Table.Briefing: Europe

So koalitionsfähig sind die Grünen + Russland profitiert von Xi-Besuch in Serbien

Liebe Leserin, lieber Leser,

heute wartet auf die CDU-Delegierten eine Begegnung besonderer Art. Ursula von der Leyen und Markus Söder werden kurz hintereinander auf dem Bundesparteitag über die Zukunft Europas sprechen. Das macht einen direkten, womöglich heiklen Vergleich möglich.

Einerseits soll die Noch-EU-Kommissionspräsidentin am 9. Juni einen Sieg einfahren, der CDU und CSU zugleich die erhoffte Startposition für die Landtagswahlen im Herbst und die Bundestagswahl 2025 bringt. Andererseits gibt es kaum eine Politikerin, die in der CDU und noch mehr in der CSU so umstritten ist wie von der Leyen.  

Als Familienministerin piesackte sie viele in der Union mit Elterngeld und Kita-Ausbau. Als Kommissionspräsidentin promotete sie vor allem den Green Deal, was nicht wenigen in der Union größte Schmerzen bereitete. Trotzdem gab es für Friedrich Merz und für die CSU keine andere Option. Eine amtierende Präsidentin kriegt man so schnell nicht wieder.

Und so muss die Union sie heute bejubeln – und Söder leisten, was ihm nicht leichtfällt: den Teamspieler zu geben.

Ihr
Stefan Braun
Bild von Stefan  Braun

Analyse

Diesmal wollen sie am Verhandlungstisch sitzen: Wie koalitionsfähig die Europagrünen sind

Die Grünen wollen nach den Europawahlen mit Christdemokraten, Sozialisten und Liberalen zusammenarbeiten. Diesen Anspruch erheben Spitzenpolitiker der europäischen Grünen in diesen letzten Wochen vor der Wahl unmissverständlich. Anders als im ablaufenden Mandat, in dem die Grünen nicht Teil der informellen Von-der-Leyen-Koalition waren, wollen sie diesmal sowohl bei der Verteilung von Posten als auch bei den inhaltlichen Schwerpunkten mitreden.  

Viel hängt vom Wahlergebnis ab. Sollten, worauf die aktuelle Sitzprojektion hindeutet, Christdemokraten, Sozialisten und Liberale eine komfortable Mehrheit haben, würden die Stimmen der Grünen für die Wiederwahl von Ursula von der Leyen möglicherweise gar nicht gebraucht. Doch sollte es knapp werden, sitzen die Grünen vermutlich mit am Tisch.

Hinter vorgehaltener Hand nennt ein europäischer Spitzengrüner die Bedingung für den Eintritt in eine zweite Von-der-Leyen-Koalition: “Wenn wir Teil vom Spiel sind, dann wollen wir davon auch etwas haben.”

Deutsche Grüne wollen “Handschrift” sehen

Bei den deutschen Grünen sieht man es ähnlich. Man müsse nach der Wahl mit der EVP im Europaparlament zusammenarbeiten, ansonsten werde man nicht mehr ernst genommen, sagt etwa einer aus Berlin, der die Europapolitik sehr genau im Blick hat. Die Grünen müssten mitreden, schon allein um den Green Deal zu retten. “Wenn wir nicht mitmachen, müssen wir uns nicht wundern, wenn hinterher die grüne Handschrift fehlt.”

Über eine informelle Koalition würden Christdemokraten mit Sozialisten, Liberalen und vielleicht den Grünen verhandeln. Am meisten Gewicht können die Christdemokraten in die Waagschale werfen, weil sie laut Umfragen wieder die stärkste Kraft werden.

Weber: “In ideologische Oppositionsrolle verrannt”

EVP-Chef Manfred Weber ist keiner, der die Grünen kategorisch ablehnt. Anders als seine Unionskollegen Friedrich Merz oder Markus Söder hat man von ihm keine Schimpftiraden gegen die Partei gehört – selbst in bayerischen Bierzelten nicht. Und doch hat er Bedenken, ob es über Verabredungen zum Personal hinaus Gemeinsamkeiten mit den Grünen geben kann.

Im abgelaufenen Mandat hätten die Grünen stets mit am Tisch gesessen, Maximalforderungen erhoben und damit das Verhandlungsergebnis geprägt. Und wenn es dann im Parlament zum Schwur kam, hätten sie sich bei wichtigen Dossiers immer wieder verweigert.

“Die Grünen haben sich in eine ideologische Oppositionsrolle verrannt”, sagt Weber zu Table.Briefings. Die Tür der EVP sei immer offen gewesen, doch am Ende hätten sich die Grünen überwiegend für Blockadepolitik entschieden. Bis auf ganz wenige Ausnahmen hat die grüne Fraktion komplett gegen das Migrationspaket gestimmt, auch die Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes ist bei ihnen durchgefallen.

Grüne in der Asyl- und Migrationspolitik uneins

Die Grünen in Europa sind radikaler als viele Grüne in Deutschland. Von den Kretschmann-Grünen im Südwesten, mit denen die Christdemokraten gut klarkommen würden, trennen sie Welten. In der Asyl- und Migrationspolitik etwa ist der Konflikt zwischen den deutschen und den europäischen Grünen groß: Als das Paket im Europaparlament abgestimmt wurde, hatte Außenministerin Annalena Baerbock explizit für die Annahme geworben.

Die Europafraktion ließ sich davon nicht beeindrucken: Im Miniplenum in Brüssel stimmten namhafte Grüne wie Terry Reintke, Rasmus Andresen und Anna Cavazzini dagegen. Sogar der Solidaritätsmechanismus, die Umverteilung zwischen den Mitgliedstaaten, fand keine Unterstützung. Einzige Ausnahme unter den prominenten Grünen war Bas Eickhout, Co-Spitzenkandidat und mutmaßlich künftiger Co-Fraktionschef: Er stimmte dem Paket zu.

“Damit bleiben sie den Beweis schuldig, dass sie konstruktiv an Europa mitwirken”, sagt Weber. Er versucht, sie aus der Ecke herauszulocken: “Ich hoffe, dass sie ihren Kurs ändern, aber es bleibt eine Hypothek.” Auch die Politikfelder Verteidigung, Handel, KI und Bürokratieabbau im Binnenmarkt gelten als schwierig.

Konflikte in der Agrarpolitik

Die Grünen wehren sich gegen diesen Vorwurf. Ein Spitzengrüner: “Es ist Nonsens, dass wir nur Grün pur geliefert hätten.” Etliche Green-Deal-Gesetze seien mit grüner Unterstützung durchgegangen, teils sogar gegen den Widerstand der Christdemokraten. Doch man sei nicht Mitglied der informellen Koalition gewesen: “Niemand kann uns aber verhaften, wenn wir nicht Teil der Verhandlungen waren.”

Diesmal wollen die Grünen am Verhandlungstisch sitzen. Bedenken gibt es jedoch nicht nur in der Migrationspolitik. Die Grünen haben im vergangenen Mandat den Kompromiss in der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) komplett abgelehnt. EVP, Liberale und Sozialisten setzen sich für eine Koexistenz von konventioneller und ökologischer Landwirtschaft ein und wollen weiterhin eine Flächenprämie zur Einkommenssicherung der Landwirte.

Die Grünen verfolgen dagegen einen komplett anderen Ansatz: Sie richten ihr Augenmerk eher auf die ökologische Landwirtschaft und wollen Öko-Leistungen subventionieren. Die Frage der Ernährungssicherheit spielt für sie eine untergeordnete Rolle. Sie wollen die hohen Viehbestände reduzieren. Im kommenden Mandat entscheidet das Parlament über die nächste GAP, die bis 2035 die Branche prägen wird. Ein Kompromiss ist schwer vorstellbar.

Konflikte dürfte es außerdem bei Themen wie Tierwohl und Tiertransporten geben. Ob die FFH-Richtlinie aufgemacht und der hohe Schutzstandard vom Wolf und weiteren ehemals bedrohten Tierarten herabgesetzt wird, ist ebenfalls strittig. Ein erfahrener Agrarpolitiker der EVP sagt: “Die Landwirtschaft wäre der Kernkonflikt einer Zusammenarbeit mit den Grünen.”

Keine Zustimmung für Net-Zero Industry Act

In der Industriepolitik gibt es teils große Differenzen, aber auch Raum für Zusammenarbeit zwischen den Grünen, EVP, Liberalen und S&D. Während Christdemokraten und Sozialisten überwiegend für den Net-Zero Industry Act (NZIA) stimmten, votierten die Grünen dagegen oder enthielten sich. Sie versagten somit dem europäischen Plan zur Unterstützung grüner Technologien “Made in Europe” ihre Zustimmung. Selbst die Solar- und Windindustrie hatten den NZIA begrüßt.

Stattdessen haben Grünen-Spitzenkandidat Bas Eickhout, der Industriepolitiker Michael Bloss und die belgische MEP Sara Matthieu ihre Vorstellungen für einen Green Industrial Deal vorgestellt. Sie fordern vor allem mehr finanzielle Mittel für den Hochlauf grüner Technologien sowie eine Anreizpolitik über Quoten und Regulierung.

Ordnungs- gegen Wettbewerbspolitik

Der EVP-Industriepolitiker Christian Ehler hielt bei einer Veranstaltung von Table.Briefings und Europe-Calling dagegen. Er lehnt weitere ordnungspolitische Vorgaben für die Industrie und bestimmte Technologien strikt ab, will stattdessen einen wettbewerbsbasierten Ansatz durch Stärkung des Marktes. Die Industriepolitik der Grünen hält er für “Träumereien”. “Wir werden es mit öffentlichen Mitteln nicht schaffen, Transformationsprozesse zu finanzieren.”

Allerdings sind Teile des grünen Plans durchaus im Interesse der EVP, beispielsweise eine Steuerpolitik, die emissionsarme Technologien bevorzugt – frei nach dem anreizorientierten Vorbild des US-amerikanischen Inflation Reduction Act (IRA). Auch finanzielle Mittel für die Unterstützung der Industrie würden der EVP gefallen – zum Beispiel aus dem ETS. “Wenn man einen Emissionshandel hat und daraus Einnahmen erzielt, sollte man die Mittel nutzen, um zu investieren”, sagt Ehler.

Mehr zweckgebundene Einnahmen aus dem ETS scheitern nicht an den Grünen, sondern an den Mitgliedstaaten. Sie würden das Geld lieber für ihre klammen Haushalte haben. Hier gäbe es also Raum für industriepolitische Kompromisse zwischen Grünen und EVP.

  • FFH-Richtlinie
  • Net Zero Industry Act
  • Ökologische Landwirtschaft
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Interview

Florian Bieber: “Russland ist Nutznießer des Xi-Besuchs”

Florian Bieber ist Professor für Politik Südosteuropas an der Universität Graz.

Xi Jinpings Besuch in Serbien fällt auf den 25. Jahrestag der Bombardierung der Botschaft Pekings in Belgrad durch die US-Luftwaffe. Welches politische Signal will Chinas Staatschef damit aussenden?

Die Bombardierung der Botschaft ist der Grundbaustein der serbisch-chinesischen Freundschaft – auch wenn das Verhältnis erst in den letzten 10 bis 15 Jahren wirklich enger geworden ist. Dass sich beide Seiten so sehr darauf beziehen, reflektiert den Frust Serbiens und Chinas über die westliche Hegemonie, aber auch die vermeintliche Ungerechtigkeit der Nato-Intervention im Kosovo. China hat schon damals die serbische Position gegen die Unabhängigkeit des Kosovo unterstützt. Im Vordergrund steht also ganz klar die Kritik am Westen. 

Welche Bedeutung hat für Serbien, dass Xi Jinping zum Jahrestag der Bombardierung nach Belgrad kommt?

China ist in den Vorstellungen Serbiens der wichtigste internationale Partner geworden. Serbien definiert seine Außenpolitik schon seit einer Weile über verschiedene Säulen: die Beziehungen zu Russland, zu China, den USA und der Europäischen Union. Seit der Pandemie ist China zum wichtigsten Partner aufgestiegen. Das hat damit zu tun, dass Russland seit Beginn des Krieges in der Ukraine weniger wirtschaftliche Vorteile bringt. Aber auch die EU-Erweiterung und die europäische Perspektive wird in Serbien als weniger attraktiv betrachtet. Der Besuch zum Jahrestag der Bombardierung unterstreicht zugleich die serbische Erzählweise auf die Vergangenheit, sich selbst als Opfer der Nato-Intervention zu sehen und nicht als Täter im Kosovo.

Haben Sie die Reihenfolge Russland, China, USA und EU absichtlich so genannt? Die EU kommt hier zum Schluss.

Ja, im Moment wird aus serbischer Sicht das Verhältnis zur EU wirklich als am wenigsten wichtig betrachtet. Wirtschaftlich gesehen ist die EU nach wie vor ein wichtiger Partner für Serbien, aber nicht politisch. In den Medien, von denen die meisten von Präsident Aleksandar Vučić kontrolliert werden, dominieren ganz klar antiwestliche Bilder. China hingegen wird sehr positiv dargestellt. 

Das heißt: Serbien mit seiner gewissen Außenseiterrolle wird von China auch noch darin bestärkt, sich zum antiwestlichen Block aus Russland und China zugehörig zu fühlen?

Absolut. Und wenn man sich anschaut, dass neben Frankreich der einzige Besuch Ungarn gewidmet wird, einem weiteren Enfant terrible, ist das von China schon ein klares Signal, das sich gegen Brüssel wendet. China schaut nicht auf die wirtschaftlich wichtigsten Partnerländer, sondern auf die politisch wichtigsten.

Wie sieht man China in Serbien?

In Serbien herrscht ein sehr widersprüchliches Bild. Einerseits sieht man China als starken Unterstützer Serbiens, was die Kosovo-Politik angeht. Deshalb gibt es auch immer wieder starke Aussagen von Präsident Vučić und anderen serbischen Politikern, die unterstreichen, dass Taiwan zu China gehört – so wie der Kosovo zu Serbien. Andererseits gibt es ein negatives Bild von China, einem Land mit schlechten Arbeitsbedingungen, wo ganze Landstriche verschmutzt und zerstört werden. Eine gewisse Kritik an China ist also durchaus vorhanden. 

China baut eine Eisenbahnstrecke zwischen Belgrad und Budapest – ebenfalls ein Zeichen für eine neue Achse, die Peking stärkt?

Im Moment mag das in der Tat ganz gut zusammenpassen. Der Hauptgrund für diese Strecke ist aber immer noch wirtschaftlicher Natur. Es geht bei dieser Strecke um eine Linie, die von Piräus nach Westeuropa führen soll. Sie soll also den griechischen Hafen, der sich in chinesischer Hand befindet, mit den europäischen Märkten verbinden. Das ist aus chinesischer Sicht fast wichtiger, als Vučić und Orbán den Rücken zu stärken.  

Inwiefern ziehen Russland und China auf dem Balkan an einem Strang?

Xi Jinpings Besuch in Belgrad ist eindeutig antiwestlich ausgerichtet. Und das freut natürlich auch Putin und schwächt dort die EU. Insofern ist Russland indirekt ein Nutznießer dieser Politik. Zugleich hat China aber Russland den Rang als wichtigster Akteur in Serbien abgelaufen. Und das schmerzt Russland natürlich. 

Florian Bieber ist Professor für Geschichte und Politik Südosteuropas an der Universität Graz. Er leitet dort auch das Zentrum für Südosteuropastudien. Bieber hat unter anderem in Ungarn unterrichtet und in Belgrad gelebt. Er ist Autor des Buches “Pulverfass Balkan” (Ch. Links Verlag, 2023).

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Draghi-Bericht: Darum beklagen NGOs fehlende Transparenz

Ein Bündnis zivilgesellschaftlicher Organisationen fordert mehr Transparenz und Beteiligung bei der Erarbeitung des Berichts von Mario Draghi zur Wettbewerbsfähigkeit Europas. Der Bericht werde einen enormen Einfluss auf das Mandat der nächsten EU-Kommission und die Zukunft der EU haben, schreiben die 13 NGOs in einem offenen Brief an den früheren EZB-Präsidenten und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, der am Mittwoch veröffentlicht wird. “Deshalb sind wir sehr besorgt über die mangelnde Transparenz und den fehlenden Zugang zum Prozess der Erstellung dieses Berichts.”

Von der Leyen hatte Draghi im Herbst beauftragt, den Bericht zu erarbeiten. Nach der Europawahl im Juni will Draghi seine Erkenntnisse veröffentlichen. Der Bericht wird mit Spannung erwartet, da die Worte des früheren italienischen Ministerpräsidenten großes politisches Gewicht haben.

Warnung vor “Europäischen Champions”

Draghi hatte zuletzt bei einem Auftritt in La Hulpe Mitte April Einblicke in seine Gedanken gegeben. Den Bericht selbst erstellt er mithilfe eines eigenen Teams in der EU-Kommission, weitgehend abgeschottet von der Öffentlichkeit. Die NGOs kritisieren, Draghi habe sich zwar mit Vertretern des European Round Table for Industry, von Business Europe und einer Gewerkschaft getroffen, viele zivilgesellschaftliche Organisationen aber würden nicht konsultiert. Der Brief wurde unter anderem von LobbyControl, Corporate Europe Observatory und dem Open Markets Institute unterzeichnet.

Die Verfasser kritisieren auch die Stoßrichtung von Draghis öffentlich geäußerten Plänen. Dieser habe eine Konsolidierung etwa im europäischen Telekom- und Verteidigungssektor gefordert, um auf den Weltmärkten konkurrenzfähig zu sein. Die Organisationen warnen aber davor, auf subventionierte “European Champions” zu setzen: Die Folge sei, “dass die Marktkonzentration in Europa noch weiter zunehmen würde, was den europäischen Verbrauchern, Arbeitnehmern und kleinen Unternehmen schaden und unsere Wettbewerbsfähigkeit untergraben würde”. tho

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Falsch ausgegebene EU-Gelder: So lange dauert die Rückforderung

Nicht vorschriftsgemäß ausgegebenes EU-Geld wird nach Ansicht des Europäischen Rechnungshofes nicht schnell genug von der Europäischen Kommission wieder eingezogen. Zwischen dem Ende geförderter Maßnahmen und einer Rückforderung vergingen oft mehr als ein Jahr oder mehr, schreiben die EU-Prüfer in Luxemburg in einem am Dienstag veröffentlichten Bericht.

Weitere drei bis fünf Monate verstrichen, bevor die Mittel erstattet würden, heißt es weiter. In einem bis acht Prozent der Fälle werde sogar völlig auf die Forderung verzichtet. Allerdings sorge die Kommission für eine genaue und zügige Erfassung der vorschriftswidrigen Ausgaben. Insgesamt seien 4,2 Prozent des EU-Haushalts im Jahr 2022 nicht nach den Regeln ausgegeben worden, also vorschriftswidrig, erklärte der Rechnungshof. Über alle Politikbereiche hinweg seien von 2014 bis 2022 vorschriftswidrige Ausgaben in Höhe von 14 Milliarden Euro gemeldet worden. 

“Das ist die EU den Steuerzahlern schuldig”

Die Wiedereinziehung vorschriftswidriger Beträge sei ein wichtiges Instrument, etwa um weitere Unregelmäßigkeiten zu verhindern, schreiben die Autoren. “Die rasche Einziehung falsch ausgegebener EU-Gelder sollte mit aller Entschiedenheit verfolgt werden”, sagte Jorg Kristijan Petrovič, vom Europäischen Rechnungshof. “Das ist die EU den Steuerzahlern schuldig. Erfolgt keine Wiedereinziehung, so würde dies das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die EU schwer beschädigen.”

Schätzungsweise werden nur 20 Prozent des EU-Haushalts direkt von der Kommission ausgegeben. 70 Prozent werden demnach gemeinsam mit den Mitgliedsländern verwaltet und zehn Prozent von internationalen Organisationen oder Drittländern. dpa

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Gleichstellung: Warum Deutschland beim Antidiskriminierungsgesetz bremst

Nach mehr als 16 Jahren sucht der Rat noch immer nach einem gemeinsamen Standpunkt zur Antidiskriminierungsrichtlinie. Zwar sei man “so weit gekommen wie noch nie”, sagte die zuständige Gleichstellungskommissarin Helena Dalli am Dienstag. Doch Deutschland, Italien und Tschechien meldeten in einer Orientierungsaussprache im Beschäftigungsrat (EPSCO) Bedenken an. Zu einer Abstimmung kam es daher erneut nicht, auf dem Politikfeld ist Einstimmigkeit erforderlich.

Die neue, fünfte Antidiskriminierungsrichtlinie ist bereits 2008 von der EU-Kommission vorgeschlagen worden, das Parlament hat seinen Standpunkt dazu 2009 festgelegt. Ziel der Richtlinie ist es, den Schutz vor Diskriminierung etwa wegen Alters und Behinderung auch auf Bereiche außerhalb des Felds “Beschäftigung und Beruf” auszuweiten. Konkret geht es dabei um Waren und Dienstleistungen, den Bildungs- und Wohnsektor sowie das Sozial- und Gesundheitswesen.

Ein Beispiel: In Deutschland sind derzeit durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) etwa Lehrer vor Diskriminierung durch ihren Arbeitgeber geschützt, nicht aber Schüler vor diskriminierenden Aussagen von Lehrern, zumindest an öffentlichen Schulen. Das regeln stattdessen Schulgesetze, die aber weniger weitreichende Folgen haben als das AGG.

Viel Klärungsbedarf in Deutschland

“Ich setze mich innerhalb der Bundesregierung stark dafür ein, dass eine Positionierung Deutschlands rechtzeitig innerhalb der Bundesregierung noch innerhalb der belgischen Ratspräsidentschaft stattfinden kann”, sagte Familienministerin Lisa Paus (Grüne) am Dienstag bei der Aussprache im EPSCO. Aktuell würden die finanzpolitischen Implikationen geprüft, die sich aus der Umsetzung ergeben könnten, auch in Hinsicht auf die Auswirkungen für die Bundesländer, sagte Paus.

Im Koalitionsvertrag hatte sich die Ampelkoalition auf eine Reform des AGG geeinigt. Es dürfte allerdings noch ein langer Weg sein, bevor Deutschland auf EU-Ebene den Weg freimacht. Erst wenn sich die Bundesregierung auf eine Neupositionierung geeinigt habe, könnten dann überhaupt erst Bedenken hinsichtlich des aktuellen Textes benannt und ausgeräumt werden, sagte Paus bei der Aussprache am Dienstag. Die Zweifel dürften dabei vorwiegend aus Richtung der FDP kommen – aus Sorge vor Mehrkosten für die Wirtschaft und zusätzlicher Bürokratie.

Auch Italien sagte, es benötige “noch Zeit, um die Auswirkungen prüfen zu können”. Einige Begrifflichkeiten müssten noch präzisiert werden. Tschechien zeigte sich noch kritischer. Das Land vertrat bei der Aussprache die Ansicht, dass keine neuen Rechtsvorschriften auf EU-Ebene nötig seien und die notwendigen Gesetze auf Nationalebene verankert werden sollen. Das Land verwies wie auch Deutschland darauf, dass die bestehenden nationalen Regelungen über die derzeit geltenden EU-Bestimmungen hinausgehen würden.

Ungarn und Polen sind für das Gesetz

Dagegen befürwortet Polen inzwischen das Vorhaben, nachdem es dem Gesetz lange Zeit kritisch gegenübergestanden hat. Auch Ungarn möchte das Gesetz gerne finalisieren. Die belgische Ratspräsidentschaft erklärte am Dienstag, sie wolle trotz der knappen Zeit noch versuchen, ein Ergebnis hinzubekommen. Auch Gleichstellungskommissarin Dalli drängte die Staaten dazu, sich nach schwierigen und langwierigen Verhandlungen auf einen gemeinsamen Standpunkt zu einigen.

Drei weitere Gesetzesvorhaben können nach diesem Dienstag hingegen in Kraft treten. Der Rat verabschiedete zwei Richtlinien, die die Gleichstellungsstellen in den Mitgliedstaaten besser ausstatten sollen und öffentliche Institutionen verpflichten, diese zu konsultieren, wenn es um Diskriminierungsfragen geht.

Außerdem stellte sich der Rat hinter die Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt. Sie schreibt den Staaten unter anderem vor, weibliche Genitalverstümmelung, Zwangsverheiratung und Cybergewalt – also beispielsweise intime Bilder ohne Einverständnis weiterzuschicken – unter Strafe zu stellen. Anders als vom EU-Parlament gefordert, fehlen in der Richtlinie EU-weite Standards zum Umgang mit Vergewaltigungen. lei

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Wie sich Robert Habeck die Zukunft der EU vorstellt

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat das Prinzip infrage gestellt, dass jedes EU-Land einen Kommissar in Brüssel stellt. “Wir werden eine Lösung finden müssen, wo man poolt oder sich Länder abwechseln”, sagte der Vizekanzler Dienstagabend bei einer Veranstaltung in seinem Ministerium. Zudem müssten qualifizierte Mehrheitsentscheidungen auch in Bereichen eingeführt werden, wo es sie noch nicht gibt. “Sonst hat ein Land immer ein Vetorecht – zum Beispiel Ungarn – und das macht keinen Sinn”, sagte Habeck.

Reformen brauche die EU vor einer Erweiterung. Habeck nannte insbesondere die Balkanstaaten und die Ukraine: “Sonst hängen diese Länder weiter zwischen Baum und Borke oder sie werden unter russischen Einfluss kommen.”

Finanzunion trotz Haftungsfragen

In der Außen- und Sicherheitspolitik sollte die EU nach Meinung Habecks eine stärkere Rolle spielen. “Die Bedrohungslage schreit danach, dass die EU nicht da stehenbleibt, wo sie ist, also nicht nur Notar der Nationalstaaten ist, sondern eine eigene Machtkompetenz bekommt in der Außen- und Sicherheitspolitik.” Als Beispiel nannte er die weitgehend nationale Beschaffung von Rüstungsgütern. Das europaweit verfügbare Finanzvolumen werde derzeit nicht effizient ausgegeben.

Habeck fordert außerdem mehr Mut zu einer gemeinsamen Finanzpolitik – auch wenn dies zu Haftungsfragen führe. Eine Wirtschaftsunion ohne eine Finanzunion habe kaum strategische Steuerungsfähigkeit. Auch von der Einführung des Euro habe Deutschland profitiert. “Wenn Helmut Kohl den Euro so verhandelt und nur gefragt hätte, was kriege ich raus, wäre er nicht gekommen“, sagte der Grüne.

Eine stärkere Europäisierung will Habeck beim Inbound und Outbound Investment Screening – auch wenn dies im Einzelfall zum Nachteil Deutschlands sei. Als Beispiel nannte er die Beteiligung chinesischer Unternehmen an europäischen Häfen. ber

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Europawahl: Das sind die “zukunftsfähigsten” Kandidierenden

Die überparteiliche Initiative Brand New Bundestag (BNB) präsentiert am Mittwoch eine Liste mit den 100 “zukunftsfähigsten Kandidierenden” aus zehn Ländern. Sie liegt Table.Briefings vorab vor und soll einen partei- und themenübergreifenden “Gegenentwurf zum erwarteten Rechtsruck in den Europawahlen” darstellen.

Aus Deutschland dabei sind einige Europaabgeordnete wie Delara Burkhardt, Tiemo Wölken (beide SPD) und Svenja Hahn (FDP). Auf der Liste finden sich zudem die Linken-Spitzenkandidatin Carola Rackete, die frühere Grüne-Jugend-Chefin Anna Peters und Eyfer Tunc, die für die CDU in der Bremischen Bürgerschaft saß.

Aus Frankreich findet sich unter anderem Bernard Guetta darunter, Nummer zwei auf der Wahlliste von Emmanuel Macrons Partei Renaissance. Der Journalist veröffentlichte über 27 Jahre lang jeden Morgen seine geopolitischen Kolumnen im öffentlichen Radiosender France Inter. Ebenfalls auf der BNB-Liste steht Olivier de Schutter, ein belgischer Jurist, der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für Menschenrechte und extreme Armut ist. Bei den Europawahlen kandidiert er auf der Liste der belgischen Grünen, Ecolo. okb, cst, tho

Alle Texte zur Europawahl 2024 finden Sie hier.

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Parteiprogramme: So verlief der Start des Wahl-O-Mat

Wenn Kevin Kühnert auf das Ergebnis des Wahl-O-Mat zur Europawahl hören würde, würde er SPD wählen. Das ist nicht überraschend. Etwas verblüffend ist allerdings, dass die Antworten des SPD-Generalsekretärs nur zu 98,8 Prozent mit denen seiner Partei übereinstimmen. Martin Schirdewan hingegen bringt es am Dienstag bei der Vorstellung des Wahl-O-Mat im Europäischen Haus in Berlin auf 100 Prozent Übereinstimmung mit der Linken. An Kühnerts Ergebnis zeige sich die Zerstrittenheit der SPD, meinte der Linken-Spitzenkandidat.

“Also 100 Prozent finde ich auch verwirrend”, verteidigte sich Kühnert. “Wer behauptet, er stimmt in allem überein mit seiner eigenen Partei, der lügt. Das kann man nicht anders sagen.” Er habe das Glück als Generalsekretär für das Programm verantwortlich gewesen zu sein. “Daher kenne ich unser Programm sehr gut und identifiziere mich auch sehr stark.”

Als Politiker gefalle ihm am Wahl-O-Mat nicht, dass es nur drei Antwortmöglichkeiten gebe: Zustimmung, Ablehnung oder neutral. “Bei manchen Fragen hätte man schon das innere Bedürfnis zu sagen, es kommt darauf an, und dann den Sachverhalt zu erläutern”, erläuterte Kühnert. Dafür müssten die Nutzerinnen und Nutzer des Wahl-O-Mat dann in die Begründungen schauen.

Zum Start des Wahl-O-Mat zur Europawahl kamen am Dienstag auch die Vertreter anderer Parteien. Die CDU hatte wegen ihres Parteitages abgesagt. AfD-Spitzenkandidat Maximilian Krah, dessen Brüsseler Büro am Morgen durchsucht wurde, schickte eine Vertretung.

Die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) erstellt den Wahl-O-Mat bereits seit 2002 – vor allem, um junge Wählerinnen und Wähler zu mobilisieren. In Deutschland dürfen bei der Europawahl 2024 zu ersten Mal auch 16-Jährige wählen. Der Wahl-O-Mat sei keine Wahlempfehlung, sagte Thomas Krüger. Vielmehr biete er einen spielerischen Zugang, um sich mit den Parteien und ihren Programmen zu beschäftigen.

“Der Wahl-O-Mat ist das letzte mediale Lagerfeuer, vor dem sich viele Deutschen vor Wahlen versammeln”, sagte Krüger. “Der Wahl-O-Mat ist nicht nur das erfolgreichste Angebot zur Information vor Wahlen, er ist zugleich auch die einfachste Möglichkeit, sich einen wirklich guten Überblick über die Positionen der politischen Parteien zu verschaffen.”

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Bitkomat: Was Terry Reintke zur europäischen Digitalpolitik sagt

One in – one out. Von dieser populären Forderung zum Bürokratieabbau, bei dem für ein neues Gesetz zwei bestehende abgeschafft werden sollen, hält Terry Reintke nichts. “Das finde ich zu holzschnittartig”, sagte die Grünen-Spitzenkandidatin bei der Vorstellung des Bitkomat am Dienstag in Berlin. Mit dem Online-Tool will der Digitalverband Bitkom den Wählerinnen und Wählern helfen, die eigenen Präferenzen in der Digitalpolitik mit den jeweiligen Positionen der Parteien zu vergleichen

Insgesamt 18 Thesen zu den vier Bereichen Innovationsstandort und Zukunftsindustrien, politische Leitprinzipien, digitale Infrastruktur und Nachhaltigkeit sowie Start-ups und Europas digitale Zukunft hat der Bitkom zusammen mit digitalpolitischen Experten entwickelt. Alle deutschen Parteien, die derzeit im EU-Parlament vertreten sind, konnten sich mit “stimme zu / neutral / stimme nicht zu” zu den Thesen positionieren und ihre Antworten kurz erläutern.

Infrastruktur-Union als Ziel

Reintke sprach sich für massive Investitionen in die digitale Infrastruktur aus. Die Frage, wie Europa in den nächsten Jahren seine Wettbewerbsfähigkeit erhalten wolle, sei zentral. “Ich weiß, dass der Begriff Subvention manchmal sehr negativ behaftet ist. Aber wir befinden uns gerade wirtschaftlich, aber auch gesellschaftlich in großen Transformationsprozessen”, sagte Reintke. Das gelte sowohl für das Klima als auch für die Digitalisierung, was an vielen Stellen zusammengehe.

Europa brauche eine digitale Souveränität. “Dafür müssen wir gemeinsam europäisch Geld in die Hand nehmen.” Öffentliche Investitionen feuerten dann häufig auch private Investitionen an. “Deshalb gehen wir mit dem Stichwort Infrastruktur-Union in diesen Europawahlkampf.”

Die Frage, ob alle neuen Gesetze darauf zu prüfen seien, ob sie Europas Wettbewerbsfähigkeit stärkten, beantwortete Reintke dagegen mit “neutral”. Man müsse sehr vorsichtig sein, wie man Wettbewerbsfähigkeit definiere. “Ich glaube, dass einer der größten Treiber der Wettbewerbsfähigkeit der nächsten Jahre in der Europäischen Union eine klimafreundliche Industrie und klimafreundliches Wirtschaften auch im Digitalbereich sein wird.” Eine starre Kategorisierung sei da nicht hilfreich.

Verschlankung der DSGVO

Mit der Datenschutzgrundverordnung habe die EU wichtige Schritte gemacht und – ähnlich wie jetzt mit dem AI Act – einen internationalen Standard gesetzt. Sie finde es sinnvoll, das auf europäischer Ebene zu klären. “Wenn wir über das Thema konkrete Anwendung der Datenschutzgrundverordnung sprechen, dann würde ich schon sagen, dass es Vereinfachungsmöglichkeiten gibt“, räumte sie ein.

Es gebe zum Teil auch auf Bundesländerebene noch sehr unterschiedliche Auslegungen der DSGVO. Als Grüne sei sie Mitglied einer Bürgerrechtspartei mit hohen Standards, die in der Datenschutzgrundverordnung verankert seien. “Aber in der Tat, in der Umsetzung kann da einiges vereinfacht und verschlankt werden.”

Keine Zustimmung zu einem Kommissar für Start-ups

Neutral zeigte sich Reintke bei der Frage, ob es einen Kommissar nur für Start-ups geben sollte. Eigentlich sei das eine gute Idee. Aber der Punkt sei: “Muss das ausschließlich für Start-ups sein oder kann es nicht auch verbunden sein, zum Beispiel mit einem Kommissar, einer Kommissarin für Innovation?” Wenn es eine Person in der Kommission gebe, die sich dezidiert mit einem bestimmten Feld beschäftige, passiere in dem Bereich häufig auch mehr. Deswegen finde sie, dass es jemanden geben sollte, der sich mit hoher Priorität mit den Herausforderungen für Start-ups auseinandersetze. “Das halte ich schon für sehr sinnvoll.”

Der Frage nach dem Aufbau eines Börsenstandorts für europäische Tech-Champions stimmte Reintke “auf jeden Fall zu”. Auch im Bereich der Kapitalmarktunion sollte die EU weiterkommen, um für Investoren attraktiver zu werden. Dazu müsse Europa den Kapitalmarkt weiter “vervollständigen, vereinfachen, auch bestimmte Prozesse harmonisieren, damit es für Unternehmen einfacher ist, an Geld heranzukommen”. vis

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AfD-Spionage-Affäre: So reagiert Krah auf die Durchsuchung seines Büros

Die Bundesanwaltschaft ließ am Dienstagmorgen die Büroräume des AfD-Spitzenkandidaten Maximilian Krah und dessen ehemaligen Mitarbeiters Jian G. im Europäischen Parlament in Brüssel durchsuchen. Grundlage dafür sind die Beschlüsse des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs sowie eine Europäische Ermittlungsanordnung.

Jian G.steht unter Verdacht der Spionage für China. Krah selbst ist als Europa-Abgeordneter durch seine parlamentarische Immunität geschützt. Er wird in dem Verfahren gegen Jian G. als Zeuge geführt. Aufgrund der Immunität war die Durchsuchung nur möglich, weil das Europäische Parlament dem Betreten der Büros zugestimmt hatte.

Auch die Brüsseler Wohnung von Jian G. war im 24. April durchsucht worden. Laut einer Mitteilung von Krah selbst auf X – ehemals Twitter – am Dienstagmorgen sei nur das Büro seines ehemaligen Mitarbeiters durchsucht worden: “Weder ich noch andere Mitarbeiter sind betroffen.” Das sei nach G.s Festnahme zu erwarten gewesen und keineswegs überraschend. cyb

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Presseschau

Xi Jingping in Europa – das doppelte Spiel Serbiens RND
Britisches Verteidigungsministerium wurde Ziel eines Cyberangriffs ZEIT
Bundesbank-Chef gegen erneute gemeinsame Schuldenaufnahme der EU HANDELSBLATT
Deutliche Mehrheit findet, dass EU-Politik wichtig für Verbraucherschutz ist RND
Einheitliche Regeln beschlossen: Wie die EU Frauen besser vor Gewalt schützen will TAGESSCHAU
EuGH-Gutachten: EU-Staaten müssen im Ausland erfolgte Geschlechtsänderung anerkennen ZEIT
Lässt sich die EU abzocken? 14 Milliarden Euro Steuergeld zu Unrecht kassiert RND
Verleger reichen bei EU Beschwerde gegen Öffentlich-Rechtliche ein FAZ
Covid19-Impfstoff von AstraZeneca ist nicht länger in der EU zugelassen SPIEGEL
Schlechtes Klima: Österreichs EU-Spitzenkandidaten Lena Schillings gerät in Turbulenzen DER STANDARD
Italien und Lufthansa machen Zugeständnisse für ITA-Übernahme SPIEGEL
Moldau will pro-russische Separatistenregion eingliedern HANDELSBLATT
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Estland ermöglicht Stimmabgabe per Handy bei Wahlen WEB.DE
Aufpreis pro Billigartikel: Frankreich sagt Fast Fashion den Kampf an N-TV
Personalmangel in Italien: “Jugend will nicht arbeiten” MORGENPOST
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Pia Ahrenkilde Hansen: So denkt die Generaldirektorin für Bildung 

Die Dänin Pia Ahrenkilde Hansen ist seit September 2023 Generaldirektorin für Bildung. Zuvor leitete sie die Generaldirektion Kommunikation.

“Als ich mit der Schule fertig war, gab es noch kein Erasmus”, sagt Pia Ahrenkilde Hansen. “Stattdessen habe ich mir etwas Ähnliches selbst gestaltet.” Damals flog sie mit einem One-Way-Ticket nach Paris, arbeitete als Au-pair und lernte an der Sciences Po. Seit September leitet die erfahrene Brüsseler Beamtin nun die EU-Generaldirektion für Bildung, Jugend, Kultur und Sport. Damit verwaltet sie auch das mehr als 26 Milliarden Euro schwere Erasmus-Plus-Programm

“Seit meiner Zeit als Studentin haben wir enorme Fortschritte gemacht”, sagt die 61-jährige Dänin. “Allein von Erasmus haben inzwischen mehr als 15 Millionen Menschen profitiert.” Nach ihrem Frankreichaufenthalt ging sie zurück nach Kopenhagen und studierte dort Wirtschaft, Politik und Sprachen. “Die europäische Dimension kam anfangs noch zu kurz”, erinnert sie sich. Als sie in die Studierendenvertretung gewählt wurde, änderte sie das kurzerhand: “Wir haben gleich einen Samstags-Kurs ‘Europäische Identität’ organisiert.” 

“Europäische Dimension” der Bildungspolitik

Ahrenkilde Hansen war fasziniert davon, wie Menschen verschiedener Kulturen miteinander kommunizieren. Auch deshalb ging sie Anfang der 1990er-Jahre nach Brüssel. Ihr erster Job bei den europäischen Institutionen führte sie in die damalige Generaldirektion für Wettbewerbsfähigkeit. Über die Jahre erarbeitete sie sich einen Ruf als Sprecherin und Kommunikationsexpertin. Bis vergangenen Herbst leitete Ahrenkilde Hansen noch die Generaldirektion Kommunikation

Zu ihrer neuen Rolle als Generaldirektorin für Bildung zieht sie eine direkte Verbindung: “Wir können die Grenzen der Kommunikation mit Bildung ein Stück weit überwinden.” Damit man konstruktiv über Europa diskutieren könne, brauche es ein gegenseitiges Verständnis. Ihren Auftrag sieht sie deshalb darin, dafür zu sorgen, dass Europäer miteinander und voneinander lernen können. Der Druck auf die Bildungssysteme der Mitgliedstaaten sei hoch. Natürlich sei Bildung eine Kompetenz der Nationalstaaten, aber eine mit einer “europäischen Dimension”. 

Verteidigung der europäischen Werte

Es werde immer deutlicher, welche Rolle die Bildungspolitik darin spiele, dem Fachkräftemangel zu begegnen, Europa zusammenzuhalten und die eigenen Werte zu verteidigen. “Die Verbindungen sind enger geworden”, sagt Ahrenkilde Hansen etwa über die Beziehungen zwischen der EU und der Ukraine seit Beginn der russischen Vollinvasion. Die EU habe fünfhunderttausend Schulbücher in das Nachbarland geliefert, die nächste Lieferung sei in Arbeit und solle doppelt so groß ausfallen. Gleichzeitig seien viele Ukrainer, darunter Wissenschaftler und Künstler, mit ihren Kindern nach Europa gekommen. 

Worauf sich Ahrenkilde Hansen gerade freut? In den nächsten Wochen solle ein weiterer Meilenstein erreicht werden auf dem Weg zu einem Europäischen Abschluss. Unis aus mehreren Ländern sollen dann noch enger zusammenarbeiten können. Sie glaubt: “Ein solcher Abschluss könnte ein Markenzeichen für den Europäischen Bildungsraum werden.” Paul Meerkamp 

  • Europäische Kommission

Europe.Table Redaktion

EUROPE.TABLE REDAKTION

Licenses:
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    heute wartet auf die CDU-Delegierten eine Begegnung besonderer Art. Ursula von der Leyen und Markus Söder werden kurz hintereinander auf dem Bundesparteitag über die Zukunft Europas sprechen. Das macht einen direkten, womöglich heiklen Vergleich möglich.

    Einerseits soll die Noch-EU-Kommissionspräsidentin am 9. Juni einen Sieg einfahren, der CDU und CSU zugleich die erhoffte Startposition für die Landtagswahlen im Herbst und die Bundestagswahl 2025 bringt. Andererseits gibt es kaum eine Politikerin, die in der CDU und noch mehr in der CSU so umstritten ist wie von der Leyen.  

    Als Familienministerin piesackte sie viele in der Union mit Elterngeld und Kita-Ausbau. Als Kommissionspräsidentin promotete sie vor allem den Green Deal, was nicht wenigen in der Union größte Schmerzen bereitete. Trotzdem gab es für Friedrich Merz und für die CSU keine andere Option. Eine amtierende Präsidentin kriegt man so schnell nicht wieder.

    Und so muss die Union sie heute bejubeln – und Söder leisten, was ihm nicht leichtfällt: den Teamspieler zu geben.

    Ihr
    Stefan Braun
    Bild von Stefan  Braun

    Analyse

    Diesmal wollen sie am Verhandlungstisch sitzen: Wie koalitionsfähig die Europagrünen sind

    Die Grünen wollen nach den Europawahlen mit Christdemokraten, Sozialisten und Liberalen zusammenarbeiten. Diesen Anspruch erheben Spitzenpolitiker der europäischen Grünen in diesen letzten Wochen vor der Wahl unmissverständlich. Anders als im ablaufenden Mandat, in dem die Grünen nicht Teil der informellen Von-der-Leyen-Koalition waren, wollen sie diesmal sowohl bei der Verteilung von Posten als auch bei den inhaltlichen Schwerpunkten mitreden.  

    Viel hängt vom Wahlergebnis ab. Sollten, worauf die aktuelle Sitzprojektion hindeutet, Christdemokraten, Sozialisten und Liberale eine komfortable Mehrheit haben, würden die Stimmen der Grünen für die Wiederwahl von Ursula von der Leyen möglicherweise gar nicht gebraucht. Doch sollte es knapp werden, sitzen die Grünen vermutlich mit am Tisch.

    Hinter vorgehaltener Hand nennt ein europäischer Spitzengrüner die Bedingung für den Eintritt in eine zweite Von-der-Leyen-Koalition: “Wenn wir Teil vom Spiel sind, dann wollen wir davon auch etwas haben.”

    Deutsche Grüne wollen “Handschrift” sehen

    Bei den deutschen Grünen sieht man es ähnlich. Man müsse nach der Wahl mit der EVP im Europaparlament zusammenarbeiten, ansonsten werde man nicht mehr ernst genommen, sagt etwa einer aus Berlin, der die Europapolitik sehr genau im Blick hat. Die Grünen müssten mitreden, schon allein um den Green Deal zu retten. “Wenn wir nicht mitmachen, müssen wir uns nicht wundern, wenn hinterher die grüne Handschrift fehlt.”

    Über eine informelle Koalition würden Christdemokraten mit Sozialisten, Liberalen und vielleicht den Grünen verhandeln. Am meisten Gewicht können die Christdemokraten in die Waagschale werfen, weil sie laut Umfragen wieder die stärkste Kraft werden.

    Weber: “In ideologische Oppositionsrolle verrannt”

    EVP-Chef Manfred Weber ist keiner, der die Grünen kategorisch ablehnt. Anders als seine Unionskollegen Friedrich Merz oder Markus Söder hat man von ihm keine Schimpftiraden gegen die Partei gehört – selbst in bayerischen Bierzelten nicht. Und doch hat er Bedenken, ob es über Verabredungen zum Personal hinaus Gemeinsamkeiten mit den Grünen geben kann.

    Im abgelaufenen Mandat hätten die Grünen stets mit am Tisch gesessen, Maximalforderungen erhoben und damit das Verhandlungsergebnis geprägt. Und wenn es dann im Parlament zum Schwur kam, hätten sie sich bei wichtigen Dossiers immer wieder verweigert.

    “Die Grünen haben sich in eine ideologische Oppositionsrolle verrannt”, sagt Weber zu Table.Briefings. Die Tür der EVP sei immer offen gewesen, doch am Ende hätten sich die Grünen überwiegend für Blockadepolitik entschieden. Bis auf ganz wenige Ausnahmen hat die grüne Fraktion komplett gegen das Migrationspaket gestimmt, auch die Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes ist bei ihnen durchgefallen.

    Grüne in der Asyl- und Migrationspolitik uneins

    Die Grünen in Europa sind radikaler als viele Grüne in Deutschland. Von den Kretschmann-Grünen im Südwesten, mit denen die Christdemokraten gut klarkommen würden, trennen sie Welten. In der Asyl- und Migrationspolitik etwa ist der Konflikt zwischen den deutschen und den europäischen Grünen groß: Als das Paket im Europaparlament abgestimmt wurde, hatte Außenministerin Annalena Baerbock explizit für die Annahme geworben.

    Die Europafraktion ließ sich davon nicht beeindrucken: Im Miniplenum in Brüssel stimmten namhafte Grüne wie Terry Reintke, Rasmus Andresen und Anna Cavazzini dagegen. Sogar der Solidaritätsmechanismus, die Umverteilung zwischen den Mitgliedstaaten, fand keine Unterstützung. Einzige Ausnahme unter den prominenten Grünen war Bas Eickhout, Co-Spitzenkandidat und mutmaßlich künftiger Co-Fraktionschef: Er stimmte dem Paket zu.

    “Damit bleiben sie den Beweis schuldig, dass sie konstruktiv an Europa mitwirken”, sagt Weber. Er versucht, sie aus der Ecke herauszulocken: “Ich hoffe, dass sie ihren Kurs ändern, aber es bleibt eine Hypothek.” Auch die Politikfelder Verteidigung, Handel, KI und Bürokratieabbau im Binnenmarkt gelten als schwierig.

    Konflikte in der Agrarpolitik

    Die Grünen wehren sich gegen diesen Vorwurf. Ein Spitzengrüner: “Es ist Nonsens, dass wir nur Grün pur geliefert hätten.” Etliche Green-Deal-Gesetze seien mit grüner Unterstützung durchgegangen, teils sogar gegen den Widerstand der Christdemokraten. Doch man sei nicht Mitglied der informellen Koalition gewesen: “Niemand kann uns aber verhaften, wenn wir nicht Teil der Verhandlungen waren.”

    Diesmal wollen die Grünen am Verhandlungstisch sitzen. Bedenken gibt es jedoch nicht nur in der Migrationspolitik. Die Grünen haben im vergangenen Mandat den Kompromiss in der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) komplett abgelehnt. EVP, Liberale und Sozialisten setzen sich für eine Koexistenz von konventioneller und ökologischer Landwirtschaft ein und wollen weiterhin eine Flächenprämie zur Einkommenssicherung der Landwirte.

    Die Grünen verfolgen dagegen einen komplett anderen Ansatz: Sie richten ihr Augenmerk eher auf die ökologische Landwirtschaft und wollen Öko-Leistungen subventionieren. Die Frage der Ernährungssicherheit spielt für sie eine untergeordnete Rolle. Sie wollen die hohen Viehbestände reduzieren. Im kommenden Mandat entscheidet das Parlament über die nächste GAP, die bis 2035 die Branche prägen wird. Ein Kompromiss ist schwer vorstellbar.

    Konflikte dürfte es außerdem bei Themen wie Tierwohl und Tiertransporten geben. Ob die FFH-Richtlinie aufgemacht und der hohe Schutzstandard vom Wolf und weiteren ehemals bedrohten Tierarten herabgesetzt wird, ist ebenfalls strittig. Ein erfahrener Agrarpolitiker der EVP sagt: “Die Landwirtschaft wäre der Kernkonflikt einer Zusammenarbeit mit den Grünen.”

    Keine Zustimmung für Net-Zero Industry Act

    In der Industriepolitik gibt es teils große Differenzen, aber auch Raum für Zusammenarbeit zwischen den Grünen, EVP, Liberalen und S&D. Während Christdemokraten und Sozialisten überwiegend für den Net-Zero Industry Act (NZIA) stimmten, votierten die Grünen dagegen oder enthielten sich. Sie versagten somit dem europäischen Plan zur Unterstützung grüner Technologien “Made in Europe” ihre Zustimmung. Selbst die Solar- und Windindustrie hatten den NZIA begrüßt.

    Stattdessen haben Grünen-Spitzenkandidat Bas Eickhout, der Industriepolitiker Michael Bloss und die belgische MEP Sara Matthieu ihre Vorstellungen für einen Green Industrial Deal vorgestellt. Sie fordern vor allem mehr finanzielle Mittel für den Hochlauf grüner Technologien sowie eine Anreizpolitik über Quoten und Regulierung.

    Ordnungs- gegen Wettbewerbspolitik

    Der EVP-Industriepolitiker Christian Ehler hielt bei einer Veranstaltung von Table.Briefings und Europe-Calling dagegen. Er lehnt weitere ordnungspolitische Vorgaben für die Industrie und bestimmte Technologien strikt ab, will stattdessen einen wettbewerbsbasierten Ansatz durch Stärkung des Marktes. Die Industriepolitik der Grünen hält er für “Träumereien”. “Wir werden es mit öffentlichen Mitteln nicht schaffen, Transformationsprozesse zu finanzieren.”

    Allerdings sind Teile des grünen Plans durchaus im Interesse der EVP, beispielsweise eine Steuerpolitik, die emissionsarme Technologien bevorzugt – frei nach dem anreizorientierten Vorbild des US-amerikanischen Inflation Reduction Act (IRA). Auch finanzielle Mittel für die Unterstützung der Industrie würden der EVP gefallen – zum Beispiel aus dem ETS. “Wenn man einen Emissionshandel hat und daraus Einnahmen erzielt, sollte man die Mittel nutzen, um zu investieren”, sagt Ehler.

    Mehr zweckgebundene Einnahmen aus dem ETS scheitern nicht an den Grünen, sondern an den Mitgliedstaaten. Sie würden das Geld lieber für ihre klammen Haushalte haben. Hier gäbe es also Raum für industriepolitische Kompromisse zwischen Grünen und EVP.

    • FFH-Richtlinie
    • Net Zero Industry Act
    • Ökologische Landwirtschaft
    Translation missing.

    Interview

    Florian Bieber: “Russland ist Nutznießer des Xi-Besuchs”

    Florian Bieber ist Professor für Politik Südosteuropas an der Universität Graz.

    Xi Jinpings Besuch in Serbien fällt auf den 25. Jahrestag der Bombardierung der Botschaft Pekings in Belgrad durch die US-Luftwaffe. Welches politische Signal will Chinas Staatschef damit aussenden?

    Die Bombardierung der Botschaft ist der Grundbaustein der serbisch-chinesischen Freundschaft – auch wenn das Verhältnis erst in den letzten 10 bis 15 Jahren wirklich enger geworden ist. Dass sich beide Seiten so sehr darauf beziehen, reflektiert den Frust Serbiens und Chinas über die westliche Hegemonie, aber auch die vermeintliche Ungerechtigkeit der Nato-Intervention im Kosovo. China hat schon damals die serbische Position gegen die Unabhängigkeit des Kosovo unterstützt. Im Vordergrund steht also ganz klar die Kritik am Westen. 

    Welche Bedeutung hat für Serbien, dass Xi Jinping zum Jahrestag der Bombardierung nach Belgrad kommt?

    China ist in den Vorstellungen Serbiens der wichtigste internationale Partner geworden. Serbien definiert seine Außenpolitik schon seit einer Weile über verschiedene Säulen: die Beziehungen zu Russland, zu China, den USA und der Europäischen Union. Seit der Pandemie ist China zum wichtigsten Partner aufgestiegen. Das hat damit zu tun, dass Russland seit Beginn des Krieges in der Ukraine weniger wirtschaftliche Vorteile bringt. Aber auch die EU-Erweiterung und die europäische Perspektive wird in Serbien als weniger attraktiv betrachtet. Der Besuch zum Jahrestag der Bombardierung unterstreicht zugleich die serbische Erzählweise auf die Vergangenheit, sich selbst als Opfer der Nato-Intervention zu sehen und nicht als Täter im Kosovo.

    Haben Sie die Reihenfolge Russland, China, USA und EU absichtlich so genannt? Die EU kommt hier zum Schluss.

    Ja, im Moment wird aus serbischer Sicht das Verhältnis zur EU wirklich als am wenigsten wichtig betrachtet. Wirtschaftlich gesehen ist die EU nach wie vor ein wichtiger Partner für Serbien, aber nicht politisch. In den Medien, von denen die meisten von Präsident Aleksandar Vučić kontrolliert werden, dominieren ganz klar antiwestliche Bilder. China hingegen wird sehr positiv dargestellt. 

    Das heißt: Serbien mit seiner gewissen Außenseiterrolle wird von China auch noch darin bestärkt, sich zum antiwestlichen Block aus Russland und China zugehörig zu fühlen?

    Absolut. Und wenn man sich anschaut, dass neben Frankreich der einzige Besuch Ungarn gewidmet wird, einem weiteren Enfant terrible, ist das von China schon ein klares Signal, das sich gegen Brüssel wendet. China schaut nicht auf die wirtschaftlich wichtigsten Partnerländer, sondern auf die politisch wichtigsten.

    Wie sieht man China in Serbien?

    In Serbien herrscht ein sehr widersprüchliches Bild. Einerseits sieht man China als starken Unterstützer Serbiens, was die Kosovo-Politik angeht. Deshalb gibt es auch immer wieder starke Aussagen von Präsident Vučić und anderen serbischen Politikern, die unterstreichen, dass Taiwan zu China gehört – so wie der Kosovo zu Serbien. Andererseits gibt es ein negatives Bild von China, einem Land mit schlechten Arbeitsbedingungen, wo ganze Landstriche verschmutzt und zerstört werden. Eine gewisse Kritik an China ist also durchaus vorhanden. 

    China baut eine Eisenbahnstrecke zwischen Belgrad und Budapest – ebenfalls ein Zeichen für eine neue Achse, die Peking stärkt?

    Im Moment mag das in der Tat ganz gut zusammenpassen. Der Hauptgrund für diese Strecke ist aber immer noch wirtschaftlicher Natur. Es geht bei dieser Strecke um eine Linie, die von Piräus nach Westeuropa führen soll. Sie soll also den griechischen Hafen, der sich in chinesischer Hand befindet, mit den europäischen Märkten verbinden. Das ist aus chinesischer Sicht fast wichtiger, als Vučić und Orbán den Rücken zu stärken.  

    Inwiefern ziehen Russland und China auf dem Balkan an einem Strang?

    Xi Jinpings Besuch in Belgrad ist eindeutig antiwestlich ausgerichtet. Und das freut natürlich auch Putin und schwächt dort die EU. Insofern ist Russland indirekt ein Nutznießer dieser Politik. Zugleich hat China aber Russland den Rang als wichtigster Akteur in Serbien abgelaufen. Und das schmerzt Russland natürlich. 

    Florian Bieber ist Professor für Geschichte und Politik Südosteuropas an der Universität Graz. Er leitet dort auch das Zentrum für Südosteuropastudien. Bieber hat unter anderem in Ungarn unterrichtet und in Belgrad gelebt. Er ist Autor des Buches “Pulverfass Balkan” (Ch. Links Verlag, 2023).

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    Draghi-Bericht: Darum beklagen NGOs fehlende Transparenz

    Ein Bündnis zivilgesellschaftlicher Organisationen fordert mehr Transparenz und Beteiligung bei der Erarbeitung des Berichts von Mario Draghi zur Wettbewerbsfähigkeit Europas. Der Bericht werde einen enormen Einfluss auf das Mandat der nächsten EU-Kommission und die Zukunft der EU haben, schreiben die 13 NGOs in einem offenen Brief an den früheren EZB-Präsidenten und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, der am Mittwoch veröffentlicht wird. “Deshalb sind wir sehr besorgt über die mangelnde Transparenz und den fehlenden Zugang zum Prozess der Erstellung dieses Berichts.”

    Von der Leyen hatte Draghi im Herbst beauftragt, den Bericht zu erarbeiten. Nach der Europawahl im Juni will Draghi seine Erkenntnisse veröffentlichen. Der Bericht wird mit Spannung erwartet, da die Worte des früheren italienischen Ministerpräsidenten großes politisches Gewicht haben.

    Warnung vor “Europäischen Champions”

    Draghi hatte zuletzt bei einem Auftritt in La Hulpe Mitte April Einblicke in seine Gedanken gegeben. Den Bericht selbst erstellt er mithilfe eines eigenen Teams in der EU-Kommission, weitgehend abgeschottet von der Öffentlichkeit. Die NGOs kritisieren, Draghi habe sich zwar mit Vertretern des European Round Table for Industry, von Business Europe und einer Gewerkschaft getroffen, viele zivilgesellschaftliche Organisationen aber würden nicht konsultiert. Der Brief wurde unter anderem von LobbyControl, Corporate Europe Observatory und dem Open Markets Institute unterzeichnet.

    Die Verfasser kritisieren auch die Stoßrichtung von Draghis öffentlich geäußerten Plänen. Dieser habe eine Konsolidierung etwa im europäischen Telekom- und Verteidigungssektor gefordert, um auf den Weltmärkten konkurrenzfähig zu sein. Die Organisationen warnen aber davor, auf subventionierte “European Champions” zu setzen: Die Folge sei, “dass die Marktkonzentration in Europa noch weiter zunehmen würde, was den europäischen Verbrauchern, Arbeitnehmern und kleinen Unternehmen schaden und unsere Wettbewerbsfähigkeit untergraben würde”. tho

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    Falsch ausgegebene EU-Gelder: So lange dauert die Rückforderung

    Nicht vorschriftsgemäß ausgegebenes EU-Geld wird nach Ansicht des Europäischen Rechnungshofes nicht schnell genug von der Europäischen Kommission wieder eingezogen. Zwischen dem Ende geförderter Maßnahmen und einer Rückforderung vergingen oft mehr als ein Jahr oder mehr, schreiben die EU-Prüfer in Luxemburg in einem am Dienstag veröffentlichten Bericht.

    Weitere drei bis fünf Monate verstrichen, bevor die Mittel erstattet würden, heißt es weiter. In einem bis acht Prozent der Fälle werde sogar völlig auf die Forderung verzichtet. Allerdings sorge die Kommission für eine genaue und zügige Erfassung der vorschriftswidrigen Ausgaben. Insgesamt seien 4,2 Prozent des EU-Haushalts im Jahr 2022 nicht nach den Regeln ausgegeben worden, also vorschriftswidrig, erklärte der Rechnungshof. Über alle Politikbereiche hinweg seien von 2014 bis 2022 vorschriftswidrige Ausgaben in Höhe von 14 Milliarden Euro gemeldet worden. 

    “Das ist die EU den Steuerzahlern schuldig”

    Die Wiedereinziehung vorschriftswidriger Beträge sei ein wichtiges Instrument, etwa um weitere Unregelmäßigkeiten zu verhindern, schreiben die Autoren. “Die rasche Einziehung falsch ausgegebener EU-Gelder sollte mit aller Entschiedenheit verfolgt werden”, sagte Jorg Kristijan Petrovič, vom Europäischen Rechnungshof. “Das ist die EU den Steuerzahlern schuldig. Erfolgt keine Wiedereinziehung, so würde dies das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die EU schwer beschädigen.”

    Schätzungsweise werden nur 20 Prozent des EU-Haushalts direkt von der Kommission ausgegeben. 70 Prozent werden demnach gemeinsam mit den Mitgliedsländern verwaltet und zehn Prozent von internationalen Organisationen oder Drittländern. dpa

    • EU-Haushalt
    • Rechnungshof

    Gleichstellung: Warum Deutschland beim Antidiskriminierungsgesetz bremst

    Nach mehr als 16 Jahren sucht der Rat noch immer nach einem gemeinsamen Standpunkt zur Antidiskriminierungsrichtlinie. Zwar sei man “so weit gekommen wie noch nie”, sagte die zuständige Gleichstellungskommissarin Helena Dalli am Dienstag. Doch Deutschland, Italien und Tschechien meldeten in einer Orientierungsaussprache im Beschäftigungsrat (EPSCO) Bedenken an. Zu einer Abstimmung kam es daher erneut nicht, auf dem Politikfeld ist Einstimmigkeit erforderlich.

    Die neue, fünfte Antidiskriminierungsrichtlinie ist bereits 2008 von der EU-Kommission vorgeschlagen worden, das Parlament hat seinen Standpunkt dazu 2009 festgelegt. Ziel der Richtlinie ist es, den Schutz vor Diskriminierung etwa wegen Alters und Behinderung auch auf Bereiche außerhalb des Felds “Beschäftigung und Beruf” auszuweiten. Konkret geht es dabei um Waren und Dienstleistungen, den Bildungs- und Wohnsektor sowie das Sozial- und Gesundheitswesen.

    Ein Beispiel: In Deutschland sind derzeit durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) etwa Lehrer vor Diskriminierung durch ihren Arbeitgeber geschützt, nicht aber Schüler vor diskriminierenden Aussagen von Lehrern, zumindest an öffentlichen Schulen. Das regeln stattdessen Schulgesetze, die aber weniger weitreichende Folgen haben als das AGG.

    Viel Klärungsbedarf in Deutschland

    “Ich setze mich innerhalb der Bundesregierung stark dafür ein, dass eine Positionierung Deutschlands rechtzeitig innerhalb der Bundesregierung noch innerhalb der belgischen Ratspräsidentschaft stattfinden kann”, sagte Familienministerin Lisa Paus (Grüne) am Dienstag bei der Aussprache im EPSCO. Aktuell würden die finanzpolitischen Implikationen geprüft, die sich aus der Umsetzung ergeben könnten, auch in Hinsicht auf die Auswirkungen für die Bundesländer, sagte Paus.

    Im Koalitionsvertrag hatte sich die Ampelkoalition auf eine Reform des AGG geeinigt. Es dürfte allerdings noch ein langer Weg sein, bevor Deutschland auf EU-Ebene den Weg freimacht. Erst wenn sich die Bundesregierung auf eine Neupositionierung geeinigt habe, könnten dann überhaupt erst Bedenken hinsichtlich des aktuellen Textes benannt und ausgeräumt werden, sagte Paus bei der Aussprache am Dienstag. Die Zweifel dürften dabei vorwiegend aus Richtung der FDP kommen – aus Sorge vor Mehrkosten für die Wirtschaft und zusätzlicher Bürokratie.

    Auch Italien sagte, es benötige “noch Zeit, um die Auswirkungen prüfen zu können”. Einige Begrifflichkeiten müssten noch präzisiert werden. Tschechien zeigte sich noch kritischer. Das Land vertrat bei der Aussprache die Ansicht, dass keine neuen Rechtsvorschriften auf EU-Ebene nötig seien und die notwendigen Gesetze auf Nationalebene verankert werden sollen. Das Land verwies wie auch Deutschland darauf, dass die bestehenden nationalen Regelungen über die derzeit geltenden EU-Bestimmungen hinausgehen würden.

    Ungarn und Polen sind für das Gesetz

    Dagegen befürwortet Polen inzwischen das Vorhaben, nachdem es dem Gesetz lange Zeit kritisch gegenübergestanden hat. Auch Ungarn möchte das Gesetz gerne finalisieren. Die belgische Ratspräsidentschaft erklärte am Dienstag, sie wolle trotz der knappen Zeit noch versuchen, ein Ergebnis hinzubekommen. Auch Gleichstellungskommissarin Dalli drängte die Staaten dazu, sich nach schwierigen und langwierigen Verhandlungen auf einen gemeinsamen Standpunkt zu einigen.

    Drei weitere Gesetzesvorhaben können nach diesem Dienstag hingegen in Kraft treten. Der Rat verabschiedete zwei Richtlinien, die die Gleichstellungsstellen in den Mitgliedstaaten besser ausstatten sollen und öffentliche Institutionen verpflichten, diese zu konsultieren, wenn es um Diskriminierungsfragen geht.

    Außerdem stellte sich der Rat hinter die Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt. Sie schreibt den Staaten unter anderem vor, weibliche Genitalverstümmelung, Zwangsverheiratung und Cybergewalt – also beispielsweise intime Bilder ohne Einverständnis weiterzuschicken – unter Strafe zu stellen. Anders als vom EU-Parlament gefordert, fehlen in der Richtlinie EU-weite Standards zum Umgang mit Vergewaltigungen. lei

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    Wie sich Robert Habeck die Zukunft der EU vorstellt

    Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat das Prinzip infrage gestellt, dass jedes EU-Land einen Kommissar in Brüssel stellt. “Wir werden eine Lösung finden müssen, wo man poolt oder sich Länder abwechseln”, sagte der Vizekanzler Dienstagabend bei einer Veranstaltung in seinem Ministerium. Zudem müssten qualifizierte Mehrheitsentscheidungen auch in Bereichen eingeführt werden, wo es sie noch nicht gibt. “Sonst hat ein Land immer ein Vetorecht – zum Beispiel Ungarn – und das macht keinen Sinn”, sagte Habeck.

    Reformen brauche die EU vor einer Erweiterung. Habeck nannte insbesondere die Balkanstaaten und die Ukraine: “Sonst hängen diese Länder weiter zwischen Baum und Borke oder sie werden unter russischen Einfluss kommen.”

    Finanzunion trotz Haftungsfragen

    In der Außen- und Sicherheitspolitik sollte die EU nach Meinung Habecks eine stärkere Rolle spielen. “Die Bedrohungslage schreit danach, dass die EU nicht da stehenbleibt, wo sie ist, also nicht nur Notar der Nationalstaaten ist, sondern eine eigene Machtkompetenz bekommt in der Außen- und Sicherheitspolitik.” Als Beispiel nannte er die weitgehend nationale Beschaffung von Rüstungsgütern. Das europaweit verfügbare Finanzvolumen werde derzeit nicht effizient ausgegeben.

    Habeck fordert außerdem mehr Mut zu einer gemeinsamen Finanzpolitik – auch wenn dies zu Haftungsfragen führe. Eine Wirtschaftsunion ohne eine Finanzunion habe kaum strategische Steuerungsfähigkeit. Auch von der Einführung des Euro habe Deutschland profitiert. “Wenn Helmut Kohl den Euro so verhandelt und nur gefragt hätte, was kriege ich raus, wäre er nicht gekommen“, sagte der Grüne.

    Eine stärkere Europäisierung will Habeck beim Inbound und Outbound Investment Screening – auch wenn dies im Einzelfall zum Nachteil Deutschlands sei. Als Beispiel nannte er die Beteiligung chinesischer Unternehmen an europäischen Häfen. ber

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    Europawahl: Das sind die “zukunftsfähigsten” Kandidierenden

    Die überparteiliche Initiative Brand New Bundestag (BNB) präsentiert am Mittwoch eine Liste mit den 100 “zukunftsfähigsten Kandidierenden” aus zehn Ländern. Sie liegt Table.Briefings vorab vor und soll einen partei- und themenübergreifenden “Gegenentwurf zum erwarteten Rechtsruck in den Europawahlen” darstellen.

    Aus Deutschland dabei sind einige Europaabgeordnete wie Delara Burkhardt, Tiemo Wölken (beide SPD) und Svenja Hahn (FDP). Auf der Liste finden sich zudem die Linken-Spitzenkandidatin Carola Rackete, die frühere Grüne-Jugend-Chefin Anna Peters und Eyfer Tunc, die für die CDU in der Bremischen Bürgerschaft saß.

    Aus Frankreich findet sich unter anderem Bernard Guetta darunter, Nummer zwei auf der Wahlliste von Emmanuel Macrons Partei Renaissance. Der Journalist veröffentlichte über 27 Jahre lang jeden Morgen seine geopolitischen Kolumnen im öffentlichen Radiosender France Inter. Ebenfalls auf der BNB-Liste steht Olivier de Schutter, ein belgischer Jurist, der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für Menschenrechte und extreme Armut ist. Bei den Europawahlen kandidiert er auf der Liste der belgischen Grünen, Ecolo. okb, cst, tho

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    Parteiprogramme: So verlief der Start des Wahl-O-Mat

    Wenn Kevin Kühnert auf das Ergebnis des Wahl-O-Mat zur Europawahl hören würde, würde er SPD wählen. Das ist nicht überraschend. Etwas verblüffend ist allerdings, dass die Antworten des SPD-Generalsekretärs nur zu 98,8 Prozent mit denen seiner Partei übereinstimmen. Martin Schirdewan hingegen bringt es am Dienstag bei der Vorstellung des Wahl-O-Mat im Europäischen Haus in Berlin auf 100 Prozent Übereinstimmung mit der Linken. An Kühnerts Ergebnis zeige sich die Zerstrittenheit der SPD, meinte der Linken-Spitzenkandidat.

    “Also 100 Prozent finde ich auch verwirrend”, verteidigte sich Kühnert. “Wer behauptet, er stimmt in allem überein mit seiner eigenen Partei, der lügt. Das kann man nicht anders sagen.” Er habe das Glück als Generalsekretär für das Programm verantwortlich gewesen zu sein. “Daher kenne ich unser Programm sehr gut und identifiziere mich auch sehr stark.”

    Als Politiker gefalle ihm am Wahl-O-Mat nicht, dass es nur drei Antwortmöglichkeiten gebe: Zustimmung, Ablehnung oder neutral. “Bei manchen Fragen hätte man schon das innere Bedürfnis zu sagen, es kommt darauf an, und dann den Sachverhalt zu erläutern”, erläuterte Kühnert. Dafür müssten die Nutzerinnen und Nutzer des Wahl-O-Mat dann in die Begründungen schauen.

    Zum Start des Wahl-O-Mat zur Europawahl kamen am Dienstag auch die Vertreter anderer Parteien. Die CDU hatte wegen ihres Parteitages abgesagt. AfD-Spitzenkandidat Maximilian Krah, dessen Brüsseler Büro am Morgen durchsucht wurde, schickte eine Vertretung.

    Die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) erstellt den Wahl-O-Mat bereits seit 2002 – vor allem, um junge Wählerinnen und Wähler zu mobilisieren. In Deutschland dürfen bei der Europawahl 2024 zu ersten Mal auch 16-Jährige wählen. Der Wahl-O-Mat sei keine Wahlempfehlung, sagte Thomas Krüger. Vielmehr biete er einen spielerischen Zugang, um sich mit den Parteien und ihren Programmen zu beschäftigen.

    “Der Wahl-O-Mat ist das letzte mediale Lagerfeuer, vor dem sich viele Deutschen vor Wahlen versammeln”, sagte Krüger. “Der Wahl-O-Mat ist nicht nur das erfolgreichste Angebot zur Information vor Wahlen, er ist zugleich auch die einfachste Möglichkeit, sich einen wirklich guten Überblick über die Positionen der politischen Parteien zu verschaffen.”

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    Bitkomat: Was Terry Reintke zur europäischen Digitalpolitik sagt

    One in – one out. Von dieser populären Forderung zum Bürokratieabbau, bei dem für ein neues Gesetz zwei bestehende abgeschafft werden sollen, hält Terry Reintke nichts. “Das finde ich zu holzschnittartig”, sagte die Grünen-Spitzenkandidatin bei der Vorstellung des Bitkomat am Dienstag in Berlin. Mit dem Online-Tool will der Digitalverband Bitkom den Wählerinnen und Wählern helfen, die eigenen Präferenzen in der Digitalpolitik mit den jeweiligen Positionen der Parteien zu vergleichen

    Insgesamt 18 Thesen zu den vier Bereichen Innovationsstandort und Zukunftsindustrien, politische Leitprinzipien, digitale Infrastruktur und Nachhaltigkeit sowie Start-ups und Europas digitale Zukunft hat der Bitkom zusammen mit digitalpolitischen Experten entwickelt. Alle deutschen Parteien, die derzeit im EU-Parlament vertreten sind, konnten sich mit “stimme zu / neutral / stimme nicht zu” zu den Thesen positionieren und ihre Antworten kurz erläutern.

    Infrastruktur-Union als Ziel

    Reintke sprach sich für massive Investitionen in die digitale Infrastruktur aus. Die Frage, wie Europa in den nächsten Jahren seine Wettbewerbsfähigkeit erhalten wolle, sei zentral. “Ich weiß, dass der Begriff Subvention manchmal sehr negativ behaftet ist. Aber wir befinden uns gerade wirtschaftlich, aber auch gesellschaftlich in großen Transformationsprozessen”, sagte Reintke. Das gelte sowohl für das Klima als auch für die Digitalisierung, was an vielen Stellen zusammengehe.

    Europa brauche eine digitale Souveränität. “Dafür müssen wir gemeinsam europäisch Geld in die Hand nehmen.” Öffentliche Investitionen feuerten dann häufig auch private Investitionen an. “Deshalb gehen wir mit dem Stichwort Infrastruktur-Union in diesen Europawahlkampf.”

    Die Frage, ob alle neuen Gesetze darauf zu prüfen seien, ob sie Europas Wettbewerbsfähigkeit stärkten, beantwortete Reintke dagegen mit “neutral”. Man müsse sehr vorsichtig sein, wie man Wettbewerbsfähigkeit definiere. “Ich glaube, dass einer der größten Treiber der Wettbewerbsfähigkeit der nächsten Jahre in der Europäischen Union eine klimafreundliche Industrie und klimafreundliches Wirtschaften auch im Digitalbereich sein wird.” Eine starre Kategorisierung sei da nicht hilfreich.

    Verschlankung der DSGVO

    Mit der Datenschutzgrundverordnung habe die EU wichtige Schritte gemacht und – ähnlich wie jetzt mit dem AI Act – einen internationalen Standard gesetzt. Sie finde es sinnvoll, das auf europäischer Ebene zu klären. “Wenn wir über das Thema konkrete Anwendung der Datenschutzgrundverordnung sprechen, dann würde ich schon sagen, dass es Vereinfachungsmöglichkeiten gibt“, räumte sie ein.

    Es gebe zum Teil auch auf Bundesländerebene noch sehr unterschiedliche Auslegungen der DSGVO. Als Grüne sei sie Mitglied einer Bürgerrechtspartei mit hohen Standards, die in der Datenschutzgrundverordnung verankert seien. “Aber in der Tat, in der Umsetzung kann da einiges vereinfacht und verschlankt werden.”

    Keine Zustimmung zu einem Kommissar für Start-ups

    Neutral zeigte sich Reintke bei der Frage, ob es einen Kommissar nur für Start-ups geben sollte. Eigentlich sei das eine gute Idee. Aber der Punkt sei: “Muss das ausschließlich für Start-ups sein oder kann es nicht auch verbunden sein, zum Beispiel mit einem Kommissar, einer Kommissarin für Innovation?” Wenn es eine Person in der Kommission gebe, die sich dezidiert mit einem bestimmten Feld beschäftige, passiere in dem Bereich häufig auch mehr. Deswegen finde sie, dass es jemanden geben sollte, der sich mit hoher Priorität mit den Herausforderungen für Start-ups auseinandersetze. “Das halte ich schon für sehr sinnvoll.”

    Der Frage nach dem Aufbau eines Börsenstandorts für europäische Tech-Champions stimmte Reintke “auf jeden Fall zu”. Auch im Bereich der Kapitalmarktunion sollte die EU weiterkommen, um für Investoren attraktiver zu werden. Dazu müsse Europa den Kapitalmarkt weiter “vervollständigen, vereinfachen, auch bestimmte Prozesse harmonisieren, damit es für Unternehmen einfacher ist, an Geld heranzukommen”. vis

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    • Terry Reintke

    AfD-Spionage-Affäre: So reagiert Krah auf die Durchsuchung seines Büros

    Die Bundesanwaltschaft ließ am Dienstagmorgen die Büroräume des AfD-Spitzenkandidaten Maximilian Krah und dessen ehemaligen Mitarbeiters Jian G. im Europäischen Parlament in Brüssel durchsuchen. Grundlage dafür sind die Beschlüsse des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs sowie eine Europäische Ermittlungsanordnung.

    Jian G.steht unter Verdacht der Spionage für China. Krah selbst ist als Europa-Abgeordneter durch seine parlamentarische Immunität geschützt. Er wird in dem Verfahren gegen Jian G. als Zeuge geführt. Aufgrund der Immunität war die Durchsuchung nur möglich, weil das Europäische Parlament dem Betreten der Büros zugestimmt hatte.

    Auch die Brüsseler Wohnung von Jian G. war im 24. April durchsucht worden. Laut einer Mitteilung von Krah selbst auf X – ehemals Twitter – am Dienstagmorgen sei nur das Büro seines ehemaligen Mitarbeiters durchsucht worden: “Weder ich noch andere Mitarbeiter sind betroffen.” Das sei nach G.s Festnahme zu erwarten gewesen und keineswegs überraschend. cyb

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    Pia Ahrenkilde Hansen: So denkt die Generaldirektorin für Bildung 

    Die Dänin Pia Ahrenkilde Hansen ist seit September 2023 Generaldirektorin für Bildung. Zuvor leitete sie die Generaldirektion Kommunikation.

    “Als ich mit der Schule fertig war, gab es noch kein Erasmus”, sagt Pia Ahrenkilde Hansen. “Stattdessen habe ich mir etwas Ähnliches selbst gestaltet.” Damals flog sie mit einem One-Way-Ticket nach Paris, arbeitete als Au-pair und lernte an der Sciences Po. Seit September leitet die erfahrene Brüsseler Beamtin nun die EU-Generaldirektion für Bildung, Jugend, Kultur und Sport. Damit verwaltet sie auch das mehr als 26 Milliarden Euro schwere Erasmus-Plus-Programm

    “Seit meiner Zeit als Studentin haben wir enorme Fortschritte gemacht”, sagt die 61-jährige Dänin. “Allein von Erasmus haben inzwischen mehr als 15 Millionen Menschen profitiert.” Nach ihrem Frankreichaufenthalt ging sie zurück nach Kopenhagen und studierte dort Wirtschaft, Politik und Sprachen. “Die europäische Dimension kam anfangs noch zu kurz”, erinnert sie sich. Als sie in die Studierendenvertretung gewählt wurde, änderte sie das kurzerhand: “Wir haben gleich einen Samstags-Kurs ‘Europäische Identität’ organisiert.” 

    “Europäische Dimension” der Bildungspolitik

    Ahrenkilde Hansen war fasziniert davon, wie Menschen verschiedener Kulturen miteinander kommunizieren. Auch deshalb ging sie Anfang der 1990er-Jahre nach Brüssel. Ihr erster Job bei den europäischen Institutionen führte sie in die damalige Generaldirektion für Wettbewerbsfähigkeit. Über die Jahre erarbeitete sie sich einen Ruf als Sprecherin und Kommunikationsexpertin. Bis vergangenen Herbst leitete Ahrenkilde Hansen noch die Generaldirektion Kommunikation

    Zu ihrer neuen Rolle als Generaldirektorin für Bildung zieht sie eine direkte Verbindung: “Wir können die Grenzen der Kommunikation mit Bildung ein Stück weit überwinden.” Damit man konstruktiv über Europa diskutieren könne, brauche es ein gegenseitiges Verständnis. Ihren Auftrag sieht sie deshalb darin, dafür zu sorgen, dass Europäer miteinander und voneinander lernen können. Der Druck auf die Bildungssysteme der Mitgliedstaaten sei hoch. Natürlich sei Bildung eine Kompetenz der Nationalstaaten, aber eine mit einer “europäischen Dimension”. 

    Verteidigung der europäischen Werte

    Es werde immer deutlicher, welche Rolle die Bildungspolitik darin spiele, dem Fachkräftemangel zu begegnen, Europa zusammenzuhalten und die eigenen Werte zu verteidigen. “Die Verbindungen sind enger geworden”, sagt Ahrenkilde Hansen etwa über die Beziehungen zwischen der EU und der Ukraine seit Beginn der russischen Vollinvasion. Die EU habe fünfhunderttausend Schulbücher in das Nachbarland geliefert, die nächste Lieferung sei in Arbeit und solle doppelt so groß ausfallen. Gleichzeitig seien viele Ukrainer, darunter Wissenschaftler und Künstler, mit ihren Kindern nach Europa gekommen. 

    Worauf sich Ahrenkilde Hansen gerade freut? In den nächsten Wochen solle ein weiterer Meilenstein erreicht werden auf dem Weg zu einem Europäischen Abschluss. Unis aus mehreren Ländern sollen dann noch enger zusammenarbeiten können. Sie glaubt: “Ein solcher Abschluss könnte ein Markenzeichen für den Europäischen Bildungsraum werden.” Paul Meerkamp 

    • Europäische Kommission

    Europe.Table Redaktion

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