sechs Wochen nach den Parlamentswahlen hat Frankreich noch immer keine neue Regierung. Präsident Emmanuel Macron hatte angekündigt, die Regierungsbildung erst nach den Olympischen Spielen in Angriff zu nehmen. Dahinter dürfte das Kalkül stecken, dem linken Bündnis NFP nach dem Wahlsieg den Wind aus den Segeln zu nehmen. Nun wird er aktiv. Heute und am Montag empfängt Macron die Partei- und Fraktionschefs zu Gesprächen im Élysée-Palast. Wie es dann weitergeht, erfahren Sie in der Analyse von Claire Stam.
Auch Belgien steht noch immer ohne neue Regierung da. Dem flämischen Separatisten Bart De Wever ist es bislang nicht gelungen, eine föderale Regierung zu bilden. Mehr dazu lesen Sie in den News.
Dort erfahren Sie auch, warum die europäischen Sozialdemokraten alles andere als begeistert sind von der Entscheidung der luxemburgischen Regierung, den Europaparlamentarier Christophe Hansen als EU-Kommissar zu nominieren.
Ich wünsche Ihnen eine interessante Lektüre und einen angenehmen Start ins Wochenende.
Anderthalb Monate nach dem zweiten Wahlgang in Frankreich kümmert sich Präsident Emmanuel Macron öffentlichkeitswirksam um die Regierungsbildung. Heute und am Montag empfängt er die Partei- und Fraktionschefs im Élysée-Palast zu Gesprächen. Wer wird neuer Ministerpräsident? Die Zeit für die Suche nach einem Nachfolger von Gabriel Attal drängt.
Laut Élysée-Palast wird “die Ernennung eines Premierministers im Anschluss an die Konsultationen und ihre Schlussfolgerungen erfolgen”. Macron setze darauf, “weiter auf die Bildung einer möglichst breiten und stabilen Mehrheit im Dienste des Landes hinzuarbeiten”. Es gehe darum, dem Wahlergebnis Rechnung zu tragen. Bei den beiden Wahlgängen hätten die Franzosen ihren “Willen zum Wandel und zu einem breiten Zusammenschluss” zum Ausdruck gebracht.
Die im Nouveau Front populaire (NFP) zusammengeschlossene Linke übt ihrerseits Druck auf den Präsidenten aus. Sie will, dass Macron die hochrangige Beamtin Lucie Castets als Premier beruft. Die NFP argumentiert, dass sie mit 193 Abgeordneten die meisten Sitze im Parlament hat. Die vier Gruppierungen der NFP (Parti socialiste, La France insoumise, Les Écologistes und Parti communiste français) werden am heutigen Freitag mit Castets im Élysée-Palast ihre Aufwartung machen. Deren Kandidatur wurde jedoch bereits im Juli von Macron abgeschmettert. “Die Frage ist, welche Mehrheit im Parlament zustande kommen kann”, sagte er.
Sechs Wochen nach den Parlamentswahlen hat Frankreich immer noch keine neue Regierung. Das Tagesgeschäft wird von der Regierung von Ministerpräsident Gabriel Attal geführt. Dass es so schleichend vorangeht, scheint Macrons Kalkül zu sein. Er wollte abwarten, bis die mit dem Wahlergebnis entstandene Dynamik zugunsten der Linken abebbt.
Tatsächlich gibt die Verfassung der Fünften Republik dem Staatspräsidenten das Privileg, den Premierminister zu ernennen. Daher konnte Emmanuel Macron zunächst ankündigen, dass die Bildung einer neuen Regierung erst nach der “olympischen Pause” erfolgen solle. Nun geht es also los.
Das verfassungsmäßige Privileg des Präsidenten hat jedoch Grenzen: Der Staatshaushalt muss vor Jahresende verabschiedet werden. Dafür wird es höchste Zeit, dass die Zuständigen mit den Vorbereitungen und der Aufstellung des Etats im September beginnen. Konkret bedeutet dies, dass der Haushaltsvorschlag am 25. September im Ministerrat vorgelegt werden muss. Nach der Vorlage im Ministerrat muss der Haushalt dann bis spätestens zum 1. Oktober in der Nationalversammlung eingebracht werden. Die Parlamentarier haben dann bis Mitte Dezember Zeit, um über den Haushalt 2025 zu verhandeln und abzustimmen.
Die Haushaltsverhandlungen werden somit hochpolitisch: Macron sieht seinen Handlungsspielraum eingeschränkt, denn letztendlich hat das Parlament das letzte Wort. Seit dessen Auflösung und den vorgezogenen Parlamentswahlen ist die politische Gleichung besonders komplex geworden: Die fehlende politische Mehrheit in der Nationalversammlung könnte zu einer Blockade führen, wenn es den widerstreitenden Fraktionen nicht gelingen sollte, einen Kompromiss zum Etat zu finden. Eine solche Situation hat es in der Geschichte der Fünften Republik noch nicht gegeben.
“Wir befinden uns auf einem schmalen Grat”, kommentiert ein Abgeordneter, der anonym bleiben möchte. Er beobachtet, dass sich die Linke beim Haushalt einen Standpunkt einnimmt, der sich deutlich von den Ansichten der Regierung und denen der Konservativen unterscheidet. Die Regierung will die geplanten Ausgaben einfrieren, die Konservativen wollen sie senken. Lucie Castets hingegen sagt: “Ich halte es für unangemessen und unverantwortlich, im aktuellen Kontext eine Sparpolitik zu betreiben. Das ist eher ein Dogma als eine wirtschaftliche Logik.”
Der Haushaltsentwurf der Linken will das Wachstum ankurbeln. Dazu soll ein Konjunkturprogramm aufgelegt werden. Dieser keynesianisch inspirierte Plan, der auf Investitionen und Infrastrukturen abzielt, könnte Schätzungen zufolge bis zu zehn Milliarden Euro umfassen. Der abgewählte, aber noch amtierende Ministerpräsident Attal hatte vor wenigen Tagen einen Haushaltsentwurf vorgelegt, der zehn Milliarden Euro an Einsparungen vorsieht, um die Ausgaben auf 492 Milliarden Euro zu begrenzen.
Der EVP-Europaabgeordnete Christophe Hansen soll EU-Kommissar werden. Das teilte der luxemburgische Premierminister Luc Frieden am gestrigen Donnerstag über X mit. Hansen hat sich im Parlament als Agrar-, Umwelt- und Handelspolitiker einen Namen gemacht und war federführend an den Verhandlungen zur Entwaldungsrichtlinie beteiligt.
2018 war Hansen ins Europäische Parlament nachgerückt. Ende 2023 trat er als Europaabgeordneter zurück, um in die luxemburgische Abgeordnetenkammer zu wechseln, nur um im Juni dieses Jahres wieder ins Europaparlament einzuziehen.
Mit Hansen würde Ursula von der Leyens zweite Kommission um ein weiteres männliches Mitglied anwachsen. Von der Leyens Ziel einer Kommission mit einem ausgeglichenen Geschlechterverhältnis rückt damit in weite Ferne.
Für Unmut sorgt die Nominierung bei den Sozialdemokraten. Sie hatten den aktuellen luxemburgischen EU-Kommissar Nicolas Schmit zu ihrem Spitzenkandidaten bei den Europawahlen ausgerufen. Die Sozialdemokraten hofften, auf diese Weise Schmits Platz in der Kommission sichern zu können, auch wenn Luxemburg aktuell eine konservative Regierung hat. 2019 hatte die liberale niederländische Regierung den sozialdemokratischen Spitzenkandidaten Frans Timmermans nominiert.
In einer Pressemitteilung wirft der Vorsitzende der Europa-SPD René Repasi der luxemburgischen Regierung “schlechten Stil” vor, da sie das Spitzenkandidatenprinzip missachte. “Der Vorgang wirft ein ungutes Licht auf die nun beginnende zweite Amtszeit der Von-der-Leyen-Kommission”, so Repasi. jaa
Die Bildung einer neuen Föderalregierung in Belgien ist vorerst gescheitert. Der mit der Regierungsbildung beauftragte flämische Politiker Bart De Wever kündigte am Donnerstag an, dass er sein Amt niederlegen wolle. Zuvor hatten sich die fünf an den Koalitionsverhandlungen beteiligen Parteien über die Steuerpolitik zerstritten.
Nach belgischen Medienberichten hat der König den Rücktritt am Donnerstagabend nach einem Gespräch mit De Wever angenommen. Dennoch sollen die Koalitionsgespräche am Freitag weitergehen.
Knackpunkt in den Gesprächen ist die Besteuerung der Gewinne aus Kapitalgeschäften. Die flämischen Sozialdemokraten von Vooruit hatten eine Steuer in Höhe von zehn Prozent gefordert; die wallonischen Liberalen des Mouvement Réformateur lehnten dies kategorisch ab. De Wever gelang es nicht, die Gegensätze zu überbrücken.
Alle Beteiligten stehen unter Zeitdruck. Bis Ende des Monats muss Belgien einen Kandidaten für die nächste EU-Kommission benennen. Bis zum 15. September muss das Land zudem bei der Brüsseler Behörde einen Plan zum Abbau des rund 25 Milliarden Euro hohen Budgetdefizits vorlegen. Die dafür nötigen massiven Kürzungen haben die Koalitionsgespräche von Anfang an belastet.
Die bisherige Koalition unter dem nur noch geschäftsführenden Premier Alexandre De Croo hatte bei der Parlamentswahl am 9. Juni die Mehrheit verloren. Nun war eine neue Koalition geplant. 74 Tage nach der Wahl sieht es allerdings so aus, als stecke sie schon in der Krise. ebo
Das Europäische Parlament ist erneut ins Visier von Datenschützern geraten. Das Europäisches Zentrum für Digitale Rechte – noyb des österreichischen Bürgerrechtsaktivisten Max Schrems hat im Namen von vier Mitarbeitenden des Europaparlaments zwei Beschwerden (Beschwerde 1 und Beschwerde 2) beim Europäischen Datenschutzbeauftragten (EDSB) eingereicht. Das teilte noyb am Donnerstag mit.
Anfang Mai 2024 hatte das Parlament seine Mitarbeitenden über ein massives Datenleck bei der Rekrutierungsplattform People informiert. Die persönlichen Daten von mehr als 8.000 aktuellen und ehemaligen Mitarbeitenden seien dabei kompromittiert worden. Dazu gehörten sensible Dokumente wie Personalausweise, Reisepässe, Strafregisterauszüge und Heiratsurkunden.
“Es ist beunruhigend, dass EU-Institutionen immer noch so anfällig für Angriffe sind”, sagte Max Schrems. Diese Art von sensiblen Informationen könnten Angreifer dazu nutzen, demokratische Prozesse zu beeinflussen.
noyb (None of your business, zu Deutsch: Geht dich nichts an), seit 2018 aktiv, setzt sich für die Durchsetzung europäischer Datenschutzrechte ein und hat bereits etwa 800 Verfahren gegen Unternehmen wie Google und Facebook angestoßen. Die Organisation sieht im aktuellen Vorfall beim EU-Parlament einen Verstoß gegen mehrere Artikel der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) und fordert eine angemessene Reaktion des EDSB.
Das Parlament räumte Schwachstellen in seiner Cybersicherheit ein, nachdem es im November 2023 eine interne Überprüfung vorgenommen hatte. Diese ergab, dass die IT-Sicherheitsmaßnahmen des Parlaments nicht den Industriestandards entsprechen. noyb fordert nun, dass das Parlament seine Datenschutzpraktiken in Einklang mit der DSGVO bringt. Und es verlangt, dass der EDSB eine Verwaltungsstrafe verhängt, um zukünftige Verstöße zu verhindern. vis
Ob strenge Vorschriften, Subventionen oder Preisanreize: In den vergangenen 20 Jahren haben Regierungen weltweit zahlreiche Klimaschutzmaßnahmen eingeführt. Welche davon wirklich wirksam sind, bleibt oft unklar. Forscher fanden nun heraus, dass nur 63 von 1.500 Klimamaßnahmen der vergangenen zwei Jahrzehnte weltweit zu nennenswerten Emissionsreduktionen führten. Als “nennenswert” wurde den Angaben zufolge eine Minderung um mindestens 5 bis 10 Prozent eingestuft. Im Mittel lag der Wert bei den Erfolgsfällen bei 19 Prozent.
Was diese Erfolgsfälle der im Fachjournal “Science” veröffentlichten Studie zufolge gemeinsam haben: Sie setzen auf die Hebelwirkung von Steuer- und Preisanreizen. Die Autoren der Studie weisen darauf hin, dass eine Mischung von Ansätzen besonders sinnvoll ist: “Unsere Ergebnisse zeigen klar, dass der Erfolg von Klimamaßnahmen vom richtigen Mix der Instrumente abhängt”, sagt Leitautorin Annika Stechemesser vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK).
Der Studie zufolge reiche es nicht, allein auf Subventionen oder Regulierung zu setzen. “Viel hilft nicht automatisch viel”, sagt Nicolas Koch, ebenfalls Leitautor vom PIK und vom Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC).
Die Forschenden fanden laut einer Mitteilung keinen Fall, in dem Verbote allein schon zu nennenswerten Emissionsreduktionen führten. Erst in Kombination mit Steuer- und Preisanreizen erzielten sie eine Reduktion.
Für die Studie wertete das Forschungsteam unter der Leitung des PIK und MCC 1.500 Klimamaßnahmen aus 41 Ländern über 6 Kontinente aus der Zeit von 1998 bis 2022 aus.
Ein Mix von Maßnahmen sei gerade in wirtschaftlich entwickelten Ländern effektiv, hieß es weiter. Für Deutschland nennen die Forscher die Ökosteuerreform ab 1999 und die Lkw-Maut 2005 als erfolgreiche Maßnahmen im Verkehrssektor. Es sei die einzige Politikkombination, die hierzulande bislang zu einer nennenswerten Emissionsreduktion geführt habe.
Andere Länder setzten auf einen anderen Maßnahmen-Mix: Die USA habe die Belastung im Verkehrssektor etwa durch Steueranreize, Subventionen für umweltfreundliche Fahrzeuge und CO₂-Effizienzstandards verringert. Im Stromsektor erwies sich in Großbritannien etwa die Kombination aus einem CO₂-Mindestpreis, Subventionen für erneuerbare Energien und einem Kohleausstiegsplan als besonders erfolgreich. Im Gebäudesektor in Schweden war es die Mischung aus CO₂-Bepreisung und Förderprogrammen für Sanierungen und Heizungswechsel.
Aus den Ergebnissen ließen sich bewährte Best Practices ableiten. “Quer durch die Sektoren Gebäude, Strom, Industrie und Verkehr und sowohl in Industrieländern als auch in den oft vernachlässigten Entwicklungsländern”, sagt Koch.
Zwar könne man die Maßnahmen aus den verschiedenen Ländern “nicht zwingend 1:1 auf andere übertragen”. Doch es sei möglich, dass die Maßnahmen-Mischungen der Erfolgsfälle ähnlich entwickelten Ländern Orientierung geben, sagt Stechemesser. “Wir glauben, dass dieses Orientierungswissen von großer Bedeutung ist, um Politik und Gesellschaft bei der Transformation zur Klimaneutralität zu unterstützen.” dpa
Der Klimawandel erhöht nach einer neuen Datenanalyse die Gefahr für viele Unesco-Welterbestätten, durch Fluten, Stürme oder extreme Hitze beschädigt zu werden. Unter den 50 gefährdetsten Stätten in der Region Asien-Pazifik, Nordamerika und Europa seien auch zwei Orte in Deutschland, teilte das britische Analysehaus Climate X am Donnerstag mit.
Auf Platz zwölf liegt demnach die ehemalige Steinkohlen-Zeche Zollverein in Essen. Dort bestehe die erhöhte Gefahr von Überflutungen. Der charakteristische Förderturm liegt einige Kilometer von der Ruhr und dem Rhein-Herne-Kanal entfernt. Auf Platz 22 listet Climate X die Altstädte von Stralsund und Wismar. Sie seien sowohl von über die Ufer tretenden Flüssen, Starkregen als auch Stürmen bedroht.
Auf den ersten drei Plätzen liegen laut der Analyse:
In Europa gibt es neben den deutschen mehrere weitere gefährdete Welterbestätten unter den Top 50. Auf Rang vier zum Beispiel die Eisenhütte im schwedischen Engelsberg und auf Platz sechs die bekannten Malereien in der Chauvet-Höhle in Südfrankreich, die von Starkregen und Erdrutschen bedroht seien. ber
sechs Wochen nach den Parlamentswahlen hat Frankreich noch immer keine neue Regierung. Präsident Emmanuel Macron hatte angekündigt, die Regierungsbildung erst nach den Olympischen Spielen in Angriff zu nehmen. Dahinter dürfte das Kalkül stecken, dem linken Bündnis NFP nach dem Wahlsieg den Wind aus den Segeln zu nehmen. Nun wird er aktiv. Heute und am Montag empfängt Macron die Partei- und Fraktionschefs zu Gesprächen im Élysée-Palast. Wie es dann weitergeht, erfahren Sie in der Analyse von Claire Stam.
Auch Belgien steht noch immer ohne neue Regierung da. Dem flämischen Separatisten Bart De Wever ist es bislang nicht gelungen, eine föderale Regierung zu bilden. Mehr dazu lesen Sie in den News.
Dort erfahren Sie auch, warum die europäischen Sozialdemokraten alles andere als begeistert sind von der Entscheidung der luxemburgischen Regierung, den Europaparlamentarier Christophe Hansen als EU-Kommissar zu nominieren.
Ich wünsche Ihnen eine interessante Lektüre und einen angenehmen Start ins Wochenende.
Anderthalb Monate nach dem zweiten Wahlgang in Frankreich kümmert sich Präsident Emmanuel Macron öffentlichkeitswirksam um die Regierungsbildung. Heute und am Montag empfängt er die Partei- und Fraktionschefs im Élysée-Palast zu Gesprächen. Wer wird neuer Ministerpräsident? Die Zeit für die Suche nach einem Nachfolger von Gabriel Attal drängt.
Laut Élysée-Palast wird “die Ernennung eines Premierministers im Anschluss an die Konsultationen und ihre Schlussfolgerungen erfolgen”. Macron setze darauf, “weiter auf die Bildung einer möglichst breiten und stabilen Mehrheit im Dienste des Landes hinzuarbeiten”. Es gehe darum, dem Wahlergebnis Rechnung zu tragen. Bei den beiden Wahlgängen hätten die Franzosen ihren “Willen zum Wandel und zu einem breiten Zusammenschluss” zum Ausdruck gebracht.
Die im Nouveau Front populaire (NFP) zusammengeschlossene Linke übt ihrerseits Druck auf den Präsidenten aus. Sie will, dass Macron die hochrangige Beamtin Lucie Castets als Premier beruft. Die NFP argumentiert, dass sie mit 193 Abgeordneten die meisten Sitze im Parlament hat. Die vier Gruppierungen der NFP (Parti socialiste, La France insoumise, Les Écologistes und Parti communiste français) werden am heutigen Freitag mit Castets im Élysée-Palast ihre Aufwartung machen. Deren Kandidatur wurde jedoch bereits im Juli von Macron abgeschmettert. “Die Frage ist, welche Mehrheit im Parlament zustande kommen kann”, sagte er.
Sechs Wochen nach den Parlamentswahlen hat Frankreich immer noch keine neue Regierung. Das Tagesgeschäft wird von der Regierung von Ministerpräsident Gabriel Attal geführt. Dass es so schleichend vorangeht, scheint Macrons Kalkül zu sein. Er wollte abwarten, bis die mit dem Wahlergebnis entstandene Dynamik zugunsten der Linken abebbt.
Tatsächlich gibt die Verfassung der Fünften Republik dem Staatspräsidenten das Privileg, den Premierminister zu ernennen. Daher konnte Emmanuel Macron zunächst ankündigen, dass die Bildung einer neuen Regierung erst nach der “olympischen Pause” erfolgen solle. Nun geht es also los.
Das verfassungsmäßige Privileg des Präsidenten hat jedoch Grenzen: Der Staatshaushalt muss vor Jahresende verabschiedet werden. Dafür wird es höchste Zeit, dass die Zuständigen mit den Vorbereitungen und der Aufstellung des Etats im September beginnen. Konkret bedeutet dies, dass der Haushaltsvorschlag am 25. September im Ministerrat vorgelegt werden muss. Nach der Vorlage im Ministerrat muss der Haushalt dann bis spätestens zum 1. Oktober in der Nationalversammlung eingebracht werden. Die Parlamentarier haben dann bis Mitte Dezember Zeit, um über den Haushalt 2025 zu verhandeln und abzustimmen.
Die Haushaltsverhandlungen werden somit hochpolitisch: Macron sieht seinen Handlungsspielraum eingeschränkt, denn letztendlich hat das Parlament das letzte Wort. Seit dessen Auflösung und den vorgezogenen Parlamentswahlen ist die politische Gleichung besonders komplex geworden: Die fehlende politische Mehrheit in der Nationalversammlung könnte zu einer Blockade führen, wenn es den widerstreitenden Fraktionen nicht gelingen sollte, einen Kompromiss zum Etat zu finden. Eine solche Situation hat es in der Geschichte der Fünften Republik noch nicht gegeben.
“Wir befinden uns auf einem schmalen Grat”, kommentiert ein Abgeordneter, der anonym bleiben möchte. Er beobachtet, dass sich die Linke beim Haushalt einen Standpunkt einnimmt, der sich deutlich von den Ansichten der Regierung und denen der Konservativen unterscheidet. Die Regierung will die geplanten Ausgaben einfrieren, die Konservativen wollen sie senken. Lucie Castets hingegen sagt: “Ich halte es für unangemessen und unverantwortlich, im aktuellen Kontext eine Sparpolitik zu betreiben. Das ist eher ein Dogma als eine wirtschaftliche Logik.”
Der Haushaltsentwurf der Linken will das Wachstum ankurbeln. Dazu soll ein Konjunkturprogramm aufgelegt werden. Dieser keynesianisch inspirierte Plan, der auf Investitionen und Infrastrukturen abzielt, könnte Schätzungen zufolge bis zu zehn Milliarden Euro umfassen. Der abgewählte, aber noch amtierende Ministerpräsident Attal hatte vor wenigen Tagen einen Haushaltsentwurf vorgelegt, der zehn Milliarden Euro an Einsparungen vorsieht, um die Ausgaben auf 492 Milliarden Euro zu begrenzen.
Der EVP-Europaabgeordnete Christophe Hansen soll EU-Kommissar werden. Das teilte der luxemburgische Premierminister Luc Frieden am gestrigen Donnerstag über X mit. Hansen hat sich im Parlament als Agrar-, Umwelt- und Handelspolitiker einen Namen gemacht und war federführend an den Verhandlungen zur Entwaldungsrichtlinie beteiligt.
2018 war Hansen ins Europäische Parlament nachgerückt. Ende 2023 trat er als Europaabgeordneter zurück, um in die luxemburgische Abgeordnetenkammer zu wechseln, nur um im Juni dieses Jahres wieder ins Europaparlament einzuziehen.
Mit Hansen würde Ursula von der Leyens zweite Kommission um ein weiteres männliches Mitglied anwachsen. Von der Leyens Ziel einer Kommission mit einem ausgeglichenen Geschlechterverhältnis rückt damit in weite Ferne.
Für Unmut sorgt die Nominierung bei den Sozialdemokraten. Sie hatten den aktuellen luxemburgischen EU-Kommissar Nicolas Schmit zu ihrem Spitzenkandidaten bei den Europawahlen ausgerufen. Die Sozialdemokraten hofften, auf diese Weise Schmits Platz in der Kommission sichern zu können, auch wenn Luxemburg aktuell eine konservative Regierung hat. 2019 hatte die liberale niederländische Regierung den sozialdemokratischen Spitzenkandidaten Frans Timmermans nominiert.
In einer Pressemitteilung wirft der Vorsitzende der Europa-SPD René Repasi der luxemburgischen Regierung “schlechten Stil” vor, da sie das Spitzenkandidatenprinzip missachte. “Der Vorgang wirft ein ungutes Licht auf die nun beginnende zweite Amtszeit der Von-der-Leyen-Kommission”, so Repasi. jaa
Die Bildung einer neuen Föderalregierung in Belgien ist vorerst gescheitert. Der mit der Regierungsbildung beauftragte flämische Politiker Bart De Wever kündigte am Donnerstag an, dass er sein Amt niederlegen wolle. Zuvor hatten sich die fünf an den Koalitionsverhandlungen beteiligen Parteien über die Steuerpolitik zerstritten.
Nach belgischen Medienberichten hat der König den Rücktritt am Donnerstagabend nach einem Gespräch mit De Wever angenommen. Dennoch sollen die Koalitionsgespräche am Freitag weitergehen.
Knackpunkt in den Gesprächen ist die Besteuerung der Gewinne aus Kapitalgeschäften. Die flämischen Sozialdemokraten von Vooruit hatten eine Steuer in Höhe von zehn Prozent gefordert; die wallonischen Liberalen des Mouvement Réformateur lehnten dies kategorisch ab. De Wever gelang es nicht, die Gegensätze zu überbrücken.
Alle Beteiligten stehen unter Zeitdruck. Bis Ende des Monats muss Belgien einen Kandidaten für die nächste EU-Kommission benennen. Bis zum 15. September muss das Land zudem bei der Brüsseler Behörde einen Plan zum Abbau des rund 25 Milliarden Euro hohen Budgetdefizits vorlegen. Die dafür nötigen massiven Kürzungen haben die Koalitionsgespräche von Anfang an belastet.
Die bisherige Koalition unter dem nur noch geschäftsführenden Premier Alexandre De Croo hatte bei der Parlamentswahl am 9. Juni die Mehrheit verloren. Nun war eine neue Koalition geplant. 74 Tage nach der Wahl sieht es allerdings so aus, als stecke sie schon in der Krise. ebo
Das Europäische Parlament ist erneut ins Visier von Datenschützern geraten. Das Europäisches Zentrum für Digitale Rechte – noyb des österreichischen Bürgerrechtsaktivisten Max Schrems hat im Namen von vier Mitarbeitenden des Europaparlaments zwei Beschwerden (Beschwerde 1 und Beschwerde 2) beim Europäischen Datenschutzbeauftragten (EDSB) eingereicht. Das teilte noyb am Donnerstag mit.
Anfang Mai 2024 hatte das Parlament seine Mitarbeitenden über ein massives Datenleck bei der Rekrutierungsplattform People informiert. Die persönlichen Daten von mehr als 8.000 aktuellen und ehemaligen Mitarbeitenden seien dabei kompromittiert worden. Dazu gehörten sensible Dokumente wie Personalausweise, Reisepässe, Strafregisterauszüge und Heiratsurkunden.
“Es ist beunruhigend, dass EU-Institutionen immer noch so anfällig für Angriffe sind”, sagte Max Schrems. Diese Art von sensiblen Informationen könnten Angreifer dazu nutzen, demokratische Prozesse zu beeinflussen.
noyb (None of your business, zu Deutsch: Geht dich nichts an), seit 2018 aktiv, setzt sich für die Durchsetzung europäischer Datenschutzrechte ein und hat bereits etwa 800 Verfahren gegen Unternehmen wie Google und Facebook angestoßen. Die Organisation sieht im aktuellen Vorfall beim EU-Parlament einen Verstoß gegen mehrere Artikel der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) und fordert eine angemessene Reaktion des EDSB.
Das Parlament räumte Schwachstellen in seiner Cybersicherheit ein, nachdem es im November 2023 eine interne Überprüfung vorgenommen hatte. Diese ergab, dass die IT-Sicherheitsmaßnahmen des Parlaments nicht den Industriestandards entsprechen. noyb fordert nun, dass das Parlament seine Datenschutzpraktiken in Einklang mit der DSGVO bringt. Und es verlangt, dass der EDSB eine Verwaltungsstrafe verhängt, um zukünftige Verstöße zu verhindern. vis
Ob strenge Vorschriften, Subventionen oder Preisanreize: In den vergangenen 20 Jahren haben Regierungen weltweit zahlreiche Klimaschutzmaßnahmen eingeführt. Welche davon wirklich wirksam sind, bleibt oft unklar. Forscher fanden nun heraus, dass nur 63 von 1.500 Klimamaßnahmen der vergangenen zwei Jahrzehnte weltweit zu nennenswerten Emissionsreduktionen führten. Als “nennenswert” wurde den Angaben zufolge eine Minderung um mindestens 5 bis 10 Prozent eingestuft. Im Mittel lag der Wert bei den Erfolgsfällen bei 19 Prozent.
Was diese Erfolgsfälle der im Fachjournal “Science” veröffentlichten Studie zufolge gemeinsam haben: Sie setzen auf die Hebelwirkung von Steuer- und Preisanreizen. Die Autoren der Studie weisen darauf hin, dass eine Mischung von Ansätzen besonders sinnvoll ist: “Unsere Ergebnisse zeigen klar, dass der Erfolg von Klimamaßnahmen vom richtigen Mix der Instrumente abhängt”, sagt Leitautorin Annika Stechemesser vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK).
Der Studie zufolge reiche es nicht, allein auf Subventionen oder Regulierung zu setzen. “Viel hilft nicht automatisch viel”, sagt Nicolas Koch, ebenfalls Leitautor vom PIK und vom Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC).
Die Forschenden fanden laut einer Mitteilung keinen Fall, in dem Verbote allein schon zu nennenswerten Emissionsreduktionen führten. Erst in Kombination mit Steuer- und Preisanreizen erzielten sie eine Reduktion.
Für die Studie wertete das Forschungsteam unter der Leitung des PIK und MCC 1.500 Klimamaßnahmen aus 41 Ländern über 6 Kontinente aus der Zeit von 1998 bis 2022 aus.
Ein Mix von Maßnahmen sei gerade in wirtschaftlich entwickelten Ländern effektiv, hieß es weiter. Für Deutschland nennen die Forscher die Ökosteuerreform ab 1999 und die Lkw-Maut 2005 als erfolgreiche Maßnahmen im Verkehrssektor. Es sei die einzige Politikkombination, die hierzulande bislang zu einer nennenswerten Emissionsreduktion geführt habe.
Andere Länder setzten auf einen anderen Maßnahmen-Mix: Die USA habe die Belastung im Verkehrssektor etwa durch Steueranreize, Subventionen für umweltfreundliche Fahrzeuge und CO₂-Effizienzstandards verringert. Im Stromsektor erwies sich in Großbritannien etwa die Kombination aus einem CO₂-Mindestpreis, Subventionen für erneuerbare Energien und einem Kohleausstiegsplan als besonders erfolgreich. Im Gebäudesektor in Schweden war es die Mischung aus CO₂-Bepreisung und Förderprogrammen für Sanierungen und Heizungswechsel.
Aus den Ergebnissen ließen sich bewährte Best Practices ableiten. “Quer durch die Sektoren Gebäude, Strom, Industrie und Verkehr und sowohl in Industrieländern als auch in den oft vernachlässigten Entwicklungsländern”, sagt Koch.
Zwar könne man die Maßnahmen aus den verschiedenen Ländern “nicht zwingend 1:1 auf andere übertragen”. Doch es sei möglich, dass die Maßnahmen-Mischungen der Erfolgsfälle ähnlich entwickelten Ländern Orientierung geben, sagt Stechemesser. “Wir glauben, dass dieses Orientierungswissen von großer Bedeutung ist, um Politik und Gesellschaft bei der Transformation zur Klimaneutralität zu unterstützen.” dpa
Der Klimawandel erhöht nach einer neuen Datenanalyse die Gefahr für viele Unesco-Welterbestätten, durch Fluten, Stürme oder extreme Hitze beschädigt zu werden. Unter den 50 gefährdetsten Stätten in der Region Asien-Pazifik, Nordamerika und Europa seien auch zwei Orte in Deutschland, teilte das britische Analysehaus Climate X am Donnerstag mit.
Auf Platz zwölf liegt demnach die ehemalige Steinkohlen-Zeche Zollverein in Essen. Dort bestehe die erhöhte Gefahr von Überflutungen. Der charakteristische Förderturm liegt einige Kilometer von der Ruhr und dem Rhein-Herne-Kanal entfernt. Auf Platz 22 listet Climate X die Altstädte von Stralsund und Wismar. Sie seien sowohl von über die Ufer tretenden Flüssen, Starkregen als auch Stürmen bedroht.
Auf den ersten drei Plätzen liegen laut der Analyse:
In Europa gibt es neben den deutschen mehrere weitere gefährdete Welterbestätten unter den Top 50. Auf Rang vier zum Beispiel die Eisenhütte im schwedischen Engelsberg und auf Platz sechs die bekannten Malereien in der Chauvet-Höhle in Südfrankreich, die von Starkregen und Erdrutschen bedroht seien. ber