gestern war Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck in Brüssel, um einige der neuen Kommissare zu treffen. In einem Gespräch mit Journalisten erklärte er zudem, weshalb er zur Zeit der Verhandlungen der EU-Schuldenregeln die relativ strenge deutsche Position mitgetragen hatte. Ende November hatte Habeck diese Regeln nämlich plötzlich als “Sicherheitsrisiko” bewertet, was insbesondere im Bundesfinanzministerium sauer aufstieß.
“Ja, weil die Einigungszwänge dann da waren”, begründete Habeck seine damalige Unterstützung für die deutsche Verhandlungsposition. Diese Einigungszwänge sind seit dem Fall der Ampelregierung eindeutig nicht mehr da. So sprach Habeck offen vom “Widerspruch” zwischen den Schuldenregeln und dem Ziel höherer Verteidigungsausgaben.
Ein weiteres Problem der EU-Schuldenregeln sieht Habeck in ihrer Wirkung auf die Wettbewerbsfähigkeit. Er zitierte den Draghi-Bericht, wonach jährlich zusätzliche Investitionen in dreistelliger Milliardenhöhe notwendig seien. “Und auf der anderen Seite steht der Fiscal Structural Plan, der im Grunde genau das nicht vorsieht und unmöglich macht”, sagte er.
Möglicherweise wären die EU-Schuldenregeln anders ausgefallen, wenn man diese Erkenntnisse schon vorher gehabt hätte, spekulierte der Bundeswirtschaftsminister. Der Haken an dieser Argumentation: Ein Großteil der Erkenntnisse Draghis – speziell jene zu den Investitionsbedarfen – waren schon lange vor dem Erscheinen seines Berichts bekannt.
Einen schönen Tag ohne Sicherheitsrisiken wünscht Ihnen
Die Mindestlohnrichtlinie war das wichtigste sozialpolitische Vorhaben im ersten Mandat von Ursula von der Leyen. In der zweiten Amtszeit muss die Kommissionschefin nun sicherstellen, dass die Richtlinie von den Mitgliedstaaten umgesetzt wird – denn die Frist dazu ist am 15. November ausgelaufen. Und die Debatten darüber sind schon im Gange.
Aktuell weiß die Kommission noch nicht, welche Länder zum Stichtag die Richtlinie bereits vollständig umgesetzt haben. Die Überprüfung beginne jetzt, heißt es. Stelle man fest, dass die Richtlinie nicht oder nicht vollständig umgesetzt wird, könne man Vertragsverletzungsverfahren einleiten. Arbeitskommissarin Roxana Mînzatu hat in der Anhörung vor dem Europaparlament klargestellt: Die Überwachung der Umsetzung der Mindestlohnrichtlinie hat für sie Priorität.
Ziel der Richtlinie: Länder mit gesetzlichen Mindestlöhnen sollen sich Kriterien geben, um eine “angemessene” Mindestlohnhöhe zu erreichen, die auch vor Armut trotz Arbeit schützt. Außerdem soll sie helfen, die Tarifbindung zu erhöhen. Zu diesem Zweck macht die Richtlinie drei Vorgaben:
Doch wie verbindlich sind diese Vorgaben? Das ist umstritten. Aus Sicht von Thorsten Schulten, Leiter des Tarifarchivs des arbeitnehmernahen Wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung, ist die Richtlinie eine Art “Soft hard law”: “Das Gesetz ist mehr als eine Empfehlung, aber wegen des Anwendungsbereichs Löhne und Tarifautonomie weniger bindend als andere Richtlinien.” Denn Löhne und Sozialpartnerschaft sind Aufgaben der Mitgliedstaaten. Die vier Kriterien zur Ermittlung der Lohnhöhe sollten seiner Meinung nach aber explizit festgeschrieben werden.
Auch für viele Gewerkschafter ist klar: Die Richtlinie ist erst erfüllt, wenn diese drei Vorgaben voll angewendet werden. Mindestlöhne seien erst angemessen, “wenn sie mindestens 60 Prozent des mittleren gesamtwirtschaftlichen Lohns von Vollzeitbeschäftigten (Medianlohn) entsprechen”, so der Deutsche Gewerkschaftsbund. Dies würde etwa in Deutschland eine Anhebung des Mindestlohns auf 15,27 Euro für 2025 nach sich ziehen, rechnet der DGB vor. Zum Vergleich: Die Mindestlohnkommission beschloss mit Verweis auf die Tariflohnentwicklung eine Anhebung um 41 Cent auf 12,82 Euro für das kommende Jahr.
Vonseiten der Arbeitgeber wird hingegen darauf verwiesen, dass dies nur Empfehlungen seien, weil die Union keinerlei Kompetenzen habe, die Staaten dazu zu zwingen.
Der Europäische Gewerkschaftsbund (ETUC) folgert, die Mitgliedstaaten setzten die Mindestlohnrichtlinie nicht um. In einer Auswertung von Ende Oktober war ETUC bereits zum Ergebnis gekommen, dass nur sechs Staaten bisher eine Gesetzesinitiative auf den Weg gebracht habe, nämlich: Belgien, Ungarn, Lettland, Luxemburg, Polen und Rumänien. Allerdings zählt ETUC hier etwa auch Österreich zu den Ländern, in denen die Debatten noch andauerten – dabei hat das Land keinen gesetzlichen Mindestlohn und auch die Tarifquote liegt über 80 Prozent.
Christina Hießl, die an der KU Leuven europäisches Arbeitsrecht lehrt, konstatiert: “Wir sehen, dass viele Staaten sich von der Richtlinie gar nicht erfasst sehen und keine Änderungen an ihren Gesetzen vornehmen.” Die Richtlinie habe nach einer Änderung durch den Rat nur noch eine sehr enge Definition davon, was ein gesetzlicher Mindestlohn sei: wenn dessen Höhe direkt vom Gesetzgeber bestimmt wird. Nicht erfasst werde nach dieser Auffassung etwa ein Mindestlohn, der wie in Deutschland durch Sozialpartner ausgehandelt und anschließend etwa durch das zuständige Ministerium für bindend erklärt wird.
In Deutschland fiel die Reaktion auf die Richtlinie widersprüchlich aus. So betonte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) in einem Schreiben an die Mindestlohnkommission: Er sehe die Richtlinie dann umgesetzt, wenn die Mindestlohnkommission bei ihrer kommenden Entscheidung den Referenzwert von 60 Prozent berücksichtige. Nur wenig später, am 23. Oktober, erklärte das BMAS im Bundesgesetzblatt: “Die Richtlinie […] über angemessene Mindestlöhne in der Europäischen Union wird umgesetzt durch das Mindestlohngesetz.” Sprich: Das Ministerium sieht keinen gesetzlichen Handlungsbedarf. Einen Aktionsplan zur Steigerung der Tarifbindung müsse man zum jetzigen Zeitpunkt nicht vorlegen, heißt es.
Die Kommission dürfte abwarten, wie der Europäische Gerichtshof entscheidet. Der EuGH prüft derzeit, ob die EU ausreichend Kompetenzen für die Richtlinie hat. Dänemark hat eine Nichtigkeitsklage eingereicht, für den 14. Januar wird die Stellungnahme des Generalanwalts erwartet. “Erst danach wird die Kommission mit der Bewertung starten”, sagt Hießl. Viele Experten gehen wie die Arbeitsrechtlerin davon aus, dass die Richtlinie weitgehend unbeschadet durchkommt.
Trotz des Streits über die Umsetzung: Tarifexperte Schulten beobachtet positive Entwicklungen: “Wir sehen, dass gerade Länder in Mittel- und Osteuropa, begonnen haben, Systematiken für die Mindestlohnermittlung einzuführen.” So liege etwa in Bulgarien ein Gesetzesentwurf auf dem Tisch, der die 50-Prozent-Marke explizit enthält. Auch in der Slowakei wird eine Mindestlohnhöhe von 60 Prozent des Durchschnittslohns angestrebt. Zypern führte 2022 gar erstmals einen gesetzlichen Mindestlohn ein.
Auch die EU-Agentur Eurofound kam Mitte des Jahres zu einem positiven Ergebnis: Die Richtlinie habe “erhebliche Erhöhungen” ausgelöst, da immer mehr Länder bestrebt seien, ihren nationalen Mindestlohn an bestimmte Zielprozentsätze der tatsächlichen Löhne anzugleichen. Jedoch gebe es nach wie vor noch große Unterschiede zwischen den Ländern.
Dass ein EU-Kommissar im Dialog mit Elon Musk auf dessen Plattform X in aller Öffentlichkeit die Muskeln spielen lässt – so etwas wird es in der neuen Legislatur wohl nicht mehr geben. Nicht nur, weil es Thierry Breton den Posten gekostet hat. Seine Nachfolgerin Henna Virkkunen schlägt einen anderen Ton an. In der Sache aber, so hat sie bereits klargestellt, wird sie bei der Durchsetzung der europäischen Digitalgesetzgebung nicht nachlassen.
Doch es ist fraglich, ob sie das durchhalten kann. Denn die Gefahr besteht, dass die Digitalregulierung zur Manövriermasse bei der Neustrukturierung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen der kommenden Trump-Administration und der EU-Kommission wird.
Gerade beim Digital Services Act (DSA) fällt es der Kommission schwer zu erklären, dass es bei dem Gesetz nicht darum geht, in die Inhalte einzugreifen. Sondern darum, die systemischen Risiken zu bekämpfen, um den Informationsraum integer zu halten. “Es ist gefährlich, wenn der Besitzer der Plattform X Leute retweetet, die sagen, dass die EU ,undemokratisch’ ist, und es scheint, dass mehr Angriffe auf den DSA aus den USA kommen“, schrieb der Europaabgeordnete Andreas Schwab (CDU) auf der Plattform Bluesky.
Nicht nur Elon Musk oder Mark Zuckerberg sprechen beim DSA von Zensur. Diese Vorwürfe gibt es auch in Europa. Allerdings: Hinter den Kulissen kooperieren X und Meta nach wie vor mit der Kommission. So nahm X während des Wahlkampfes in Rumänien an einem virtuellen Runden Tisch zum Code of Practice on Disinformation teil – obwohl die Plattform unter Musk aus der seit 2018 existierenden Selbstverpflichtung ausgestiegen ist. Bemerkenswert fand man das in der Kommission. Natürlich sei man auf europäischer Seite gewillt, weiterhin transatlantisch in möglichst vielen Bereichen zu kooperieren. Bisher gebe es etwa auch von Meta keinerlei Hinweis, dass sich das ändern könnte.
Allerdings hält sich die Kommission in manchen Bereichen zurzeit bewusst zurück. So wolle man das Verfahren gegen X aktuell nicht weiter eskalieren. Da müsse man als Regulator weise sein, heißt es in der Behörde. Einen Stopp des Verfahrens bedeute das aber nicht. Die Untersuchungen liefen noch. X habe einen großen Berg Daten geliefert, den die Behörde analysiere. Dabei wird sich die Kommission nun etwas Zeit lassen. Sie hat ja auch andere Baustellen, Tiktok zum Beispiel.
Würde die Kommission so weit gehen, eine laxere Gangart bei der Umsetzung des DSA beispielsweise gegen geringe Zölle einzutauschen? “Ich glaube nicht, dass das diese Relevanz einnehmen wird”, lautet die Einschätzung eines Beamten der Kommission im Gespräch mit Table.Briefings.
Grundsätzlich gibt sich die Kommission selbstbewusst: “Keiner will einen Handelskrieg, aber da können wir durchaus parieren.” Doch dabei blieben die Verhandlungen voraussichtlich auf die Handelsströme beschränkt. Dass der DSA in die Gespräche einbezogen werden könnte, sieht die Kommission zurzeit nicht. Auszuschließen sei es aber auch nicht, “weil es einen gewissen erratischen Zug um Herrn Trump herum gibt”. Dennoch gelte: Donald Trump sage viel. Man müsse “erst einmal sehen, was da wirklich passiert”.
Die Europaparlamentarierin Alexandra Geese (Grüne), die erst vor Kurzem zu Gesprächen in den USA war, warnt hingegen: “Ich glaube, diesmal wird die Trump-Regierung von Tag eins an handlungsfähig sein, und sie ist Europa nicht wohlgesinnt.” Doch was genau das für Europa bedeute, sei schwer abzuschätzen. “Ich höre, dass Elon Musk eigentlich kein Interesse an Zöllen hat, weil er natürlich auch viel nach Europa exportiert”, sagt Geese. Hier gibt es möglicherweise Dissens zwischen dem ansonsten so harmonisch auftretenden Gespann.
Zugleich könnte es zwischen Trump und dem Silicon Valley ungemütlich werden. Keineswegs alle US-Tech-Unternehmer seien der gleichen Ansicht wie Musk oder der Tech-Milliardär Marc Andreessen, sagt Geese. Der designierte Vizepräsident J.D. Vance ist erklärter Gegner der großen Tech-Konzerne, die er entweder für zu liberal oder zu mächtig hält. Google nannte er “die gefährlichste Firma der Welt”, und die möchte Vance am liebsten zerschlagen.
Der Parlamentarier Tiemo Wölken (SPD) geht davon aus, dass Elon Musk für sein massives Investment in die Trump-Kampagne eine Gegenleistung sehen will. Das könne weniger Regulierung in den USA bedeuten, aber eben auch in der EU. Doch Europa dürfe sich nicht erpressen lassen. “Ein Kuhhandel – weniger Tech-Regulierung, dafür weniger Zölle auf Autos -, das darf an der Stelle nicht passieren. Wenn wir die regelbasierte Weltordnung verlassen, haben wir davon nur Nachteile.”
In der Kommission ist man zuversichtlich, dass die Dinge in der zweiten Amtszeit Trumps ein wenig geordneter ablaufen. Zum Beispiel im Bereich Cybersecurity, der auch im Trade and Technology Council (TTC), dem Handels- und Technologierat zwischen der EU und den USA, diskutiert wurde. Es sei gut vorstellbar, dass die Trump-Regierung interessiert sei, bei diesen Themen weiter mit der EU zusammenzuarbeiten.
EU-Handelskommissar Maroš Šefčovič hat – bevor er wusste, wie die US-Wahl ausgeht – angekündigt, den TTC weiterführen zu wollen. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass Trump an dem unter der Biden-Regierung gewählten Konstrukt festhalten wird. Das bedeutet aber nicht das Ende der Zusammenarbeit. Denn auch mit anderen Ländern wie Japan, Singapur oder Korea pflegt die EU Digitalpartnerschaften.
Jedenfalls sieht sich die Kommission heute besser gerüstet für eine Regierung Trump als bei der ersten Amtszeit. Die entscheidenden Generaldirektionen seien im engen Austausch, sagt ein Mitglied der Behörde. “Vor acht Jahren waren wir völlig unvorbereitet, und diesmal ist diese Vorbereitung eine andere. Das ist national so, das ist auf der EU-Ebene so und bei den Mitgliedstaaten, die das zuletzt beim informellen Rat in Budapest besprochen haben.”
Union-Kanzlerkandidat Friedrich Merz möchte mit Polens Regierungschef Donald Tusk im Fall eines Wahlsiegs viel enger kooperieren, als es die Regierungen von Olaf Scholz und Angela Merkel getan haben. Nach einem Treffen mit Tusk sagte Merz: “Donald Tusk ist ein großer Glücksfall für Polen, aber auch ein großer Glücksfall für Deutschland.” Die Beziehung zu Polen ist für Merz und seine Partei ein Wahlkampfthema.
Der CDU-Chef hat sich zum Ziel gesetzt, die EU als Reaktion auf den Wahlsieg von Donald Trump viel enger zusammenzuführen. Und um das zu erreichen, hält er eine stärkere Einbindung Polens und eine Wiederbelebung des Weimarer Dreiecks mit Frankreich für unverzichtbar. “Diese drei Länder sind für den Erfolg Europas von entscheidender Bedeutung.”
Merz bestätigte, dass er in Kyjiw mit Wolodymyr Selenskyj und in Warschau mit Tusk auch über verschiedene Szenarien und mögliche Wege zu einer Beendigung des Krieges gesprochen habe. Selbstverständlich seien alle, auch Selenskyj, intensiv mit der Frage beschäftigt, wie das Sterben beendet werden könne. “Wir wollen alle helfen, dass dieser Krieg so schnell wie möglich zu Ende geht.” Ein deutlicher Hinweis darauf, dass auch Merz den wachsenden Druck vieler EU-Partner mitbekommen hat, die Anstrengungen zu intensivieren.
Jüngst hatte Merz vorgeschlagen, Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Polen sollten sich dringend zusammentun, um sich auf alle Eventualitäten vorzubereiten, die sich mit der Trump-Rückkehr ins Weiße Haus und einem womöglich wieder verheerenden Winter in der Ukraine verbinden könnten. Tusk unterstützt diese Idee einer Kontaktgruppe. Stefan Braun
Die Kommission will schriftliche Verträge zwischen Landwirten und ihren Abnehmern verpflichtend machen. Das kündigte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Dienstag bei der Eröffnung der EU Agrifood-Days in Brüssel an. Man wolle mehr “Transparenz und Vorhersehbarkeit” für Landwirte beim Verkauf ihrer Produkte erreichen. Zudem soll der Vorschlag es Landwirten erleichtern, sich zu Genossenschaften zusammenschließen, um ihre Position am Markt zu verbessern.
Ein zweiter Gesetzentwurf soll das Vorgehen gegen unlautere Handelspraktiken zulasten von Landwirten stärken, indem die Zusammenarbeit zwischen Behörden verschiedener EU-Länder verbessert wird. Von der Leyen präsentierte die Vorschläge als Beispiel dafür, wo die Kommission bereits auf Empfehlungen des Strategischen Dialogs aus dem Herbst reagiere. Tatsächlich neu ist die Idee allerdings nicht: Die Kommission hatte beide Initiativen Anfang des Jahres als Reaktion auf die Bauernproteste angekündigt, ursprünglich sollten sie schon im Sommer vorgelegt werden.
Für die Kommissionschefin kommt die Präsentation der Vorschläge jetzt zu einem günstigen Zeitpunkt, nachdem sie durch den Abschluss des EU-Mercosur-Abkommens die Kritik vieler Landwirte auf sich gezogen hat. Besonders in Richtung Frankreich könnte sich die CDU-Politikerin ein Signal erhoffen. Das Land ist nicht nur besonders Mercosur-kritisch, Präsident Emmanuel Macron hat auch besonders laut mehr EU-Maßnahmen zur Stärkung der Marktmacht von Landwirten gefordert.
Die Vorschläge der Kommission gehen allerdings deutlich weniger weit als die Forderungen Macrons. Er hatte sich eine europäische Version des französischen Egalim-Gesetzes erhofft, das zum Beispiel Vorgaben zu Preisspannen für viele Agrargüter macht. Das will die Kommission explizit nicht: Es gehe darum, die Stellung der Landwirte gegenüber Käufern zu stärken, nicht aber, Preise vorzuschreiben, betonte Agrarkommissar Christophe Hansen am Rande der Konferenz. jd
EU-Mitgliedstaaten können künftig höhere Summen an nationalen Beihilfen an Agrarbetriebe auszahlen, ohne diese erst von der Europäischen Kommission genehmigen zu lassen. Die Höchstgrenze für “geringfügige” und damit genehmigungsfreie Beihilfen, die sogenannte De-minimis-Grenze, liegt künftig bei 50.000 statt bisher 25.000 Euro, wie die Kommission in dieser Woche bekanntgab. Auch die Gesamtsumme, die jeder Mitgliedstaat ohne Genehmigung vergeben kann, wird erhöht.
Beides hatte unter anderem Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir wiederholt von der Kommission gefordert. Er argumentierte, die Höchstsumme von 20.000 Euro sei aufgrund der Inflation nicht mehr zeitgemäß. Die geänderten Regeln “werden den Landwirten helfen, dem Inflationsdruck und den hohen Rohstoffpreisen zu begegnen”, begründete auch EU-Wettbewerbskommissarin Teresa Ribera den Schritt. jd
Der Gehalt an Perfluoroctansulfonat (PFOS) überschreitet in vielen europäischen Gewässern die gesetzlichen Grenzwerte zum Schutz der Umwelt und der menschlichen Gesundheit. Darauf deuten laut der Europäischen Umweltagentur (EUA) Überwachungsdaten von 1.300 Messstellen aus dem Jahr 2022 hin. Einem EUA-Bericht von Montag zufolge wurden bei Messungen die Grenzwerte deutlich überschritten:
PFOS ist eine von 10.000 chemischen Verbindungen aus der Gruppe der sogenannten Ewigkeitschemikalien (Per- und Polyfluoralkylsubstanzen, PFAS). Da Behörden PFOS vergleichsweise früh für bedenklich hielten – aufgenommen im menschlichen Körper drohen Krebs, Entwicklungs- und Fortpflanzungsstörungen – ist zu dieser Verbindung der Forschungsstand weiter gediehen als zu anderen PFAS-Verbindungen. Die Verwendung von PFOS wurde in Europa seit 2006 und auch international eingeschränkt.
Das Ausmaß der Verschmutzung mit PFOS und anderen PFAS-Verbindungen wird laut EUA bislang nicht ausreichend erfasst. Die Agentur fordert empfindlichere Analysemethoden und die Ausweitung des Spektrums der untersuchten Stoffe und der geografischen Messstellen-Abdeckung.
Vorschläge für eine weitreichende Einschränkung von PFAS liegen der EU vor, sind jedoch ein Streitthema bei der Reform der Industriechemikalienverordnung REACH. Industrieverbände sehen in einem kompletten Verbot eine Bedrohung für Hightech-Industrien. Allerdings wären auch Ausnahmen denkbar, beispielsweise für die Medizintechnik. Auch bei der geplanten European Water Resilience Strategy könnte PFAS-Kontamination eine Rolle spielen. av
Der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) drängt auf die Ratifizierung des EU-Handelsabkommens mit den Mercosur-Staaten. “Das Abkommen muss kommen. Es ist für unsere Branche von ganz großer Wichtigkeit”, sagte VDMA-Präsident Bertram Kawlath am Dienstag. Zum einen zahlten die exportierenden Firmen bislang 20 Prozent Zoll auf ihre Ausfuhren im Volumen von drei Milliarden Euro. Zum anderen sende ein Abkommen das Signal, dass die EU nach langem Stillstand wieder in der Lage sei, für exportorientierte Branchen Märkte zu öffnen.
Die EU-Kommission veröffentlichte am Dienstagabend die Dokumente zu dem am Freitag ausverhandelten Abkommen. Frankreich und einige andere Mitgliedstaaten lehnen den Deal bislang ab. Ob sie die Sperrminorität im Rat erreichen, hängt insbesondere von Polen und Italien ab. Der italienische Agrarminister Francesco Lollobrigida zeigte sich am Montagabend offen für Verhandlungen: “Es ist nicht so sehr der einzelne Vertrag, der bewertet werden muss, sondern der Kontext, in den er eingefügt wurde.” Die EU müsse die Landwirtschaft in die Lage versetzen, Ruhe zu bewahren. Er dürfte sich damit auf die finanziellen Mittel beziehen, die die EU-Kommission bereithalten will, sollten Bauern wegen steigender Importe aus Argentinien und Brasilien in Schwierigkeiten geraten.
Laut VDMA bereitet sich die Branche auf die Rückkehr Donald Trumps als US-Präsident im Januar vor. “Die Ära Trump 2.0 wird mit einiger Sicherheit disruptiver als die erste Amtszeit”, sagte Kawlath. Während der ersten Trump-Präsidentschaft sei der Maschinenbau nur wenig von neuen Handelsbarrieren auf dem US-Markt betroffen gewesen. Die nun angedrohten Zölle von zehn bis 20 Prozent auf alle Einfuhren könnten die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen aber stark beeinträchtigen. Eine Antwort darauf sei, vor Ort Produktionskapazitäten aufzubauen. Langfristig böten Reindustrialisierung und Klimatransformation Chancen für Investitionsgüter aus Europa.
Scharf kritisierte der Verband die Bedingungen in China. Die Wettbewerbssituation mit chinesischen Firmen werde sich in China und auf Drittmärkten weiter verschärfen, warnte Kawlath. In China erhöhten die Behörden den informellen Druck auf Unternehmen, bei chinesischen Anbietern zu kaufen. Zudem böten chinesische Unternehmen “in vielen Sektoren ihre Produkte zu nicht nachvollziehbaren Preisen an”. Hintergrund seien zahlreiche Subventionen der Maschinenbauunternehmen auf allen Ebenen. Hier dürfe die europäische Politik nicht lockerlassen und auf Einhaltung der WTO-Regeln beharren. tho
Die Europäische Hochleistungsrechnen-Initiative EuroHPC JU hat sieben Standorte ausgewählt, an denen die von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen angekündigten AI Factorys eingerichtet werden sollen. Die Kommission betrachtet das als einen wichtigen Meilenstein beim Aufbau eines florierenden Ökosystems für das Training fortgeschrittener KI-Modelle und die Entwicklung von KI-Lösungen. Die AI Factorys sollen vor allem Start-ups sowie KMU den Zugang zu Hochleistungsrechenkapazitäten ermöglichen.
Hinter den AI Factorys steckt ein 1,5-Milliarden-Euro-Projekt, das die Ressourcen der Mitgliedstaaten und der EU bündelt. Ziel ist es, KI-Anwendungen in Schlüsselbereichen wie Gesundheit, Klimaschutz und Cybersicherheit voranzutreiben. Die Einrichtungen sollen als “One-Stop-Shops” fungieren, die Zugang zu KI-optimierten Supercomputern, Trainingsangeboten und technischer Expertise bieten.
Folgende sieben Standorte in der EU sind dabei:
Das Konsortium HammerHAI wird vom Höchstleistungsrechenzentrum der Universität Stuttgart (HLRS) koordiniert. Es soll den dringenden Bedarf an mehr künstlicher Intelligenz in der akademischen Forschung, aber auch bei Start-ups, KMU und der europäischen Industrie sowie im öffentlichen Sektor decken. “HammerHAI wird eine AI Factory einrichten, die eine sichere, für KI optimierte Supercomputing-Infrastruktur bietet, fachkundigen Service und Support bereitstellt sowie Lösungen entwickelt, die den Zugang zu leistungsstarken KI-Technologien und deren Nutzung erleichtern”, teilte das HLRS mit. vis
Die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Automobilindustrie steht und fällt mit einer konsistenten und innovationsfreundlichen Digitalpolitik, heißt es im VDA-Positionspapier zur EU-Digitalpolitik. Der Verband fordert die Kommission auf, widersprüchliche Regelungen zu harmonisieren. Als Beispiele nennt er den Datenschutz (DSGVO), die Datensicherheit (NIS-2) und den Datenzugang (Data Act). Gleichzeitig mahnt der VDA die Schaffung einheitlicher Standards für Software Defined Vehicles (SDV) und die Stärkung von Open-Source-Ansätzen an.
“Der Schlüssel für internationale Wettbewerbsfähigkeit liegt zu einem großen Teil auf europäischer Ebene”, sagte VDA-Geschäftsführer Marcus Bollig bei der Vorstellung des Papiers. Auf der einen Seite brauche die Industrie europaweit einheitliche Standards für Erprobung, Zulassung und Betrieb von autonomen Fahrzeugen. “Auf der anderen Seite drohen wir, Innovationen durch teilweise überlappende Regulatorik und zu hohe Berichtspflichten zu ersticken.” Europa müsse regulatorisch “schlanker werden”.
In einem weiteren Papier mit Vorschlägen zur nationalen Umsetzung und Ausgestaltung des Data Act drängt der VDA auf eine sektorspezifische Umsetzung in Deutschland. Neben der Bundesnetzagentur solle das Kraftfahrtbundesamt eine zentrale Rolle einnehmen, um fahrzeugspezifische Risiken und Anforderungen besser zu adressieren. Unklarheiten bei Datenschutz- und Kartellrechtsfragen müssten dringend beseitigt werden.
Weitere Schwerpunkte der VDA-Forderungen sind der Ausbau internationaler Datenströme und harmonisierte Regelungen zur Cybersicherheit. Vor allem fordert der Verband eine frühzeitige Einbindung der Automobilindustrie in legislative Prozesse, um praxisgerechte und zukunftsfähige Lösungen sicherzustellen. vis
Das verstaatlichte Gasunternehmen SEFE sieht für Europa nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine weiter Risiken in der Gasversorgung. “Die Marktpreise haben zwar etwas von ihrer Bedrohlichkeit verloren”, sagte CEO Egbert Laege am Donnerstag in Berlin zur Eröffnung des World LNG Summit. “Ich bin aber manchmal überrascht, wie sorglos manche inzwischen davon ausgehen, dass die Krise ausgestanden ist. Wir sollten auf die geopolitischen Bedrohungen schauen und in Europa nicht selbstzufrieden werden.”
Nach einem warmen Oktober war der November eher kühl, zudem hat in diesem Jahr der industrielle Gasverbrauch wieder leicht angezogen. Die erneute Befüllung der Speicher im nächsten Sommer aus dem Markt heraus sei möglicherweise nicht gesichert, hatte der Gasspeicher-Verband INES Mitte November gewarnt.
Grund ist, dass die Preise für den Sommer 2025 anders als üblich höher sind als für den folgenden Winter. Händler würden mit jeder eingespeicherten Megawattstunde acht bis neun Euro Verlust machen. Der deutsche Marktgebietsverantwortliche THE könnte deshalb im nächsten Jahr gezwungen sein, Gas zur Speicherbefüllung auszuschreiben.
Die LNG-Konferenz wurde von Protesten aus der Zivilgesellschaft begleitet. Es könne nicht sein, dass ein Unternehmen wie Novatek an der Konferenz in Berlin teilnehmen dürfe, das direkt oder indirekt von Sanktionen betroffen sei, sagte Svitlana Romanko, Gründerin der ukrainischen NGO Razom We Stand, im Gespräch mit Table.Briefings.
Deutschland forderte sie auf, Importe von russischem Gas zu beenden. Nach Angaben der Bundesregierung hat SEFE als Nachfolgerin von Gazprom Germania noch einen Altvertrag mit einer Take-or-Pay-Klausel, gemäß dem sie LNG aus Russland bezieht. Romanko kritisierte, dass der Vertrag nicht offengelegt werde, um die Abnahmeverpflichtung zu überprüfen. ber
Die Lese-, Schreib- und Rechenkenntnisse von Erwachsenen sind in Europa in den vergangenen zehn Jahren vor allem zurückgegangen oder stagnieren. Unterschiede sind vor allem bei der Lesekompetenz größer geworden. Das geht aus der zweiten internationalen Erhebung über die Kompetenzen von Erwachsenen (PIAAC) hervor, die am Dienstag von der OECD veröffentlicht und von der Europäischen Kommission mitfinanziert wurde.
Unter den verglichenen 31 Industriestaaten schnitt Finnland sowohl bei der Lese-, Rechen- als auch bei der Problemlösungskompetenz in der Erhebung am besten ab. Das Land erreichte auf einer Skala bis 500 mehr als 290 Punkte bei der durchschnittlichen Lese- und Rechenfähigkeit; 276 beim Problemlösen. 500 stellt den besten Wert in der Studie dar, 0 den schlechtesten. Auch die anderen nordischen Staaten Schweden, Dänemark und Norwegen schnitten überdurchschnittlich ab, obwohl sie sich im Vergleich zur früheren Untersuchung teils deutlich verschlechtert haben.
Deutschland landet mit einem Score von 266 bei der Lesekompetenz von Erwachsenen, 273 in Mathematik sowie 261 beim Problemlösen im oberen Mittelfeld. Länder wie Frankreich oder Spanien schnitten unterdurchschnittlich über die Kategorien hinweg ab.
Allerdings: In fast keinem anderen Land gehen die Ergebnisse von Teilnehmern aus Elternhäusern mit geringer und hoher Bildung derart stark auseinander wie in Deutschland. Es sind laut Studie hierzulande immerhin mehr als 70 Punkte Unterschied bei der Lese- und Rechenkompetenz. Ähnliche Unterschiede weise unter den Industriestaaten sonst nur die Schweiz auf, schreiben die Autoren.
Generell warnt die OECD, dass der Anteil der Erwachsenen mit einer sehr geringen Lesekompetenz gestiegen ist – ein Trend, der nach den Ergebnissen der Studie immerhin in der Hälfte der Industriestaaten zu beobachten sei. In einem Drittel der Länder und Volkswirtschaften stieg außerdem der Anteil der Erwachsenen mit den niedrigsten Rechenkenntnissen.
Ein weiterer Punkt, der in der Studie kritisch hervorgehoben wird: Es gibt in vielen Ländern eine wachsende Diskrepanz bei den Fähigkeiten, insbesondere beim Leseverständnis. Auch in Deutschland. Hier sei der Anteil derjenigen mit sehr geringer Lese- und Schreibkompetenz zwar in etwa gleichgeblieben, während gleichzeitig mehr Erwachsene überdurchschnittlich oder exzellent lesen können (Stufen 4 und 5 in der Studie). Für die Erhebung wurden 2022 und 2023 in 31 Ländern mehr als 160.000 Menschen zwischen 16 und 65 getestet. lei
gestern war Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck in Brüssel, um einige der neuen Kommissare zu treffen. In einem Gespräch mit Journalisten erklärte er zudem, weshalb er zur Zeit der Verhandlungen der EU-Schuldenregeln die relativ strenge deutsche Position mitgetragen hatte. Ende November hatte Habeck diese Regeln nämlich plötzlich als “Sicherheitsrisiko” bewertet, was insbesondere im Bundesfinanzministerium sauer aufstieß.
“Ja, weil die Einigungszwänge dann da waren”, begründete Habeck seine damalige Unterstützung für die deutsche Verhandlungsposition. Diese Einigungszwänge sind seit dem Fall der Ampelregierung eindeutig nicht mehr da. So sprach Habeck offen vom “Widerspruch” zwischen den Schuldenregeln und dem Ziel höherer Verteidigungsausgaben.
Ein weiteres Problem der EU-Schuldenregeln sieht Habeck in ihrer Wirkung auf die Wettbewerbsfähigkeit. Er zitierte den Draghi-Bericht, wonach jährlich zusätzliche Investitionen in dreistelliger Milliardenhöhe notwendig seien. “Und auf der anderen Seite steht der Fiscal Structural Plan, der im Grunde genau das nicht vorsieht und unmöglich macht”, sagte er.
Möglicherweise wären die EU-Schuldenregeln anders ausgefallen, wenn man diese Erkenntnisse schon vorher gehabt hätte, spekulierte der Bundeswirtschaftsminister. Der Haken an dieser Argumentation: Ein Großteil der Erkenntnisse Draghis – speziell jene zu den Investitionsbedarfen – waren schon lange vor dem Erscheinen seines Berichts bekannt.
Einen schönen Tag ohne Sicherheitsrisiken wünscht Ihnen
Die Mindestlohnrichtlinie war das wichtigste sozialpolitische Vorhaben im ersten Mandat von Ursula von der Leyen. In der zweiten Amtszeit muss die Kommissionschefin nun sicherstellen, dass die Richtlinie von den Mitgliedstaaten umgesetzt wird – denn die Frist dazu ist am 15. November ausgelaufen. Und die Debatten darüber sind schon im Gange.
Aktuell weiß die Kommission noch nicht, welche Länder zum Stichtag die Richtlinie bereits vollständig umgesetzt haben. Die Überprüfung beginne jetzt, heißt es. Stelle man fest, dass die Richtlinie nicht oder nicht vollständig umgesetzt wird, könne man Vertragsverletzungsverfahren einleiten. Arbeitskommissarin Roxana Mînzatu hat in der Anhörung vor dem Europaparlament klargestellt: Die Überwachung der Umsetzung der Mindestlohnrichtlinie hat für sie Priorität.
Ziel der Richtlinie: Länder mit gesetzlichen Mindestlöhnen sollen sich Kriterien geben, um eine “angemessene” Mindestlohnhöhe zu erreichen, die auch vor Armut trotz Arbeit schützt. Außerdem soll sie helfen, die Tarifbindung zu erhöhen. Zu diesem Zweck macht die Richtlinie drei Vorgaben:
Doch wie verbindlich sind diese Vorgaben? Das ist umstritten. Aus Sicht von Thorsten Schulten, Leiter des Tarifarchivs des arbeitnehmernahen Wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung, ist die Richtlinie eine Art “Soft hard law”: “Das Gesetz ist mehr als eine Empfehlung, aber wegen des Anwendungsbereichs Löhne und Tarifautonomie weniger bindend als andere Richtlinien.” Denn Löhne und Sozialpartnerschaft sind Aufgaben der Mitgliedstaaten. Die vier Kriterien zur Ermittlung der Lohnhöhe sollten seiner Meinung nach aber explizit festgeschrieben werden.
Auch für viele Gewerkschafter ist klar: Die Richtlinie ist erst erfüllt, wenn diese drei Vorgaben voll angewendet werden. Mindestlöhne seien erst angemessen, “wenn sie mindestens 60 Prozent des mittleren gesamtwirtschaftlichen Lohns von Vollzeitbeschäftigten (Medianlohn) entsprechen”, so der Deutsche Gewerkschaftsbund. Dies würde etwa in Deutschland eine Anhebung des Mindestlohns auf 15,27 Euro für 2025 nach sich ziehen, rechnet der DGB vor. Zum Vergleich: Die Mindestlohnkommission beschloss mit Verweis auf die Tariflohnentwicklung eine Anhebung um 41 Cent auf 12,82 Euro für das kommende Jahr.
Vonseiten der Arbeitgeber wird hingegen darauf verwiesen, dass dies nur Empfehlungen seien, weil die Union keinerlei Kompetenzen habe, die Staaten dazu zu zwingen.
Der Europäische Gewerkschaftsbund (ETUC) folgert, die Mitgliedstaaten setzten die Mindestlohnrichtlinie nicht um. In einer Auswertung von Ende Oktober war ETUC bereits zum Ergebnis gekommen, dass nur sechs Staaten bisher eine Gesetzesinitiative auf den Weg gebracht habe, nämlich: Belgien, Ungarn, Lettland, Luxemburg, Polen und Rumänien. Allerdings zählt ETUC hier etwa auch Österreich zu den Ländern, in denen die Debatten noch andauerten – dabei hat das Land keinen gesetzlichen Mindestlohn und auch die Tarifquote liegt über 80 Prozent.
Christina Hießl, die an der KU Leuven europäisches Arbeitsrecht lehrt, konstatiert: “Wir sehen, dass viele Staaten sich von der Richtlinie gar nicht erfasst sehen und keine Änderungen an ihren Gesetzen vornehmen.” Die Richtlinie habe nach einer Änderung durch den Rat nur noch eine sehr enge Definition davon, was ein gesetzlicher Mindestlohn sei: wenn dessen Höhe direkt vom Gesetzgeber bestimmt wird. Nicht erfasst werde nach dieser Auffassung etwa ein Mindestlohn, der wie in Deutschland durch Sozialpartner ausgehandelt und anschließend etwa durch das zuständige Ministerium für bindend erklärt wird.
In Deutschland fiel die Reaktion auf die Richtlinie widersprüchlich aus. So betonte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) in einem Schreiben an die Mindestlohnkommission: Er sehe die Richtlinie dann umgesetzt, wenn die Mindestlohnkommission bei ihrer kommenden Entscheidung den Referenzwert von 60 Prozent berücksichtige. Nur wenig später, am 23. Oktober, erklärte das BMAS im Bundesgesetzblatt: “Die Richtlinie […] über angemessene Mindestlöhne in der Europäischen Union wird umgesetzt durch das Mindestlohngesetz.” Sprich: Das Ministerium sieht keinen gesetzlichen Handlungsbedarf. Einen Aktionsplan zur Steigerung der Tarifbindung müsse man zum jetzigen Zeitpunkt nicht vorlegen, heißt es.
Die Kommission dürfte abwarten, wie der Europäische Gerichtshof entscheidet. Der EuGH prüft derzeit, ob die EU ausreichend Kompetenzen für die Richtlinie hat. Dänemark hat eine Nichtigkeitsklage eingereicht, für den 14. Januar wird die Stellungnahme des Generalanwalts erwartet. “Erst danach wird die Kommission mit der Bewertung starten”, sagt Hießl. Viele Experten gehen wie die Arbeitsrechtlerin davon aus, dass die Richtlinie weitgehend unbeschadet durchkommt.
Trotz des Streits über die Umsetzung: Tarifexperte Schulten beobachtet positive Entwicklungen: “Wir sehen, dass gerade Länder in Mittel- und Osteuropa, begonnen haben, Systematiken für die Mindestlohnermittlung einzuführen.” So liege etwa in Bulgarien ein Gesetzesentwurf auf dem Tisch, der die 50-Prozent-Marke explizit enthält. Auch in der Slowakei wird eine Mindestlohnhöhe von 60 Prozent des Durchschnittslohns angestrebt. Zypern führte 2022 gar erstmals einen gesetzlichen Mindestlohn ein.
Auch die EU-Agentur Eurofound kam Mitte des Jahres zu einem positiven Ergebnis: Die Richtlinie habe “erhebliche Erhöhungen” ausgelöst, da immer mehr Länder bestrebt seien, ihren nationalen Mindestlohn an bestimmte Zielprozentsätze der tatsächlichen Löhne anzugleichen. Jedoch gebe es nach wie vor noch große Unterschiede zwischen den Ländern.
Dass ein EU-Kommissar im Dialog mit Elon Musk auf dessen Plattform X in aller Öffentlichkeit die Muskeln spielen lässt – so etwas wird es in der neuen Legislatur wohl nicht mehr geben. Nicht nur, weil es Thierry Breton den Posten gekostet hat. Seine Nachfolgerin Henna Virkkunen schlägt einen anderen Ton an. In der Sache aber, so hat sie bereits klargestellt, wird sie bei der Durchsetzung der europäischen Digitalgesetzgebung nicht nachlassen.
Doch es ist fraglich, ob sie das durchhalten kann. Denn die Gefahr besteht, dass die Digitalregulierung zur Manövriermasse bei der Neustrukturierung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen der kommenden Trump-Administration und der EU-Kommission wird.
Gerade beim Digital Services Act (DSA) fällt es der Kommission schwer zu erklären, dass es bei dem Gesetz nicht darum geht, in die Inhalte einzugreifen. Sondern darum, die systemischen Risiken zu bekämpfen, um den Informationsraum integer zu halten. “Es ist gefährlich, wenn der Besitzer der Plattform X Leute retweetet, die sagen, dass die EU ,undemokratisch’ ist, und es scheint, dass mehr Angriffe auf den DSA aus den USA kommen“, schrieb der Europaabgeordnete Andreas Schwab (CDU) auf der Plattform Bluesky.
Nicht nur Elon Musk oder Mark Zuckerberg sprechen beim DSA von Zensur. Diese Vorwürfe gibt es auch in Europa. Allerdings: Hinter den Kulissen kooperieren X und Meta nach wie vor mit der Kommission. So nahm X während des Wahlkampfes in Rumänien an einem virtuellen Runden Tisch zum Code of Practice on Disinformation teil – obwohl die Plattform unter Musk aus der seit 2018 existierenden Selbstverpflichtung ausgestiegen ist. Bemerkenswert fand man das in der Kommission. Natürlich sei man auf europäischer Seite gewillt, weiterhin transatlantisch in möglichst vielen Bereichen zu kooperieren. Bisher gebe es etwa auch von Meta keinerlei Hinweis, dass sich das ändern könnte.
Allerdings hält sich die Kommission in manchen Bereichen zurzeit bewusst zurück. So wolle man das Verfahren gegen X aktuell nicht weiter eskalieren. Da müsse man als Regulator weise sein, heißt es in der Behörde. Einen Stopp des Verfahrens bedeute das aber nicht. Die Untersuchungen liefen noch. X habe einen großen Berg Daten geliefert, den die Behörde analysiere. Dabei wird sich die Kommission nun etwas Zeit lassen. Sie hat ja auch andere Baustellen, Tiktok zum Beispiel.
Würde die Kommission so weit gehen, eine laxere Gangart bei der Umsetzung des DSA beispielsweise gegen geringe Zölle einzutauschen? “Ich glaube nicht, dass das diese Relevanz einnehmen wird”, lautet die Einschätzung eines Beamten der Kommission im Gespräch mit Table.Briefings.
Grundsätzlich gibt sich die Kommission selbstbewusst: “Keiner will einen Handelskrieg, aber da können wir durchaus parieren.” Doch dabei blieben die Verhandlungen voraussichtlich auf die Handelsströme beschränkt. Dass der DSA in die Gespräche einbezogen werden könnte, sieht die Kommission zurzeit nicht. Auszuschließen sei es aber auch nicht, “weil es einen gewissen erratischen Zug um Herrn Trump herum gibt”. Dennoch gelte: Donald Trump sage viel. Man müsse “erst einmal sehen, was da wirklich passiert”.
Die Europaparlamentarierin Alexandra Geese (Grüne), die erst vor Kurzem zu Gesprächen in den USA war, warnt hingegen: “Ich glaube, diesmal wird die Trump-Regierung von Tag eins an handlungsfähig sein, und sie ist Europa nicht wohlgesinnt.” Doch was genau das für Europa bedeute, sei schwer abzuschätzen. “Ich höre, dass Elon Musk eigentlich kein Interesse an Zöllen hat, weil er natürlich auch viel nach Europa exportiert”, sagt Geese. Hier gibt es möglicherweise Dissens zwischen dem ansonsten so harmonisch auftretenden Gespann.
Zugleich könnte es zwischen Trump und dem Silicon Valley ungemütlich werden. Keineswegs alle US-Tech-Unternehmer seien der gleichen Ansicht wie Musk oder der Tech-Milliardär Marc Andreessen, sagt Geese. Der designierte Vizepräsident J.D. Vance ist erklärter Gegner der großen Tech-Konzerne, die er entweder für zu liberal oder zu mächtig hält. Google nannte er “die gefährlichste Firma der Welt”, und die möchte Vance am liebsten zerschlagen.
Der Parlamentarier Tiemo Wölken (SPD) geht davon aus, dass Elon Musk für sein massives Investment in die Trump-Kampagne eine Gegenleistung sehen will. Das könne weniger Regulierung in den USA bedeuten, aber eben auch in der EU. Doch Europa dürfe sich nicht erpressen lassen. “Ein Kuhhandel – weniger Tech-Regulierung, dafür weniger Zölle auf Autos -, das darf an der Stelle nicht passieren. Wenn wir die regelbasierte Weltordnung verlassen, haben wir davon nur Nachteile.”
In der Kommission ist man zuversichtlich, dass die Dinge in der zweiten Amtszeit Trumps ein wenig geordneter ablaufen. Zum Beispiel im Bereich Cybersecurity, der auch im Trade and Technology Council (TTC), dem Handels- und Technologierat zwischen der EU und den USA, diskutiert wurde. Es sei gut vorstellbar, dass die Trump-Regierung interessiert sei, bei diesen Themen weiter mit der EU zusammenzuarbeiten.
EU-Handelskommissar Maroš Šefčovič hat – bevor er wusste, wie die US-Wahl ausgeht – angekündigt, den TTC weiterführen zu wollen. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass Trump an dem unter der Biden-Regierung gewählten Konstrukt festhalten wird. Das bedeutet aber nicht das Ende der Zusammenarbeit. Denn auch mit anderen Ländern wie Japan, Singapur oder Korea pflegt die EU Digitalpartnerschaften.
Jedenfalls sieht sich die Kommission heute besser gerüstet für eine Regierung Trump als bei der ersten Amtszeit. Die entscheidenden Generaldirektionen seien im engen Austausch, sagt ein Mitglied der Behörde. “Vor acht Jahren waren wir völlig unvorbereitet, und diesmal ist diese Vorbereitung eine andere. Das ist national so, das ist auf der EU-Ebene so und bei den Mitgliedstaaten, die das zuletzt beim informellen Rat in Budapest besprochen haben.”
Union-Kanzlerkandidat Friedrich Merz möchte mit Polens Regierungschef Donald Tusk im Fall eines Wahlsiegs viel enger kooperieren, als es die Regierungen von Olaf Scholz und Angela Merkel getan haben. Nach einem Treffen mit Tusk sagte Merz: “Donald Tusk ist ein großer Glücksfall für Polen, aber auch ein großer Glücksfall für Deutschland.” Die Beziehung zu Polen ist für Merz und seine Partei ein Wahlkampfthema.
Der CDU-Chef hat sich zum Ziel gesetzt, die EU als Reaktion auf den Wahlsieg von Donald Trump viel enger zusammenzuführen. Und um das zu erreichen, hält er eine stärkere Einbindung Polens und eine Wiederbelebung des Weimarer Dreiecks mit Frankreich für unverzichtbar. “Diese drei Länder sind für den Erfolg Europas von entscheidender Bedeutung.”
Merz bestätigte, dass er in Kyjiw mit Wolodymyr Selenskyj und in Warschau mit Tusk auch über verschiedene Szenarien und mögliche Wege zu einer Beendigung des Krieges gesprochen habe. Selbstverständlich seien alle, auch Selenskyj, intensiv mit der Frage beschäftigt, wie das Sterben beendet werden könne. “Wir wollen alle helfen, dass dieser Krieg so schnell wie möglich zu Ende geht.” Ein deutlicher Hinweis darauf, dass auch Merz den wachsenden Druck vieler EU-Partner mitbekommen hat, die Anstrengungen zu intensivieren.
Jüngst hatte Merz vorgeschlagen, Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Polen sollten sich dringend zusammentun, um sich auf alle Eventualitäten vorzubereiten, die sich mit der Trump-Rückkehr ins Weiße Haus und einem womöglich wieder verheerenden Winter in der Ukraine verbinden könnten. Tusk unterstützt diese Idee einer Kontaktgruppe. Stefan Braun
Die Kommission will schriftliche Verträge zwischen Landwirten und ihren Abnehmern verpflichtend machen. Das kündigte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Dienstag bei der Eröffnung der EU Agrifood-Days in Brüssel an. Man wolle mehr “Transparenz und Vorhersehbarkeit” für Landwirte beim Verkauf ihrer Produkte erreichen. Zudem soll der Vorschlag es Landwirten erleichtern, sich zu Genossenschaften zusammenschließen, um ihre Position am Markt zu verbessern.
Ein zweiter Gesetzentwurf soll das Vorgehen gegen unlautere Handelspraktiken zulasten von Landwirten stärken, indem die Zusammenarbeit zwischen Behörden verschiedener EU-Länder verbessert wird. Von der Leyen präsentierte die Vorschläge als Beispiel dafür, wo die Kommission bereits auf Empfehlungen des Strategischen Dialogs aus dem Herbst reagiere. Tatsächlich neu ist die Idee allerdings nicht: Die Kommission hatte beide Initiativen Anfang des Jahres als Reaktion auf die Bauernproteste angekündigt, ursprünglich sollten sie schon im Sommer vorgelegt werden.
Für die Kommissionschefin kommt die Präsentation der Vorschläge jetzt zu einem günstigen Zeitpunkt, nachdem sie durch den Abschluss des EU-Mercosur-Abkommens die Kritik vieler Landwirte auf sich gezogen hat. Besonders in Richtung Frankreich könnte sich die CDU-Politikerin ein Signal erhoffen. Das Land ist nicht nur besonders Mercosur-kritisch, Präsident Emmanuel Macron hat auch besonders laut mehr EU-Maßnahmen zur Stärkung der Marktmacht von Landwirten gefordert.
Die Vorschläge der Kommission gehen allerdings deutlich weniger weit als die Forderungen Macrons. Er hatte sich eine europäische Version des französischen Egalim-Gesetzes erhofft, das zum Beispiel Vorgaben zu Preisspannen für viele Agrargüter macht. Das will die Kommission explizit nicht: Es gehe darum, die Stellung der Landwirte gegenüber Käufern zu stärken, nicht aber, Preise vorzuschreiben, betonte Agrarkommissar Christophe Hansen am Rande der Konferenz. jd
EU-Mitgliedstaaten können künftig höhere Summen an nationalen Beihilfen an Agrarbetriebe auszahlen, ohne diese erst von der Europäischen Kommission genehmigen zu lassen. Die Höchstgrenze für “geringfügige” und damit genehmigungsfreie Beihilfen, die sogenannte De-minimis-Grenze, liegt künftig bei 50.000 statt bisher 25.000 Euro, wie die Kommission in dieser Woche bekanntgab. Auch die Gesamtsumme, die jeder Mitgliedstaat ohne Genehmigung vergeben kann, wird erhöht.
Beides hatte unter anderem Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir wiederholt von der Kommission gefordert. Er argumentierte, die Höchstsumme von 20.000 Euro sei aufgrund der Inflation nicht mehr zeitgemäß. Die geänderten Regeln “werden den Landwirten helfen, dem Inflationsdruck und den hohen Rohstoffpreisen zu begegnen”, begründete auch EU-Wettbewerbskommissarin Teresa Ribera den Schritt. jd
Der Gehalt an Perfluoroctansulfonat (PFOS) überschreitet in vielen europäischen Gewässern die gesetzlichen Grenzwerte zum Schutz der Umwelt und der menschlichen Gesundheit. Darauf deuten laut der Europäischen Umweltagentur (EUA) Überwachungsdaten von 1.300 Messstellen aus dem Jahr 2022 hin. Einem EUA-Bericht von Montag zufolge wurden bei Messungen die Grenzwerte deutlich überschritten:
PFOS ist eine von 10.000 chemischen Verbindungen aus der Gruppe der sogenannten Ewigkeitschemikalien (Per- und Polyfluoralkylsubstanzen, PFAS). Da Behörden PFOS vergleichsweise früh für bedenklich hielten – aufgenommen im menschlichen Körper drohen Krebs, Entwicklungs- und Fortpflanzungsstörungen – ist zu dieser Verbindung der Forschungsstand weiter gediehen als zu anderen PFAS-Verbindungen. Die Verwendung von PFOS wurde in Europa seit 2006 und auch international eingeschränkt.
Das Ausmaß der Verschmutzung mit PFOS und anderen PFAS-Verbindungen wird laut EUA bislang nicht ausreichend erfasst. Die Agentur fordert empfindlichere Analysemethoden und die Ausweitung des Spektrums der untersuchten Stoffe und der geografischen Messstellen-Abdeckung.
Vorschläge für eine weitreichende Einschränkung von PFAS liegen der EU vor, sind jedoch ein Streitthema bei der Reform der Industriechemikalienverordnung REACH. Industrieverbände sehen in einem kompletten Verbot eine Bedrohung für Hightech-Industrien. Allerdings wären auch Ausnahmen denkbar, beispielsweise für die Medizintechnik. Auch bei der geplanten European Water Resilience Strategy könnte PFAS-Kontamination eine Rolle spielen. av
Der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) drängt auf die Ratifizierung des EU-Handelsabkommens mit den Mercosur-Staaten. “Das Abkommen muss kommen. Es ist für unsere Branche von ganz großer Wichtigkeit”, sagte VDMA-Präsident Bertram Kawlath am Dienstag. Zum einen zahlten die exportierenden Firmen bislang 20 Prozent Zoll auf ihre Ausfuhren im Volumen von drei Milliarden Euro. Zum anderen sende ein Abkommen das Signal, dass die EU nach langem Stillstand wieder in der Lage sei, für exportorientierte Branchen Märkte zu öffnen.
Die EU-Kommission veröffentlichte am Dienstagabend die Dokumente zu dem am Freitag ausverhandelten Abkommen. Frankreich und einige andere Mitgliedstaaten lehnen den Deal bislang ab. Ob sie die Sperrminorität im Rat erreichen, hängt insbesondere von Polen und Italien ab. Der italienische Agrarminister Francesco Lollobrigida zeigte sich am Montagabend offen für Verhandlungen: “Es ist nicht so sehr der einzelne Vertrag, der bewertet werden muss, sondern der Kontext, in den er eingefügt wurde.” Die EU müsse die Landwirtschaft in die Lage versetzen, Ruhe zu bewahren. Er dürfte sich damit auf die finanziellen Mittel beziehen, die die EU-Kommission bereithalten will, sollten Bauern wegen steigender Importe aus Argentinien und Brasilien in Schwierigkeiten geraten.
Laut VDMA bereitet sich die Branche auf die Rückkehr Donald Trumps als US-Präsident im Januar vor. “Die Ära Trump 2.0 wird mit einiger Sicherheit disruptiver als die erste Amtszeit”, sagte Kawlath. Während der ersten Trump-Präsidentschaft sei der Maschinenbau nur wenig von neuen Handelsbarrieren auf dem US-Markt betroffen gewesen. Die nun angedrohten Zölle von zehn bis 20 Prozent auf alle Einfuhren könnten die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen aber stark beeinträchtigen. Eine Antwort darauf sei, vor Ort Produktionskapazitäten aufzubauen. Langfristig böten Reindustrialisierung und Klimatransformation Chancen für Investitionsgüter aus Europa.
Scharf kritisierte der Verband die Bedingungen in China. Die Wettbewerbssituation mit chinesischen Firmen werde sich in China und auf Drittmärkten weiter verschärfen, warnte Kawlath. In China erhöhten die Behörden den informellen Druck auf Unternehmen, bei chinesischen Anbietern zu kaufen. Zudem böten chinesische Unternehmen “in vielen Sektoren ihre Produkte zu nicht nachvollziehbaren Preisen an”. Hintergrund seien zahlreiche Subventionen der Maschinenbauunternehmen auf allen Ebenen. Hier dürfe die europäische Politik nicht lockerlassen und auf Einhaltung der WTO-Regeln beharren. tho
Die Europäische Hochleistungsrechnen-Initiative EuroHPC JU hat sieben Standorte ausgewählt, an denen die von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen angekündigten AI Factorys eingerichtet werden sollen. Die Kommission betrachtet das als einen wichtigen Meilenstein beim Aufbau eines florierenden Ökosystems für das Training fortgeschrittener KI-Modelle und die Entwicklung von KI-Lösungen. Die AI Factorys sollen vor allem Start-ups sowie KMU den Zugang zu Hochleistungsrechenkapazitäten ermöglichen.
Hinter den AI Factorys steckt ein 1,5-Milliarden-Euro-Projekt, das die Ressourcen der Mitgliedstaaten und der EU bündelt. Ziel ist es, KI-Anwendungen in Schlüsselbereichen wie Gesundheit, Klimaschutz und Cybersicherheit voranzutreiben. Die Einrichtungen sollen als “One-Stop-Shops” fungieren, die Zugang zu KI-optimierten Supercomputern, Trainingsangeboten und technischer Expertise bieten.
Folgende sieben Standorte in der EU sind dabei:
Das Konsortium HammerHAI wird vom Höchstleistungsrechenzentrum der Universität Stuttgart (HLRS) koordiniert. Es soll den dringenden Bedarf an mehr künstlicher Intelligenz in der akademischen Forschung, aber auch bei Start-ups, KMU und der europäischen Industrie sowie im öffentlichen Sektor decken. “HammerHAI wird eine AI Factory einrichten, die eine sichere, für KI optimierte Supercomputing-Infrastruktur bietet, fachkundigen Service und Support bereitstellt sowie Lösungen entwickelt, die den Zugang zu leistungsstarken KI-Technologien und deren Nutzung erleichtern”, teilte das HLRS mit. vis
Die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Automobilindustrie steht und fällt mit einer konsistenten und innovationsfreundlichen Digitalpolitik, heißt es im VDA-Positionspapier zur EU-Digitalpolitik. Der Verband fordert die Kommission auf, widersprüchliche Regelungen zu harmonisieren. Als Beispiele nennt er den Datenschutz (DSGVO), die Datensicherheit (NIS-2) und den Datenzugang (Data Act). Gleichzeitig mahnt der VDA die Schaffung einheitlicher Standards für Software Defined Vehicles (SDV) und die Stärkung von Open-Source-Ansätzen an.
“Der Schlüssel für internationale Wettbewerbsfähigkeit liegt zu einem großen Teil auf europäischer Ebene”, sagte VDA-Geschäftsführer Marcus Bollig bei der Vorstellung des Papiers. Auf der einen Seite brauche die Industrie europaweit einheitliche Standards für Erprobung, Zulassung und Betrieb von autonomen Fahrzeugen. “Auf der anderen Seite drohen wir, Innovationen durch teilweise überlappende Regulatorik und zu hohe Berichtspflichten zu ersticken.” Europa müsse regulatorisch “schlanker werden”.
In einem weiteren Papier mit Vorschlägen zur nationalen Umsetzung und Ausgestaltung des Data Act drängt der VDA auf eine sektorspezifische Umsetzung in Deutschland. Neben der Bundesnetzagentur solle das Kraftfahrtbundesamt eine zentrale Rolle einnehmen, um fahrzeugspezifische Risiken und Anforderungen besser zu adressieren. Unklarheiten bei Datenschutz- und Kartellrechtsfragen müssten dringend beseitigt werden.
Weitere Schwerpunkte der VDA-Forderungen sind der Ausbau internationaler Datenströme und harmonisierte Regelungen zur Cybersicherheit. Vor allem fordert der Verband eine frühzeitige Einbindung der Automobilindustrie in legislative Prozesse, um praxisgerechte und zukunftsfähige Lösungen sicherzustellen. vis
Das verstaatlichte Gasunternehmen SEFE sieht für Europa nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine weiter Risiken in der Gasversorgung. “Die Marktpreise haben zwar etwas von ihrer Bedrohlichkeit verloren”, sagte CEO Egbert Laege am Donnerstag in Berlin zur Eröffnung des World LNG Summit. “Ich bin aber manchmal überrascht, wie sorglos manche inzwischen davon ausgehen, dass die Krise ausgestanden ist. Wir sollten auf die geopolitischen Bedrohungen schauen und in Europa nicht selbstzufrieden werden.”
Nach einem warmen Oktober war der November eher kühl, zudem hat in diesem Jahr der industrielle Gasverbrauch wieder leicht angezogen. Die erneute Befüllung der Speicher im nächsten Sommer aus dem Markt heraus sei möglicherweise nicht gesichert, hatte der Gasspeicher-Verband INES Mitte November gewarnt.
Grund ist, dass die Preise für den Sommer 2025 anders als üblich höher sind als für den folgenden Winter. Händler würden mit jeder eingespeicherten Megawattstunde acht bis neun Euro Verlust machen. Der deutsche Marktgebietsverantwortliche THE könnte deshalb im nächsten Jahr gezwungen sein, Gas zur Speicherbefüllung auszuschreiben.
Die LNG-Konferenz wurde von Protesten aus der Zivilgesellschaft begleitet. Es könne nicht sein, dass ein Unternehmen wie Novatek an der Konferenz in Berlin teilnehmen dürfe, das direkt oder indirekt von Sanktionen betroffen sei, sagte Svitlana Romanko, Gründerin der ukrainischen NGO Razom We Stand, im Gespräch mit Table.Briefings.
Deutschland forderte sie auf, Importe von russischem Gas zu beenden. Nach Angaben der Bundesregierung hat SEFE als Nachfolgerin von Gazprom Germania noch einen Altvertrag mit einer Take-or-Pay-Klausel, gemäß dem sie LNG aus Russland bezieht. Romanko kritisierte, dass der Vertrag nicht offengelegt werde, um die Abnahmeverpflichtung zu überprüfen. ber
Die Lese-, Schreib- und Rechenkenntnisse von Erwachsenen sind in Europa in den vergangenen zehn Jahren vor allem zurückgegangen oder stagnieren. Unterschiede sind vor allem bei der Lesekompetenz größer geworden. Das geht aus der zweiten internationalen Erhebung über die Kompetenzen von Erwachsenen (PIAAC) hervor, die am Dienstag von der OECD veröffentlicht und von der Europäischen Kommission mitfinanziert wurde.
Unter den verglichenen 31 Industriestaaten schnitt Finnland sowohl bei der Lese-, Rechen- als auch bei der Problemlösungskompetenz in der Erhebung am besten ab. Das Land erreichte auf einer Skala bis 500 mehr als 290 Punkte bei der durchschnittlichen Lese- und Rechenfähigkeit; 276 beim Problemlösen. 500 stellt den besten Wert in der Studie dar, 0 den schlechtesten. Auch die anderen nordischen Staaten Schweden, Dänemark und Norwegen schnitten überdurchschnittlich ab, obwohl sie sich im Vergleich zur früheren Untersuchung teils deutlich verschlechtert haben.
Deutschland landet mit einem Score von 266 bei der Lesekompetenz von Erwachsenen, 273 in Mathematik sowie 261 beim Problemlösen im oberen Mittelfeld. Länder wie Frankreich oder Spanien schnitten unterdurchschnittlich über die Kategorien hinweg ab.
Allerdings: In fast keinem anderen Land gehen die Ergebnisse von Teilnehmern aus Elternhäusern mit geringer und hoher Bildung derart stark auseinander wie in Deutschland. Es sind laut Studie hierzulande immerhin mehr als 70 Punkte Unterschied bei der Lese- und Rechenkompetenz. Ähnliche Unterschiede weise unter den Industriestaaten sonst nur die Schweiz auf, schreiben die Autoren.
Generell warnt die OECD, dass der Anteil der Erwachsenen mit einer sehr geringen Lesekompetenz gestiegen ist – ein Trend, der nach den Ergebnissen der Studie immerhin in der Hälfte der Industriestaaten zu beobachten sei. In einem Drittel der Länder und Volkswirtschaften stieg außerdem der Anteil der Erwachsenen mit den niedrigsten Rechenkenntnissen.
Ein weiterer Punkt, der in der Studie kritisch hervorgehoben wird: Es gibt in vielen Ländern eine wachsende Diskrepanz bei den Fähigkeiten, insbesondere beim Leseverständnis. Auch in Deutschland. Hier sei der Anteil derjenigen mit sehr geringer Lese- und Schreibkompetenz zwar in etwa gleichgeblieben, während gleichzeitig mehr Erwachsene überdurchschnittlich oder exzellent lesen können (Stufen 4 und 5 in der Studie). Für die Erhebung wurden 2022 und 2023 in 31 Ländern mehr als 160.000 Menschen zwischen 16 und 65 getestet. lei