Table.Briefing: Europe

Sorge um Schengen + Signalwirkung der E-Auto-Zölle + Teresa Ribera

Liebe Leserin, lieber Leser,

mit einem knappen Vorsprung vor der AfD hat die SPD die Landtagswahl in Brandenburg gewonnen. Nach den niederschmetternden Ergebnissen bei der Europawahl und den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen können die Sozialdemokraten nun etwas aufatmen.

Das AfD-Lieblingsthema Migration hat den Wahlkampf geprägt, und es beschäftigt auch Europa weiterhin. Eine Maßnahme, mit der die Bundesregierung auf “Sicherheitsrisiken im Zusammenhang mit irregulärer Migration” reagieren will, sorgt zurzeit für Irritationen: Mit der Entscheidung, Kontrollen an allen deutschen Landesgrenzen einzuführen, stößt Berlin viele vor den Kopf, wie Eric Bonse berichtet. In Brüssel und in Nachbarländern sorgt man sich, dass der Schengenraum des freien Personen- und Warenverkehrs dauerhaften Schaden nehmen könnte.

Auch in der europäischen Handelspolitik macht die Bundesregierung zurzeit keine gute Figur – so sehen es jedenfalls Cora Jungbluth und Etienne Höra. Die Asienexperten der Bertelsmann Stiftung kritisieren im Standpunkt die Versuche Deutschlands und anderer Mitgliedstaaten, die längerfristigen Zölle auf E-Autos aus China zu verhindern. Für die handelspolitische Glaubwürdigkeit der EU sei entscheidend, dass alle Mitgliedstaaten an einem Strang ziehen.

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Sarah Schaefer
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Analyse

Deutsche Grenzkontrollen: In Brüssel wächst die Sorge um Schengen

Nach der Einführung von Kontrollen an allen deutschen Landesgrenzen wächst in Brüssel die Sorge, dass der Schengenraum des freien Personen- und Warenverkehrs dauerhaften Schaden leiden könnte. Der frühere Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker warnt vor einem Rückfall in nationale Politik und einer Erosion der gemeinsamen Regeln. Massive Kritik kommt auch aus dem Europaparlament. Die EU-Kommission müsse einschreiten, heißt es dort.

Die Bundesregierung hatte am 16. September bei der EU-Behörde die Einführung von Grenzkontrollen notifiziert. Zur Begründung nannte Bundesinnenministerin Nancy Faeser “Sicherheitsrisiken im Zusammenhang mit irregulärer Migration” und eine “angespannte Lage” bei der Unterbringung von Flüchtlingen, wobei ausdrücklich auch die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine genannt werden.

Die Kommission nahm die Meldung kommentarlos zur Kenntnis. Man stehe in engem Kontakt mit der Bundesregierung und mit den deutschen Nachbarländern, sagte Behördensprecherin Anitta Hipper. Auf Nachfrage von Table.Briefings, ob die Kommission eine Stellungnahme abgeben oder gar Einspruch einlegen werde, wie dies der Schengener Grenzkodex möglich macht, kam keine Antwort.

Tusk: “De facto eine großangelegte Aussetzung des Schengen-Raums”

Das sei nicht überraschend, sagt die Europaabgeordnete Birgit Sippel (SPD), die als Sprecherin der S&D-Fraktion im LIBE-Ausschuss sitzt. Denn auch in anderen, länger zurückliegenden Fällen sei die EU-Behörde nicht tätig geworden. “Die Kommission als Hüterin der Verträge nimmt ihre Aufgabe nicht wahr. So gab es keine Vertragsverletzungsverfahren bei unzulässig langen Grenzkontrollen.”

Kritik kommt auch aus der konservativen EVP. Der belgische Europaabgeordnete Pascal Arimont hat die EU-Kommission aufgefordert, die deutschen Maßnahmen einer eingehenden juristischen Prüfung zu unterziehen. “Ich habe ernste Zweifel daran, dass diese Kontrollen den Bedingungen des Schengener Grenzkodex entsprechen”, sagte er. Brüssel müsse endlich durchgreifen.

Zuvor hatten Österreich und Polen die deutschen Maßnahmen scharf kritisiert. Man werde in Deutschland abgelehnte Asylbewerber keinesfalls in Österreich aufnehmen, heißt es in Wien. Polens Regierungschef Donald Tusk sagte, die Grenzkontrollen seien “de facto eine großangelegte Aussetzung des Schengen-Raums”. Polen werde dringende Konsultationen mit anderen betroffenen Ländern einleiten.

Regierungen in den Niederlanden und Ungarn fühlen sich bestätigt

Noch heftiger fielen die Reaktionen in den Niederlanden und in Ungarn aus. In Den Haag und Budapest sieht man das restriktive deutsche Vorgehen allerdings nicht als Problem, sondern vielmehr als Bestätigung der eigenen repressiven Asyl- und Migrationspolitik. Unter Verweis auf das deutsche Vorgehen haben die Niederlande sogar noch härtere Maßnahmen angekündigt.

Die rechte Regierung in Den Haag will aus dem europäischen Asylsystem GEAS aussteigen: “Wir müssen wieder über unsere eigene Asylpolitik das Sagen haben”, sagte Asylministerin Marjolein Faber. Kurz darauf kündigte die Regierung in Ungarn einen ähnlichen Schritt an. Regierungschef Viktor Orbán lehnt die im April verabschiedete GEAS-Reform ab und fordert ein “Opt-Out”.

Bisher sind dies zwar nur Absichtserklärungen ohne praktische Wirkung. Einem Opt-Out müssten alle 27 EU-Länder zustimmen – das gilt in Brüssel derzeit als ausgeschlossen. Allerdings verweist die hitzige Debatte auf eine Gesetzeslücke: Die GEAS-Reform dürfte erst ab 2026 vollständig umgesetzt werden. Erst dann sollen die EU-Außengrenzen wirksam gesichert werden – was dann auch die Binnengrenzen und Deutschland entlasten würde.

Abgeordnete fordert frühere Umsetzung des Migrationspakts

Die Umsetzungslücke sei ein Problem, sagt Birgit Sippel, die die GEAS-Reform mitverhandelt hat. Das Asylsystem sei derzeit dysfunktional. Die Kommission müsse daher aktiv werden und auf eine frühere Umsetzung von GEAS drängen. Im Gegenzug sei eine “geordnete Verteilung der Menschen auf alle Mitgliedstaaten zur Durchführung von Asylverfahren” nötig. Nur so ließen sich weitere Versuche verhindern, die EU-Regeln auszuhebeln.

Alarmiert zeigt sich auch der frühere EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Er beobachte mit Sorge, dass Politik wieder aus der “nationalen Ecke” gemacht werde und dass man Populisten hinterherlaufe, statt sich ihnen in den Weg zu stellen, sagte er dem ZDF. “Ich wünschte mir von der Kommission, (…) dass sie sich zu Wort meldet und auf die Notwendigkeit hinweist, dass die Ausnahmeregel eben nicht zum Regelfall werden darf.”

Derzeit deutet allerdings nichts darauf hin, dass Junckers Amtsnachfolgerin Ursula von der Leyen einschreiten will. Bisher sei die befürchtete Kettenreaktion mit Grenzschließungen und Zurückweisungen quer durch Europa ausgeblieben, heißt es in Brüssel. Außerdem arbeite die Kommission bereits mit Hochdruck daran, die GEAS-Reform umzusetzen und mögliche Gesetzeslücken zu schließen.

Schwierige Aufgabe für Migrationskommissar Magnus Brunner

Auf den designierten neuen Migrationskommissar Magnus Brunner kommt eine schwierige Aufgabe zu. Der Österreicher, der wie von der Leyen der EVP angehört und sich als “neuer Sicherheitskommissar” vorstellte, steht unter Zugzwang. Er muss gegen die irreguläre Migration vorgehen, zugleich aber Schengen und die Reisefreiheit sichern. Nicht alle sind überzeugt, dass ihm dies gelingen wird.

“Die österreichische Regierung ist bekannt für sehr restriktive Maßnahmen”, sagte Sippel. “Daher sehe ich den Kandidaten sehr kritisch. Sein Mission Letter lässt zudem klare erste Maßnahmen zur Umsetzung von GEAS vermissen. Generell erwartet Frau von der Leyen von allen künftigen Kommissar:innen eigene Ideen – ohne eine klare Richtung vorzugeben. Daher gibt es hier viel Klärungsbedarf.”

In den ab Oktober geplanten Anhörungen der neuen Kommissare im Europaparlament muss sich Brunner auf harte Nachfragen einstellen. Die Sorgen um Schengen und GEAS setzen ihn schon vor Amtsantritt unter Druck.

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Neue Regierung in Frankreich bringt keine Stabilität

Es ist eine Besonderheit der politischen Arithmetik in Frankreich: Wahlsieger der Parlamentswahlen am 7. Juli waren das Linksbündnis Nouveau Front Populaire (NFP) und die rechtsextreme Partei Rassemblement National (RN). Dennoch sind weder NFP noch RN in der neuen Regierung aus 39 Ministern und Staatssekretären vertreten, die Premierminister Michel Barnier am Samstag vorgestellt hat.

Zur Erinnerung: In der Nationalversammlung, dem französischen Parlament, hat der NFP 182 Abgeordnete, der RN 126 Abgeordnete, das Macron-Lager 97 Abgeordnete und die konservativen Les Républicains 47 Abgeordnete.

Der einzige Vertreter der neuen Regierung, der als linksgerichtet gilt, ist Didier Migaud, der zum Justizminister ernannt wurde. Der 72-jährige ehemalige Sozialist hatte eine Vielzahl politischer Ämter inne und stand dem ehemaligen sozialistischen Premierminister Laurent Fabius nahe. Migaud gehört allerdings nicht dem Linksbündnis NFP an.

Innenminister Retailleau entsetzte mit Aussagen zu Migration

Ansonsten setzt sich die Regierung aus politischen Persönlichkeiten zusammen, die aus dem Lager des Präsidenten Macron und aus dem der Konservativen stammen – so wie auch Premier Barnier selbst, der Republikaner ist. Es ist ein Rechtsruck, der besonders deutlich wird an der Ernennung des konservativen Abgeordneten Bruno Retailleau zum Innenminister.

Retailleau hatte im vergangenen Jahr für Kontroversen gesorgt, als er in Bezug auf Jugendliche aus Migrantenvierteln von einer “Rückkehr zu den ethnischen Ursprüngen” sprach. Er hat auch die Verantwortung für die Verwendung des Begriffs “Papierfranzosen” übernommen, der von der extremen Rechten für eingebürgerte französische Staatsbürger verwendet wird.

In Frankreich ist die Außenpolitik das Vorrecht des Staatspräsidenten. Emmanuel Macron will sich dieses Recht bewahren und hat deshalb einen seiner engsten Vertrauten, Jean-Noël Barrot, als Nachfolger von Stéphane Séjourné zum Außenminister ernannt. Barrot steht loyal an Macrons Seite, und er kennt die Feinheiten der europäischen Politik. Sein Kabinettschef, Tristan Aureau, arbeitete als stellvertretender diplomatischer Berater in der Europäischen Kommission unter dem neuen Premierminister Barnier. Sein Vater ist der ehemalige EU-Kommissar Jacques Barrot.

Hollande: Sozialisten müssen Misstrauensantrag stellen

Kaum im Amt, wurde die neue Regierung heftig von ihren politischen Gegnern attackiert. Sowohl das Linksbündnis NFP als auch der RN kündigten an, von der Möglichkeit eines Misstrauensvotums Gebrauch zu machen. Ein solches Verfahren kann dazu führen, dass die politische Instabilität in Frankreich bestehen bleibt – es würde nicht nur die Regierungsarbeit blockieren, sondern könnte die Regierung gar stürzen.

Die neue Regierung bedeute “die Rückkehr des Macronismus”, sagte der RN-Vorsitzende Jordan Bardella. “Was die Franzosen zweimal demokratisch sanktioniert haben, kann nicht durch elende Machtspiele und politisches Kalkül zurückkehren. Deshalb ist dies eine Regierung, die keine Zukunft hat”, schrieb Bardella auf X.

Der Vorsitzende der Linksaußenpartei La France insoumise, Jean-Luc Mélenchon, äußerte sich ähnlich. Er rief dazu auf, die Regierung von Barnier “so schnell wie möglich loszuwerden”, da sie seiner Meinung nach “weder Legitimität noch Zukunft” habe. Mélenchon kritisierte zudem ausdrücklich die Entscheidung, Retailleau zum Innenminister zu machen.

Auch der Sozialist François Hollande, ehemaliger Präsident Frankreichs und nun Abgeordneter, wünscht sich ein Ende der gerade ernannten Regierung. Es werde “sicherlich” notwendig sein, die Regierung zu stürzen. Dabei sei es an den Sozialisten, einen Misstrauensantrag zu stellen, sagte er dem TV-Sender TF1.

Harte Auseinandersetzungen um Haushalt

Barnier und sein Regierungsteam sollten diese Drohungen ernst nehmen. Das erste Thema, das dringend behandelt werden muss, ist der Haushalt. Letztendlich ist es das Parlament, das den von der Regierung vorgelegten Haushalt verabschiedet – oder auch nicht. Es stehen harte Auseinandersetzungen bevor.

Zahlen des Finanzministeriums zufolge könnte das Defizit Frankreichs in diesem Jahr 5,6 Prozent des BIP erreichen und 2025 sogar 6,2 Prozent – gegenüber 5,5 Prozent im Jahr 2023. Seit Ende Juli befindet sich Frankreich – wie sechs weitere EU-Mitgliedstaaten – in einem europäischen Defizitverfahren und sollte eigentlich bis zum 20. September einen Plan zum Abbau des Staatsdefizits bis 2027 nach Brüssel schicken. Doch Frankreich hat um eine Fristverlängerung gebeten.

Präsident Macron hat angekündigt, das Defizit bis 2027 unter 3 Prozent drücken zu wollen. Dies würde jedoch “Einsparungen von rund 110 Milliarden bis 2027” erfordern, sagte die Generaldirektion des Schatzamtes in einer Mitteilung, aus der die französische Presse zitierte. Der Präsident des französischen Rechnungshofes, der ehemalige EU-Kommissar Pierre Moscovici, äußerte sich pessimistisch zu dem Vorhaben. “Um dieses Ziel zu erreichen, müssten innerhalb von drei Jahren rund hundert Milliarden Euro eingespart werden”, sagte er. “Das ist brutal, politisch schwer durchsetzbar, sozial kaum akzeptabel und wirtschaftlich wenig kohärent”, sagte er.

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News

Kommission schlägt Ukraine-Hilfe von bis zu 35 Milliarden Euro vor

Im Juni hatten sich die G7-Staaten und die EU auf eine Unterstützung der Ukraine durch langfristige Kredite in Höhe von 50 Milliarden Dollar (aktuell circa 45 Milliarden Euro) geeinigt. Bei einem Besuch in Kiew am vergangenen Freitag verkündete Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, dass die Kommission eine makrofinanzielle Hilfe von bis zu 35 Milliarden Euro vorschlägt, um den EU-Anteil der G7-Abmachung zu garantieren.

“Wir sind nun zuversichtlich, dass wir dieses Darlehen sehr schnell an die Ukraine übergeben können”, sagte die Kommissionspräsidentin. Wofür die Ukraine dieses Geld einsetze, sei Sache der Ukraine. Laut einer hohen Kommissionsbeamtin sind die Finanzierungsbedarfe der Ukraine für das nächste Jahr um mehr als zwölf Milliarden gestiegen – verglichen mit Schätzungen von vor einigen Monaten. Der Grund dafür seien die heftigen russischen Bombardements, unter anderem auf die Energieinfrastruktur.

Zentralbanksanktionen sollen 36 statt sechs Monate gelten

Zusätzlich will die Kommission das Sanktionsregime für die eingefrorenen russischen Zentralbankgelder verstetigen. Die Erträge aus den eingefrorenen russischen Geldern dienen als Garantie für das G7-Darlehen. Aber da EU-Sanktionen alle sechs Monate mit Einstimmigkeit im Rat verlängert werden müssen, verlangen die USA eine bessere Garantie dafür, dass die russischen Gelder tatsächlich eingefroren bleiben.

Die Kommission schlägt deshalb vor, die Sanktionen auf die Zentralbankgelder neu für 36 statt sechs Monate gelten zu lassen. Dies soll den USA die nötige Sicherheit geben, damit sie sich am Kredit beteiligen können. Der Rest der Sanktionen bleibt beim sechsmonatigen Bestätigungsrhythmus. Die Entscheidung zur Verstetigung der Sanktionen wird aber ebenfalls der Einstimmigkeit im Rat bedürfen.

Genauer Unterstützungsbetrag noch unklar

Nur eine qualifizierte Mehrheit wird für die makrofinanzielle Hilfe von bis zu 35 Milliarden Euro nötig sein. Veto-Player wie Ungarn können die Hilfe also nicht im Alleingang verhindern. Laut einer hohen Kommissionsbeamtin sei die definitive Höhe der Hilfe noch unklar. Diese sei abhängig von den Beiträgen der anderen G7-Staaten.

Wenn die US-Regierung die Zusicherung aus der Anpassung des Sanktionsregimes für genügend hält und sich in hohem Umfang beteiligt, dann muss die EU nicht die ganzen 35 Milliarden Euro stemmen. Diese Entscheidungsstruktur dürfte auch die ungarische Regierung unter Druck setzen. Sie kann die EU-Hilfe für die Ukraine nicht verhindern, aber wenn sie das Veto bei der Verstetigung der Zentralbanksanktionen einlegt, kann sie potenziell die US-Hilfe blockieren, was zu einem höheren Unterstützungsbeitrag der EU führen würde.

Nach Angaben der Kommissionsbeamtin werde man gegen Ende Oktober mehr wissen zum genauen Betrag, der für die EU anfällt. Der Zeitplan ist sehr knapp, denn bis Ende des Jahres muss die Entscheidung gefallen sein. Neben dem Rat muss auch das EU-Parlament der makrofinanziellen Hilfe zustimmen. Dort ist kein wesentlicher Widerstand zu erwarten. jaa

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Meta kritisiert unklare Gesetzeslage für KI in Europa

Der Tech-Gigant Meta ist unzufrieden mit der KI-Gesetzeslage in der EU. In Europa gebe es Unsicherheit darüber, welche Daten Unternehmen für das Training seiner KI-Modelle nutzen dürfe und welche nicht, kritisiert der Konzern. Es seien klare Regeln notwendig, sagte Joëlle Pineau, Vice President, AI Research bei Meta, im Gespräch mit Table.Briefings.

Unklar sei besonders, ob es erlaubt sei, öffentliche Daten erwachsener Nutzer – etwa von Facebook oder Instagram – zu verwenden. Ohne diese Daten könnten die Modelle in Europa nicht die notwendige Qualität erreichen: “Wir werden Modelle in Europa nur dann veröffentlichen, wenn sie den Vorschriften entsprechen und qualitativ hochwertig sind”, sagte Pineau.

Meta bringt vielleicht nicht alle Produkte nach Europa

Am Vortag hatte Meta zusammen mit anderen Unternehmen wie SAP und Klarna einen Brief veröffentlicht. Darin heißt es, wegen dieser rechtlichen Unsicherheit riskiere die EU, die Ära der Künstlichen Intelligenz zu verpassen. Die Unterzeichner warnen, wenn in die großen Modelle keine Daten aus der EU fließen, fehle diesen auch das Verständnis für die Menschen, Sprachen und Kulturen Europas.

Pineau deutete an, dass Meta möglicherweise gezwungen sei, unterschiedliche Produkte für den europäischen und US-Markt zu entwickeln. “Es könnte auch sein, dass Meta sagt: Das ist zu kompliziert, wir bieten keine Produkte mehr in Europa an.” Sie stellte klar: “Das ist keine Drohung. Es ist die Realität, dass wir unsere Modelle in Europa nicht veröffentlicht haben, weil uns die Klarheit fehlt, um ein qualitativ hochwertiges Produkt zu liefern.”

Diese Ansicht stößt auf Kritik “Wenn wir wollen, dass KI zum Wohl der Gesellschaft eingesetzt wird und das Wirtschaftswachstum in Europa und anderswo fördert, müssen wir uns von der alten Leier verabschieden, dass Regulierung Innovation blockiert”, kritisiert Linda Griffin, VP Global Policy bei Mozilla. Griffin, die bereits Policy-Teams bei Activision Blizzard und Facebook leitete, findet, Unternehmen “sollten sich lieber darum bemühen, ihre Systeme offener und transparenter zu gestalten“. Sie betont, Transparenz sei wichtig, um das Vertrauen der Öffentlichkeit zu stärken. “EU-Gesetze wie der AI Act und die DSGVO versuchen, genau diese Transparenz zu erreichen, aber die geforderte Rechtssicherheit muss überall gelten, nicht nur in Europa.”

Unternehmen in Europa von Metas großen Modellen abhängig

Pineau zeigte sich offen für die Forderungen nach mehr Dokumentation und Transparenz, verwies jedoch auf die praktischen Herausforderungen: “Es gibt viele Unklarheiten darüber, welche Risiken wir dokumentieren sollten. Ohne klare Vorgaben ist es schwierig zu wissen, wie man transparent sein kann.” Wenn man sich “auf ein vernünftiges Maß an Dokumentation einigen” könne, “sind wir wahrscheinlich am offensten, was die Transparenz unserer Modelle betrifft.”

Im Hinblick auf den Wettbewerb in Europa stellte Pineau fest, dass viele europäische Unternehmen von Metas großen Modellen abhängig seien. Es gebe hier nicht viele Unternehmen, die in der Lage seien “ein großes Modell zu trainieren, um ein qualitativ hochwertiges kleines Modell zu erstellen”. Solche kleinen Modelle sind jedoch besonders für Unternehmen interessant, die ein speziell auf ihre Bedürfnisse trainiertes Modell benötigen. Pineau sagte, Meta begrüße es, wenn auch andere Akteure große Modelle trainierten: “Das bedroht unser Geschäftsmodell nicht.” vis

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Glasfaser: EIB fördert Ausbau in ländlichen Regionen Deutschlands

Die Europäische Investitionsbank (EIB) gewährt der Deutschen Glasfaser ein Darlehen von 350 Millionen Euro, um Hochgeschwindigkeitsinternet in ländliche Gebiete Deutschlands zu bringen. Das von Invest EU unterstützte Projekt soll 460.000 Haushalte mit Glasfaseranschlüssen versorgen, die Geschwindigkeiten von bis zu zehn Gigabit pro Sekunde bieten. So sollen oft unterversorgte Regionen fit für die digitale Zukunft gemacht werden.

Aktuell verfügen nach Angaben der Kommission nur rund 35 Prozent der Haushalte in Deutschland über Glasfaseranschlüsse, weit hinter dem Durchschnitt von 64 Prozent in der EU und UK. Das Projekt unterstützt die deutsche Digitalstrategie und die Ziele des European Digital Compass, wonach bis 2030 alle Haushalte Zugang zu Gigabit-Internet haben sollen.

“Die Verbesserung digitaler Dienste in ländlichen Gebieten macht diese Regionen attraktiver und stärkt Wirtschaft und Jobs”, sagte Nicola Beer, Vizepräsidentin der EIB. Die Deutsche Glasfaser plant, bis 2026 mehr als drei Millionen Haushalte zu versorgen und langfristig bis zu sechs Millionen zu erreichen. Das Projekt soll helfen, die digitale Kluft zwischen ländlichen Gebieten und Städten zu verringern. vis

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Presseschau

EZB-Chefin Lagarde: Geldpolitik muss sich an Wandel in der Wirtschaft anpassen CASH
EVP stimmt mit Rechtspopulisten: Fällt die “Brandmauer” im EU-Parlament? TAGESSCHAU
Asyl: Unmut in der EU über deutschen Sonderweg wächst. FAZ
Deutschland und Frankreich fordern EU-Asylabkommen mit Großbritannien ZEIT
Tausende Schutzsuchende in der EU vor Gericht: Wie man aus Flüchtlingen Schlepper macht TAGESSPIEGEL
Frankreichs Regierung steht fest – und rückt nach rechts RND
Politische Krise in Frankreich: Neue Regierung in Paris vor großen Herausforderungen TAGESSPIEGEL
Oppositionspartei ANO gewinnt Regionalwahlen in Tschechien ZEIT
Kritik an teuren Geschenken überschattet Labour-Parteitreffen DER STANDARD
IRIS2: Deutschland weiß nichts von 12-Milliarden-Kosten für EU-Satellitenprojekt HEISE
EVP-Präsident Weber stellt Umweltvorschriften für Autoindustrie infrage FAZ
Equinor begräbt Pläne zum Export von «blauem» Wasserstoff nach Deutschland CASH
Entscheidung der EU-Kommission in Debatte über Döner-Herstellung erwartet DEUTSCHLANDFUNK
Breitband: Millionenschwere EU-Finanzspritze für deutschen Glasfaserausbau HEISE
Marta Kos: Wachsender Wirbel um slowenische EU-Kandidatin KLEINE ZEITUNG
Ministerpräsidentin in Kritik: In Italien ist Hochwasser, aber Meloni postet erstmal Gute-Laune-Selfie mit Star WEB
Italien verhängt Notstand über Hochwasser-Regionen FREENET
Großer Erfolg: Klimaticket Österreich knackte 300.000er-Marke KURIER
Wahlen in Österreich: Corona-Lockdowns und die Impfpflicht verhalfen der FPÖ zum Comeback NZZ
Schweizer stimmen gegen Rentenreform und mehr Artenschutz ZEIT
Soziale Unruhen auf Karibikinsel: Frankreich schickt seit 1959 unerwünschte Bereitschaftspolizei nach Martinique SPIEGEL
Behörde vermutet nach Messerangriff in Rotterdam terroristisches Motiv ZEIT
Albanien verpflichtet Ärzte per Gesetz zum Bleiben DEUTSCHLANDFUNK
Liechtenstein stimmt dem Beitritt zum Internationalen Währungsfonds zu NZZ
Belgien weltweit auf Platz zwei bei Designerdrogen BRF
Sachsen und Tschechien gemeinsam für Erhalt des Birkhuhns STERN
UN verabschieden Zukunftspakt gegen russischen Widerstand ZEIT

Standpunkt

E-Auto-Zölle: Warum ein Stopp gerade jetzt das falsche Signal wäre

Von Cora Jungbluth und Etienne Höra

Die EU-Kommission hat im Juli 2024 vorläufige Ausgleichszölle auf E-Autos aus China erhoben. Diese belaufen sich im Schnitt auf etwa 21 Prozent. Dauerhaft für eine Periode von fünf Jahren werden sie erst erhoben, wenn sich der Rat dazu positioniert hat. Dabei gilt das Prinzip der umgekehrten qualifizierten Mehrheit: Um die Kommission und damit die Zölle zu stoppen, bedarf es 15 Mitgliedstaaten, die 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren.

Diese Entscheidung ist besonders brisant, weil sie zeitlich mit dem Draghi-Report zusammenfällt: Auf vierhundert Seiten argumentiert der ehemalige italienische Ministerpräsident und EZB-Chef, dass die EU ihre Wettbewerbsfähigkeit nur dann stärken kann, wenn sie ihre Werkzeuge geschickt kombiniert: zum Beispiel die Handels- und die Industriepolitik. Das gilt insbesondere im Bereich Elektromobilität, in dem die Schwäche der europäischen Industrie direkt mit unfairem Wettbewerb aus China zusammenhängt.

Wenn die EU-Mitgliedstaaten, allen voran Deutschland, mit Blick auf die E-Auto-Zölle nicht an einem Strang ziehen, riskiert die EU nicht nur, bei Schlüsseltechnologien noch weiter hinter China und die USA zurückzufallen, sondern auch ihre handelspolitische Glaubwürdigkeit.

EU geht im Vergleich etwa mit den USA maßvoll vor

Im EU- und WTO-Recht sind die Hürden für solche Zölle hoch, gerade um politischen Missbrauch zu verhindern. Die Entscheidung der EU-Kommission folgt deshalb auf eine detaillierte Anti-Subventionsuntersuchung auf Basis von Unternehmensdaten. Diese zeigen, dass in China produzierte Elektroautos durch Subventionen, die nach den Regeln der WTO rechtswidrig sind, Marktvorteile haben.

Im Gegensatz zu anderen Staaten, wie etwa den USA oder der Türkei, die – anscheinend ohne vergleichbare Untersuchungen – Zölle in Höhe von 100 Prozent beziehungsweise zwischenzeitlich zusätzlichen 40 Prozent auf E-Autos aus China erhoben haben, plant die EU hier also eine sachlich gut begründbare Maßnahme gegen unfairen Wettbewerb, die sich im internationalen Vergleich eher maßvoll ausnimmt.

Abstimmung über Ausgleichszölle Ende Oktober

Die EU hat in den vergangenen Monaten zudem mit der chinesischen Regierung und E-Auto-Herstellern Gespräche geführt, um eine alternative Lösung zu finden. Ein Angebot chinesischer E-Auto-Hersteller über Preisverpflichtungen, die die Subventionen ausgleichen sollten, lehnte die Kommission nach eingehender Prüfung jedoch als unzureichend ab. Beim Treffen zwischen dem chinesischen Handelsminister Wang Wentao und EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis am 19. September in Brüssel wurde zwar ebenfalls keine politische Einigung erzielt.

Jedoch hat die Kommission die bereits abgelaufene Frist für die Einreichung von Preisverpflichtungen der Hersteller nochmals verlängert. Legen diese ein ausreichendes Angebot vor, kann die Kommission das Verfahren einstellen, ansonsten ist der nächste Schritt die Abstimmung der Mitgliedstaaten über die Ausgleichszölle, die vor dem 31. Oktober stattfinden muss.

Einigkeit der EU gegenüber China bisher eine Illusion

Aktuell versuchen mehrere Mitgliedstaaten, darunter wenig überraschend Ungarn, aber auch Deutschland und Spanien aktiv, die Zölle zu stoppen. Hier wird nur allzu deutlich, dass die vielfach beschworene und dringliche Einigkeit der EU und ihrer Mitgliedstaaten gegenüber China bisher eine Illusion bleibt: China schafft es immer wieder, die EU in handels- und industriepolitischen Schlüsselfragen auseinanderzudividieren – und die EU schafft es gleichzeitig nicht, aus eigener Kraft zusammenzubleiben.

In Deutschland ist es die Sorge vor Vergeltungsmaßnahmen gegen die stark vom Chinageschäft abhängige Automobilindustrie, die Bundeskanzler Olaf Scholz dazu bringt, sich gegen die Zölle stark zu machen. In Spanien ist es die Hoffnung auf eine chinesische Milliardeninvestition nach einer Peking-Reise von Ministerpräsident Pedro Sánchez Anfang September und auf die Verschonung der spanischen Schweinefleischindustrie. Ungarn begibt sich seit geraumer Zeit ohnehin gerne in die Rolle eines “trojanischen Pferdes” für chinesische Interessen in der EU.

Es geht um die Glaubwürdigkeit der EU

Sollten sich die Mitgliedstaaten trotz deutlicher Evidenz für Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten Europas gegen die Ausgleichszölle aussprechen und stattdessen ihre wirtschaftlichen Partikularinteressen in den Vordergrund stellen, würde das die Glaubwürdigkeit der handels- und industriepolitischen Agenda der EU zutiefst erschüttern. Es wäre eine regelrechte Einladung für Drittstaaten: Effektive Politik im EU-Interesse kann über europäische Hauptstädte ausgehebelt werden.

Dies hätte auch vor dem Hintergrund einer zunehmenden Geopolitisierung von Handelsbeziehungen und den Bestrebungen nach einem “De-risking” von China im Rahmen der 2023 von der Kommission vorgeschlagenen Strategie für wirtschaftliche Sicherheit eine starke politische Signalwirkung.

Zeitraum der Zölle klug für Wettbewerbsfähigkeit nutzen

Zwar gibt es tragfähige wirtschaftspolitische Argumente gegen die Maßnahme: Zölle auf importierte Produkte schaffen für sich genommen keine wettbewerbsfähige Industrie in Europa. Sie gleichen lediglich unfaire Kostenvorteile aus, die durch Subventionen entstehen, und sollen so einen tatsächlichen Wettbewerb ermöglichen. Der Zeitraum, in dem die Zölle bestehen, muss daher kreativ und intelligent genutzt werden – sowohl von der Wirtschaft als auch von der Politik.

Gelingt dies nicht, zahlen Verbraucher in der EU unnötig höhere Preise. Unternehmen sollten daher alles daransetzen, in diesem Zeitraum ihre Wettbewerbsfähigkeit auf- und auszubauen. Kommission und Mitgliedstaaten sollten die Zölle mit weiteren Maßnahmen zur Förderung lokaler Hersteller flankieren – und sich dabei enger abstimmen als bisher.

Gegenwärtig drängt sich aber der Eindruck auf, dass die Mitgliedstaaten, die gegen die Zölle arbeiten, von anderen, deutlich weniger überzeugenden Gründen getrieben sind: Die Industrien, die China mit Zöllen bedroht, bilden starke und gut organisierte Interessengruppen, die weder Scholz noch Sánchez gegen sich aufbringen möchten. Im langfristigen europäischen Interesse ist eine solche partikulare Rücksichtnahme aber sicher nicht. Europas Zukunft sollte nicht von einzelnen Branchen oder gar Unternehmen entschieden werden.

China braucht den Zugang zum europäischen Markt

Wer gegen die Zölle argumentiert, unterschätzt nicht zuletzt das Potenzial, China auf Augenhöhe zu begegnen. Angesichts großer struktureller Problemen – Jugendarbeitslosigkeit, Immobilienblase und eine generell schwächelnde Wirtschaft – sowie ungewissen Auswirkungen der US-Wahl auf die ohnehin strapazierten sino-amerikanischen Beziehungen braucht China die EU und den Zugang zum europäischen Markt.

Umso wichtiger ist es, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten in der Zollfrage konsequent bleiben und die handelspolitische Handlungsfähigkeit und Glaubwürdigkeit der EU gegenüber China und anderen nicht aufs Spiel setzen. Die EU kann nur wettbewerbsfähig bleiben, wenn sie sich gleichzeitig gegen Wettbewerbsverzerrungen durch Dritte wehren kann – so argumentiert auch der Draghi-Report. In diesem politischen Moment wäre ein Stopp bei den Zöllen auf in China hergestellte E-Autos genau das falsche Signal.

Cora Jungbluth ist seit August 2012 bei der Bertelsmann Stiftung tätig und dort Senior Expert China and Asia-Pacific. Etienne Höra ist seit Oktober 2023 Project Manager in der Bertelsmann Stiftung und beschäftigt sich mit strategischen Partnerschaften zwischen Europa und Asien.

  • China
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  • E-Autos
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  • wirtschaftliche Sicherheit
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  • Zölle

Personalien

Wolfgang Ischinger, langjähriger Spitzendiplomat und Präsident des Stiftungsrates der Münchner Sicherheitskonferenz, ist in den Vorstand der überparteilichen Organisation Global Bridges berufen worden. Zuvor war Ischinger Staatssekretär des Auswärtigen Amts sowie deutscher Botschafter in Washington, D.C. und London. Von 2008 bis 2022 leitete er die Münchner Sicherheitskonferenz.

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Heads

Teresa Ribera – Umweltschützerin wird Wettbewerbshüterin

Teresa RIBERA RODRIGUEZ
Teresa Ribera zeigte ihr Verhandlungsgeschick bereits während der spanischen Ratspräsidentschaft in den Umwelträten.

Die Timmermans-Ära sei vorbei, kommentierte EVP-Chef Manfred Weber das Personaltableau von Ursula von der Leyen nach dessen Vorstellung in Straßburg. Damit meint er, dass es keinen allmächtigen Kommissionsvize mehr gibt, der die EU-Klimapolitik dominiert. Zwar hat von der Leyen das Klima- und Umweltressort auf viele Köpfe verteilt, und tatsächlich sind die Verantwortlichkeiten so gestreut, dass niemand allein einen ganzen Politikbereich lenken kann.

Doch die ehemalige spanische Umweltministerin und designierte Wettbewerbskommissarin Teresa Ribera ist mit ihrem Portfolio durchaus in der Lage, eine machtvolle Stellung in der neuen Kommission zu beziehen.

Ribera gilt als geschickte Verhandlerin. Sie ist ehrgeizig, aber diplomatisch. Als Brokerin zwischen Industrie- und Klimapolitik soll sie dafür sorgen, dass die EU ihre Klimaziele nicht aus den Augen verliert und dennoch wettbewerbsfähig bleibt. Dabei werde sie von allen Seiten genau beobachtet werden, prophezeit Linda Kalcher vom Brüsseler Thinktank Strategic Perspectives, “von der Mitte-Rechts-Partei EVP, der Industrie und internationalen Partnern”.

Wirtschaftswachstum trotz Klimaschutz kaum erprobt

Als Exekutivvizepräsidentin liegt es auch an Ribera, bei Streitigkeiten zu schlichten oder auch mal ein Machtwort zu sprechen. Auch wenn von der Leyens Team betont, Klimaschutz, Industriepolitik und Wettbewerbsfähigkeit seien große Aufgaben, sind Konflikte zwischen den Politikfeldern abzusehen.

Gerade weil von der Leyen überlappende Portfolios geschaffen hat und das Wirtschaftswachstum mit Clean Tech erst noch erprobt werden muss, stehen der nächsten Kommission teils erhebliche Konflikte ins Haus. Am wahrscheinlichsten sind diese sogar zwischen den beiden Exekutivvizes Ribera und dem Industriekommissar Stéphane Séjourné. Offen ist, ob sich Ribera bei Streitigkeiten für die Interessen der Industrie im Sinne der Wettbewerbsfähigkeit Europas oder für den Klimaschutz entscheidet.

EU-Verhandlerin bei der COP28 in Dubai

Von der Leyen hat der Klimaschützerin mit dem Aufgabenbereich also auch nicht nur einen Gefallen getan. Denn als Wettbewerbskommissarin kann sie ihre harte Linie für Klimaschutzmaßnahmen voraussichtlich nicht durchweg aufrechterhalten.

Die gebürtige Madrilenin ist seit 2011 Mitglied der sozialistischen Partei Spaniens (PSOE). Sie arbeitete zunächst als Staatssekretärin für Klimawandel und wurde schließlich 2018 Umweltministerin unter Ministerpräsident Pedro Sánchez. Nachdem Chile 2019 die UN-Klimakonferenz aufgrund der innenpolitischen Situation abgeben musste, holte sie die COP25 kurzerhand nach Madrid. Vergangenes Jahr verhandelte sie federführend für die EU-Staaten die Abkehr von fossilen Brennstoffen bei der COP28 in Dubai. Lukas Knigge

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Europe.Table Redaktion

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    Sarah Schaefer
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    Analyse

    Deutsche Grenzkontrollen: In Brüssel wächst die Sorge um Schengen

    Nach der Einführung von Kontrollen an allen deutschen Landesgrenzen wächst in Brüssel die Sorge, dass der Schengenraum des freien Personen- und Warenverkehrs dauerhaften Schaden leiden könnte. Der frühere Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker warnt vor einem Rückfall in nationale Politik und einer Erosion der gemeinsamen Regeln. Massive Kritik kommt auch aus dem Europaparlament. Die EU-Kommission müsse einschreiten, heißt es dort.

    Die Bundesregierung hatte am 16. September bei der EU-Behörde die Einführung von Grenzkontrollen notifiziert. Zur Begründung nannte Bundesinnenministerin Nancy Faeser “Sicherheitsrisiken im Zusammenhang mit irregulärer Migration” und eine “angespannte Lage” bei der Unterbringung von Flüchtlingen, wobei ausdrücklich auch die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine genannt werden.

    Die Kommission nahm die Meldung kommentarlos zur Kenntnis. Man stehe in engem Kontakt mit der Bundesregierung und mit den deutschen Nachbarländern, sagte Behördensprecherin Anitta Hipper. Auf Nachfrage von Table.Briefings, ob die Kommission eine Stellungnahme abgeben oder gar Einspruch einlegen werde, wie dies der Schengener Grenzkodex möglich macht, kam keine Antwort.

    Tusk: “De facto eine großangelegte Aussetzung des Schengen-Raums”

    Das sei nicht überraschend, sagt die Europaabgeordnete Birgit Sippel (SPD), die als Sprecherin der S&D-Fraktion im LIBE-Ausschuss sitzt. Denn auch in anderen, länger zurückliegenden Fällen sei die EU-Behörde nicht tätig geworden. “Die Kommission als Hüterin der Verträge nimmt ihre Aufgabe nicht wahr. So gab es keine Vertragsverletzungsverfahren bei unzulässig langen Grenzkontrollen.”

    Kritik kommt auch aus der konservativen EVP. Der belgische Europaabgeordnete Pascal Arimont hat die EU-Kommission aufgefordert, die deutschen Maßnahmen einer eingehenden juristischen Prüfung zu unterziehen. “Ich habe ernste Zweifel daran, dass diese Kontrollen den Bedingungen des Schengener Grenzkodex entsprechen”, sagte er. Brüssel müsse endlich durchgreifen.

    Zuvor hatten Österreich und Polen die deutschen Maßnahmen scharf kritisiert. Man werde in Deutschland abgelehnte Asylbewerber keinesfalls in Österreich aufnehmen, heißt es in Wien. Polens Regierungschef Donald Tusk sagte, die Grenzkontrollen seien “de facto eine großangelegte Aussetzung des Schengen-Raums”. Polen werde dringende Konsultationen mit anderen betroffenen Ländern einleiten.

    Regierungen in den Niederlanden und Ungarn fühlen sich bestätigt

    Noch heftiger fielen die Reaktionen in den Niederlanden und in Ungarn aus. In Den Haag und Budapest sieht man das restriktive deutsche Vorgehen allerdings nicht als Problem, sondern vielmehr als Bestätigung der eigenen repressiven Asyl- und Migrationspolitik. Unter Verweis auf das deutsche Vorgehen haben die Niederlande sogar noch härtere Maßnahmen angekündigt.

    Die rechte Regierung in Den Haag will aus dem europäischen Asylsystem GEAS aussteigen: “Wir müssen wieder über unsere eigene Asylpolitik das Sagen haben”, sagte Asylministerin Marjolein Faber. Kurz darauf kündigte die Regierung in Ungarn einen ähnlichen Schritt an. Regierungschef Viktor Orbán lehnt die im April verabschiedete GEAS-Reform ab und fordert ein “Opt-Out”.

    Bisher sind dies zwar nur Absichtserklärungen ohne praktische Wirkung. Einem Opt-Out müssten alle 27 EU-Länder zustimmen – das gilt in Brüssel derzeit als ausgeschlossen. Allerdings verweist die hitzige Debatte auf eine Gesetzeslücke: Die GEAS-Reform dürfte erst ab 2026 vollständig umgesetzt werden. Erst dann sollen die EU-Außengrenzen wirksam gesichert werden – was dann auch die Binnengrenzen und Deutschland entlasten würde.

    Abgeordnete fordert frühere Umsetzung des Migrationspakts

    Die Umsetzungslücke sei ein Problem, sagt Birgit Sippel, die die GEAS-Reform mitverhandelt hat. Das Asylsystem sei derzeit dysfunktional. Die Kommission müsse daher aktiv werden und auf eine frühere Umsetzung von GEAS drängen. Im Gegenzug sei eine “geordnete Verteilung der Menschen auf alle Mitgliedstaaten zur Durchführung von Asylverfahren” nötig. Nur so ließen sich weitere Versuche verhindern, die EU-Regeln auszuhebeln.

    Alarmiert zeigt sich auch der frühere EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Er beobachte mit Sorge, dass Politik wieder aus der “nationalen Ecke” gemacht werde und dass man Populisten hinterherlaufe, statt sich ihnen in den Weg zu stellen, sagte er dem ZDF. “Ich wünschte mir von der Kommission, (…) dass sie sich zu Wort meldet und auf die Notwendigkeit hinweist, dass die Ausnahmeregel eben nicht zum Regelfall werden darf.”

    Derzeit deutet allerdings nichts darauf hin, dass Junckers Amtsnachfolgerin Ursula von der Leyen einschreiten will. Bisher sei die befürchtete Kettenreaktion mit Grenzschließungen und Zurückweisungen quer durch Europa ausgeblieben, heißt es in Brüssel. Außerdem arbeite die Kommission bereits mit Hochdruck daran, die GEAS-Reform umzusetzen und mögliche Gesetzeslücken zu schließen.

    Schwierige Aufgabe für Migrationskommissar Magnus Brunner

    Auf den designierten neuen Migrationskommissar Magnus Brunner kommt eine schwierige Aufgabe zu. Der Österreicher, der wie von der Leyen der EVP angehört und sich als “neuer Sicherheitskommissar” vorstellte, steht unter Zugzwang. Er muss gegen die irreguläre Migration vorgehen, zugleich aber Schengen und die Reisefreiheit sichern. Nicht alle sind überzeugt, dass ihm dies gelingen wird.

    “Die österreichische Regierung ist bekannt für sehr restriktive Maßnahmen”, sagte Sippel. “Daher sehe ich den Kandidaten sehr kritisch. Sein Mission Letter lässt zudem klare erste Maßnahmen zur Umsetzung von GEAS vermissen. Generell erwartet Frau von der Leyen von allen künftigen Kommissar:innen eigene Ideen – ohne eine klare Richtung vorzugeben. Daher gibt es hier viel Klärungsbedarf.”

    In den ab Oktober geplanten Anhörungen der neuen Kommissare im Europaparlament muss sich Brunner auf harte Nachfragen einstellen. Die Sorgen um Schengen und GEAS setzen ihn schon vor Amtsantritt unter Druck.

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    Neue Regierung in Frankreich bringt keine Stabilität

    Es ist eine Besonderheit der politischen Arithmetik in Frankreich: Wahlsieger der Parlamentswahlen am 7. Juli waren das Linksbündnis Nouveau Front Populaire (NFP) und die rechtsextreme Partei Rassemblement National (RN). Dennoch sind weder NFP noch RN in der neuen Regierung aus 39 Ministern und Staatssekretären vertreten, die Premierminister Michel Barnier am Samstag vorgestellt hat.

    Zur Erinnerung: In der Nationalversammlung, dem französischen Parlament, hat der NFP 182 Abgeordnete, der RN 126 Abgeordnete, das Macron-Lager 97 Abgeordnete und die konservativen Les Républicains 47 Abgeordnete.

    Der einzige Vertreter der neuen Regierung, der als linksgerichtet gilt, ist Didier Migaud, der zum Justizminister ernannt wurde. Der 72-jährige ehemalige Sozialist hatte eine Vielzahl politischer Ämter inne und stand dem ehemaligen sozialistischen Premierminister Laurent Fabius nahe. Migaud gehört allerdings nicht dem Linksbündnis NFP an.

    Innenminister Retailleau entsetzte mit Aussagen zu Migration

    Ansonsten setzt sich die Regierung aus politischen Persönlichkeiten zusammen, die aus dem Lager des Präsidenten Macron und aus dem der Konservativen stammen – so wie auch Premier Barnier selbst, der Republikaner ist. Es ist ein Rechtsruck, der besonders deutlich wird an der Ernennung des konservativen Abgeordneten Bruno Retailleau zum Innenminister.

    Retailleau hatte im vergangenen Jahr für Kontroversen gesorgt, als er in Bezug auf Jugendliche aus Migrantenvierteln von einer “Rückkehr zu den ethnischen Ursprüngen” sprach. Er hat auch die Verantwortung für die Verwendung des Begriffs “Papierfranzosen” übernommen, der von der extremen Rechten für eingebürgerte französische Staatsbürger verwendet wird.

    In Frankreich ist die Außenpolitik das Vorrecht des Staatspräsidenten. Emmanuel Macron will sich dieses Recht bewahren und hat deshalb einen seiner engsten Vertrauten, Jean-Noël Barrot, als Nachfolger von Stéphane Séjourné zum Außenminister ernannt. Barrot steht loyal an Macrons Seite, und er kennt die Feinheiten der europäischen Politik. Sein Kabinettschef, Tristan Aureau, arbeitete als stellvertretender diplomatischer Berater in der Europäischen Kommission unter dem neuen Premierminister Barnier. Sein Vater ist der ehemalige EU-Kommissar Jacques Barrot.

    Hollande: Sozialisten müssen Misstrauensantrag stellen

    Kaum im Amt, wurde die neue Regierung heftig von ihren politischen Gegnern attackiert. Sowohl das Linksbündnis NFP als auch der RN kündigten an, von der Möglichkeit eines Misstrauensvotums Gebrauch zu machen. Ein solches Verfahren kann dazu führen, dass die politische Instabilität in Frankreich bestehen bleibt – es würde nicht nur die Regierungsarbeit blockieren, sondern könnte die Regierung gar stürzen.

    Die neue Regierung bedeute “die Rückkehr des Macronismus”, sagte der RN-Vorsitzende Jordan Bardella. “Was die Franzosen zweimal demokratisch sanktioniert haben, kann nicht durch elende Machtspiele und politisches Kalkül zurückkehren. Deshalb ist dies eine Regierung, die keine Zukunft hat”, schrieb Bardella auf X.

    Der Vorsitzende der Linksaußenpartei La France insoumise, Jean-Luc Mélenchon, äußerte sich ähnlich. Er rief dazu auf, die Regierung von Barnier “so schnell wie möglich loszuwerden”, da sie seiner Meinung nach “weder Legitimität noch Zukunft” habe. Mélenchon kritisierte zudem ausdrücklich die Entscheidung, Retailleau zum Innenminister zu machen.

    Auch der Sozialist François Hollande, ehemaliger Präsident Frankreichs und nun Abgeordneter, wünscht sich ein Ende der gerade ernannten Regierung. Es werde “sicherlich” notwendig sein, die Regierung zu stürzen. Dabei sei es an den Sozialisten, einen Misstrauensantrag zu stellen, sagte er dem TV-Sender TF1.

    Harte Auseinandersetzungen um Haushalt

    Barnier und sein Regierungsteam sollten diese Drohungen ernst nehmen. Das erste Thema, das dringend behandelt werden muss, ist der Haushalt. Letztendlich ist es das Parlament, das den von der Regierung vorgelegten Haushalt verabschiedet – oder auch nicht. Es stehen harte Auseinandersetzungen bevor.

    Zahlen des Finanzministeriums zufolge könnte das Defizit Frankreichs in diesem Jahr 5,6 Prozent des BIP erreichen und 2025 sogar 6,2 Prozent – gegenüber 5,5 Prozent im Jahr 2023. Seit Ende Juli befindet sich Frankreich – wie sechs weitere EU-Mitgliedstaaten – in einem europäischen Defizitverfahren und sollte eigentlich bis zum 20. September einen Plan zum Abbau des Staatsdefizits bis 2027 nach Brüssel schicken. Doch Frankreich hat um eine Fristverlängerung gebeten.

    Präsident Macron hat angekündigt, das Defizit bis 2027 unter 3 Prozent drücken zu wollen. Dies würde jedoch “Einsparungen von rund 110 Milliarden bis 2027” erfordern, sagte die Generaldirektion des Schatzamtes in einer Mitteilung, aus der die französische Presse zitierte. Der Präsident des französischen Rechnungshofes, der ehemalige EU-Kommissar Pierre Moscovici, äußerte sich pessimistisch zu dem Vorhaben. “Um dieses Ziel zu erreichen, müssten innerhalb von drei Jahren rund hundert Milliarden Euro eingespart werden”, sagte er. “Das ist brutal, politisch schwer durchsetzbar, sozial kaum akzeptabel und wirtschaftlich wenig kohärent”, sagte er.

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    News

    Kommission schlägt Ukraine-Hilfe von bis zu 35 Milliarden Euro vor

    Im Juni hatten sich die G7-Staaten und die EU auf eine Unterstützung der Ukraine durch langfristige Kredite in Höhe von 50 Milliarden Dollar (aktuell circa 45 Milliarden Euro) geeinigt. Bei einem Besuch in Kiew am vergangenen Freitag verkündete Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, dass die Kommission eine makrofinanzielle Hilfe von bis zu 35 Milliarden Euro vorschlägt, um den EU-Anteil der G7-Abmachung zu garantieren.

    “Wir sind nun zuversichtlich, dass wir dieses Darlehen sehr schnell an die Ukraine übergeben können”, sagte die Kommissionspräsidentin. Wofür die Ukraine dieses Geld einsetze, sei Sache der Ukraine. Laut einer hohen Kommissionsbeamtin sind die Finanzierungsbedarfe der Ukraine für das nächste Jahr um mehr als zwölf Milliarden gestiegen – verglichen mit Schätzungen von vor einigen Monaten. Der Grund dafür seien die heftigen russischen Bombardements, unter anderem auf die Energieinfrastruktur.

    Zentralbanksanktionen sollen 36 statt sechs Monate gelten

    Zusätzlich will die Kommission das Sanktionsregime für die eingefrorenen russischen Zentralbankgelder verstetigen. Die Erträge aus den eingefrorenen russischen Geldern dienen als Garantie für das G7-Darlehen. Aber da EU-Sanktionen alle sechs Monate mit Einstimmigkeit im Rat verlängert werden müssen, verlangen die USA eine bessere Garantie dafür, dass die russischen Gelder tatsächlich eingefroren bleiben.

    Die Kommission schlägt deshalb vor, die Sanktionen auf die Zentralbankgelder neu für 36 statt sechs Monate gelten zu lassen. Dies soll den USA die nötige Sicherheit geben, damit sie sich am Kredit beteiligen können. Der Rest der Sanktionen bleibt beim sechsmonatigen Bestätigungsrhythmus. Die Entscheidung zur Verstetigung der Sanktionen wird aber ebenfalls der Einstimmigkeit im Rat bedürfen.

    Genauer Unterstützungsbetrag noch unklar

    Nur eine qualifizierte Mehrheit wird für die makrofinanzielle Hilfe von bis zu 35 Milliarden Euro nötig sein. Veto-Player wie Ungarn können die Hilfe also nicht im Alleingang verhindern. Laut einer hohen Kommissionsbeamtin sei die definitive Höhe der Hilfe noch unklar. Diese sei abhängig von den Beiträgen der anderen G7-Staaten.

    Wenn die US-Regierung die Zusicherung aus der Anpassung des Sanktionsregimes für genügend hält und sich in hohem Umfang beteiligt, dann muss die EU nicht die ganzen 35 Milliarden Euro stemmen. Diese Entscheidungsstruktur dürfte auch die ungarische Regierung unter Druck setzen. Sie kann die EU-Hilfe für die Ukraine nicht verhindern, aber wenn sie das Veto bei der Verstetigung der Zentralbanksanktionen einlegt, kann sie potenziell die US-Hilfe blockieren, was zu einem höheren Unterstützungsbeitrag der EU führen würde.

    Nach Angaben der Kommissionsbeamtin werde man gegen Ende Oktober mehr wissen zum genauen Betrag, der für die EU anfällt. Der Zeitplan ist sehr knapp, denn bis Ende des Jahres muss die Entscheidung gefallen sein. Neben dem Rat muss auch das EU-Parlament der makrofinanziellen Hilfe zustimmen. Dort ist kein wesentlicher Widerstand zu erwarten. jaa

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    Meta kritisiert unklare Gesetzeslage für KI in Europa

    Der Tech-Gigant Meta ist unzufrieden mit der KI-Gesetzeslage in der EU. In Europa gebe es Unsicherheit darüber, welche Daten Unternehmen für das Training seiner KI-Modelle nutzen dürfe und welche nicht, kritisiert der Konzern. Es seien klare Regeln notwendig, sagte Joëlle Pineau, Vice President, AI Research bei Meta, im Gespräch mit Table.Briefings.

    Unklar sei besonders, ob es erlaubt sei, öffentliche Daten erwachsener Nutzer – etwa von Facebook oder Instagram – zu verwenden. Ohne diese Daten könnten die Modelle in Europa nicht die notwendige Qualität erreichen: “Wir werden Modelle in Europa nur dann veröffentlichen, wenn sie den Vorschriften entsprechen und qualitativ hochwertig sind”, sagte Pineau.

    Meta bringt vielleicht nicht alle Produkte nach Europa

    Am Vortag hatte Meta zusammen mit anderen Unternehmen wie SAP und Klarna einen Brief veröffentlicht. Darin heißt es, wegen dieser rechtlichen Unsicherheit riskiere die EU, die Ära der Künstlichen Intelligenz zu verpassen. Die Unterzeichner warnen, wenn in die großen Modelle keine Daten aus der EU fließen, fehle diesen auch das Verständnis für die Menschen, Sprachen und Kulturen Europas.

    Pineau deutete an, dass Meta möglicherweise gezwungen sei, unterschiedliche Produkte für den europäischen und US-Markt zu entwickeln. “Es könnte auch sein, dass Meta sagt: Das ist zu kompliziert, wir bieten keine Produkte mehr in Europa an.” Sie stellte klar: “Das ist keine Drohung. Es ist die Realität, dass wir unsere Modelle in Europa nicht veröffentlicht haben, weil uns die Klarheit fehlt, um ein qualitativ hochwertiges Produkt zu liefern.”

    Diese Ansicht stößt auf Kritik “Wenn wir wollen, dass KI zum Wohl der Gesellschaft eingesetzt wird und das Wirtschaftswachstum in Europa und anderswo fördert, müssen wir uns von der alten Leier verabschieden, dass Regulierung Innovation blockiert”, kritisiert Linda Griffin, VP Global Policy bei Mozilla. Griffin, die bereits Policy-Teams bei Activision Blizzard und Facebook leitete, findet, Unternehmen “sollten sich lieber darum bemühen, ihre Systeme offener und transparenter zu gestalten“. Sie betont, Transparenz sei wichtig, um das Vertrauen der Öffentlichkeit zu stärken. “EU-Gesetze wie der AI Act und die DSGVO versuchen, genau diese Transparenz zu erreichen, aber die geforderte Rechtssicherheit muss überall gelten, nicht nur in Europa.”

    Unternehmen in Europa von Metas großen Modellen abhängig

    Pineau zeigte sich offen für die Forderungen nach mehr Dokumentation und Transparenz, verwies jedoch auf die praktischen Herausforderungen: “Es gibt viele Unklarheiten darüber, welche Risiken wir dokumentieren sollten. Ohne klare Vorgaben ist es schwierig zu wissen, wie man transparent sein kann.” Wenn man sich “auf ein vernünftiges Maß an Dokumentation einigen” könne, “sind wir wahrscheinlich am offensten, was die Transparenz unserer Modelle betrifft.”

    Im Hinblick auf den Wettbewerb in Europa stellte Pineau fest, dass viele europäische Unternehmen von Metas großen Modellen abhängig seien. Es gebe hier nicht viele Unternehmen, die in der Lage seien “ein großes Modell zu trainieren, um ein qualitativ hochwertiges kleines Modell zu erstellen”. Solche kleinen Modelle sind jedoch besonders für Unternehmen interessant, die ein speziell auf ihre Bedürfnisse trainiertes Modell benötigen. Pineau sagte, Meta begrüße es, wenn auch andere Akteure große Modelle trainierten: “Das bedroht unser Geschäftsmodell nicht.” vis

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    Glasfaser: EIB fördert Ausbau in ländlichen Regionen Deutschlands

    Die Europäische Investitionsbank (EIB) gewährt der Deutschen Glasfaser ein Darlehen von 350 Millionen Euro, um Hochgeschwindigkeitsinternet in ländliche Gebiete Deutschlands zu bringen. Das von Invest EU unterstützte Projekt soll 460.000 Haushalte mit Glasfaseranschlüssen versorgen, die Geschwindigkeiten von bis zu zehn Gigabit pro Sekunde bieten. So sollen oft unterversorgte Regionen fit für die digitale Zukunft gemacht werden.

    Aktuell verfügen nach Angaben der Kommission nur rund 35 Prozent der Haushalte in Deutschland über Glasfaseranschlüsse, weit hinter dem Durchschnitt von 64 Prozent in der EU und UK. Das Projekt unterstützt die deutsche Digitalstrategie und die Ziele des European Digital Compass, wonach bis 2030 alle Haushalte Zugang zu Gigabit-Internet haben sollen.

    “Die Verbesserung digitaler Dienste in ländlichen Gebieten macht diese Regionen attraktiver und stärkt Wirtschaft und Jobs”, sagte Nicola Beer, Vizepräsidentin der EIB. Die Deutsche Glasfaser plant, bis 2026 mehr als drei Millionen Haushalte zu versorgen und langfristig bis zu sechs Millionen zu erreichen. Das Projekt soll helfen, die digitale Kluft zwischen ländlichen Gebieten und Städten zu verringern. vis

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    Presseschau

    EZB-Chefin Lagarde: Geldpolitik muss sich an Wandel in der Wirtschaft anpassen CASH
    EVP stimmt mit Rechtspopulisten: Fällt die “Brandmauer” im EU-Parlament? TAGESSCHAU
    Asyl: Unmut in der EU über deutschen Sonderweg wächst. FAZ
    Deutschland und Frankreich fordern EU-Asylabkommen mit Großbritannien ZEIT
    Tausende Schutzsuchende in der EU vor Gericht: Wie man aus Flüchtlingen Schlepper macht TAGESSPIEGEL
    Frankreichs Regierung steht fest – und rückt nach rechts RND
    Politische Krise in Frankreich: Neue Regierung in Paris vor großen Herausforderungen TAGESSPIEGEL
    Oppositionspartei ANO gewinnt Regionalwahlen in Tschechien ZEIT
    Kritik an teuren Geschenken überschattet Labour-Parteitreffen DER STANDARD
    IRIS2: Deutschland weiß nichts von 12-Milliarden-Kosten für EU-Satellitenprojekt HEISE
    EVP-Präsident Weber stellt Umweltvorschriften für Autoindustrie infrage FAZ
    Equinor begräbt Pläne zum Export von «blauem» Wasserstoff nach Deutschland CASH
    Entscheidung der EU-Kommission in Debatte über Döner-Herstellung erwartet DEUTSCHLANDFUNK
    Breitband: Millionenschwere EU-Finanzspritze für deutschen Glasfaserausbau HEISE
    Marta Kos: Wachsender Wirbel um slowenische EU-Kandidatin KLEINE ZEITUNG
    Ministerpräsidentin in Kritik: In Italien ist Hochwasser, aber Meloni postet erstmal Gute-Laune-Selfie mit Star WEB
    Italien verhängt Notstand über Hochwasser-Regionen FREENET
    Großer Erfolg: Klimaticket Österreich knackte 300.000er-Marke KURIER
    Wahlen in Österreich: Corona-Lockdowns und die Impfpflicht verhalfen der FPÖ zum Comeback NZZ
    Schweizer stimmen gegen Rentenreform und mehr Artenschutz ZEIT
    Soziale Unruhen auf Karibikinsel: Frankreich schickt seit 1959 unerwünschte Bereitschaftspolizei nach Martinique SPIEGEL
    Behörde vermutet nach Messerangriff in Rotterdam terroristisches Motiv ZEIT
    Albanien verpflichtet Ärzte per Gesetz zum Bleiben DEUTSCHLANDFUNK
    Liechtenstein stimmt dem Beitritt zum Internationalen Währungsfonds zu NZZ
    Belgien weltweit auf Platz zwei bei Designerdrogen BRF
    Sachsen und Tschechien gemeinsam für Erhalt des Birkhuhns STERN
    UN verabschieden Zukunftspakt gegen russischen Widerstand ZEIT

    Standpunkt

    E-Auto-Zölle: Warum ein Stopp gerade jetzt das falsche Signal wäre

    Von Cora Jungbluth und Etienne Höra

    Die EU-Kommission hat im Juli 2024 vorläufige Ausgleichszölle auf E-Autos aus China erhoben. Diese belaufen sich im Schnitt auf etwa 21 Prozent. Dauerhaft für eine Periode von fünf Jahren werden sie erst erhoben, wenn sich der Rat dazu positioniert hat. Dabei gilt das Prinzip der umgekehrten qualifizierten Mehrheit: Um die Kommission und damit die Zölle zu stoppen, bedarf es 15 Mitgliedstaaten, die 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren.

    Diese Entscheidung ist besonders brisant, weil sie zeitlich mit dem Draghi-Report zusammenfällt: Auf vierhundert Seiten argumentiert der ehemalige italienische Ministerpräsident und EZB-Chef, dass die EU ihre Wettbewerbsfähigkeit nur dann stärken kann, wenn sie ihre Werkzeuge geschickt kombiniert: zum Beispiel die Handels- und die Industriepolitik. Das gilt insbesondere im Bereich Elektromobilität, in dem die Schwäche der europäischen Industrie direkt mit unfairem Wettbewerb aus China zusammenhängt.

    Wenn die EU-Mitgliedstaaten, allen voran Deutschland, mit Blick auf die E-Auto-Zölle nicht an einem Strang ziehen, riskiert die EU nicht nur, bei Schlüsseltechnologien noch weiter hinter China und die USA zurückzufallen, sondern auch ihre handelspolitische Glaubwürdigkeit.

    EU geht im Vergleich etwa mit den USA maßvoll vor

    Im EU- und WTO-Recht sind die Hürden für solche Zölle hoch, gerade um politischen Missbrauch zu verhindern. Die Entscheidung der EU-Kommission folgt deshalb auf eine detaillierte Anti-Subventionsuntersuchung auf Basis von Unternehmensdaten. Diese zeigen, dass in China produzierte Elektroautos durch Subventionen, die nach den Regeln der WTO rechtswidrig sind, Marktvorteile haben.

    Im Gegensatz zu anderen Staaten, wie etwa den USA oder der Türkei, die – anscheinend ohne vergleichbare Untersuchungen – Zölle in Höhe von 100 Prozent beziehungsweise zwischenzeitlich zusätzlichen 40 Prozent auf E-Autos aus China erhoben haben, plant die EU hier also eine sachlich gut begründbare Maßnahme gegen unfairen Wettbewerb, die sich im internationalen Vergleich eher maßvoll ausnimmt.

    Abstimmung über Ausgleichszölle Ende Oktober

    Die EU hat in den vergangenen Monaten zudem mit der chinesischen Regierung und E-Auto-Herstellern Gespräche geführt, um eine alternative Lösung zu finden. Ein Angebot chinesischer E-Auto-Hersteller über Preisverpflichtungen, die die Subventionen ausgleichen sollten, lehnte die Kommission nach eingehender Prüfung jedoch als unzureichend ab. Beim Treffen zwischen dem chinesischen Handelsminister Wang Wentao und EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis am 19. September in Brüssel wurde zwar ebenfalls keine politische Einigung erzielt.

    Jedoch hat die Kommission die bereits abgelaufene Frist für die Einreichung von Preisverpflichtungen der Hersteller nochmals verlängert. Legen diese ein ausreichendes Angebot vor, kann die Kommission das Verfahren einstellen, ansonsten ist der nächste Schritt die Abstimmung der Mitgliedstaaten über die Ausgleichszölle, die vor dem 31. Oktober stattfinden muss.

    Einigkeit der EU gegenüber China bisher eine Illusion

    Aktuell versuchen mehrere Mitgliedstaaten, darunter wenig überraschend Ungarn, aber auch Deutschland und Spanien aktiv, die Zölle zu stoppen. Hier wird nur allzu deutlich, dass die vielfach beschworene und dringliche Einigkeit der EU und ihrer Mitgliedstaaten gegenüber China bisher eine Illusion bleibt: China schafft es immer wieder, die EU in handels- und industriepolitischen Schlüsselfragen auseinanderzudividieren – und die EU schafft es gleichzeitig nicht, aus eigener Kraft zusammenzubleiben.

    In Deutschland ist es die Sorge vor Vergeltungsmaßnahmen gegen die stark vom Chinageschäft abhängige Automobilindustrie, die Bundeskanzler Olaf Scholz dazu bringt, sich gegen die Zölle stark zu machen. In Spanien ist es die Hoffnung auf eine chinesische Milliardeninvestition nach einer Peking-Reise von Ministerpräsident Pedro Sánchez Anfang September und auf die Verschonung der spanischen Schweinefleischindustrie. Ungarn begibt sich seit geraumer Zeit ohnehin gerne in die Rolle eines “trojanischen Pferdes” für chinesische Interessen in der EU.

    Es geht um die Glaubwürdigkeit der EU

    Sollten sich die Mitgliedstaaten trotz deutlicher Evidenz für Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten Europas gegen die Ausgleichszölle aussprechen und stattdessen ihre wirtschaftlichen Partikularinteressen in den Vordergrund stellen, würde das die Glaubwürdigkeit der handels- und industriepolitischen Agenda der EU zutiefst erschüttern. Es wäre eine regelrechte Einladung für Drittstaaten: Effektive Politik im EU-Interesse kann über europäische Hauptstädte ausgehebelt werden.

    Dies hätte auch vor dem Hintergrund einer zunehmenden Geopolitisierung von Handelsbeziehungen und den Bestrebungen nach einem “De-risking” von China im Rahmen der 2023 von der Kommission vorgeschlagenen Strategie für wirtschaftliche Sicherheit eine starke politische Signalwirkung.

    Zeitraum der Zölle klug für Wettbewerbsfähigkeit nutzen

    Zwar gibt es tragfähige wirtschaftspolitische Argumente gegen die Maßnahme: Zölle auf importierte Produkte schaffen für sich genommen keine wettbewerbsfähige Industrie in Europa. Sie gleichen lediglich unfaire Kostenvorteile aus, die durch Subventionen entstehen, und sollen so einen tatsächlichen Wettbewerb ermöglichen. Der Zeitraum, in dem die Zölle bestehen, muss daher kreativ und intelligent genutzt werden – sowohl von der Wirtschaft als auch von der Politik.

    Gelingt dies nicht, zahlen Verbraucher in der EU unnötig höhere Preise. Unternehmen sollten daher alles daransetzen, in diesem Zeitraum ihre Wettbewerbsfähigkeit auf- und auszubauen. Kommission und Mitgliedstaaten sollten die Zölle mit weiteren Maßnahmen zur Förderung lokaler Hersteller flankieren – und sich dabei enger abstimmen als bisher.

    Gegenwärtig drängt sich aber der Eindruck auf, dass die Mitgliedstaaten, die gegen die Zölle arbeiten, von anderen, deutlich weniger überzeugenden Gründen getrieben sind: Die Industrien, die China mit Zöllen bedroht, bilden starke und gut organisierte Interessengruppen, die weder Scholz noch Sánchez gegen sich aufbringen möchten. Im langfristigen europäischen Interesse ist eine solche partikulare Rücksichtnahme aber sicher nicht. Europas Zukunft sollte nicht von einzelnen Branchen oder gar Unternehmen entschieden werden.

    China braucht den Zugang zum europäischen Markt

    Wer gegen die Zölle argumentiert, unterschätzt nicht zuletzt das Potenzial, China auf Augenhöhe zu begegnen. Angesichts großer struktureller Problemen – Jugendarbeitslosigkeit, Immobilienblase und eine generell schwächelnde Wirtschaft – sowie ungewissen Auswirkungen der US-Wahl auf die ohnehin strapazierten sino-amerikanischen Beziehungen braucht China die EU und den Zugang zum europäischen Markt.

    Umso wichtiger ist es, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten in der Zollfrage konsequent bleiben und die handelspolitische Handlungsfähigkeit und Glaubwürdigkeit der EU gegenüber China und anderen nicht aufs Spiel setzen. Die EU kann nur wettbewerbsfähig bleiben, wenn sie sich gleichzeitig gegen Wettbewerbsverzerrungen durch Dritte wehren kann – so argumentiert auch der Draghi-Report. In diesem politischen Moment wäre ein Stopp bei den Zöllen auf in China hergestellte E-Autos genau das falsche Signal.

    Cora Jungbluth ist seit August 2012 bei der Bertelsmann Stiftung tätig und dort Senior Expert China and Asia-Pacific. Etienne Höra ist seit Oktober 2023 Project Manager in der Bertelsmann Stiftung und beschäftigt sich mit strategischen Partnerschaften zwischen Europa und Asien.

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    Personalien

    Wolfgang Ischinger, langjähriger Spitzendiplomat und Präsident des Stiftungsrates der Münchner Sicherheitskonferenz, ist in den Vorstand der überparteilichen Organisation Global Bridges berufen worden. Zuvor war Ischinger Staatssekretär des Auswärtigen Amts sowie deutscher Botschafter in Washington, D.C. und London. Von 2008 bis 2022 leitete er die Münchner Sicherheitskonferenz.

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    Heads

    Teresa Ribera – Umweltschützerin wird Wettbewerbshüterin

    Teresa RIBERA RODRIGUEZ
    Teresa Ribera zeigte ihr Verhandlungsgeschick bereits während der spanischen Ratspräsidentschaft in den Umwelträten.

    Die Timmermans-Ära sei vorbei, kommentierte EVP-Chef Manfred Weber das Personaltableau von Ursula von der Leyen nach dessen Vorstellung in Straßburg. Damit meint er, dass es keinen allmächtigen Kommissionsvize mehr gibt, der die EU-Klimapolitik dominiert. Zwar hat von der Leyen das Klima- und Umweltressort auf viele Köpfe verteilt, und tatsächlich sind die Verantwortlichkeiten so gestreut, dass niemand allein einen ganzen Politikbereich lenken kann.

    Doch die ehemalige spanische Umweltministerin und designierte Wettbewerbskommissarin Teresa Ribera ist mit ihrem Portfolio durchaus in der Lage, eine machtvolle Stellung in der neuen Kommission zu beziehen.

    Ribera gilt als geschickte Verhandlerin. Sie ist ehrgeizig, aber diplomatisch. Als Brokerin zwischen Industrie- und Klimapolitik soll sie dafür sorgen, dass die EU ihre Klimaziele nicht aus den Augen verliert und dennoch wettbewerbsfähig bleibt. Dabei werde sie von allen Seiten genau beobachtet werden, prophezeit Linda Kalcher vom Brüsseler Thinktank Strategic Perspectives, “von der Mitte-Rechts-Partei EVP, der Industrie und internationalen Partnern”.

    Wirtschaftswachstum trotz Klimaschutz kaum erprobt

    Als Exekutivvizepräsidentin liegt es auch an Ribera, bei Streitigkeiten zu schlichten oder auch mal ein Machtwort zu sprechen. Auch wenn von der Leyens Team betont, Klimaschutz, Industriepolitik und Wettbewerbsfähigkeit seien große Aufgaben, sind Konflikte zwischen den Politikfeldern abzusehen.

    Gerade weil von der Leyen überlappende Portfolios geschaffen hat und das Wirtschaftswachstum mit Clean Tech erst noch erprobt werden muss, stehen der nächsten Kommission teils erhebliche Konflikte ins Haus. Am wahrscheinlichsten sind diese sogar zwischen den beiden Exekutivvizes Ribera und dem Industriekommissar Stéphane Séjourné. Offen ist, ob sich Ribera bei Streitigkeiten für die Interessen der Industrie im Sinne der Wettbewerbsfähigkeit Europas oder für den Klimaschutz entscheidet.

    EU-Verhandlerin bei der COP28 in Dubai

    Von der Leyen hat der Klimaschützerin mit dem Aufgabenbereich also auch nicht nur einen Gefallen getan. Denn als Wettbewerbskommissarin kann sie ihre harte Linie für Klimaschutzmaßnahmen voraussichtlich nicht durchweg aufrechterhalten.

    Die gebürtige Madrilenin ist seit 2011 Mitglied der sozialistischen Partei Spaniens (PSOE). Sie arbeitete zunächst als Staatssekretärin für Klimawandel und wurde schließlich 2018 Umweltministerin unter Ministerpräsident Pedro Sánchez. Nachdem Chile 2019 die UN-Klimakonferenz aufgrund der innenpolitischen Situation abgeben musste, holte sie die COP25 kurzerhand nach Madrid. Vergangenes Jahr verhandelte sie federführend für die EU-Staaten die Abkehr von fossilen Brennstoffen bei der COP28 in Dubai. Lukas Knigge

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