in gut einem Monat wird die Kommission ihren wohl letzten energie- und klimapolitischen Meilenstein in dieser Legislatur vorlegen: ihre Kommunikation zum Treibhausgasziel für 2040. Es wird der Auftakt zum Gesetzgebungszyklus für die Zeit nach dem Green Deal. Mein Kollege Lukas Scheid analysiert, wie sich die Co-Gesetzgeber schon vor der Europawahl in Stellung bringen könnten.
Noch wichtiger als die eigentliche Mitteilung wird für die Energiepolitik die Folgenabschätzung verschiedener Klimaziele. Für Erneuerbare und Energieeffizienz werden sich daraus mögliche Langfristziele ablesen lassen – lange bevor dazu Gesetzesvorschläge folgen. In meiner Analyse erkläre ich, warum neben den 2040-Zielen auch die Themen Infrastruktur, Gaskraftwerke und Governance dieses Jahr energiepolitisch prägen werden – und warum von Letzterem die Zukunft der europäischen Industrie abhängen könnte.
Die Verabschiedung der zahlreichen Green-Deal-Gesetze im Europäischen Parlament war durch eine komfortable Mehrheit jener Parteien möglich, die klimapolitisch ernsthaft etwas bewegen wollten. EVP, Sozialdemokraten, Liberale und Grüne waren sich selten komplett einig. Kompromisse wurden meist hart erkämpft und nicht von allen akzeptiert, aber sie waren möglich. Dieser grundsätzliche Konsens bekam allerdings bereits im vergangenen Jahr erste Risse, als die EVP vehement neue Naturschutzgesetze bekämpfte und die Mehrheiten dafür auch rechts von ihr fand.
2024 dürfte es nicht leichter werden, Mehrheiten für mehr Klimaschutz zu organisieren. Bei der Europawahl im Juni wird die rechte Seite des Parlaments voraussichtlich wachsen. Die Von-der-Leyen-Koalition aus EVP, S&D und Renew könnte zwar weiterhin eine knappe Mehrheit behalten, allerdings bräuchte sie schon bei wenigen Abweichlern aus den eigenen Reihen Unterstützung aus anderen Gruppen.
Auswirkungen könnte das vor allem für das EU-Klimaziel für 2040 haben. Am 6. Februar will die EU-Kommission ihren Vorschlag für ein neues CO₂-Reduktionsziel mitteilen – inklusive einer Folgenabschätzung. Der EU-Klimabeirat empfahl 90 bis 95 Prozent gegenüber dem Stand von 1990. Nach den Ankündigungen des Klimakommissars Wopke Hoekstra wird die Zielmarke aller Voraussicht nach bei 90 Prozent angesetzt werden. Es handelt sich jedoch nur um die sogenannte “Kommunikation” des numerischen Ziels. Es ist zwar bindend für die nächste Kommission, aber es ist noch kein legislativer Vorschlag.
Das aktuelle Parlament hat also noch kein Mitspracherecht und kann lediglich eine nicht rechtlich bindende Resolution verabschieden. Der Legislativvorschlag der Kommission zur Umsetzung des festgelegten Ziels folgt voraussichtlich erst gegen Ende des Jahres unter der neuen Kommission. Das bedeutet, dass sich auch erst das neue EU-Parlament mit einer eigenen Verhandlungsposition befassen kann.
Peter Liese, klimapolitischer Sprecher der EVP, hat bereits angedeutet, dass seine Fraktion sich auch ein niedrigeres Ziel als 90 Prozent vorstellen könnte. Ob das Wahltaktik ist, um sich nicht zu früh festzulegen, oder ob er bereits versucht, das Ziel nach unten zu drücken, wird man sehen. Klar ist aber: Es läuft auf Konfrontation hinaus. Die Grünen im EP wollen das Ziel lieber am oberen Ende der Empfehlungen des Klimabeirats ansiedeln, bei 95 Prozent.
Auf welches Ziel sich die einzelnen Fraktionen einlassen wollen, hängt auch unmittelbar davon ab, wie viele Treibhausgasemissionen durch CO₂-Abscheidung und Speicherung (CCS) vermieden werden können. Zusammen mit der Kommunikation für das 2040er-Klimaziel stellt die Kommission ihre CO₂-Management-Strategie vor. Darin wird die Rolle von CCS für die künftigen Klimaziele der EU genauer definiert.
Grüne und Sozialdemokraten wollen CCS nur in einem eng definierten Bereich zulassen – in Sektoren, die ohne CCS nicht oder nur sehr schwer dekarbonisiert werden können. Vor allem im Stromsektor wollen sie die Investitionen stattdessen in Erneuerbare und die Elektrifizierung fließen lassen. Die EVP wirbt für einen flächendeckenden Einsatz von CCS, weit über die sogenannten “hard to abate”-Sektoren hinaus, um eine größere Anzahl von Wirtschaftssektoren von hohen Transformationskosten zu schützen.
Sie beruft sich auf die Berichte des Weltklimarats IPCC, der CCS als Notwendigkeit zur Erreichung der Klimaziele beschreibt. Allerdings heißt es auch vom IPCC, dass CCS priorisiert dort eingesetzt werden müsse, wo andere Dekarbonisierungsmöglichkeiten nicht ausreichen.
Daraus entsteht ein Dilemma: Ein hohes Einzelziel für CCS lehnen Grüne und Sozialdemokraten strikt ab, könnte die EVP aber dazu bewegen, einem höheren CO₂-Reduktionsziel zuzustimmen. Ein weiter rechtsstehendes EU-Parlament könnte dieses Dilemma noch verschärfen, wenn es keine Kompromisse beider Lager mehr braucht, um eine Mehrheit zu finden.
Anders als das Parlament, das sich erst nach der Wahl mit dem 2040-Ziel ernsthaft befassen kann, haben die Mitgliedstaaten schon jetzt Möglichkeiten, dem Entscheidungsprozess vorzugreifen. Die dänische Regierung ist bereits vorgeprescht und hat sich hinter ein 90-Prozent-Ziel gestellt. Andere Länder könnten bald folgen. Die neue belgische Ratspräsidentschaft könnte das Thema zudem auf die Agenda beim Umweltrat im März setzen, um die Stimmung für das nächste EU-Klimaziel abzuklopfen.
Das Gipfeltreffen der EU-Staats- und Regierungschefs Ende Juni, bei dem die Strategische Agenda 2024-2029 des Rates festgelegt wird, könnte einen weiteren Schritt machen. Der Rat könnte sich im Energieteil des langfristigen Strategiepapiers bereits auf einen langfristigen Treibhausgasreduktionspfad einigen, mitsamt einer Zielmarke für 2040. Dies möglicherweise auch in Antizipation eines EU-Parlaments, das weiter rechts und Klimapolitik ablehnender gegenüber steht. Denn das Treffen findet kurz nach der Wahl statt. Es obliegt an dieser Stelle dem Ratspräsidenten Charles Michel, das Thema auf die Tagesordnung zu setzen.
Linda Kalcher, Direktorin des Brüsseler Think-Tanks Strategic Perspectives, sieht auch für die derzeitigen Parlamentsfraktionen eine Möglichkeit, noch vor der Wahl in den Entscheidungsprozess des nächsten Parlaments einzugreifen. Dafür müssten sie sich allerdings schon jetzt auf eine Zielmarke für 2040 festlegen: “Wenn die Parteien eine Zahl in ihre Wahlprogramme für die Europawahl schreiben, dann gilt diese auch für die Abgeordneten des nächsten Parlaments”, sagt Kalcher.
Eigentlich soll es nun stehen, das Fundament für den schnellen Ausbau der erneuerbaren Energien, niedrigere Strompreise und den Aufbau der Wasserstoffwirtschaft. Die belgische Ratspräsidentschaft und das Parlament müssen noch die Trilog-Ergebnisse zum Strommarkt, zum Gaspaket und zu Gebäuden durch die letzten Abstimmungen bringen. Dann sind bis auf die Steuerrichtlinie alle Energiethemen aus dem Green Deal abgehakt. Doch bei der Umsetzung warten schon in diesem Jahr die ersten Stolpersteine. Und danach tut sich bereits der Pfad in die Zeit nach dem Fit-for-55-Paket auf.
Wenn sich die Kommission Anfang Februar erstmals formal zu einem neuen Treibhausgasziel für 2040 äußert, werden Energieexperten besonders das Begleitmaterial studieren. Denn Wegmarken für erneuerbare Energien und Energieeffizienz wird die Kommission so früh wahrscheinlich noch nicht kommunizieren. Doch die beiliegende Folgenabschätzung müsste Szenarien für verschiedene CO₂-Reduktionsziele enthalten und damit auch Pfade für die verschiedenen Sektoren – von Ökostrom über Gebäudewärme bis zu Kraftstoffen.
Ein CO₂-Ziel von 90 Prozent dürfte auf Widerstand mehrerer Mitgliedsländer stoßen. Der mehrheitlich dem polnischen Staat gehörende Kohlekonzern PGE hat davor gewarnt, dass alles über 80 Prozent zu einer kompletten Dekarbonisierung des Stromsektors vor 2040 führen werde – worauf sich Deutschland und die meisten seiner Nachbarn bereits einstellen.
Gegen eine 2040er-Quote für erneuerbare Energien wehrt sich wiederum die Nuklear-Allianz aus Frankreich und zehn weiteren Mitgliedstaaten. Im jüngsten Entwurf für seinen Energie- und Klimaplan (NECP) legte Paris keinen neuen Beitrag zum erhöhten Erneuerbaren-Ziel für 2030 fest und gab stattdessen nur ein Ziel für “dekarbonisierte Energie” aus. In der vermeintlichen Gleichstellung von Atomkraft und grünen Energien sehen andere ein schlechtes Signal für kapitalintensive Erneuerbaren-Projekte.
Ob höhere Zinsen, steigende Inflation oder Risiken in den Wertschöpfungsketten: “Das Investitionsumfeld für erneuerbare Energien ist viel schwieriger geworden”, sagt Matthias Buck, Direktor Europa bei Agora Energiewende. “Ein klares 2040-Ziel in der EU für erneuerbare Energien schafft Investitionssicherheit und reduziert dadurch die Kosten für den Ausbau von Solar- und Windenergie als zentrale Pfeiler eines klimaneutralen Energiesystems.”
In Atomkraftwerken sieht er mittelfristig keine Entlastung bei der Dekarbonisierung: “Analysen, wie etwa die der Internationalen Energieagentur, zeigen, dass die Kernenergie ihren Anteil am Strommix in der EU bis 2040 bestenfalls stabil halten wird.”
Der versteckte politische Sprengsatz in Frankreichs NECP macht deutlich, wie sehr das Thema Governance in der Energiepolitik unterschätzt wird. Denn wenn die EU ihre Ziele für Erneuerbare und Effizienz nicht erreicht, werden auch die Energiepreise für Industrie und Verbraucher nicht sinken. “Das derzeitige Governance-System, das sich auf die NECPs konzentriert, ist nicht zweckmäßig”, schreibt der Think-Tank Bruegel.
Erste Reformvorschläge gibt es, denn im ersten Halbjahr muss die Kommission eine Evaluation der Governance-Verordnung vorlegen. Das wichtigste Lobbying-Vorhaben von Eurelectric in diesem Jahr ist etwa die Einführung einer – freiwilligen – Elektrifizierungsquote von 35 Prozent für 2030 und 50 bis 70 Prozent für 2050 über die NECPs – eine Lehre aus dem Streit um Wärmepumpen. Eine grundsätzliche Reform schlägt Bruegel vor, und man kann sie als Kritik an der Kommission lesen, die derzeit die NECPs überwacht.
Einmal pro Jahr sollen stattdessen künftig die Staats- und Regierungschefs selbst einen Sondergipfel zu Energie und Klima abhalten. So wie bei den außerordentlichen Treffen während der Energiekrise und internationalen Formaten wie den G7 könnten diese Treffen laut Bruegel dauerhaft von “Energie- und Klima-Sherpas” vorbereitet werden. Ob die EU-Staaten auf Kurs sind, soll eine neue Europäische Energieagentur überwachen.
Reformen der EU-Finanzen würden dagegen ein energiepolitisches Vorhaben erleichtern, das derzeit in Brüssel hoch im Kurs steht. Nachdem die Kommission kürzlich einen Aktionsplan für die Stromnetze vorgelegt hat, will die belgische Ratspräsidentschaft beim Treffen der Energieminister im Mai mit einer Ratsschlussfolgerung zur gesamten Netzinfrastruktur nachziehen, die für die Arbeit der nächsten Kommission maßgebend ist.
Während der Energiekrise habe die EU festgestellt, dass es die Netze sind, die sie verwundbar machen, sagte Ressortchefin Tinne Van der Straeten in einem Interview mit “Contexte”: “Wir werden daher eine Diskussion über physische und legislative Hindernisse für die Entwicklung der Infrastruktur führen.” Einen weiteren Schub dürfte das Thema Netze durch den Binnenmarkt-Bericht bekommen, den der frühere italienische Premier Enrico Letta im März vorlegen soll.
Doch damit der Ausbau vorankommt, braucht es Koordination und Geld. “Die politische Diskussion zum Klimaschutzziel für 2040 wird viel stärker als beim letzten Mal verbunden sein mit Diskussionen zum neuen EU-Haushalt. In vielen ost- und südosteuropäischen Staaten werden Infrastrukturinvestitionen typischerweise ganz oder zumindest teilweise aus EU-Mitteln finanziert”, sagt Agora-Experte Buck.
Bei der Reform der Schuldenregeln könnte es zum Beispiel Erleichterung für Staaten geben, die in die Dekarbonisierung investieren, schlägt Bruegel vor. Aus EU-Fonds sollten dagegen vor allem Projekte gefördert werden, die wirklich EU-Zielen dienen und nicht einfach Pläne, die nationale Regierungen fertig in ihren Schubladen haben. Noch weiter will die Florence School gehen: “Künftige EU-Mittel für die Mitgliedstaaten könnten auch davon abhängig gemacht werden, dass sie ihr Potenzial für erneuerbare Energien und Energieeffizienz ausschöpfen.”
Mehr Koordination wollen die Regulierungsexperten auch bei einem Vorhaben, auf das die Mitgliedstaaten bei den Verhandlungen zur Strommarktreform gedrängt haben – eine leichtere Genehmigung von Kapazitätsmechanismen vor allem für den Bau von Gaskraftwerken.
Sechs Monate nach dem Inkrafttreten der Reform im Frühjahr muss die Kommission in einem Bericht Möglichkeiten aufzeigen, wie sich die Einführung von Kapazitätsmechanismen beschleunigen lässt. Weitere drei Monate später sollen bereits Legislativvorschläge folgen, es könnten die ersten energiepolitischen Gesetzentwürfe der neuen Kommission werden.
Im besten Fall werde die Reform der Kapazitätsregeln zu einem umfassenden Check der Energieversorgungssicherheit ausgeweitet, schreibt die Florence School: “Sie kann helfen, systemische Risiken zu erkennen, wie die Abhängigkeit von russischem Gas.”
08.01.2024 – 12:00-13:00 Uhr, online
FNF, Diskussion Deutschlands Staatsfinanzen nachhaltig gestalten
Die Friedrich-Naumann-Stiftung (FNF) diskutiert mit Lars Feld über die deutsche Haushaltspolitik. INFOS & ANMELDUNG
09.01.2024 – 18:00-19:30 Uhr, online
FES, Vortrag Zeitenwende für die Innere Sicherheit!? Aktuelle Bedrohungen durch Extremismus, Spionage und Sabotage
Die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) diskutiert über die aktuellen Herausforderungen in der Sicherheitspolitik. INFOS & ANMELDUNG
Argentiniens neuer Präsident Javier Milei hatte den gemeinsamen südamerikanischen Markt Mercosur zunächst als sinnlos bezeichnet. Doch nun steht er einem Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union wohl doch nicht ablehnend gegenüber. “Argentinien scheint heute eher bereit zu sein, eine Einigung zu erzielen“, sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am Mittwoch auf einer Veranstaltung in Lissabon.
Handelsexperten zufolge schließt sich das Zeitfenster für den Abschluss des EU-Mercosur-Abkommens und die Ratifizierung in Kürze. Denn im Juni stehen die Europawahlen an. Ende Januar trifft sich die Gemeinsame Marktgruppe des Mercosur in Asunción in Paraguay.
Anfang Dezember 2023 waren in Rio de Janeiro die Staatschefs von Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay zu einem Mercosur-Gipfel zusammengekommen. Ursprünglich hatte Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva bei dem Treffen einen Durchbruch bei den Verhandlungen verkünden wollen. Der war aber vor allem am Widerstand von Frankreich und dem bevorstehenden Regierungswechsel in Argentinien gescheitert. Nachdem die EU-Delegation ihre Reise zur Unterzeichnung des Abkommens abgesagt hatte, betonte sie weiter Gesprächsbereitschaft.
Die Gespräche der EU mit den Mercosur-Staaten über die Freihandelszone laufen bereits seit 23 Jahren. Eine Grundsatzeinigung aus dem Jahr 2019 wird wegen anhaltender Bedenken etwa beim Schutz des Regenwaldes nicht umgesetzt. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron kritisierte zuletzt, dass Industriebetriebe und Landwirte in Europa künftig strengen Umweltauflagen unterworfen seien. Nach Abschluss des Freihandelsabkommens müssten sie mit Anbietern in Südamerika konkurrieren, die solche Vorgaben nicht zu erfüllen hätten. vis/rtr
Zusätzlich zu dem seit Jahresanfang geltenden Einfuhrverbot für russische Diamanten haben die EU-Staaten weitere Sanktionen gegen Russlands staatlichen Diamantenförderer Alrosa und deren Chef verhängt. Sie seien für Handlungen verantwortlich, “die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen”, teilte der Rat am Mittwoch mit. Alrosa und dessen Geschäftsführer Pawel Marinytschew stünden nun auf der EU-Sanktionsliste. Dies ergänze das Einfuhrverbot für russische Diamanten.
Alrosa sei das größte Diamantenförderunternehmen der Welt und decke mehr als 90 Prozent der gesamten russischen Diamantenproduktion ab. “Das Unternehmen ist ein wichtiger Teil eines Wirtschaftssektors, der der Regierung der Russischen Föderation beträchtliche Einnahmen beschert”, heißt es weiter. 2021 hatte der staatliche Diamantenförderer Alrosa Einnahmen in Höhe von 332 Milliarden Rubel (rund 3,4 Milliarden Euro). Russland gilt als weltweit größter Produzent von Rohdiamanten.
Im Dezember hatte die Europäische Union das Importverbot für Diamanten aus Russland beschlossen. Die Maßnahme soll der Staatsführung in Moskau eine wichtige Einnahmequelle nehmen und damit auch die Fähigkeit einschränken, den Krieg gegen die Ukraine zu finanzieren. Von der Kommission wurden Russlands Einnahmen aus dem Verkauf von Diamanten zuletzt auf rund vier Milliarden Euro pro Jahr geschätzt.
Wegen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine erließ die EU bislang Sanktionen gegen fast 2000 Personen und Organisationen. Die Strafmaßnahmen umfassen auch Reisebeschränkungen. Zudem müssen in der EU vorhandene Vermögenswerte von den Betroffenen eingefroren werden. Auch ist es verboten, ihnen Geld oder anderen wirtschaftliche Ressourcen bereitzustellen. dpa
Der Präsident des serbischen Teils von Bosnien-Herzegowina, Milorad Dodik, will der staatlichen Wahlkommission in der Hauptstadt Sarajevo die Zuständigkeit für die Wahlen in seinem Landesteil entziehen. Das Parlament der teilweise autonomen Republika Srpska werde für die Teilrepublikswahlen und die Kommunalwahlen ein eigenes Wahlgesetz schaffen, kündigte Dodik am Mittwoch in der Verwaltungshauptstadt Banja Luka an.
Seit dem Krieg von 1992 bis 1995 ist Bosnien-Herzegowina in teil-autonome Einheiten, die bosnisch-kroatische Föderation (FBiH) und die Republika Srpska (RS), unterteilt. Die Vertretung nach außen, Währungspolitik, Grenzschutz, Armee und andere Funktionen nehmen gesamtstaatliche Institutionen wahr. Mit dem Friedensabkommen von Dayton (1996) hat die internationale Gemeinschaft eine Garantie für diese staatliche Ordnung übernommen.
Als serbischer Nationalist versucht Dodik seit Jahren, die RS schrittweise aus dem bosnischen Staatsverband herauszulösen. Die politischen Führungen in Serbien, Ungarn und Russland unterstützen ihn dabei. In der RS regiert Dodik Kritikern zufolge mit autoritären Methoden.
Das neue Wahlgesetz der RS werde das Parlament im Eilverfahren beschließen, sagte Dodik am Mittwoch. “Wir bringen den Wahlprozess auf der RS-Ebene dorthin, wo er hingehört”, zitierten ihn Medien. Für die Abhaltung der Wahlen zum RS-Parlament und der Kommunalwahlen in der RS werde dann ausschließlich die Republikswahlkommission der RS zuständig sein. An der Zuständigkeit der staatlichen Wahlkommission in Sarajevo für die gesamtstaatlichen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen werde sich hingegen nichts ändern, sagte Dodik. dpa
Es ist die letzte Plenarwoche des EU-Parlaments 2023 und Siegfried Mureșan hat einen vollen Terminkalender: Im Parlament debattiert er über das umstrittene spanische Amnestie-Gesetz und die kritisierte slowakische Justizreform. Er beobachtet, wie beim EU-Gipfel über die Beitrittsverhandlungen der Ukraine und der Republik Moldau beraten wird. Und dann steht noch das Gipfeltreffen seiner Fraktion an, der Europäischen Volkspartei (EVP).
Seit 2014 sitzt der 42-jährige Rumäne als Abgeordneter im EU-Parlament, seit 2019 ist er stellvertretender Vorsitzender der EVP, zuständig für Haushalt und Finanzen. Er pendelt zwischen Straßburg, Brüssel und Bukarest. “Ich habe seit Beginn meiner Amtszeit keine einzige Plenarwoche verpasst”, erinnert sich Mureșan.
Die EU ist für ihn früh das erstrebte Ziel. “Für meine Generation war Europa immer zu Hause. Europa bedeutete Rechtsstaat, Demokratie und europäische Lebensstandards. Dort wollten wir hin.” Mureșan wächst mit einer deutschen katholischen Mutter und einem rumänischen orthodoxen Vater im rumänischen Siebenbürgen auf. Zu Hause sprechen sie Deutsch und Rumänisch, feiern zweimal Ostern. “Meine Eltern haben mir Offenheit, ein Interesse für andere Sprachen, Länder und Kulturen mitgegeben”, sagt Mureșan.
Als Rumänien 2007 der EU beitritt, sei das ein besonderer Moment gewesen. Zu dieser Zeit lebt er in Berlin und arbeitet dort für den Vorsitzenden des Bundestagsausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union, Gunther Kirchbaum (CDU). “Ich wusste, dass ich von einem Gründungsmitglied der EU mehr über Europa lernen kann als in meinem Heimatland”, sagt Mureșan. 2009 wechselt er als Mitarbeiter ins EU-Parlament und kandidiert 2014 erstmalig erfolgreich für die rumänische Partei der Volksbewegung (PMP) bei der Europawahl. Seit 2018 sitzt er für die liberale Partei Partidul Național Liberal (PNL) im Parlament.
Als studierter Ökonom macht er sich in der EVP schnell als wirtschaftspolitischer Experte einen Namen. 2014 wird er leitender wirtschaftspolitischer Berater der EVP, 2016 ernennt ihn der Haushaltsausschuss als ersten Rumänen zum Verhandlungsführer für den EU-Haushalt 2018. “Ich wollte dort Verantwortung übernehmen, wo ich die notwendige Expertise hatte”, erklärt Mureșan. Er setzt mehr finanzielle Mittel für das Erasmus+-Programm durch, ebenso wie das Interrailticket für 18-Jährige.
Mit dem im November vereinbarten EU-Haushalt für 2024 ist Mureșan zufrieden. Wichtig sei ihm gewesen, das Forschungsprogramm der EU und die Wettbewerbsfähigkeit zu fördern und zugleich junge Studierende und Landwirtinnen und Landwirte zu unterstützen. Zu hohe Schulden betrachtet Mureșan als Risiko für die EU – wie es die Finanzkrise 2008 gezeigt habe.
Er setzt sich zudem für mehr Mittel im Bereich Verteidigung und Sicherheit ein. Zwei Prozent des BIP für die Nato sei für ihn ein Minimum. “Wir müssen mehr Verantwortung übernehmen und bereit sein, uns selbst verteidigen zu können”, sagt er im Hinblick auf den Ukrainekrieg. Deswegen will er künftig mehr in anderen Mitgliedsstaaten unterwegs sein, die “Nachbarschaft stärken”.
Im Juni dieses Jahres könnte Mureșan erneut ins Parlament gewählt werden, es wäre sein zehntes Jahr als Abgeordneter. Die größte Herausforderung in dieser Zeit? “Die Corona-Pandemie war für das Parlament eine Zäsur”, erinnert er sich. Er sei aber stolz darauf, wie die EU diese Krise gemeistert habe. “Wir haben es geschafft, in alle Regionen das Signal zu senden: Die EU steht euch zur Seite.” Mirjam Ratmann
in gut einem Monat wird die Kommission ihren wohl letzten energie- und klimapolitischen Meilenstein in dieser Legislatur vorlegen: ihre Kommunikation zum Treibhausgasziel für 2040. Es wird der Auftakt zum Gesetzgebungszyklus für die Zeit nach dem Green Deal. Mein Kollege Lukas Scheid analysiert, wie sich die Co-Gesetzgeber schon vor der Europawahl in Stellung bringen könnten.
Noch wichtiger als die eigentliche Mitteilung wird für die Energiepolitik die Folgenabschätzung verschiedener Klimaziele. Für Erneuerbare und Energieeffizienz werden sich daraus mögliche Langfristziele ablesen lassen – lange bevor dazu Gesetzesvorschläge folgen. In meiner Analyse erkläre ich, warum neben den 2040-Zielen auch die Themen Infrastruktur, Gaskraftwerke und Governance dieses Jahr energiepolitisch prägen werden – und warum von Letzterem die Zukunft der europäischen Industrie abhängen könnte.
Die Verabschiedung der zahlreichen Green-Deal-Gesetze im Europäischen Parlament war durch eine komfortable Mehrheit jener Parteien möglich, die klimapolitisch ernsthaft etwas bewegen wollten. EVP, Sozialdemokraten, Liberale und Grüne waren sich selten komplett einig. Kompromisse wurden meist hart erkämpft und nicht von allen akzeptiert, aber sie waren möglich. Dieser grundsätzliche Konsens bekam allerdings bereits im vergangenen Jahr erste Risse, als die EVP vehement neue Naturschutzgesetze bekämpfte und die Mehrheiten dafür auch rechts von ihr fand.
2024 dürfte es nicht leichter werden, Mehrheiten für mehr Klimaschutz zu organisieren. Bei der Europawahl im Juni wird die rechte Seite des Parlaments voraussichtlich wachsen. Die Von-der-Leyen-Koalition aus EVP, S&D und Renew könnte zwar weiterhin eine knappe Mehrheit behalten, allerdings bräuchte sie schon bei wenigen Abweichlern aus den eigenen Reihen Unterstützung aus anderen Gruppen.
Auswirkungen könnte das vor allem für das EU-Klimaziel für 2040 haben. Am 6. Februar will die EU-Kommission ihren Vorschlag für ein neues CO₂-Reduktionsziel mitteilen – inklusive einer Folgenabschätzung. Der EU-Klimabeirat empfahl 90 bis 95 Prozent gegenüber dem Stand von 1990. Nach den Ankündigungen des Klimakommissars Wopke Hoekstra wird die Zielmarke aller Voraussicht nach bei 90 Prozent angesetzt werden. Es handelt sich jedoch nur um die sogenannte “Kommunikation” des numerischen Ziels. Es ist zwar bindend für die nächste Kommission, aber es ist noch kein legislativer Vorschlag.
Das aktuelle Parlament hat also noch kein Mitspracherecht und kann lediglich eine nicht rechtlich bindende Resolution verabschieden. Der Legislativvorschlag der Kommission zur Umsetzung des festgelegten Ziels folgt voraussichtlich erst gegen Ende des Jahres unter der neuen Kommission. Das bedeutet, dass sich auch erst das neue EU-Parlament mit einer eigenen Verhandlungsposition befassen kann.
Peter Liese, klimapolitischer Sprecher der EVP, hat bereits angedeutet, dass seine Fraktion sich auch ein niedrigeres Ziel als 90 Prozent vorstellen könnte. Ob das Wahltaktik ist, um sich nicht zu früh festzulegen, oder ob er bereits versucht, das Ziel nach unten zu drücken, wird man sehen. Klar ist aber: Es läuft auf Konfrontation hinaus. Die Grünen im EP wollen das Ziel lieber am oberen Ende der Empfehlungen des Klimabeirats ansiedeln, bei 95 Prozent.
Auf welches Ziel sich die einzelnen Fraktionen einlassen wollen, hängt auch unmittelbar davon ab, wie viele Treibhausgasemissionen durch CO₂-Abscheidung und Speicherung (CCS) vermieden werden können. Zusammen mit der Kommunikation für das 2040er-Klimaziel stellt die Kommission ihre CO₂-Management-Strategie vor. Darin wird die Rolle von CCS für die künftigen Klimaziele der EU genauer definiert.
Grüne und Sozialdemokraten wollen CCS nur in einem eng definierten Bereich zulassen – in Sektoren, die ohne CCS nicht oder nur sehr schwer dekarbonisiert werden können. Vor allem im Stromsektor wollen sie die Investitionen stattdessen in Erneuerbare und die Elektrifizierung fließen lassen. Die EVP wirbt für einen flächendeckenden Einsatz von CCS, weit über die sogenannten “hard to abate”-Sektoren hinaus, um eine größere Anzahl von Wirtschaftssektoren von hohen Transformationskosten zu schützen.
Sie beruft sich auf die Berichte des Weltklimarats IPCC, der CCS als Notwendigkeit zur Erreichung der Klimaziele beschreibt. Allerdings heißt es auch vom IPCC, dass CCS priorisiert dort eingesetzt werden müsse, wo andere Dekarbonisierungsmöglichkeiten nicht ausreichen.
Daraus entsteht ein Dilemma: Ein hohes Einzelziel für CCS lehnen Grüne und Sozialdemokraten strikt ab, könnte die EVP aber dazu bewegen, einem höheren CO₂-Reduktionsziel zuzustimmen. Ein weiter rechtsstehendes EU-Parlament könnte dieses Dilemma noch verschärfen, wenn es keine Kompromisse beider Lager mehr braucht, um eine Mehrheit zu finden.
Anders als das Parlament, das sich erst nach der Wahl mit dem 2040-Ziel ernsthaft befassen kann, haben die Mitgliedstaaten schon jetzt Möglichkeiten, dem Entscheidungsprozess vorzugreifen. Die dänische Regierung ist bereits vorgeprescht und hat sich hinter ein 90-Prozent-Ziel gestellt. Andere Länder könnten bald folgen. Die neue belgische Ratspräsidentschaft könnte das Thema zudem auf die Agenda beim Umweltrat im März setzen, um die Stimmung für das nächste EU-Klimaziel abzuklopfen.
Das Gipfeltreffen der EU-Staats- und Regierungschefs Ende Juni, bei dem die Strategische Agenda 2024-2029 des Rates festgelegt wird, könnte einen weiteren Schritt machen. Der Rat könnte sich im Energieteil des langfristigen Strategiepapiers bereits auf einen langfristigen Treibhausgasreduktionspfad einigen, mitsamt einer Zielmarke für 2040. Dies möglicherweise auch in Antizipation eines EU-Parlaments, das weiter rechts und Klimapolitik ablehnender gegenüber steht. Denn das Treffen findet kurz nach der Wahl statt. Es obliegt an dieser Stelle dem Ratspräsidenten Charles Michel, das Thema auf die Tagesordnung zu setzen.
Linda Kalcher, Direktorin des Brüsseler Think-Tanks Strategic Perspectives, sieht auch für die derzeitigen Parlamentsfraktionen eine Möglichkeit, noch vor der Wahl in den Entscheidungsprozess des nächsten Parlaments einzugreifen. Dafür müssten sie sich allerdings schon jetzt auf eine Zielmarke für 2040 festlegen: “Wenn die Parteien eine Zahl in ihre Wahlprogramme für die Europawahl schreiben, dann gilt diese auch für die Abgeordneten des nächsten Parlaments”, sagt Kalcher.
Eigentlich soll es nun stehen, das Fundament für den schnellen Ausbau der erneuerbaren Energien, niedrigere Strompreise und den Aufbau der Wasserstoffwirtschaft. Die belgische Ratspräsidentschaft und das Parlament müssen noch die Trilog-Ergebnisse zum Strommarkt, zum Gaspaket und zu Gebäuden durch die letzten Abstimmungen bringen. Dann sind bis auf die Steuerrichtlinie alle Energiethemen aus dem Green Deal abgehakt. Doch bei der Umsetzung warten schon in diesem Jahr die ersten Stolpersteine. Und danach tut sich bereits der Pfad in die Zeit nach dem Fit-for-55-Paket auf.
Wenn sich die Kommission Anfang Februar erstmals formal zu einem neuen Treibhausgasziel für 2040 äußert, werden Energieexperten besonders das Begleitmaterial studieren. Denn Wegmarken für erneuerbare Energien und Energieeffizienz wird die Kommission so früh wahrscheinlich noch nicht kommunizieren. Doch die beiliegende Folgenabschätzung müsste Szenarien für verschiedene CO₂-Reduktionsziele enthalten und damit auch Pfade für die verschiedenen Sektoren – von Ökostrom über Gebäudewärme bis zu Kraftstoffen.
Ein CO₂-Ziel von 90 Prozent dürfte auf Widerstand mehrerer Mitgliedsländer stoßen. Der mehrheitlich dem polnischen Staat gehörende Kohlekonzern PGE hat davor gewarnt, dass alles über 80 Prozent zu einer kompletten Dekarbonisierung des Stromsektors vor 2040 führen werde – worauf sich Deutschland und die meisten seiner Nachbarn bereits einstellen.
Gegen eine 2040er-Quote für erneuerbare Energien wehrt sich wiederum die Nuklear-Allianz aus Frankreich und zehn weiteren Mitgliedstaaten. Im jüngsten Entwurf für seinen Energie- und Klimaplan (NECP) legte Paris keinen neuen Beitrag zum erhöhten Erneuerbaren-Ziel für 2030 fest und gab stattdessen nur ein Ziel für “dekarbonisierte Energie” aus. In der vermeintlichen Gleichstellung von Atomkraft und grünen Energien sehen andere ein schlechtes Signal für kapitalintensive Erneuerbaren-Projekte.
Ob höhere Zinsen, steigende Inflation oder Risiken in den Wertschöpfungsketten: “Das Investitionsumfeld für erneuerbare Energien ist viel schwieriger geworden”, sagt Matthias Buck, Direktor Europa bei Agora Energiewende. “Ein klares 2040-Ziel in der EU für erneuerbare Energien schafft Investitionssicherheit und reduziert dadurch die Kosten für den Ausbau von Solar- und Windenergie als zentrale Pfeiler eines klimaneutralen Energiesystems.”
In Atomkraftwerken sieht er mittelfristig keine Entlastung bei der Dekarbonisierung: “Analysen, wie etwa die der Internationalen Energieagentur, zeigen, dass die Kernenergie ihren Anteil am Strommix in der EU bis 2040 bestenfalls stabil halten wird.”
Der versteckte politische Sprengsatz in Frankreichs NECP macht deutlich, wie sehr das Thema Governance in der Energiepolitik unterschätzt wird. Denn wenn die EU ihre Ziele für Erneuerbare und Effizienz nicht erreicht, werden auch die Energiepreise für Industrie und Verbraucher nicht sinken. “Das derzeitige Governance-System, das sich auf die NECPs konzentriert, ist nicht zweckmäßig”, schreibt der Think-Tank Bruegel.
Erste Reformvorschläge gibt es, denn im ersten Halbjahr muss die Kommission eine Evaluation der Governance-Verordnung vorlegen. Das wichtigste Lobbying-Vorhaben von Eurelectric in diesem Jahr ist etwa die Einführung einer – freiwilligen – Elektrifizierungsquote von 35 Prozent für 2030 und 50 bis 70 Prozent für 2050 über die NECPs – eine Lehre aus dem Streit um Wärmepumpen. Eine grundsätzliche Reform schlägt Bruegel vor, und man kann sie als Kritik an der Kommission lesen, die derzeit die NECPs überwacht.
Einmal pro Jahr sollen stattdessen künftig die Staats- und Regierungschefs selbst einen Sondergipfel zu Energie und Klima abhalten. So wie bei den außerordentlichen Treffen während der Energiekrise und internationalen Formaten wie den G7 könnten diese Treffen laut Bruegel dauerhaft von “Energie- und Klima-Sherpas” vorbereitet werden. Ob die EU-Staaten auf Kurs sind, soll eine neue Europäische Energieagentur überwachen.
Reformen der EU-Finanzen würden dagegen ein energiepolitisches Vorhaben erleichtern, das derzeit in Brüssel hoch im Kurs steht. Nachdem die Kommission kürzlich einen Aktionsplan für die Stromnetze vorgelegt hat, will die belgische Ratspräsidentschaft beim Treffen der Energieminister im Mai mit einer Ratsschlussfolgerung zur gesamten Netzinfrastruktur nachziehen, die für die Arbeit der nächsten Kommission maßgebend ist.
Während der Energiekrise habe die EU festgestellt, dass es die Netze sind, die sie verwundbar machen, sagte Ressortchefin Tinne Van der Straeten in einem Interview mit “Contexte”: “Wir werden daher eine Diskussion über physische und legislative Hindernisse für die Entwicklung der Infrastruktur führen.” Einen weiteren Schub dürfte das Thema Netze durch den Binnenmarkt-Bericht bekommen, den der frühere italienische Premier Enrico Letta im März vorlegen soll.
Doch damit der Ausbau vorankommt, braucht es Koordination und Geld. “Die politische Diskussion zum Klimaschutzziel für 2040 wird viel stärker als beim letzten Mal verbunden sein mit Diskussionen zum neuen EU-Haushalt. In vielen ost- und südosteuropäischen Staaten werden Infrastrukturinvestitionen typischerweise ganz oder zumindest teilweise aus EU-Mitteln finanziert”, sagt Agora-Experte Buck.
Bei der Reform der Schuldenregeln könnte es zum Beispiel Erleichterung für Staaten geben, die in die Dekarbonisierung investieren, schlägt Bruegel vor. Aus EU-Fonds sollten dagegen vor allem Projekte gefördert werden, die wirklich EU-Zielen dienen und nicht einfach Pläne, die nationale Regierungen fertig in ihren Schubladen haben. Noch weiter will die Florence School gehen: “Künftige EU-Mittel für die Mitgliedstaaten könnten auch davon abhängig gemacht werden, dass sie ihr Potenzial für erneuerbare Energien und Energieeffizienz ausschöpfen.”
Mehr Koordination wollen die Regulierungsexperten auch bei einem Vorhaben, auf das die Mitgliedstaaten bei den Verhandlungen zur Strommarktreform gedrängt haben – eine leichtere Genehmigung von Kapazitätsmechanismen vor allem für den Bau von Gaskraftwerken.
Sechs Monate nach dem Inkrafttreten der Reform im Frühjahr muss die Kommission in einem Bericht Möglichkeiten aufzeigen, wie sich die Einführung von Kapazitätsmechanismen beschleunigen lässt. Weitere drei Monate später sollen bereits Legislativvorschläge folgen, es könnten die ersten energiepolitischen Gesetzentwürfe der neuen Kommission werden.
Im besten Fall werde die Reform der Kapazitätsregeln zu einem umfassenden Check der Energieversorgungssicherheit ausgeweitet, schreibt die Florence School: “Sie kann helfen, systemische Risiken zu erkennen, wie die Abhängigkeit von russischem Gas.”
08.01.2024 – 12:00-13:00 Uhr, online
FNF, Diskussion Deutschlands Staatsfinanzen nachhaltig gestalten
Die Friedrich-Naumann-Stiftung (FNF) diskutiert mit Lars Feld über die deutsche Haushaltspolitik. INFOS & ANMELDUNG
09.01.2024 – 18:00-19:30 Uhr, online
FES, Vortrag Zeitenwende für die Innere Sicherheit!? Aktuelle Bedrohungen durch Extremismus, Spionage und Sabotage
Die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) diskutiert über die aktuellen Herausforderungen in der Sicherheitspolitik. INFOS & ANMELDUNG
Argentiniens neuer Präsident Javier Milei hatte den gemeinsamen südamerikanischen Markt Mercosur zunächst als sinnlos bezeichnet. Doch nun steht er einem Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union wohl doch nicht ablehnend gegenüber. “Argentinien scheint heute eher bereit zu sein, eine Einigung zu erzielen“, sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am Mittwoch auf einer Veranstaltung in Lissabon.
Handelsexperten zufolge schließt sich das Zeitfenster für den Abschluss des EU-Mercosur-Abkommens und die Ratifizierung in Kürze. Denn im Juni stehen die Europawahlen an. Ende Januar trifft sich die Gemeinsame Marktgruppe des Mercosur in Asunción in Paraguay.
Anfang Dezember 2023 waren in Rio de Janeiro die Staatschefs von Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay zu einem Mercosur-Gipfel zusammengekommen. Ursprünglich hatte Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva bei dem Treffen einen Durchbruch bei den Verhandlungen verkünden wollen. Der war aber vor allem am Widerstand von Frankreich und dem bevorstehenden Regierungswechsel in Argentinien gescheitert. Nachdem die EU-Delegation ihre Reise zur Unterzeichnung des Abkommens abgesagt hatte, betonte sie weiter Gesprächsbereitschaft.
Die Gespräche der EU mit den Mercosur-Staaten über die Freihandelszone laufen bereits seit 23 Jahren. Eine Grundsatzeinigung aus dem Jahr 2019 wird wegen anhaltender Bedenken etwa beim Schutz des Regenwaldes nicht umgesetzt. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron kritisierte zuletzt, dass Industriebetriebe und Landwirte in Europa künftig strengen Umweltauflagen unterworfen seien. Nach Abschluss des Freihandelsabkommens müssten sie mit Anbietern in Südamerika konkurrieren, die solche Vorgaben nicht zu erfüllen hätten. vis/rtr
Zusätzlich zu dem seit Jahresanfang geltenden Einfuhrverbot für russische Diamanten haben die EU-Staaten weitere Sanktionen gegen Russlands staatlichen Diamantenförderer Alrosa und deren Chef verhängt. Sie seien für Handlungen verantwortlich, “die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen”, teilte der Rat am Mittwoch mit. Alrosa und dessen Geschäftsführer Pawel Marinytschew stünden nun auf der EU-Sanktionsliste. Dies ergänze das Einfuhrverbot für russische Diamanten.
Alrosa sei das größte Diamantenförderunternehmen der Welt und decke mehr als 90 Prozent der gesamten russischen Diamantenproduktion ab. “Das Unternehmen ist ein wichtiger Teil eines Wirtschaftssektors, der der Regierung der Russischen Föderation beträchtliche Einnahmen beschert”, heißt es weiter. 2021 hatte der staatliche Diamantenförderer Alrosa Einnahmen in Höhe von 332 Milliarden Rubel (rund 3,4 Milliarden Euro). Russland gilt als weltweit größter Produzent von Rohdiamanten.
Im Dezember hatte die Europäische Union das Importverbot für Diamanten aus Russland beschlossen. Die Maßnahme soll der Staatsführung in Moskau eine wichtige Einnahmequelle nehmen und damit auch die Fähigkeit einschränken, den Krieg gegen die Ukraine zu finanzieren. Von der Kommission wurden Russlands Einnahmen aus dem Verkauf von Diamanten zuletzt auf rund vier Milliarden Euro pro Jahr geschätzt.
Wegen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine erließ die EU bislang Sanktionen gegen fast 2000 Personen und Organisationen. Die Strafmaßnahmen umfassen auch Reisebeschränkungen. Zudem müssen in der EU vorhandene Vermögenswerte von den Betroffenen eingefroren werden. Auch ist es verboten, ihnen Geld oder anderen wirtschaftliche Ressourcen bereitzustellen. dpa
Der Präsident des serbischen Teils von Bosnien-Herzegowina, Milorad Dodik, will der staatlichen Wahlkommission in der Hauptstadt Sarajevo die Zuständigkeit für die Wahlen in seinem Landesteil entziehen. Das Parlament der teilweise autonomen Republika Srpska werde für die Teilrepublikswahlen und die Kommunalwahlen ein eigenes Wahlgesetz schaffen, kündigte Dodik am Mittwoch in der Verwaltungshauptstadt Banja Luka an.
Seit dem Krieg von 1992 bis 1995 ist Bosnien-Herzegowina in teil-autonome Einheiten, die bosnisch-kroatische Föderation (FBiH) und die Republika Srpska (RS), unterteilt. Die Vertretung nach außen, Währungspolitik, Grenzschutz, Armee und andere Funktionen nehmen gesamtstaatliche Institutionen wahr. Mit dem Friedensabkommen von Dayton (1996) hat die internationale Gemeinschaft eine Garantie für diese staatliche Ordnung übernommen.
Als serbischer Nationalist versucht Dodik seit Jahren, die RS schrittweise aus dem bosnischen Staatsverband herauszulösen. Die politischen Führungen in Serbien, Ungarn und Russland unterstützen ihn dabei. In der RS regiert Dodik Kritikern zufolge mit autoritären Methoden.
Das neue Wahlgesetz der RS werde das Parlament im Eilverfahren beschließen, sagte Dodik am Mittwoch. “Wir bringen den Wahlprozess auf der RS-Ebene dorthin, wo er hingehört”, zitierten ihn Medien. Für die Abhaltung der Wahlen zum RS-Parlament und der Kommunalwahlen in der RS werde dann ausschließlich die Republikswahlkommission der RS zuständig sein. An der Zuständigkeit der staatlichen Wahlkommission in Sarajevo für die gesamtstaatlichen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen werde sich hingegen nichts ändern, sagte Dodik. dpa
Es ist die letzte Plenarwoche des EU-Parlaments 2023 und Siegfried Mureșan hat einen vollen Terminkalender: Im Parlament debattiert er über das umstrittene spanische Amnestie-Gesetz und die kritisierte slowakische Justizreform. Er beobachtet, wie beim EU-Gipfel über die Beitrittsverhandlungen der Ukraine und der Republik Moldau beraten wird. Und dann steht noch das Gipfeltreffen seiner Fraktion an, der Europäischen Volkspartei (EVP).
Seit 2014 sitzt der 42-jährige Rumäne als Abgeordneter im EU-Parlament, seit 2019 ist er stellvertretender Vorsitzender der EVP, zuständig für Haushalt und Finanzen. Er pendelt zwischen Straßburg, Brüssel und Bukarest. “Ich habe seit Beginn meiner Amtszeit keine einzige Plenarwoche verpasst”, erinnert sich Mureșan.
Die EU ist für ihn früh das erstrebte Ziel. “Für meine Generation war Europa immer zu Hause. Europa bedeutete Rechtsstaat, Demokratie und europäische Lebensstandards. Dort wollten wir hin.” Mureșan wächst mit einer deutschen katholischen Mutter und einem rumänischen orthodoxen Vater im rumänischen Siebenbürgen auf. Zu Hause sprechen sie Deutsch und Rumänisch, feiern zweimal Ostern. “Meine Eltern haben mir Offenheit, ein Interesse für andere Sprachen, Länder und Kulturen mitgegeben”, sagt Mureșan.
Als Rumänien 2007 der EU beitritt, sei das ein besonderer Moment gewesen. Zu dieser Zeit lebt er in Berlin und arbeitet dort für den Vorsitzenden des Bundestagsausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union, Gunther Kirchbaum (CDU). “Ich wusste, dass ich von einem Gründungsmitglied der EU mehr über Europa lernen kann als in meinem Heimatland”, sagt Mureșan. 2009 wechselt er als Mitarbeiter ins EU-Parlament und kandidiert 2014 erstmalig erfolgreich für die rumänische Partei der Volksbewegung (PMP) bei der Europawahl. Seit 2018 sitzt er für die liberale Partei Partidul Național Liberal (PNL) im Parlament.
Als studierter Ökonom macht er sich in der EVP schnell als wirtschaftspolitischer Experte einen Namen. 2014 wird er leitender wirtschaftspolitischer Berater der EVP, 2016 ernennt ihn der Haushaltsausschuss als ersten Rumänen zum Verhandlungsführer für den EU-Haushalt 2018. “Ich wollte dort Verantwortung übernehmen, wo ich die notwendige Expertise hatte”, erklärt Mureșan. Er setzt mehr finanzielle Mittel für das Erasmus+-Programm durch, ebenso wie das Interrailticket für 18-Jährige.
Mit dem im November vereinbarten EU-Haushalt für 2024 ist Mureșan zufrieden. Wichtig sei ihm gewesen, das Forschungsprogramm der EU und die Wettbewerbsfähigkeit zu fördern und zugleich junge Studierende und Landwirtinnen und Landwirte zu unterstützen. Zu hohe Schulden betrachtet Mureșan als Risiko für die EU – wie es die Finanzkrise 2008 gezeigt habe.
Er setzt sich zudem für mehr Mittel im Bereich Verteidigung und Sicherheit ein. Zwei Prozent des BIP für die Nato sei für ihn ein Minimum. “Wir müssen mehr Verantwortung übernehmen und bereit sein, uns selbst verteidigen zu können”, sagt er im Hinblick auf den Ukrainekrieg. Deswegen will er künftig mehr in anderen Mitgliedsstaaten unterwegs sein, die “Nachbarschaft stärken”.
Im Juni dieses Jahres könnte Mureșan erneut ins Parlament gewählt werden, es wäre sein zehntes Jahr als Abgeordneter. Die größte Herausforderung in dieser Zeit? “Die Corona-Pandemie war für das Parlament eine Zäsur”, erinnert er sich. Er sei aber stolz darauf, wie die EU diese Krise gemeistert habe. “Wir haben es geschafft, in alle Regionen das Signal zu senden: Die EU steht euch zur Seite.” Mirjam Ratmann