mit dem ersten regulären EU-Gipfel seit der Europawahl beginnt heute die neue Legislaturperiode. Die 27 Staats- und Regierungschefs wollen ein Personalpaket für die drei Brüsseler Topjobs und eine Strategische Agenda mit den politischen Prioritäten für die nächsten fünf Jahre beschließen.
Doch das gestaltet sich schwieriger als erwartet. Am Mittwoch konnte Ratspräsident Charles Michel noch keine fertige Gipfel-Agenda präsentieren. Das liegt zum einen an einem besonderen Gast – der ukrainische Staatspräsident Wolodymyr Selenskyj wollte aus Sicherheitsgründen nicht preisgeben, wann er reden wird.
Es liegt aber auch an dem Personalpaket, das Bundeskanzler Olaf Scholz und fünf weitere EU-Chefs im Namen der drei großen Parteienfamilien EVP, S&D und Renew geschnürt haben. Die Namen – Ursula von der Leyen für die Kommission, António Costa als Ratspräsident und Kaja Kallas als EU-Außenbeauftragte – sind zwar nicht mehr umstritten.
Doch das Verfahren sorgt für Unruhe. Das Personalpaket war nicht wie üblich beim Gipfel, sondern schon vorher auf einer Telefonkonferenz festgezurrt worden. Beteiligt waren nicht alle 27 Staats- und Regierungschefs, sondern nur sechs – auch wenn sie im Namen einer (erwarteten) qualifizierten Mehrheit sprachen.
Das stieß nicht nur beim Ungarn Viktor Orbán auf Widerspruch, sondern auch bei Giorgia Meloni. Die rechtspopulistische italienische Regierungschefin bezeichnete die Einigung als “Kamingespräch” einer kleinen Gruppe von Politikern. Sie werde diese “Oligarchie” auch auf EU-Ebene bekämpfen.
Man darf gespannt sein, ob sie ihren markigen Worten auch Taten folgen lässt und die Gipfelregie durcheinander bringt. Ratspräsident Michel will das Personalpaket beim Abendessen aufrufen. Dann könnte es noch einmal spannend werden.
Man habe vollstes Vertrauen in Charles Michel, sagt ein hochrangiger Diplomat im Vorfeld des Gipfels, der an diesem Donnerstag und Freitag stattfindet. Es ist seine Antwort auf die Frage, ob der EU-Ratspräsident möglicherweise ein Interesse haben könnte, dass die Diskussion um die Spitzenposten auch im zweiten Anlauf entgleist.
Auffällig ist, dass bei diesem Gipfel die Choreografie noch unklar erscheint. Fest steht bisher, dass die Tagung bereits am frühen Nachmittag mit einem Auftritt von Wolodymyr Selenskyj beginnt. Geplant ist, dass die Staats- und Regierungschefs ein Sicherheitsabkommen mit der Ukraine unterzeichnen, sozusagen als Überbau für die nationalen Zusicherungen. Selenskyj werde über die militärische Lage berichten, heißt es von Diplomaten. Thema werde auch die Verwendung der knapp 1,5 Milliarden Euro aus den sogenannten “Windfall profits” der blockierten russischen Zentralbankgelder sein.
Vorgesehen ist zudem eine Diskussion zu Georgien nach der Verabschiedung des prorussischen Agentengesetzes und zur Lage in Nahost. Sollte der Austausch ausufern, könnte er am Freitag fortgesetzt werden. Die Positionen zwischen den Mitgliedstaaten zu Nahost gingen nach wie vor weit auseinander, sagt ein Diplomat.
Klar ist, dass das Abendessen für die größten Brocken auf der Agenda reserviert ist, nämlich die Entscheidung zu den Topjobs und der Strategischen Agenda, den Leitlinien für die nächste Legislaturperiode. Ursula von der Leyen soll zudem Optionen präsentieren, wie die EU die Stärkung der Rüstungsindustrie und gemeinsame europäische Verteidigungsprojekte künftig finanzieren könnte.
Der genaue Ablauf beim Abend sei noch im Fluss, sagen Diplomaten. Werden die Verhandlungsführer der drei Fraktionen den Konsens zwischen EVP, S&D und Renew präsentieren? So viel ist bekannt: Ursula von der Leyen soll für weitere fünf Jahre Kommissionschefin bleiben, die Liberalen sollen mit der Estin Kaja Kallas den Posten der Außenbeauftragten bekommen, während die Sozialdemokraten mit António Costa zumindest für die nächsten zweieinhalb Jahre den EU-Ratsvorsitz besetzen können. Teil des Pakets sind auch weitere zweieinhalb Jahre für Roberta Metsola als EU-Parlamentspräsidentin.
Mit Spannung wird erwartet, wie sich Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni verhalten wird. Sie hatte Unmut über das Verfahren hinter der Besetzung der Topjobs geäußert (lesen Sie dazu auch das Editorial unseres heutigen Briefings). Wird sie ihre Kritik wiederholen? Und wird sie womöglich von dem einen oder anderen konservativen Regierungschef Zuspruch bekommen?
Auch Österreichs Regierungschef Karl Nehammer zum Beispiel sei über die Art und Weise unzufrieden, wie das Personalpaket im kleinen Kreis geschnürt wurde. Allerdings: Nur drei bis vier Mitgliedstaaten seien unglücklich mit dem Ergebnis, relativierte ein EU-Diplomat. Man werde rasch sehen, wie die Stimmung im Saal sei.
Einiges könnte davon abhängen, ob Charles Michel noch einmal Raum für eine Debatte gibt oder gleich zur Abstimmung schreitet. Ziel sei ein möglichst breiter Kompromiss, aber für die Nominierungen reiche eine qualifizierte Mehrheit, so Diplomaten. Doch wäre es ein guter Start, Giorgia Meloni, Ministerpräsidentin der drittgrößten EU-Volkswirtschaft, einfach zu überstimmen? Diplomaten wollten Spekulationen nicht bestätigen, wonach hinter den Kulissen nach Wegen gesucht wird, Meloni doch noch einzubinden.
Auch Ursula von der Leyen könne vor der Wahl im EU-Parlament keine Zugeständnisse machen, also etwa ein gewichtiges Wirtschaftsdossier für Italiens künftigen EU-Kommissar vorschlagen. Meloni steht vor einem Dilemma. Sie hat sich zu Hause so weit hinausgelehnt mit ihrer Kritik, dass sie in Brüssel jetzt nicht ohne Gesichtsverlust für von der Leyen stimmen kann.
Probleme gibt es auch bei der Strategischen Agenda, die eigentlich auf dem Gipfel als Leitplanke für die nächste Legislaturperiode verabschiedet werden soll. Laut Diplomaten hat Ungarns Regierungschef Viktor Orbán neue Änderungswünsche vorgebracht, die für die Mehrheit nicht akzeptabel sein sollen. Diplomaten beklagten am Mittwoch, von Charles Michel noch keine neue Fassung bekommen zu haben.
Die Strategische Agenda mit dem neuen Fokus auf Sicherheit, Verteidigung und Wettbewerbsfähigkeit muss einstimmig beschlossen werden. Ohne Einigung auf die Agenda für die nächsten fünf Jahre könnte auch das Personalpaket in der Schwebe sein. Es geht hier um den Arbeitsauftrag der Kommission für die nächsten fünf Jahre. Gut möglich, dass Charles Michel zuerst die Leitlinien beschließen und erst dann über die Topjobs abstimmen lassen will.
Ein mögliches Streitthema beim Abendessen hat Ursula von der Leyen versucht, zu entschärfen. Eigentlich sollte die Kommissionspräsidentin den Staats- und Regierungschefs ein Optionenpapier präsentieren, wie die Ambitionen der EU in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik finanziell unterfüttert werden könnten – dies würde quasi als Vorschlag für die Umsetzung der Strategischen Agenda dienen.
Kürzlich hat sich von der Leyen offen dafür gezeigt, neben höheren nationalen Beiträgen auch über neue gemeinsame Schulden zu reden. Das Reizwort Eurobonds wäre in einem Optionenpapier sicher auch vorgekommen. Nun wird von der Leyen nur mündlich verschiedene Optionen präsentieren, ergänzt möglicherweise durch eine Präsentation. Die Erwartungen an das Papier seien hoch gewesen, sagte ein hochrangiger Diplomat. Aus Rücksicht auf gewisse Mitgliedstaaten habe von der Leyen wohl auf eine schriftliche Fassung verzichtet.
Auch wenn sie sonst viel streiten, in einem Punkt waren sich Kanzler und Oppositionsführer am Mittwoch einig: Mark Rutte werde ein ausgezeichneter Nato-Generalsekretär sein, sagten Olaf Scholz und Friedrich Merz fast wortgleich im Bundestag. Die Einigkeit von Kanzler und Oppositionsführer zeigt, für wie bedeutsam sie in Zeiten des Ukraine-Kriegs die Verteidigungsallianz erachten.
“Unser gemeinsames Bündnis war selten so wichtig wie heute”, schreibt Scholz auf X. Ruttes sicherheitspolitischer Sachverstand und sein diplomatisches Geschick seien an der Spitze der Nato genau an der richtigen Stelle. Rutte wird am 1. Oktober offiziell sein Amt antreten.
Die Bundesregierung dürfte gut mit dem amtierenden niederländischen Ministerpräsidenten leben können. Scholz kennt Rutte von zahlreichen EU-Gipfeln. Er ist eher Transatlantiker als Macron-Europäer und hat sich, obwohl er wie Emmanuel Macron der liberalen Parteienfamilie angehört, den Rufen des französischen Präsidenten nach einer strategischen Autonomie Europas nicht vollmundig angeschlossen.
“Mark ist ein echter Transatlantiker, eine starke Führungspersönlichkeit und ein Mann, der Konsens schafft”, sagte Noch-Generalsekretär Jens Stoltenberg über seinen designierten Nachfolger nach dessen formeller Ernennung durch die Botschafter der 32 Nato-Staaten.
Es könnte allerdings passieren, dass Rutte schon bald mehr als gedacht auf Berlin angewiesen sein wird. Denn möglicherweise wird bei seinem Amtsantritt bereits der rechtsextreme Rassemblement National von Marine Le Pen in Frankreich die Regierung stellen. Kurz danach könnte in den USA Donald Trump sein Comeback feiern. Das wäre eine schwere Prüfung für die Allianz.
Sein Interesse für Sicherheitspolitik hat Rutte erst spät entdeckt. Kritiker werfen ihm vor, in seiner Amtszeit die Streitkräfte der Niederlande kaputt gespart zu haben, die über keine eigenen Panzereinheiten mehr verfügen.
Nach der russischen Annexion der Krim im Jahr 2014 beschloss die Nato zwar das Zwei-Prozent-Ziel. Doch Ruttes Koalition hat die Vorgabe erst in diesem Jahr erfüllt. Bei der Unterstützung der Ukraine hat sich Rutte zuletzt als Teil einer Koalition profiliert, die Kiew F16-Kampfflugzeuge zur Verfügung stellen wird. Da soll der Niederländer sich allerdings schon dafür entschieden haben, sich um den Nato-Chefposten zu bewerben.
26.06.2024 – 10:00-11:00 Uhr, online
TÜV, Seminar Data Analytics als Schlüssel zu effizientem und nachhaltigem Energiemanagement
Der TÜV gibt einen Überblick über praktisch anwendbare Methoden zur Steigerung der Energieeffizienz mittels Data Analytics. INFOS & ANMELDUNG
01.07.-05.07.2024, Trier
ERA, Seminar Summer Course on European Antitrust Law
The Academy of European Law (ERA) provides an in-depth understanding of the basics of EU antitrust law and a comprehensive update on the latest developments in each field. INFOS & REGISTRATION
01.07.2024 – 14:00-15:00 Uhr, online
FSR, Seminar Exploring energy regulation in Africa
The Florence School of Regulation (FSR) aims to delve into the intricate political economy governing energy regulation across Africa. INFOS & REGULATION
01.07.2024 – 14:00-15:00 Uhr, online
EBD De-Briefing Europäischer Rat
Die Europäische Bewegung Deutschland (EBD) bespricht die Ergebnisse des Europäischen Rats vom 27.-28.Juni. INFOS & ANMELDUNG
02.07.2024 – 10:00-12:30 Uhr, online
D21, Seminar Datendemokratie im Superwahljahr
Die Initiative D21 beleuchtet, wie Daten und Soziale Medien in moderne Kampagnen eingebunden werden. INFOS & ANMELDUNG
02.07.2024 – 14:00-15:00 Uhr, online
FSR, Seminar The European Electricity Market Reform: Is a new target model emerging?
The Florence School of Regulation (FSR) analyses some of the key issues that will shape wholesale electricity market evolution in the years to come. INFOS & REGISTRATION
Die Sozialdemokraten und Liberalen im EU-Parlament haben die Wahl ihrer Fraktionsvorstände abgeschlossen. Als Vorsitzende hatte S&D bereits am Dienstag Iratxe García Pérez bestätigt, nun wurden ihre Stellvertreter bestimmt. Neu gewählt wurden:
Als Vizevorsitzende bestätigt wurden:
Als Schatzmeister gehört auch Eero Heinäluoma (FI) zum Fraktionsvorstand. Nicht mehr im neuen Vorstand sind Marek Belka (PL), Rovana Plumb (RO) und Biljana Borzan (HR). Letztere unterlag bei der Wahl zu den Stellvertretern. Belka und Plumb wurden nicht wieder ins Parlament gewählt. Die Kandidatin Klára Dobrev (HU) wurde ebenfalls nicht gewählt.
Bei Renew wurde wie erwartet der irische Abgeordnete Billy Kelleher Erster Vizepräsident. Sieben weitere MEPs wurden zu Vizevorsitzenden gewählt, wobei es zehn Kandidaten gegeben hatte. Valérie Hayer wurde bereits am Dienstag zur Fraktionsvorsitzenden bestimmt.
Das sind die Vizevorsitzenden:
Darüber hinaus nahm die Fraktion drei neue Parlamentarier auf: Nikola Mintschew und Hristo Petrov von der bulgarischen Partei “We Continue Change” sowie Eugen Tomac von der rumänischen “Partei der Volksbewegung”. Damit steigt die Zahl der Fraktionsmitglieder auf 75. Es sei zu erwarten, dass sie in den kommenden Tagen weiterwachsen wird, heißt es bei Renew. Inhaltlich waren bei der Fraktionssitzung Rechtsstaatlichkeit, Verteidigung und die Unterstützung der Ukraine die Hauptthemen, hieß es aus dem Umfeld der Fraktion. ber/cst
Wie Table.Briefings aus höheren Parteikreisen der AfD erfuhr, schätzen diese die Chancen schlecht ein, dass es am Donnerstag wirklich zur Gründung einer “Souveränisten”-Fraktion aus AfD und sechs weiteren europäischen Splitterparteien kommt. Für eine solche Fraktion sind Parteien von sieben Nationen nötig; genau diese Mindestanzahl steht dem Vernehmen nach gerade bereit.
Allerdings sind darunter Parteien, die auch entscheidenden Teilen der AfD zu radikal sind: Bei der rumänischen S.O.S. leugnet man gerne mal den Holocaust, der Chef der polnischen Konfederacja setzte unter anderem ein Polen ohne Juden und Homosexuelle als Parteiziel an.
Ohne Fraktion würden der AfD Millionenverluste drohen. Manche hoffen weiterhin auf eine Einigung mit Marine Le Pen, die zur Rückkehr in die ID-Fraktion führt. Maximilian Krah dürfte trotz Solidaritäts-Bekundungen, gerade aus Sachsen, einen weiteren Bedeutungsverlust zu verantworten haben, käme die neue Fraktion nicht zusammen. Franziska Klemenz
In der konservativen EKR-Fraktion gibt es Streit zwischen den beiden großen nationalen Delegationen. Die Fratelli d’Italia stellen 24 von 83 Abgeordneten in der Fraktion und sind damit die größte Delegation. 20 Abgeordnete stellt die polnische PiS, es ist die zweitstärkste Delegation. Die für Mittwoch geplante konstituierende Sitzung der Fraktion musste abgesagt werden.
Sie wurde verschoben auf Mittwoch, 3. Juli. Wie in Brüssel zu hören ist, war ein Großteil der PiS-Abgeordneten gar nicht zur Fraktionssitzung erschienen. Es könnte Konflikte um die Aufnahme neuer Mitgliedsparteien geben.
In der vergangenen Wahlperiode hatte die EKR zwei Co-Fraktionsvorsitzende, einen stellten die Fratelli, einen die PiS. Nicola Procaccini, der bisherige Co-Fraktionschef von den Fratelli, wollte wieder antreten. Wer für die PiS kandidieren würde, war unklar. mgr
Deutschland und einige andere Exportländer haben eine Abschwächung von EU-Sanktionsplänen gegen Russlands Partnerland Belarus erzwungen. Wie mehrere Diplomaten am Mittwoch in Brüssel sagten, konnte insbesondere wegen deutscher Widerstände keine Einigung auf ein umfangreiches EU-Ausfuhrverbot für Fahrzeuge erzielt werden. Lediglich solche, die auch militärisch genutzt werden können, sollen künftig nicht mehr nach Belarus ausgeführt werden dürfen. Unterstützt wurden die Abschwächungsforderungen dem Vernehmen nach auch von Frankreich. Auch für Luxusgüter wie Lederwaren, Parfüms und Weine soll es demnach Ausnahmen geben.
Die belgische EU-Ratspräsidentschaft hatte am Mittwoch ohne die Angabe von Details angekündigt, dass sie die EU-Staaten auf neue Sanktionen gegen verständigt hätten. Mit ihnen solle hauptsächlich die Umgehung von bereits bestehenden Russland-Sanktionen erschwert werden, hieß es. Man verstärke weiter die Maßnahmen in Reaktion auf Russlands Invasion in die Ukraine. Die Einigung auf das Sanktionspaket wurde den Angaben zufolge bei einer Sitzung der ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten bei der EU in Brüssel erzielt. Sie muss nun nur noch in einem schriftlichen Verfahren formalisiert werden.
Vor allem mittel- und osteuropäische Länder wie Polen und die baltischen Staaten hatten in den monatelangen Verhandlungen darauf gedrungen, gegen Belarus die gleichen Wirtschaftssanktionen zu verhängen wie gegen Russland. Als Grund wurde neben der belarussischen Unterstützung für den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine auch genannt, dass Russland und Belarus durch eine Zollunion verbunden seien und Waren ungehindert von dem einen Land ins andere fließen könnten. dpa
Ungarn hat eine gemeinsame Erklärung der EU-Staaten zu Russlands Vorgehen gegen europäische Medien verhindert. Wie mehrere Diplomaten am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur in Brüssel bestätigten, könnte deshalb nur ein Statement des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell veröffentlicht werden. In diesem heißt es, die EU verurteile die völlig unbegründete Entscheidung der russischen Behörden, den Zugang zu mehr als 80 europäischen Medien in Russland zu blockieren.
Diese Entscheidung schränke den Zugang zu freien und unabhängigen Informationen weiter ein und verstärke die ohnehin schon strenge Medienzensur in Russland. Die verbotenen europäischen Medien arbeiteten nach journalistischen Prinzipien und Standards. Sie lieferten sachliche Informationen, auch an russisches Publikum.
Im Mai hatten die Mitgliedstaaten Sanktionen gegen Russland beschlossen, zu denen auch Sendeverbote russischer Medien gehörten. Dazu heißt es in der Erklärung, im Gegensatz zu den von Moskau ins Visier genommen Medien, seien diese Desinformations- und Propagandakanäle und keine freien und unabhängigen Medien. Ihre Sendetätigkeiten in der EU seien ausgesetzt worden, da diese Kanäle unter der Kontrolle der russischen Behörden stünden und zur Unterstützung des Angriffskriegs gegen die Ukraine genutzt würden.
Russland hatte am Dienstag mitgeteilt, als Reaktion auf das Ausstrahlungsverbot der russischen Medien in Europa seinerseits 81 europäische Medienunternehmen auf eine Schwarze Liste zu setzen. Von den deutschen Medien sind “Der Spiegel”, “Die Zeit” und die “Frankfurter Allgemeine Zeitung” betroffen.
Warum Ungarn eine Erklärung im Namen aller EU-Staaten verhinderte, blieb zunächst unklar. Als möglichen Hintergrund nannten Diplomaten, dass die Regierung in Budapest selbst gegen missliebige Medien vorgehe und dies als legitim ansehe. dpa/sas
Der kirgisische Präsident Sadyr Zhaparov hat in Belgien ein Abkommen über eine verstärkte Partnerschaft und Zusammenarbeit zwischen Kirgisistan und der Europäischen Union unterzeichnet. Die Unterzeichnung fand am Dienstag im Rahmen eines Arbeitsbesuchs Zhaparovs in Brüssel statt. Anwesend waren Charles Michel, Präsident des Europäischen Rates, Jeenbek Kulubaev, Außenminister der Kirgisischen Republik, der Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik Josep Borrell sowie der Kommissions-Vizepräsident Valdis Dombrovskis.
Laut offizieller Erklärung der EU soll die Zusammenarbeit in den Bereichen Handel und Investitionen, nachhaltiger Entwicklung und Konnektivität, Forschung und Innovation, Bildung, Umwelt und Klimawandel sowie Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und Zivilgesellschaft gestärkt werden. Aber auch im Sicherheitsbereich ist eine vertiefte Kooperation vorgesehen.
Mit dem Enhanced Partnership and Cooperation Agreement (EPCA) will die EU auch ein Gegengewicht zur starken chinesischen Präsenz durch die Neue Seidenstraße in der Region schaffen. Der bilaterale Handel zwischen Kirgisistan und China übertraf im Zeitraum Januar-April 2024 den Handel Kirgisistans mit allen Ländern der Eurasischen Wirtschaftsunion und der EU, meldete das Nationale Komitee für Statistik. Im Juni unterzeichnete Peking eine Vereinbarung für eine Eisenbahnlinie, die China mit Kirgisistan und Usbekistan verbindet. Sie soll den Gütertransport zwischen China und Europa um rund 900 Kilometer verkürzen. fpe
Europa muss seine digitale und telekommunikative Fragmentierung überwinden und einen echten paneuropäischen Markt mit stärker harmonisierten Regeln schaffen. Das schreibt der Verband der europäischen Telekommunikationsanbieter (ETNO) in seiner Stellungnahme zum Weißbuch der Kommission “Wie kann der Bedarf an digitaler Infrastruktur in Europa gedeckt werden?”. Nur so könnten die Unternehmen Dienste nahtlos über Grenzen hinweg anbieten und grenzüberschreitend Synergien entwickeln. “Wir müssen eine angemessene Größenordnung erreichen, auch innerhalb der nationalen Märkte: Die EU-Fusionskontrollverordnung sollte überarbeitet werden”, fordert der ETNO.
Damit liegt der Verband weitgehend auf einer Linie mit dem, was sich der noch amtierende Binnenmarktkommissar Thierry Breton vorgestellt hat. Auch die konkurrierende Computer & Communications Industry Association (CCIA) betont in ihrer Stellungnahme die Notwendigkeit eines harmonisierten Regelwerks zur Förderung eines einheitlichen digitalen Binnenmarktes. Alle drei sind sich ebenfalls einig, dass Investitionen in digitale Infrastrukturen entscheidend sind.
Im Oktober 2023 hatte die EU-Kommission die Ergebnisse ihrer Konsultation zur Zukunft des Kommunikationssektors und seiner Infrastruktur vorgelegt. Daraus resultierend veröffentlichte sie das Weißbuch und rief erneut zu einer Konsultation auf, die jetzt am 30. Juni endet. All dies soll auf einen Digital Networks Act hinauslaufen, den aber erst die neue Kommission umsetzen soll. Bis Mittwoch sind mehr als 80 Stellungnahmen bei der Kommission eingegangen.
Es wird allerdings schwer werden, die Harmonisierung des Binnenmarktes bei den Mitgliedstaaten durchzusetzen. Denn diese müssten dann die Kontrolle über die Märkte aus den Händen geben. Und außer in der Frage des Binnenmarktes stehen sich ETNO und CCIA eher kontrovers gegenüber. Vor allem in der Frage der Netzwerkgebühren (Fair Share). ETNO vertritt Unternehmen wie die Deutsche Telekom, Orange oder Telefónica (Big Telco). CCIA spricht unter anderen für Amazon, Google oder Microsoft (BigTech). Die unterschiedlichen Forderungen sind:
Diederik Samsom, früher Kabinettschef von Exekutiv-Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans, wird Aufsichtsratschef von Gasunie. Samsom war die rechte Hand von Timmermans, der den Green Deal in der ersten Von-der-Leyen-Kommission verantwortete. Gasunie ist ein staatliches Gasunternehmen in den Niederlanden. Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie doch einen Hinweis für unsere Personal-Rubrik an heads@table.media!
Romeo Franz’ Zeit im Europaparlament begann im Jahr 2018. Damals löste der Grünen-Politiker seinen Parteikollegen Jan Philipp Albrecht ab, der auf den Posten des Ministers für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung in Schleswig-Holstein wechselte. 2019 stellte sich Franz zur Wahl und kehrte ins Parlament zurück. Im neuen Parlament wird er nicht mehr vertreten sein. Er hat es probiert, hatte für einen aussichtsreichen Listenplatz kandidiert, es jedoch nicht geschafft. Nun möchte sich Franz in Zukunft nationalen Initiativen für eine Gleichberechtigung der Sinti und Roma widmen.
Sein Weg in die Politik ist von seiner Herkunft geprägt. “Antiziganismus begleitet mich, seit ich mich erinnern kann”, sagt er. Negative Erfahrungen in der Schule, Probleme bei der Job- und Wohnungssuche haben den 57-Jährigen schon früh dazu motiviert, für die Rechte der Sinti und Roma in Deutschland einzustehen. Zuerst in verschiedenen NGOs, 2010 ging er dann zu den Grünen. “Ich habe gespürt, dass ich mit der außerparteilichen Arbeit an eine Decke gestoßen bin.”
Seit 2018 setzt er sich auf europäischer Ebene für die Romanes sprechende Minderheit ein. Zufrieden ist er selten. Allein der Überbegriff der Roma, der im Umgang der EU mit der Minderheit verwendet wird, zeige ein großes Problem auf: “Es hakt noch immer an der Anerkennung, dass wir von einer der größten, aber auch heterogensten Minderheiten in Europa sprechen”, sagt Franz. Zwölf bis 15 Millionen Menschen zählen europaweit zu der Gruppe. Dazu gehören auch die Kalderara in Rumänien und die Resande in Schweden.
In seiner nun ablaufenden fünfjährigen Amtszeit im Parlament sei wenig passiert, um die Situation der Romanes sprechenden Minderheit zu verbessern. Die 2005 ins Leben gerufene Roma-Dekade bezeichnet Franz als “kläglich gescheitert”, auch weil sie auf Freiwilligkeit der Mitgliedstaaten beruhte. Seit 2019 habe er dafür gekämpft, die Bemühungen in ein Gesetz zu gießen – ohne Erfolg.
Vor allem aber sieht sich die Minderheit noch immer starker Ungleichbehandlung ausgesetzt. Besonders in Ländern Osteuropas lebten die Menschen teilweise in Waldgebieten ohne Zugang zu Trinkwasser oder sanitären Anlagen, zudem ohne Aussicht auf Arbeit. Bei Besuchen vor Ort stellte Franz “massive Menschenrechtsverletzungen” fest.
“Der Widerstand im Parlament gegen eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten ist sehr groß, das Interesse an einer Änderung gleichzeitig klein.” Das aktuelle EU Roma Strategic Framework läuft zwar bis 2030. Franz rechnet allerdings damit, dass es mit dem neuen Parlament noch schwieriger wird, eine verpflichtende Regelung für die Mitgliedstaaten zu erreichen.
Wie es anders geht, zeigten Bemühungen aus Deutschland, die Franz als “Best-Practice-Beispiele” bezeichnet. In Baden-Württemberg gibt es beispielsweise seit 2013 einen Rat für die Angelegenheiten der Sinti und Roma, der gleichmäßig mit Sinti und Roma und Parlamentariern besetzt ist. In einem Staatsvertrag sind zudem verpflichtende Ziele verankert, wie beispielsweise die stärkere Auseinandersetzung mit Sinti und Roma in Bildungseinrichtungen. “Der Ansatz hat europäisch extreme Aufmerksamkeit bekommen.”
Um etwas zum Umgang mit nationalen Minderheiten zu lernen, habe sich beispielsweise die Regierung Kosovos die Initiative angesehen. Zu der pflegte Romeo Franz in den vergangenen fünf Jahren ein enges Verhältnis. Als Leiter der Delegation des EU-Parlaments zu Bosnien-Herzegowina und dem Kosovo sei gerade die Zusammenarbeit mit dem Kosovo “enorm erfolgreich” gewesen. Im Laufe der Amtszeit habe er unter anderem die Visa-Freiheit für die Menschen vor Ort erreicht.
Anders stelle sich die Situation im Umgang mit Beitrittskandidat Bosnien-Herzegowina dar. Besonders der Einfluss des russlandfreundlichen und EU-kritischen Milorad Dodik, Präsident der bosnisch-serbischen Republika Srpska, mache das Land zu einer “riesigen Baustelle”, mit dem die Verhandlung extrem schwierig gewesen seien. Mit Blick auf die Zukunft hat Franz eine klare Meinung: “Einen mittelfristigen EU-Beitritt Bosniens halte ich nicht für realistisch, beim Kosovo bin ich optimistischer.” Jasper Bennink
mit dem ersten regulären EU-Gipfel seit der Europawahl beginnt heute die neue Legislaturperiode. Die 27 Staats- und Regierungschefs wollen ein Personalpaket für die drei Brüsseler Topjobs und eine Strategische Agenda mit den politischen Prioritäten für die nächsten fünf Jahre beschließen.
Doch das gestaltet sich schwieriger als erwartet. Am Mittwoch konnte Ratspräsident Charles Michel noch keine fertige Gipfel-Agenda präsentieren. Das liegt zum einen an einem besonderen Gast – der ukrainische Staatspräsident Wolodymyr Selenskyj wollte aus Sicherheitsgründen nicht preisgeben, wann er reden wird.
Es liegt aber auch an dem Personalpaket, das Bundeskanzler Olaf Scholz und fünf weitere EU-Chefs im Namen der drei großen Parteienfamilien EVP, S&D und Renew geschnürt haben. Die Namen – Ursula von der Leyen für die Kommission, António Costa als Ratspräsident und Kaja Kallas als EU-Außenbeauftragte – sind zwar nicht mehr umstritten.
Doch das Verfahren sorgt für Unruhe. Das Personalpaket war nicht wie üblich beim Gipfel, sondern schon vorher auf einer Telefonkonferenz festgezurrt worden. Beteiligt waren nicht alle 27 Staats- und Regierungschefs, sondern nur sechs – auch wenn sie im Namen einer (erwarteten) qualifizierten Mehrheit sprachen.
Das stieß nicht nur beim Ungarn Viktor Orbán auf Widerspruch, sondern auch bei Giorgia Meloni. Die rechtspopulistische italienische Regierungschefin bezeichnete die Einigung als “Kamingespräch” einer kleinen Gruppe von Politikern. Sie werde diese “Oligarchie” auch auf EU-Ebene bekämpfen.
Man darf gespannt sein, ob sie ihren markigen Worten auch Taten folgen lässt und die Gipfelregie durcheinander bringt. Ratspräsident Michel will das Personalpaket beim Abendessen aufrufen. Dann könnte es noch einmal spannend werden.
Man habe vollstes Vertrauen in Charles Michel, sagt ein hochrangiger Diplomat im Vorfeld des Gipfels, der an diesem Donnerstag und Freitag stattfindet. Es ist seine Antwort auf die Frage, ob der EU-Ratspräsident möglicherweise ein Interesse haben könnte, dass die Diskussion um die Spitzenposten auch im zweiten Anlauf entgleist.
Auffällig ist, dass bei diesem Gipfel die Choreografie noch unklar erscheint. Fest steht bisher, dass die Tagung bereits am frühen Nachmittag mit einem Auftritt von Wolodymyr Selenskyj beginnt. Geplant ist, dass die Staats- und Regierungschefs ein Sicherheitsabkommen mit der Ukraine unterzeichnen, sozusagen als Überbau für die nationalen Zusicherungen. Selenskyj werde über die militärische Lage berichten, heißt es von Diplomaten. Thema werde auch die Verwendung der knapp 1,5 Milliarden Euro aus den sogenannten “Windfall profits” der blockierten russischen Zentralbankgelder sein.
Vorgesehen ist zudem eine Diskussion zu Georgien nach der Verabschiedung des prorussischen Agentengesetzes und zur Lage in Nahost. Sollte der Austausch ausufern, könnte er am Freitag fortgesetzt werden. Die Positionen zwischen den Mitgliedstaaten zu Nahost gingen nach wie vor weit auseinander, sagt ein Diplomat.
Klar ist, dass das Abendessen für die größten Brocken auf der Agenda reserviert ist, nämlich die Entscheidung zu den Topjobs und der Strategischen Agenda, den Leitlinien für die nächste Legislaturperiode. Ursula von der Leyen soll zudem Optionen präsentieren, wie die EU die Stärkung der Rüstungsindustrie und gemeinsame europäische Verteidigungsprojekte künftig finanzieren könnte.
Der genaue Ablauf beim Abend sei noch im Fluss, sagen Diplomaten. Werden die Verhandlungsführer der drei Fraktionen den Konsens zwischen EVP, S&D und Renew präsentieren? So viel ist bekannt: Ursula von der Leyen soll für weitere fünf Jahre Kommissionschefin bleiben, die Liberalen sollen mit der Estin Kaja Kallas den Posten der Außenbeauftragten bekommen, während die Sozialdemokraten mit António Costa zumindest für die nächsten zweieinhalb Jahre den EU-Ratsvorsitz besetzen können. Teil des Pakets sind auch weitere zweieinhalb Jahre für Roberta Metsola als EU-Parlamentspräsidentin.
Mit Spannung wird erwartet, wie sich Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni verhalten wird. Sie hatte Unmut über das Verfahren hinter der Besetzung der Topjobs geäußert (lesen Sie dazu auch das Editorial unseres heutigen Briefings). Wird sie ihre Kritik wiederholen? Und wird sie womöglich von dem einen oder anderen konservativen Regierungschef Zuspruch bekommen?
Auch Österreichs Regierungschef Karl Nehammer zum Beispiel sei über die Art und Weise unzufrieden, wie das Personalpaket im kleinen Kreis geschnürt wurde. Allerdings: Nur drei bis vier Mitgliedstaaten seien unglücklich mit dem Ergebnis, relativierte ein EU-Diplomat. Man werde rasch sehen, wie die Stimmung im Saal sei.
Einiges könnte davon abhängen, ob Charles Michel noch einmal Raum für eine Debatte gibt oder gleich zur Abstimmung schreitet. Ziel sei ein möglichst breiter Kompromiss, aber für die Nominierungen reiche eine qualifizierte Mehrheit, so Diplomaten. Doch wäre es ein guter Start, Giorgia Meloni, Ministerpräsidentin der drittgrößten EU-Volkswirtschaft, einfach zu überstimmen? Diplomaten wollten Spekulationen nicht bestätigen, wonach hinter den Kulissen nach Wegen gesucht wird, Meloni doch noch einzubinden.
Auch Ursula von der Leyen könne vor der Wahl im EU-Parlament keine Zugeständnisse machen, also etwa ein gewichtiges Wirtschaftsdossier für Italiens künftigen EU-Kommissar vorschlagen. Meloni steht vor einem Dilemma. Sie hat sich zu Hause so weit hinausgelehnt mit ihrer Kritik, dass sie in Brüssel jetzt nicht ohne Gesichtsverlust für von der Leyen stimmen kann.
Probleme gibt es auch bei der Strategischen Agenda, die eigentlich auf dem Gipfel als Leitplanke für die nächste Legislaturperiode verabschiedet werden soll. Laut Diplomaten hat Ungarns Regierungschef Viktor Orbán neue Änderungswünsche vorgebracht, die für die Mehrheit nicht akzeptabel sein sollen. Diplomaten beklagten am Mittwoch, von Charles Michel noch keine neue Fassung bekommen zu haben.
Die Strategische Agenda mit dem neuen Fokus auf Sicherheit, Verteidigung und Wettbewerbsfähigkeit muss einstimmig beschlossen werden. Ohne Einigung auf die Agenda für die nächsten fünf Jahre könnte auch das Personalpaket in der Schwebe sein. Es geht hier um den Arbeitsauftrag der Kommission für die nächsten fünf Jahre. Gut möglich, dass Charles Michel zuerst die Leitlinien beschließen und erst dann über die Topjobs abstimmen lassen will.
Ein mögliches Streitthema beim Abendessen hat Ursula von der Leyen versucht, zu entschärfen. Eigentlich sollte die Kommissionspräsidentin den Staats- und Regierungschefs ein Optionenpapier präsentieren, wie die Ambitionen der EU in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik finanziell unterfüttert werden könnten – dies würde quasi als Vorschlag für die Umsetzung der Strategischen Agenda dienen.
Kürzlich hat sich von der Leyen offen dafür gezeigt, neben höheren nationalen Beiträgen auch über neue gemeinsame Schulden zu reden. Das Reizwort Eurobonds wäre in einem Optionenpapier sicher auch vorgekommen. Nun wird von der Leyen nur mündlich verschiedene Optionen präsentieren, ergänzt möglicherweise durch eine Präsentation. Die Erwartungen an das Papier seien hoch gewesen, sagte ein hochrangiger Diplomat. Aus Rücksicht auf gewisse Mitgliedstaaten habe von der Leyen wohl auf eine schriftliche Fassung verzichtet.
Auch wenn sie sonst viel streiten, in einem Punkt waren sich Kanzler und Oppositionsführer am Mittwoch einig: Mark Rutte werde ein ausgezeichneter Nato-Generalsekretär sein, sagten Olaf Scholz und Friedrich Merz fast wortgleich im Bundestag. Die Einigkeit von Kanzler und Oppositionsführer zeigt, für wie bedeutsam sie in Zeiten des Ukraine-Kriegs die Verteidigungsallianz erachten.
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Die Bundesregierung dürfte gut mit dem amtierenden niederländischen Ministerpräsidenten leben können. Scholz kennt Rutte von zahlreichen EU-Gipfeln. Er ist eher Transatlantiker als Macron-Europäer und hat sich, obwohl er wie Emmanuel Macron der liberalen Parteienfamilie angehört, den Rufen des französischen Präsidenten nach einer strategischen Autonomie Europas nicht vollmundig angeschlossen.
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Nach der russischen Annexion der Krim im Jahr 2014 beschloss die Nato zwar das Zwei-Prozent-Ziel. Doch Ruttes Koalition hat die Vorgabe erst in diesem Jahr erfüllt. Bei der Unterstützung der Ukraine hat sich Rutte zuletzt als Teil einer Koalition profiliert, die Kiew F16-Kampfflugzeuge zur Verfügung stellen wird. Da soll der Niederländer sich allerdings schon dafür entschieden haben, sich um den Nato-Chefposten zu bewerben.
26.06.2024 – 10:00-11:00 Uhr, online
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01.07.-05.07.2024, Trier
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Die Europäische Bewegung Deutschland (EBD) bespricht die Ergebnisse des Europäischen Rats vom 27.-28.Juni. INFOS & ANMELDUNG
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D21, Seminar Datendemokratie im Superwahljahr
Die Initiative D21 beleuchtet, wie Daten und Soziale Medien in moderne Kampagnen eingebunden werden. INFOS & ANMELDUNG
02.07.2024 – 14:00-15:00 Uhr, online
FSR, Seminar The European Electricity Market Reform: Is a new target model emerging?
The Florence School of Regulation (FSR) analyses some of the key issues that will shape wholesale electricity market evolution in the years to come. INFOS & REGISTRATION
Die Sozialdemokraten und Liberalen im EU-Parlament haben die Wahl ihrer Fraktionsvorstände abgeschlossen. Als Vorsitzende hatte S&D bereits am Dienstag Iratxe García Pérez bestätigt, nun wurden ihre Stellvertreter bestimmt. Neu gewählt wurden:
Als Vizevorsitzende bestätigt wurden:
Als Schatzmeister gehört auch Eero Heinäluoma (FI) zum Fraktionsvorstand. Nicht mehr im neuen Vorstand sind Marek Belka (PL), Rovana Plumb (RO) und Biljana Borzan (HR). Letztere unterlag bei der Wahl zu den Stellvertretern. Belka und Plumb wurden nicht wieder ins Parlament gewählt. Die Kandidatin Klára Dobrev (HU) wurde ebenfalls nicht gewählt.
Bei Renew wurde wie erwartet der irische Abgeordnete Billy Kelleher Erster Vizepräsident. Sieben weitere MEPs wurden zu Vizevorsitzenden gewählt, wobei es zehn Kandidaten gegeben hatte. Valérie Hayer wurde bereits am Dienstag zur Fraktionsvorsitzenden bestimmt.
Das sind die Vizevorsitzenden:
Darüber hinaus nahm die Fraktion drei neue Parlamentarier auf: Nikola Mintschew und Hristo Petrov von der bulgarischen Partei “We Continue Change” sowie Eugen Tomac von der rumänischen “Partei der Volksbewegung”. Damit steigt die Zahl der Fraktionsmitglieder auf 75. Es sei zu erwarten, dass sie in den kommenden Tagen weiterwachsen wird, heißt es bei Renew. Inhaltlich waren bei der Fraktionssitzung Rechtsstaatlichkeit, Verteidigung und die Unterstützung der Ukraine die Hauptthemen, hieß es aus dem Umfeld der Fraktion. ber/cst
Wie Table.Briefings aus höheren Parteikreisen der AfD erfuhr, schätzen diese die Chancen schlecht ein, dass es am Donnerstag wirklich zur Gründung einer “Souveränisten”-Fraktion aus AfD und sechs weiteren europäischen Splitterparteien kommt. Für eine solche Fraktion sind Parteien von sieben Nationen nötig; genau diese Mindestanzahl steht dem Vernehmen nach gerade bereit.
Allerdings sind darunter Parteien, die auch entscheidenden Teilen der AfD zu radikal sind: Bei der rumänischen S.O.S. leugnet man gerne mal den Holocaust, der Chef der polnischen Konfederacja setzte unter anderem ein Polen ohne Juden und Homosexuelle als Parteiziel an.
Ohne Fraktion würden der AfD Millionenverluste drohen. Manche hoffen weiterhin auf eine Einigung mit Marine Le Pen, die zur Rückkehr in die ID-Fraktion führt. Maximilian Krah dürfte trotz Solidaritäts-Bekundungen, gerade aus Sachsen, einen weiteren Bedeutungsverlust zu verantworten haben, käme die neue Fraktion nicht zusammen. Franziska Klemenz
In der konservativen EKR-Fraktion gibt es Streit zwischen den beiden großen nationalen Delegationen. Die Fratelli d’Italia stellen 24 von 83 Abgeordneten in der Fraktion und sind damit die größte Delegation. 20 Abgeordnete stellt die polnische PiS, es ist die zweitstärkste Delegation. Die für Mittwoch geplante konstituierende Sitzung der Fraktion musste abgesagt werden.
Sie wurde verschoben auf Mittwoch, 3. Juli. Wie in Brüssel zu hören ist, war ein Großteil der PiS-Abgeordneten gar nicht zur Fraktionssitzung erschienen. Es könnte Konflikte um die Aufnahme neuer Mitgliedsparteien geben.
In der vergangenen Wahlperiode hatte die EKR zwei Co-Fraktionsvorsitzende, einen stellten die Fratelli, einen die PiS. Nicola Procaccini, der bisherige Co-Fraktionschef von den Fratelli, wollte wieder antreten. Wer für die PiS kandidieren würde, war unklar. mgr
Deutschland und einige andere Exportländer haben eine Abschwächung von EU-Sanktionsplänen gegen Russlands Partnerland Belarus erzwungen. Wie mehrere Diplomaten am Mittwoch in Brüssel sagten, konnte insbesondere wegen deutscher Widerstände keine Einigung auf ein umfangreiches EU-Ausfuhrverbot für Fahrzeuge erzielt werden. Lediglich solche, die auch militärisch genutzt werden können, sollen künftig nicht mehr nach Belarus ausgeführt werden dürfen. Unterstützt wurden die Abschwächungsforderungen dem Vernehmen nach auch von Frankreich. Auch für Luxusgüter wie Lederwaren, Parfüms und Weine soll es demnach Ausnahmen geben.
Die belgische EU-Ratspräsidentschaft hatte am Mittwoch ohne die Angabe von Details angekündigt, dass sie die EU-Staaten auf neue Sanktionen gegen verständigt hätten. Mit ihnen solle hauptsächlich die Umgehung von bereits bestehenden Russland-Sanktionen erschwert werden, hieß es. Man verstärke weiter die Maßnahmen in Reaktion auf Russlands Invasion in die Ukraine. Die Einigung auf das Sanktionspaket wurde den Angaben zufolge bei einer Sitzung der ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten bei der EU in Brüssel erzielt. Sie muss nun nur noch in einem schriftlichen Verfahren formalisiert werden.
Vor allem mittel- und osteuropäische Länder wie Polen und die baltischen Staaten hatten in den monatelangen Verhandlungen darauf gedrungen, gegen Belarus die gleichen Wirtschaftssanktionen zu verhängen wie gegen Russland. Als Grund wurde neben der belarussischen Unterstützung für den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine auch genannt, dass Russland und Belarus durch eine Zollunion verbunden seien und Waren ungehindert von dem einen Land ins andere fließen könnten. dpa
Ungarn hat eine gemeinsame Erklärung der EU-Staaten zu Russlands Vorgehen gegen europäische Medien verhindert. Wie mehrere Diplomaten am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur in Brüssel bestätigten, könnte deshalb nur ein Statement des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell veröffentlicht werden. In diesem heißt es, die EU verurteile die völlig unbegründete Entscheidung der russischen Behörden, den Zugang zu mehr als 80 europäischen Medien in Russland zu blockieren.
Diese Entscheidung schränke den Zugang zu freien und unabhängigen Informationen weiter ein und verstärke die ohnehin schon strenge Medienzensur in Russland. Die verbotenen europäischen Medien arbeiteten nach journalistischen Prinzipien und Standards. Sie lieferten sachliche Informationen, auch an russisches Publikum.
Im Mai hatten die Mitgliedstaaten Sanktionen gegen Russland beschlossen, zu denen auch Sendeverbote russischer Medien gehörten. Dazu heißt es in der Erklärung, im Gegensatz zu den von Moskau ins Visier genommen Medien, seien diese Desinformations- und Propagandakanäle und keine freien und unabhängigen Medien. Ihre Sendetätigkeiten in der EU seien ausgesetzt worden, da diese Kanäle unter der Kontrolle der russischen Behörden stünden und zur Unterstützung des Angriffskriegs gegen die Ukraine genutzt würden.
Russland hatte am Dienstag mitgeteilt, als Reaktion auf das Ausstrahlungsverbot der russischen Medien in Europa seinerseits 81 europäische Medienunternehmen auf eine Schwarze Liste zu setzen. Von den deutschen Medien sind “Der Spiegel”, “Die Zeit” und die “Frankfurter Allgemeine Zeitung” betroffen.
Warum Ungarn eine Erklärung im Namen aller EU-Staaten verhinderte, blieb zunächst unklar. Als möglichen Hintergrund nannten Diplomaten, dass die Regierung in Budapest selbst gegen missliebige Medien vorgehe und dies als legitim ansehe. dpa/sas
Der kirgisische Präsident Sadyr Zhaparov hat in Belgien ein Abkommen über eine verstärkte Partnerschaft und Zusammenarbeit zwischen Kirgisistan und der Europäischen Union unterzeichnet. Die Unterzeichnung fand am Dienstag im Rahmen eines Arbeitsbesuchs Zhaparovs in Brüssel statt. Anwesend waren Charles Michel, Präsident des Europäischen Rates, Jeenbek Kulubaev, Außenminister der Kirgisischen Republik, der Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik Josep Borrell sowie der Kommissions-Vizepräsident Valdis Dombrovskis.
Laut offizieller Erklärung der EU soll die Zusammenarbeit in den Bereichen Handel und Investitionen, nachhaltiger Entwicklung und Konnektivität, Forschung und Innovation, Bildung, Umwelt und Klimawandel sowie Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und Zivilgesellschaft gestärkt werden. Aber auch im Sicherheitsbereich ist eine vertiefte Kooperation vorgesehen.
Mit dem Enhanced Partnership and Cooperation Agreement (EPCA) will die EU auch ein Gegengewicht zur starken chinesischen Präsenz durch die Neue Seidenstraße in der Region schaffen. Der bilaterale Handel zwischen Kirgisistan und China übertraf im Zeitraum Januar-April 2024 den Handel Kirgisistans mit allen Ländern der Eurasischen Wirtschaftsunion und der EU, meldete das Nationale Komitee für Statistik. Im Juni unterzeichnete Peking eine Vereinbarung für eine Eisenbahnlinie, die China mit Kirgisistan und Usbekistan verbindet. Sie soll den Gütertransport zwischen China und Europa um rund 900 Kilometer verkürzen. fpe
Europa muss seine digitale und telekommunikative Fragmentierung überwinden und einen echten paneuropäischen Markt mit stärker harmonisierten Regeln schaffen. Das schreibt der Verband der europäischen Telekommunikationsanbieter (ETNO) in seiner Stellungnahme zum Weißbuch der Kommission “Wie kann der Bedarf an digitaler Infrastruktur in Europa gedeckt werden?”. Nur so könnten die Unternehmen Dienste nahtlos über Grenzen hinweg anbieten und grenzüberschreitend Synergien entwickeln. “Wir müssen eine angemessene Größenordnung erreichen, auch innerhalb der nationalen Märkte: Die EU-Fusionskontrollverordnung sollte überarbeitet werden”, fordert der ETNO.
Damit liegt der Verband weitgehend auf einer Linie mit dem, was sich der noch amtierende Binnenmarktkommissar Thierry Breton vorgestellt hat. Auch die konkurrierende Computer & Communications Industry Association (CCIA) betont in ihrer Stellungnahme die Notwendigkeit eines harmonisierten Regelwerks zur Förderung eines einheitlichen digitalen Binnenmarktes. Alle drei sind sich ebenfalls einig, dass Investitionen in digitale Infrastrukturen entscheidend sind.
Im Oktober 2023 hatte die EU-Kommission die Ergebnisse ihrer Konsultation zur Zukunft des Kommunikationssektors und seiner Infrastruktur vorgelegt. Daraus resultierend veröffentlichte sie das Weißbuch und rief erneut zu einer Konsultation auf, die jetzt am 30. Juni endet. All dies soll auf einen Digital Networks Act hinauslaufen, den aber erst die neue Kommission umsetzen soll. Bis Mittwoch sind mehr als 80 Stellungnahmen bei der Kommission eingegangen.
Es wird allerdings schwer werden, die Harmonisierung des Binnenmarktes bei den Mitgliedstaaten durchzusetzen. Denn diese müssten dann die Kontrolle über die Märkte aus den Händen geben. Und außer in der Frage des Binnenmarktes stehen sich ETNO und CCIA eher kontrovers gegenüber. Vor allem in der Frage der Netzwerkgebühren (Fair Share). ETNO vertritt Unternehmen wie die Deutsche Telekom, Orange oder Telefónica (Big Telco). CCIA spricht unter anderen für Amazon, Google oder Microsoft (BigTech). Die unterschiedlichen Forderungen sind:
Diederik Samsom, früher Kabinettschef von Exekutiv-Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans, wird Aufsichtsratschef von Gasunie. Samsom war die rechte Hand von Timmermans, der den Green Deal in der ersten Von-der-Leyen-Kommission verantwortete. Gasunie ist ein staatliches Gasunternehmen in den Niederlanden. Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie doch einen Hinweis für unsere Personal-Rubrik an heads@table.media!
Romeo Franz’ Zeit im Europaparlament begann im Jahr 2018. Damals löste der Grünen-Politiker seinen Parteikollegen Jan Philipp Albrecht ab, der auf den Posten des Ministers für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung in Schleswig-Holstein wechselte. 2019 stellte sich Franz zur Wahl und kehrte ins Parlament zurück. Im neuen Parlament wird er nicht mehr vertreten sein. Er hat es probiert, hatte für einen aussichtsreichen Listenplatz kandidiert, es jedoch nicht geschafft. Nun möchte sich Franz in Zukunft nationalen Initiativen für eine Gleichberechtigung der Sinti und Roma widmen.
Sein Weg in die Politik ist von seiner Herkunft geprägt. “Antiziganismus begleitet mich, seit ich mich erinnern kann”, sagt er. Negative Erfahrungen in der Schule, Probleme bei der Job- und Wohnungssuche haben den 57-Jährigen schon früh dazu motiviert, für die Rechte der Sinti und Roma in Deutschland einzustehen. Zuerst in verschiedenen NGOs, 2010 ging er dann zu den Grünen. “Ich habe gespürt, dass ich mit der außerparteilichen Arbeit an eine Decke gestoßen bin.”
Seit 2018 setzt er sich auf europäischer Ebene für die Romanes sprechende Minderheit ein. Zufrieden ist er selten. Allein der Überbegriff der Roma, der im Umgang der EU mit der Minderheit verwendet wird, zeige ein großes Problem auf: “Es hakt noch immer an der Anerkennung, dass wir von einer der größten, aber auch heterogensten Minderheiten in Europa sprechen”, sagt Franz. Zwölf bis 15 Millionen Menschen zählen europaweit zu der Gruppe. Dazu gehören auch die Kalderara in Rumänien und die Resande in Schweden.
In seiner nun ablaufenden fünfjährigen Amtszeit im Parlament sei wenig passiert, um die Situation der Romanes sprechenden Minderheit zu verbessern. Die 2005 ins Leben gerufene Roma-Dekade bezeichnet Franz als “kläglich gescheitert”, auch weil sie auf Freiwilligkeit der Mitgliedstaaten beruhte. Seit 2019 habe er dafür gekämpft, die Bemühungen in ein Gesetz zu gießen – ohne Erfolg.
Vor allem aber sieht sich die Minderheit noch immer starker Ungleichbehandlung ausgesetzt. Besonders in Ländern Osteuropas lebten die Menschen teilweise in Waldgebieten ohne Zugang zu Trinkwasser oder sanitären Anlagen, zudem ohne Aussicht auf Arbeit. Bei Besuchen vor Ort stellte Franz “massive Menschenrechtsverletzungen” fest.
“Der Widerstand im Parlament gegen eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten ist sehr groß, das Interesse an einer Änderung gleichzeitig klein.” Das aktuelle EU Roma Strategic Framework läuft zwar bis 2030. Franz rechnet allerdings damit, dass es mit dem neuen Parlament noch schwieriger wird, eine verpflichtende Regelung für die Mitgliedstaaten zu erreichen.
Wie es anders geht, zeigten Bemühungen aus Deutschland, die Franz als “Best-Practice-Beispiele” bezeichnet. In Baden-Württemberg gibt es beispielsweise seit 2013 einen Rat für die Angelegenheiten der Sinti und Roma, der gleichmäßig mit Sinti und Roma und Parlamentariern besetzt ist. In einem Staatsvertrag sind zudem verpflichtende Ziele verankert, wie beispielsweise die stärkere Auseinandersetzung mit Sinti und Roma in Bildungseinrichtungen. “Der Ansatz hat europäisch extreme Aufmerksamkeit bekommen.”
Um etwas zum Umgang mit nationalen Minderheiten zu lernen, habe sich beispielsweise die Regierung Kosovos die Initiative angesehen. Zu der pflegte Romeo Franz in den vergangenen fünf Jahren ein enges Verhältnis. Als Leiter der Delegation des EU-Parlaments zu Bosnien-Herzegowina und dem Kosovo sei gerade die Zusammenarbeit mit dem Kosovo “enorm erfolgreich” gewesen. Im Laufe der Amtszeit habe er unter anderem die Visa-Freiheit für die Menschen vor Ort erreicht.
Anders stelle sich die Situation im Umgang mit Beitrittskandidat Bosnien-Herzegowina dar. Besonders der Einfluss des russlandfreundlichen und EU-kritischen Milorad Dodik, Präsident der bosnisch-serbischen Republika Srpska, mache das Land zu einer “riesigen Baustelle”, mit dem die Verhandlung extrem schwierig gewesen seien. Mit Blick auf die Zukunft hat Franz eine klare Meinung: “Einen mittelfristigen EU-Beitritt Bosniens halte ich nicht für realistisch, beim Kosovo bin ich optimistischer.” Jasper Bennink