diese Woche steht ganz im Zeichen der US-Wahlen und der Kommissarsanhörungen. Aber heute und morgen treffen sich auch die EU-Finanzminister in Brüssel. Sie wollen sich auf eine gemeinsame Erklärung zur Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft einigen.
Die Erklärung wird auch wieder Forderungen nach einer Vertiefung und Vereinfachung des Binnenmarkts enthalten. Einen konkreten Schritt in diese Richtung können die Finanzminister wahrscheinlich am Dienstag nehmen. Nach Angaben von EU-Diplomaten haben sich die Mitgliedstaaten endlich auf einen gemeinsamen Text zur Mehrwertsteuerreform geeinigt.
Bisher blockierte Estland den Reformvorschlag, der die grenzüberschreitende elektronische Rechnungsstellung und die Mehrwertsteuerabrechnung vereinfachen soll. Der baltische Kleinstaat störte sich an einer Bestimmung, die online Plattformen für die Erhebung der Mehrwertsteuer auf ihrer Plattform verantwortlich machen würde. Gelöst hat die ungarische Ratspräsidentschaft die Blockade mit einer verzögerten Einführung der Reform, die damit erst im Januar 2030 vollständig umgesetzt werden wird.
Somit zeigt dieser kleine Erfolg auch gleich die Grenzen der europäischen Wettbewerbsfähigkeit auf. Zwischen Kommissionsvorschlag (im Dezember 2022) und Umsetzung der Reform werden mehr als sieben Jahre vergangen sein.
Einen geduldigen Start in die Woche wünscht Ihnen,
Die neuen EU-Schuldenregeln hatte die Bundesregierung mitgeprägt, nun ringt die Ampel-Koalition mit der EU-Kommission verbissen darum, wie diese erstmals auf Deutschland angewendet werden. In Brüssel wird Berlin vorgehalten, sich veralteter Zahlen bedienen zu wollen, um nicht auf einer Bank zu landen mit hoch verschuldeten Staaten wie Italien oder Frankreich. In der Ampel-Koalition wird das entschieden bestritten und im Gegenzug der Kommission vorgeworfen, den Haushaltsspielraum stärker einschränken zu wollen als nötig nach dem neuen Regelwerk.
Die Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts war Ende April in Kraft getreten. Die einzelnen Mitgliedstaaten müssen nun mittelfristige finanzpolitisch-strukturelle Pläne mit der Kommission aushandeln, die Ziele für den Staatshaushalt enthalten, aber auch für Strukturreformen und Investitionen. Ausgangspunkt dafür ist eine Schuldentragfähigkeitsanalyse der Kommission, in die zahlreiche Faktoren wie das Wachstumspotenzial einfließen. Auf dieser Grundlage vereinbart die Brüsseler Behörde schließlich mit den Regierungen Fiskalpläne, die den Staaten für vier bis sieben Jahre verbindliche Obergrenzen vorgeben für ihre Netto-Primärausgaben – die sogenannten Ausgabenpfade.
Das neue Regelwerk wird derzeit dem ersten Praxistest unterzogen. 19 Mitgliedsstaaten haben bereits ihre nationalen Fiskalpläne eingereicht, Deutschland steht ebenso wie Frankreich noch aus. Die Bundesrepublik versteht sich zwar als Schulden-Musterknabe in der EU, die Wachstumsschwäche der deutschen Wirtschaft bringt Berlin aber in Schwierigkeiten.
Seit dem Sommer verhandelt die Ampel-Koalition mit der Kommission über den deutschen Fiskalplan. In seltener Eintracht wehren sich von SPD, Grünen und FDP geführte Ministerien dabei gegen Sparvorgaben, die sie als übermäßig strikt ansehen. Die Regelauslegung der Kommission führe dazu, dass der Spielraum für die stets von Brüssel eingeforderten Investitionen zu gering werde, heißt es in Regierungskreisen.
In der Kommission werden die Argumente der Bundesregierung hingegen als Versuch gewertet, die neuen Schuldenregeln aufzuweichen. Das werde man nicht mitmachen, heißt es in Brüssel. In der Kommission sieht man den Verzicht auf ein konsequentes Defizitverfahren gegen Deutschland unter Finanzminister Hans Eichel vor 20 Jahren als Sündenfall, der die Glaubwürdigkeit des damals neuen Stabilitätspakts ruiniert habe. Dies dürfe sich nicht wiederholen.
Der Streit fokussiert sich aktuell dem Vernehmen nach auf zwei Punkte:
Die Aktualität der Daten: Die Kommission drängt darauf, die neuesten Wachstumsprognosen und Neuverschuldungszahlen der Berechnung des Ausgabenpfades zugrunde zu legen. Dieser aber fallen im Fall Deutschlands deutlich trüber aus als noch die Prognosen aus dem Frühjahr. Die Bundesregierung argumentiert mit Verve, dafür gebe es keine Rechtsgrundlage in der neuen Verordnung. In Regierungskreisen wird zugleich beteuert, man sei durchaus einverstanden, die aktuellen Daten zugrunde zu legen. Es gehe vielmehr darum, bei der ersten Anwendung den methodischen Rahmen nicht unnötig eng anzulegen und dadurch künftige Regierungen zu fesseln.
Die Reformpolitik der Ampel: Der Fiskalplan berücksichtigt auch die Reformzusagen der Regierungen. Die Ampel verweist in den Gesprächen mit der Kommission insbesondere auf ihr Wachstumspaket aus 49 Einzelmaßnahmen, von dem sie sich 2025 ein zusätzliches Wachstum von 0,5 Prozentpunkten erhofft. Der Kommission ist das Paket zu kleinteilig – sie fordert größere Strukturreformen, im Einklang mit deutschen Wirtschaftsforschern.
Wie begründet die jeweiligen Argumente sind, lässt sich von außen schwer nachvollziehen. Denn die Kommission legt die Daten und Annahmen des Fiskalplans erst am Ende des Aushandlungsprozesses offen. “Eine Schwäche des neuen Systems ist die fehlende Transparenz des Verhandlungsprozesses zwischen Kommission und einzelnen Mitgliedstaaten”, kritisiert Nils Redeker, Vize-Direktor des Jacques Delors Centre an der Berliner Hertie School.
Der Ökonom zeigt Verständnis für die Argumentation der Bundesregierung. Die Kommission müsse die neuen Regeln zwar konsequent anwenden. “Dabei gibt es aber Interpretationsspielraum und die Frage, wie man diesen sinnvoll nutzt, ist aus meiner Sicht noch offen.” Für Deutschland sei es vor allem wichtig, welchen finanziellen Spielraum für Investitionen die EU-Regeln mittelfristig erlaubten. Auch wenn der deutsche Plan nach der Bundestagswahl neu ausgehandelt werden könne, würden in den laufenden Verhandlungen bereits “wichtige Pflöcke eingeschlagen”.
Noch ist offen, ob Deutschland vier oder sieben Jahre Zeit beantragt, um seine Finanzen in Einklang mit den neuen EU-Regeln zu bringen. Für den Vier-Jahrespfad müsste die Regierung die Staatsausgaben um mehrere Milliarden Euro senken. In seinem Thesenpapier vom Freitag schreibt Bundesfinanzminister Christian Lindner für diesen Fall von einem “großen zusätzlichen Konsolidierungsdruck”.
Der Sieben-Jahrespfad würde hingegen in etwa den Vorgaben der deutschen Schuldenbremse entsprechen, wie es in Regierungskreisen heißt. Allerdings müsste sich Deutschland im Gegenzug zu weiteren Reformen verpflichten – was der Ampel angesichts des offenen Streits um die richtige Ausrichtung der Wirtschaftspolitik nicht leichtfiele.
Eine feste Deadline für die Vorlage des deutschen Fiskalplanes gibt es nicht. In Berlin heißt es, letztlich müssten Kanzler Olaf Scholz, Wirtschaftsminister Robert Habeck und Lindner entscheiden, auf welchen der beiden Pfade man sich begeben wolle. Der Sieben-Jahrespfad könnte von den Stabilitätsfalken als Stigma verstanden werden, da man sich in Gesellschaft von stark verschuldeten Staaten wie Frankreich und Italien befindet. Allerdings hat auch das traditionell sparsame Finnland sieben Jahre Zeit beantragt, insbesondere um Raum für die stark steigenden Verteidigungsausgaben zu haben.
Europa funktioniert nach Prozessen, die auf Friedenszeiten ausgerichtet sind. Das sei zwar verständlich, führe aber dazu, dass die EU nur improvisiert und ungenügend auf Krisensituationen reagieren kann. So argumentieren die ehemalige französische Europaministerin Laurence Boone und der ehemalige moldauische Vize-Premierminister Nicu Popescu in einem gemeinsamen Policy Paper für den außenpolitischen Thinktank ECFR.
“Wir sind zwar nicht im Krieg”, sagte Popescu zu Table.Briefings. “Aber wir befinden uns auch nicht in Friedenszeiten.” Speziell die russische Invasion in die Ukraine habe aufgezeigt, dass die Militär-, Energie- und Transportinfrastruktur der EU den Herausforderungen von Krisensituationen nicht gewachsen sei. Man müsse nun deshalb Prozesse einführen, die die Anpassung an neue Krisensituationen beschleunigen würde.
Popescu hat die Trägheit der EU als Vize-Premierminister und Außenminister Moldaus aus erster Hand miterlebt. Als Russland begann, die ukrainische Energieinfrastruktur zu bombardieren, musste Moldau seine Abhängigkeit vom ukrainischen Energienetz verringern. Dafür braucht es mehr direkte Verbindungen zum rumänischen Elektrizitätsnetz. Die Planung und Finanzierung über EU-, EIB- und EBRD-Mittel habe aber viel zu lange gedauert, erklärte Popescu.
Gemeinsam mit Laurence Boone fordert er die Schaffung eines European Defence Production Act (EDPA) nach dem Vorbild der USA, die seit den 1950er-Jahren einen Defence Production Act haben. In den USA ermöglicht dieses Regelwerk der Exekutive, nicht nur in militärischen Notlagen schnell und flexibel einzugreifen. So setzte die US-Regierung den US DPA 2022 zum Beispiel auch ein, um gegen eine akute Knappheit von Babymilchpulver vorzugehen.
Boone und Popescu argumentieren für einen EDPA, der an die Gegebenheiten der EU angepasst ist. So könne die Handlungsmacht in Notlagen angesichts der Wichtigkeit der Mitgliedstaaten wohl nicht ganz so stark zentralisiert werden wie in den USA. Dennoch müsse der EDPA “Brüssel eine koordinierende Rolle bei der schnellen und umfassenden Mobilisierung von Ressourcen als Reaktion auf Kriege und andere Krisen” geben.
Boone und Popescu vergleichen den EDPA mit dem Blaulicht, das es einem Rettungswagen erlaubt, im Notfall die Verkehrsregeln zu brechen. Analog dazu soll die EU im Notfall Gelder einfacher umwidmen, grenzüberschreitende Infrastruktur ausbauen, Berichtspflichten reduzieren und die Produktion wichtiger Güter anordnen können. Zudem soll die EU ein höheres Budget für die Krisenreaktion zur Verfügung haben.
Ein wichtiger Teil eines EDPA wäre die Möglichkeit der EU, Aufträge mit Prioritätsstatus zu vergeben, um die Produktion strategisch wichtiger Produkte hochzufahren, zum Beispiel Artilleriemunition. Damit erinnert der EDPA an den Vorschlag der EU-Kommission zum Single Market Emergency Instrument (SMEI) vom September 2022. In jenem Regulierungsvorschlag wollte die Kommission sich unter anderem ebenfalls das Recht geben, in Krisensituationen Aufträge mit Prioritätsstatus zu vergeben.
Im Rat wurden diese Kompetenzen jedoch wieder eingeschränkt. Die Regulierung, die nun Internal Market Emergency and Resilience Act (IMERA) heißt und im September dieses Jahres verabschiedet wurde, gibt der Kommission zwar eine koordinierende Rolle, aber mit wenig Kompetenzen, um im Markt einzugreifen. Zudem soll IMERA explizit nicht Bereiche tangieren, die im nationalen Kompetenzbereich liegen, zum Beispiel nationale Sicherheit.
Aufseiten der Mitgliedstaaten scheint der Appetit auf eine Regulierung, wie Popescu und Boone sie vorschlagen, also klein zu sein. Zudem gibt es von der Kommission mit dem Europäischen Verteidigungsindustrieprogramm EDIP schon einen Vorschlag, wie die Rüstungsproduktion hochgefahren werden soll.
Dennoch ist Popescu überzeugt, dass ein EDPA “kommen muss”. Die Mitgliedstaaten seien sich des Problems eigentlich bewusst. Die größeren Mitgliedstaaten seien schließlich schon daran, eigene Notregelungen zu etablieren, zum Beispiel das deutsche LNG-Beschleunigungsgesetz von 2022.
Der ehemalige moldauische Vize-Premier warnt aber, dass unilaterales Vorpreschen einzelner Mitgliedstaaten zu einer Verzerrung im Binnenmarkt führen und grenzüberschreitende Projekte erschweren könnte. Gerade in Kriegssituationen wären aber grenzüberschreitende Projekte im Rüstungs-, Energie- und Transportsektor essenziell, ist Popescu überzeugt.
“Die EU kann nicht nochmals drei bis fünf Jahre warten, bis sie endlich schneller wird”, sagte Popescu Table.Briefings und verwies auf die langsame Umsetzung der Wiederaufbauprojekte unter dem Next Generation EU Programm. “Diese Langsamkeit schadet unserer Wirtschaft, schafft Unzufriedenheit in der Gesellschaft und gefährdet letztlich unser politisches System”, warnte Popescu.
Nachdem sie schon im ersten Wahlgang vor zwei Wochen am meisten Stimmen auf sich vereinen konnte, gewann Maia Sandu am gestrigen Sonntag auch die Stichwahl gegen ihren Herausforderer und früheren Generalstaatsanwalt Alexandr Stoianoglo.
Die 52-jährige Pro-Europäerin und Amtsinhaberin Sandu kam auf 54,96 Prozent der Stimmen, wie die Wahlleitung in der Hauptstadt Chisinau nach Auszählung von knapp 99 Prozent der Wahlzettel mitteilte. Stoianoglo, der eine Zusammenarbeit auch mit Russland wollte, unterlag demnach mit 45,04 Prozent der Stimmen. Er war für die Partei der Sozialisten des moskaufreundlichen Ex-Präsidenten Igor Dodon angetreten.
Die Wahlbeteiligung lag mit mehr als 54 Prozent höher als beim ersten Wahlgang am 20. Oktober. Aufgerufen zum Urnengang waren auch Hunderttausende Moldauer, die im Ausland – vorwiegend in der EU – leben sowie in der abtrünnigen und von Russland kontrollierten Region Transnistrien. Vor allem bei den Stimmen aus dem Ausland lag Sandu klar vor Stoianoglo.
Sandus nationaler Sicherheitsberater Stanislav Secrieru warf Russland massive Wahleinmischung vor. Das berge die große Gefahr, das Ergebnis zu verzerren, teilte er auf der Plattform X mit. Die Behörden seien alarmiert. In der Region Transnistrien, wo russische Truppen stationiert sind, gebe es organisierte Wählertransporte zu den Abstimmungen; das sei illegal, sagte er.
Der Vertraute von Amtsinhaberin Sandu, die im Fall eines Sieges weitere Reformen auf dem Weg in die EU durchsetzen will, veröffentlichte auch Berichte über organisierte Transporte von Russland aus mit Bussen und Charterflügen, die Wähler in die aserbaidschanische Hauptstadt Baku, in die türkische Metropole Istanbul und in die belarussische Hauptstadt Minsk flögen.
Sicherheitsbehörden in der Hauptstadt Chisinau hatten schon im Vorfeld Desinformation und Wählerkauf durch prorussische Kräfte aufgedeckt. In dem Land waren mehrere russischsprachige Fernsehkanäle und Internetplattformen blockiert worden. Auch am Wahltag selbst berichteten Menschen in der Hauptstadt Chisinau im Gespräch mit Reportern der Deutschen Presse-Agentur, sie hätten in der vergangenen Woche Anrufe erhalten mit der Bitte, für Stoianoglo zu stimmen. Einige sagten auch, dass ihnen dafür Geld angeboten worden sei.
Sandu hatte nach der ersten Wahlrunde ebenfalls von Wählerkauf gesprochen. Sie hatte vor zwei Wochen zudem parallel ein Referendum angesetzt über die Verankerung des EU-Kurses in der Verfassung des Landes. Die Befürworter setzten sich mit hauchdünnem Vorsprung durch, das Verfassungsgericht bestätigte die Gültigkeit des Ergebnisses. Russland hingegen will das 2,5 Millionen Einwohner zählende Agrarland, in seinem Einflussbereich halten.
In ihrer Siegesrede sagte Sandu, dass sie auch die Stimmen jener Moldauer gehört habe, die sie nicht gewählt haben. Sandu war unter anderem aufgrund ihrer Wirtschaftspolitik kritisiert worden. Die Regierung werde nun die Parlamentswahlen vom Sommer nächsten Jahres vorbereiten und für den Erhalt der Demokratie einstehen, sagte Sandu. dpa/rtr/jaa
Eine Reihe von zivilgesellschaftlichen Organisationen fordern EU-Klimakommissar Wopke Hoekstra auf, keine Lobbyisten für fossile Brennstoffe als Teil der EU-Delegation zu den UN-Klimaverhandlungen in Baku mitzubringen. In einem gemeinsamen Brief kritisieren sie, Hoekstras Team habe bei der COP28 vergangenes Jahr leitende Angestellte von Eni und BP sowie den Cheflobbyisten von Exxonmobil in Brüssel als Teil der EU-Delegation mit nach Dubai gebracht.
Auch einige Mitgliedstaaten haben demnach Vertreter der Fossil-Industrie auf ihrem Ticket zur COP nach Dubai gebracht. Beispielsweise brachte die französische Delegation sechs Lobbyisten von Total Energies mit, darunter CEO Patrick Pouyanné.
Die EU-Kommission erklärte bereits während der COP in Dubai auf Nachfrage von Table.Briefings, die EU-Delegation habe aus Kommissaren, Verhandlern und Mitarbeitenden bestanden, Lobbyisten seien kein Teil der Delegation gewesen. Dass Fossil-Lobbyisten auf der Anmeldungsliste der COP28 mit EU-Akkreditierung aufgelistet werden, liege daran, dass sie als Rednerinnen bei Side Events eingeladen waren und einen Zugangsausweis zum Veranstaltungsort benötigten. Sie hätten aber “keinen Zugang zu den Delegationsräumen der EU-Kommission gehabt”, so die eine Kommissionssprecherin.
Der Brief wurde von über 100 NGOs unterschrieben. Sie fordern, dass Öl- und Gasunternehmen kein privilegierter Zugang zu den Klimaverhandlungen gewährt wird. “Es ist genauso wenig sinnvoll, Exxonmobil und BP zu fragen, wie man von fossilen Brennstoffen wegkommt, wie man Philip Morris fragen kann, wie man mit dem Rauchen aufhört.” luk
Frankreich fordert einen europäischen Krisenplan zur Unterstützung der Autobranche. “Wir haben ein Problem bei der Wettbewerbsfähigkeit, bei der Nachfrage und mit den unfairen chinesischen Handelspraktiken”, sagte der französische Industrieminister Marc Ferracci dem Handelsblatt. “Die Zukunft unsere Autoindustrie hängt davon ab, ob wir eine Antwort auf diese kolossalen Herausforderungen finden.”
Um die Nachfrage nach E-Autos europäischer Hersteller kurzfristig zu stärken, wirbt Ferracci für in der EU abgestimmte Kaufprämien nach französischem Vorbild. Frankreich hatte die Förderung unter anderem vom CO₂-Ausstoß bei der Produktion abhängig gemacht und damit Fahrzeuge aus China faktisch von dieser Subvention ausgeschlossen. Deutschland hatte seinen staatlichen Umweltbonus für den Kauf von Elektroautos Ende 2023 gestoppt.
Als weiteren Hebel zur Stärkung der Nachfrage bringt Ferracci eine europäische Initiative zur Elektrifizierung von gewerblichen Fuhrparks ins Gespräch. Die Details müsse man noch mit den Partnern in der EU diskutieren, sagte der Minister. “Aber das Prinzip lautet, dass wir – so wie unsere Handelskonkurrenz es tut – europäische Autos bei der Förderung bevorzugen, sei es bei der Kaufprämie oder bei Investitionen.” Auch bei anderen unter Druck stehenden Branchen wie Stahl oder Chemie dringt Paris auf eine industriepolitische Antwort der Europäer. rtr
Heute beginnt eine Marathonwoche, die für Insider der Brüsseler Blase wie der Superbowl ist. Die designierten EU-Kommissare für die Kabinettsposten werden in einer siebentägigen Anhörungsserie, bei der täglich vier Nominierte Rede und Antwort stehen müssen, im Europäischen Parlament “gegrillt”.
Für einige von uns ist eine Position, die viele Beobachter übersehen haben, besonders bemerkenswert: Die erfahrene bulgarische Politikerin Ekaterina Sachariewa ist als Kommissarin für Start-ups, Forschung und Innovation nominiert.
Seit Langem gibt es EU-Kommissare für Forschung und Innovation; der Posten für Forschung, Wissenschaft und Innovation wurde 1967 eingeführt und war bis 1981 in Folge von drei Deutschen besetzt. 2019 wurde das Mandat geändert: “Wissenschaft” wurde gestrichen und durch drei neue Titel ersetzt: Kultur, Bildung und Jugend. Der Posten ging an die junge, engagierte Bulgarin Mariya Gabriel.
Doch es war eine Mammutaufgabe mit fünf Verantwortungsbereichen. Obwohl Kommissarin Gabriel allgemein für ihre Amtszeit gelobt wurde, wurde schnell klar, dass die Rolle sie zu sehr beanspruchte. Ihr vorzeitiger Rücktritt – um eine Führungsposition in ihrer nationalen Regierung anzutreten – ließ ihrer Nachfolgerin Iliana Ivanova nur ein Jahr, um einen Eindruck zu hinterlassen.
Im Vorfeld des Nominierungsprozesses in diesem Herbst gab es unterschiedliche Erwartungen. Universitäten plädierten dafür, Bildung, Forschung und Innovation unter einer Kommissarin zu bündeln. Ebenso hofften Organisationen wie die meine darauf, dass Start-ups – jene innovativen, schnell wachsenden Unternehmen, die wirtschaftliches Wachstum antreiben und neue Industrien schaffen – endlich am Tisch sitzen würden. Befürworter einer stärkeren Ausrichtung auf europäische Technologieautonomie hatten ihre Hoffnungen auf die erfahrene Parlamentsabgeordnete Henna Virkkunen aus Finnland gesetzt, die Europa in technologischer Hinsicht wieder relevant machen könnte; würde sie ein Superministerium für Innovation erhalten?
Kommissionspräsidentin von der Leyen überraschte uns alle mit ihren Entscheidungen:
Warum ist das wichtig? Ein altes Sprichwort besagt: “Erfindung bedeutet, Geld in Ideen umzuwandeln, während Innovation bedeutet, Ideen in Geld umzuwandeln.” Nach dieser Definition ist Europa Weltmeister in der Erfindung. Wir haben eine beeindruckende Landschaft an Universitäten und Forschungseinrichtungen, die weltweit führende Talente, Patente und bahnbrechende Ideen hervorbringen.
Doch im Vergleich zu den USA sind wir schlecht darin, diese Ideen in Geld umzuwandeln. Forschungsprojekte werden oft nicht zu Unternehmen. Professoren oder Forscher sind selten vorbereitet oder motiviert, Unternehmer zu werden, und Universitäten stehen solchen Vorhaben oft feindlich gegenüber oder machen ihre geistigen Eigentumsrechte unmöglich zu lizenzieren. Unsere Top-Talente oder Start-ups zieht es oft ins Silicon Valley, wo Kapital leichter zu beschaffen ist.
Wer die Berichte von Enrico Letta oder Mario Draghi kennt, weiß, dass unsere strukturellen Defizite in Bezug auf Innovation und Wettbewerbsfähigkeit Europas geopolitische und wirtschaftliche Stärke erheblich geschwächt haben. Daher war es wenig überraschend, dass der Europäische Rat in einem achtseitigen Dokument die neue Kommission aufforderte, die “wirtschaftliche Verwertung” der europäischen Forschung zu steigern. Erstaunlicherweise ließ dieses Dokument jedoch ein Wort aus: “Start-ups.” Die erhoffte “Verwertung” wird offenbar wie durch Zauberhand eintreten.
Deshalb ist es umso bedeutender, dass Präsidentin von der Leyen ausdrücklich den Bereich Start-ups in den Titel der neuen Kommissarin aufgenommen hat. Sie hat erneut signalisiert, dass sie weiß, was Europa heilen kann. Einfach ausgedrückt: Wenn Europa auf der globalen Bühne wieder relevant werden will, muss es seine Fähigkeit wiederentdecken, weltweit führende Unternehmen in neuen Technologiesektoren hervorzubringen – und das kann nur durch Europas Start-ups geschehen.
Glücklicherweise hat Europa im letzten Jahrzehnt ein florierendes und dynamisches Netzwerk an Start-up-Ökosystemen aufgebaut, das von Tausenden von Start-ups in Bereichen wie KI, Klima- und Energietechnologie, Fintech, Deep Tech und vielen weiteren getragen wird. Unterstützt werden sie von fast 1.000 EU-basierten Risikokapitalfonds und einer Generation erfolgreicher Gründer, die die nächste Welle fördern und in sie reinvestieren. Mein Verband zählt inzwischen mehr als drei Dutzend Mitgliederorganisationen für Start-ups.
Und Deutschland kann sich freuen: Im dritten Quartal 2024 erhielten deutsche Start-ups laut Dealroom 2,7 Milliarden US-Dollar an Risikokapitalinvestitionen, womit Deutschland europaweit auf Platz zwei und vor Frankreich steht. Deutschland ist eine “Start-up-Nation wider Willen”. In den letzten zwei Monaten veranstaltete die Bundesregierung sowohl einen (ersten!) Start-up-Gipfel als auch einen (17.) Digital/IT-Gipfel, und beide Veranstaltungen – plötzlich vollgepackt mit Start-ups – zeigten, dass immer mehr deutsche Führungskräfte erkennen, dass Start-ups das fehlende Bindeglied zwischen Ideen und Innovation sind.
Von der Bundesregierung bis zur EU-Kommission ist die Botschaft angekommen. Aber es gibt noch viel zu tun. Ganz oben auf der Agenda stehen zwei zentrale Probleme, deren Lösung die europäische Start-up-Landschaft erheblich verbessern würde:
Beide Themen stehen seit Langem auf der EU-Agenda, aber ihre Lösung ist nach wie vor der schnellste Weg, um Europa wettbewerbsfähig zu machen. Ironischerweise sind die beiden Kommissare, die sich vermutlich am ehesten mit diesen wichtigen Problemen befassen werden, NICHT die Start-up-Kommissarin.
Zum Glück hat die designierte Kommissarin Sachariewa bereits zugesagt, eng mit diesen beiden anderen Kommissaren zusammenzuarbeiten.
Ist ihre Rolle also nur die einer Cheerleaderin? Nein. Die Ernennung einer Start-up-Kommissarin bedeutet, dass erstmals jemand im Kabinett für diesen entscheidenden Teil der Wirtschaft einsteht und auch daran gemessen wird, wie gut sich das europäische Start-up-Ökosystem entwickelt. Viele Länder, darunter Deutschland, haben Beamte, die für Start-ups zuständig sind (wie die Start-up-Beauftragte Anna Christmann). Aber stellen Sie sich eine Welt vor, in der jede nationale Regierung jemanden auf Kabinettsebene dafür verantwortlich hätte; hier hat Präsidentin von der Leyen ein großartiges Beispiel gesetzt.
Die Kombination von Start-ups, Innovation und Forschung sendet ebenfalls ein starkes Signal: Unsere Bildungseinrichtungen müssen über Lehre und Forschung hinausgehen. Laborexperimente müssen auch auf dem Markt erfolgreich sein. Andernfalls finanzieren wir alle nur ein gigantisches Wohltätigkeitsprogramm zur Ausbildung zukünftiger amerikanischer Talente.
Wir wissen noch nicht, was uns erwartet, wenn Kommissarin Sachariewa ein Europäisches Innovationsgesetz vorstellt oder ihre geplante Start-up- und Scale-up-Strategie präsentiert.
Pessimisten sagen, dass sich ihr Fokus auf das Budget für Universitäten und Forschungseinrichtungen beschränken wird und Start-ups in Vergessenheit geraten. Ekatarina Sachariewa hat kaum Erfahrungen in ihren drei Aufgabenbereichen. Sogar das Europäische Parlament scheint kaum daran interessiert, die designierte Komissarin Sachariewa über Start-ups zu befragen; fast keine der ihr vorab gestellten Fragen beziehen sich darauf.
Optimisten wie ich hingegen finden es großartig, eine fähige Politikerin zu haben, die ihre Kollegen im Kabinett mobilisieren und für Start-ups in zahlreichen Sektoren eintreten kann. Hoffentlich gelingt es ihr, Europa davon zu überzeugen, dass Start-ups so entscheidend für unsere Zukunft sind, dass sogar Deutschland eines Tages das Amt der Innovationskommissarin übernehmen möchte. Das wäre ein starkes Signal.
Clark Parsons ist CEO des European Startup Network, einem Netzwerk europäischer Start-up-Verbände, und Managing Director der Innovate Europe Foundation. Die Stiftung setzt sich als Thinktank, Forum und Dialogpartner für die Anliegen des deutschen und europäischen Digital- und Innovations-Ökosystems ein.
diese Woche steht ganz im Zeichen der US-Wahlen und der Kommissarsanhörungen. Aber heute und morgen treffen sich auch die EU-Finanzminister in Brüssel. Sie wollen sich auf eine gemeinsame Erklärung zur Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft einigen.
Die Erklärung wird auch wieder Forderungen nach einer Vertiefung und Vereinfachung des Binnenmarkts enthalten. Einen konkreten Schritt in diese Richtung können die Finanzminister wahrscheinlich am Dienstag nehmen. Nach Angaben von EU-Diplomaten haben sich die Mitgliedstaaten endlich auf einen gemeinsamen Text zur Mehrwertsteuerreform geeinigt.
Bisher blockierte Estland den Reformvorschlag, der die grenzüberschreitende elektronische Rechnungsstellung und die Mehrwertsteuerabrechnung vereinfachen soll. Der baltische Kleinstaat störte sich an einer Bestimmung, die online Plattformen für die Erhebung der Mehrwertsteuer auf ihrer Plattform verantwortlich machen würde. Gelöst hat die ungarische Ratspräsidentschaft die Blockade mit einer verzögerten Einführung der Reform, die damit erst im Januar 2030 vollständig umgesetzt werden wird.
Somit zeigt dieser kleine Erfolg auch gleich die Grenzen der europäischen Wettbewerbsfähigkeit auf. Zwischen Kommissionsvorschlag (im Dezember 2022) und Umsetzung der Reform werden mehr als sieben Jahre vergangen sein.
Einen geduldigen Start in die Woche wünscht Ihnen,
Die neuen EU-Schuldenregeln hatte die Bundesregierung mitgeprägt, nun ringt die Ampel-Koalition mit der EU-Kommission verbissen darum, wie diese erstmals auf Deutschland angewendet werden. In Brüssel wird Berlin vorgehalten, sich veralteter Zahlen bedienen zu wollen, um nicht auf einer Bank zu landen mit hoch verschuldeten Staaten wie Italien oder Frankreich. In der Ampel-Koalition wird das entschieden bestritten und im Gegenzug der Kommission vorgeworfen, den Haushaltsspielraum stärker einschränken zu wollen als nötig nach dem neuen Regelwerk.
Die Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts war Ende April in Kraft getreten. Die einzelnen Mitgliedstaaten müssen nun mittelfristige finanzpolitisch-strukturelle Pläne mit der Kommission aushandeln, die Ziele für den Staatshaushalt enthalten, aber auch für Strukturreformen und Investitionen. Ausgangspunkt dafür ist eine Schuldentragfähigkeitsanalyse der Kommission, in die zahlreiche Faktoren wie das Wachstumspotenzial einfließen. Auf dieser Grundlage vereinbart die Brüsseler Behörde schließlich mit den Regierungen Fiskalpläne, die den Staaten für vier bis sieben Jahre verbindliche Obergrenzen vorgeben für ihre Netto-Primärausgaben – die sogenannten Ausgabenpfade.
Das neue Regelwerk wird derzeit dem ersten Praxistest unterzogen. 19 Mitgliedsstaaten haben bereits ihre nationalen Fiskalpläne eingereicht, Deutschland steht ebenso wie Frankreich noch aus. Die Bundesrepublik versteht sich zwar als Schulden-Musterknabe in der EU, die Wachstumsschwäche der deutschen Wirtschaft bringt Berlin aber in Schwierigkeiten.
Seit dem Sommer verhandelt die Ampel-Koalition mit der Kommission über den deutschen Fiskalplan. In seltener Eintracht wehren sich von SPD, Grünen und FDP geführte Ministerien dabei gegen Sparvorgaben, die sie als übermäßig strikt ansehen. Die Regelauslegung der Kommission führe dazu, dass der Spielraum für die stets von Brüssel eingeforderten Investitionen zu gering werde, heißt es in Regierungskreisen.
In der Kommission werden die Argumente der Bundesregierung hingegen als Versuch gewertet, die neuen Schuldenregeln aufzuweichen. Das werde man nicht mitmachen, heißt es in Brüssel. In der Kommission sieht man den Verzicht auf ein konsequentes Defizitverfahren gegen Deutschland unter Finanzminister Hans Eichel vor 20 Jahren als Sündenfall, der die Glaubwürdigkeit des damals neuen Stabilitätspakts ruiniert habe. Dies dürfe sich nicht wiederholen.
Der Streit fokussiert sich aktuell dem Vernehmen nach auf zwei Punkte:
Die Aktualität der Daten: Die Kommission drängt darauf, die neuesten Wachstumsprognosen und Neuverschuldungszahlen der Berechnung des Ausgabenpfades zugrunde zu legen. Dieser aber fallen im Fall Deutschlands deutlich trüber aus als noch die Prognosen aus dem Frühjahr. Die Bundesregierung argumentiert mit Verve, dafür gebe es keine Rechtsgrundlage in der neuen Verordnung. In Regierungskreisen wird zugleich beteuert, man sei durchaus einverstanden, die aktuellen Daten zugrunde zu legen. Es gehe vielmehr darum, bei der ersten Anwendung den methodischen Rahmen nicht unnötig eng anzulegen und dadurch künftige Regierungen zu fesseln.
Die Reformpolitik der Ampel: Der Fiskalplan berücksichtigt auch die Reformzusagen der Regierungen. Die Ampel verweist in den Gesprächen mit der Kommission insbesondere auf ihr Wachstumspaket aus 49 Einzelmaßnahmen, von dem sie sich 2025 ein zusätzliches Wachstum von 0,5 Prozentpunkten erhofft. Der Kommission ist das Paket zu kleinteilig – sie fordert größere Strukturreformen, im Einklang mit deutschen Wirtschaftsforschern.
Wie begründet die jeweiligen Argumente sind, lässt sich von außen schwer nachvollziehen. Denn die Kommission legt die Daten und Annahmen des Fiskalplans erst am Ende des Aushandlungsprozesses offen. “Eine Schwäche des neuen Systems ist die fehlende Transparenz des Verhandlungsprozesses zwischen Kommission und einzelnen Mitgliedstaaten”, kritisiert Nils Redeker, Vize-Direktor des Jacques Delors Centre an der Berliner Hertie School.
Der Ökonom zeigt Verständnis für die Argumentation der Bundesregierung. Die Kommission müsse die neuen Regeln zwar konsequent anwenden. “Dabei gibt es aber Interpretationsspielraum und die Frage, wie man diesen sinnvoll nutzt, ist aus meiner Sicht noch offen.” Für Deutschland sei es vor allem wichtig, welchen finanziellen Spielraum für Investitionen die EU-Regeln mittelfristig erlaubten. Auch wenn der deutsche Plan nach der Bundestagswahl neu ausgehandelt werden könne, würden in den laufenden Verhandlungen bereits “wichtige Pflöcke eingeschlagen”.
Noch ist offen, ob Deutschland vier oder sieben Jahre Zeit beantragt, um seine Finanzen in Einklang mit den neuen EU-Regeln zu bringen. Für den Vier-Jahrespfad müsste die Regierung die Staatsausgaben um mehrere Milliarden Euro senken. In seinem Thesenpapier vom Freitag schreibt Bundesfinanzminister Christian Lindner für diesen Fall von einem “großen zusätzlichen Konsolidierungsdruck”.
Der Sieben-Jahrespfad würde hingegen in etwa den Vorgaben der deutschen Schuldenbremse entsprechen, wie es in Regierungskreisen heißt. Allerdings müsste sich Deutschland im Gegenzug zu weiteren Reformen verpflichten – was der Ampel angesichts des offenen Streits um die richtige Ausrichtung der Wirtschaftspolitik nicht leichtfiele.
Eine feste Deadline für die Vorlage des deutschen Fiskalplanes gibt es nicht. In Berlin heißt es, letztlich müssten Kanzler Olaf Scholz, Wirtschaftsminister Robert Habeck und Lindner entscheiden, auf welchen der beiden Pfade man sich begeben wolle. Der Sieben-Jahrespfad könnte von den Stabilitätsfalken als Stigma verstanden werden, da man sich in Gesellschaft von stark verschuldeten Staaten wie Frankreich und Italien befindet. Allerdings hat auch das traditionell sparsame Finnland sieben Jahre Zeit beantragt, insbesondere um Raum für die stark steigenden Verteidigungsausgaben zu haben.
Europa funktioniert nach Prozessen, die auf Friedenszeiten ausgerichtet sind. Das sei zwar verständlich, führe aber dazu, dass die EU nur improvisiert und ungenügend auf Krisensituationen reagieren kann. So argumentieren die ehemalige französische Europaministerin Laurence Boone und der ehemalige moldauische Vize-Premierminister Nicu Popescu in einem gemeinsamen Policy Paper für den außenpolitischen Thinktank ECFR.
“Wir sind zwar nicht im Krieg”, sagte Popescu zu Table.Briefings. “Aber wir befinden uns auch nicht in Friedenszeiten.” Speziell die russische Invasion in die Ukraine habe aufgezeigt, dass die Militär-, Energie- und Transportinfrastruktur der EU den Herausforderungen von Krisensituationen nicht gewachsen sei. Man müsse nun deshalb Prozesse einführen, die die Anpassung an neue Krisensituationen beschleunigen würde.
Popescu hat die Trägheit der EU als Vize-Premierminister und Außenminister Moldaus aus erster Hand miterlebt. Als Russland begann, die ukrainische Energieinfrastruktur zu bombardieren, musste Moldau seine Abhängigkeit vom ukrainischen Energienetz verringern. Dafür braucht es mehr direkte Verbindungen zum rumänischen Elektrizitätsnetz. Die Planung und Finanzierung über EU-, EIB- und EBRD-Mittel habe aber viel zu lange gedauert, erklärte Popescu.
Gemeinsam mit Laurence Boone fordert er die Schaffung eines European Defence Production Act (EDPA) nach dem Vorbild der USA, die seit den 1950er-Jahren einen Defence Production Act haben. In den USA ermöglicht dieses Regelwerk der Exekutive, nicht nur in militärischen Notlagen schnell und flexibel einzugreifen. So setzte die US-Regierung den US DPA 2022 zum Beispiel auch ein, um gegen eine akute Knappheit von Babymilchpulver vorzugehen.
Boone und Popescu argumentieren für einen EDPA, der an die Gegebenheiten der EU angepasst ist. So könne die Handlungsmacht in Notlagen angesichts der Wichtigkeit der Mitgliedstaaten wohl nicht ganz so stark zentralisiert werden wie in den USA. Dennoch müsse der EDPA “Brüssel eine koordinierende Rolle bei der schnellen und umfassenden Mobilisierung von Ressourcen als Reaktion auf Kriege und andere Krisen” geben.
Boone und Popescu vergleichen den EDPA mit dem Blaulicht, das es einem Rettungswagen erlaubt, im Notfall die Verkehrsregeln zu brechen. Analog dazu soll die EU im Notfall Gelder einfacher umwidmen, grenzüberschreitende Infrastruktur ausbauen, Berichtspflichten reduzieren und die Produktion wichtiger Güter anordnen können. Zudem soll die EU ein höheres Budget für die Krisenreaktion zur Verfügung haben.
Ein wichtiger Teil eines EDPA wäre die Möglichkeit der EU, Aufträge mit Prioritätsstatus zu vergeben, um die Produktion strategisch wichtiger Produkte hochzufahren, zum Beispiel Artilleriemunition. Damit erinnert der EDPA an den Vorschlag der EU-Kommission zum Single Market Emergency Instrument (SMEI) vom September 2022. In jenem Regulierungsvorschlag wollte die Kommission sich unter anderem ebenfalls das Recht geben, in Krisensituationen Aufträge mit Prioritätsstatus zu vergeben.
Im Rat wurden diese Kompetenzen jedoch wieder eingeschränkt. Die Regulierung, die nun Internal Market Emergency and Resilience Act (IMERA) heißt und im September dieses Jahres verabschiedet wurde, gibt der Kommission zwar eine koordinierende Rolle, aber mit wenig Kompetenzen, um im Markt einzugreifen. Zudem soll IMERA explizit nicht Bereiche tangieren, die im nationalen Kompetenzbereich liegen, zum Beispiel nationale Sicherheit.
Aufseiten der Mitgliedstaaten scheint der Appetit auf eine Regulierung, wie Popescu und Boone sie vorschlagen, also klein zu sein. Zudem gibt es von der Kommission mit dem Europäischen Verteidigungsindustrieprogramm EDIP schon einen Vorschlag, wie die Rüstungsproduktion hochgefahren werden soll.
Dennoch ist Popescu überzeugt, dass ein EDPA “kommen muss”. Die Mitgliedstaaten seien sich des Problems eigentlich bewusst. Die größeren Mitgliedstaaten seien schließlich schon daran, eigene Notregelungen zu etablieren, zum Beispiel das deutsche LNG-Beschleunigungsgesetz von 2022.
Der ehemalige moldauische Vize-Premier warnt aber, dass unilaterales Vorpreschen einzelner Mitgliedstaaten zu einer Verzerrung im Binnenmarkt führen und grenzüberschreitende Projekte erschweren könnte. Gerade in Kriegssituationen wären aber grenzüberschreitende Projekte im Rüstungs-, Energie- und Transportsektor essenziell, ist Popescu überzeugt.
“Die EU kann nicht nochmals drei bis fünf Jahre warten, bis sie endlich schneller wird”, sagte Popescu Table.Briefings und verwies auf die langsame Umsetzung der Wiederaufbauprojekte unter dem Next Generation EU Programm. “Diese Langsamkeit schadet unserer Wirtschaft, schafft Unzufriedenheit in der Gesellschaft und gefährdet letztlich unser politisches System”, warnte Popescu.
Nachdem sie schon im ersten Wahlgang vor zwei Wochen am meisten Stimmen auf sich vereinen konnte, gewann Maia Sandu am gestrigen Sonntag auch die Stichwahl gegen ihren Herausforderer und früheren Generalstaatsanwalt Alexandr Stoianoglo.
Die 52-jährige Pro-Europäerin und Amtsinhaberin Sandu kam auf 54,96 Prozent der Stimmen, wie die Wahlleitung in der Hauptstadt Chisinau nach Auszählung von knapp 99 Prozent der Wahlzettel mitteilte. Stoianoglo, der eine Zusammenarbeit auch mit Russland wollte, unterlag demnach mit 45,04 Prozent der Stimmen. Er war für die Partei der Sozialisten des moskaufreundlichen Ex-Präsidenten Igor Dodon angetreten.
Die Wahlbeteiligung lag mit mehr als 54 Prozent höher als beim ersten Wahlgang am 20. Oktober. Aufgerufen zum Urnengang waren auch Hunderttausende Moldauer, die im Ausland – vorwiegend in der EU – leben sowie in der abtrünnigen und von Russland kontrollierten Region Transnistrien. Vor allem bei den Stimmen aus dem Ausland lag Sandu klar vor Stoianoglo.
Sandus nationaler Sicherheitsberater Stanislav Secrieru warf Russland massive Wahleinmischung vor. Das berge die große Gefahr, das Ergebnis zu verzerren, teilte er auf der Plattform X mit. Die Behörden seien alarmiert. In der Region Transnistrien, wo russische Truppen stationiert sind, gebe es organisierte Wählertransporte zu den Abstimmungen; das sei illegal, sagte er.
Der Vertraute von Amtsinhaberin Sandu, die im Fall eines Sieges weitere Reformen auf dem Weg in die EU durchsetzen will, veröffentlichte auch Berichte über organisierte Transporte von Russland aus mit Bussen und Charterflügen, die Wähler in die aserbaidschanische Hauptstadt Baku, in die türkische Metropole Istanbul und in die belarussische Hauptstadt Minsk flögen.
Sicherheitsbehörden in der Hauptstadt Chisinau hatten schon im Vorfeld Desinformation und Wählerkauf durch prorussische Kräfte aufgedeckt. In dem Land waren mehrere russischsprachige Fernsehkanäle und Internetplattformen blockiert worden. Auch am Wahltag selbst berichteten Menschen in der Hauptstadt Chisinau im Gespräch mit Reportern der Deutschen Presse-Agentur, sie hätten in der vergangenen Woche Anrufe erhalten mit der Bitte, für Stoianoglo zu stimmen. Einige sagten auch, dass ihnen dafür Geld angeboten worden sei.
Sandu hatte nach der ersten Wahlrunde ebenfalls von Wählerkauf gesprochen. Sie hatte vor zwei Wochen zudem parallel ein Referendum angesetzt über die Verankerung des EU-Kurses in der Verfassung des Landes. Die Befürworter setzten sich mit hauchdünnem Vorsprung durch, das Verfassungsgericht bestätigte die Gültigkeit des Ergebnisses. Russland hingegen will das 2,5 Millionen Einwohner zählende Agrarland, in seinem Einflussbereich halten.
In ihrer Siegesrede sagte Sandu, dass sie auch die Stimmen jener Moldauer gehört habe, die sie nicht gewählt haben. Sandu war unter anderem aufgrund ihrer Wirtschaftspolitik kritisiert worden. Die Regierung werde nun die Parlamentswahlen vom Sommer nächsten Jahres vorbereiten und für den Erhalt der Demokratie einstehen, sagte Sandu. dpa/rtr/jaa
Eine Reihe von zivilgesellschaftlichen Organisationen fordern EU-Klimakommissar Wopke Hoekstra auf, keine Lobbyisten für fossile Brennstoffe als Teil der EU-Delegation zu den UN-Klimaverhandlungen in Baku mitzubringen. In einem gemeinsamen Brief kritisieren sie, Hoekstras Team habe bei der COP28 vergangenes Jahr leitende Angestellte von Eni und BP sowie den Cheflobbyisten von Exxonmobil in Brüssel als Teil der EU-Delegation mit nach Dubai gebracht.
Auch einige Mitgliedstaaten haben demnach Vertreter der Fossil-Industrie auf ihrem Ticket zur COP nach Dubai gebracht. Beispielsweise brachte die französische Delegation sechs Lobbyisten von Total Energies mit, darunter CEO Patrick Pouyanné.
Die EU-Kommission erklärte bereits während der COP in Dubai auf Nachfrage von Table.Briefings, die EU-Delegation habe aus Kommissaren, Verhandlern und Mitarbeitenden bestanden, Lobbyisten seien kein Teil der Delegation gewesen. Dass Fossil-Lobbyisten auf der Anmeldungsliste der COP28 mit EU-Akkreditierung aufgelistet werden, liege daran, dass sie als Rednerinnen bei Side Events eingeladen waren und einen Zugangsausweis zum Veranstaltungsort benötigten. Sie hätten aber “keinen Zugang zu den Delegationsräumen der EU-Kommission gehabt”, so die eine Kommissionssprecherin.
Der Brief wurde von über 100 NGOs unterschrieben. Sie fordern, dass Öl- und Gasunternehmen kein privilegierter Zugang zu den Klimaverhandlungen gewährt wird. “Es ist genauso wenig sinnvoll, Exxonmobil und BP zu fragen, wie man von fossilen Brennstoffen wegkommt, wie man Philip Morris fragen kann, wie man mit dem Rauchen aufhört.” luk
Frankreich fordert einen europäischen Krisenplan zur Unterstützung der Autobranche. “Wir haben ein Problem bei der Wettbewerbsfähigkeit, bei der Nachfrage und mit den unfairen chinesischen Handelspraktiken”, sagte der französische Industrieminister Marc Ferracci dem Handelsblatt. “Die Zukunft unsere Autoindustrie hängt davon ab, ob wir eine Antwort auf diese kolossalen Herausforderungen finden.”
Um die Nachfrage nach E-Autos europäischer Hersteller kurzfristig zu stärken, wirbt Ferracci für in der EU abgestimmte Kaufprämien nach französischem Vorbild. Frankreich hatte die Förderung unter anderem vom CO₂-Ausstoß bei der Produktion abhängig gemacht und damit Fahrzeuge aus China faktisch von dieser Subvention ausgeschlossen. Deutschland hatte seinen staatlichen Umweltbonus für den Kauf von Elektroautos Ende 2023 gestoppt.
Als weiteren Hebel zur Stärkung der Nachfrage bringt Ferracci eine europäische Initiative zur Elektrifizierung von gewerblichen Fuhrparks ins Gespräch. Die Details müsse man noch mit den Partnern in der EU diskutieren, sagte der Minister. “Aber das Prinzip lautet, dass wir – so wie unsere Handelskonkurrenz es tut – europäische Autos bei der Förderung bevorzugen, sei es bei der Kaufprämie oder bei Investitionen.” Auch bei anderen unter Druck stehenden Branchen wie Stahl oder Chemie dringt Paris auf eine industriepolitische Antwort der Europäer. rtr
Heute beginnt eine Marathonwoche, die für Insider der Brüsseler Blase wie der Superbowl ist. Die designierten EU-Kommissare für die Kabinettsposten werden in einer siebentägigen Anhörungsserie, bei der täglich vier Nominierte Rede und Antwort stehen müssen, im Europäischen Parlament “gegrillt”.
Für einige von uns ist eine Position, die viele Beobachter übersehen haben, besonders bemerkenswert: Die erfahrene bulgarische Politikerin Ekaterina Sachariewa ist als Kommissarin für Start-ups, Forschung und Innovation nominiert.
Seit Langem gibt es EU-Kommissare für Forschung und Innovation; der Posten für Forschung, Wissenschaft und Innovation wurde 1967 eingeführt und war bis 1981 in Folge von drei Deutschen besetzt. 2019 wurde das Mandat geändert: “Wissenschaft” wurde gestrichen und durch drei neue Titel ersetzt: Kultur, Bildung und Jugend. Der Posten ging an die junge, engagierte Bulgarin Mariya Gabriel.
Doch es war eine Mammutaufgabe mit fünf Verantwortungsbereichen. Obwohl Kommissarin Gabriel allgemein für ihre Amtszeit gelobt wurde, wurde schnell klar, dass die Rolle sie zu sehr beanspruchte. Ihr vorzeitiger Rücktritt – um eine Führungsposition in ihrer nationalen Regierung anzutreten – ließ ihrer Nachfolgerin Iliana Ivanova nur ein Jahr, um einen Eindruck zu hinterlassen.
Im Vorfeld des Nominierungsprozesses in diesem Herbst gab es unterschiedliche Erwartungen. Universitäten plädierten dafür, Bildung, Forschung und Innovation unter einer Kommissarin zu bündeln. Ebenso hofften Organisationen wie die meine darauf, dass Start-ups – jene innovativen, schnell wachsenden Unternehmen, die wirtschaftliches Wachstum antreiben und neue Industrien schaffen – endlich am Tisch sitzen würden. Befürworter einer stärkeren Ausrichtung auf europäische Technologieautonomie hatten ihre Hoffnungen auf die erfahrene Parlamentsabgeordnete Henna Virkkunen aus Finnland gesetzt, die Europa in technologischer Hinsicht wieder relevant machen könnte; würde sie ein Superministerium für Innovation erhalten?
Kommissionspräsidentin von der Leyen überraschte uns alle mit ihren Entscheidungen:
Warum ist das wichtig? Ein altes Sprichwort besagt: “Erfindung bedeutet, Geld in Ideen umzuwandeln, während Innovation bedeutet, Ideen in Geld umzuwandeln.” Nach dieser Definition ist Europa Weltmeister in der Erfindung. Wir haben eine beeindruckende Landschaft an Universitäten und Forschungseinrichtungen, die weltweit führende Talente, Patente und bahnbrechende Ideen hervorbringen.
Doch im Vergleich zu den USA sind wir schlecht darin, diese Ideen in Geld umzuwandeln. Forschungsprojekte werden oft nicht zu Unternehmen. Professoren oder Forscher sind selten vorbereitet oder motiviert, Unternehmer zu werden, und Universitäten stehen solchen Vorhaben oft feindlich gegenüber oder machen ihre geistigen Eigentumsrechte unmöglich zu lizenzieren. Unsere Top-Talente oder Start-ups zieht es oft ins Silicon Valley, wo Kapital leichter zu beschaffen ist.
Wer die Berichte von Enrico Letta oder Mario Draghi kennt, weiß, dass unsere strukturellen Defizite in Bezug auf Innovation und Wettbewerbsfähigkeit Europas geopolitische und wirtschaftliche Stärke erheblich geschwächt haben. Daher war es wenig überraschend, dass der Europäische Rat in einem achtseitigen Dokument die neue Kommission aufforderte, die “wirtschaftliche Verwertung” der europäischen Forschung zu steigern. Erstaunlicherweise ließ dieses Dokument jedoch ein Wort aus: “Start-ups.” Die erhoffte “Verwertung” wird offenbar wie durch Zauberhand eintreten.
Deshalb ist es umso bedeutender, dass Präsidentin von der Leyen ausdrücklich den Bereich Start-ups in den Titel der neuen Kommissarin aufgenommen hat. Sie hat erneut signalisiert, dass sie weiß, was Europa heilen kann. Einfach ausgedrückt: Wenn Europa auf der globalen Bühne wieder relevant werden will, muss es seine Fähigkeit wiederentdecken, weltweit führende Unternehmen in neuen Technologiesektoren hervorzubringen – und das kann nur durch Europas Start-ups geschehen.
Glücklicherweise hat Europa im letzten Jahrzehnt ein florierendes und dynamisches Netzwerk an Start-up-Ökosystemen aufgebaut, das von Tausenden von Start-ups in Bereichen wie KI, Klima- und Energietechnologie, Fintech, Deep Tech und vielen weiteren getragen wird. Unterstützt werden sie von fast 1.000 EU-basierten Risikokapitalfonds und einer Generation erfolgreicher Gründer, die die nächste Welle fördern und in sie reinvestieren. Mein Verband zählt inzwischen mehr als drei Dutzend Mitgliederorganisationen für Start-ups.
Und Deutschland kann sich freuen: Im dritten Quartal 2024 erhielten deutsche Start-ups laut Dealroom 2,7 Milliarden US-Dollar an Risikokapitalinvestitionen, womit Deutschland europaweit auf Platz zwei und vor Frankreich steht. Deutschland ist eine “Start-up-Nation wider Willen”. In den letzten zwei Monaten veranstaltete die Bundesregierung sowohl einen (ersten!) Start-up-Gipfel als auch einen (17.) Digital/IT-Gipfel, und beide Veranstaltungen – plötzlich vollgepackt mit Start-ups – zeigten, dass immer mehr deutsche Führungskräfte erkennen, dass Start-ups das fehlende Bindeglied zwischen Ideen und Innovation sind.
Von der Bundesregierung bis zur EU-Kommission ist die Botschaft angekommen. Aber es gibt noch viel zu tun. Ganz oben auf der Agenda stehen zwei zentrale Probleme, deren Lösung die europäische Start-up-Landschaft erheblich verbessern würde:
Beide Themen stehen seit Langem auf der EU-Agenda, aber ihre Lösung ist nach wie vor der schnellste Weg, um Europa wettbewerbsfähig zu machen. Ironischerweise sind die beiden Kommissare, die sich vermutlich am ehesten mit diesen wichtigen Problemen befassen werden, NICHT die Start-up-Kommissarin.
Zum Glück hat die designierte Kommissarin Sachariewa bereits zugesagt, eng mit diesen beiden anderen Kommissaren zusammenzuarbeiten.
Ist ihre Rolle also nur die einer Cheerleaderin? Nein. Die Ernennung einer Start-up-Kommissarin bedeutet, dass erstmals jemand im Kabinett für diesen entscheidenden Teil der Wirtschaft einsteht und auch daran gemessen wird, wie gut sich das europäische Start-up-Ökosystem entwickelt. Viele Länder, darunter Deutschland, haben Beamte, die für Start-ups zuständig sind (wie die Start-up-Beauftragte Anna Christmann). Aber stellen Sie sich eine Welt vor, in der jede nationale Regierung jemanden auf Kabinettsebene dafür verantwortlich hätte; hier hat Präsidentin von der Leyen ein großartiges Beispiel gesetzt.
Die Kombination von Start-ups, Innovation und Forschung sendet ebenfalls ein starkes Signal: Unsere Bildungseinrichtungen müssen über Lehre und Forschung hinausgehen. Laborexperimente müssen auch auf dem Markt erfolgreich sein. Andernfalls finanzieren wir alle nur ein gigantisches Wohltätigkeitsprogramm zur Ausbildung zukünftiger amerikanischer Talente.
Wir wissen noch nicht, was uns erwartet, wenn Kommissarin Sachariewa ein Europäisches Innovationsgesetz vorstellt oder ihre geplante Start-up- und Scale-up-Strategie präsentiert.
Pessimisten sagen, dass sich ihr Fokus auf das Budget für Universitäten und Forschungseinrichtungen beschränken wird und Start-ups in Vergessenheit geraten. Ekatarina Sachariewa hat kaum Erfahrungen in ihren drei Aufgabenbereichen. Sogar das Europäische Parlament scheint kaum daran interessiert, die designierte Komissarin Sachariewa über Start-ups zu befragen; fast keine der ihr vorab gestellten Fragen beziehen sich darauf.
Optimisten wie ich hingegen finden es großartig, eine fähige Politikerin zu haben, die ihre Kollegen im Kabinett mobilisieren und für Start-ups in zahlreichen Sektoren eintreten kann. Hoffentlich gelingt es ihr, Europa davon zu überzeugen, dass Start-ups so entscheidend für unsere Zukunft sind, dass sogar Deutschland eines Tages das Amt der Innovationskommissarin übernehmen möchte. Das wäre ein starkes Signal.
Clark Parsons ist CEO des European Startup Network, einem Netzwerk europäischer Start-up-Verbände, und Managing Director der Innovate Europe Foundation. Die Stiftung setzt sich als Thinktank, Forum und Dialogpartner für die Anliegen des deutschen und europäischen Digital- und Innovations-Ökosystems ein.