Table.Briefing: Europe

Triell + Grünen-Wahlprogramm + EU-Regeln für E-Fuels

  • EU-Flottengrenzwerte und Energiebesteuerung bremsen E-Fuels
  • Wahlcheck III: Das Wahlprogramm der Grünen
  • EU-Finanzminister beraten über Stabilitätspakt
  • Apple muss seinen App-Store für Wettbewerb öffnen
  • Weber fordert europäische Cyberabwehr-Brigade
  • Merkel mahnt politische Lösung im Streit über polnische Justiz an
  • Pariser Bürgermeisterin will Präsidentin werden
  • Im Portrait: Katja Leikert
  • Triell ohne Europa
Liebe Leserin, lieber Leser,

das zweite Kanzler:innen-Triell ist geschafft. Wie erwartet, viel schlauer sind wir am Europe.Table dadurch nicht geworden. Erneut fehlte die europapolitische Komponente in der TV-Debatte. Als spielte es keine Rolle, wie das wichtigste Mitgliedsland künftig in der EU agieren soll. Auch hinsichtlich des Siegers ähnelte das zweite Triell dem ersten: Die meisten Zuschauer hielten laut Umfrage Olaf Scholz für den besten Kandidaten.

Wir machen unverdrossen weiter, und analysieren die Wahlprogramme der Parteien durch die europapolitische Brille. Und, siehe da, dort findet sich sehr viel Relevantes. Ganz besonders im Programm der Grünen, das sich mein Kollege Falk Steiner und ich in dieser Ausgabe vorgenommen haben.

Über die Zukunft debattiert wurde auf der IAA Mobility, die gestern zu Ende ging. Was bleibt ist ein Versprechen der Automobilindustrie, sich am Klimaschutz stärker zu beteiligen. Die Frage nach dem “Wie?” wurde in der vergangenen Woche in München besonders häufig gestellt – ohne abschließendes Ergebnis.

Eine Möglichkeit zur Dekarbonisierung sehen Teile der Branche in E-Fuels und bauen seit Freitag eine Produktionsanlage 14.000 Kilometer entfernt an der chilenischen Magellanstraße. Doch damit der Plan aufgeht, müssten EU-Regularien überarbeitet werden, die bislang die E-Mobilität auf der Straße begünstigen. Meine Analyse zeigt, welche Regeln E-Fuels derzeit noch bremsen und warum Umweltschützer davor warnen, sie zu ändern.

Ihr
Lukas Knigge
Bild von Lukas  Knigge

Analyse

Hersteller fordern mehr Offenheit für E-Fuels

Am südlichsten Zipfel Chiles, in der kargen Ebene von Magallanes, entsteht seit Freitag eine Produktionsanlage für wasserstoffbasierte Kraftstoffe: sogenannte E-Fuels. Sie soll in der Testphase 130.000 Liter bis 2022 und ab 2026 dann 550 Millionen Liter produzieren – und so alternativen Kraftstoffen zur Marktreife verhelfen.

Gebaut wird die Anlage unter anderem von Porsche, Siemens Energy und Exxon Mobil. Sie sehen darin die Chance, das Leben des Verbrennermotors zu verlängern, trotz aller Elektrifizierungsambitionen. Die Unternehmen sind der Auffassung, dass E-Fuels einen erheblichen Beitrag zur Dekarbonisierung im Verkehrssektor leisten könnten und erhoffen sich mehr politische Akzeptanz für synthetische Kraftstoffe.

Die fehle bislang, kritisiert die E-Fuel-Alliance, ein Zusammenschluss aus 150 Unternehmen entlang der Wertschöpfungskette. Auch Porsche, Siemens Energy und Exxon Mobil gehören dazu. In Europa zeige sich die fehlende Akzeptanz an zwei EU-Regularien, die E-Fuels im Straßenverkehr einen Riegel vorschöben. Die Regulierungslogik der EU zwinge Hersteller praktisch dazu, ausschließlich in E-Mobilität zu investieren, kritisiert der Geschäftsführer der Allianz, Ralf Diemer.

Die CO2-Flottenregulierung gibt vor, wieviel CO2 neue Pkw in der EU im Durchschnitt ausstoßen dürfen. Im Zuge des Green Deals und des Fit for 55-Pakets werden diese Grenzwerte noch einmal verschärft. Laut Vorschlag der EU-Kommission müssen Autohersteller die Emissionen ihrer neuen Pkw bis 2030 um 55 Prozent und bis 2035 um 100 Prozent reduzieren.

Null-Emissionen beim E-Auto

Diemer beklagt, die Regulierung frage nicht nach dem Energieträger und dessen Emissionen. Tatsächlich berücksichtigen die Grenzwerte nur das, was am Auspuff emittiert wird. Und das ist bei E-Autos stets null, selbst wenn der Strom, mit dem sie betrieben werden, aus dem Kohlekraftwerk kommt.

E-Fuels hingegen weisen bei der Verbrennung ähnliche Emissionswerte wie fossile Energieträger auf und werden bei den Grenzwerten auch mit diesen gleichgesetzt. Somit könnten Nutzung und Förderung von E-Fuels nicht für das Erreichen der Flottengrenzwerte angerechnet werden, selbst wenn sie hundertprozentig CO2-neutral hergestellt werden, so Diemer.

Der zweite Dorn im Auge der E-Fuel-Alliance ist die Energiesteuerrichtlinie (ETD). Laut dieser werde Energie nach der Energiedichte besteuert, so Diemer. Die Emissionen spielten bei der Energiesteuer keine Rolle. “Das halten wir für falsch.” Würden Energieträger nach ihrem jeweiligen CO2-Fußabdruck besteuert, hätten E-Fuels die Chance – je nach Herstellung – steuerlich begünstigt zu werden. Sowohl theoretisch als auch praktisch ist die CO2-neutrale Herstellung von E-Fuels möglich.

Die Produktionsanlage in Chile etwa entsteht in einem der windreichsten Gebiete der Welt. Ein Windrad dort generiert annähernd die dreifache Menge an Strom im Vergleich zum selben Windrad in Deutschland. Die schlechte Ökobilanz von wasserstoffbasierten E-Fuels (Europe.Table berichtete) – durch den hohen Energieverlust im Umwandlungsprozess – wäre durch das Überangebot von ungenutzten Erneuerbaren somit kein Problem mehr. Die gesamte Produktion in Magallanes soll durch Windenergie ermöglicht werden.

Das CO2, welches im Elektrolyseverfahren dem zuvor hergestellten grünen Wasserstoff zugeführt wird, soll zudem durch Direct Air Capture aus der Luft gefiltert werden. Der Kraftstoff, der am Ende des langwierigen chemischen und physikalischen Vorgangs zur Verfügung stünde, wäre also CO2-neutral – sofern er vom Produktionsort bis zum Verbrauchsort ebenfalls emissionsfrei transportiert werden könnte.

Elektrisierungsambitionen könnten durch E-Fuels sinken

Autohersteller, Zulieferer und Mineralölunternehmen fordern deshalb eine Überarbeitung der EU-Regularien, um E-Fuels in der EU rentabel und verfügbar zu machen. Die E-Fuel-Alliance bringt eine ganzheitlichere Betrachtung bei der Bewertung der Emissionen von Neufahrzeugen im Rahmen der Flottenregulierung ins Spiel. Statt nur die Emissionen beim Betrieb des Pkw zu sehen (tank-to-wheel), soll auch die Herstellung des Energieträgers mit in die Rechnung einbezogen werden (well-to-wheel).

Für die Energiebesteuerung fordern E-Fuel-Alliance und der Verband der Automobilindustrie (VDA), dass die Energiesteuer für Wasserstoff und E-Fuels wegfällt, damit der Markthochlauf und ein technologieoffener Wettbewerb verschiedener Antriebstechnologien ermöglicht wird.

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) warnt allerdings vor einer solchen Überarbeitung der EU-Regularien und der Incentivierung von E-Fuels. Dies würde “den Anreiz für Autohersteller schwächen, emissionsärmere bzw. elektrische Autos zu produzieren und gleichzeitig extrem wertvollen und ressourcenintensiven Kraftstoff in einem Sektor verschwenden, der ihn nicht braucht”, heißt es in einer DUH-Analyse. Die Naturschutzorganisation fordert von Gesetzesgebern, dass E-Fuels nur im Flug- oder Schiffsverkehr eingesetzt werden, wo es bislang keine technologischen Alternativen für Kerosin oder Schiffsdiesel gibt.

Die DUH kommt zu dem Schluss, dass bei der Produktion von E-Fuels nur zusätzlich erzeugter Ökostrom
und CO2 aus der Luft zum Einsatz kommen dürfe. Die Anlage in Chile wäre also auch in ihrem Sinne, allerdings nicht für die Art von Nutzung, die Porsche für sie vorgesehen hat. Der schwäbische Autobauer will mit dem E-Fuels nämlich seine eigene Verbrennerflotte füttern statt Kraftstoff für Flugzeuge und Schiffe herzustellen.

Außerdem sieht die DUH die Produktion nachhaltiger Kraftstoffe außerhalb Europas für die Verwendung in Europa kritisch. Jedes Land habe seine eigene Energiewende zu bewältigen, heißt es. Die chilenische Windkraft für die deutsche oder europäische Dekarbonisierung zu benutzen, wäre aus DUH-Sicht “mit Blick auf globale Gerechtigkeit inakzeptabel”.

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Wahlcheck III: Das Baerbock-Konzept

Europapolitik

Der Inhalt des Wahlprogramms der Grünen zur Europapolitik deckt sich weitgehend mit dem zur Europawahl vor zwei Jahren. Möglicher Knackpunkt bei Koalitionsverhandlungen dürfte der Plan zur gemeinsamen Fiskalpolitik im Rahmen des Stabilitätsmechanismus werden. Union und FDP sind entschiedene Gegner eines solchen Plans.

Stabilitätsmechanismus soll zu Währungsfonds wachsen

Die Grünen wollen einen hohen Kürzungs- und Privatisierungsdruck in den Mitgliedstaaten durch den Stabilitätspakt verhindern, und stattdessen genügend Spielraum für Zukunftsinvestitionen sichern. Es sei ein Fehler, dass es in der Währungsgemeinschaft bislang keine gemeinsame Fiskalpolitik gebe. Sie fordern einen Investitionsfonds, der im Krisenfall in Anspruch genommen werden kann und aus dem “in europäische öffentliche Güter wie Klima, Forschung, digitale Infrastruktur, Eisenbahn und Bildung” investiert wird. Die Kontrolle darüber, wann er verwendet werden darf, soll laut den Grünen beim Europaparlament und nicht bei den Mitgliedstaaten liegen.

Stärkung des Europäischen Parlaments

Die Grünen fordern ein vollwertiges Initiativrecht für das EP. Das Parlament soll die Kommission wählen und durch ein Misstrauensvotum entlassen können. Bei der Wahl sollen die Parteien Spitzenkandidaten stellen, aus deren Kreis anschließend der oder die Kommissionspräsident:in bestimmt wird. Das Ziel: mehr Entscheidungsmacht aus den Hauptstädten nach Brüssel zu verlegen und das Postengeschacher durch die Staats- und Regierungschefs nach der Wahl zu verhindern.

Flüchtlingspolitik

Zustände wie auf Lesbos oder an der kroatischen Grenze wollen die Grünen künftig verhindern, indem sie sich für europäische Registrierungszentren einsetzen. Staaten, die Geflüchtete aufnehmen, sollen durch einen EU-Integrationsfonds belohnt werden. Zudem wollen die Grünen legale Migrationswege in die EU ermöglichen. Der Familiennachzug soll wieder uneingeschränkt möglich sein, insbesondere für Geflüchtete mit subsidiärem Schutzstatus.

Klimapolitik

Die klimapolitischen Fragen sind das Herz des Grünen-Wahlprogramms. Diese eindeutige inhaltliche Ausrichtung könnte es erschweren, Kompromisse mit möglichen Koalitionspartnern zu finden.

CO2-Budget

Die Grünen fordern, dass Klimaschutzmaßnahmen sich künftig am vom Weltklimarat vorgegebenen globalen CO2-Budget orientieren. Um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, darf der gesamte Planet demnach nur noch 420 Gigatonnen CO2 emittieren. Entsprechend fordert die Partei, dass die Reduktionsziele angehoben werden: auf minus 70 Prozent bis 2030 allein in Deutschland und Klimaneutralität binnen 20 Jahren. Zum Vergleich: Die EU hat sich auf ein 55-Prozent-Reduktionsziel geeinigt.

CO2-Preis-Erhöhung und Emissionshandel

Erreichen wollen die Grünen das etwa über einen höheren CO2-Preis. Davon erhoffen sie sich eine Dekarbonisierung z. B. der Industrie, die schnellere Entwicklung umweltfreundlicher Antriebsmethoden im Verkehr und den Ausbau der Erneuerbaren. Neben einem nationalen Mindest-CO2-Preis (60 Euro pro Tonne ab 2023) soll der europäische Emissionshandel (ETS) als Lenkungsinstrument ausgebaut werden. Damit der CO2-Preis angemessen steigt, sollen weniger Emissionszertifikate in Umlauf kommen und überschüssige Zertifikate vom Markt genommen werden. Die Einnahmen aus dem CO2-Preis sollen den Bürgern als Energiegeld ausgezahlt werden.

Um Carbon Leakage zu verhindern, wollen die Grünen den Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) schärfen und zusätzliche Einnahmen generieren. Dies soll einen Wettbewerbsnachteil europäischer Unternehmen verhindern.

Pariser Abkommen ins Grundgesetz

Die Ziele des Pariser Klimaabkommens möchten die Grünen ins Grundgesetz aufnehmen. Das hätte zur Folge, dass alle Gesetzesvorschläge in ihren Genehmigungsprozessen auf ihre Klimaverträglichkeit überprüft würden und im Zweifel abgelehnt werden könnten, wenn sie mit den Klimazielen nicht vereinbar sind.

Energiepolitik

Der gesetzlich festgelegte Kohleausstieg 2038 kommt den Grünen zu spät. Sie wollen die Kohleverstromung bereits bis 2030 beenden und setzen dabei auf den ETS und einen hohen CO2-Preis, der Kohlestrom teuer und unrentabel machen würde. Zudem würde auf diese Weise sichergestellt, dass der Bund nicht weitere Milliarden Entschädigung an die Energiekonzerne überweisen müsste.

Dafür soll der Erneuerbaren-Ausbau massiv vorangetrieben werden – vor allem bei der Offshore-Windkraft (+35 GW bis 2035) und bei Solar: 1,5 Milliarden Solaranlagen auf den Dächern von Neubauten, öffentlichen Gebäuden und Gewerbegebäuden sollen installiert werden, sowie Fotovoltaikanlagen über ohnehin versiegelten Flächen auf dem Land. Außerdem sollen die Klageverfahren durch Anwohner bei Windkraftanlagen beschleunigt werden. Insgesamt sollen zwei Prozent des Bundesgebiets für die Windenergiegewinnung genutzt werden.

Durch eine Steuer- und Abgabenreform wollen die Grünen, “dass die Sektorkoppelung vorankommt und Strom zu verlässlichen und wettbewerbsfähigen Preisen vorhanden ist”. Was das für die Steuerlast der Verbraucherinnen und Verbraucher bedeutet, ist allerdings offen. Die Grünen planen zudem eine “grundlegende Reform des Energierechts”. Die Stromübertragungsnetze sollen zurück in die öffentliche Hand überführt werden, da sie eine kritische Infrastruktur darstellen.

Lieferkettengesetz

Das Lieferkettengesetz wollen die Grünen “europäisch umsetzen”. Mehr Unternehmen sollen in einem neuen Gesetz erfasst und an strengere Sorgfaltspflichten gebunden werden. So soll der Handel mit Produkten innerhalb der EU unterbunden werden, die unter Menschenrechtsverletzungen, Kinder- oder Zwangsarbeit hergestellt wurden oder die der Umwelt schaden.

Grüne Verkehrspolitik

Neben einem generellen Tempolimit von 130 km/h auf deutschen Autobahnen, fordern die Grünen, dass ab 2030 nur noch emissionsfreie Autos auf den Markt kommen sollen. Dabei sollen EU-weite CO2-Flottengrenzwerte helfen, aber auch die Dieselsubventionen und die Steuererleichterungen für emittierende Dienstwagen beendet werden. Flankierend soll die Ladeinfrastruktur, “besonders im ländlichen Raum, inklusive Schnellladesäulen” ausgebaut werden – nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa.

Außerdem soll die Schifffahrt schnellstmöglich in den ETS für Verkehr aufgenommen werden, sodass auch dort emissionsärmere Antriebsformen Einzug halten. Für den Flugverkehr fordern die Grünen die Einführung einer Kerosinsteuer und eine stärkere Förderung strombasierter Kraftstoffe, mithilfe einer Beimischquote von zehn Prozent bis 2030. Durch den angestrebten Schienennetzausbau in Deutschland und Europa sollen Kurzstreckenflüge bis 2030 überflüssig werden. Dafür wollen die Grünen allein in Deutschland 100 Milliarden Euro in die Hand nehmen.

Grüne Finanz- und Wirtschaftspolitik

Die Grünen wollen, dass sich die Bundesregierung vollständig aus Investitionen in fossile Energien und Geschäftsmodelle zurückzieht, “die auf der Zerstörung der Ökosysteme und der Verletzung der Menschenrechte aufbauen”. Zudem wollen sie eine Nachhaltigkeitsbewertung für alle Anlagen einführen, sodass Anleger volle Transparenz über Finanzprodukte erhalten. Dafür wollen sie die Kompetenzen der BaFin ausweiten und eine Zertifizierung nachhaltiger Finanzprodukte auf europäischer Ebene über die Taxonomie einführen.

Private Investitionen in Klimaschutztechnologien sollen zeitlich befristet mit bis zu 25 Prozent abgeschrieben werden können, um die Förderung von Innovationen, KMUs und Start-Ups zu incentivieren. Auf EU-Ebene sollen Carbon Contracts for Difference (CCD) für Investitionssicherheit in energieintensiven Industrien sorgen.

Freihandelsabkommen aufkündigen

Die Grünen lehnen das EU-Mercosur-Abkommen in seiner jetzigen Form ab, da es “negative Auswirkungen auf die Umwelt oder die Ernährungssouveränität” habe. Stattdessen setzen sie sich für ein neues Vertragswerk ein, welches “verbindlich an Leitlinien zum Schutz der Menschenrechte, des Klimas und der Umwelt” geknüpft ist. CETA, das Freihandelsabkommen mit Kanada, wollen die Grünen gar nicht erst ratifizieren, um sicherzugehen, “dass die gefährlichen Investor-Staat-Schiedsgerichte nicht zur Anwendung kommen”.

Digitalpolitik

Die Grünen haben seit langem einen festen Platz in den digitalpolitischen Debatten. Allerdings ist es für sie immer erst ein Zweitthema, nach allem rund um die Umweltpolitik. Auch verfügt ihre allererste Reihe (Baerbock, Habeck, Özdemir, Göring-Eckardt, Hofreiter) in diesem Feld über keine bekannten Spezialkompetenzen. In ihrem Wahlprogramm wird die Partei jedoch an vielen Stellen deutlicher als ihre Mitbewerber.

Digitale Märkte

Der Digital Markets Act soll nach Vorstellung der Grünen deutlich verschärft ausfallen: Zum einen sollen “Killer acquisitions” durch die großen Anbieter durch Aufsichtsbehörden untersagt werden können, Datenschutzbehörden an allen Prüfungen für diese Unternehmen beteiligt werden sowie Interoperabilitäts- und Datenportabilitätsverpflichtungen deutlich verschärft werden. Ein europäisches Kartellamt soll über die Regeleinhaltung wachen. Zudem findet sich der zarte Satz im Programm: “Unternehmen sollen auch unabhängig von einem Missbrauch aufgespalten werden können, wenn ihre Marktmacht zu groß wird oder bereits zu groß ist”.

Digitale Dienstleistungen

Dass Plattformbetreiber mehr tun müssen, daran lassen die Grünen keinen Zweifel. Insbesondere wegen Hasskriminalität und Falschinformationen: Die Grünen wollen den Digital Services Act (DSA) möglichst schnell auf den Weg bringen. Die Konkretisierung ihrer Vorstellungen zur Haftungs- und Rechtskontrolle bei Fragen der Meinungsäußerungsfreiheit bleibt im Wahlprogramm jedoch offen. Angeregt werden unter anderem zivilgesellschaftliche Nutzerräte.

Die Grünen fordern zudem als einzige Partei spezifische digitale Gewaltschutzregelungen für Pornografie-Plattformen mit Nutzerinhalten. Verpflichtende Uploadfilter kommen für die Partei aber nicht infrage. Im Onlinehandel sollen Anbieter noch stärker zur Einhaltung europäischer Standards verpflichtet werden.

Urheberrecht

Bei diesem auch Grünen-intern oft strittigen Thema hält sich die Partei vornehm zurück: Angemessene Vergütungen für Künstler seien ein Ziel.

Datenpolitik

Hier bleiben die Grünen an vielen Stellen unscharf. Zwar fordern sie etwa einen europäischen Gesundheitsdatenraum und eine dezentrale Forschungsdateninfrastruktur. Doch ein eigenständiges Konzept wird nicht erkennbar.

Open Data wollen die Grünen insgesamt durch ein Bundestransparenzgesetz stärken. Ein “öffentliches Dateninstitut” (gedanklich angelehnt an das britische ODI) soll laut Programm Fragen adressieren soll, die eigentlich Data Governance Act und Data Act auf EU-Ebene beantworten sollen (Datentreuhänder, datenschutzfreundliches Data Sharing).

KI-Regulierung

Die Grünen legen ein klares Bekenntnis zum Grundansatz der EU-KI-Verordnung ab: Risikoabgestuftes Modell, klare Qualitätsregeln für Daten wie Algorithmen und die Vermeidung unzulässiger Diskriminierung sind ihnen besonders wichtig.

Netzneutralität

Die Grünen sprechen sich für uneingeschränkte Netzneutralität aus.

Breitband

Die Grünen fordern Glasfaser bis zum Gebäude (FTTB) überall. Betreibermodelle wie in Schweden und Open Access sollen hier für mehr Geschwindigkeit sorgen. Zudem sollen minderleistende TK-Anbieter einfacher zu Schadenersatz verpflichtet werden.

Cybersicherheit

Die Grünen setzen auf zwei Stränge: Zum einen sollen staatliche Strukturen personell und finanziell gestärkt werden, ansonsten sei aber Resilienz und Durchsetzung vorhandener Mittel das Gebot der Stunde. Quellen-TKÜ und Backdoors lehnen sie ab. Stattdessen soll das Völkerrecht weiterentwickelt und das BSI unabhängiger werden. Zum anderen sollen die Hersteller über Updateverpflichtungen und Mindeststandards deutlich mehr für IT-Sicherheit tun müssen und insbesondere KMU gestärkt werden.

Bei kritischen Infrastrukturen sei die digitale Souveränität Europas Ziel, das mit Herstellerdiversifizierung und offenen Standards erreicht werden soll. Zugleich sollen “nicht vertrauenswürdige Unternehmen” ausgeschlossen werden.

Ein bisschen radikal sind die Grünen noch bei der Frage der Ausfuhr von Überwachungstechnologie: Ein Komplettverbot der Ausfuhr in repressive Regime auf deutscher und EU-Ebene soll her. Außerdem sollen Sicherheitslücken unmittelbar an Hersteller gemeldet werden.

Vorratsdatenspeicherung

Lehnen die Grünen weiterhin ab, die Programmformulierung lässt aber Spielraum für Quick-Freeze-Lösungen, wie sie die FDP fordert, sowie deutlich reduzierte Ansätze der Vorratsspeicherung.

Digitale Souveränität

Die Grünen wollen unter anderem:

  • eine aktive Förderung von OpenSource-Software,
  • eine darauf aufbauende EU-Cloudinfrastruktur,
  • technologische Souveränität in kritischen Sektoren wie KI, Quantencomputing und Chipentwicklung, die gezielt gefördert werden,
  • die dafür nötigen Investitionen mit staatlichem Investitionsfonds anstoßen, primär sollen sie jedoch aus dem privaten Sektor erfolgen.

Digitalsteuer

Die Grünen begrüßen den Prozess im Rahmen der G20. In der EU soll eine gemeinsame Bemessungsgrundlage für die Körperschaftssteuer Wettbewerbsverzerrungen verhindern. Die Grünen fordern eine allgemeine Mindestkörperschaftssteuer von 25 Prozent, zudem eine Digitalkonzernsteuer und eine Ausweisungspflicht für Umsätze, Steuerlast und andere Angaben pro Staat.

Konfliktpotential

In der Europapolitik

  • Vergemeinschaftung von Schulden, Umwandlung des Stabilitätspakts in einen Investitionsfonds: für die Konservativen ein No-Go (Europe.Table berichtete).
  • Flüchtlingspolitik: Während Union und FDP die Grenzschutzbehörde Frontex ausbauen wollen, fordern die Grünen weichere Grenzen für die EU.

In der Klimapolitik

  • Energiepolitik: Die Grünen sind scharfe Kritiker des aktuellen Wirtschaftsministers aufgrund seiner fehlenden Ambitionen beim Erneuerbaren-Ausbau. Wollen die beiden Parteien eine gemeinsame Regierung bilden, werden die Grünen diesbezüglich großen Druck machen.
  • ETS: Den Emissionshandel als Leitinstrument zur Dekarbonisierung, ja. Allerdings nur mithilfe staatlicher Preisregulierung, wenn es nach den Grünen geht. Die Meinungsverschiedenheiten der Parteien zur ETS-Ausgestaltung sind groß (Europe.Table berichtete), die Verhandlungen dürften entsprechend zäh werden.
  • Verkehrspolitik: Den Mobilitätssektor dekarbonisieren wollen alle, doch beim Pfad dorthin scheiden sich die Geister. Die Grünen wollen den schnellen Ausstieg aus dem Verbrenner, doch der Gegenwind der anderen Parteien ist immens.

In der Digitalpolitik

  • Cybersicherheit: Der Kampf um Eingriffsbefugnisse für Polizei- und Verfassungsschutzbehörden tobte auf dem Programmparteitag – die Basis hat hier gegen den Vorstandsvorschlag eine härtere Linie durchgedrückt.
  • Vorratsdatenspeicherung: Jedes Abrücken hier wäre der eigenen Klientel schwer zu vermitteln und müsste mit sehr vielen Windrädern erkauft werden. Falk Steiner/Lukas Scheid
  • Annalena Baerbock
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News

Stabilitätspakt: Diskussion über “Goldene Regel”

Ausnahmen für Klimaschutz-Investitionen dürften eine wichtige Rolle spielen in der Debatte über die EU-Defizitregeln. Die Frage einer solchen “Goldenen Regel” werde Teil der Diskussionen sein, sagte der Vizepräsident der Europäischen Kommission, Valdis Dombrovskis, am Samstag in Brdo. Bei einem informellen Treffen in der slowenischen Stadt hatten die EU-Finanzminister zwei Tage über den fiskalpolitischen Kurs aus der Corona-Krise und eine Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes beraten.

Die Pandemie dürfte die durchschnittliche Staatsverschuldung in der EU auf 94 Prozent in diesem Jahr steigen lassen. Die Befürchtung: Das geltende Regelwerk würde die Regierungen zu sehr harten Einschnitten zwingen, wenn der aktuell weitgehend ausgesetzte Stabilitätspakt 2023 wieder greifen soll. Dann müssten die Staaten jährlich ein Zwanzigstel der Verschuldung abtragen, die über dem Limit von 60 Prozent der Wirtschaftsleistung liegt. “Wir brauchen einen Schuldenabbaupfad, der für alle Mitgliedsstaaten realistisch ist“, sagte Dombrovskis.

Zu den Unterstützern einer Sonderbehandlung “grüner” Investitionen zählt unter anderem der französische Finanz- und Wirtschaftsminister Bruno Le Maire. Dies würde helfen, die enormen Summen aufzubringen, die für die Transformation der Volkswirtschaften benötigt würden, sagte er.

Olaf Scholz: “Haben gute Regeln”

Österreichs Finanzminister Gernot Blümel warnte aber, es sei schwierig, präzise zu definieren, was eine “grüne” Investition ausmacht. “Die Debatte ist zwar auf der sachlichen Ebene eine sehr gute […], aber es müssen auch Mechanismen eingebaut werden, dass sie nicht missbraucht werden”, sagte er.

Die Minister hatten zuvor über eine neue Studie des Thinktanks Bruegel diskutiert. Deren Autoren hatten sich dafür ausgesprochen, grüne Investitionen bei der Berechnung von Defizit und Staatsverschuldung auszunehmen. Weitergehende Lockerungen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes seien nicht nötig. Mitgliedsstaaten mit geringem finanziellem Spielraum sollten auf den EU-Aufbaufonds zurückgreifen, um Investitionen in den Klimaschutz zu finanzieren.  

Bundesfinanzminister Olaf Scholz äußerte sich skeptisch: Die geltenden Regeln hätten in der Pandemie ein hohes Maß an Flexibilität bewiesen, sagte er in Brdo: “Wir haben gute Regeln”. Es müsse auch ordentlich mit dem Geld der Steuerzahler umgegangen werden. Vertreter von CDU und CSU hatten dem SPD-Kanzlerkandidaten zuletzt vorgeworfen, er strebe in einem Linksbündnis eine Schuldenunion in Europa an. tho

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Apple: App-Store muss sich für Wettbewerb öffnen

Apple muss nach einer Niederlage vor Gericht seine App-Store-Praktiken lockern. Im Streit mit dem Spiele-Entwickler Epic Games entschied US-Richterin Yvonne Gonzalez Rogers am Freitag, dass der iPhone-Hersteller App-Entwicklern die Nutzung anderer Bezahlsysteme erlauben muss. Das Urteil dürfte auch Auswirkungen auf ähnlich gelagerte Ermittlungen der EU-Kommission und des Bundeskartellamtes haben.

Bislang knüpft Apple die Nutzung seines Stores an die Bedingung, dass Entwickler ausschließlich das Bezahlsystem des Konzerns für In-App-Käufe ihrer Kunden nutzen, und kassiert dabei bis zu 30 Prozent Provision. Die Anbieter durften in der App nicht einmal auf günstigere Bezahlwege etwa auf ihrer Website hinweisen. Diese Praktiken behinderten den Wettbewerb und erlaubten Apple “außergewöhnlich hohe” Margen von mehr als 70 Prozent in seinem App-Store-Geschäft, urteilte Gonzales Rogers.

Ihr Urteil ist vor allem für Spiele-Entwickler relevant, die für einen Großteil der In-App-Käufe stehen. Trotz des Teilerfolges kündigte Kläger Epic Games an, in Berufung zu gehen. “Wir werden weiterkämpfen”, schrieb Firmenchef Tim Sweeney auf Twitter. Anders als gefordert muss Apple seine iPhones und iPads nicht für App-Stores anderer Anbieter öffnen. “Apple bietet eine sichere und vertrauenswürdige Nutzererfahrung auf iOS”, schrieb Gonzales Rogers in ihrem Urteil. Die Richterin ging auch nicht so weit, den Konzern als “illegales Monopol” zu bezeichnen.

Experten rechnen aber damit, dass weitere Konkurrenten Apples Praktiken vor Gericht attackieren werden. In Südkorea hat das Parlament überdies ein Gesetz verabschiedet, das Apple und Google dazu zwingen soll, App-Entwicklern die Nutzung anderer Bezahlsysteme zu ermöglichen. tho

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EVP-Chef Weber für europäische Cyberabwehr-Brigade

Der Vorsitzende der Christdemokraten im Europaparlament, Manfred Weber, dringt auf die Schaffung europäischer Kräfte zur Cyberabwehr. “Wir erleben ständig Cyberangriffe auf digitale europäische Infrastruktur – privat wie öffentlich – in Europa. Das ist täglich stattfindender Krieg im Netz“, sagte der stellvertretende CSU-Vorsitzende den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Bei dieser Dimension sei ein nationaler Ansatz allein nicht ausreichend.

Die nationalen Armeen blieben weiterhin die Hauptpfeiler der Verteidigung, doch man brauche schrittweise europäische Kapazitäten. Neben einer Cyberabwehr-Brigade forderte Weber eine europäische Eingreiftruppe mit einigen Tausend Mann. Langfristig wolle er eine europäische Armee. Die Rede des amerikanischen Präsidenten Joe Biden habe gezeigt, dass die USA nicht mehr bereit seien, Weltpolizist zu sein. Die Europäer müssten endlich Verantwortung übernehmen und eigenständig handeln. rtr

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Justizstreit mit Polen: Merkel mahnt politische Lösung an

Im EU-Streit mit Polen über Rechtsstaatsprinzipien hat Bundeskanzlerin Angela Merkel eine politische Lösung angemahnt und indirekt die EU-Kommission kritisiert. “Politik ist noch mehr als nur zu Gericht zu gehen”, sagte Merkel am Samstag nach einem Treffen mit dem polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki in Warschau. Sie glaube, dass man den Konflikt möglichst durch Gespräche lösen sollte, was auch möglich sei. Sie werde sich dafür einsetzen.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte im Juli entschieden, dass die polnische Disziplinarkammer für Richter den Gesetzen der EU widerspricht. Da das Gremium nicht alle Ansprüche an die Unparteilichkeit und Unabhängigkeit von Richtern erfülle, müsse es aufgelöst werden. Am Dienstag forderte die EU-Kommission den EuGH nun auf, gegen Polen ein tägliches Zwangsgeld zu verhängen, solange die vom Gericht verhängten Maßnahmen nicht vollständig umgesetzt würden.

Die Disziplinarkammer war von der Regierung der nationalistischen PiS-Partei als Teil einer umstrittenen Justizreform eingeführt worden. Nach dem EuGH-Urteil hatte die Regierung in Warschau Mitte August angekündigt, dass die Disziplinarkammer im Rahmen einer Justizreform in den kommenden Monaten aufgelöst werde. Allerdings will das polnische Verfassungsgericht noch darüber urteilen, ob das europäische Recht über dem polnischen steht. Nach geltenden EU-Verträgen ist dies der Fall. rtr

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Pariser Bürgermeisterin will Präsidentin werden

Die Bürgermeisterin von Paris, Anne Hidalgo, will bei der französischen Präsidentenwahl im kommenden Jahr für die Sozialisten antreten. Im Wissen um den Ernst dieser Zeit habe sie sich für die Kandidatur entschieden, sagte die 62-Jährige am Sonntag in Rouen in der Normandie. Hidalgo ist seit 2014 Bürgermeisterin der Hauptstadt und die erste Frau in diesem Amt.

In Umfragen für die erste Runde der Wahl im April 2022 kommt sie auf etwa acht Prozent. Die Meinungsforscher erwarten in der zweiten Runde eine Stichwahl zwischen dem amtierenden Präsidenten Emmanuel Macron und der Vorsitzenden des rechtsextremen Rassemblement National (früher Front National), Marine Le Pen. Die beiden liegen zwischen 20 und 24 Prozent. rtr

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Presseschau

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“Feuerwolke wie ein Sturm”: Heftiger Waldbrand im Süden Spaniens zerstört bereits 6000 Hektar- Soldaten unterstützen vor Ort RND
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Portrait

Katja Leikert, stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, zuständig für Europa.
Katja Leikert, stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, zuständig für Europa.

Manchmal ist Katja Leikert genervt, wenn sie bei sich in Bruchköbel sitzt und vom Tennisplatz nebenan die Ballwechsel zu ihr rüberwummern: “Wir hatten zwei Wochen hier ITF-Turnier hinterm Haus, insofern permanente Einschläge”. An anderen Tagen freut sie sich, dass sie es nicht weit hat, wenn sie mit ihren Töchtern Tennis spielen geht.

So ähnlich ist es mit ihrer politischen Arbeit: Vor Corona mochte sie es zwar, in Brüssel und Berlin zu sein, tat das aber oft mit flauem Gefühl. Leikert ist stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und damit verantwortlich für europapolitische Themen und den Kontakt nach Brüssel und Straßburg. Zusätzlich ist sie Kreisvorsitzende der CDU Main-Kinzig.

Leikert würde ihr Kinder gern öfter sehen

Ihre 11- und 13-jährigen Kinder – auf das Thema kommt sie von selbst – würde sie gern öfter sehen. Zu wenig werde darüber gesprochen, wie schwer Politik und Familie sich vereinbaren ließen, kritisiert sie. Brüssel ist schön, aber ich mach das immer mit einer Übernachtung maximal. Ich habe vielleicht zweimal in Brüssel mit Kollegen ein Bier getrunken.”

Die 46-Jährige promovierte Politikwissenschaftlerin ist froh, wenn sie mal zu Hause ist. Dabei gehörte sie nach dem Abitur “zu denjenigen, die weg wollten” und ging für ein Jahr nach Dover. Dort versuchte sie, an der Boarding School englischen Schülerinnen und Schülern Deutsch beizubringen.

Green Deal ist auch wirtschaftlich wichtig

Als eine Art Übersetzerin fungiert Leikert auch in ihrer politischen Rolle: Sie brieft die Bundestagskollegen in der Fraktionssitzungen, welche Themen in Brüssel gerade behandelt werden, in wechselndem Turnus mit dem CSU-Europapolitiker Florian Hahn. Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus will so verhindern, dass sich unbemerkt Unheil anbahnt wie einst bei der Copyright-Richtlinie.

Die Auswirkungen der Entscheidungen, die in Brüssel und Berlin getroffen werden, erlebt Leikert durch ihre enge Bindung an ihren Heimatwahlkreis in Bruchköbel. Wenn sie über EU-Politik spricht, kommt sie schnell auf die Folgen im Kleinen.

Der Green Deal ist für sie nicht nur eine ökologische Frage, sondern auch eine wirtschaftliche: “Das sind Themen, ich empfinde die noch nicht mal als progressiv, sondern als eine absolute Notwendigkeit, auch unter Wettbewerbsgesichtspunkten”.

“Wir müssen technologiefreundlicher und offener und schneller sein”

Dann schleicht sich das hessische Idiom ein, wenn sie darüber schimpft, was verpasst wurde. Sie erzählt von der Firma Umicore, die in ihrem Wahlkreis seit 25 Jahren an Brennstoffzellen forsche, die heute in Hyundais eingebaut würden. “Die kann man sich kaufen in Offenbach am Kreisel, bei Hyundai, da steht auch ne Wasserstofftankstelle. Das sind natürlich so Sachen, die dürfen überhaupt nicht passieren. Wir müssen hier viel technologiefreundlicher und offener und schneller sein.”

Als Nächstes müsse man Beitrittsgespräche mit Albanien und Nordmazedonien aufnehmen, fordert sie. Eine Fiskalunion sieht sie “bei aller Europabegeisterung, die ich persönlich habe” eher skeptisch. Und die EU müsse für die Zukunft gerüstet werden, und dafür gegebenenfalls neue Kompetenzen gewährt bekommen.

Ihre Arbeit in Brüssel macht die coronabedingte Umstellung auf Videocalls jedenfalls leichter: “Ich habe die Kolleginnen und Kollegen nie öfter gesehen, als in der Pandemie. Das war vorher immer ein Riesenaufwand mit einem Riesenvorlauf, dass man sich da physisch getroffen hat.” Jetzt müssen viele Leute Hausaufgaben machen und Leikert hat dank Webex etwas mehr Zeit für ihre Kinder. Gabriel Bub

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Apéropa

Wo war Europa im gestrigen Triell? Gut 90 Minuten stritten Baerbock, Laschet und Scholz darum, wer im Kanzleramt die Zukunft des Landes gestalten darf. Über die deutschen Grenzen gedacht wurde dabei fast gar nicht – obwohl es häufig um europapolitische Fragen ging.

Beispiel Klimaschutz: Der Emissionshandel und eine funktionierende CO2-Bepreisung sind Fragen, die ohne EU kaum umgesetzt werden können. Auch bei der Bewältigung der Wirtschaftskrise durch die Corona-Pandemie wird es wegen des europäischen Wiederaufbaufonds nicht ohne gehen. Hier blitzte zwar kurz die europapolitische Komponente auf, als Baerbock und Laschet gleichermaßen betonten, dass die wirtschaftliche Erholung nur gemeinsam mit den europäischen Partnern gelingen werde. Das war es dann aber auch schon.

Dass die europapolitischen Fragen im Triell abermals ausgeklammert wurden, lag auch am Moderatoren-Team – sie legten die Themen und Fragen fest. Es verfestigt sich der Eindruck, dass Europa im Wahlkampf keine Rolle spielt. Und das, obwohl alle Parteiprogramme große europapolitische Komponenten aufweisen.

Eine weitere Chance bleibt Baerbock, Laschet und Scholz aber noch, ihre europapolitische Kompetenz zu betonen: Kommenden Sonntag beim letzten Triell – dann zu Gast bei Linda Zervakis und Claudia von Brauchitsch. Lukas Scheid

Europe.Table Redaktion

EUROPE.TABLE REDAKTION

Licenses:
    • EU-Flottengrenzwerte und Energiebesteuerung bremsen E-Fuels
    • Wahlcheck III: Das Wahlprogramm der Grünen
    • EU-Finanzminister beraten über Stabilitätspakt
    • Apple muss seinen App-Store für Wettbewerb öffnen
    • Weber fordert europäische Cyberabwehr-Brigade
    • Merkel mahnt politische Lösung im Streit über polnische Justiz an
    • Pariser Bürgermeisterin will Präsidentin werden
    • Im Portrait: Katja Leikert
    • Triell ohne Europa
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    das zweite Kanzler:innen-Triell ist geschafft. Wie erwartet, viel schlauer sind wir am Europe.Table dadurch nicht geworden. Erneut fehlte die europapolitische Komponente in der TV-Debatte. Als spielte es keine Rolle, wie das wichtigste Mitgliedsland künftig in der EU agieren soll. Auch hinsichtlich des Siegers ähnelte das zweite Triell dem ersten: Die meisten Zuschauer hielten laut Umfrage Olaf Scholz für den besten Kandidaten.

    Wir machen unverdrossen weiter, und analysieren die Wahlprogramme der Parteien durch die europapolitische Brille. Und, siehe da, dort findet sich sehr viel Relevantes. Ganz besonders im Programm der Grünen, das sich mein Kollege Falk Steiner und ich in dieser Ausgabe vorgenommen haben.

    Über die Zukunft debattiert wurde auf der IAA Mobility, die gestern zu Ende ging. Was bleibt ist ein Versprechen der Automobilindustrie, sich am Klimaschutz stärker zu beteiligen. Die Frage nach dem “Wie?” wurde in der vergangenen Woche in München besonders häufig gestellt – ohne abschließendes Ergebnis.

    Eine Möglichkeit zur Dekarbonisierung sehen Teile der Branche in E-Fuels und bauen seit Freitag eine Produktionsanlage 14.000 Kilometer entfernt an der chilenischen Magellanstraße. Doch damit der Plan aufgeht, müssten EU-Regularien überarbeitet werden, die bislang die E-Mobilität auf der Straße begünstigen. Meine Analyse zeigt, welche Regeln E-Fuels derzeit noch bremsen und warum Umweltschützer davor warnen, sie zu ändern.

    Ihr
    Lukas Knigge
    Bild von Lukas  Knigge

    Analyse

    Hersteller fordern mehr Offenheit für E-Fuels

    Am südlichsten Zipfel Chiles, in der kargen Ebene von Magallanes, entsteht seit Freitag eine Produktionsanlage für wasserstoffbasierte Kraftstoffe: sogenannte E-Fuels. Sie soll in der Testphase 130.000 Liter bis 2022 und ab 2026 dann 550 Millionen Liter produzieren – und so alternativen Kraftstoffen zur Marktreife verhelfen.

    Gebaut wird die Anlage unter anderem von Porsche, Siemens Energy und Exxon Mobil. Sie sehen darin die Chance, das Leben des Verbrennermotors zu verlängern, trotz aller Elektrifizierungsambitionen. Die Unternehmen sind der Auffassung, dass E-Fuels einen erheblichen Beitrag zur Dekarbonisierung im Verkehrssektor leisten könnten und erhoffen sich mehr politische Akzeptanz für synthetische Kraftstoffe.

    Die fehle bislang, kritisiert die E-Fuel-Alliance, ein Zusammenschluss aus 150 Unternehmen entlang der Wertschöpfungskette. Auch Porsche, Siemens Energy und Exxon Mobil gehören dazu. In Europa zeige sich die fehlende Akzeptanz an zwei EU-Regularien, die E-Fuels im Straßenverkehr einen Riegel vorschöben. Die Regulierungslogik der EU zwinge Hersteller praktisch dazu, ausschließlich in E-Mobilität zu investieren, kritisiert der Geschäftsführer der Allianz, Ralf Diemer.

    Die CO2-Flottenregulierung gibt vor, wieviel CO2 neue Pkw in der EU im Durchschnitt ausstoßen dürfen. Im Zuge des Green Deals und des Fit for 55-Pakets werden diese Grenzwerte noch einmal verschärft. Laut Vorschlag der EU-Kommission müssen Autohersteller die Emissionen ihrer neuen Pkw bis 2030 um 55 Prozent und bis 2035 um 100 Prozent reduzieren.

    Null-Emissionen beim E-Auto

    Diemer beklagt, die Regulierung frage nicht nach dem Energieträger und dessen Emissionen. Tatsächlich berücksichtigen die Grenzwerte nur das, was am Auspuff emittiert wird. Und das ist bei E-Autos stets null, selbst wenn der Strom, mit dem sie betrieben werden, aus dem Kohlekraftwerk kommt.

    E-Fuels hingegen weisen bei der Verbrennung ähnliche Emissionswerte wie fossile Energieträger auf und werden bei den Grenzwerten auch mit diesen gleichgesetzt. Somit könnten Nutzung und Förderung von E-Fuels nicht für das Erreichen der Flottengrenzwerte angerechnet werden, selbst wenn sie hundertprozentig CO2-neutral hergestellt werden, so Diemer.

    Der zweite Dorn im Auge der E-Fuel-Alliance ist die Energiesteuerrichtlinie (ETD). Laut dieser werde Energie nach der Energiedichte besteuert, so Diemer. Die Emissionen spielten bei der Energiesteuer keine Rolle. “Das halten wir für falsch.” Würden Energieträger nach ihrem jeweiligen CO2-Fußabdruck besteuert, hätten E-Fuels die Chance – je nach Herstellung – steuerlich begünstigt zu werden. Sowohl theoretisch als auch praktisch ist die CO2-neutrale Herstellung von E-Fuels möglich.

    Die Produktionsanlage in Chile etwa entsteht in einem der windreichsten Gebiete der Welt. Ein Windrad dort generiert annähernd die dreifache Menge an Strom im Vergleich zum selben Windrad in Deutschland. Die schlechte Ökobilanz von wasserstoffbasierten E-Fuels (Europe.Table berichtete) – durch den hohen Energieverlust im Umwandlungsprozess – wäre durch das Überangebot von ungenutzten Erneuerbaren somit kein Problem mehr. Die gesamte Produktion in Magallanes soll durch Windenergie ermöglicht werden.

    Das CO2, welches im Elektrolyseverfahren dem zuvor hergestellten grünen Wasserstoff zugeführt wird, soll zudem durch Direct Air Capture aus der Luft gefiltert werden. Der Kraftstoff, der am Ende des langwierigen chemischen und physikalischen Vorgangs zur Verfügung stünde, wäre also CO2-neutral – sofern er vom Produktionsort bis zum Verbrauchsort ebenfalls emissionsfrei transportiert werden könnte.

    Elektrisierungsambitionen könnten durch E-Fuels sinken

    Autohersteller, Zulieferer und Mineralölunternehmen fordern deshalb eine Überarbeitung der EU-Regularien, um E-Fuels in der EU rentabel und verfügbar zu machen. Die E-Fuel-Alliance bringt eine ganzheitlichere Betrachtung bei der Bewertung der Emissionen von Neufahrzeugen im Rahmen der Flottenregulierung ins Spiel. Statt nur die Emissionen beim Betrieb des Pkw zu sehen (tank-to-wheel), soll auch die Herstellung des Energieträgers mit in die Rechnung einbezogen werden (well-to-wheel).

    Für die Energiebesteuerung fordern E-Fuel-Alliance und der Verband der Automobilindustrie (VDA), dass die Energiesteuer für Wasserstoff und E-Fuels wegfällt, damit der Markthochlauf und ein technologieoffener Wettbewerb verschiedener Antriebstechnologien ermöglicht wird.

    Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) warnt allerdings vor einer solchen Überarbeitung der EU-Regularien und der Incentivierung von E-Fuels. Dies würde “den Anreiz für Autohersteller schwächen, emissionsärmere bzw. elektrische Autos zu produzieren und gleichzeitig extrem wertvollen und ressourcenintensiven Kraftstoff in einem Sektor verschwenden, der ihn nicht braucht”, heißt es in einer DUH-Analyse. Die Naturschutzorganisation fordert von Gesetzesgebern, dass E-Fuels nur im Flug- oder Schiffsverkehr eingesetzt werden, wo es bislang keine technologischen Alternativen für Kerosin oder Schiffsdiesel gibt.

    Die DUH kommt zu dem Schluss, dass bei der Produktion von E-Fuels nur zusätzlich erzeugter Ökostrom
    und CO2 aus der Luft zum Einsatz kommen dürfe. Die Anlage in Chile wäre also auch in ihrem Sinne, allerdings nicht für die Art von Nutzung, die Porsche für sie vorgesehen hat. Der schwäbische Autobauer will mit dem E-Fuels nämlich seine eigene Verbrennerflotte füttern statt Kraftstoff für Flugzeuge und Schiffe herzustellen.

    Außerdem sieht die DUH die Produktion nachhaltiger Kraftstoffe außerhalb Europas für die Verwendung in Europa kritisch. Jedes Land habe seine eigene Energiewende zu bewältigen, heißt es. Die chilenische Windkraft für die deutsche oder europäische Dekarbonisierung zu benutzen, wäre aus DUH-Sicht “mit Blick auf globale Gerechtigkeit inakzeptabel”.

    • E-Fuels
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    • Ökobilanz
    • Verkehrspolitik

    Wahlcheck III: Das Baerbock-Konzept

    Europapolitik

    Der Inhalt des Wahlprogramms der Grünen zur Europapolitik deckt sich weitgehend mit dem zur Europawahl vor zwei Jahren. Möglicher Knackpunkt bei Koalitionsverhandlungen dürfte der Plan zur gemeinsamen Fiskalpolitik im Rahmen des Stabilitätsmechanismus werden. Union und FDP sind entschiedene Gegner eines solchen Plans.

    Stabilitätsmechanismus soll zu Währungsfonds wachsen

    Die Grünen wollen einen hohen Kürzungs- und Privatisierungsdruck in den Mitgliedstaaten durch den Stabilitätspakt verhindern, und stattdessen genügend Spielraum für Zukunftsinvestitionen sichern. Es sei ein Fehler, dass es in der Währungsgemeinschaft bislang keine gemeinsame Fiskalpolitik gebe. Sie fordern einen Investitionsfonds, der im Krisenfall in Anspruch genommen werden kann und aus dem “in europäische öffentliche Güter wie Klima, Forschung, digitale Infrastruktur, Eisenbahn und Bildung” investiert wird. Die Kontrolle darüber, wann er verwendet werden darf, soll laut den Grünen beim Europaparlament und nicht bei den Mitgliedstaaten liegen.

    Stärkung des Europäischen Parlaments

    Die Grünen fordern ein vollwertiges Initiativrecht für das EP. Das Parlament soll die Kommission wählen und durch ein Misstrauensvotum entlassen können. Bei der Wahl sollen die Parteien Spitzenkandidaten stellen, aus deren Kreis anschließend der oder die Kommissionspräsident:in bestimmt wird. Das Ziel: mehr Entscheidungsmacht aus den Hauptstädten nach Brüssel zu verlegen und das Postengeschacher durch die Staats- und Regierungschefs nach der Wahl zu verhindern.

    Flüchtlingspolitik

    Zustände wie auf Lesbos oder an der kroatischen Grenze wollen die Grünen künftig verhindern, indem sie sich für europäische Registrierungszentren einsetzen. Staaten, die Geflüchtete aufnehmen, sollen durch einen EU-Integrationsfonds belohnt werden. Zudem wollen die Grünen legale Migrationswege in die EU ermöglichen. Der Familiennachzug soll wieder uneingeschränkt möglich sein, insbesondere für Geflüchtete mit subsidiärem Schutzstatus.

    Klimapolitik

    Die klimapolitischen Fragen sind das Herz des Grünen-Wahlprogramms. Diese eindeutige inhaltliche Ausrichtung könnte es erschweren, Kompromisse mit möglichen Koalitionspartnern zu finden.

    CO2-Budget

    Die Grünen fordern, dass Klimaschutzmaßnahmen sich künftig am vom Weltklimarat vorgegebenen globalen CO2-Budget orientieren. Um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, darf der gesamte Planet demnach nur noch 420 Gigatonnen CO2 emittieren. Entsprechend fordert die Partei, dass die Reduktionsziele angehoben werden: auf minus 70 Prozent bis 2030 allein in Deutschland und Klimaneutralität binnen 20 Jahren. Zum Vergleich: Die EU hat sich auf ein 55-Prozent-Reduktionsziel geeinigt.

    CO2-Preis-Erhöhung und Emissionshandel

    Erreichen wollen die Grünen das etwa über einen höheren CO2-Preis. Davon erhoffen sie sich eine Dekarbonisierung z. B. der Industrie, die schnellere Entwicklung umweltfreundlicher Antriebsmethoden im Verkehr und den Ausbau der Erneuerbaren. Neben einem nationalen Mindest-CO2-Preis (60 Euro pro Tonne ab 2023) soll der europäische Emissionshandel (ETS) als Lenkungsinstrument ausgebaut werden. Damit der CO2-Preis angemessen steigt, sollen weniger Emissionszertifikate in Umlauf kommen und überschüssige Zertifikate vom Markt genommen werden. Die Einnahmen aus dem CO2-Preis sollen den Bürgern als Energiegeld ausgezahlt werden.

    Um Carbon Leakage zu verhindern, wollen die Grünen den Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) schärfen und zusätzliche Einnahmen generieren. Dies soll einen Wettbewerbsnachteil europäischer Unternehmen verhindern.

    Pariser Abkommen ins Grundgesetz

    Die Ziele des Pariser Klimaabkommens möchten die Grünen ins Grundgesetz aufnehmen. Das hätte zur Folge, dass alle Gesetzesvorschläge in ihren Genehmigungsprozessen auf ihre Klimaverträglichkeit überprüft würden und im Zweifel abgelehnt werden könnten, wenn sie mit den Klimazielen nicht vereinbar sind.

    Energiepolitik

    Der gesetzlich festgelegte Kohleausstieg 2038 kommt den Grünen zu spät. Sie wollen die Kohleverstromung bereits bis 2030 beenden und setzen dabei auf den ETS und einen hohen CO2-Preis, der Kohlestrom teuer und unrentabel machen würde. Zudem würde auf diese Weise sichergestellt, dass der Bund nicht weitere Milliarden Entschädigung an die Energiekonzerne überweisen müsste.

    Dafür soll der Erneuerbaren-Ausbau massiv vorangetrieben werden – vor allem bei der Offshore-Windkraft (+35 GW bis 2035) und bei Solar: 1,5 Milliarden Solaranlagen auf den Dächern von Neubauten, öffentlichen Gebäuden und Gewerbegebäuden sollen installiert werden, sowie Fotovoltaikanlagen über ohnehin versiegelten Flächen auf dem Land. Außerdem sollen die Klageverfahren durch Anwohner bei Windkraftanlagen beschleunigt werden. Insgesamt sollen zwei Prozent des Bundesgebiets für die Windenergiegewinnung genutzt werden.

    Durch eine Steuer- und Abgabenreform wollen die Grünen, “dass die Sektorkoppelung vorankommt und Strom zu verlässlichen und wettbewerbsfähigen Preisen vorhanden ist”. Was das für die Steuerlast der Verbraucherinnen und Verbraucher bedeutet, ist allerdings offen. Die Grünen planen zudem eine “grundlegende Reform des Energierechts”. Die Stromübertragungsnetze sollen zurück in die öffentliche Hand überführt werden, da sie eine kritische Infrastruktur darstellen.

    Lieferkettengesetz

    Das Lieferkettengesetz wollen die Grünen “europäisch umsetzen”. Mehr Unternehmen sollen in einem neuen Gesetz erfasst und an strengere Sorgfaltspflichten gebunden werden. So soll der Handel mit Produkten innerhalb der EU unterbunden werden, die unter Menschenrechtsverletzungen, Kinder- oder Zwangsarbeit hergestellt wurden oder die der Umwelt schaden.

    Grüne Verkehrspolitik

    Neben einem generellen Tempolimit von 130 km/h auf deutschen Autobahnen, fordern die Grünen, dass ab 2030 nur noch emissionsfreie Autos auf den Markt kommen sollen. Dabei sollen EU-weite CO2-Flottengrenzwerte helfen, aber auch die Dieselsubventionen und die Steuererleichterungen für emittierende Dienstwagen beendet werden. Flankierend soll die Ladeinfrastruktur, “besonders im ländlichen Raum, inklusive Schnellladesäulen” ausgebaut werden – nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa.

    Außerdem soll die Schifffahrt schnellstmöglich in den ETS für Verkehr aufgenommen werden, sodass auch dort emissionsärmere Antriebsformen Einzug halten. Für den Flugverkehr fordern die Grünen die Einführung einer Kerosinsteuer und eine stärkere Förderung strombasierter Kraftstoffe, mithilfe einer Beimischquote von zehn Prozent bis 2030. Durch den angestrebten Schienennetzausbau in Deutschland und Europa sollen Kurzstreckenflüge bis 2030 überflüssig werden. Dafür wollen die Grünen allein in Deutschland 100 Milliarden Euro in die Hand nehmen.

    Grüne Finanz- und Wirtschaftspolitik

    Die Grünen wollen, dass sich die Bundesregierung vollständig aus Investitionen in fossile Energien und Geschäftsmodelle zurückzieht, “die auf der Zerstörung der Ökosysteme und der Verletzung der Menschenrechte aufbauen”. Zudem wollen sie eine Nachhaltigkeitsbewertung für alle Anlagen einführen, sodass Anleger volle Transparenz über Finanzprodukte erhalten. Dafür wollen sie die Kompetenzen der BaFin ausweiten und eine Zertifizierung nachhaltiger Finanzprodukte auf europäischer Ebene über die Taxonomie einführen.

    Private Investitionen in Klimaschutztechnologien sollen zeitlich befristet mit bis zu 25 Prozent abgeschrieben werden können, um die Förderung von Innovationen, KMUs und Start-Ups zu incentivieren. Auf EU-Ebene sollen Carbon Contracts for Difference (CCD) für Investitionssicherheit in energieintensiven Industrien sorgen.

    Freihandelsabkommen aufkündigen

    Die Grünen lehnen das EU-Mercosur-Abkommen in seiner jetzigen Form ab, da es “negative Auswirkungen auf die Umwelt oder die Ernährungssouveränität” habe. Stattdessen setzen sie sich für ein neues Vertragswerk ein, welches “verbindlich an Leitlinien zum Schutz der Menschenrechte, des Klimas und der Umwelt” geknüpft ist. CETA, das Freihandelsabkommen mit Kanada, wollen die Grünen gar nicht erst ratifizieren, um sicherzugehen, “dass die gefährlichen Investor-Staat-Schiedsgerichte nicht zur Anwendung kommen”.

    Digitalpolitik

    Die Grünen haben seit langem einen festen Platz in den digitalpolitischen Debatten. Allerdings ist es für sie immer erst ein Zweitthema, nach allem rund um die Umweltpolitik. Auch verfügt ihre allererste Reihe (Baerbock, Habeck, Özdemir, Göring-Eckardt, Hofreiter) in diesem Feld über keine bekannten Spezialkompetenzen. In ihrem Wahlprogramm wird die Partei jedoch an vielen Stellen deutlicher als ihre Mitbewerber.

    Digitale Märkte

    Der Digital Markets Act soll nach Vorstellung der Grünen deutlich verschärft ausfallen: Zum einen sollen “Killer acquisitions” durch die großen Anbieter durch Aufsichtsbehörden untersagt werden können, Datenschutzbehörden an allen Prüfungen für diese Unternehmen beteiligt werden sowie Interoperabilitäts- und Datenportabilitätsverpflichtungen deutlich verschärft werden. Ein europäisches Kartellamt soll über die Regeleinhaltung wachen. Zudem findet sich der zarte Satz im Programm: “Unternehmen sollen auch unabhängig von einem Missbrauch aufgespalten werden können, wenn ihre Marktmacht zu groß wird oder bereits zu groß ist”.

    Digitale Dienstleistungen

    Dass Plattformbetreiber mehr tun müssen, daran lassen die Grünen keinen Zweifel. Insbesondere wegen Hasskriminalität und Falschinformationen: Die Grünen wollen den Digital Services Act (DSA) möglichst schnell auf den Weg bringen. Die Konkretisierung ihrer Vorstellungen zur Haftungs- und Rechtskontrolle bei Fragen der Meinungsäußerungsfreiheit bleibt im Wahlprogramm jedoch offen. Angeregt werden unter anderem zivilgesellschaftliche Nutzerräte.

    Die Grünen fordern zudem als einzige Partei spezifische digitale Gewaltschutzregelungen für Pornografie-Plattformen mit Nutzerinhalten. Verpflichtende Uploadfilter kommen für die Partei aber nicht infrage. Im Onlinehandel sollen Anbieter noch stärker zur Einhaltung europäischer Standards verpflichtet werden.

    Urheberrecht

    Bei diesem auch Grünen-intern oft strittigen Thema hält sich die Partei vornehm zurück: Angemessene Vergütungen für Künstler seien ein Ziel.

    Datenpolitik

    Hier bleiben die Grünen an vielen Stellen unscharf. Zwar fordern sie etwa einen europäischen Gesundheitsdatenraum und eine dezentrale Forschungsdateninfrastruktur. Doch ein eigenständiges Konzept wird nicht erkennbar.

    Open Data wollen die Grünen insgesamt durch ein Bundestransparenzgesetz stärken. Ein “öffentliches Dateninstitut” (gedanklich angelehnt an das britische ODI) soll laut Programm Fragen adressieren soll, die eigentlich Data Governance Act und Data Act auf EU-Ebene beantworten sollen (Datentreuhänder, datenschutzfreundliches Data Sharing).

    KI-Regulierung

    Die Grünen legen ein klares Bekenntnis zum Grundansatz der EU-KI-Verordnung ab: Risikoabgestuftes Modell, klare Qualitätsregeln für Daten wie Algorithmen und die Vermeidung unzulässiger Diskriminierung sind ihnen besonders wichtig.

    Netzneutralität

    Die Grünen sprechen sich für uneingeschränkte Netzneutralität aus.

    Breitband

    Die Grünen fordern Glasfaser bis zum Gebäude (FTTB) überall. Betreibermodelle wie in Schweden und Open Access sollen hier für mehr Geschwindigkeit sorgen. Zudem sollen minderleistende TK-Anbieter einfacher zu Schadenersatz verpflichtet werden.

    Cybersicherheit

    Die Grünen setzen auf zwei Stränge: Zum einen sollen staatliche Strukturen personell und finanziell gestärkt werden, ansonsten sei aber Resilienz und Durchsetzung vorhandener Mittel das Gebot der Stunde. Quellen-TKÜ und Backdoors lehnen sie ab. Stattdessen soll das Völkerrecht weiterentwickelt und das BSI unabhängiger werden. Zum anderen sollen die Hersteller über Updateverpflichtungen und Mindeststandards deutlich mehr für IT-Sicherheit tun müssen und insbesondere KMU gestärkt werden.

    Bei kritischen Infrastrukturen sei die digitale Souveränität Europas Ziel, das mit Herstellerdiversifizierung und offenen Standards erreicht werden soll. Zugleich sollen “nicht vertrauenswürdige Unternehmen” ausgeschlossen werden.

    Ein bisschen radikal sind die Grünen noch bei der Frage der Ausfuhr von Überwachungstechnologie: Ein Komplettverbot der Ausfuhr in repressive Regime auf deutscher und EU-Ebene soll her. Außerdem sollen Sicherheitslücken unmittelbar an Hersteller gemeldet werden.

    Vorratsdatenspeicherung

    Lehnen die Grünen weiterhin ab, die Programmformulierung lässt aber Spielraum für Quick-Freeze-Lösungen, wie sie die FDP fordert, sowie deutlich reduzierte Ansätze der Vorratsspeicherung.

    Digitale Souveränität

    Die Grünen wollen unter anderem:

    • eine aktive Förderung von OpenSource-Software,
    • eine darauf aufbauende EU-Cloudinfrastruktur,
    • technologische Souveränität in kritischen Sektoren wie KI, Quantencomputing und Chipentwicklung, die gezielt gefördert werden,
    • die dafür nötigen Investitionen mit staatlichem Investitionsfonds anstoßen, primär sollen sie jedoch aus dem privaten Sektor erfolgen.

    Digitalsteuer

    Die Grünen begrüßen den Prozess im Rahmen der G20. In der EU soll eine gemeinsame Bemessungsgrundlage für die Körperschaftssteuer Wettbewerbsverzerrungen verhindern. Die Grünen fordern eine allgemeine Mindestkörperschaftssteuer von 25 Prozent, zudem eine Digitalkonzernsteuer und eine Ausweisungspflicht für Umsätze, Steuerlast und andere Angaben pro Staat.

    Konfliktpotential

    In der Europapolitik

    • Vergemeinschaftung von Schulden, Umwandlung des Stabilitätspakts in einen Investitionsfonds: für die Konservativen ein No-Go (Europe.Table berichtete).
    • Flüchtlingspolitik: Während Union und FDP die Grenzschutzbehörde Frontex ausbauen wollen, fordern die Grünen weichere Grenzen für die EU.

    In der Klimapolitik

    • Energiepolitik: Die Grünen sind scharfe Kritiker des aktuellen Wirtschaftsministers aufgrund seiner fehlenden Ambitionen beim Erneuerbaren-Ausbau. Wollen die beiden Parteien eine gemeinsame Regierung bilden, werden die Grünen diesbezüglich großen Druck machen.
    • ETS: Den Emissionshandel als Leitinstrument zur Dekarbonisierung, ja. Allerdings nur mithilfe staatlicher Preisregulierung, wenn es nach den Grünen geht. Die Meinungsverschiedenheiten der Parteien zur ETS-Ausgestaltung sind groß (Europe.Table berichtete), die Verhandlungen dürften entsprechend zäh werden.
    • Verkehrspolitik: Den Mobilitätssektor dekarbonisieren wollen alle, doch beim Pfad dorthin scheiden sich die Geister. Die Grünen wollen den schnellen Ausstieg aus dem Verbrenner, doch der Gegenwind der anderen Parteien ist immens.

    In der Digitalpolitik

    • Cybersicherheit: Der Kampf um Eingriffsbefugnisse für Polizei- und Verfassungsschutzbehörden tobte auf dem Programmparteitag – die Basis hat hier gegen den Vorstandsvorschlag eine härtere Linie durchgedrückt.
    • Vorratsdatenspeicherung: Jedes Abrücken hier wäre der eigenen Klientel schwer zu vermitteln und müsste mit sehr vielen Windrädern erkauft werden. Falk Steiner/Lukas Scheid
    • Annalena Baerbock
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    News

    Stabilitätspakt: Diskussion über “Goldene Regel”

    Ausnahmen für Klimaschutz-Investitionen dürften eine wichtige Rolle spielen in der Debatte über die EU-Defizitregeln. Die Frage einer solchen “Goldenen Regel” werde Teil der Diskussionen sein, sagte der Vizepräsident der Europäischen Kommission, Valdis Dombrovskis, am Samstag in Brdo. Bei einem informellen Treffen in der slowenischen Stadt hatten die EU-Finanzminister zwei Tage über den fiskalpolitischen Kurs aus der Corona-Krise und eine Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes beraten.

    Die Pandemie dürfte die durchschnittliche Staatsverschuldung in der EU auf 94 Prozent in diesem Jahr steigen lassen. Die Befürchtung: Das geltende Regelwerk würde die Regierungen zu sehr harten Einschnitten zwingen, wenn der aktuell weitgehend ausgesetzte Stabilitätspakt 2023 wieder greifen soll. Dann müssten die Staaten jährlich ein Zwanzigstel der Verschuldung abtragen, die über dem Limit von 60 Prozent der Wirtschaftsleistung liegt. “Wir brauchen einen Schuldenabbaupfad, der für alle Mitgliedsstaaten realistisch ist“, sagte Dombrovskis.

    Zu den Unterstützern einer Sonderbehandlung “grüner” Investitionen zählt unter anderem der französische Finanz- und Wirtschaftsminister Bruno Le Maire. Dies würde helfen, die enormen Summen aufzubringen, die für die Transformation der Volkswirtschaften benötigt würden, sagte er.

    Olaf Scholz: “Haben gute Regeln”

    Österreichs Finanzminister Gernot Blümel warnte aber, es sei schwierig, präzise zu definieren, was eine “grüne” Investition ausmacht. “Die Debatte ist zwar auf der sachlichen Ebene eine sehr gute […], aber es müssen auch Mechanismen eingebaut werden, dass sie nicht missbraucht werden”, sagte er.

    Die Minister hatten zuvor über eine neue Studie des Thinktanks Bruegel diskutiert. Deren Autoren hatten sich dafür ausgesprochen, grüne Investitionen bei der Berechnung von Defizit und Staatsverschuldung auszunehmen. Weitergehende Lockerungen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes seien nicht nötig. Mitgliedsstaaten mit geringem finanziellem Spielraum sollten auf den EU-Aufbaufonds zurückgreifen, um Investitionen in den Klimaschutz zu finanzieren.  

    Bundesfinanzminister Olaf Scholz äußerte sich skeptisch: Die geltenden Regeln hätten in der Pandemie ein hohes Maß an Flexibilität bewiesen, sagte er in Brdo: “Wir haben gute Regeln”. Es müsse auch ordentlich mit dem Geld der Steuerzahler umgegangen werden. Vertreter von CDU und CSU hatten dem SPD-Kanzlerkandidaten zuletzt vorgeworfen, er strebe in einem Linksbündnis eine Schuldenunion in Europa an. tho

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    Apple: App-Store muss sich für Wettbewerb öffnen

    Apple muss nach einer Niederlage vor Gericht seine App-Store-Praktiken lockern. Im Streit mit dem Spiele-Entwickler Epic Games entschied US-Richterin Yvonne Gonzalez Rogers am Freitag, dass der iPhone-Hersteller App-Entwicklern die Nutzung anderer Bezahlsysteme erlauben muss. Das Urteil dürfte auch Auswirkungen auf ähnlich gelagerte Ermittlungen der EU-Kommission und des Bundeskartellamtes haben.

    Bislang knüpft Apple die Nutzung seines Stores an die Bedingung, dass Entwickler ausschließlich das Bezahlsystem des Konzerns für In-App-Käufe ihrer Kunden nutzen, und kassiert dabei bis zu 30 Prozent Provision. Die Anbieter durften in der App nicht einmal auf günstigere Bezahlwege etwa auf ihrer Website hinweisen. Diese Praktiken behinderten den Wettbewerb und erlaubten Apple “außergewöhnlich hohe” Margen von mehr als 70 Prozent in seinem App-Store-Geschäft, urteilte Gonzales Rogers.

    Ihr Urteil ist vor allem für Spiele-Entwickler relevant, die für einen Großteil der In-App-Käufe stehen. Trotz des Teilerfolges kündigte Kläger Epic Games an, in Berufung zu gehen. “Wir werden weiterkämpfen”, schrieb Firmenchef Tim Sweeney auf Twitter. Anders als gefordert muss Apple seine iPhones und iPads nicht für App-Stores anderer Anbieter öffnen. “Apple bietet eine sichere und vertrauenswürdige Nutzererfahrung auf iOS”, schrieb Gonzales Rogers in ihrem Urteil. Die Richterin ging auch nicht so weit, den Konzern als “illegales Monopol” zu bezeichnen.

    Experten rechnen aber damit, dass weitere Konkurrenten Apples Praktiken vor Gericht attackieren werden. In Südkorea hat das Parlament überdies ein Gesetz verabschiedet, das Apple und Google dazu zwingen soll, App-Entwicklern die Nutzung anderer Bezahlsysteme zu ermöglichen. tho

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    EVP-Chef Weber für europäische Cyberabwehr-Brigade

    Der Vorsitzende der Christdemokraten im Europaparlament, Manfred Weber, dringt auf die Schaffung europäischer Kräfte zur Cyberabwehr. “Wir erleben ständig Cyberangriffe auf digitale europäische Infrastruktur – privat wie öffentlich – in Europa. Das ist täglich stattfindender Krieg im Netz“, sagte der stellvertretende CSU-Vorsitzende den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Bei dieser Dimension sei ein nationaler Ansatz allein nicht ausreichend.

    Die nationalen Armeen blieben weiterhin die Hauptpfeiler der Verteidigung, doch man brauche schrittweise europäische Kapazitäten. Neben einer Cyberabwehr-Brigade forderte Weber eine europäische Eingreiftruppe mit einigen Tausend Mann. Langfristig wolle er eine europäische Armee. Die Rede des amerikanischen Präsidenten Joe Biden habe gezeigt, dass die USA nicht mehr bereit seien, Weltpolizist zu sein. Die Europäer müssten endlich Verantwortung übernehmen und eigenständig handeln. rtr

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    Justizstreit mit Polen: Merkel mahnt politische Lösung an

    Im EU-Streit mit Polen über Rechtsstaatsprinzipien hat Bundeskanzlerin Angela Merkel eine politische Lösung angemahnt und indirekt die EU-Kommission kritisiert. “Politik ist noch mehr als nur zu Gericht zu gehen”, sagte Merkel am Samstag nach einem Treffen mit dem polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki in Warschau. Sie glaube, dass man den Konflikt möglichst durch Gespräche lösen sollte, was auch möglich sei. Sie werde sich dafür einsetzen.

    Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte im Juli entschieden, dass die polnische Disziplinarkammer für Richter den Gesetzen der EU widerspricht. Da das Gremium nicht alle Ansprüche an die Unparteilichkeit und Unabhängigkeit von Richtern erfülle, müsse es aufgelöst werden. Am Dienstag forderte die EU-Kommission den EuGH nun auf, gegen Polen ein tägliches Zwangsgeld zu verhängen, solange die vom Gericht verhängten Maßnahmen nicht vollständig umgesetzt würden.

    Die Disziplinarkammer war von der Regierung der nationalistischen PiS-Partei als Teil einer umstrittenen Justizreform eingeführt worden. Nach dem EuGH-Urteil hatte die Regierung in Warschau Mitte August angekündigt, dass die Disziplinarkammer im Rahmen einer Justizreform in den kommenden Monaten aufgelöst werde. Allerdings will das polnische Verfassungsgericht noch darüber urteilen, ob das europäische Recht über dem polnischen steht. Nach geltenden EU-Verträgen ist dies der Fall. rtr

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    Pariser Bürgermeisterin will Präsidentin werden

    Die Bürgermeisterin von Paris, Anne Hidalgo, will bei der französischen Präsidentenwahl im kommenden Jahr für die Sozialisten antreten. Im Wissen um den Ernst dieser Zeit habe sie sich für die Kandidatur entschieden, sagte die 62-Jährige am Sonntag in Rouen in der Normandie. Hidalgo ist seit 2014 Bürgermeisterin der Hauptstadt und die erste Frau in diesem Amt.

    In Umfragen für die erste Runde der Wahl im April 2022 kommt sie auf etwa acht Prozent. Die Meinungsforscher erwarten in der zweiten Runde eine Stichwahl zwischen dem amtierenden Präsidenten Emmanuel Macron und der Vorsitzenden des rechtsextremen Rassemblement National (früher Front National), Marine Le Pen. Die beiden liegen zwischen 20 und 24 Prozent. rtr

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    Presseschau

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    Portrait

    Katja Leikert, stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, zuständig für Europa.
    Katja Leikert, stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, zuständig für Europa.

    Manchmal ist Katja Leikert genervt, wenn sie bei sich in Bruchköbel sitzt und vom Tennisplatz nebenan die Ballwechsel zu ihr rüberwummern: “Wir hatten zwei Wochen hier ITF-Turnier hinterm Haus, insofern permanente Einschläge”. An anderen Tagen freut sie sich, dass sie es nicht weit hat, wenn sie mit ihren Töchtern Tennis spielen geht.

    So ähnlich ist es mit ihrer politischen Arbeit: Vor Corona mochte sie es zwar, in Brüssel und Berlin zu sein, tat das aber oft mit flauem Gefühl. Leikert ist stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und damit verantwortlich für europapolitische Themen und den Kontakt nach Brüssel und Straßburg. Zusätzlich ist sie Kreisvorsitzende der CDU Main-Kinzig.

    Leikert würde ihr Kinder gern öfter sehen

    Ihre 11- und 13-jährigen Kinder – auf das Thema kommt sie von selbst – würde sie gern öfter sehen. Zu wenig werde darüber gesprochen, wie schwer Politik und Familie sich vereinbaren ließen, kritisiert sie. Brüssel ist schön, aber ich mach das immer mit einer Übernachtung maximal. Ich habe vielleicht zweimal in Brüssel mit Kollegen ein Bier getrunken.”

    Die 46-Jährige promovierte Politikwissenschaftlerin ist froh, wenn sie mal zu Hause ist. Dabei gehörte sie nach dem Abitur “zu denjenigen, die weg wollten” und ging für ein Jahr nach Dover. Dort versuchte sie, an der Boarding School englischen Schülerinnen und Schülern Deutsch beizubringen.

    Green Deal ist auch wirtschaftlich wichtig

    Als eine Art Übersetzerin fungiert Leikert auch in ihrer politischen Rolle: Sie brieft die Bundestagskollegen in der Fraktionssitzungen, welche Themen in Brüssel gerade behandelt werden, in wechselndem Turnus mit dem CSU-Europapolitiker Florian Hahn. Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus will so verhindern, dass sich unbemerkt Unheil anbahnt wie einst bei der Copyright-Richtlinie.

    Die Auswirkungen der Entscheidungen, die in Brüssel und Berlin getroffen werden, erlebt Leikert durch ihre enge Bindung an ihren Heimatwahlkreis in Bruchköbel. Wenn sie über EU-Politik spricht, kommt sie schnell auf die Folgen im Kleinen.

    Der Green Deal ist für sie nicht nur eine ökologische Frage, sondern auch eine wirtschaftliche: “Das sind Themen, ich empfinde die noch nicht mal als progressiv, sondern als eine absolute Notwendigkeit, auch unter Wettbewerbsgesichtspunkten”.

    “Wir müssen technologiefreundlicher und offener und schneller sein”

    Dann schleicht sich das hessische Idiom ein, wenn sie darüber schimpft, was verpasst wurde. Sie erzählt von der Firma Umicore, die in ihrem Wahlkreis seit 25 Jahren an Brennstoffzellen forsche, die heute in Hyundais eingebaut würden. “Die kann man sich kaufen in Offenbach am Kreisel, bei Hyundai, da steht auch ne Wasserstofftankstelle. Das sind natürlich so Sachen, die dürfen überhaupt nicht passieren. Wir müssen hier viel technologiefreundlicher und offener und schneller sein.”

    Als Nächstes müsse man Beitrittsgespräche mit Albanien und Nordmazedonien aufnehmen, fordert sie. Eine Fiskalunion sieht sie “bei aller Europabegeisterung, die ich persönlich habe” eher skeptisch. Und die EU müsse für die Zukunft gerüstet werden, und dafür gegebenenfalls neue Kompetenzen gewährt bekommen.

    Ihre Arbeit in Brüssel macht die coronabedingte Umstellung auf Videocalls jedenfalls leichter: “Ich habe die Kolleginnen und Kollegen nie öfter gesehen, als in der Pandemie. Das war vorher immer ein Riesenaufwand mit einem Riesenvorlauf, dass man sich da physisch getroffen hat.” Jetzt müssen viele Leute Hausaufgaben machen und Leikert hat dank Webex etwas mehr Zeit für ihre Kinder. Gabriel Bub

    • Bundestagswahl
    • CDU

    Apéropa

    Wo war Europa im gestrigen Triell? Gut 90 Minuten stritten Baerbock, Laschet und Scholz darum, wer im Kanzleramt die Zukunft des Landes gestalten darf. Über die deutschen Grenzen gedacht wurde dabei fast gar nicht – obwohl es häufig um europapolitische Fragen ging.

    Beispiel Klimaschutz: Der Emissionshandel und eine funktionierende CO2-Bepreisung sind Fragen, die ohne EU kaum umgesetzt werden können. Auch bei der Bewältigung der Wirtschaftskrise durch die Corona-Pandemie wird es wegen des europäischen Wiederaufbaufonds nicht ohne gehen. Hier blitzte zwar kurz die europapolitische Komponente auf, als Baerbock und Laschet gleichermaßen betonten, dass die wirtschaftliche Erholung nur gemeinsam mit den europäischen Partnern gelingen werde. Das war es dann aber auch schon.

    Dass die europapolitischen Fragen im Triell abermals ausgeklammert wurden, lag auch am Moderatoren-Team – sie legten die Themen und Fragen fest. Es verfestigt sich der Eindruck, dass Europa im Wahlkampf keine Rolle spielt. Und das, obwohl alle Parteiprogramme große europapolitische Komponenten aufweisen.

    Eine weitere Chance bleibt Baerbock, Laschet und Scholz aber noch, ihre europapolitische Kompetenz zu betonen: Kommenden Sonntag beim letzten Triell – dann zu Gast bei Linda Zervakis und Claudia von Brauchitsch. Lukas Scheid

    Europe.Table Redaktion

    EUROPE.TABLE REDAKTION

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