gestern am frühen Abend sollten eigentlich bereits die schriftlichen Antworten der Kommissarsanwärter beim Parlament eingegangen sein. Entgegen den Zusagen hat die Kommission die Antworten nicht um 19 Uhr geliefert, und auch nicht um 21.30 Uhr. Ein hochrangiger Abgeordneter: “Das ist nicht akzeptabel.”
Den designierten Kommissaren waren zwei allgemeine Fragen sowie die spezifischen Fragen der Fachausschüsse (je drei bei mehreren beteiligten Ausschüssen) gestellt worden. Die Antworten darauf wurden mit maßgeblicher Unterstützung der Generaldirektionen erstellt. Daher dürften sie wohl abgewogen sein.
Interessanter werden die mündlichen Beiträge der Kandidaten bei den Bestätigungsanhörungen, die am 4. November beginnen und am 12. November um 21.30 Uhr abgeschlossen sein sollen. Dann antworten die Bewerber spontaner. Inzwischen wurde festgelegt, wie dabei die Redezeiten verteilt werden. Das Dokument liegt Europe.Table vor.
Der Ausschussvorsitzende hat für die Begrüßung fünf Minuten, danach darf sich der Bewerber 15 Minuten vorstellen. Dann beginnt die erste Fragerunde, in der die Koordinatoren der acht Fraktionen jeweils Fünf-Minuten-Slots für Frage und Antwort bekommen. Wobei: Wenn mehrere Ausschüsse gleichberechtigt sind, wie etwa Umwelt (ENVI), Industrie (ITRE) und Wirtschaft (ECON) im Fall des Klimakommissars Wopke Hoekstra, müssen die Koordinatoren einer Fraktion unter sich ausmachen, wer die Frage stellen darf.
Die zweite Runde dauert 84 Minuten! Wie viele Slots (je drei Minuten) an Fragezeit den Fraktionen zustehen, hängt von der Zahl der beteiligten Ausschüsse und der Größe der Fraktionen ab. Bei zwei beteiligten Ausschüssen bekommt die EVP als größte Fraktion acht Slots à drei Minuten, S&D fünf Slots à drei Minuten, “Patrioten”, EKR und Renew drei Slots, Grüne und Linke zwei Slots à drei Minuten. Eingeladene Ausschüsse bekommen auch Slots.
In der dritten Runde hat jede Fraktion noch einmal einen Slot, bevor der Bewerber fünf Minuten für sein Schlusswort hat. Das Ganze dauert mindestens drei Stunden und wird übertragen. Danach treten unmittelbar die Koordinatoren zusammen und entscheiden. Ein Anwärter auf einen Kommissarsposten benötigt für seine Bestätigung mindestens die Stimmen der Koordinatoren, die zwei Drittel der Abgeordneten im Parlament entsprechen.
Kommen Sie gut durch den Tag!
Herr Guttenberg, seit dem Leak wird heftig über die Ideen aus der Kommission zum Umbau des EU-Budgets diskutiert. Wird die Reform beerdigt, bevor sie überhaupt das Licht der Welt gesehen hat?
Es ist wohl kein Zufall, dass diese Überlegungen in so einem frühen Stadium nach draußen gedrungen sind. Der Ansatz stellt viele hergebrachte Strukturen infrage. Aber ich halte es für eine notwendige Diskussion, die wir jetzt führen sollten.
Wir diskutieren über Ideen aus der Generaldirektion Budget, die noch nicht ausgegoren sind. Weder Ursula von der Leyen noch die neuen Kommissare haben sich damit schon ausführlich beschäftigt.
Wer von der Leyens Political Guidelines gelesen hat oder ihren Mission Letter an den neuen Haushaltskommissar Piotr Serafin, der findet in der Präsentation nichts wirklich Überraschendes. Die Grundstruktur war dort schon angelegt, der Wettbewerbsfähigkeitsfonds etwa oder die Idee eines einheitlichen Plans für jeden Mitgliedstaat, der Reformen und Investitionen bündelt. In der EU ist man sich seit Langem einig, dass der Mehrjährige Finanzrahmen, so wie er ist, nicht zukunftsfähig ist. Aber bislang hat die Kommission stets davor zurückgeschreckt, ambitionierte Reformen vorzuschlagen. Jetzt steht endlich ein weitreichender Vorschlag im Raum. Ich finde, die Beweislast liegt nun bei denen, die so weitermachen wollen wie bisher.
Entscheidend in dieser Debatte werden die Mitgliedstaaten sein, die das Geld geben. Aus Berlin war bislang vorsichtige Unterstützung für die Reformen zu hören.
Der Tenor in den vergangenen Monaten war ja, dass die EU einfacher und transparenter werden muss. Der jetzige MFR ist ein Wust, mit ganz vielen unterschiedlichen Programmen, die teilweise dasselbe machen. Deswegen finde ich es erst einmal folgerichtig, dass es in der Bundesregierung keine Abwehrreflexe gibt. Richtig ist auch, dass wir erstmal über die Struktur reden und darüber, wofür das Geld ausgegeben werden soll, und dann erst über die Höhe des Budgets. Dann werden wir wieder eine andere Diskussion haben, in Deutschland und in der EU.
Sehr laute Kritik kommt bereits aus dem Europaparlament. Die CDU/CSU-Abgeordneten Daniel Caspary und Angelika Niebler haben von der Leyen gewarnt, das Europaparlament zum “Frühstücksparlament” zu degradieren, ohne Einfluss auf die Ausgaben und Kontrolle.
Ich kann dieses Argument nicht nachvollziehen. In den jährlichen Haushaltsverhandlungen zwischen Parlament und Rat geht es immer nur um einen kleinen Betrag. Ein sehr großer Teil des Budgets, nämlich Kohäsion und Agrarpolitik, ist auf Jahre fest verplant und in den Händen der Mitgliedstaaten. Diese entscheiden, welche Projekte konkret aus den Struktur- und Agrarfonds gefördert werden, nicht die europäische Ebene. Da hat das Parlament nach der Verabschiedung des MFR alle sieben Jahre nichts mehr zu melden. Deswegen ist es mir schleierhaft, wie Abgeordnete darauf kommen, dass sie im Vergleich zum jetzigen System weniger Mitspracherecht bekämen. Für das Parlament als Haushaltsgesetzgeber kann es eigentlich nur besser werden.
Das Parlament hat nur wenig Mitsprache bei der Corona-Aufbau- und Resilienzfazilität (ARF), dem Vorbild für das Reformkonzept aus der Kommission.
Das stimmt, liegt aber daran, dass das ARF-Geld wegen der für die gemeinsame Verschuldung notwendigen Vertragskonstruktion außerhalb des regulären EU-Haushalts läuft. Aber hier sprechen wir von regulären Haushaltsmitteln. Als Parlament würde ich die Chance ergreifen, mir mehr Mitsprache zu sichern.
Und wie?
Indem es sich bei der Gestaltung der Pläne Einfluss sichert, aber vor allem, indem es darauf dringt, dass mehr Geld in die direkt von der Kommission verwalteten Bereiche fließt, etwa im angedachten Wettbewerbsfähigkeitsfonds. So könnte das Parlament als echter Haushaltsgesetzgeber agieren. Die defensive und strukturkonservative Reaktion aus dem Parlament macht mich wirklich ratlos.
Stiege im Zuge der Reform das Risiko, dass EU-Gelder vergeudet oder veruntreut werden?
Im Moment machen wir die Kommission in diesem Shared-Management-Bereich für die Mittelverwendung verantwortlich, für die sie wenig kann. Nicht Brüssel, sondern nationale Behörden entscheiden darüber, wie das Geld aus den Strukturfonds genau ausgegeben wird. Die Kommission muss das zwar nachhalten, aber sie ist nicht verantwortlich dafür, wenn zum Beispiel der Bau eines Golfplatzes gefördert wird. Ich finde es deshalb ehrlicher, den Mitgliedstaaten einen Anteil des Budgets für die Struktur- für Agrarpolitik zu überweisen, gebunden an bestimmte Auflagen, und die Bewirtschaftung der Gelder in ihre Hände zu legen. Dann müssen sie sich dafür auch verantworten. Und natürlich braucht man einen europäischen Kontrollmechanismus.
Wie könnte der aussehen?
Im ARF-System überwacht die Kommission die Einhaltung der nationalen Pläne. Der Europäische Rechnungshof schaut genau hin, ob die Mittel auch entsprechend ausgegeben werden. Ich sehe da aktuell kein systematisches Kontrolldefizit. Vor allem glaube ich nicht, dass die politische Verantwortlichkeit und die Kontrollmöglichkeiten des Europaparlaments im jetzigen System besser sind, nur weil es super granular ist. Im Moment ist niemand so richtig für irgendwas verantwortlich.
Immerhin wacht der Haushaltskontrollausschuss über die Verwendung der Gelder.
Ja, man muss sich aber auch eines klarmachen: Im jetzigen System werden Zahlungen aus dem EU-Haushalt getätigt für Investitionsprojekte, die teilweise bis zu zehn Jahre vorher beschlossen wurden. Was wir heute bezahlen, hat überhaupt nichts mit dem zu tun, was wir heute politisch wollen. Dieses zeitliche Auseinanderlaufen führt irgendwann die politische Kontrolle ad absurdum. Das würde deutlich verbessert, wenn nicht mehr nachträglich die Kosten abgerechnet werden, sondern die Auszahlung an die Performance der Mitgliedstaaten geknüpft wird.
Die nationalen Pläne würden, wie beim ARF, von Kommission und den nationalen Regierungen ausgehandelt – was beiden viel Macht verschafft.
Natürlich muss man dafür sorgen, dass nicht nur Regierungen und Kommission am Tisch sitzen. Die nationalen Regierungen sollten in ihrer eigenen Verantwortung die Stakeholder beteiligen, die Regionen, die Zivilgesellschaft usw. Das kann man sicherlich besser machen als im ARF. Dafür sollten neue Regeln eingeführt werden, aber da kann man die Mitgliedstaaten auch nicht aus der Verantwortung entlassen.
Die Bundesländer beklagen, sie seien beim deutschen ARF-Umsetzungsplan von der Bundesregierung kaum eingebunden worden.
Ich fände es sinnvoll, in Deutschland gemeinsam darüber zu diskutieren, wie Bund, Länder und Kommunen das EU-Geld ausgeben. Das System würde dadurch deutlich transparenter. Das aber wollen wohl nicht alle, die vom bisherigen, schwer zu durchschauenden System profitieren.
Die Bundesländer sind alarmiert.
Und das ist auch verständlich. Sie sind ein großer Nutznießer des jetzigen Systems, in dem der Bund Geld nach Brüssel schickt, das dann direkt und ohne politische Diskussion auf Bundesebene in die Bundesländer zurückgeleitet wird. Das ist bequem.
Wie wirksam sind die Strukturhilfen überhaupt aus Ihrer Sicht?
Die Datenlage dazu ist bestenfalls gemischt. Aber ich sehe vor allem in der Strukturpolitik mittlerweile eine massive Unschärfe in der Zielstellung. Damit sollen sehr viele Dinge gleichzeitig erreicht werden, das klappt selten. Deswegen hielte ich es für sinnvoll, einen Teil dieser Mittel in Zukunft gemeinsam für die Erreichung gesamteuropäischer Ziele einzusetzen. Schon vor dem Draghi-Bericht gab es in Brüssel einen breiten Konsens, welche Prioritäten wir setzen müssten, um wettbewerbsfähig zu sein. Dann muss sich das auch in dem Rahmen wiederfinden, wie wir Geld ausgeben.
Von der Leyen plant dafür einen Wettbewerbsfähigkeitsfonds, in dem die vielen einzelnen Programme von InvestEU bis Horizon Europe zusammengefasst werden sollen. Der richtige Ansatz?
Es ist sinnvoll, auch da zu vereinfachen. Entscheidender wird aber sein, dass man nicht nur mit Zahlen zaubert wie beim Juncker-Fonds. Da hieß es ja überspitzt gesagt, wir machen aus zwei Milliarden Euro frisches Geld 200 Milliarden, in dem wir private Investoren reinholen.
Was spricht dagegen angesichts der knappen öffentlichen Haushalte?
Es spricht nichts dagegen, private Akteure mit an Bord zu nehmen, wo das sinnvoll ist. Aber das darf nicht die ganze Logik sein. Die EU braucht schon echtes Geld, um echte Ausgaben tätigen zu können, um europäische Bahnstrecken oder Stromnetze zu bauen. Das kostet Geld, da beißt die Maus keinen Faden ab.
Lucas Guttenberg ist seit September 2024 Senior Advisor der Bertelsmann Stiftung, wo er die Arbeit zur europäischen Wirtschaftspolitik verantwortet. Zuvor war er als Referent im Leitungsstab des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz und als stellvertretender Direktor des Jacques Delors Centre an der Hertie School tätig. Dort entwickelte er mit zwei Kollegen im Frühjahr 2020 ein Konzept für einen EU-Hilfsfonds in der Corona-Pandemie, der als Blaupause für die Aufbau- und Resilienzfazilität in Next Generation EU dienen sollte. Seine Laufbahn begann er bei der Europäischen Zentralbank.
Die Bundesländer laufen Sturm gegen Pläne der EU-Kommission, die Struktur des EU-Haushalts radikal zu ändern und Geld für die Regionalpolitik künftig über die Bundesebene auszahlen zu wollen. Auf der Ministerpräsidenten-Konferenz in Leipzig wollen die 16 Bundesländer deshalb nach Informationen der Nachrichtenagentur Reuters einstimmig eine Erklärung verabschieden, in der die Ampel-Regierung aufgefordert wird, klar gegen die Überlegungen in Brüssel Position zu beziehen.
Die Pläne “stehen in einem eklatanten Widerspruch zur bisherigen und bewährten dezentralen Strukturpolitik. Sollten orts- und regionsbezogene EU-Regional- und die Förderprogramme ausschließlich zentral von Bundesseite aus verhandelt und deren Umsetzung gesteuert werden, wäre dies nicht mit dem Subsidiaritätsprinzip vereinbar“, heißt es in dem Reuters vorliegenden Antrag der Länder Sachsen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Thüringen.
Hintergrund ist auch das Misstrauen, dass Finanzminister Christian Lindner (FDP) sich in Brüssel nicht für die Anliegen der Länder einsetzen könnte. Die Kommission hatte vorgeschlagen, dass es künftig nur noch einen Förderplan pro EU-Land für die milliardenschwere Kohäsionspolitik geben soll. Die Länder fürchten dadurch eine deutliche Verschiebung der Macht von den Regionen zu den nationalen Regierungen. rtr
Das Europäische Parlament hat am Dienstag neuen Regeln zur Verbesserung des Luftraummanagements in der EU zugestimmt. Die Reform soll den Flugverkehr effizienter und umweltfreundlicher gestalten. Fluggesellschaften sollen durch verbindliche Leistungsziele und modifizierte Flugsicherungsgebühren dazu angeregt werden, kraftstoffeffizientere Routen zu wählen. Zudem wird der Wettbewerb bei Flugsicherungsdiensten gestärkt. Mit der Entscheidung setzt das Parlament einen Schlussstrich unter ein seit gut zehn Jahren laufendes Gesetzgebungsverfahren.
“Die neuen Regeln werden den Luftverkehr sicherer, pünktlicher und klimafreundlicher machen”, sagte der Ko-Berichterstatter Johan Danielsson (S&D). “Im Jahr 2023 waren fast drei von zehn Flügen um mehr als 15 Minuten verspätet. Diese Reform wird dabei helfen, das zu ändern.” Sie sei ein Schritt nach vorn bei der Beseitigung von Engpässen, sagte Ko-Berichterstatter Jens Gieseke (EVP). “Die Schaffung eines wirklich einheitlichen europäischen Luftraums wurde jedoch von den Mitgliedstaaten blockiert, die nicht bereit waren, ihre nationalen Kompetenzen zum Wohle der Allgemeinheit aufzugeben.”
Heute fliegen Flugzeuge im europäischen Luftraum im Durchschnitt einen Umweg von 49 Kilometern im Vergleich zur direkten Luftdistanz. Diese Umwege entstehen durch verschiedene Faktoren wie die Vermeidung von Militärzonen, höhere Überfluggebühren in einigen Ländern, Wetterbedingungen und Überlastungen.
Insgesamt sind die Kernpunkte der Reform:
Da beide Mitgesetzgeber die neuen Regeln nun gebilligt haben, treten sie 20 Tage nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der EU in Kraft. Während die meisten Bestimmungen ab diesem Datum gelten, treten andere wie etwa die Sanktionen für Verstöße oder Unabhängigkeit der nationalen Aufsichtsbehörden erst zwei Jahre später in Kraft.
Die Kommission hatte bereits 2013 eine Überarbeitung des Rahmens für den einheitlichen europäischen Luftraum (Single European Sky, SES) vorgelegt (das Paket SES 2+). Das Parlament nahm seinen Standpunkt in erster Lesung im März 2014 an. Doch der Rat konnte sich im Dezember 2014 nur auf eine partielle allgemeine Ausrichtung einigen. Hintergrund war ein Streit zwischen dem Vereinigten Königreich und Spanien über die Anwendung des Textes auf den Flughafen Gibraltar. Da diese Blockade nach dem Brexit nicht mehr bestand, legte die Kommission 2020 einen geänderten Vorschlag vor. Nach wiederum jahrelangen Verhandlungen erzielten der Rat und das Parlament im März 2024 eine Einigung. Der Rat verabschiedete die neuen Vorschriften im September 2024. vis
Die EU will laut Finanzminister Christian Lindner rund 18 Milliarden Euro zu einem internationalen Kredit an die Ukraine beisteuern. “Wir stehen in dieser Woche vor einem Durchbruch bei der Unterstützung der Ukraine“, sagte der FDP-Chef bei einem Besuch in New York. Er sei dankbar, dass die USA sich voraussichtlich mit 20 Milliarden Dollar beteiligten wollten. “Das macht den Weg frei auch für die Unterstützung der Europäischen Union in einer Größenordnung von 18 Milliarden Euro.”
Es geht um einen Kredit in Höhe von 50 Milliarden US-Dollar, den die sieben großen westlichen Industriestaaten bei einem Gipfel im Juni beschlossen haben und der durch Zinserträge aus eingefrorenem russischem Vermögen abgesichert werden soll. Die USA haben zuletzt 20 Milliarden US-Dollar (rund 18,5 Milliarden Euro) für das Paket in Aussicht gestellt. Auch Großbritannien hat angekündigt, sich mit umgerechnet rund 2,71 Milliarden Euro zu beteiligen. Es wird erwartet, dass bis Ende der Woche eine Einigung der Beteiligten steht.
Das EU-Parlament hatte am Dienstag den Plan der EU mit großer Mehrheit gebilligt, eingefrorene russische Guthaben für Kredite in Höhe von bis zu 35 Milliarden Euro zu verwenden. Kritik an dem Plan kam vom Ständigen Vertreter Russlands bei der EU, Kirill Logvinov. Er beschuldigte die Union am Dienstag, ein Wirtschaftsverbrechen globalen Ausmaßes zu begehen, wenn sie eingefrorene russische Guthaben zur Finanzierung der Ukraine verwendet, berichtete die russische Nachrichtenagentur TASS. dpa/rtr
Das EU-Parlament diskutiert heute über die Bewältigung der Stahlkrise und eine Erklärung der Kommission dazu. “Europäische Lösungen für die Stahlkrise gehören in den Clean Industrial Deal”, sagte dazu im Vorfeld der Grünen-Koordinator für den Industrieausschuss, Michael Bloss. “Europa braucht einen Standard für grünen Stahl, um Leitmärkte für die öffentliche Beschaffung zu entwickeln und möglicherweise auch Quoten für die Automobilindustrie einzuführen. Grüner Stahl muss in Europa zukünftig voll mit erneuerbaren Energien und ohne CO₂-Emissionen produziert werden.” ber
Michiel Scheffer verbringt bereits sein ganzes Leben an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft, Politik und Wirtschaft. Geboren wurde der Niederländer in eine Unternehmerfamilie – Vater und Großvater waren CEOs. “Ich bin als Kind schon immer zwischen den Maschinen umhergelaufen”, sagt Scheffer in einem Interview. Schon bald fing er an, sich dafür zu interessieren, wie Wirtschaft, aber vor allem auch wie Innovation funktioniert. Heute ist er Vorstandsvorsitzender des European Innovation Council (EIC) – und diskutiert über das Thema am 8. November beim Falling Walls Science Summit in Berlin.
In seiner Doktorarbeit an der Universität Utrecht schrieb Scheffer über “Handelsplätze, Mode, Einzelhandel und die sich verändernde Geografie der Bekleidungsproduktion in den Niederlanden, Belgien, Frankreich und dem Vereinigten Königreich”. Danach war er sowohl in der Wirtschaft als auch in der Wissenschaft erfolgreich. Er ist mit der Welt der Start-ups vertraut und hat mit vielen Universitäten zusammengearbeitet.
Scheffer ist Gründer und CEO von Polisema, einem Unternehmen, das Beratungs- und Investitionsdienstleistungen für Start-ups in Bereichen von IKT und Textilien bis hin zu medizinischen Geräten und Energiespeicherung anbietet. Er war CEO von “Noéton Policy in Innovation”, das Beratungsdienste in den Bereichen Innovationsmanagement und öffentliche Angelegenheiten anbietet.
Die teilweise schlechten Erfahrungen, die er mit EU-Anträgen und Förderprojekten machte, bewogen ihn, in die Politik zu gehen. Er wurde Regionalminister von Gelderland. In dieser Funktion war er verantwortlich für ein EFRE-Programm und für Interreg DE-NL. Zudem war Scheffer Mitglied des Ausschusses der Regionen.
Damit war der Weg für den nächsten logischen Schritt in Richtung EU bereitet. 2023 übernahm der begeisterte Hobby-Radfahrer den Chefposten beim EIC. Und das in politisch komplizierten Zeiten. Die 2018 noch vom damaligen EU-Forschungskommissar Carlos Moedas ins Leben gerufene Agentur kam anfangs nicht in Gang. Die Kommission stritt zu der Zeit noch darüber, wie das mit Kapitalbeteiligungen an Start-up-Unternehmen verbundene Risiko zu handhaben sei.
Ziel des EIC ist es, bahnbrechende Technologien und disruptive Innovationen zu identifizieren, zu fördern und zu verbreiten, ein Bereich, in dem die EU zuvor keine nennenswerten Fortschritte gemacht hat. Trotz guter Forschungs- und Entwicklungsleistungen hat die EU noch immer Schwierigkeiten, Spitzenforschung in skalierbare Produkte und Dienstleistungen umzusetzen. Vor allem Deep Tech will Scheffer fördern und den Start-ups dort mit seiner Unterstützung über das Valley of Death helfen. Dabei geht es nicht nur um Geld, sondern auch um Beratung und die Vernetzung mit Gleichgesinnten.
Mittlerweile ist die Agentur auf einem besseren Weg. Scheffer scheint mit seinem, wie er selbst sagt, offenen Führungsstil den Turnaround geschafft zu haben. Er fahre viel in die Mitgliedstaaten und spreche dort vor allem mit denen, die es nicht geschafft haben, eine EIC-Förderung zu bekommen, erzählt er. Er kennt aber natürlich auch einige Best-Practice-Beispiele und freut sich sichtlich über deren positive Entwicklung.
Mit dem aktuellen Budget sei er sich jedoch “nicht sicher, ob wir damit das Leben unserer Enkelkinder retten”, sagt Scheffer. “Selbst wenn man das Budget des Accelerators verdoppelt, steigt es von sieben Milliarden Euro auf 14 Milliarden Euro in sieben Jahren.” Im Jahr 2024 hat Scheffer gerade mal 1,2 Milliarden Euro zur Verfügung. Entsprechend niedrig ist auch die Bewilligungsquote (acht Prozent).
Vor diesem Hintergrund ist auch die Diskussion um die Zukunft des EIC in vollem Gange. Werden ERC und EIC zu großen, eigenständigen Agenturen, während das Horizon-Programm in einem großen Wettbewerbsfond aufgeht? Soll das EIC zu einer “ARPA-type-Agency” werden, mit schnelleren Verfahren und einer verbesserten Governance, wie es der Draghi-Bericht fordert? Oder bleibt es bei einer Stärkung, wie jüngst der Heitor-Report empfiehlt?
Scheffer wird diesen Diskussionen vermutlich gelassen entgegenblicken und kurze, präzise Antworten parat haben – wie er es in seinen Interviews zeigt. Wann wollen Sie in Rente? Mit 72. Wie viel Kaffee am Tag? Vier Tassen. Wie lange brauchen Sie morgens? 20 Minuten. Wo war ihr bester Kuss? In Malaga. Markus Weisskopf
Beim Falling Walls Science Summit in Berlin nimmt Michiel Scheffer am 8. November um 15 Uhr an einer von der Boston Consulting Group und der Sprind-Agentur organisierten Diskussion über “Europe’s Path to Innovation” teil. Das Programm des Summit finden Sie hier, weitere Porträts der Table.Briefings-Reihe “Breakthrough-Minds” lesen Sie hier.
gestern am frühen Abend sollten eigentlich bereits die schriftlichen Antworten der Kommissarsanwärter beim Parlament eingegangen sein. Entgegen den Zusagen hat die Kommission die Antworten nicht um 19 Uhr geliefert, und auch nicht um 21.30 Uhr. Ein hochrangiger Abgeordneter: “Das ist nicht akzeptabel.”
Den designierten Kommissaren waren zwei allgemeine Fragen sowie die spezifischen Fragen der Fachausschüsse (je drei bei mehreren beteiligten Ausschüssen) gestellt worden. Die Antworten darauf wurden mit maßgeblicher Unterstützung der Generaldirektionen erstellt. Daher dürften sie wohl abgewogen sein.
Interessanter werden die mündlichen Beiträge der Kandidaten bei den Bestätigungsanhörungen, die am 4. November beginnen und am 12. November um 21.30 Uhr abgeschlossen sein sollen. Dann antworten die Bewerber spontaner. Inzwischen wurde festgelegt, wie dabei die Redezeiten verteilt werden. Das Dokument liegt Europe.Table vor.
Der Ausschussvorsitzende hat für die Begrüßung fünf Minuten, danach darf sich der Bewerber 15 Minuten vorstellen. Dann beginnt die erste Fragerunde, in der die Koordinatoren der acht Fraktionen jeweils Fünf-Minuten-Slots für Frage und Antwort bekommen. Wobei: Wenn mehrere Ausschüsse gleichberechtigt sind, wie etwa Umwelt (ENVI), Industrie (ITRE) und Wirtschaft (ECON) im Fall des Klimakommissars Wopke Hoekstra, müssen die Koordinatoren einer Fraktion unter sich ausmachen, wer die Frage stellen darf.
Die zweite Runde dauert 84 Minuten! Wie viele Slots (je drei Minuten) an Fragezeit den Fraktionen zustehen, hängt von der Zahl der beteiligten Ausschüsse und der Größe der Fraktionen ab. Bei zwei beteiligten Ausschüssen bekommt die EVP als größte Fraktion acht Slots à drei Minuten, S&D fünf Slots à drei Minuten, “Patrioten”, EKR und Renew drei Slots, Grüne und Linke zwei Slots à drei Minuten. Eingeladene Ausschüsse bekommen auch Slots.
In der dritten Runde hat jede Fraktion noch einmal einen Slot, bevor der Bewerber fünf Minuten für sein Schlusswort hat. Das Ganze dauert mindestens drei Stunden und wird übertragen. Danach treten unmittelbar die Koordinatoren zusammen und entscheiden. Ein Anwärter auf einen Kommissarsposten benötigt für seine Bestätigung mindestens die Stimmen der Koordinatoren, die zwei Drittel der Abgeordneten im Parlament entsprechen.
Kommen Sie gut durch den Tag!
Herr Guttenberg, seit dem Leak wird heftig über die Ideen aus der Kommission zum Umbau des EU-Budgets diskutiert. Wird die Reform beerdigt, bevor sie überhaupt das Licht der Welt gesehen hat?
Es ist wohl kein Zufall, dass diese Überlegungen in so einem frühen Stadium nach draußen gedrungen sind. Der Ansatz stellt viele hergebrachte Strukturen infrage. Aber ich halte es für eine notwendige Diskussion, die wir jetzt führen sollten.
Wir diskutieren über Ideen aus der Generaldirektion Budget, die noch nicht ausgegoren sind. Weder Ursula von der Leyen noch die neuen Kommissare haben sich damit schon ausführlich beschäftigt.
Wer von der Leyens Political Guidelines gelesen hat oder ihren Mission Letter an den neuen Haushaltskommissar Piotr Serafin, der findet in der Präsentation nichts wirklich Überraschendes. Die Grundstruktur war dort schon angelegt, der Wettbewerbsfähigkeitsfonds etwa oder die Idee eines einheitlichen Plans für jeden Mitgliedstaat, der Reformen und Investitionen bündelt. In der EU ist man sich seit Langem einig, dass der Mehrjährige Finanzrahmen, so wie er ist, nicht zukunftsfähig ist. Aber bislang hat die Kommission stets davor zurückgeschreckt, ambitionierte Reformen vorzuschlagen. Jetzt steht endlich ein weitreichender Vorschlag im Raum. Ich finde, die Beweislast liegt nun bei denen, die so weitermachen wollen wie bisher.
Entscheidend in dieser Debatte werden die Mitgliedstaaten sein, die das Geld geben. Aus Berlin war bislang vorsichtige Unterstützung für die Reformen zu hören.
Der Tenor in den vergangenen Monaten war ja, dass die EU einfacher und transparenter werden muss. Der jetzige MFR ist ein Wust, mit ganz vielen unterschiedlichen Programmen, die teilweise dasselbe machen. Deswegen finde ich es erst einmal folgerichtig, dass es in der Bundesregierung keine Abwehrreflexe gibt. Richtig ist auch, dass wir erstmal über die Struktur reden und darüber, wofür das Geld ausgegeben werden soll, und dann erst über die Höhe des Budgets. Dann werden wir wieder eine andere Diskussion haben, in Deutschland und in der EU.
Sehr laute Kritik kommt bereits aus dem Europaparlament. Die CDU/CSU-Abgeordneten Daniel Caspary und Angelika Niebler haben von der Leyen gewarnt, das Europaparlament zum “Frühstücksparlament” zu degradieren, ohne Einfluss auf die Ausgaben und Kontrolle.
Ich kann dieses Argument nicht nachvollziehen. In den jährlichen Haushaltsverhandlungen zwischen Parlament und Rat geht es immer nur um einen kleinen Betrag. Ein sehr großer Teil des Budgets, nämlich Kohäsion und Agrarpolitik, ist auf Jahre fest verplant und in den Händen der Mitgliedstaaten. Diese entscheiden, welche Projekte konkret aus den Struktur- und Agrarfonds gefördert werden, nicht die europäische Ebene. Da hat das Parlament nach der Verabschiedung des MFR alle sieben Jahre nichts mehr zu melden. Deswegen ist es mir schleierhaft, wie Abgeordnete darauf kommen, dass sie im Vergleich zum jetzigen System weniger Mitspracherecht bekämen. Für das Parlament als Haushaltsgesetzgeber kann es eigentlich nur besser werden.
Das Parlament hat nur wenig Mitsprache bei der Corona-Aufbau- und Resilienzfazilität (ARF), dem Vorbild für das Reformkonzept aus der Kommission.
Das stimmt, liegt aber daran, dass das ARF-Geld wegen der für die gemeinsame Verschuldung notwendigen Vertragskonstruktion außerhalb des regulären EU-Haushalts läuft. Aber hier sprechen wir von regulären Haushaltsmitteln. Als Parlament würde ich die Chance ergreifen, mir mehr Mitsprache zu sichern.
Und wie?
Indem es sich bei der Gestaltung der Pläne Einfluss sichert, aber vor allem, indem es darauf dringt, dass mehr Geld in die direkt von der Kommission verwalteten Bereiche fließt, etwa im angedachten Wettbewerbsfähigkeitsfonds. So könnte das Parlament als echter Haushaltsgesetzgeber agieren. Die defensive und strukturkonservative Reaktion aus dem Parlament macht mich wirklich ratlos.
Stiege im Zuge der Reform das Risiko, dass EU-Gelder vergeudet oder veruntreut werden?
Im Moment machen wir die Kommission in diesem Shared-Management-Bereich für die Mittelverwendung verantwortlich, für die sie wenig kann. Nicht Brüssel, sondern nationale Behörden entscheiden darüber, wie das Geld aus den Strukturfonds genau ausgegeben wird. Die Kommission muss das zwar nachhalten, aber sie ist nicht verantwortlich dafür, wenn zum Beispiel der Bau eines Golfplatzes gefördert wird. Ich finde es deshalb ehrlicher, den Mitgliedstaaten einen Anteil des Budgets für die Struktur- für Agrarpolitik zu überweisen, gebunden an bestimmte Auflagen, und die Bewirtschaftung der Gelder in ihre Hände zu legen. Dann müssen sie sich dafür auch verantworten. Und natürlich braucht man einen europäischen Kontrollmechanismus.
Wie könnte der aussehen?
Im ARF-System überwacht die Kommission die Einhaltung der nationalen Pläne. Der Europäische Rechnungshof schaut genau hin, ob die Mittel auch entsprechend ausgegeben werden. Ich sehe da aktuell kein systematisches Kontrolldefizit. Vor allem glaube ich nicht, dass die politische Verantwortlichkeit und die Kontrollmöglichkeiten des Europaparlaments im jetzigen System besser sind, nur weil es super granular ist. Im Moment ist niemand so richtig für irgendwas verantwortlich.
Immerhin wacht der Haushaltskontrollausschuss über die Verwendung der Gelder.
Ja, man muss sich aber auch eines klarmachen: Im jetzigen System werden Zahlungen aus dem EU-Haushalt getätigt für Investitionsprojekte, die teilweise bis zu zehn Jahre vorher beschlossen wurden. Was wir heute bezahlen, hat überhaupt nichts mit dem zu tun, was wir heute politisch wollen. Dieses zeitliche Auseinanderlaufen führt irgendwann die politische Kontrolle ad absurdum. Das würde deutlich verbessert, wenn nicht mehr nachträglich die Kosten abgerechnet werden, sondern die Auszahlung an die Performance der Mitgliedstaaten geknüpft wird.
Die nationalen Pläne würden, wie beim ARF, von Kommission und den nationalen Regierungen ausgehandelt – was beiden viel Macht verschafft.
Natürlich muss man dafür sorgen, dass nicht nur Regierungen und Kommission am Tisch sitzen. Die nationalen Regierungen sollten in ihrer eigenen Verantwortung die Stakeholder beteiligen, die Regionen, die Zivilgesellschaft usw. Das kann man sicherlich besser machen als im ARF. Dafür sollten neue Regeln eingeführt werden, aber da kann man die Mitgliedstaaten auch nicht aus der Verantwortung entlassen.
Die Bundesländer beklagen, sie seien beim deutschen ARF-Umsetzungsplan von der Bundesregierung kaum eingebunden worden.
Ich fände es sinnvoll, in Deutschland gemeinsam darüber zu diskutieren, wie Bund, Länder und Kommunen das EU-Geld ausgeben. Das System würde dadurch deutlich transparenter. Das aber wollen wohl nicht alle, die vom bisherigen, schwer zu durchschauenden System profitieren.
Die Bundesländer sind alarmiert.
Und das ist auch verständlich. Sie sind ein großer Nutznießer des jetzigen Systems, in dem der Bund Geld nach Brüssel schickt, das dann direkt und ohne politische Diskussion auf Bundesebene in die Bundesländer zurückgeleitet wird. Das ist bequem.
Wie wirksam sind die Strukturhilfen überhaupt aus Ihrer Sicht?
Die Datenlage dazu ist bestenfalls gemischt. Aber ich sehe vor allem in der Strukturpolitik mittlerweile eine massive Unschärfe in der Zielstellung. Damit sollen sehr viele Dinge gleichzeitig erreicht werden, das klappt selten. Deswegen hielte ich es für sinnvoll, einen Teil dieser Mittel in Zukunft gemeinsam für die Erreichung gesamteuropäischer Ziele einzusetzen. Schon vor dem Draghi-Bericht gab es in Brüssel einen breiten Konsens, welche Prioritäten wir setzen müssten, um wettbewerbsfähig zu sein. Dann muss sich das auch in dem Rahmen wiederfinden, wie wir Geld ausgeben.
Von der Leyen plant dafür einen Wettbewerbsfähigkeitsfonds, in dem die vielen einzelnen Programme von InvestEU bis Horizon Europe zusammengefasst werden sollen. Der richtige Ansatz?
Es ist sinnvoll, auch da zu vereinfachen. Entscheidender wird aber sein, dass man nicht nur mit Zahlen zaubert wie beim Juncker-Fonds. Da hieß es ja überspitzt gesagt, wir machen aus zwei Milliarden Euro frisches Geld 200 Milliarden, in dem wir private Investoren reinholen.
Was spricht dagegen angesichts der knappen öffentlichen Haushalte?
Es spricht nichts dagegen, private Akteure mit an Bord zu nehmen, wo das sinnvoll ist. Aber das darf nicht die ganze Logik sein. Die EU braucht schon echtes Geld, um echte Ausgaben tätigen zu können, um europäische Bahnstrecken oder Stromnetze zu bauen. Das kostet Geld, da beißt die Maus keinen Faden ab.
Lucas Guttenberg ist seit September 2024 Senior Advisor der Bertelsmann Stiftung, wo er die Arbeit zur europäischen Wirtschaftspolitik verantwortet. Zuvor war er als Referent im Leitungsstab des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz und als stellvertretender Direktor des Jacques Delors Centre an der Hertie School tätig. Dort entwickelte er mit zwei Kollegen im Frühjahr 2020 ein Konzept für einen EU-Hilfsfonds in der Corona-Pandemie, der als Blaupause für die Aufbau- und Resilienzfazilität in Next Generation EU dienen sollte. Seine Laufbahn begann er bei der Europäischen Zentralbank.
Die Bundesländer laufen Sturm gegen Pläne der EU-Kommission, die Struktur des EU-Haushalts radikal zu ändern und Geld für die Regionalpolitik künftig über die Bundesebene auszahlen zu wollen. Auf der Ministerpräsidenten-Konferenz in Leipzig wollen die 16 Bundesländer deshalb nach Informationen der Nachrichtenagentur Reuters einstimmig eine Erklärung verabschieden, in der die Ampel-Regierung aufgefordert wird, klar gegen die Überlegungen in Brüssel Position zu beziehen.
Die Pläne “stehen in einem eklatanten Widerspruch zur bisherigen und bewährten dezentralen Strukturpolitik. Sollten orts- und regionsbezogene EU-Regional- und die Förderprogramme ausschließlich zentral von Bundesseite aus verhandelt und deren Umsetzung gesteuert werden, wäre dies nicht mit dem Subsidiaritätsprinzip vereinbar“, heißt es in dem Reuters vorliegenden Antrag der Länder Sachsen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Thüringen.
Hintergrund ist auch das Misstrauen, dass Finanzminister Christian Lindner (FDP) sich in Brüssel nicht für die Anliegen der Länder einsetzen könnte. Die Kommission hatte vorgeschlagen, dass es künftig nur noch einen Förderplan pro EU-Land für die milliardenschwere Kohäsionspolitik geben soll. Die Länder fürchten dadurch eine deutliche Verschiebung der Macht von den Regionen zu den nationalen Regierungen. rtr
Das Europäische Parlament hat am Dienstag neuen Regeln zur Verbesserung des Luftraummanagements in der EU zugestimmt. Die Reform soll den Flugverkehr effizienter und umweltfreundlicher gestalten. Fluggesellschaften sollen durch verbindliche Leistungsziele und modifizierte Flugsicherungsgebühren dazu angeregt werden, kraftstoffeffizientere Routen zu wählen. Zudem wird der Wettbewerb bei Flugsicherungsdiensten gestärkt. Mit der Entscheidung setzt das Parlament einen Schlussstrich unter ein seit gut zehn Jahren laufendes Gesetzgebungsverfahren.
“Die neuen Regeln werden den Luftverkehr sicherer, pünktlicher und klimafreundlicher machen”, sagte der Ko-Berichterstatter Johan Danielsson (S&D). “Im Jahr 2023 waren fast drei von zehn Flügen um mehr als 15 Minuten verspätet. Diese Reform wird dabei helfen, das zu ändern.” Sie sei ein Schritt nach vorn bei der Beseitigung von Engpässen, sagte Ko-Berichterstatter Jens Gieseke (EVP). “Die Schaffung eines wirklich einheitlichen europäischen Luftraums wurde jedoch von den Mitgliedstaaten blockiert, die nicht bereit waren, ihre nationalen Kompetenzen zum Wohle der Allgemeinheit aufzugeben.”
Heute fliegen Flugzeuge im europäischen Luftraum im Durchschnitt einen Umweg von 49 Kilometern im Vergleich zur direkten Luftdistanz. Diese Umwege entstehen durch verschiedene Faktoren wie die Vermeidung von Militärzonen, höhere Überfluggebühren in einigen Ländern, Wetterbedingungen und Überlastungen.
Insgesamt sind die Kernpunkte der Reform:
Da beide Mitgesetzgeber die neuen Regeln nun gebilligt haben, treten sie 20 Tage nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der EU in Kraft. Während die meisten Bestimmungen ab diesem Datum gelten, treten andere wie etwa die Sanktionen für Verstöße oder Unabhängigkeit der nationalen Aufsichtsbehörden erst zwei Jahre später in Kraft.
Die Kommission hatte bereits 2013 eine Überarbeitung des Rahmens für den einheitlichen europäischen Luftraum (Single European Sky, SES) vorgelegt (das Paket SES 2+). Das Parlament nahm seinen Standpunkt in erster Lesung im März 2014 an. Doch der Rat konnte sich im Dezember 2014 nur auf eine partielle allgemeine Ausrichtung einigen. Hintergrund war ein Streit zwischen dem Vereinigten Königreich und Spanien über die Anwendung des Textes auf den Flughafen Gibraltar. Da diese Blockade nach dem Brexit nicht mehr bestand, legte die Kommission 2020 einen geänderten Vorschlag vor. Nach wiederum jahrelangen Verhandlungen erzielten der Rat und das Parlament im März 2024 eine Einigung. Der Rat verabschiedete die neuen Vorschriften im September 2024. vis
Die EU will laut Finanzminister Christian Lindner rund 18 Milliarden Euro zu einem internationalen Kredit an die Ukraine beisteuern. “Wir stehen in dieser Woche vor einem Durchbruch bei der Unterstützung der Ukraine“, sagte der FDP-Chef bei einem Besuch in New York. Er sei dankbar, dass die USA sich voraussichtlich mit 20 Milliarden Dollar beteiligten wollten. “Das macht den Weg frei auch für die Unterstützung der Europäischen Union in einer Größenordnung von 18 Milliarden Euro.”
Es geht um einen Kredit in Höhe von 50 Milliarden US-Dollar, den die sieben großen westlichen Industriestaaten bei einem Gipfel im Juni beschlossen haben und der durch Zinserträge aus eingefrorenem russischem Vermögen abgesichert werden soll. Die USA haben zuletzt 20 Milliarden US-Dollar (rund 18,5 Milliarden Euro) für das Paket in Aussicht gestellt. Auch Großbritannien hat angekündigt, sich mit umgerechnet rund 2,71 Milliarden Euro zu beteiligen. Es wird erwartet, dass bis Ende der Woche eine Einigung der Beteiligten steht.
Das EU-Parlament hatte am Dienstag den Plan der EU mit großer Mehrheit gebilligt, eingefrorene russische Guthaben für Kredite in Höhe von bis zu 35 Milliarden Euro zu verwenden. Kritik an dem Plan kam vom Ständigen Vertreter Russlands bei der EU, Kirill Logvinov. Er beschuldigte die Union am Dienstag, ein Wirtschaftsverbrechen globalen Ausmaßes zu begehen, wenn sie eingefrorene russische Guthaben zur Finanzierung der Ukraine verwendet, berichtete die russische Nachrichtenagentur TASS. dpa/rtr
Das EU-Parlament diskutiert heute über die Bewältigung der Stahlkrise und eine Erklärung der Kommission dazu. “Europäische Lösungen für die Stahlkrise gehören in den Clean Industrial Deal”, sagte dazu im Vorfeld der Grünen-Koordinator für den Industrieausschuss, Michael Bloss. “Europa braucht einen Standard für grünen Stahl, um Leitmärkte für die öffentliche Beschaffung zu entwickeln und möglicherweise auch Quoten für die Automobilindustrie einzuführen. Grüner Stahl muss in Europa zukünftig voll mit erneuerbaren Energien und ohne CO₂-Emissionen produziert werden.” ber
Michiel Scheffer verbringt bereits sein ganzes Leben an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft, Politik und Wirtschaft. Geboren wurde der Niederländer in eine Unternehmerfamilie – Vater und Großvater waren CEOs. “Ich bin als Kind schon immer zwischen den Maschinen umhergelaufen”, sagt Scheffer in einem Interview. Schon bald fing er an, sich dafür zu interessieren, wie Wirtschaft, aber vor allem auch wie Innovation funktioniert. Heute ist er Vorstandsvorsitzender des European Innovation Council (EIC) – und diskutiert über das Thema am 8. November beim Falling Walls Science Summit in Berlin.
In seiner Doktorarbeit an der Universität Utrecht schrieb Scheffer über “Handelsplätze, Mode, Einzelhandel und die sich verändernde Geografie der Bekleidungsproduktion in den Niederlanden, Belgien, Frankreich und dem Vereinigten Königreich”. Danach war er sowohl in der Wirtschaft als auch in der Wissenschaft erfolgreich. Er ist mit der Welt der Start-ups vertraut und hat mit vielen Universitäten zusammengearbeitet.
Scheffer ist Gründer und CEO von Polisema, einem Unternehmen, das Beratungs- und Investitionsdienstleistungen für Start-ups in Bereichen von IKT und Textilien bis hin zu medizinischen Geräten und Energiespeicherung anbietet. Er war CEO von “Noéton Policy in Innovation”, das Beratungsdienste in den Bereichen Innovationsmanagement und öffentliche Angelegenheiten anbietet.
Die teilweise schlechten Erfahrungen, die er mit EU-Anträgen und Förderprojekten machte, bewogen ihn, in die Politik zu gehen. Er wurde Regionalminister von Gelderland. In dieser Funktion war er verantwortlich für ein EFRE-Programm und für Interreg DE-NL. Zudem war Scheffer Mitglied des Ausschusses der Regionen.
Damit war der Weg für den nächsten logischen Schritt in Richtung EU bereitet. 2023 übernahm der begeisterte Hobby-Radfahrer den Chefposten beim EIC. Und das in politisch komplizierten Zeiten. Die 2018 noch vom damaligen EU-Forschungskommissar Carlos Moedas ins Leben gerufene Agentur kam anfangs nicht in Gang. Die Kommission stritt zu der Zeit noch darüber, wie das mit Kapitalbeteiligungen an Start-up-Unternehmen verbundene Risiko zu handhaben sei.
Ziel des EIC ist es, bahnbrechende Technologien und disruptive Innovationen zu identifizieren, zu fördern und zu verbreiten, ein Bereich, in dem die EU zuvor keine nennenswerten Fortschritte gemacht hat. Trotz guter Forschungs- und Entwicklungsleistungen hat die EU noch immer Schwierigkeiten, Spitzenforschung in skalierbare Produkte und Dienstleistungen umzusetzen. Vor allem Deep Tech will Scheffer fördern und den Start-ups dort mit seiner Unterstützung über das Valley of Death helfen. Dabei geht es nicht nur um Geld, sondern auch um Beratung und die Vernetzung mit Gleichgesinnten.
Mittlerweile ist die Agentur auf einem besseren Weg. Scheffer scheint mit seinem, wie er selbst sagt, offenen Führungsstil den Turnaround geschafft zu haben. Er fahre viel in die Mitgliedstaaten und spreche dort vor allem mit denen, die es nicht geschafft haben, eine EIC-Förderung zu bekommen, erzählt er. Er kennt aber natürlich auch einige Best-Practice-Beispiele und freut sich sichtlich über deren positive Entwicklung.
Mit dem aktuellen Budget sei er sich jedoch “nicht sicher, ob wir damit das Leben unserer Enkelkinder retten”, sagt Scheffer. “Selbst wenn man das Budget des Accelerators verdoppelt, steigt es von sieben Milliarden Euro auf 14 Milliarden Euro in sieben Jahren.” Im Jahr 2024 hat Scheffer gerade mal 1,2 Milliarden Euro zur Verfügung. Entsprechend niedrig ist auch die Bewilligungsquote (acht Prozent).
Vor diesem Hintergrund ist auch die Diskussion um die Zukunft des EIC in vollem Gange. Werden ERC und EIC zu großen, eigenständigen Agenturen, während das Horizon-Programm in einem großen Wettbewerbsfond aufgeht? Soll das EIC zu einer “ARPA-type-Agency” werden, mit schnelleren Verfahren und einer verbesserten Governance, wie es der Draghi-Bericht fordert? Oder bleibt es bei einer Stärkung, wie jüngst der Heitor-Report empfiehlt?
Scheffer wird diesen Diskussionen vermutlich gelassen entgegenblicken und kurze, präzise Antworten parat haben – wie er es in seinen Interviews zeigt. Wann wollen Sie in Rente? Mit 72. Wie viel Kaffee am Tag? Vier Tassen. Wie lange brauchen Sie morgens? 20 Minuten. Wo war ihr bester Kuss? In Malaga. Markus Weisskopf
Beim Falling Walls Science Summit in Berlin nimmt Michiel Scheffer am 8. November um 15 Uhr an einer von der Boston Consulting Group und der Sprind-Agentur organisierten Diskussion über “Europe’s Path to Innovation” teil. Das Programm des Summit finden Sie hier, weitere Porträts der Table.Briefings-Reihe “Breakthrough-Minds” lesen Sie hier.