorschriften und des Marktes. sti
Mit Finnland könnte in den kommenden Tagen ein weiterer europäischer Staat die umstrittenen Pushbacks von Geflüchteten und Migranten an der Grenze erlauben – obwohl dies nicht nur gegen die Verfassung des Landes verstoßen würde. Über ein entsprechendes Gesetz soll das finnische Parlament in Kürze abstimmen.
Die finnische Regierung will mit dem Gesetz Menschen an der Ostgrenze abwehren, die russische Sicherheitsorgane gezielt an die Grenze bringen. Moskau will damit – ähnlich wie Belarus im Baltikum und in Polen – Druck auf die EU ausüben. Geflüchtete und Migranten sind für autoritäre Mächte längst zu einem Mittel ihrer Geopolitik geworden. Demokratien wie Lettland, Litauen und Polen wehren sich jedoch mit höchst umstrittenen und von Fachleuten abgelehnten Maßnahmen dagegen, indem sie die von Belarus und Russland zu diesem Zweck benutzten Menschen zurückweisen.
“Sollte Finnland dieses Pushback-Gesetz verabschieden, muss die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten”, sagte der Grünen-Europaabgeordnete Erik Marquardt zu Table.Briefings. Finnland habe in den letzten Monaten nicht mehr als 200 Asylanträge entgegengenommen. “Wir können erwarten, dass sie diese Anträge einfach bearbeiten und rechtsstaatlich herausfinden, wer schutzbedürftig ist und wer nicht.” Wer europäische Werte ernsthaft verteidigen will, müsse auch erkennen, dass die Menschenrechte essenzieller Bestandteil Europas sind.
Im Mai 2023 hatte Litauen Pushbacks an seiner Grenze legalisiert. Lettland hatte im Oktober 2021 einen Ausnahmezustand ausgerufen, der die entsprechende Praxis erlaubt. Auch Polen, Griechenland und Kroatien schieben Geflüchtete und Migranten teils gewaltsam zurück – teilweise auch mit Todesfolge.
Für russische Medien ist der innereuropäische Streit über Migrationspolitik ein willkommenes Propagandathema. Dem eigenen Publikum präsentieren sie die Berichte darüber als Beweis für Europas “doppelte Standards”, weil die europäischen Staaten gegen die eigenen moralischen Regeln verstoßen.
In der gesamten EU beantragten 2023 rund eine Million Menschen Asyl (20 Prozent mehr als 2022), davon 4.559 in Finnland. Nach finnischen Angaben entspricht diese Zahl dem Wert vor der Corona-Pandemie. Bezogen auf die Bevölkerungszahl kommen in Finnland auf einen Asylsuchenden 1.216 Staatsbürger, in Deutschland beträgt das Verhältnis eins zu 252. vf
Die acht Abgeordneten der italienischen Fünf-Sterne-Bewegung im Europäischen Parlament treten der Fraktion der Linken bei. Es wurde eine sechsmonatige Probezeit vereinbart. Damit steigt die Anzahl der Abgeordneten der Linken von 39 auf 47.
Das Vorhaben von Bündnis Sarah Wagenknecht ist also gescheitert, mit den Fünf Sternen und anderen eine eigene Fraktion zu bilden. Die italienische Linke, die mit zwei Abgeordneten in der Linksfraktion vertreten ist, hat der Aufnahme der Fünf Sterne auf Probe zugestimmt. mgr
Das Vereinte Königreich hat gewählt. Und so langsam scheinen die Briten mit dem politischen Tsunami, der 2016 mit dem Brexit-Referendum begann, abgeschlossen zu haben – auch wenn das Land immer noch mit den Folgen zu kämpfen hat.
Auf der anderen Seite des Kanals erlebt Frankreich gerade seinen Brexit-Moment. Die Frage ist, ob die französischen Wähler am Sonntag dem Rassemblement National (RN) die absolute Mehrheit geben werden. Wenn der RN die 289-Sitze-Schwelle schafft, wird der Parteivorsitzende Jordan Bardella Premierminister und Chef einer Regierung mit Ministern aus den Reihen der extremen Rechten. Wie der Brexit wird diese neue Regierung einen politischen Tsunami in Frankreich – und in Europa – auslösen.
Im Rat entscheiden die Mitgliedstaaten meist mit qualifizierter Mehrheit: Wenn sich mindestens vier Mitgliedstaaten, die 35 Prozent der EU-Bevölkerung vertreten, zusammenschließen, um gegen Gesetzesvorschläge zu stimmen oder sich zu enthalten, bilden sie eine Sperrminorität. Und genau das könnte mit einer RN-Regierung bald häufiger vorkommen. “Die von Rechtsextremen geführten Regierungen in der EU würden die Sperrminorität mit Frankreich erreichen”, bemerkt der Europaabgeordnete und ehemaliger Vorsitzende des Umweltausschusses Pascal Canfin. Die Stimmen der Regierungen Italiens, Ungarns, der Niederlande, der Slowakei und Frankreichs machen zusammen 35,7 Prozent der EU-Bevölkerung aus.
Als der französische Europaminister Jean-Noël Barrot Ende Juni von den französischen Senatoren bei einer Anhörung zu diesem Thema befragt wurde, schob er diese Gefahr beiseite. “Es braucht keine nationalistische Partei, um eine Sperrminorität zu bilden, denn wir haben sie auch schon zuvor gebildet, um Texte zu verhindern, die gegen die französischen Interessen gerichtet waren”, bemerkte er.
In Paris und Brüssel ist man sich einig, dass es in Paris vor allem dann zum politischen Showdown kommen wird, wenn Präsident Emmanuel Macron mit einer RN-Regierung zusammenarbeiten muss. “Der Premierminister und die Regierung spielen eine sehr wichtige Rolle in der französischen Europapolitik”, so ein französischer Diplomat. Sie werde nicht nur im Élysée-Palast gemacht.
De facto wird die Europapolitik Frankreichs vom Generalsekretariat für europäische Angelegenheiten geleitet – der Behörde, die auf interministerieller Ebene die Europapolitik des Landes steuert. Sie wird auch von der ständigen Vertretung Frankreichs in Brüssel geleitet, die über eine führende Rolle bei den technischen und diplomatischen Verhandlungen im Rat verfügt. Beide Instanzen werden in erster Linie von der Regierung und nicht vom Élysée-Palast direkt gesteuert.
Wenn der RN an die Macht kommt, wird die Verabschiedung des EU-Budgets der nächsten sieben Jahre zu ernsthaften Spannungen führen. “Die Verhandlungen über den mehrjährigen Finanzrahmen für den Zeitraum 2028 bis 2034 werden komplizierter als sonst, da die EU mit einer Vielzahl von Ausgabenanträgen konfrontiert ist”, beobachtet Eulalia Rubio, Senior Researcher für europäische Wirtschaftsangelegenheiten am Jacques-Delors-Institut. Der RN fordert eine Kürzung des französischen Beitrags zum EU-Haushalt um “zwei bis drei Milliarden” Euro. Der Nettobeitrag Frankreichs beläuft sich auf etwa neun Milliarden Euro pro Jahr.
Sollte der RN an die Macht kommen und die Forderung wahr machen, werden die Verhandlungen noch komplizierter, denn der Haushalt wird einstimmig verabschiedet, was allen Staaten ein Vetorecht verleiht. Rubio erwartet, dass eine RN-Regierung sich gegen jede zusätzliche Forderung ans EU-Budget stellen wird – sei es für die Verteidigungsausgaben, die Unterstützung der Ukraine oder auch die Finanzierung von Stromnetzen. “Die neue politische Ausrichtung in Frankreich könnte die fiskalischen Ambitionen Europas erheblich schmälern”, bilanziert Rubio.