Table.Briefing: Europe

Séjourné folgt auf Breton + Neues Urteil gegen Google + EP-Verwaltung reformiert sich

Liebe Leserin, lieber Leser,

fest steht: Ursula von der Leyen geht heute um 9 Uhr in die Runde der Fraktionschefs und unterrichtet diese über den Stand bei der Bildung der Von-der-Leyen-Kommission II. Wie weit ihre Planungen gediehen sind? Wer ihre Stellvertreter sein sollen, die eine herausgehobene Position unter den Kommissaren haben? Welche Portfolios von welchen Bewerbern abgedeckt werden sollen? Ob Ursula von der Leyen Antworten gibt auf all diese Fragen, blieb auch am Montag unklar.

Am späten Abend traf sich die Kommissionspräsidentin mit den führenden Köpfen der Mehrheitsfraktionen im Europäischen Parlament. Von der Leyen habe diese Treffen vor der Fertigstellung der Liste der designierten Kommissare organisiert, so hört man, um sich mit Manfred Weber (EVP), Iratxe García Pérez (S&D) und Valérie Hayer (Renew) auszutauschen.

Es zeichnet sich lediglich ab, dass hinter dem Portfolio und der Bewerberin aus Slowenien ein Fragezeichen zu machen ist. Das Parlament des Zwei-Millionen-Einwohner-Mitgliedstaates hat noch immer nicht die von der Regierung nominierte Kandidatin Marta Kos bestätigt. Oppositionsführer und Rechtspopulist Ivan Janez Janša macht weiter Anleihen bei Viktor Orbán und blockiert die Formierung der Exekutive der gesamten EU.

Apropos Orbán: Er kommt nicht morgen zur Debatte ins Europaparlament, um die Inhalte der ungarischen Ratspräsidentschaft mit der Legislative zu diskutieren. Er sagte ab, wegen der Fluten in seinem Land. Die Grünen-Fraktion ist ein bisschen enttäuscht. Sie wollte ihren Lieblingsfeind mit einem TV-trächtigen Spektakel begrüßen und muss sich nun damit bis in die erste oder zweite Straßburg-Woche im Oktober gedulden. So richtet sich der Fokus in Straßburg vornehmlich auf die Kommission. Kommen Sie gut durch den Tag! 

Ihr
Markus Grabitz
Bild von Markus  Grabitz

Analyse

Von der Leyen drängt Breton aus neuer Kommission

Die Spannungen zwischen Kommissionspräsidentin und Kommissar waren schon länger offenkundig, am Montagmorgen kam es dann zum Knall: Thierry Breton reichte seinen sofortigen Rücktritt ein und warf Ursula von der Leyen einen “fragwürdigen Führungsstil” vor.

Der bisherige Binnenmarktkommissar wählte damit die Flucht nach vorne. Kurz darauf wurde publik, dass Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ihn durch einen anderen Kandidaten für die neue Kommission ersetzt: Stéphane Séjourné, scheidender Außenminister, Vorsitzender der Regierungspartei Renaissance und zu Jahresbeginn noch Fraktionsvorsitzender der Liberalen im Europaparlament.

“Absurdes Theater”

Bretons lautstarker Abgang belastet aber auch von der Leyens Start in die zweite Amtszeit. Die Kommissionspräsidentin kämpfte bei der Zusammensetzung ihres neuen Kollegiums mit Verzögerungen, verursacht durch Männerüberschuss unter den nominierten Kommissarsanwärtern, Befindlichkeiten bei den sie tragenden Parteienfamilien und Machtspielen in Slowenien. Und nun der späte Austausch ausgerechnet des französischen Kandidaten. “Langsam verkommt die Nominierung der neuen Europäischen Kommission zu einem absurden Theater”, kommentiert der SPD-Europaabgeordnete Bernd Lange.  

Das Last-Minute-Manöver deutet darauf hin, dass für von der Leyen Kandidat und Portfoliovorstellungen nicht in Einklang zu bringen waren. Macron strebt für Frankreich ein Schlüsselressort in der Kommission an, das die industrielle und technologische Souveränität sowie die europäische Wettbewerbsfähigkeit umfasst, wie es aus dem Élysée-Palast hieß. Über den Zuschnitt verhandelte der Präsident mit von der Leyen intensiv in den vergangenen Wochen.

Verhältnis war belastet

Von der Leyen wollte Breton eine solch zentrale Rolle aber offenbar nicht zugestehen. Das Verhältnis der beiden Politiker ist seit längerem belastet. Breton hatte von der Leyen im Frühjahr intern und öffentlich dafür kritisiert, den CDU-Europaabgeordneten Markus Pieper zum neuen Mittelstandsbeauftragten zu berufen. Bereits bei dieser Gelegenheit stellte er ihren Führungsstil infrage, bemängelte insbesondere die fehlende Einbindung der Kommissare in ihre Personalentscheidungen. Pieper zog angesichts des Widerstandes schließlich zurück.

Zudem kommentierte Breton von der Leyens Abstimmungsergebnis bei ihrer Wahl zur EVP-Spitzenkandidatin für die Europawahl Anfang März auf X/Twitter mit den Worten: “Die EVP selbst scheint nicht an ihre Kandidatin zu glauben”. Damit handelte sich der Liberale dem Vernehmen nach einen Rüffel Macrons ein. Bretons öffentliche Scharmützel mit X-Eigentümer Elon Musk im August bestätigten von der Leyen in ihrem Eindruck, dass es dem früheren Konzernchef an politischem Fingerspitzengefühl fehle.

Wollte Breton zu viel?

Breton hielt von der Leyen in seinem Rücktrittsschreiben vor, sie habe Macron vor einigen Tagen aufgefordert, seinen Namen für die neue Kommission zurückzuziehen – und das aus persönlichen Gründen, die sie nicht direkt mit ihm besprochen habe. Im Gegenzug habe sie Frankreich ein einflussreicheres Portfolio in ihrer neuen Kommission in Aussicht gestellt.

Breton war bislang als möglicher Exekutiver Vizepräsident in der neuen Kommission gehandelt worden. In dieser Rolle aber hätte er kaum wie bislang gleich drei Generaldirektionen (für Binnenmarkt, Digitales und Verteidigung) führen können, meint Andreas Schwab, binnenmarktpolitischer Sprecher der EVP-Fraktion. “Das war für die Kommissionspräsidentin objektiv schwierig zu erfüllen, sie muss ja auch Aufgaben für 25 andere Kommissarinnen und Kommissare finden.” Breton hätte also auf die Beförderung zum Vizepräsidenten verzichten müssen oder darauf, selbst mithilfe der Fachbeamten die einzelnen Gesetzesvorschläge zu formulieren. Beides dürfte ihm schwergefallen sein.

Von der Leyen hat zudem klargemacht, dass sie weiblichen Kommissaren mit Regierungserfahrung wichtige Rollen zuschreiben will. Für die Ressorts Innovation und Digitales wurden die Finnin Henna Virkkunen und die Portugiesin Maria Luís Albuquerque gehandelt.

Séjourné als Wegbegleiter Macrons

Der frühere Atos- und France-Télécom-Chef Breton hatte vor allem die Digitalpolitik der Kommission geprägt. Er zeichnete für Data Act, Digital Services Act, den Digital Markets Act und AI Act verantwortlich und setzte zudem industriepolitische Ausrufezeichen über Chips Act und Critical Raw Materials Act. Schwab sagt, er habe stets gut mit Breton zusammengearbeitet. “Er war sehr an der Sache interessiert und hatte eigene Ideen.” Allerdings habe der frühere Top-Manager “eine große Unabhängigkeit empfunden, was seine Eingliederung ins College sicherlich nicht erleichtert hat”.

Séjourné kündigte nach seiner Nominierung an, am Mittwoch nach Straßburg zu reisen, um mit den Europaabgeordneten zu sprechen. Bislang galt er nicht als ausgewiesener Wirtschafts- oder Digitalpolitiker. Der Jurist gehörte zu den frühen Unterstützern von Macron und machte in dessen Fahrwasser Karriere.

Der heute 39-Jährige managte etwa den Wahlkampf für die Präsidentschaftswahl 2017 und arbeitete danach als Berater Macrons im Élysée-Palast. 2019 zog er ins Europaparlament ein, wo er zunächst im Rechtsausschuss und im Sonderausschuss zu Künstlicher Intelligenz saß.

Bereits nach zwei Jahren stieg er zum Vorsitzenden der Renew-Fraktion auf. Anfang des Jahres holte ihn Macron dann als Außenminister nach Paris. Séjourné spricht fließend Spanisch, aber nur dürftig Englisch.

  • Chips
  • Chips Act
  • Critical Raw Materials Act
  • CRMA
  • Digital Markets Act
  • Digital Services Act
  • Digitalpolitik
  • Emmanuel Macron
  • EU-Kommission
  • EVP
  • Industriepolitik
  • Innovation
  • Maria Luís Albuquerque
  • Stéphane Séjourné
  • Thierry Breton
  • Ursula von der Leyen
Translation missing.

Das nächste Google-Urteil: Hoffnung ruht auf dem DMA

Heute verkündet das Gericht der EU (EuG) sein Urteil in einem weiteren Rechtsstreit zwischen Google und der Europäischen Kommission. Zwar schauen betroffene Unternehmen aufmerksam nach Luxemburg. Mit deutlich mehr Spannung betrachten europäische Wettbewerber jedoch, was sich bei der Durchsetzung des Digital Markets Act (DMA) tut.

Im März 2019 hatte die Kommission gegen Google eine Geldbuße in Höhe von 1,49 Milliarden Euro verhängt wegen des Missbrauchs einer beherrschenden Stellung auf dem Markt für Online-Werbung (Google AdSense). Google und Alphabet haben diesen Beschluss vor dem Gericht der EU angefochten. Am heutigen Dienstag wollen die Luxemburger Richter ihr Urteil sprechen.

Eine Woche zuvor hatte der Europäische Gerichtshof eine Geldbuße der Kommission aus dem Jahr 2017 über 2,4 Milliarden Euro gegen Google für rechtskräftig erklärt. Dabei hat der Fall Google Shopping gezeigt, dass die Strafen zunächst keine nachhaltigen Veränderungen auf den betroffenen Märkten bewirkt haben. Viele der Unternehmen, die sich damals beschwert haben, sind nicht mehr im Geschäft.

Nur kosmetische Veränderungen

Nach der Entscheidung Vestagers im Jahr 2017 habe “Google nur kosmetische Änderungen vorgenommen, die das Problem nicht gelöst haben“, sagt Albrecht von Sonntag, Mitgründer und Beirat von Idealo im Gespräch mit Table.Media. “Wir fordern faire und gleichberechtigte Behandlung innerhalb der gesamten Suchergebnisseite.”

Das deutsche Preisvergleichsportal Idealo hatte das EuGH-Verfahren gegen Google Shopping über eine Tochtergesellschaft zunächst als Beschwerdeführer und anschließend als Streithelfer begleitet. Parallel dazu reichte Idealo 2019 eine Schadenersatzklage gegen Google im Volumen von 500 Millionen Euro beim Landgericht Berlin ein. Dieses Verfahren wird jetzt wieder aufgenommen.

“Das Landgericht Berlin hat inzwischen sein Personal aufgestockt”, sagt Sonntag. “Wir rechnen mit einem zügigen Verfahren.” Und mit reichlich Beweismaterial. “Für das Gerichtsverfahren vor dem EuGH hat die Kommission sieben Jahre Recherchearbeit geleistet“, erläutert Sonntag. Sie habe unter anderem herausgefunden, wie viel Traffic Google auf die eigenen Dienste umgeleitet habe (self-preferencing). “Dieses Material können wir jetzt im Verfahren nutzen.”

Durchsetzung kann deutlich schneller erfolgen

Sonntag nennt den DMA eine Meisterleistung, da er sofort greife, sobald sich die designierten Unternehmen nicht an die Regeln halten. “Der DMA ist ein wirksames und schnell wirkendes Instrument”, meint Sonntag. “Es kommt jetzt nur darauf an, ihn auch umzusetzen. Dazu braucht die Kommission Mut und Entscheidungswillen.” Noch sei alles in etwa so, wie es vorher war. “Google macht weiter so wie vor 15 Jahren. Ich gehe aber davon aus, dass das Urteil Grundsatzwirkung auch auf andere Märkte hat”, sagt Sonntag.

Außerdem braucht die Kommission Leute für die Umsetzung. Nur wenige Wochen nachdem der DMA auf die Gatekeeper angewendet wurde, eröffnete die Kommission im März 2024 Verfahren wegen mutmaßlicher Verstöße gegen Apple, Alphabet und Meta. Die Kommission veröffentlichte vorläufige Feststellungen zum Pay-or-Consent-Modell von Meta im Juli 2024 und zu Apples Steuerungsregeln für den App Store im Juni 2024.

“Diese Durchsetzungsmaßnahmen zielen in erster Linie darauf ab, die Gatekeeper zu freiwilliger Einhaltung zu bewegen”, teilt eine Kommissionssprecherin mit. Die Kommission habe nach diesen Maßnahmen bereits Änderungen gesehen: Zum Beispiel teste Apple jetzt neue Lösungen, um die DMA-Verpflichtungen zu erfüllen, gemäß denen Gatekeeper den Nutzern die Wahl von Standardbrowsern und Suchmaschinen sowie die Deinstallation vorinstallierter Gatekeeper-Apps ermöglichen müssen.

Permanentes Monitoring der Gatekeeper

“Wichtig ist, dass die Durchsetzungsarbeit der Kommission nicht nur Fälle der Nichteinhaltung verfolgt: Wir sind in ständigem Dialog mit allen Gatekeepern über alle ihre Verpflichtungen”, sagte die Sprecherin.

Renate Nikolay, stellvertretende Generaldirektorin der DG CNECT, spricht von einem “permanenten Monitoring”. Zudem könne die Kommission wesentlich schneller reagieren. “Auch die Perspektive hat sich geändert: Beim DMA nehmen wir die Perspektive des Binnenmarkts ein. Anders als bei Anti-Trust-Verfahren liegt die Burden-of-Proof nun bei den Unternehmen.”

Um auch die betroffenen Wettbewerber einzubinden und um für direktes Feedback zu den von den Gatekeepern vorgeschlagenen Maßnahmen zu sorgen, veranstaltet die Kommission Workshops mit interessierten Unternehmen.

100 Mitarbeiter im Jahr 2024

Die Umsetzung und Durchsetzung des Digital Markets Act ist ein gemeinsames Projekt der Generaldirektion Kommunikationsnetze, Inhalte und Technologien (DG CNECT) und der Generaldirektion Wettbewerb (DG COMP), unterstützt vom juristischen Dienst der Kommission. “In den beiden Generaldirektionen haben wir mehrere operative Einheiten, die, wie im Gesetzgebungsvorschlag für die Durchsetzung des DMA vorgesehen, insgesamt etwa 100 Mitarbeiter im Jahr 2024 umfassen”, so die Sprecherin. Zudem greife die Kommission auf das Fachwissen von Behörden der Mitgliedstaaten zurück und benenne externe Experten.

“Das heißt nicht, dass das auf Dauer ausreicht”, sagte Nikolay. “Aber es ist ein gut organisiertes Team und es ist gut angelaufen.”

  • Digital Markets Act
  • Digitalpolitik
  • EU-Binnenmarkt
  • Wettbewerbspolitik
Translation missing.

Termine

18.09.2024 – 09:00-17:00 Uhr, Washington D.C. (USA)
AI Aspen Cyber Summit
The Aspen Institute (AI) addresses the cybersecurity challenges of today. INFOS & REGISTRATION

18.09.2024 – 14:00-15:30 Uhr, online
DE, Panel Discussion Sustainable data centres in the AI era: Dream or reality?
Digital Europe uncovers the latest innovations and best practices in energy efficiency and sustainability within the data centre industry.   INFOS & REGISTRATION

18.09.2024 – 14:00-15:30 Uhr, online
FSR, Discussion Which Hydrogen Network for Work?
The Florence School of Regulation (FSR) compares two hydrogen visions and discusses how they could contribute to a ‘no-regrets’ approach to the hydrogen network. INFOS & REGISTRATION

18.09.2024 – 18:00-19:30 Uhr, online
HWK, Seminar Update Lieferkettengesetz – Was kommt auf uns zu und wann?
Die Handwerkskammer (HWK) informiert über die Auswirkungen des Lieferketten-Sorgfaltspflichtengesetzes auf das Handwerk. INFOS & ANMELDUNG

18.09.2024 – 19:00 Uhr, Hamburg
KS, Diskussion Qual der US-Wahl? Die Folgen für Europas Sicherheit
Die Körber Stiftung (KS) diskutiert die möglichen Auswirkungen der künftigen US-Präsidentschaft auf die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik. INFOS & ANMELDUNG

19.09.-20.09.2024, Trier
ERA Annual Conference on Law and Sustainable Finance in the EU 2024
The Academy of European Law (ERA) provides an update on the latest developments in sustainable finance law and addresses the currently most burning issues in the field such as greenwashing, ESG risk management and disclosure. INFOS & REGISTRATION

19.09.2024, online
AI, Workshop German-American Trade and Technology Dialogue 2023-2024
Das Aspen Institute (AI) wirft einen Blick auf die transatlantischen Handelsbeziehungen. INFOS & ANMELDUNG

19.09.2024 – 09:00-18:00 Uhr, Berlin
FI, Konferenz Public Data – besser mit Behördendaten umgehen
Das Frauenhofer-Institut (FI) geht der Frage nach, wie Datenmanagement und -governance praktisch gelingen können. INFOS & ANMELDUNG

19.09.2024 – 09:00-17:30 Uhr, Berlin/online
HBS, Konferenz Labora
Die Hans-Böckler-Stiftung (HBS) nimmt aktuelle Debatten zur Transformation der Arbeitswelt auf. INFOS & ANMELDUNG

19.09.2024 – 10:00-16:00 Uhr, Berlin/online
SD, Konferenz Soziale Medien und Datenschutz – wie geht das zusammen?
Die Stiftung Datenschutz (SD) diskutiert verschiedene Aspekte rund um den Datenschutz in sozialen Netzwerken. INFOS & ANMELDUNG

19.09.2024 – 10:00-12:30 Uhr, online
ZIA, Seminar Nach der Taxonomie – (schon) wieder neue ESG-Vorschriften für die Immobilienwirtschaft
Der Zentrale Immobilien Ausschuss (ZIA) informiert über den neuesten Stand der ESG-Vorschriften für die Immobilienwirtschaft. INFOS & ANMELDUNG

19.09.2024 – 14:00 Uhr, Berlin
EBD, Briefing ,Kommission direkt’ mit Barbara Gessler zum Programm der neuen EU-Kommission
Die Europäische Bewegung Deutschland (EBD) diskutiert darüber, wie die neue EU-Kommission ihre Prioritäten mit Leben füllen will und welche Gesetzesvorhaben geplant sind. INFOS & ANMELDUNG

19.09.2024 – 15:00-16:30 Uhr, online
Hydrogen Europe, Seminar The Low Carbon Hydrogen Delegated Act, the last missing piece of the hydrogen legislative puzzle?
Hydrogen Europe (HE) introduces its expectations of the Delegated Act, with a discussion regarding accurate accounting for upstream emissions. INFOS & REGISTRATION

News

Europaparlament: Verwaltung soll schlagkräftiger werden

Das Büro des Europaparlaments, in dem Parlamentspräsidentin Roberta Metsola und die 14 Vize-Präsidenten vertreten sind, verhandelt über eine Reform der Parlamentsverwaltung. Die Generaldirektion für interne Politiken (DG IPOL) soll in vier Generaldirektionen (GD) aufgespalten werden, die thematische Zuständigkeiten bekommen.

Die neuen GD sollen ab Januar arbeitsfähig sein. Die bisherige Direktion für die Koordinierung der Gesetzgebung und der Ausschüsse soll dem stellvertretenden EP-Generalsekretär untergeordnet werden. Derzeit hat die IPOL knapp 600 Mitarbeiter. Die vier neu zu bildenden GDs sollen ihr Personal deutlich aufstocken. Über die nächsten Jahre soll ihr Personal durch Umbesetzungen innerhalb der Verwaltung verdoppelt werden. Dies soll haushaltsneutral geschehen.

Die Verwaltungsstruktur wurde zuletzt 2004 angepasst

Hintergrund der Neuorganisation ist: Die Verwaltung des Europaparlaments soll schlagkräftiger werden. Ziel ist es, den Abgeordneten besser zuzuarbeiten, damit das Parlament seinen Kompetenzen bei Gesetzgebung, Kontrolle und Haushalt besser nachkommen kann. Abgeordnete sollen etwa auch besser auf die Triloge vorbereitet werden.

Die Rolle des Parlaments ist mit dem Lissaboner Vertrag gestärkt worden, ohne dass die Verwaltungsstruktur angepasst wurde. Das letzte Mal ist dies 2003/2004 geschehen. Die Arbeit der Abgeordneten wurde bereits reformiert (Parlament 2024). Nun sollen auf der Verwaltungsseite entsprechend die Weichen gestellt werden. Auch die interne Expertise sowie die Fähigkeiten zur Datenanalyse der Verwaltung soll gestärkt werden. mgr

  • Europäisches Parlament
  • Roberta Metsola

Rechnungshof: Bemessung der Plastikmüll-Eigenmittel fehleranfällig

Seit 2021 erhebt die EU ein neues Eigenmittel, das zur Rückzahlung des Wiederaufbaufonds beitragen soll: Mitgliedstaaten müssen pro Kilo nicht recyceltem Plastikmüll 0,8 Euro in den EU-Haushalt zahlen. In einem neuen Bericht kritisiert der EU-Rechnungshof, dass die Bemessung des neuen Eigenmittels fehleranfällig sei und ungenügend kontrolliert werde. Dies führe dazu, dass das Eigenmittel wahrscheinlich falsch berechnet werde.

7,2 Milliarden Euro nahm die EU 2023 über das neue Eigenmittel ein, was circa vier Prozent des Haushalts entspricht. Aber ob dies der finale Betrag sein wird, ist unklar. Denn die ersten Schätzungen haben sich als ungenau erwiesen, wie der Rechnungshof feststellt. So sei 2021 die Menge nicht wiederverwendeter Plastikabfälle um 1,4 Milliarden Kilogramm oder knapp 20 Prozent unterschätzt worden. Das führt dazu, dass der Beitrag, den die Mitgliedstaaten in den Haushalt einzahlen, nachträglich angepasst werden muss.

Daten nicht ausreichend vergleichbar

Der Rechnungshof berichtet zudem, dass es beim Start des neuen Eigenmittels erhebliche Umsetzungsprobleme gegeben habe. “Der Hof kommt zu dem Schluss, dass die Mitgliedstaaten nicht ausreichend auf die Einführung der Eigenmittel auf der Grundlage nicht recycelter Verpackungsabfälle aus Kunststoff vorbereitet waren”, steht im Bericht. Zudem seien die verwendeten Daten “nicht ausreichend vergleichbar und zuverlässig“.

Die Mitgliedstaaten wenden laut Rechnungshof nicht die korrekten Verfahren für die Datenzusammenstellung an. Zudem sei nicht garantiert, dass die als recycelt deklarierten Kunststoffabfälle tatsächlich wiederverwendet würden. Der Rechnungshof bewertet die Kontrollen der Kommission als nicht ausreichend. Ein weiterer kritischer Punkt sei die Ausfuhr von Plastikabfällen, da die Mitgliedstaaten nicht garantieren können, dass die Recyclingprozesse in Drittstaaten den Normen der EU entsprechen.

Mangelhafte Umsetzung der Verpackungsrichtlinie

Ein zentrales Problem ist laut den Prüfern des Rechnungshofs die verspätete und mangelhafte nationale Umsetzung der Richtlinie über Verpackungen und Verpackungsabfälle. Nur fünf Mitgliedstaaten hatten die Richtlinie rechtzeitig umgesetzt. Mittlerweile sei die Richtlinie zwar fast überall in nationales Recht überführt worden, doch unterschieden sich die verwendeten Definitionen von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat. Die Prüfer fordern die EU-Kommission auf, hier ordnend einzuschreiten.

Ein Sprecher der Kommission sagte, dass die Kommission die Kritik und die Vorschläge des Rechnungshofs in Teilen akzeptiere. Es sei notwendig, die Datenvergleichbarkeit zu verbessern. Zudem habe die Kommission neue Maßnahmen getroffen, um sicherzustellen, dass als recycelt gemeldete Abfälle auch tatsächlich recycelt würden. jaa

  • EU-Haushalt
  • Fiskalpolitik
  • Kunststoffe
  • Recycling
  • Verpackungen
  • Wiederaufbaufonds

Agora Energiewende: Grüne Investitionen helfen Wirtschaftswachstum

Die Investitionen, die erforderlich sind, um das vorgeschlagene EU-Klimaziel für 2040 von 90 Prozent CO₂-Reduktion zu erreichen, würden der EU-Wirtschaft zu einem Wachstum von etwa zwei Prozent verhelfen. Das ist das Ergebnis einer Studie des Thinktanks Agora Energiewende. Investitionen in Cleantech, Netto-Null-Infrastruktur und Gebäudesanierung würden die Produktion in der EU stärken, neue Arbeitsplätze schaffen und die wirtschaftliche Konvergenz zwischen West- und Osteuropa fördern, schreibt Agora.

Besonders kleinere EU-Länder könnten demnach profitieren. Während für Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien als Ergebnis der Investitionen in die Klimaneutralität nur ein geringeres Wirtschaftswachstum prognostiziert wird, könnte Polens Bruttoinlandsprodukt (BIP) bis 2040 um rund fünf Prozent gegenüber dem Ausgangsniveau steigen.

Halbe Billion Euro im Jahr erforderlich

Das EU-Klimaziel 2040 von 90 Prozent CO₂-Reduktion ist noch nicht beschlossen. Die EU-Kommission hatte im Februar ihre Pläne vorgestellt und arbeitet derzeit an einem entsprechenden Gesetzespaket. Mitgliedstaaten werden voraussichtlich Ende diesen oder Anfang kommenden Jahres gemäß internationalen Verpflichtungen ihre Position festlegen. Ein niedrigeres CO₂-Reduktionsziel ist nicht ausgeschlossen.

Sollte das 90-Prozent-Ziel der Kommission bestätigt werden, geht Agora Energiewende davon aus, dass in den 2020er-Jahren Investitionen von mindestens 462 Milliarden Euro (2,7 Prozent des EU-BIP) erforderlich sein werden. In den 2030er-Jahren steige der Investitionsbedarf auf 3,3 Prozent des BIP oder 564 Milliarden Euro. luk

  • Agora Energiewende
  • EU-Klimapolitik
  • EU-Klimaziel 2040
  • Europapolitik
  • Green Claims
  • Klima & Umwelt
  • Klimaneutralität
  • Klimapolitik

Naturschutz: Wie von der Leyen trotz knapper Kassen mehr Anreize setzen will

Künftig könnte über Nature Credits” oder “Naturgutschriften” privates Kapital mobilisiert werden, um Anreize für Umwelt- und Artenschutz zu schaffen. Das schlug EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Freitag in München in einer Rede vor der DLD Nature Konferenz vor. Wasserversorger, die sauberes Quellwasser brauchten, oder Obsthändler, die auf Bestäuber angewiesen seien, könnten über Naturgutschriften lokale Akteure und Landwirte unterstützen, die Ökosystemleistungen erbringen, führte die CDU-Politikerin aus.

Für von der Leyens zweite Amtszeit könnte ein solches Modell zum zentralen Baustein der Agrarpolitik werden. Denn so könnte die wiedergewählte Kommissionspräsidentin ihr Versprechen einlösen, Landwirten mehr Anreize für Umweltleistungen zu bieten, ohne dafür das GAP-Budget aufstocken zu müssen. Kritik kommt vom EU-Bauernverband Copa Cogeca: “Nature Credits” seien nicht im Einklang mit den Empfehlungen des Strategischen Dialogs.

Nabu sieht Potenzial, warnt aber vor Greenwashing

Umweltschützer sehen dagegen Potenzial. “Ein Zusammenspiel aus staatlichen und privaten Systemen ist wichtig, denn kein Akteur kann die Naturkrise alleine lösen”, sagt Laura Henningson, Nabu-Referentin für Agrobiodiversität, zu Table.Briefings. Wichtig sei aber, dass nicht im Gegenzug staatliche Mittel reduziert würden, zum Beispiel in der GAP. Auch Greenwashing sieht sie als Risiko. Denn für Biodiversitätsleistungen gebe es, anders als im Klimabereich, noch kein anerkanntes Messsystem, und ein solches zu entwerfen, sei komplex.

Um Greenwashing vorzubeugen, müssten ein verifizierter Standard und ein effektives Monitoring-Programm entwickelt werden, fordert Henningson. Von der Leyen verweist darauf, dass die Europäische Kommission gemeinsam mit der UN bereits an einer globalen Norm für Naturgutschriften arbeite. Mit den Mitgliedstaaten bereite man zudem erste Pilotprojekte in dem Bereich vor. jd

  • Biodiversität
  • Europäische Kommission
  • Greenwashing
  • Naturschutz
  • Umweltschutz
  • Ursula von der Leyen

Kommission: Frist für Preisangebote chinesischer E-Autohersteller ist abgelaufen

Die Frist für chinesische Elektrofahrzeughersteller, Preisverpflichtungen zur Vermeidung von Zöllen einzugehen, ist abgelaufen. Das teilte die EU-Kommission am Montag mit. Es bestehe keine Möglichkeit zur Überarbeitung ihrer Angebote, nachdem alle abgelehnt worden seien.

Die Kommission, die eine Anti-Subventionsuntersuchung gegen in China hergestellte Elektrofahrzeuge durchführt, erklärte, dass mehrere Exporteure von Elektrofahrzeugen Preiszusagen unterbreitet hätten. Dabei handelt es sich um die Verpflichtung eines Exporteurs, Mindestimportpreise einzuhalten, um Subventionen auszugleichen.

“Die Frist für die Einreichung solcher Angebote war der 24. August, und es gibt keine Möglichkeit, über diese Frist hinaus neue Preiszusagen im Rahmen der Regeln dieser Art von Untersuchung anzubieten”, sagte ein Sprecher der Kommission am Montag. Die EU-Exekutive erklärte, sie sei weiterhin offen für eine Lösung, solange diese vollständig mit den Regeln der Welthandelsorganisation vereinbar sei und die identifizierten Subventionen ausgleiche.

Keine Zeit für eine neue Einreichung

Alle Preiszusagen der chinesischen Automobilhersteller gingen am 24. August ein, sagte der Sprecher, sodass nach der Ablehnung der Angebote keine Zeit für eine erneute Einreichung blieb. “Die betreffenden chinesischen Automobilhersteller hatten viele Wochen vor der Frist Zeit, eine solche Preiszusage zu machen. Hätten sie dies zu einem früheren Zeitpunkt getan, hätte dies eine sinnvolle Auseinandersetzung mit dem Thema ermöglicht“, sagte der Sprecher.

Die Kommission hat vorgeschlagen, endgültige Zölle von bis zu 35,3 Prozent auf in China hergestellte Elektrofahrzeuge zu erheben, zusätzlich zu den üblichen zehn Prozent Einfuhrzoll der EU auf Autos. Die 27 EU-Mitgliedstaaten sollen am 25. September über die vorgeschlagenen endgültigen Zölle abstimmen. Diese werden Ende Oktober umgesetzt, es sei denn, eine qualifizierte Mehrheit von 15 EU-Mitgliedstaaten, die 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren, stimmt gegen die Abgaben.

Der chinesische Handelsminister Wang Wentao ist diese Woche für Gespräche über den Anti-Subventionsfall der EU in Europa und wird sich am Donnerstag mit dem EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis treffen. rtr

  • China
  • E-Autos
  • Handelsstreit
  • Zölle

Must-Reads

Streit mit von der Leyen: Frankreichs EU-Kommissar Breton tritt zurück ZDF
Nach Breton-Rücktritt: Macron schlägt Außenminister Séjourné für EU-Kommission vor SPIEGEL
Kontrollen an den Grenzen zu Luxemburg, Belgien und Dänemark haben begonnen RND
Grenzkontrollen an der belgisch-deutschen Grenze: Ministerpräsident der Deutschsprachigen Gemeinschaft Oliver Paasch warnt vor Dominoeffekt BRF
Die Hochwasser-Lage wird immer schlimmer DEUTSCHLANDFUNK NOVA
Hochwasser: Österreich hat 300-Millionen-Euro-Topf für Schäden CASH-ONLINE
Orban sagt Auftritt vor EU-Parlament wegen Hochwasser ab STERN
Russland oder EU? Georgien vor der Zerreißprobe DW
Hitzige Debatte im Europaparlament: EU-Konsequenzen aus Solingen heftig umstritten RP-ONLINE
Desinformationskampagne Russlands: Die Spin-Docs des Kremls TAZ
Habeck will EU-Regeln für Wasserstoffproduktion lockern HANDELSBLATT
Zusammenarbeit mit Ford: VW baut neuen Bulli in der Türkei TAGESSCHAU
Diskussion im EU-Parlament: Der lange Weg zur Agrarreform TAGESSCHAU
EU-Rechnungshof: “Kunststoff-Eigenmittel” der EU-Länder zu niedrig angesetzt DER STANDARD
Waldbrände in Portugal: EU mobilisiert acht Löschflugzeuge DE
Stagnierende Wirtschaft, wachsende Schulden: Vor allem die jungen Briten wollen zurück nach Europa. RND
Britischer Premierminister Starmer lobt Italiens Einwanderungspolitik ZEIT
Geoengineering: Großbritannien finanziert Experimente zur künstlichen Kühlung der Erde SPIEGEL
Verhältnisse wie im Flieger? Frankreich führt im Zug Gepäckobergrenze ein DER STANDARD
Schweizer Partei will Song Contest durch Referendum kippen DIE PRESSE
Sorge um inhaftierte Ikone der belarussischen Opposition DER STANDARD
Umweltkatastrophe entlang des Flusses Sejm in der Ukraine: Ist Russland schuld? WEB
Litauen gewinnt Feuerwerkswettbewerb in Hannover NDR

Europe.Table Redaktion

EUROPE.TABLE REDAKTION

Licenses:
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    fest steht: Ursula von der Leyen geht heute um 9 Uhr in die Runde der Fraktionschefs und unterrichtet diese über den Stand bei der Bildung der Von-der-Leyen-Kommission II. Wie weit ihre Planungen gediehen sind? Wer ihre Stellvertreter sein sollen, die eine herausgehobene Position unter den Kommissaren haben? Welche Portfolios von welchen Bewerbern abgedeckt werden sollen? Ob Ursula von der Leyen Antworten gibt auf all diese Fragen, blieb auch am Montag unklar.

    Am späten Abend traf sich die Kommissionspräsidentin mit den führenden Köpfen der Mehrheitsfraktionen im Europäischen Parlament. Von der Leyen habe diese Treffen vor der Fertigstellung der Liste der designierten Kommissare organisiert, so hört man, um sich mit Manfred Weber (EVP), Iratxe García Pérez (S&D) und Valérie Hayer (Renew) auszutauschen.

    Es zeichnet sich lediglich ab, dass hinter dem Portfolio und der Bewerberin aus Slowenien ein Fragezeichen zu machen ist. Das Parlament des Zwei-Millionen-Einwohner-Mitgliedstaates hat noch immer nicht die von der Regierung nominierte Kandidatin Marta Kos bestätigt. Oppositionsführer und Rechtspopulist Ivan Janez Janša macht weiter Anleihen bei Viktor Orbán und blockiert die Formierung der Exekutive der gesamten EU.

    Apropos Orbán: Er kommt nicht morgen zur Debatte ins Europaparlament, um die Inhalte der ungarischen Ratspräsidentschaft mit der Legislative zu diskutieren. Er sagte ab, wegen der Fluten in seinem Land. Die Grünen-Fraktion ist ein bisschen enttäuscht. Sie wollte ihren Lieblingsfeind mit einem TV-trächtigen Spektakel begrüßen und muss sich nun damit bis in die erste oder zweite Straßburg-Woche im Oktober gedulden. So richtet sich der Fokus in Straßburg vornehmlich auf die Kommission. Kommen Sie gut durch den Tag! 

    Ihr
    Markus Grabitz
    Bild von Markus  Grabitz

    Analyse

    Von der Leyen drängt Breton aus neuer Kommission

    Die Spannungen zwischen Kommissionspräsidentin und Kommissar waren schon länger offenkundig, am Montagmorgen kam es dann zum Knall: Thierry Breton reichte seinen sofortigen Rücktritt ein und warf Ursula von der Leyen einen “fragwürdigen Führungsstil” vor.

    Der bisherige Binnenmarktkommissar wählte damit die Flucht nach vorne. Kurz darauf wurde publik, dass Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ihn durch einen anderen Kandidaten für die neue Kommission ersetzt: Stéphane Séjourné, scheidender Außenminister, Vorsitzender der Regierungspartei Renaissance und zu Jahresbeginn noch Fraktionsvorsitzender der Liberalen im Europaparlament.

    “Absurdes Theater”

    Bretons lautstarker Abgang belastet aber auch von der Leyens Start in die zweite Amtszeit. Die Kommissionspräsidentin kämpfte bei der Zusammensetzung ihres neuen Kollegiums mit Verzögerungen, verursacht durch Männerüberschuss unter den nominierten Kommissarsanwärtern, Befindlichkeiten bei den sie tragenden Parteienfamilien und Machtspielen in Slowenien. Und nun der späte Austausch ausgerechnet des französischen Kandidaten. “Langsam verkommt die Nominierung der neuen Europäischen Kommission zu einem absurden Theater”, kommentiert der SPD-Europaabgeordnete Bernd Lange.  

    Das Last-Minute-Manöver deutet darauf hin, dass für von der Leyen Kandidat und Portfoliovorstellungen nicht in Einklang zu bringen waren. Macron strebt für Frankreich ein Schlüsselressort in der Kommission an, das die industrielle und technologische Souveränität sowie die europäische Wettbewerbsfähigkeit umfasst, wie es aus dem Élysée-Palast hieß. Über den Zuschnitt verhandelte der Präsident mit von der Leyen intensiv in den vergangenen Wochen.

    Verhältnis war belastet

    Von der Leyen wollte Breton eine solch zentrale Rolle aber offenbar nicht zugestehen. Das Verhältnis der beiden Politiker ist seit längerem belastet. Breton hatte von der Leyen im Frühjahr intern und öffentlich dafür kritisiert, den CDU-Europaabgeordneten Markus Pieper zum neuen Mittelstandsbeauftragten zu berufen. Bereits bei dieser Gelegenheit stellte er ihren Führungsstil infrage, bemängelte insbesondere die fehlende Einbindung der Kommissare in ihre Personalentscheidungen. Pieper zog angesichts des Widerstandes schließlich zurück.

    Zudem kommentierte Breton von der Leyens Abstimmungsergebnis bei ihrer Wahl zur EVP-Spitzenkandidatin für die Europawahl Anfang März auf X/Twitter mit den Worten: “Die EVP selbst scheint nicht an ihre Kandidatin zu glauben”. Damit handelte sich der Liberale dem Vernehmen nach einen Rüffel Macrons ein. Bretons öffentliche Scharmützel mit X-Eigentümer Elon Musk im August bestätigten von der Leyen in ihrem Eindruck, dass es dem früheren Konzernchef an politischem Fingerspitzengefühl fehle.

    Wollte Breton zu viel?

    Breton hielt von der Leyen in seinem Rücktrittsschreiben vor, sie habe Macron vor einigen Tagen aufgefordert, seinen Namen für die neue Kommission zurückzuziehen – und das aus persönlichen Gründen, die sie nicht direkt mit ihm besprochen habe. Im Gegenzug habe sie Frankreich ein einflussreicheres Portfolio in ihrer neuen Kommission in Aussicht gestellt.

    Breton war bislang als möglicher Exekutiver Vizepräsident in der neuen Kommission gehandelt worden. In dieser Rolle aber hätte er kaum wie bislang gleich drei Generaldirektionen (für Binnenmarkt, Digitales und Verteidigung) führen können, meint Andreas Schwab, binnenmarktpolitischer Sprecher der EVP-Fraktion. “Das war für die Kommissionspräsidentin objektiv schwierig zu erfüllen, sie muss ja auch Aufgaben für 25 andere Kommissarinnen und Kommissare finden.” Breton hätte also auf die Beförderung zum Vizepräsidenten verzichten müssen oder darauf, selbst mithilfe der Fachbeamten die einzelnen Gesetzesvorschläge zu formulieren. Beides dürfte ihm schwergefallen sein.

    Von der Leyen hat zudem klargemacht, dass sie weiblichen Kommissaren mit Regierungserfahrung wichtige Rollen zuschreiben will. Für die Ressorts Innovation und Digitales wurden die Finnin Henna Virkkunen und die Portugiesin Maria Luís Albuquerque gehandelt.

    Séjourné als Wegbegleiter Macrons

    Der frühere Atos- und France-Télécom-Chef Breton hatte vor allem die Digitalpolitik der Kommission geprägt. Er zeichnete für Data Act, Digital Services Act, den Digital Markets Act und AI Act verantwortlich und setzte zudem industriepolitische Ausrufezeichen über Chips Act und Critical Raw Materials Act. Schwab sagt, er habe stets gut mit Breton zusammengearbeitet. “Er war sehr an der Sache interessiert und hatte eigene Ideen.” Allerdings habe der frühere Top-Manager “eine große Unabhängigkeit empfunden, was seine Eingliederung ins College sicherlich nicht erleichtert hat”.

    Séjourné kündigte nach seiner Nominierung an, am Mittwoch nach Straßburg zu reisen, um mit den Europaabgeordneten zu sprechen. Bislang galt er nicht als ausgewiesener Wirtschafts- oder Digitalpolitiker. Der Jurist gehörte zu den frühen Unterstützern von Macron und machte in dessen Fahrwasser Karriere.

    Der heute 39-Jährige managte etwa den Wahlkampf für die Präsidentschaftswahl 2017 und arbeitete danach als Berater Macrons im Élysée-Palast. 2019 zog er ins Europaparlament ein, wo er zunächst im Rechtsausschuss und im Sonderausschuss zu Künstlicher Intelligenz saß.

    Bereits nach zwei Jahren stieg er zum Vorsitzenden der Renew-Fraktion auf. Anfang des Jahres holte ihn Macron dann als Außenminister nach Paris. Séjourné spricht fließend Spanisch, aber nur dürftig Englisch.

    • Chips
    • Chips Act
    • Critical Raw Materials Act
    • CRMA
    • Digital Markets Act
    • Digital Services Act
    • Digitalpolitik
    • Emmanuel Macron
    • EU-Kommission
    • EVP
    • Industriepolitik
    • Innovation
    • Maria Luís Albuquerque
    • Stéphane Séjourné
    • Thierry Breton
    • Ursula von der Leyen
    Translation missing.

    Das nächste Google-Urteil: Hoffnung ruht auf dem DMA

    Heute verkündet das Gericht der EU (EuG) sein Urteil in einem weiteren Rechtsstreit zwischen Google und der Europäischen Kommission. Zwar schauen betroffene Unternehmen aufmerksam nach Luxemburg. Mit deutlich mehr Spannung betrachten europäische Wettbewerber jedoch, was sich bei der Durchsetzung des Digital Markets Act (DMA) tut.

    Im März 2019 hatte die Kommission gegen Google eine Geldbuße in Höhe von 1,49 Milliarden Euro verhängt wegen des Missbrauchs einer beherrschenden Stellung auf dem Markt für Online-Werbung (Google AdSense). Google und Alphabet haben diesen Beschluss vor dem Gericht der EU angefochten. Am heutigen Dienstag wollen die Luxemburger Richter ihr Urteil sprechen.

    Eine Woche zuvor hatte der Europäische Gerichtshof eine Geldbuße der Kommission aus dem Jahr 2017 über 2,4 Milliarden Euro gegen Google für rechtskräftig erklärt. Dabei hat der Fall Google Shopping gezeigt, dass die Strafen zunächst keine nachhaltigen Veränderungen auf den betroffenen Märkten bewirkt haben. Viele der Unternehmen, die sich damals beschwert haben, sind nicht mehr im Geschäft.

    Nur kosmetische Veränderungen

    Nach der Entscheidung Vestagers im Jahr 2017 habe “Google nur kosmetische Änderungen vorgenommen, die das Problem nicht gelöst haben“, sagt Albrecht von Sonntag, Mitgründer und Beirat von Idealo im Gespräch mit Table.Media. “Wir fordern faire und gleichberechtigte Behandlung innerhalb der gesamten Suchergebnisseite.”

    Das deutsche Preisvergleichsportal Idealo hatte das EuGH-Verfahren gegen Google Shopping über eine Tochtergesellschaft zunächst als Beschwerdeführer und anschließend als Streithelfer begleitet. Parallel dazu reichte Idealo 2019 eine Schadenersatzklage gegen Google im Volumen von 500 Millionen Euro beim Landgericht Berlin ein. Dieses Verfahren wird jetzt wieder aufgenommen.

    “Das Landgericht Berlin hat inzwischen sein Personal aufgestockt”, sagt Sonntag. “Wir rechnen mit einem zügigen Verfahren.” Und mit reichlich Beweismaterial. “Für das Gerichtsverfahren vor dem EuGH hat die Kommission sieben Jahre Recherchearbeit geleistet“, erläutert Sonntag. Sie habe unter anderem herausgefunden, wie viel Traffic Google auf die eigenen Dienste umgeleitet habe (self-preferencing). “Dieses Material können wir jetzt im Verfahren nutzen.”

    Durchsetzung kann deutlich schneller erfolgen

    Sonntag nennt den DMA eine Meisterleistung, da er sofort greife, sobald sich die designierten Unternehmen nicht an die Regeln halten. “Der DMA ist ein wirksames und schnell wirkendes Instrument”, meint Sonntag. “Es kommt jetzt nur darauf an, ihn auch umzusetzen. Dazu braucht die Kommission Mut und Entscheidungswillen.” Noch sei alles in etwa so, wie es vorher war. “Google macht weiter so wie vor 15 Jahren. Ich gehe aber davon aus, dass das Urteil Grundsatzwirkung auch auf andere Märkte hat”, sagt Sonntag.

    Außerdem braucht die Kommission Leute für die Umsetzung. Nur wenige Wochen nachdem der DMA auf die Gatekeeper angewendet wurde, eröffnete die Kommission im März 2024 Verfahren wegen mutmaßlicher Verstöße gegen Apple, Alphabet und Meta. Die Kommission veröffentlichte vorläufige Feststellungen zum Pay-or-Consent-Modell von Meta im Juli 2024 und zu Apples Steuerungsregeln für den App Store im Juni 2024.

    “Diese Durchsetzungsmaßnahmen zielen in erster Linie darauf ab, die Gatekeeper zu freiwilliger Einhaltung zu bewegen”, teilt eine Kommissionssprecherin mit. Die Kommission habe nach diesen Maßnahmen bereits Änderungen gesehen: Zum Beispiel teste Apple jetzt neue Lösungen, um die DMA-Verpflichtungen zu erfüllen, gemäß denen Gatekeeper den Nutzern die Wahl von Standardbrowsern und Suchmaschinen sowie die Deinstallation vorinstallierter Gatekeeper-Apps ermöglichen müssen.

    Permanentes Monitoring der Gatekeeper

    “Wichtig ist, dass die Durchsetzungsarbeit der Kommission nicht nur Fälle der Nichteinhaltung verfolgt: Wir sind in ständigem Dialog mit allen Gatekeepern über alle ihre Verpflichtungen”, sagte die Sprecherin.

    Renate Nikolay, stellvertretende Generaldirektorin der DG CNECT, spricht von einem “permanenten Monitoring”. Zudem könne die Kommission wesentlich schneller reagieren. “Auch die Perspektive hat sich geändert: Beim DMA nehmen wir die Perspektive des Binnenmarkts ein. Anders als bei Anti-Trust-Verfahren liegt die Burden-of-Proof nun bei den Unternehmen.”

    Um auch die betroffenen Wettbewerber einzubinden und um für direktes Feedback zu den von den Gatekeepern vorgeschlagenen Maßnahmen zu sorgen, veranstaltet die Kommission Workshops mit interessierten Unternehmen.

    100 Mitarbeiter im Jahr 2024

    Die Umsetzung und Durchsetzung des Digital Markets Act ist ein gemeinsames Projekt der Generaldirektion Kommunikationsnetze, Inhalte und Technologien (DG CNECT) und der Generaldirektion Wettbewerb (DG COMP), unterstützt vom juristischen Dienst der Kommission. “In den beiden Generaldirektionen haben wir mehrere operative Einheiten, die, wie im Gesetzgebungsvorschlag für die Durchsetzung des DMA vorgesehen, insgesamt etwa 100 Mitarbeiter im Jahr 2024 umfassen”, so die Sprecherin. Zudem greife die Kommission auf das Fachwissen von Behörden der Mitgliedstaaten zurück und benenne externe Experten.

    “Das heißt nicht, dass das auf Dauer ausreicht”, sagte Nikolay. “Aber es ist ein gut organisiertes Team und es ist gut angelaufen.”

    • Digital Markets Act
    • Digitalpolitik
    • EU-Binnenmarkt
    • Wettbewerbspolitik
    Translation missing.

    Termine

    18.09.2024 – 09:00-17:00 Uhr, Washington D.C. (USA)
    AI Aspen Cyber Summit
    The Aspen Institute (AI) addresses the cybersecurity challenges of today. INFOS & REGISTRATION

    18.09.2024 – 14:00-15:30 Uhr, online
    DE, Panel Discussion Sustainable data centres in the AI era: Dream or reality?
    Digital Europe uncovers the latest innovations and best practices in energy efficiency and sustainability within the data centre industry.   INFOS & REGISTRATION

    18.09.2024 – 14:00-15:30 Uhr, online
    FSR, Discussion Which Hydrogen Network for Work?
    The Florence School of Regulation (FSR) compares two hydrogen visions and discusses how they could contribute to a ‘no-regrets’ approach to the hydrogen network. INFOS & REGISTRATION

    18.09.2024 – 18:00-19:30 Uhr, online
    HWK, Seminar Update Lieferkettengesetz – Was kommt auf uns zu und wann?
    Die Handwerkskammer (HWK) informiert über die Auswirkungen des Lieferketten-Sorgfaltspflichtengesetzes auf das Handwerk. INFOS & ANMELDUNG

    18.09.2024 – 19:00 Uhr, Hamburg
    KS, Diskussion Qual der US-Wahl? Die Folgen für Europas Sicherheit
    Die Körber Stiftung (KS) diskutiert die möglichen Auswirkungen der künftigen US-Präsidentschaft auf die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik. INFOS & ANMELDUNG

    19.09.-20.09.2024, Trier
    ERA Annual Conference on Law and Sustainable Finance in the EU 2024
    The Academy of European Law (ERA) provides an update on the latest developments in sustainable finance law and addresses the currently most burning issues in the field such as greenwashing, ESG risk management and disclosure. INFOS & REGISTRATION

    19.09.2024, online
    AI, Workshop German-American Trade and Technology Dialogue 2023-2024
    Das Aspen Institute (AI) wirft einen Blick auf die transatlantischen Handelsbeziehungen. INFOS & ANMELDUNG

    19.09.2024 – 09:00-18:00 Uhr, Berlin
    FI, Konferenz Public Data – besser mit Behördendaten umgehen
    Das Frauenhofer-Institut (FI) geht der Frage nach, wie Datenmanagement und -governance praktisch gelingen können. INFOS & ANMELDUNG

    19.09.2024 – 09:00-17:30 Uhr, Berlin/online
    HBS, Konferenz Labora
    Die Hans-Böckler-Stiftung (HBS) nimmt aktuelle Debatten zur Transformation der Arbeitswelt auf. INFOS & ANMELDUNG

    19.09.2024 – 10:00-16:00 Uhr, Berlin/online
    SD, Konferenz Soziale Medien und Datenschutz – wie geht das zusammen?
    Die Stiftung Datenschutz (SD) diskutiert verschiedene Aspekte rund um den Datenschutz in sozialen Netzwerken. INFOS & ANMELDUNG

    19.09.2024 – 10:00-12:30 Uhr, online
    ZIA, Seminar Nach der Taxonomie – (schon) wieder neue ESG-Vorschriften für die Immobilienwirtschaft
    Der Zentrale Immobilien Ausschuss (ZIA) informiert über den neuesten Stand der ESG-Vorschriften für die Immobilienwirtschaft. INFOS & ANMELDUNG

    19.09.2024 – 14:00 Uhr, Berlin
    EBD, Briefing ,Kommission direkt’ mit Barbara Gessler zum Programm der neuen EU-Kommission
    Die Europäische Bewegung Deutschland (EBD) diskutiert darüber, wie die neue EU-Kommission ihre Prioritäten mit Leben füllen will und welche Gesetzesvorhaben geplant sind. INFOS & ANMELDUNG

    19.09.2024 – 15:00-16:30 Uhr, online
    Hydrogen Europe, Seminar The Low Carbon Hydrogen Delegated Act, the last missing piece of the hydrogen legislative puzzle?
    Hydrogen Europe (HE) introduces its expectations of the Delegated Act, with a discussion regarding accurate accounting for upstream emissions. INFOS & REGISTRATION

    News

    Europaparlament: Verwaltung soll schlagkräftiger werden

    Das Büro des Europaparlaments, in dem Parlamentspräsidentin Roberta Metsola und die 14 Vize-Präsidenten vertreten sind, verhandelt über eine Reform der Parlamentsverwaltung. Die Generaldirektion für interne Politiken (DG IPOL) soll in vier Generaldirektionen (GD) aufgespalten werden, die thematische Zuständigkeiten bekommen.

    Die neuen GD sollen ab Januar arbeitsfähig sein. Die bisherige Direktion für die Koordinierung der Gesetzgebung und der Ausschüsse soll dem stellvertretenden EP-Generalsekretär untergeordnet werden. Derzeit hat die IPOL knapp 600 Mitarbeiter. Die vier neu zu bildenden GDs sollen ihr Personal deutlich aufstocken. Über die nächsten Jahre soll ihr Personal durch Umbesetzungen innerhalb der Verwaltung verdoppelt werden. Dies soll haushaltsneutral geschehen.

    Die Verwaltungsstruktur wurde zuletzt 2004 angepasst

    Hintergrund der Neuorganisation ist: Die Verwaltung des Europaparlaments soll schlagkräftiger werden. Ziel ist es, den Abgeordneten besser zuzuarbeiten, damit das Parlament seinen Kompetenzen bei Gesetzgebung, Kontrolle und Haushalt besser nachkommen kann. Abgeordnete sollen etwa auch besser auf die Triloge vorbereitet werden.

    Die Rolle des Parlaments ist mit dem Lissaboner Vertrag gestärkt worden, ohne dass die Verwaltungsstruktur angepasst wurde. Das letzte Mal ist dies 2003/2004 geschehen. Die Arbeit der Abgeordneten wurde bereits reformiert (Parlament 2024). Nun sollen auf der Verwaltungsseite entsprechend die Weichen gestellt werden. Auch die interne Expertise sowie die Fähigkeiten zur Datenanalyse der Verwaltung soll gestärkt werden. mgr

    • Europäisches Parlament
    • Roberta Metsola

    Rechnungshof: Bemessung der Plastikmüll-Eigenmittel fehleranfällig

    Seit 2021 erhebt die EU ein neues Eigenmittel, das zur Rückzahlung des Wiederaufbaufonds beitragen soll: Mitgliedstaaten müssen pro Kilo nicht recyceltem Plastikmüll 0,8 Euro in den EU-Haushalt zahlen. In einem neuen Bericht kritisiert der EU-Rechnungshof, dass die Bemessung des neuen Eigenmittels fehleranfällig sei und ungenügend kontrolliert werde. Dies führe dazu, dass das Eigenmittel wahrscheinlich falsch berechnet werde.

    7,2 Milliarden Euro nahm die EU 2023 über das neue Eigenmittel ein, was circa vier Prozent des Haushalts entspricht. Aber ob dies der finale Betrag sein wird, ist unklar. Denn die ersten Schätzungen haben sich als ungenau erwiesen, wie der Rechnungshof feststellt. So sei 2021 die Menge nicht wiederverwendeter Plastikabfälle um 1,4 Milliarden Kilogramm oder knapp 20 Prozent unterschätzt worden. Das führt dazu, dass der Beitrag, den die Mitgliedstaaten in den Haushalt einzahlen, nachträglich angepasst werden muss.

    Daten nicht ausreichend vergleichbar

    Der Rechnungshof berichtet zudem, dass es beim Start des neuen Eigenmittels erhebliche Umsetzungsprobleme gegeben habe. “Der Hof kommt zu dem Schluss, dass die Mitgliedstaaten nicht ausreichend auf die Einführung der Eigenmittel auf der Grundlage nicht recycelter Verpackungsabfälle aus Kunststoff vorbereitet waren”, steht im Bericht. Zudem seien die verwendeten Daten “nicht ausreichend vergleichbar und zuverlässig“.

    Die Mitgliedstaaten wenden laut Rechnungshof nicht die korrekten Verfahren für die Datenzusammenstellung an. Zudem sei nicht garantiert, dass die als recycelt deklarierten Kunststoffabfälle tatsächlich wiederverwendet würden. Der Rechnungshof bewertet die Kontrollen der Kommission als nicht ausreichend. Ein weiterer kritischer Punkt sei die Ausfuhr von Plastikabfällen, da die Mitgliedstaaten nicht garantieren können, dass die Recyclingprozesse in Drittstaaten den Normen der EU entsprechen.

    Mangelhafte Umsetzung der Verpackungsrichtlinie

    Ein zentrales Problem ist laut den Prüfern des Rechnungshofs die verspätete und mangelhafte nationale Umsetzung der Richtlinie über Verpackungen und Verpackungsabfälle. Nur fünf Mitgliedstaaten hatten die Richtlinie rechtzeitig umgesetzt. Mittlerweile sei die Richtlinie zwar fast überall in nationales Recht überführt worden, doch unterschieden sich die verwendeten Definitionen von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat. Die Prüfer fordern die EU-Kommission auf, hier ordnend einzuschreiten.

    Ein Sprecher der Kommission sagte, dass die Kommission die Kritik und die Vorschläge des Rechnungshofs in Teilen akzeptiere. Es sei notwendig, die Datenvergleichbarkeit zu verbessern. Zudem habe die Kommission neue Maßnahmen getroffen, um sicherzustellen, dass als recycelt gemeldete Abfälle auch tatsächlich recycelt würden. jaa

    • EU-Haushalt
    • Fiskalpolitik
    • Kunststoffe
    • Recycling
    • Verpackungen
    • Wiederaufbaufonds

    Agora Energiewende: Grüne Investitionen helfen Wirtschaftswachstum

    Die Investitionen, die erforderlich sind, um das vorgeschlagene EU-Klimaziel für 2040 von 90 Prozent CO₂-Reduktion zu erreichen, würden der EU-Wirtschaft zu einem Wachstum von etwa zwei Prozent verhelfen. Das ist das Ergebnis einer Studie des Thinktanks Agora Energiewende. Investitionen in Cleantech, Netto-Null-Infrastruktur und Gebäudesanierung würden die Produktion in der EU stärken, neue Arbeitsplätze schaffen und die wirtschaftliche Konvergenz zwischen West- und Osteuropa fördern, schreibt Agora.

    Besonders kleinere EU-Länder könnten demnach profitieren. Während für Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien als Ergebnis der Investitionen in die Klimaneutralität nur ein geringeres Wirtschaftswachstum prognostiziert wird, könnte Polens Bruttoinlandsprodukt (BIP) bis 2040 um rund fünf Prozent gegenüber dem Ausgangsniveau steigen.

    Halbe Billion Euro im Jahr erforderlich

    Das EU-Klimaziel 2040 von 90 Prozent CO₂-Reduktion ist noch nicht beschlossen. Die EU-Kommission hatte im Februar ihre Pläne vorgestellt und arbeitet derzeit an einem entsprechenden Gesetzespaket. Mitgliedstaaten werden voraussichtlich Ende diesen oder Anfang kommenden Jahres gemäß internationalen Verpflichtungen ihre Position festlegen. Ein niedrigeres CO₂-Reduktionsziel ist nicht ausgeschlossen.

    Sollte das 90-Prozent-Ziel der Kommission bestätigt werden, geht Agora Energiewende davon aus, dass in den 2020er-Jahren Investitionen von mindestens 462 Milliarden Euro (2,7 Prozent des EU-BIP) erforderlich sein werden. In den 2030er-Jahren steige der Investitionsbedarf auf 3,3 Prozent des BIP oder 564 Milliarden Euro. luk

    • Agora Energiewende
    • EU-Klimapolitik
    • EU-Klimaziel 2040
    • Europapolitik
    • Green Claims
    • Klima & Umwelt
    • Klimaneutralität
    • Klimapolitik

    Naturschutz: Wie von der Leyen trotz knapper Kassen mehr Anreize setzen will

    Künftig könnte über Nature Credits” oder “Naturgutschriften” privates Kapital mobilisiert werden, um Anreize für Umwelt- und Artenschutz zu schaffen. Das schlug EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Freitag in München in einer Rede vor der DLD Nature Konferenz vor. Wasserversorger, die sauberes Quellwasser brauchten, oder Obsthändler, die auf Bestäuber angewiesen seien, könnten über Naturgutschriften lokale Akteure und Landwirte unterstützen, die Ökosystemleistungen erbringen, führte die CDU-Politikerin aus.

    Für von der Leyens zweite Amtszeit könnte ein solches Modell zum zentralen Baustein der Agrarpolitik werden. Denn so könnte die wiedergewählte Kommissionspräsidentin ihr Versprechen einlösen, Landwirten mehr Anreize für Umweltleistungen zu bieten, ohne dafür das GAP-Budget aufstocken zu müssen. Kritik kommt vom EU-Bauernverband Copa Cogeca: “Nature Credits” seien nicht im Einklang mit den Empfehlungen des Strategischen Dialogs.

    Nabu sieht Potenzial, warnt aber vor Greenwashing

    Umweltschützer sehen dagegen Potenzial. “Ein Zusammenspiel aus staatlichen und privaten Systemen ist wichtig, denn kein Akteur kann die Naturkrise alleine lösen”, sagt Laura Henningson, Nabu-Referentin für Agrobiodiversität, zu Table.Briefings. Wichtig sei aber, dass nicht im Gegenzug staatliche Mittel reduziert würden, zum Beispiel in der GAP. Auch Greenwashing sieht sie als Risiko. Denn für Biodiversitätsleistungen gebe es, anders als im Klimabereich, noch kein anerkanntes Messsystem, und ein solches zu entwerfen, sei komplex.

    Um Greenwashing vorzubeugen, müssten ein verifizierter Standard und ein effektives Monitoring-Programm entwickelt werden, fordert Henningson. Von der Leyen verweist darauf, dass die Europäische Kommission gemeinsam mit der UN bereits an einer globalen Norm für Naturgutschriften arbeite. Mit den Mitgliedstaaten bereite man zudem erste Pilotprojekte in dem Bereich vor. jd

    • Biodiversität
    • Europäische Kommission
    • Greenwashing
    • Naturschutz
    • Umweltschutz
    • Ursula von der Leyen

    Kommission: Frist für Preisangebote chinesischer E-Autohersteller ist abgelaufen

    Die Frist für chinesische Elektrofahrzeughersteller, Preisverpflichtungen zur Vermeidung von Zöllen einzugehen, ist abgelaufen. Das teilte die EU-Kommission am Montag mit. Es bestehe keine Möglichkeit zur Überarbeitung ihrer Angebote, nachdem alle abgelehnt worden seien.

    Die Kommission, die eine Anti-Subventionsuntersuchung gegen in China hergestellte Elektrofahrzeuge durchführt, erklärte, dass mehrere Exporteure von Elektrofahrzeugen Preiszusagen unterbreitet hätten. Dabei handelt es sich um die Verpflichtung eines Exporteurs, Mindestimportpreise einzuhalten, um Subventionen auszugleichen.

    “Die Frist für die Einreichung solcher Angebote war der 24. August, und es gibt keine Möglichkeit, über diese Frist hinaus neue Preiszusagen im Rahmen der Regeln dieser Art von Untersuchung anzubieten”, sagte ein Sprecher der Kommission am Montag. Die EU-Exekutive erklärte, sie sei weiterhin offen für eine Lösung, solange diese vollständig mit den Regeln der Welthandelsorganisation vereinbar sei und die identifizierten Subventionen ausgleiche.

    Keine Zeit für eine neue Einreichung

    Alle Preiszusagen der chinesischen Automobilhersteller gingen am 24. August ein, sagte der Sprecher, sodass nach der Ablehnung der Angebote keine Zeit für eine erneute Einreichung blieb. “Die betreffenden chinesischen Automobilhersteller hatten viele Wochen vor der Frist Zeit, eine solche Preiszusage zu machen. Hätten sie dies zu einem früheren Zeitpunkt getan, hätte dies eine sinnvolle Auseinandersetzung mit dem Thema ermöglicht“, sagte der Sprecher.

    Die Kommission hat vorgeschlagen, endgültige Zölle von bis zu 35,3 Prozent auf in China hergestellte Elektrofahrzeuge zu erheben, zusätzlich zu den üblichen zehn Prozent Einfuhrzoll der EU auf Autos. Die 27 EU-Mitgliedstaaten sollen am 25. September über die vorgeschlagenen endgültigen Zölle abstimmen. Diese werden Ende Oktober umgesetzt, es sei denn, eine qualifizierte Mehrheit von 15 EU-Mitgliedstaaten, die 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren, stimmt gegen die Abgaben.

    Der chinesische Handelsminister Wang Wentao ist diese Woche für Gespräche über den Anti-Subventionsfall der EU in Europa und wird sich am Donnerstag mit dem EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis treffen. rtr

    • China
    • E-Autos
    • Handelsstreit
    • Zölle

    Must-Reads

    Streit mit von der Leyen: Frankreichs EU-Kommissar Breton tritt zurück ZDF
    Nach Breton-Rücktritt: Macron schlägt Außenminister Séjourné für EU-Kommission vor SPIEGEL
    Kontrollen an den Grenzen zu Luxemburg, Belgien und Dänemark haben begonnen RND
    Grenzkontrollen an der belgisch-deutschen Grenze: Ministerpräsident der Deutschsprachigen Gemeinschaft Oliver Paasch warnt vor Dominoeffekt BRF
    Die Hochwasser-Lage wird immer schlimmer DEUTSCHLANDFUNK NOVA
    Hochwasser: Österreich hat 300-Millionen-Euro-Topf für Schäden CASH-ONLINE
    Orban sagt Auftritt vor EU-Parlament wegen Hochwasser ab STERN
    Russland oder EU? Georgien vor der Zerreißprobe DW
    Hitzige Debatte im Europaparlament: EU-Konsequenzen aus Solingen heftig umstritten RP-ONLINE
    Desinformationskampagne Russlands: Die Spin-Docs des Kremls TAZ
    Habeck will EU-Regeln für Wasserstoffproduktion lockern HANDELSBLATT
    Zusammenarbeit mit Ford: VW baut neuen Bulli in der Türkei TAGESSCHAU
    Diskussion im EU-Parlament: Der lange Weg zur Agrarreform TAGESSCHAU
    EU-Rechnungshof: “Kunststoff-Eigenmittel” der EU-Länder zu niedrig angesetzt DER STANDARD
    Waldbrände in Portugal: EU mobilisiert acht Löschflugzeuge DE
    Stagnierende Wirtschaft, wachsende Schulden: Vor allem die jungen Briten wollen zurück nach Europa. RND
    Britischer Premierminister Starmer lobt Italiens Einwanderungspolitik ZEIT
    Geoengineering: Großbritannien finanziert Experimente zur künstlichen Kühlung der Erde SPIEGEL
    Verhältnisse wie im Flieger? Frankreich führt im Zug Gepäckobergrenze ein DER STANDARD
    Schweizer Partei will Song Contest durch Referendum kippen DIE PRESSE
    Sorge um inhaftierte Ikone der belarussischen Opposition DER STANDARD
    Umweltkatastrophe entlang des Flusses Sejm in der Ukraine: Ist Russland schuld? WEB
    Litauen gewinnt Feuerwerkswettbewerb in Hannover NDR

    Europe.Table Redaktion

    EUROPE.TABLE REDAKTION

    Licenses:

      Jetzt kostenlos anmelden und sofort weiterlesen

      Keine Bankdaten. Keine automatische Verlängerung.

      Sie haben bereits das Table.Briefing Abonnement?

      Anmelden und weiterlesen