Table.Briefing: Europe

Puigdemont untergetaucht + Entscheidung zu Samsom + Grenzkontrollen in Estland

Liebe Leserin, lieber Leser,

Chaos in Barcelona inklusive Großfahndung: Der katalanische Separatistenführer Carles Puigdemont ist am Donnerstag tatsächlich nach Spanien zurückgekehrt, doch wurde trotz immensem Polizeiaufgebot nicht verhaftet. Isabel Cuesta Camacho hat alle Details.

Puigdemont stahl mit seinem Auftritt vor allem einem die Show: Der Sozialist Salvador Illa ist zum Regionalpräsidenten Kataloniens gewählt worden. 68 Mitglieder des Regionalparlaments in Barcelona stimmten für Illa, 67 gegen ihn. Spanische Zeitungen schrieben von einer historischen Wahl, die eine neue Zukunft für die geplagte Region eröffne, allerdings muss die neue Regionalregierung erst zeigen, dass sie überhaupt bestehen kann, wie Sie in unserer Analyse erfahren.

In den News lesen Sie zudem, wie die EU-Kommission zum Wechsel des ehemaligen Kabinettschefs von Frans Timmermans, Diederik Samsom, zum niederländischen Staatskonzern Gasunie entschieden hat.

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Ihr
Lukas Knigge
Bild von Lukas  Knigge

Analyse

Puigdemont in Barcelona untergetaucht – Illa zum Regionalpräsidenten gewählt

Nach sieben Jahren im Ausland kehrte der katalanische Seperatistenführer Carles Puigdemont nach Barcelona zurück. Trotz eines großen Polizeiaufgebots wurde er bei einer öffentlichen Ansprache vor Tausenden Anhängern in Barcelona am Donnerstag nicht festgenommen und ist seitdem untergetaucht. Der 61-Jährige kündigte an, er wolle die Bestrebungen um die Unabhängigkeit Kataloniens von Spanien wiederbeleben.

Seine Rückkehr nach Spanien war eine Kampfansage an die Justiz. Gegen Puigdemont liegt ein Haftbefehl wegen Veruntreuung im Zusammenhang mit dem Separatistenprozess aus dem Jahr 2017 vor. Der Katalane war anlässlich der Wahl des Sozialisten Salvador Illa zum Regionalpräsidenten im Regionalparlament nach Spanien zurückgekehrt. Zwei Polizeibeamte wurden festgenommen, weil sie Puigdemont zur Flucht verholfen haben sollen.

Knapp sechs Minuten dauerte Puigdemonts Ansprache an seine Anhänger vor dem Arc de Triomf in Barcelona. “Ich weiß nicht, wann wir uns wiedersehen werden, aber was auch immer passiert, wenn wir uns wiedersehen, werden wir gemeinsam schreien: Lang lebe das freie Katalonien”, beendete er seine Rede. Sein Rechtsanwalt, Gonzalo Boye, nahm Puigdemont dann am Arm und sagte ihm “vamos” (“gehen wir”). Vor laufender Kamera verschwand Puigdemont noch vor Beginn der Plenarsitzung zur Amtseinführung von Illa um 10 Uhr.

Amnestiegesetz gilt nicht für Puigdemont

Nachdem Puigdemont in der Menge der Anhänger verschwunden war, ordnete die Polizei Straßensperren in Katalonien an. Der Einsatz “Operación Jaula” (Operation Käfig) wurde nach vier Stunden, gegen Mittag, erfolglos beendet. Der Seperatistenführer bleibt untergetaucht.

Puigdemont hatte gehofft, dass das Amnestiegesetz, das nach den letzten Parlamentswahlen ausgehandelt worden war, für ihn gelten würde. Der Oberste Gerichtshof lehnte es jedoch ab, das Amnestiegesetz für das Verbrechen der Veruntreuung auf alle damals Verurteilten inklusive auf Puigdemont anzuwenden. Neben dem Verfahren wegen Veruntreuung wird gegen Puigdemont auch im sogenannten Volhov-Fall wegen angeblicher russischer Einmischung ermittelt. Puigdemont wird Hochverrat vorgeworfen, weil er Kontakte zum Kreml unterhalten haben soll, um Unterstützung für die katalanische Unabhängigkeit zu erhalten.

Keine Reaktion von Sánchez

Weder Ministerpräsident Pedro Sánchez noch seine Minister äußerten sich zum Auftauchen und Wiederverschwinden Puigdemonts. Der Oppositionsführer und Parteichef Partido Popular (PP), Alberto Núñez Feijóo, schrieb, es sei “demütigend” und unverzeihlich, das Image Spaniens auf diese Weise zu beschädigen. Parteisprecherin Cuca Gamarra erklärte, Puigdemont habe Katalonien aus dem spanischen Staat herauslösen wollen und Pedro Sánchez habe den spanischen Staat aus Katalonien herausgelöst.

Derweil hat Salvador Illa 68 Stimmen bei seiner Wahl zum Regionalpräsidenten erhalten – eine mehr als die erforderliche Mehrheit von 67 Stimmen. Sánchez gratulierte auf X.

Illa an der Spitze einer fragilen Regierung

Das Chaos rund um seine Wahl hat jedoch gezeigt, dass es seiner Regierung an Stabilität mangeln dürfte. Illas wichtigster Partner in der neuen Legislaturperiode, die Esquerra Republicana per Catalunya (ERC), warnte den Sozialisten, dass er deren Unterstützung nur dann beibehalten werde, sofern Illa “seine Versprechen” einhalte. Darunter: die steuerliche Unabhängigkeit Kataloniens.

Der Verfassungsrechtler Agustìn Ruíz Robledo von der Universität Granada erklärte Table.Briefings, dass “die hundertprozentige Steuereinbehaltung Kataloniens verfassungswidrig ist”. Zudem habe die spanische Finanzministerin María Jesús Montero im November vergangenen Jahres kategorisch abgelehnt, die Finanzhoheit an Katalonien abzugeben.

Verfassungsrechtsexperte Roberto Blanco ergänzte, für die Wirksamkeit der steuerlichen Unabhängigkeit Kataloniens sei eine Änderung des Finanzierungsgesetzes der Autonomen Gemeinschaften (LOFCA, Ley Organza de Financiación de Comunidades Autónomas) erforderlich. Eine solche Änderung könne nur vom nationalen Abgeordnetenkongress genehmigt werden. “Illa verspricht etwas, das nicht in seiner Hand liegt“, betont Blanco.

  • Katalonien
  • Puigdemont
  • Spanien
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News

Samsom: Kommission äußert sich zum Seitenwechsel

Der Wechsel eines Architekten des Green Deals zum niederländischen Staatskonzern Gasunie ist von der EU-Kommission nachträglich genehmigt worden. Diederik Samsom, früherer Kabinettschef des einflussreichen Klimakommissars Frans Timmermans, hatte im Juni bekannt gegeben, Aufsichtsratsvorsitzender des Gasunternehmens zu werden.

“Nach einer gründlichen Prüfung der Verantwortlichkeiten von Herrn Samsom in der Kommission, seiner geplanten beruflichen Tätigkeit und der sich daraus ergebenden Risiken für die Interessen und den Ruf der Institution hat die Kommission klare Bedingungen gestellt und die Einstellung unter Einhaltung der Einschränkungen genehmigt”, sagte ein Kommissionssprecher am Donnerstag auf Anfrage.

Timmermans-Vertrauter: “übliche Einschränkungen”

Samsom zufolge handelt es sich um keine außergewöhnlich harten Auflagen. “Die Kommission hat mir heute mitgeteilt, dass sie – im Rahmen der üblichen Einschränkungen, die für ehemalige Kommissionsbeamte gelten – keine Einwände gegen meine nicht-exekutive Rolle als Vorsitzender des Aufsichtsrats von Gasunie hat”, sagte Samsom laut einer Mitteilung des Unternehmens.

Lobbywächter hatten den Seitenwechsel kritisiert. “Als Kabinettschef des Klimakommissars besprach Samsom bei Treffen Themen, die für Gasunie und Lobbygruppen von direktem Interesse sind”, hatte Corporate Europe Observatory mitgeteilt und auf Treffen Samsoms zum Thema Wasserstoff und zum künftigen europäischen Wasserstoffnetz verwiesen. Der frühere Kabinettschef hatte die Kommission außerdem nicht vorab über seinen Wechsel informiert.

Kommission bedauert verspätete Mitteilung

Die Kommission bedauert meine verspätete Mitteilung. Ich habe bereits erklärt, dass ich auch bedauere, dass die Mitteilung aufgrund eines Fehlers meinerseits die Kommission nicht rechtzeitig erreicht hat”, teilte Samsom mit. Zu erteilten Auflagen äußere sich die Kommission aus Datenschutzgründen grundsätzlich nicht, erklärte der Behördensprecher. Er verwies aber allgemein auf Artikel 16 des Beamtenstatuts der Kommission.

Demnach dürfen hochrangige Beamte im ersten Jahr ihres Ausscheidens keine Lobbying- oder Beratungstätigkeiten in Angelegenheiten auszuüben, mit denen sie in den vergangenen drei Jahren betraut waren. Näheres wird die Kommission erst im nächsten Juni oder Juli in ihrem jährlichen Bericht zu Aktivitäten früherer Beamter veröffentlichen. ber

  • Erdgas
  • Green Deal
  • Lobbyismus
  • Wasserstoff

Estland: Strengere Zollkontrollen an Grenze zu Russland

Estland hat an seiner östlichen EU-Außengrenze zu Russland eine vollständige Zollkontrolle eingeführt. Auf Beschluss der Regierung des baltischen EU- und Nato-Landes werden ab sofort striktere Kontrollen an den Straßen- und Schienengrenzübergängen in Narva, Koidula und Luhamaa umgesetzt – sie ersetzen die bislang risikobasiert erfolgte Überprüfung von Passagieren und Fahrzeugen. Damit sollen Transport und Transit von EU-Sanktionen unterliegenden Gütern durch Estland unterbunden werden.

Die estnische Steuer- und Zollbehörde rief alle Grenzgänger auf, darauf zu achten, dass sie keine verbotenen Gegenstände mit sich führen. Auch solle deutlich mehr Zeit für den Grenzübertritt eingeplant werden. Laut Zollchef Voldemar Linno wird künftig jede Person und jedes Fahrzeug kontrolliert.

Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine hat die EU 14 Sanktionspakete gegen Russland auf den Weg gebracht, die auch zahlreiche Handelsbeschränkungen vorsehen. Besonders hoch ist die Zahl der Verstöße dem Chef des estnischen Zolls zufolge am Grenzübergang in der Stadt Narva. Dort werde mindestens eine Person pro Stunde mit einer Verwarnung wegen Sanktionsverstößen zurückgeschickt. dpa

  • Estland
  • Russland
  • Sanktionen
  • Ukraine-Krieg
  • Zölle
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Standpunkt

Warnung an EU-Gesetzgeber vor der Scharlatanerie von Umweltlobbyisten à la T&E

Von Thomas Koch
Thomas Koch leitet das Institut für Kolbenmaschinen am Karlsruher Institut für Technologie (KIT).

Im Juli publizierte die internationale wissenschaftliche Gesellschaft IASTEC eine Stellungnahme zur Pkw-CO₂-Regulierung der EU. Die Folgen der Gesetzgebung für 2030 wurden darin erörtert. Die Kernaussage dieser Stellungnahme ist: Mit der EU-Verordnung zur CO₂-Flottenregulierung werden die Ziele einer schnellen Reduktion der CO₂-Emissionen durch Pkw verfehlt. Die EU werde in der Folge gegen das Pariser Klimaschutzabkommen verstoßen. IASTEC fordert den Gesetzgeber daher auf, die CO₂-Flottengesetzgebung zeitnah zu überarbeiten – einschließlich einer Zielverschärfung auf der Basis der erwarteten CO₂-Emissionen.

Bezeichnend ist die Reaktion von T&E auf die Stellungnahme. Sie zeigt beispielhaft, wie diese Organisation von Umweltlobbyisten arbeitet und versucht, Einfluss auf die Legislative zu nehmen. Der T&E-Autor wirft IASTEC mangelndes Verständnis für die Thematik vor. Doch damit nicht genug: T&E lastet den Wissenschaftlern falsche Aussagen, schwerwiegende Fehler, unzulässige Vereinfachungen und nicht zulässige und falsche Berechnungsgrundlagen an. Die Stellungnahme schließt mit dem Vorwurf, IASTEC habe schon in der Vergangenheit fragwürdige Scheindebatten angezettelt.

T&E ignoriert wichtige Publikationen

Die Argumentation erstaunt, die T&E-Vorwürfe entbehren jeder sachlichen Grundlage. Man kann den Eindruck haben, T&E gehe es gar nicht um eine optimale CO₂-Reduktion. Kurz zum Vorwurf wissenschaftlicher Fehler: IASTEC bedient sich zahlreicher wissenschaftlicher Publikationen, unter anderem der Daten aus der umfassendsten Bilanzanalyse, die für eine Fahrzeugbewertung in Deutschland vorliegt. Sie wurde im Dezember 2023 vom VDI publiziert und hat ein “critical review” des Paul Scherrer Instituts (Schweiz) durchlaufen.

Das Stromnetz Deutschlands wurde in 15-minütiger Auflösung unter Berücksichtigung des Ausbauszenarios “klimaneutrales Deutschland 2045” abgebildet. Das Potenzial der “Erneuerbaren” ist berücksichtigt, Speicherpotentiale sind analysiert, umfassende Sensitivitätsanalysen wurden durchgeführt. Die zertifikatefreien Produktionsumfänge der Fahrzeuge inklusive Rohmaterialdaten von Herstellern (Batterie, Antrieb und so weiter) wurden modelliert und die Batteriezellenproduktion in China betrachtet, wobei in weiterführenden Analysen sogar die dortige regionale Situation aufbereitet wurde. T&E scheinen diese wichtigen wissenschaftlichen Publikationen entgangen sein. Oder wollte T&E sie nicht wahrnehmen?

BEV-freundliche Prämissen

Nun zu der zentralen Aussage der Bilanzanalyse: Am Beispiel des Autobahnbetriebes für ein batterieelektrisches Auto (BEV) ergibt sich nach einer Laufleistung von 200.000 Kilometern bis 2035 inklusive Produktion (etwa 18 Tonnen CO₂) eine Gesamtemission von 42,9 Tonnen CO₂. Das entspricht 214 Gramm CO₂ je Kilometer. Dabei werden durchaus BEV-freundliche Prämissen unterstellt: umfängliches Erreichen der Ausbauziele, kein Heizungsbetrieb im Winter, kein Batterieaustausch, keine Engpässe im Leitungsnetzausbau, kein Einfluss des Infrastrukturaufbaus und weiteres. Im Vergleich dazu der Diesel-Pkw: Der Dieselantrieb bewältigt ohne Nutzung von CO₂-armen Kraftstoffen die Strecke inklusive Produktion mit 34,1 Tonnen CO₂ (171 Gramm CO₂/km) und stellt eine Alternative mit Verbesserungspotenzial dar.

T&E hält dieser methodisch wissenschaftlich geprüften Bilanzanalyse andere Daten entgegen. Und begeht damit Bilanzbetrug. T&E arbeitet mit einem Mittelwertansatz und unterschlägt damit die realen CO₂-Werte. Auf diesen Fehler hat nicht etwa eine kleine Gruppe hingewiesen, wie T&E andeutet. Vielmehr haben hunderte Wissenschaftler und Energietechniker, die das Themengebiet an vielen Universitäten vertreten, der EU-Kommission im Jahr 2021 dies dargelegt. Bis heute ist dieser Darlegung im Übrigen nicht wissenschaftlich widersprochen worden. 

Grenzkosten sind relevant

Zur Erläuterung: Der Strommix bildet die mittlere CO₂-Emission eines Stromsystems unter Nutzung von CO₂-günstigen Wind- und Photovoltaikanlagen oder auch Kohle und Gas ab, zum Beispiel 380 Gramm CO₂ je kWh. Würde eine Energie von 1 kWh weniger dem Netz entzogen werden, resultiert hieraus die real einsparbare CO₂ Menge eines elektrischen Verbrauchers. Diese beträgt aber nicht 380 Gramm CO₂. Der Wind würde bei einer geringeren Last ja nicht aufhören zu blasen und die Sonne nicht aufhören zu scheinen. Die Grenzkosten sind circa doppelt so hoch, so wie der Grenzsteuersatz höher als der mittlere Steuersatz ist.

Mit dem Bilanztrick des Mittelwertansatzes, dessen sich T&E bedient, kommt man auf günstigere Emissionen elektrischer Verbraucher. Im obigen Fall würden nur noch 29,6 Tonnen CO₂ entstehen, was 148 Gramm CO₂/km entspricht. Befürworter des Mittelwertansatzes wie T&E weisen immer auf die Deckelung des EU-Emissionshandelssystems hin. Da das ETS durch Rückkopplungsmechanismen wie der Marktstabilitätsreserve jedoch kein reines “cap and trade” System mehr darstellt, greift auch diese Kritik von T&E zu kurz. Hinzu kommt: Die von T&E aufgeführten Werte von 75 Gramm CO₂/km inklusive Produktion sind für den Strommix etlicher EU-Mitgliedstaaten nicht erklärbar. Der CO₂-Fußabdruck von BEV wird hier maßlos untertrieben.

Finanzstarkes Netzwerk von Umweltlobbyisten

Dies noch zur Einordnung: Seit Jahren ist die internationale Fachwelt – Hochschullehrer, Forscher, anerkannte wissenschaftliche Gesellschaften – hochgradig befremdet, mit welchen ebenso durchsichtigen wie angreifbaren Methoden T&E arbeitet. Der europäische Dachverband von Umweltorganisationen, T&E, verfügt mit den nationalen Mitgliedsorganisationen, darunter etwa die DUH, über hohe Finanzmittel. Schätzungen gehen von Jahresbudgets von mehreren hundert Millionen Euro dieses Verbundes aus.

Mit dem Geld betreiben sie fragwürdiges Lobbying. Ein Beispiel ist ihre Kampagne gegen klimaneutrale Kraftstoffe (reFuels = eFuels und bioFuels): Es werden negative Schlagzeilen provoziert, um das Konzept reFuels zu diskreditieren. Dabei waren Kraftstoffherstellung und Ergebnisse von T&E wissenschaftlich nicht nachvollziehbar. Es wird immer wieder behauptet, eFuels seien zu teuer und ignoriert, dass längst Produktionskosten von 0,8 €/l bis 1,7 €/l in Reichweite sind. Es wird von T&E immer wieder die angebliche Ineffizienz gerade von eFuels beschworen. Dabei haben Unternehmen und Wissenschaftler längst das Potenzial erkannt, das Produktionsstandorte mit hohem Wind-/Sonnen-Erntefaktor (Faktor 2-4 oberhalb Deutschlands) haben. Finanzstarke Unternehmen planen oder bauen an wind- und sonnenreichen Standorten in Feuerland, den USA, Afrika oder Arabien Produktionskapazitäten für klimaneutrale Kraftstoffe. Statt das Potenzial für die CO₂-Einsparung im Verkehr zu sehen, betreibt T&E weiter Verleumdungskampagnen.

Der Gesetzgeber sei gewarnt: T&E betreibt ein fragwürdiges Geschäft des Umweltlobbying. Anderswo auf der Welt geht man den Kampagnen nicht auf den Leim: Kalifornien hat beschlossen, 2030 den fossilen Dieselkraftstoff zu 100 Prozent durch reFuels zu ersetzen. Schweden plante Anteile von 60 Prozent, Indien und Brasilien schmieden die größte Biokraftstoffallianz der Erde. In Europa wird diese Ergänzung jedoch behindert. T&E betont abschließend, dass das Festhalten am Verbrennungsmotor eine gestrige Position sei. Die hochindustrialisierte Welt in China, Japan oder Korea bereitet effiziente Verbrennungsmotoren mit CO₂-armen Kraftstoffen vor. Hat T&E auch diese Botschaft aus China im Dezember 2023 versäumt?

Thomas Koch leitet das Institut für Kolbenmaschinen am Karlsruher Institut für Technologie (KIT).

  • ETS
  • Klima & Umwelt
  • Verbrenner-Aus
  • Verkehrswende

Europe.Table Redaktion

EUROPE.TABLE REDAKTION

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    Chaos in Barcelona inklusive Großfahndung: Der katalanische Separatistenführer Carles Puigdemont ist am Donnerstag tatsächlich nach Spanien zurückgekehrt, doch wurde trotz immensem Polizeiaufgebot nicht verhaftet. Isabel Cuesta Camacho hat alle Details.

    Puigdemont stahl mit seinem Auftritt vor allem einem die Show: Der Sozialist Salvador Illa ist zum Regionalpräsidenten Kataloniens gewählt worden. 68 Mitglieder des Regionalparlaments in Barcelona stimmten für Illa, 67 gegen ihn. Spanische Zeitungen schrieben von einer historischen Wahl, die eine neue Zukunft für die geplagte Region eröffne, allerdings muss die neue Regionalregierung erst zeigen, dass sie überhaupt bestehen kann, wie Sie in unserer Analyse erfahren.

    In den News lesen Sie zudem, wie die EU-Kommission zum Wechsel des ehemaligen Kabinettschefs von Frans Timmermans, Diederik Samsom, zum niederländischen Staatskonzern Gasunie entschieden hat.

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    Analyse

    Puigdemont in Barcelona untergetaucht – Illa zum Regionalpräsidenten gewählt

    Nach sieben Jahren im Ausland kehrte der katalanische Seperatistenführer Carles Puigdemont nach Barcelona zurück. Trotz eines großen Polizeiaufgebots wurde er bei einer öffentlichen Ansprache vor Tausenden Anhängern in Barcelona am Donnerstag nicht festgenommen und ist seitdem untergetaucht. Der 61-Jährige kündigte an, er wolle die Bestrebungen um die Unabhängigkeit Kataloniens von Spanien wiederbeleben.

    Seine Rückkehr nach Spanien war eine Kampfansage an die Justiz. Gegen Puigdemont liegt ein Haftbefehl wegen Veruntreuung im Zusammenhang mit dem Separatistenprozess aus dem Jahr 2017 vor. Der Katalane war anlässlich der Wahl des Sozialisten Salvador Illa zum Regionalpräsidenten im Regionalparlament nach Spanien zurückgekehrt. Zwei Polizeibeamte wurden festgenommen, weil sie Puigdemont zur Flucht verholfen haben sollen.

    Knapp sechs Minuten dauerte Puigdemonts Ansprache an seine Anhänger vor dem Arc de Triomf in Barcelona. “Ich weiß nicht, wann wir uns wiedersehen werden, aber was auch immer passiert, wenn wir uns wiedersehen, werden wir gemeinsam schreien: Lang lebe das freie Katalonien”, beendete er seine Rede. Sein Rechtsanwalt, Gonzalo Boye, nahm Puigdemont dann am Arm und sagte ihm “vamos” (“gehen wir”). Vor laufender Kamera verschwand Puigdemont noch vor Beginn der Plenarsitzung zur Amtseinführung von Illa um 10 Uhr.

    Amnestiegesetz gilt nicht für Puigdemont

    Nachdem Puigdemont in der Menge der Anhänger verschwunden war, ordnete die Polizei Straßensperren in Katalonien an. Der Einsatz “Operación Jaula” (Operation Käfig) wurde nach vier Stunden, gegen Mittag, erfolglos beendet. Der Seperatistenführer bleibt untergetaucht.

    Puigdemont hatte gehofft, dass das Amnestiegesetz, das nach den letzten Parlamentswahlen ausgehandelt worden war, für ihn gelten würde. Der Oberste Gerichtshof lehnte es jedoch ab, das Amnestiegesetz für das Verbrechen der Veruntreuung auf alle damals Verurteilten inklusive auf Puigdemont anzuwenden. Neben dem Verfahren wegen Veruntreuung wird gegen Puigdemont auch im sogenannten Volhov-Fall wegen angeblicher russischer Einmischung ermittelt. Puigdemont wird Hochverrat vorgeworfen, weil er Kontakte zum Kreml unterhalten haben soll, um Unterstützung für die katalanische Unabhängigkeit zu erhalten.

    Keine Reaktion von Sánchez

    Weder Ministerpräsident Pedro Sánchez noch seine Minister äußerten sich zum Auftauchen und Wiederverschwinden Puigdemonts. Der Oppositionsführer und Parteichef Partido Popular (PP), Alberto Núñez Feijóo, schrieb, es sei “demütigend” und unverzeihlich, das Image Spaniens auf diese Weise zu beschädigen. Parteisprecherin Cuca Gamarra erklärte, Puigdemont habe Katalonien aus dem spanischen Staat herauslösen wollen und Pedro Sánchez habe den spanischen Staat aus Katalonien herausgelöst.

    Derweil hat Salvador Illa 68 Stimmen bei seiner Wahl zum Regionalpräsidenten erhalten – eine mehr als die erforderliche Mehrheit von 67 Stimmen. Sánchez gratulierte auf X.

    Illa an der Spitze einer fragilen Regierung

    Das Chaos rund um seine Wahl hat jedoch gezeigt, dass es seiner Regierung an Stabilität mangeln dürfte. Illas wichtigster Partner in der neuen Legislaturperiode, die Esquerra Republicana per Catalunya (ERC), warnte den Sozialisten, dass er deren Unterstützung nur dann beibehalten werde, sofern Illa “seine Versprechen” einhalte. Darunter: die steuerliche Unabhängigkeit Kataloniens.

    Der Verfassungsrechtler Agustìn Ruíz Robledo von der Universität Granada erklärte Table.Briefings, dass “die hundertprozentige Steuereinbehaltung Kataloniens verfassungswidrig ist”. Zudem habe die spanische Finanzministerin María Jesús Montero im November vergangenen Jahres kategorisch abgelehnt, die Finanzhoheit an Katalonien abzugeben.

    Verfassungsrechtsexperte Roberto Blanco ergänzte, für die Wirksamkeit der steuerlichen Unabhängigkeit Kataloniens sei eine Änderung des Finanzierungsgesetzes der Autonomen Gemeinschaften (LOFCA, Ley Organza de Financiación de Comunidades Autónomas) erforderlich. Eine solche Änderung könne nur vom nationalen Abgeordnetenkongress genehmigt werden. “Illa verspricht etwas, das nicht in seiner Hand liegt“, betont Blanco.

    • Katalonien
    • Puigdemont
    • Spanien
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    Samsom: Kommission äußert sich zum Seitenwechsel

    Der Wechsel eines Architekten des Green Deals zum niederländischen Staatskonzern Gasunie ist von der EU-Kommission nachträglich genehmigt worden. Diederik Samsom, früherer Kabinettschef des einflussreichen Klimakommissars Frans Timmermans, hatte im Juni bekannt gegeben, Aufsichtsratsvorsitzender des Gasunternehmens zu werden.

    “Nach einer gründlichen Prüfung der Verantwortlichkeiten von Herrn Samsom in der Kommission, seiner geplanten beruflichen Tätigkeit und der sich daraus ergebenden Risiken für die Interessen und den Ruf der Institution hat die Kommission klare Bedingungen gestellt und die Einstellung unter Einhaltung der Einschränkungen genehmigt”, sagte ein Kommissionssprecher am Donnerstag auf Anfrage.

    Timmermans-Vertrauter: “übliche Einschränkungen”

    Samsom zufolge handelt es sich um keine außergewöhnlich harten Auflagen. “Die Kommission hat mir heute mitgeteilt, dass sie – im Rahmen der üblichen Einschränkungen, die für ehemalige Kommissionsbeamte gelten – keine Einwände gegen meine nicht-exekutive Rolle als Vorsitzender des Aufsichtsrats von Gasunie hat”, sagte Samsom laut einer Mitteilung des Unternehmens.

    Lobbywächter hatten den Seitenwechsel kritisiert. “Als Kabinettschef des Klimakommissars besprach Samsom bei Treffen Themen, die für Gasunie und Lobbygruppen von direktem Interesse sind”, hatte Corporate Europe Observatory mitgeteilt und auf Treffen Samsoms zum Thema Wasserstoff und zum künftigen europäischen Wasserstoffnetz verwiesen. Der frühere Kabinettschef hatte die Kommission außerdem nicht vorab über seinen Wechsel informiert.

    Kommission bedauert verspätete Mitteilung

    Die Kommission bedauert meine verspätete Mitteilung. Ich habe bereits erklärt, dass ich auch bedauere, dass die Mitteilung aufgrund eines Fehlers meinerseits die Kommission nicht rechtzeitig erreicht hat”, teilte Samsom mit. Zu erteilten Auflagen äußere sich die Kommission aus Datenschutzgründen grundsätzlich nicht, erklärte der Behördensprecher. Er verwies aber allgemein auf Artikel 16 des Beamtenstatuts der Kommission.

    Demnach dürfen hochrangige Beamte im ersten Jahr ihres Ausscheidens keine Lobbying- oder Beratungstätigkeiten in Angelegenheiten auszuüben, mit denen sie in den vergangenen drei Jahren betraut waren. Näheres wird die Kommission erst im nächsten Juni oder Juli in ihrem jährlichen Bericht zu Aktivitäten früherer Beamter veröffentlichen. ber

    • Erdgas
    • Green Deal
    • Lobbyismus
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    Estland: Strengere Zollkontrollen an Grenze zu Russland

    Estland hat an seiner östlichen EU-Außengrenze zu Russland eine vollständige Zollkontrolle eingeführt. Auf Beschluss der Regierung des baltischen EU- und Nato-Landes werden ab sofort striktere Kontrollen an den Straßen- und Schienengrenzübergängen in Narva, Koidula und Luhamaa umgesetzt – sie ersetzen die bislang risikobasiert erfolgte Überprüfung von Passagieren und Fahrzeugen. Damit sollen Transport und Transit von EU-Sanktionen unterliegenden Gütern durch Estland unterbunden werden.

    Die estnische Steuer- und Zollbehörde rief alle Grenzgänger auf, darauf zu achten, dass sie keine verbotenen Gegenstände mit sich führen. Auch solle deutlich mehr Zeit für den Grenzübertritt eingeplant werden. Laut Zollchef Voldemar Linno wird künftig jede Person und jedes Fahrzeug kontrolliert.

    Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine hat die EU 14 Sanktionspakete gegen Russland auf den Weg gebracht, die auch zahlreiche Handelsbeschränkungen vorsehen. Besonders hoch ist die Zahl der Verstöße dem Chef des estnischen Zolls zufolge am Grenzübergang in der Stadt Narva. Dort werde mindestens eine Person pro Stunde mit einer Verwarnung wegen Sanktionsverstößen zurückgeschickt. dpa

    • Estland
    • Russland
    • Sanktionen
    • Ukraine-Krieg
    • Zölle
    Translation missing.

    Must-Reads

    Kämpfe in Kursk – EU sieht Vorstoß im Kontext des Selbstverteidigungsrechts SÜDDEUTSCHE
    EU-Chefdiplomat verurteilt Israels Vorgehen gegen norwegische Diplomaten BOERSE
    Neuer Anlauf für ein Abkommen zwischen EU und Schweiz STAATSANZEIGER
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    Kosovo: Ethnische Serben gegen die Öffnung der Neuen Brücke in Mitrovica EURONEWS
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    Standpunkt

    Warnung an EU-Gesetzgeber vor der Scharlatanerie von Umweltlobbyisten à la T&E

    Von Thomas Koch
    Thomas Koch leitet das Institut für Kolbenmaschinen am Karlsruher Institut für Technologie (KIT).

    Im Juli publizierte die internationale wissenschaftliche Gesellschaft IASTEC eine Stellungnahme zur Pkw-CO₂-Regulierung der EU. Die Folgen der Gesetzgebung für 2030 wurden darin erörtert. Die Kernaussage dieser Stellungnahme ist: Mit der EU-Verordnung zur CO₂-Flottenregulierung werden die Ziele einer schnellen Reduktion der CO₂-Emissionen durch Pkw verfehlt. Die EU werde in der Folge gegen das Pariser Klimaschutzabkommen verstoßen. IASTEC fordert den Gesetzgeber daher auf, die CO₂-Flottengesetzgebung zeitnah zu überarbeiten – einschließlich einer Zielverschärfung auf der Basis der erwarteten CO₂-Emissionen.

    Bezeichnend ist die Reaktion von T&E auf die Stellungnahme. Sie zeigt beispielhaft, wie diese Organisation von Umweltlobbyisten arbeitet und versucht, Einfluss auf die Legislative zu nehmen. Der T&E-Autor wirft IASTEC mangelndes Verständnis für die Thematik vor. Doch damit nicht genug: T&E lastet den Wissenschaftlern falsche Aussagen, schwerwiegende Fehler, unzulässige Vereinfachungen und nicht zulässige und falsche Berechnungsgrundlagen an. Die Stellungnahme schließt mit dem Vorwurf, IASTEC habe schon in der Vergangenheit fragwürdige Scheindebatten angezettelt.

    T&E ignoriert wichtige Publikationen

    Die Argumentation erstaunt, die T&E-Vorwürfe entbehren jeder sachlichen Grundlage. Man kann den Eindruck haben, T&E gehe es gar nicht um eine optimale CO₂-Reduktion. Kurz zum Vorwurf wissenschaftlicher Fehler: IASTEC bedient sich zahlreicher wissenschaftlicher Publikationen, unter anderem der Daten aus der umfassendsten Bilanzanalyse, die für eine Fahrzeugbewertung in Deutschland vorliegt. Sie wurde im Dezember 2023 vom VDI publiziert und hat ein “critical review” des Paul Scherrer Instituts (Schweiz) durchlaufen.

    Das Stromnetz Deutschlands wurde in 15-minütiger Auflösung unter Berücksichtigung des Ausbauszenarios “klimaneutrales Deutschland 2045” abgebildet. Das Potenzial der “Erneuerbaren” ist berücksichtigt, Speicherpotentiale sind analysiert, umfassende Sensitivitätsanalysen wurden durchgeführt. Die zertifikatefreien Produktionsumfänge der Fahrzeuge inklusive Rohmaterialdaten von Herstellern (Batterie, Antrieb und so weiter) wurden modelliert und die Batteriezellenproduktion in China betrachtet, wobei in weiterführenden Analysen sogar die dortige regionale Situation aufbereitet wurde. T&E scheinen diese wichtigen wissenschaftlichen Publikationen entgangen sein. Oder wollte T&E sie nicht wahrnehmen?

    BEV-freundliche Prämissen

    Nun zu der zentralen Aussage der Bilanzanalyse: Am Beispiel des Autobahnbetriebes für ein batterieelektrisches Auto (BEV) ergibt sich nach einer Laufleistung von 200.000 Kilometern bis 2035 inklusive Produktion (etwa 18 Tonnen CO₂) eine Gesamtemission von 42,9 Tonnen CO₂. Das entspricht 214 Gramm CO₂ je Kilometer. Dabei werden durchaus BEV-freundliche Prämissen unterstellt: umfängliches Erreichen der Ausbauziele, kein Heizungsbetrieb im Winter, kein Batterieaustausch, keine Engpässe im Leitungsnetzausbau, kein Einfluss des Infrastrukturaufbaus und weiteres. Im Vergleich dazu der Diesel-Pkw: Der Dieselantrieb bewältigt ohne Nutzung von CO₂-armen Kraftstoffen die Strecke inklusive Produktion mit 34,1 Tonnen CO₂ (171 Gramm CO₂/km) und stellt eine Alternative mit Verbesserungspotenzial dar.

    T&E hält dieser methodisch wissenschaftlich geprüften Bilanzanalyse andere Daten entgegen. Und begeht damit Bilanzbetrug. T&E arbeitet mit einem Mittelwertansatz und unterschlägt damit die realen CO₂-Werte. Auf diesen Fehler hat nicht etwa eine kleine Gruppe hingewiesen, wie T&E andeutet. Vielmehr haben hunderte Wissenschaftler und Energietechniker, die das Themengebiet an vielen Universitäten vertreten, der EU-Kommission im Jahr 2021 dies dargelegt. Bis heute ist dieser Darlegung im Übrigen nicht wissenschaftlich widersprochen worden. 

    Grenzkosten sind relevant

    Zur Erläuterung: Der Strommix bildet die mittlere CO₂-Emission eines Stromsystems unter Nutzung von CO₂-günstigen Wind- und Photovoltaikanlagen oder auch Kohle und Gas ab, zum Beispiel 380 Gramm CO₂ je kWh. Würde eine Energie von 1 kWh weniger dem Netz entzogen werden, resultiert hieraus die real einsparbare CO₂ Menge eines elektrischen Verbrauchers. Diese beträgt aber nicht 380 Gramm CO₂. Der Wind würde bei einer geringeren Last ja nicht aufhören zu blasen und die Sonne nicht aufhören zu scheinen. Die Grenzkosten sind circa doppelt so hoch, so wie der Grenzsteuersatz höher als der mittlere Steuersatz ist.

    Mit dem Bilanztrick des Mittelwertansatzes, dessen sich T&E bedient, kommt man auf günstigere Emissionen elektrischer Verbraucher. Im obigen Fall würden nur noch 29,6 Tonnen CO₂ entstehen, was 148 Gramm CO₂/km entspricht. Befürworter des Mittelwertansatzes wie T&E weisen immer auf die Deckelung des EU-Emissionshandelssystems hin. Da das ETS durch Rückkopplungsmechanismen wie der Marktstabilitätsreserve jedoch kein reines “cap and trade” System mehr darstellt, greift auch diese Kritik von T&E zu kurz. Hinzu kommt: Die von T&E aufgeführten Werte von 75 Gramm CO₂/km inklusive Produktion sind für den Strommix etlicher EU-Mitgliedstaaten nicht erklärbar. Der CO₂-Fußabdruck von BEV wird hier maßlos untertrieben.

    Finanzstarkes Netzwerk von Umweltlobbyisten

    Dies noch zur Einordnung: Seit Jahren ist die internationale Fachwelt – Hochschullehrer, Forscher, anerkannte wissenschaftliche Gesellschaften – hochgradig befremdet, mit welchen ebenso durchsichtigen wie angreifbaren Methoden T&E arbeitet. Der europäische Dachverband von Umweltorganisationen, T&E, verfügt mit den nationalen Mitgliedsorganisationen, darunter etwa die DUH, über hohe Finanzmittel. Schätzungen gehen von Jahresbudgets von mehreren hundert Millionen Euro dieses Verbundes aus.

    Mit dem Geld betreiben sie fragwürdiges Lobbying. Ein Beispiel ist ihre Kampagne gegen klimaneutrale Kraftstoffe (reFuels = eFuels und bioFuels): Es werden negative Schlagzeilen provoziert, um das Konzept reFuels zu diskreditieren. Dabei waren Kraftstoffherstellung und Ergebnisse von T&E wissenschaftlich nicht nachvollziehbar. Es wird immer wieder behauptet, eFuels seien zu teuer und ignoriert, dass längst Produktionskosten von 0,8 €/l bis 1,7 €/l in Reichweite sind. Es wird von T&E immer wieder die angebliche Ineffizienz gerade von eFuels beschworen. Dabei haben Unternehmen und Wissenschaftler längst das Potenzial erkannt, das Produktionsstandorte mit hohem Wind-/Sonnen-Erntefaktor (Faktor 2-4 oberhalb Deutschlands) haben. Finanzstarke Unternehmen planen oder bauen an wind- und sonnenreichen Standorten in Feuerland, den USA, Afrika oder Arabien Produktionskapazitäten für klimaneutrale Kraftstoffe. Statt das Potenzial für die CO₂-Einsparung im Verkehr zu sehen, betreibt T&E weiter Verleumdungskampagnen.

    Der Gesetzgeber sei gewarnt: T&E betreibt ein fragwürdiges Geschäft des Umweltlobbying. Anderswo auf der Welt geht man den Kampagnen nicht auf den Leim: Kalifornien hat beschlossen, 2030 den fossilen Dieselkraftstoff zu 100 Prozent durch reFuels zu ersetzen. Schweden plante Anteile von 60 Prozent, Indien und Brasilien schmieden die größte Biokraftstoffallianz der Erde. In Europa wird diese Ergänzung jedoch behindert. T&E betont abschließend, dass das Festhalten am Verbrennungsmotor eine gestrige Position sei. Die hochindustrialisierte Welt in China, Japan oder Korea bereitet effiziente Verbrennungsmotoren mit CO₂-armen Kraftstoffen vor. Hat T&E auch diese Botschaft aus China im Dezember 2023 versäumt?

    Thomas Koch leitet das Institut für Kolbenmaschinen am Karlsruher Institut für Technologie (KIT).

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