Table.Briefing: Europe

Subventionen für LNG-Terminal: Konkurrent klagt + Deutscher Beitrag zum EU-Budget

Liebe Leserin, lieber Leser,

wo stehen wir in sechs Monaten? Wie die europäischen Wirtschaftsexperten die Zukunft einschätzen, werden wir in den nächsten Stunden erfahren, wenn der neueste Stimmungsindikator des Mannheimer ZEW-Instituts veröffentlicht wird.

Der Index liefert wichtige Hinweise darauf, wie wahrscheinlich eine Erholung der deutschen Wirtschaft ist – oder ob Deutschland in eine Rezession abrutscht und weiterhin eine Belastung für die Eurozone darstellt.

Der deutsche Index ist im vergangenen Monat zum ersten Mal seit einem Jahr gesunken, was auf eine Verschlechterung der Aussichten hindeutet. Die Analysten sind ebenfalls wenig optimistisch, was die Zukunft der EU-Wirtschaft angeht. Das Bruttoinlandsprodukt der EU ist im zweiten Quartal 2024 gestiegen – trotz der Entwicklungen in Deutschland, das aufgrund schwacher Investitionen einen monatlichen Rückgang des BIP um 0,1 Prozent verzeichnete.

Die gute Nachricht der Umfrage vom vergangenen Monat: Etwa die Hälfte der befragten Experten erwartet immer noch eine Verbesserung der europäischen Wirtschaft innerhalb von sechs Monaten, und nur wenige sagen eine zunehmende Inflation voraus.

Auch wenn Deutschland das “schwache Glied” der Eurozone bleibt, ist es immer noch der Mitgliedstaat, der netto am meisten zum EU-Haushalt beiträgt: Die Bundesrepublik zahlt 17,4 Milliarden Euro mehr ein als sie erhält, wie János Allenbach-Ammann in dieser Ausgabe berichtet.

Wir können die Zukunft nicht vorhersagen, aber wir hoffen, dass Sie einen schönen Tag haben.

Ihr
J.D. Capelouto
Bild von J.D.  Capelouto

Analyse

LNG-Terminal: EuGH soll über Subventionen entscheiden

Die Energiekonzerne RWE und Gasunie müssen möglicherweise auf Subventionen der Bundesregierung in Höhe von 40 Millionen Euro für das geplante Flüssiggas-Terminal in Brunsbüttel verzichten. Die Unternehmen hinter dem Konkurrenzprojekt in Stade haben vor dem Europäischen Gericht (EuG) gegen die EU-Kommission geklagt und wollen die Genehmigung der Beihilfen für nichtig erklären lassen. Eingereicht wurde die Klage bereits am 18. Juni (Rechtssache T-309/24).

Die Vorwürfe der Kläger richten sich letztlich gegen die Bundesregierung. “Die Beihilfe führe zu erheblichen Wettbewerbsverzerrungen auf dem Markt für LNG-Einfuhrterminals sowie auf dem nachgelagerten Gasgroßhandelsmarkt”, heißt es in der Zusammenfassung des Gerichts. Klägerin ist die Hanseatic Energy Hub, die die Anlage in Stade errichtet.   

Bundesbeteiligung führe zu niedrigen Preisen

Der Bund hatte im März 2022 angekündigt, sich über die KfW zur Hälfte an der Brunsbütteler Betreibergesellschaft German LNG Terminal zu beteiligen. Gasunie und RWE halten die restlichen 40 beziehungsweise zehn Prozent. Spätestens 2027 soll das landseitige Terminal die schwimmende FSRU ablösen und die Versorgung Deutschlands mit Erdgas weiter sichern.

Für die Buchungsverträge der Terminal-Kapazitäten hätten die Betreiber “erheblich zu niedrige Preise verlangt“, so der Vorwurf der Hanseatic Energy Hub – einem Joint Venture aus Industrie-, Energie- und Finanzunternehmen. “Ein gewöhnlicher Wirtschaftsteilnehmer hätte mit wesentlich höheren Renditeerwartungen kalkuliert und dementsprechend von seinen Kunden höhere Preise gefordert. Hierdurch wäre die Finanzierungslücke geschlossen worden und das Terminal könnte ohne Staatshilfe gebaut werden.”

Finanzierungslücke sei leicht zu schließen gewesen

Schon eine Preiserhöhung für die Kapazitätsbuchungen um zwei Prozent hätte nach Darstellung der Kläger ausgereicht, um die Finanzierungslücke zu schließen. Zudem hätten die Wettbewerbshüter der Kommission kein förmliches Prüfverfahren durchgeführt.

Die EU-Kommission hatte im Juli 2023 eine Vorzugsdividende für die privaten Gesellschafter bewilligt. “Die jährliche Rendite des Projekts kommt dadurch bis zu einem festgelegten Grenzwert ausschließlich den Gesellschaftern Gasunie und RWE zu”, schrieb das Bundeswirtschaftsministerium. Über eine Laufzeit von 15 Jahren kommen so voraussichtlich 40 Millionen Euro zusammen. Dieses Vorgehen hatte das BMWK offenbar bewusst gewählt, um beihilferechtlichen Zweifeln vorzubeugen.

Jurist sieht “besonderen Beihilfemechanismus”

“Die Spezifika des besonderen Beihilfemechanismus tragen dafür Sorge, dass es sich nach meiner vorläufigen Einschätzung durchaus um eine genehmigungsfähige Konstruktion handelt”, sagt der Speyerer Europarechtler Wolfgang Weiß. Auf diese Besonderheiten gehe die Klage zu wenig ein. Als “nicht sehr schlüssig” bewertet der Experte außerdem die Argumente der Kläger zur “unplausiblen Berechnung der Beihilfehöhe”: “Die Tatsache allein, dass eine öffentliche Bank beteiligt ist, ist nicht schon als solche eine Beihilfe, jedenfalls nach herrschender Ansicht.”

Fraglich sei zudem, ob die Betreiber des Stader Terminals überhaupt zur Klage befugt sind. “Wettbewerber von Beihilfeempfängern müssen recht hohe Anforderungen darlegen, um glaubhaft machen zu können, dass sie von der Entscheidung persönlich und unmittelbar betroffen sind: Dafür ist eine erhebliche Berührung in ihrem Wettbewerbsverhältnis nachzuweisen”, erklärt Weiß. Mehr noch: Selbst, wenn die Kläger Erfolg hätten, könne die Kommission die Beihilfe mit einer angepassten Begründung dennoch bewilligen.

Gasexperte hält Einfluss auf Preise für unwahrscheinlich

Inhaltliche Zweifel an der Begründung der Klage hat das Energieberatungsunternehmen Enervis. Schon Ende 2022 hätten die Brunsbütteler Betreiber Vertragsabschlüsse bekanntgegeben – mit dem Mineralölkonzern Conoco Phillips, dem Chemieunternehmen Ineos sowie der RWE Supply & Trading, sagt Consultant Sebastian Triebsch. “Da die Beihilfen zum Bau des Terminals erst im Jahr 2023 thematisiert und im Juli 2023 seitens der EU-Kommission genehmigt wurden, ist derzeit nicht ersichtlich, dass die German LNG die Kapazitätsbuchungsverträge zu marktunüblichen Preisen angeboten und die Beihilfe in ihren Kalkulationen berücksichtigt hat.”

Die Kapazitätskosten hätten generell nur einen marginalen Anteil an den LNG-Gesamtkosten, erklärt der Gasexperte. Das Terminal sei außerdem zu klein, um massive Wettbewerbswirkungen auf den Terminal-Markt oder den Gasgroßhandel erwarten zu lassen. Und noch ein Faktor, vor dem Klimaschützer immer wieder gewarnt hatten, lässt die Marktmacht gering erscheinen. Triebsch: “Auf Grundlage der Auslastungen der deutschen Terminals und der Verbrauchsentwicklungen ist – Stand heute – nicht von einer vollständigen Auslastung auszugehen.”

  • Beihilfen
  • Erdgas
  • EuGH
  • KfW
  • LNG
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Termine

14.08.2024 – 18:30-20:00 Uhr, Dresden
KAS, Konferenz Rechtliche Dimensionen der KI: Zwischen Innovation und Verantwortung
Die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) beleuchtet rechtliche und ethische Aspekte im Zusammenhang mit Künstlicher Intelligenz. INFOS & ANMELDUNG

15.08.2024 – 18:00-19:00 Uhr, Magdeburg
KAS, Diskussion Krieg in Europa: Wie verteidigungsbereit ist Deutschland?
Die Konrad-Adenauer-Stiftung geht unter anderem der Frage nach, wie die Gesellschaft auf die Bundeswehr blickt. INFOS & ANMELDUNG

15.08.2024 – 19:00-21:00 Uhr, Hannover/online
VWS, Podiumsdiskussion CO₂-Zertifikate – Ablasshandel oder effektive Werkzeuge?
Die Volkswagenstiftung (VWS) setzt sich mit den Implikationen des CO₂-Zertifikatehandels für Wirtschaft und Umwelt auseinander. INFOS & ANMELDUNG

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News

Deutschland trägt weniger zum EU-Budget bei

17,4 Milliarden Euro hat Deutschland 2023 netto in den EU-Haushalt eingezahlt. Das hat eine neue Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW Köln) errechnet, welche die verschiedenen Finanzflüsse zwischen der EU und den Mitgliedstaaten aggregiert. Deutschland bleibt als größte EU-Volkswirtschaft erwartungsgemäß der größte Nettozahler der EU – vor Frankreich und Italien.

Gegenüber dem Vorjahr ist der Nettobetrag jedoch geschrumpft. 2022 hatte Deutschland laut IW Köln netto 19,7 Milliarden Euro eingezahlt. Der Rückgang ist auf die deutsche Wirtschaftsschwäche zurückzuführen. Ein Großteil des EU-Haushalts wird über Mitgliedstaatsbeiträge finanziert, die auf Basis des Bruttonationaleinkommens (BNE) berechnet werden. Die Autoren des IW Köln gehen aufgrund der aktuellen wirtschaftlichen Entwicklung davon aus, dass Deutschland 2024 netto noch weniger beitragen wird. “Es kommt daher zu einer Lastenverschiebung zu stärker wachsenden Volkswirtschaften wie Spanien oder Portugal“, schreiben sie.

Nettozahler profitieren stärker vom Binnenmarkt

Die größten Nettoempfänger von EU-Geldern sind Polen (8,2 Milliarden Euro), Rumänien (6,0 Milliarden Euro) und Ungarn (4,6 Milliarden Euro). Die Studienautoren warnen, dass die Effekte der EU-Integration “sich nicht auf die Nettopositionen der Mitgliedstaaten gegenüber dem EU-Haushalt reduzieren” lassen. Sie halten die Veröffentlichung der Zahlen dennoch für wichtig, zumal die EU-Kommission die entsprechenden Netto-Berechnungen seit 2020 nicht mehr publiziert.

In Brüssel werden solche Nettoberechnungen tendenziell mit Skepsis betrachtet, da sie die Vorteile für die Nettozahler außer Acht lassen, speziell für große Volkswirtschaften wie Deutschland. Gerade die großen EU-Budgetposten der Kohäsions- und Agrarpolitik sind Teil eines politischen Kompromisses, der den Binnenmarkt überhaupt erst ermöglichte. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung errechnete 2019 zum Beispiel, dass Deutschland (gefolgt von Frankreich, Großbritannien und Italien) wirtschaftlich am meisten vom Binnenmarkt profitieren würde. jaa

  • EU-Haushalt
  • Europapolitik
  • Haushalt
  • Kohäsion
  • Konjunktur
  • Wirtschaft
  • Wirtschaftsentwicklung
  • Wirtschaftspolitik

Grüne stellen stationäre Grenzkontrollen infrage

Der Zeitpunkt zeugt nicht von besonderem Fingerspitzengefühl: Drei Wochen vor den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen und sechs Wochen vor den Wahlen in Brandenburg äußern Grünen-Abgeordnete Kritik an den deutschen Grenzkontrollen zu Polen, Tschechien, Österreich und der Schweiz.

“Wir wenden uns heute mit Sorgen hinsichtlich der vom Bundesinnenministerium eingeführten stationären Grenzkontrollen zu Polen, Tschechien, Österreich und der Schweiz an Sie”, heißt es in dem Brief von Europa-, Bundes- und Landtagsabgeordneten der Partei an die EU-Kommission und deren Präsidentin Ursula von der Leyen. Die Grünen-Abgeordneten haben Zweifel an der Vereinbarkeit der Kontrollen mit dem Schengener Grenzkodex. “Zudem zeigt ein neues Fachgutachten, dass die beabsichtigte Wirkung der Grenzkontrollen und diesbezügliche Erfolgsmeldungen sehr fragwürdig und in vielen Fällen nicht statistisch belegt sind.”

Unterzeichnet ist der Brief unter anderem von den Europaabgeordneten Anna Cavazzini und Erik Marquardt, den Bundestagsabgeordneten Filiz Polat und Marcel Emmerich sowie der Brandenburger Landtagsabgeordneten Sahra Damus.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte die Kontrollen an den Grenzen zu Polen, Tschechien und der Schweiz im vergangenen Oktober angeordnet und bei der EU-Kommission notifiziert. Sie sind derzeit bis zum 15. Dezember befristet. An der Landgrenze zu Österreich gibt es stationäre Kontrollen bereits seit 2015. Diese Kontrollen wurden mehrfach verlängert, sie gelten vorerst bis zum 11. November.

Scholz: Wichtiges Mittel im Kampf gegen illegale Migration

Trotz steigender Zahlen von illegalen Einreisen hatte Faeser diese Maßnahme zuvor mehrfach abgelehnt und stattdessen auf intensivierte Schleierfahndung gesetzt. Die Unionsfraktion im Bundestag und die Innenminister Brandenburgs und Sachsens, Armin Schuster und Michael Stübgen (beide CDU) hatten die Bundesinnenministerin deshalb scharf kritisiert und vehement die Einführung stationärer Grenzkontrollen gefordert. Dann entschied Faeser sich um, seit der Einführung der Kontrollen hatte es kaum Kritik an ihnen gegeben.

Bundeskanzler Olaf Scholz hat mehrfach herausgestellt, dass die Kontrollen ein wichtiges Mittel im Kampf gegen illegale Migration seien. Im Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz vom Juni “begrüßen” die Regierungschefs der Länder die Wiedereinführung der Kontrollen, denen sie attestieren, die irreguläre Migration reduziert zu haben. Den Beschluss hat auch der grüne baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann mitgetragen, Vizekanzler Robert Habeck war ebenfalls eingebunden. Die Grünen, die laut Programm eigentlich für flexible Kontrollen sind, wollten der Union zuletzt keine Angriffspunkte mehr bieten. bub

  • CDU
  • Die Grünen
  • Europapolitik
  • Migration
  • Nancy Faeser
  • Schengen-Raum
  • Sicherheit

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Studie: Deutschland ist größter EU-Nettozahler DEUTSCHLANDFUNK
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Heads

André Ventura – Portugals ultrarechter Nationalist

2019 gründete André Ventura die Partei Chega (“Es reicht”). Unterstützung bekommt er von mächtigen Unternehmerfamilien des Landes.

Im Leben vom André Ventura spielt Religion eine große Rolle. Als Jugendlicher besuchte er ein katholisches Priesterseminar. Sich mit einem Bußgürtel Schmerzen zuzufügen, gehörte zum Erleben seiner Spiritualität. Obwohl er das Priesterseminar verließ, um Rechtsanwalt und später Politiker zu werden, ist sein Verhältnis zur Politik noch immer religiös gefärbt. Der Chef und Gründer der Chega-Partei, behauptet, Gott habe ihm die “Aufgabe anvertraut, Portugal zu verändern”. Um diese Aufgabe zu erfüllen, braucht es nach Venturas Auffassung offenbar eine nationalistische und ultrarechte Politik.

André Claro Amaral Ventura wurde 1983 in Sintra geboren, einer kleinen Stadt im Großraum Lissabon. Seine Familie ließ ihn nicht taufen, er entschied sich eigenständig im Alter von 14 Jahren für den Katholizismus, schloss sich einer christlichen Jugendgruppe an, begann religiöse Literatur zu lesen und die Bibel buchstabengetreu zu deuten. Als er sich verliebte, tauschte er sein Leben als Geistlicher gegen eine juristische Laufbahn ein. Doch Ventura sagt: “Ich habe das Priesterseminar verlassen, aber das Seminar hat mich nicht verlassen”. Sein Jurastudium schloss er an der Universidade Nova de Lisboa ab, anschließend promovierte er an der Universität von Cork (Irland) im öffentlichen Recht. 

Fußball, Boulevard und Politik

Ventura begann seine politische Karriere in der Mitte-rechts-Partei Partido Social Democrata (PSD). Bei den Kommunalwahlen 2017 wurde er für die PSD zum Ratsmitglied der Gemeinde Loures gewählt. Neben seiner politischen Karriere als Stadtrat machte er sich auch als Sportkommentator für seinen Fußballverein Benfica und als Kolumnist für die Boulevardzeitung Correio da Manhã einen Namen. In seinen Meinungsartikeln sprach sich Ventura beispielsweise für die chemische Kastration von Pädophilen aus. 

Seine umstrittenen Positionen zu Einwanderung und Minderheiten sowie Differenzen mit der PSD führten jedoch dazu, dass er die Partei 2018 verließ

Im Jahr 2019 gründete Ventura die Chega-Partei, übersetzt bedeutet das “Es reicht”. Abgeleitet ist der Name von einer internen Bewegung, die Ventura 2018 startete, um den damaligen PSD-Präsidenten Rui Rio zu stürzen (“Chega Rui Rio”). Innerhalb von nur fünf Jahren ist die Chega von einem Stimmenanteil von 1,3 Prozent (2019) zur drittstärksten politischen Kraft mit 18 Prozent der Stimmen bei den Parlamentswahlen im März dieses Jahres geworden. Bei der Europawahl im Juni erreichte die Chega knapp 10 Prozent der Stimmen.

Der Slogan: “Portugal aufräumen”

Die Chega definiert sich als “konservative, liberale und nationalistische” Partei, wobei die Ablehnung von Immigration eine ihrer wichtigsten Grundlagen darstellt. In ihrem Gründungsmanifest ist zu lesen: “Die Chega ist eine nationalistische Partei, da sie die Nation als eine Blut-, Boden-, Eigentums- und Schicksalsgemeinschaft versteht, die Menschen mit historischen, kulturellen und sprachlichen Bindungen vereint.” 

Ventura und seine Partei konzentrieren sich in ihrem Anti-Immigrations-Diskurs auf Roma und Muslime, verschonen aber Brasilianer, von denen etwa 240.000 in Portugal leben – die größte Ausländergruppe in dem Land. Die Chega ist gegen soziale Hilfsmaßnahmen für Minderheiten und Einwanderer und fordert lebenslange Haft für Vergewaltiger und Mörder. “Das Volk regiert, nicht die Eliten, die uns regieren”, ist der Satz, den Ventura seit der Gründung von Chega im April 2019 in jedem Wahlkampf und jeder Wahl als Mantra verwendet. “Portugal aufräumen” (“Limpar Portugal”) war der diesjährige Slogan bei den Parlamentswahlen. Ziel sei es, das Land von seinen “korrupten Eliten” zu befreien.

Doch nicht alle einflussreichen Portugiesen ziehen Venturas Zorn auf sich – manchen steht er offenbar nahe. Chega wird von Mitgliedern mächtiger Unternehmerfamilien unterstützt, wie der Familie Mello, Besitzer von Weinunternehmen und drittreichste Familie Portugals, und dem Champalimaud-Clan, Besitzer der Oitavos-Hotels. 

Heterogene Wählerschaft

Ventura hat es verstanden, die Stimmen von empörten Portugiesen zu gewinnen, aber auch von Ultrakonservativen und Rechtsextremen, die bei ihm ein politisches Zuhause gefunden haben. Aber nicht nur. In einer Reportage stellt die Tageszeitung “Publico” fest, dass sogar ehemalige Anhänger der Kommunisten die Chega-Partei unterstützen. 

Der Chega-Chef stört sich nicht daran, dass seine Partei als “rechtsextrem” bezeichnet wird. “Wir leben heute in einem Land, in dem jeder, der Portugiesen verteidigt, die ihre Steuern zahlen und nicht vom System leben, als Faschist gebrandmarkt wird”, sagte Ventura 2021 in einem Interview. In demselben Jahr griff die Chega das Motto der Diktatur von António Salazar auf: “Gott, Vaterland, Familie und Arbeit”. “Ich bin kein Salazarist, und die Partei ist es auch nicht, aber das sind gute Werte, um die Gesellschaft zu leiten”, sagte Ventura damals. Isabel Cuesta

  • Europawahlen 2024
  • Portugal
  • Rechtsruck

Europe.Table Redaktion

EUROPE.TABLE REDAKTION

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    wo stehen wir in sechs Monaten? Wie die europäischen Wirtschaftsexperten die Zukunft einschätzen, werden wir in den nächsten Stunden erfahren, wenn der neueste Stimmungsindikator des Mannheimer ZEW-Instituts veröffentlicht wird.

    Der Index liefert wichtige Hinweise darauf, wie wahrscheinlich eine Erholung der deutschen Wirtschaft ist – oder ob Deutschland in eine Rezession abrutscht und weiterhin eine Belastung für die Eurozone darstellt.

    Der deutsche Index ist im vergangenen Monat zum ersten Mal seit einem Jahr gesunken, was auf eine Verschlechterung der Aussichten hindeutet. Die Analysten sind ebenfalls wenig optimistisch, was die Zukunft der EU-Wirtschaft angeht. Das Bruttoinlandsprodukt der EU ist im zweiten Quartal 2024 gestiegen – trotz der Entwicklungen in Deutschland, das aufgrund schwacher Investitionen einen monatlichen Rückgang des BIP um 0,1 Prozent verzeichnete.

    Die gute Nachricht der Umfrage vom vergangenen Monat: Etwa die Hälfte der befragten Experten erwartet immer noch eine Verbesserung der europäischen Wirtschaft innerhalb von sechs Monaten, und nur wenige sagen eine zunehmende Inflation voraus.

    Auch wenn Deutschland das “schwache Glied” der Eurozone bleibt, ist es immer noch der Mitgliedstaat, der netto am meisten zum EU-Haushalt beiträgt: Die Bundesrepublik zahlt 17,4 Milliarden Euro mehr ein als sie erhält, wie János Allenbach-Ammann in dieser Ausgabe berichtet.

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    LNG-Terminal: EuGH soll über Subventionen entscheiden

    Die Energiekonzerne RWE und Gasunie müssen möglicherweise auf Subventionen der Bundesregierung in Höhe von 40 Millionen Euro für das geplante Flüssiggas-Terminal in Brunsbüttel verzichten. Die Unternehmen hinter dem Konkurrenzprojekt in Stade haben vor dem Europäischen Gericht (EuG) gegen die EU-Kommission geklagt und wollen die Genehmigung der Beihilfen für nichtig erklären lassen. Eingereicht wurde die Klage bereits am 18. Juni (Rechtssache T-309/24).

    Die Vorwürfe der Kläger richten sich letztlich gegen die Bundesregierung. “Die Beihilfe führe zu erheblichen Wettbewerbsverzerrungen auf dem Markt für LNG-Einfuhrterminals sowie auf dem nachgelagerten Gasgroßhandelsmarkt”, heißt es in der Zusammenfassung des Gerichts. Klägerin ist die Hanseatic Energy Hub, die die Anlage in Stade errichtet.   

    Bundesbeteiligung führe zu niedrigen Preisen

    Der Bund hatte im März 2022 angekündigt, sich über die KfW zur Hälfte an der Brunsbütteler Betreibergesellschaft German LNG Terminal zu beteiligen. Gasunie und RWE halten die restlichen 40 beziehungsweise zehn Prozent. Spätestens 2027 soll das landseitige Terminal die schwimmende FSRU ablösen und die Versorgung Deutschlands mit Erdgas weiter sichern.

    Für die Buchungsverträge der Terminal-Kapazitäten hätten die Betreiber “erheblich zu niedrige Preise verlangt“, so der Vorwurf der Hanseatic Energy Hub – einem Joint Venture aus Industrie-, Energie- und Finanzunternehmen. “Ein gewöhnlicher Wirtschaftsteilnehmer hätte mit wesentlich höheren Renditeerwartungen kalkuliert und dementsprechend von seinen Kunden höhere Preise gefordert. Hierdurch wäre die Finanzierungslücke geschlossen worden und das Terminal könnte ohne Staatshilfe gebaut werden.”

    Finanzierungslücke sei leicht zu schließen gewesen

    Schon eine Preiserhöhung für die Kapazitätsbuchungen um zwei Prozent hätte nach Darstellung der Kläger ausgereicht, um die Finanzierungslücke zu schließen. Zudem hätten die Wettbewerbshüter der Kommission kein förmliches Prüfverfahren durchgeführt.

    Die EU-Kommission hatte im Juli 2023 eine Vorzugsdividende für die privaten Gesellschafter bewilligt. “Die jährliche Rendite des Projekts kommt dadurch bis zu einem festgelegten Grenzwert ausschließlich den Gesellschaftern Gasunie und RWE zu”, schrieb das Bundeswirtschaftsministerium. Über eine Laufzeit von 15 Jahren kommen so voraussichtlich 40 Millionen Euro zusammen. Dieses Vorgehen hatte das BMWK offenbar bewusst gewählt, um beihilferechtlichen Zweifeln vorzubeugen.

    Jurist sieht “besonderen Beihilfemechanismus”

    “Die Spezifika des besonderen Beihilfemechanismus tragen dafür Sorge, dass es sich nach meiner vorläufigen Einschätzung durchaus um eine genehmigungsfähige Konstruktion handelt”, sagt der Speyerer Europarechtler Wolfgang Weiß. Auf diese Besonderheiten gehe die Klage zu wenig ein. Als “nicht sehr schlüssig” bewertet der Experte außerdem die Argumente der Kläger zur “unplausiblen Berechnung der Beihilfehöhe”: “Die Tatsache allein, dass eine öffentliche Bank beteiligt ist, ist nicht schon als solche eine Beihilfe, jedenfalls nach herrschender Ansicht.”

    Fraglich sei zudem, ob die Betreiber des Stader Terminals überhaupt zur Klage befugt sind. “Wettbewerber von Beihilfeempfängern müssen recht hohe Anforderungen darlegen, um glaubhaft machen zu können, dass sie von der Entscheidung persönlich und unmittelbar betroffen sind: Dafür ist eine erhebliche Berührung in ihrem Wettbewerbsverhältnis nachzuweisen”, erklärt Weiß. Mehr noch: Selbst, wenn die Kläger Erfolg hätten, könne die Kommission die Beihilfe mit einer angepassten Begründung dennoch bewilligen.

    Gasexperte hält Einfluss auf Preise für unwahrscheinlich

    Inhaltliche Zweifel an der Begründung der Klage hat das Energieberatungsunternehmen Enervis. Schon Ende 2022 hätten die Brunsbütteler Betreiber Vertragsabschlüsse bekanntgegeben – mit dem Mineralölkonzern Conoco Phillips, dem Chemieunternehmen Ineos sowie der RWE Supply & Trading, sagt Consultant Sebastian Triebsch. “Da die Beihilfen zum Bau des Terminals erst im Jahr 2023 thematisiert und im Juli 2023 seitens der EU-Kommission genehmigt wurden, ist derzeit nicht ersichtlich, dass die German LNG die Kapazitätsbuchungsverträge zu marktunüblichen Preisen angeboten und die Beihilfe in ihren Kalkulationen berücksichtigt hat.”

    Die Kapazitätskosten hätten generell nur einen marginalen Anteil an den LNG-Gesamtkosten, erklärt der Gasexperte. Das Terminal sei außerdem zu klein, um massive Wettbewerbswirkungen auf den Terminal-Markt oder den Gasgroßhandel erwarten zu lassen. Und noch ein Faktor, vor dem Klimaschützer immer wieder gewarnt hatten, lässt die Marktmacht gering erscheinen. Triebsch: “Auf Grundlage der Auslastungen der deutschen Terminals und der Verbrauchsentwicklungen ist – Stand heute – nicht von einer vollständigen Auslastung auszugehen.”

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    • EuGH
    • KfW
    • LNG
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    14.08.2024 – 18:30-20:00 Uhr, Dresden
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    Die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) beleuchtet rechtliche und ethische Aspekte im Zusammenhang mit Künstlicher Intelligenz. INFOS & ANMELDUNG

    15.08.2024 – 18:00-19:00 Uhr, Magdeburg
    KAS, Diskussion Krieg in Europa: Wie verteidigungsbereit ist Deutschland?
    Die Konrad-Adenauer-Stiftung geht unter anderem der Frage nach, wie die Gesellschaft auf die Bundeswehr blickt. INFOS & ANMELDUNG

    15.08.2024 – 19:00-21:00 Uhr, Hannover/online
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    News

    Deutschland trägt weniger zum EU-Budget bei

    17,4 Milliarden Euro hat Deutschland 2023 netto in den EU-Haushalt eingezahlt. Das hat eine neue Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW Köln) errechnet, welche die verschiedenen Finanzflüsse zwischen der EU und den Mitgliedstaaten aggregiert. Deutschland bleibt als größte EU-Volkswirtschaft erwartungsgemäß der größte Nettozahler der EU – vor Frankreich und Italien.

    Gegenüber dem Vorjahr ist der Nettobetrag jedoch geschrumpft. 2022 hatte Deutschland laut IW Köln netto 19,7 Milliarden Euro eingezahlt. Der Rückgang ist auf die deutsche Wirtschaftsschwäche zurückzuführen. Ein Großteil des EU-Haushalts wird über Mitgliedstaatsbeiträge finanziert, die auf Basis des Bruttonationaleinkommens (BNE) berechnet werden. Die Autoren des IW Köln gehen aufgrund der aktuellen wirtschaftlichen Entwicklung davon aus, dass Deutschland 2024 netto noch weniger beitragen wird. “Es kommt daher zu einer Lastenverschiebung zu stärker wachsenden Volkswirtschaften wie Spanien oder Portugal“, schreiben sie.

    Nettozahler profitieren stärker vom Binnenmarkt

    Die größten Nettoempfänger von EU-Geldern sind Polen (8,2 Milliarden Euro), Rumänien (6,0 Milliarden Euro) und Ungarn (4,6 Milliarden Euro). Die Studienautoren warnen, dass die Effekte der EU-Integration “sich nicht auf die Nettopositionen der Mitgliedstaaten gegenüber dem EU-Haushalt reduzieren” lassen. Sie halten die Veröffentlichung der Zahlen dennoch für wichtig, zumal die EU-Kommission die entsprechenden Netto-Berechnungen seit 2020 nicht mehr publiziert.

    In Brüssel werden solche Nettoberechnungen tendenziell mit Skepsis betrachtet, da sie die Vorteile für die Nettozahler außer Acht lassen, speziell für große Volkswirtschaften wie Deutschland. Gerade die großen EU-Budgetposten der Kohäsions- und Agrarpolitik sind Teil eines politischen Kompromisses, der den Binnenmarkt überhaupt erst ermöglichte. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung errechnete 2019 zum Beispiel, dass Deutschland (gefolgt von Frankreich, Großbritannien und Italien) wirtschaftlich am meisten vom Binnenmarkt profitieren würde. jaa

    • EU-Haushalt
    • Europapolitik
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    Grüne stellen stationäre Grenzkontrollen infrage

    Der Zeitpunkt zeugt nicht von besonderem Fingerspitzengefühl: Drei Wochen vor den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen und sechs Wochen vor den Wahlen in Brandenburg äußern Grünen-Abgeordnete Kritik an den deutschen Grenzkontrollen zu Polen, Tschechien, Österreich und der Schweiz.

    “Wir wenden uns heute mit Sorgen hinsichtlich der vom Bundesinnenministerium eingeführten stationären Grenzkontrollen zu Polen, Tschechien, Österreich und der Schweiz an Sie”, heißt es in dem Brief von Europa-, Bundes- und Landtagsabgeordneten der Partei an die EU-Kommission und deren Präsidentin Ursula von der Leyen. Die Grünen-Abgeordneten haben Zweifel an der Vereinbarkeit der Kontrollen mit dem Schengener Grenzkodex. “Zudem zeigt ein neues Fachgutachten, dass die beabsichtigte Wirkung der Grenzkontrollen und diesbezügliche Erfolgsmeldungen sehr fragwürdig und in vielen Fällen nicht statistisch belegt sind.”

    Unterzeichnet ist der Brief unter anderem von den Europaabgeordneten Anna Cavazzini und Erik Marquardt, den Bundestagsabgeordneten Filiz Polat und Marcel Emmerich sowie der Brandenburger Landtagsabgeordneten Sahra Damus.

    Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte die Kontrollen an den Grenzen zu Polen, Tschechien und der Schweiz im vergangenen Oktober angeordnet und bei der EU-Kommission notifiziert. Sie sind derzeit bis zum 15. Dezember befristet. An der Landgrenze zu Österreich gibt es stationäre Kontrollen bereits seit 2015. Diese Kontrollen wurden mehrfach verlängert, sie gelten vorerst bis zum 11. November.

    Scholz: Wichtiges Mittel im Kampf gegen illegale Migration

    Trotz steigender Zahlen von illegalen Einreisen hatte Faeser diese Maßnahme zuvor mehrfach abgelehnt und stattdessen auf intensivierte Schleierfahndung gesetzt. Die Unionsfraktion im Bundestag und die Innenminister Brandenburgs und Sachsens, Armin Schuster und Michael Stübgen (beide CDU) hatten die Bundesinnenministerin deshalb scharf kritisiert und vehement die Einführung stationärer Grenzkontrollen gefordert. Dann entschied Faeser sich um, seit der Einführung der Kontrollen hatte es kaum Kritik an ihnen gegeben.

    Bundeskanzler Olaf Scholz hat mehrfach herausgestellt, dass die Kontrollen ein wichtiges Mittel im Kampf gegen illegale Migration seien. Im Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz vom Juni “begrüßen” die Regierungschefs der Länder die Wiedereinführung der Kontrollen, denen sie attestieren, die irreguläre Migration reduziert zu haben. Den Beschluss hat auch der grüne baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann mitgetragen, Vizekanzler Robert Habeck war ebenfalls eingebunden. Die Grünen, die laut Programm eigentlich für flexible Kontrollen sind, wollten der Union zuletzt keine Angriffspunkte mehr bieten. bub

    • CDU
    • Die Grünen
    • Europapolitik
    • Migration
    • Nancy Faeser
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    • Sicherheit

    Must-Reads

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    Elon Musks X: 9 Beschwerden wegen Verletzung der EU-Datenschutzvorschriften EURONEWS
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    EU: 1,5 Millionen neue rein batteriebetriebene Autos im Jahr 2023 ECOMENTO
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    André Ventura – Portugals ultrarechter Nationalist

    2019 gründete André Ventura die Partei Chega (“Es reicht”). Unterstützung bekommt er von mächtigen Unternehmerfamilien des Landes.

    Im Leben vom André Ventura spielt Religion eine große Rolle. Als Jugendlicher besuchte er ein katholisches Priesterseminar. Sich mit einem Bußgürtel Schmerzen zuzufügen, gehörte zum Erleben seiner Spiritualität. Obwohl er das Priesterseminar verließ, um Rechtsanwalt und später Politiker zu werden, ist sein Verhältnis zur Politik noch immer religiös gefärbt. Der Chef und Gründer der Chega-Partei, behauptet, Gott habe ihm die “Aufgabe anvertraut, Portugal zu verändern”. Um diese Aufgabe zu erfüllen, braucht es nach Venturas Auffassung offenbar eine nationalistische und ultrarechte Politik.

    André Claro Amaral Ventura wurde 1983 in Sintra geboren, einer kleinen Stadt im Großraum Lissabon. Seine Familie ließ ihn nicht taufen, er entschied sich eigenständig im Alter von 14 Jahren für den Katholizismus, schloss sich einer christlichen Jugendgruppe an, begann religiöse Literatur zu lesen und die Bibel buchstabengetreu zu deuten. Als er sich verliebte, tauschte er sein Leben als Geistlicher gegen eine juristische Laufbahn ein. Doch Ventura sagt: “Ich habe das Priesterseminar verlassen, aber das Seminar hat mich nicht verlassen”. Sein Jurastudium schloss er an der Universidade Nova de Lisboa ab, anschließend promovierte er an der Universität von Cork (Irland) im öffentlichen Recht. 

    Fußball, Boulevard und Politik

    Ventura begann seine politische Karriere in der Mitte-rechts-Partei Partido Social Democrata (PSD). Bei den Kommunalwahlen 2017 wurde er für die PSD zum Ratsmitglied der Gemeinde Loures gewählt. Neben seiner politischen Karriere als Stadtrat machte er sich auch als Sportkommentator für seinen Fußballverein Benfica und als Kolumnist für die Boulevardzeitung Correio da Manhã einen Namen. In seinen Meinungsartikeln sprach sich Ventura beispielsweise für die chemische Kastration von Pädophilen aus. 

    Seine umstrittenen Positionen zu Einwanderung und Minderheiten sowie Differenzen mit der PSD führten jedoch dazu, dass er die Partei 2018 verließ

    Im Jahr 2019 gründete Ventura die Chega-Partei, übersetzt bedeutet das “Es reicht”. Abgeleitet ist der Name von einer internen Bewegung, die Ventura 2018 startete, um den damaligen PSD-Präsidenten Rui Rio zu stürzen (“Chega Rui Rio”). Innerhalb von nur fünf Jahren ist die Chega von einem Stimmenanteil von 1,3 Prozent (2019) zur drittstärksten politischen Kraft mit 18 Prozent der Stimmen bei den Parlamentswahlen im März dieses Jahres geworden. Bei der Europawahl im Juni erreichte die Chega knapp 10 Prozent der Stimmen.

    Der Slogan: “Portugal aufräumen”

    Die Chega definiert sich als “konservative, liberale und nationalistische” Partei, wobei die Ablehnung von Immigration eine ihrer wichtigsten Grundlagen darstellt. In ihrem Gründungsmanifest ist zu lesen: “Die Chega ist eine nationalistische Partei, da sie die Nation als eine Blut-, Boden-, Eigentums- und Schicksalsgemeinschaft versteht, die Menschen mit historischen, kulturellen und sprachlichen Bindungen vereint.” 

    Ventura und seine Partei konzentrieren sich in ihrem Anti-Immigrations-Diskurs auf Roma und Muslime, verschonen aber Brasilianer, von denen etwa 240.000 in Portugal leben – die größte Ausländergruppe in dem Land. Die Chega ist gegen soziale Hilfsmaßnahmen für Minderheiten und Einwanderer und fordert lebenslange Haft für Vergewaltiger und Mörder. “Das Volk regiert, nicht die Eliten, die uns regieren”, ist der Satz, den Ventura seit der Gründung von Chega im April 2019 in jedem Wahlkampf und jeder Wahl als Mantra verwendet. “Portugal aufräumen” (“Limpar Portugal”) war der diesjährige Slogan bei den Parlamentswahlen. Ziel sei es, das Land von seinen “korrupten Eliten” zu befreien.

    Doch nicht alle einflussreichen Portugiesen ziehen Venturas Zorn auf sich – manchen steht er offenbar nahe. Chega wird von Mitgliedern mächtiger Unternehmerfamilien unterstützt, wie der Familie Mello, Besitzer von Weinunternehmen und drittreichste Familie Portugals, und dem Champalimaud-Clan, Besitzer der Oitavos-Hotels. 

    Heterogene Wählerschaft

    Ventura hat es verstanden, die Stimmen von empörten Portugiesen zu gewinnen, aber auch von Ultrakonservativen und Rechtsextremen, die bei ihm ein politisches Zuhause gefunden haben. Aber nicht nur. In einer Reportage stellt die Tageszeitung “Publico” fest, dass sogar ehemalige Anhänger der Kommunisten die Chega-Partei unterstützen. 

    Der Chega-Chef stört sich nicht daran, dass seine Partei als “rechtsextrem” bezeichnet wird. “Wir leben heute in einem Land, in dem jeder, der Portugiesen verteidigt, die ihre Steuern zahlen und nicht vom System leben, als Faschist gebrandmarkt wird”, sagte Ventura 2021 in einem Interview. In demselben Jahr griff die Chega das Motto der Diktatur von António Salazar auf: “Gott, Vaterland, Familie und Arbeit”. “Ich bin kein Salazarist, und die Partei ist es auch nicht, aber das sind gute Werte, um die Gesellschaft zu leiten”, sagte Ventura damals. Isabel Cuesta

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