haben Sie schon mal vom New Legislative Framework gehört? Nein, es ist nicht die neue Initiative der Kommissionspräsidentin zum Bürokratieabbau, sondern ein Weg zur schlankeren Gesetzgebung aus dem Jahr 2008 – und genau der wird nun nach dem Inkrafttreten des AI Act wichtig.
“Grundsätzlich begrüßen wir den New Legislative Framework-Ansatz der EU, der im Gesetzestext selbst lediglich allgemeine Anforderungen definiert und die konkreten technischen Umsetzungsvorgaben möglichst praxistauglich von Industrieexperten ausarbeiten lässt”, hat der KI-Experte von Bitkom, Janis Hecker, meiner Kollegin Corinna Visser erzählt. Denn die entscheidenden Regeln für KI-Unternehmen erarbeiten nun Normungsgremien.
Wie die unterschiedlichen Ebenen – nationale, europäische und internationale – bei der Normierung zusammenarbeiten, lesen Sie in ihrer Analyse. Nicht nur aufschlussreich für KI-Interessierte.
Viel Spaß beim Lesen der 750. Ausgabe von Europe.Table wünscht
Der Zeitplan ist sehr sportlich, findet Filiz Elmas, Leiterin der Strategieentwicklung Künstliche Intelligenz beim Deutschen Institut für Normung (DIN). Zwar ist die europäische KI-Verordnung (AI Act) am 1. August gerade erst in Kraft getreten. “Doch wir haben uns als Ziel gesetzt, dass die Entwürfe zu den entsprechenden harmonisierten europäischen Normen bis Ende dieses Jahres fertiggestellt sind”, sagt Elmas. Dann beginnt der Konsultationsprozess. “Die Veröffentlichung der fertigen Normen ist spätestens bis Ende 2025 geplant”, fügt Elmas hinzu. Dann ist für die betroffenen Unternehmen und Organisationen nur noch ein halbes Jahr Zeit, um ihre KI-Systeme regelkonform zu machen. Denn der AI Act ist 24 Monate nach seinem Inkrafttreten, also ab dem 2. August 2026, anwendbar.
Tatsächlich warten dir Unternehmen bereits dringend auf diese Normen. “Für KI-Unternehmen ist die zeitnahe Verabschiedung harmonisierter Standards eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine innovationsfreundliche Umsetzung des AI Acts”, betont Daniel Abbou, Geschäftsführer des KI-Bundesverbands. Vor allem Start-ups und KMU müssten mit massiven Compliance-Kosten rechnen, wenn sie für die notwendigen Konformitätsbewertungsverfahren nicht ausreichend Vorbereitungszeit hätten. “Für diese Unternehmen ist die Umsetzung ansonsten nur mit massivem Zeit- und Beratungsaufwand möglich, was unweigerlich zu hohen Zusatzkosten führt”, sagt Abbou. Im schlimmsten Fall gehe das zulasten der Innovationskraft des Unternehmens und führe zu verzögerten oder gar gescheiterten Markteinführungen.
“Normen spielen insbesondere für solche KI-Systeme eine große Rolle, die unter Hochrisiko-KI-Systeme im AI Act fallen”, erläutert Janis Hecker, Referent für Künstliche Intelligenz beim Digitalverband Bitkom. Hierzu habe die EU zwar eine Liste von Anforderungen für Anbieter dieser Systeme im AI Act definiert. “Wie diese aber konkret technisch umzusetzen sind, wird in erster Linie über zu erarbeitende harmonisierte europäische Normen festgeschrieben.” Der Vorteil harmonisierter europäischer Normen sei, dass jedes Unternehmen, das diese befolgt, automatisch eine Konformitätsvermutung mit dem AI Act erlangt. Das sei eine rechtssichere Möglichkeit, um die eigenen Hochrisiko-KI-Systeme im Einklang mit dem AI Act auf den Markt zu bringen.
Die Kommission hat bereits im Mai 2023 einen Normungsauftrag (Standardisation Request) an das Europäische Komitee für Normung und das Europäische Komitee für elektrotechnische Normung (CEN/CENELEC) erteilt. Da war der AI Act noch im Gesetzgebungsprozess. Der Normungsauftrag umfasst eine Liste der zu erarbeitenden neuen europäischen Normen mit zehn Punkten. Dazu gehören Normungsunterlagen zu:
Deutschland – genauer gesagt das DIN und die Deutsche Kommission Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik (DKE) – haben vorgearbeitet. Sie haben bereits im November 2020 eine erste Normierungsroadmap erstellt, deren zweite Ausgabe im Dezember 2022 folgte. “Die Roadmap ist der strategische Fahrplan für die KI-Normung auf nationaler Ebene“, erklärt Filiz Elmas. Sie sei in einem sehr breiten Beteiligungsprozess von mehr als 570 Fachleuten entstanden. Diese Fachleute aus unterschiedlichen Bereichen haben in Arbeitsgruppen identifiziert, wo es Bedarf für Normen und Standards gibt.
Was die Fachleute auf nationaler Ebene erarbeiten, bringt Deutschland über das DIN in den europäischen und darüber hinaus in den internationalen Normungsprozess ein. “Das Thema KI ist ein globales Thema”, erklärt Elmas. “Es ergibt wenig Sinn, national vorzugehen und nationale Standards zu entwickeln. Deswegen haben wir frühzeitig angefangen, auf ISO/IEC-Ebene entsprechende Normen zu entwickeln.”
Die Internationale Organisation für Normung (ISO) und die Internationale Elektrotechnische Kommission (IEC) haben im gemeinsamen technischen Ausschuss für Informationstechnologie (JTC1) einen Unterausschuss für Künstliche Intelligenz gegründet (SC42). “Das war der erste Ausschuss, der sich zum Thema vertrauenswürdige KI gebildet hat und aus dem inzwischen mehr als 30 ISO-Standards hervorgegangen sind”, sagt Elmas.
Das entsprechende Gremium auf europäischer Ebene, das Joint Technical Committee 21 Artificial Intelligence (CEN-CENELEC JTC 21), entstand erst im Zuge der Diskussion um den AI Act. Dabei sind die Empfehlungen aus der deutschen Normungsroadmap für KI eingeflossen. Die Arbeiten auf EU-Ebene begannen also deutlich später als beim ISO-Gremium auf internationaler Ebene. “Die Themen sind aber die gleichen”, erläutert Elmas. “Insofern wird sich das JTC 21 auch internationaler Normen bedienen, die schon da sind und sie adaptieren auf die europäische Ebene. Man muss das Rad ja nicht neu erfinden.”
Gerade der Wirtschaft ist es wichtig, dass europäische mit internationalen Normen im Einklang stehen. Die Europäische Union habe mit dem AI Act das weltweit erste umfassende Regelwerk für KI geschaffen. “Es sollte daher nun auch der Anspruch sein, dass die geschaffenen Regelungen eine möglichst breite Anwendung finden“, fordert Abbou vom KI-Bundesverband. “Damit der globale Compliance-Dschungel für KI-Unternehmen leichter zu navigieren ist – idealerweise mit einer entsprechenden Harmonisierung auch über die Europäische Union hinaus.”
Aber auch in umgekehrter Richtung sollten Standardisierungs- und Normungsgremien im Hinblick auf die für den AI Act zu entwickelnden Standards bestehende internationale Standardisierungen berücksichtigen. Beispielsweise könnten die Standards für Artificial Intelligence Management Systeme (ISO/IEC 42001) und für Anforderungen an Stellen, die KI-Managementsysteme auditieren und zertifizieren (ISO/IEC 42006) als Grundlage für harmonisierte Standards nach Artikel 40 des AI Act dienen. “Beide Ansätze würden dazu beitragen, eine Fragmentierung des Weltmarktes und gleichzeitig gravierende Nachteile für europäische und deutsche Anbieter zu vermeiden”, meint Abbou.
Elmas geht allerdings davon aus, dass an der einen oder anderen Stelle internationale Standards etwas verschärft werden, um den AI Act eben einzuhalten. Dennoch stützten sich die Arbeiten des JTC 21 im Wesentlichen auf die Arbeiten der ISO. “Das ist ein großes Netzwerk an Akteuren”, sagt Elmas.
CEN/CENELEC funktioniert dezentral. Mitglieder sind die nationalen Normungsgremien (NSB), für Deutschland das DIN, sowie die nationalen Komitees (NC), für Deutschland das DKE. Sie betreiben die technischen Gruppen, die die Normen ausarbeiten. Sowohl DIN und DKE als auch CEN und CENELEC arbeiten eng zusammen, auch in gemeinsamen Ausschüssen. Das CEN-CENELEC-Managementzentrum in Brüssel verwaltet und koordiniert dieses System. Bei JTC 21 sind aktuell 42 deutsche Experten aktiv (beim ISO-Gremium SC42 sind es 37). So finden deutsche Perspektiven Einzug in die europäischen und internationalen Normungsgremien.
Das DIN hat gerade die DIN/TS 92004 veröffentlicht. Die Norm soll Leitlinien zur Identifikation und Analyse von Risiken in KI-Systemen im gesamten Lebenszyklus liefern. Auch diese Norm ist für den europäischen Normungsprozess bestimmt. “Wir haben da keine klassische DIN-Norm im Bereich der KI entwickelt”, sagt Elmas. “Was wir auf nationaler Ebene entwickeln, sind in der Regel Vornormen, um diese schnell in die internationale Ebene einbringen und einfließen lassen zu können.”
In den entsprechenden internationalen Gremien werden daraus die Normen entwickelt. “Am Ende wird es gar keine DIN-Normen auf deutscher Ebene zu KI geben” erklärt Elmas. Denn wenn die europäische Normen angenommen sind, sollen die nationalen Normungsgremien diese in identische nationale Normen umsetzen und alle entgegenstehenden nationalen Normen zurückziehen.
Leider sind KMU in den entsprechenden Gremien der deutschen und europäischen Normungsorganisationen kaum vertreten, konstatiert Abbou vom KI-Verband. Dabei seien es gerade diese Unternehmen, die von solchen Mechanismen sehr profitieren könnten und etwa im Bereich des produzierenden Gewerbes auf schnell umsetzbare und kostengünstige Time-to-Market-Prozesse angewiesen seien.
“Ein Hemmnis für die Beteiligung von KMU an solchen Prozessen und Gremien ist sicherlich der Aufwand, der mit der Mitarbeit in den entsprechenden Gremien verbunden ist, und die damit möglicherweise wegfallenden Ressourcen im Unternehmen”, sagt Abbou. Deutsche KMU sollten daher durch gezielte Informationskampagnen weiter für dieses Thema sensibilisiert werden. Abbou schlägt vor, für KMU gezielte Anreize für eine direkte Beteiligung zu setzen, etwa mit einer umfassenden Förderung der Mitarbeit in Normungsgremien.
Verbände wie der KI-Bundesverband oder der Bitkom bieten KMU eine Plattform, um sich in den Normungsprozess einzubringen. “Grundsätzlich begrüßen wir als Bitkom den New Legislative Framework-Ansatz der EU, der im Gesetzestext selbst lediglich allgemeine Anforderungen definiert und die konkreten technischen Umsetzungsvorgaben möglichst praxistauglich von Industrieexperten ausarbeiten lässt”, sagt Janis Hecker. Wie der spezielle Prozess zur Ausarbeitung der harmonisierten europäischen Normen für Hochrisiko-KI-Systeme im AI Act am Ende zu bewerten sei, lasse sich zum jetzigen Zeitpunkt jedoch noch nicht sagen.
Im Namen von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen verfasste Binnenmarkt-Kommissar Thierry Breton am Freitag eine Antwort an Verkehrsminister Volker Wissing auf dessen Brief zur drohenden Stilllegung von Dieselautos (wir berichteten). Das Schreiben liegt Table.Briefings vor. Breton erklärt, dass Wissings Formulierung, Euro-5- und Euro-6-Dieselfahrzeuge müssten die Emissionsvorgaben künftig nicht nur im Labor, sondern in “jeder Fahrsituation” einhalten, “irreführend” sei. “Die Kommission hat nicht die Absicht, rückwirkende Änderungen vorzunehmen, den Automobilherstellern zusätzlichen Verwaltungsaufwand oder zusätzliche Anforderungen aufzuerlegen oder Maßnahmen zu ergreifen oder zu fördern, die Bürger, die Autos in gutem Glauben gekauft haben, in irgendeiner Weise benachteiligen werden”, heißt es in dem Brief.
Wissing sieht sich durch den Brief trotzdem in seiner Sorge bestätigt.”Der Kommissar räumt die Bedenken des Ministers nicht aus”, erklärte eine Sprecherin des BMDV gegenüber Table.Briefings. Breton bezeichne Wissings Aussagen zwar als “irreführend”, aber nicht als falsch. Zudem gehe es nicht um rückwirkende Maßnahmen. Schließlich würde die Entscheidung nicht durch die Kommission, sondern den Europäischen Gerichtshof getroffen. Aus diesem Grund sei es wichtig, eine Klarstellung im europäischen Regelwerk vorzunehmen. Dazu sei Wissing bereits auf seine EU-Amtskollegen zugegangen.
Hintergrund ist eine Anhörung vor dem Europäischen Gerichtshof von Anfang Juli. Darin ging es im Kern um die Frage, ob die vorgegebenen Grenzwerte von Euro-5-Kfz auch im “normalen Betrieb” eingehalten werden müssen. In der Anhörung hat die Kommission diese Frage bejaht. Die Kommission habe lediglich festgestellt, “dass die Pkw-Emissionsgrenzwerte unter normalen Einsatzbedingungen eingehalten werden müssen”, sagte ein Sprecher. Damit sei nicht jede Fahrsituation gemeint. Auch habe die Behörde ihren Standpunkt in dieser Frage nie geändert. max/dpa
Mit einer Änderung des EU-Rechts für Netzentgelte will das Bundeswirtschaftsministerium die Flexibilität im Stromsystem erhöhen. Das geht aus dem Optionspapier “Strommarktdesign der Zukunft” hervor, das das BMWK am Freitag vorgestellt hat. Im Kapitel zu nachfrageseitigen Flexibilitätspotenzialen schreibt das Ministerium zum “Aktionsbereich neue Netzentgeltstruktur”: “EU-Rahmen für Netzentgelte reformieren und fit für Anforderungen des zukünftigen Stromsystems machen.”
Mit dem Papier konsultiert das Wirtschaftsministerium verschiedene Möglichkeiten für die zukünftige Vergütung erneuerbarer Energien, Kapazitätsmechanismen und eine Flexibilisierung des Strommarkts, um fluktuierende erneuerbare Energien besser ins Stromsystem zu integrieren. Neben diesen nationalen Reformen sammelt das BMWK aber auch bereits Vorschläge für eine Reform des europäischen Strommarkts. Die nun vorgeschlagene Reform der Netzentgelte bezieht sich offenbar auf Artikel 18 der EU-Strommarktverordnung.
Zu den europäischen Leitplanken zählen laut dem Papier, “dass Netzentgelte kostenorientiert sein müssen und diskriminierungsfrei zu erheben sind. Die Tarifierung muss zudem transparent sein und Anreize für eine effiziente Netznutzung schaffen. Mit Blick auf das klimaneutrale Stromsystem wird es in Europa darum gehen müssen, diese Prinzipien zu spezifizieren und den Rahmen gegebenenfalls auch auf flexibilitätsfördernde Regelungen umzustellen.” Außerdem solle die Komplexität der Regulierung reduziert werden. Seine Vorschläge will das BMWK in einer “Flexibilitäts-Agenda” zusammenfassen. ber
Die neue Emissionsrichtlinie für Industrie und Bauern ist am Sonntag in Kraft getreten. Mit den überarbeiteten Regelungen sollen Schadstoffe von großen Industrieanlagen sowie von Schweine- und Geflügelzuchtbetrieben reduziert werden, wie die Kommission mitteilte. Die Mitgliedstaaten haben nun zwei Jahre Zeit, ihre nationalen Gesetze anzupassen.
Die Brüsseler Behörde erwartet, dass mit dem Gesetz Emissionen von Schadstoffen wie Feinstaub, Schwefeldioxid oder Stickoxid bis 2050 um bis zu 40 Prozent gesenkt werden. Betriebe wie besonders große Schweine- und Geflügelanlagen waren bereits von den Vorschriften betroffen – die geltenden Regelungen werden laut Kommission jedoch ausgeweitet.
Auch Metallabbaubetriebe und Anlagen zur Herstellung von Batterien unterliegen den neuen Regeln. Die Vorgaben gelten aber nicht sofort. Industrielle Unternehmen haben ab 2028 vier Jahre Zeit, die neusten verfügbaren Techniken anzuwenden, wie die EU-Kommission mitteilte. Für Landwirte werden die Regeln ab 2030 gelten, hieß es. dpa
In ihrer Rede vor dem Europäischen Parlament hat auch die inzwischen wiedergewählte Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen den Bürokratieabbau zu einem zentralen Thema gemacht. Es ist gut, dass die EU-Kommission sich damit ausführlich beschäftigen möchte. Denn auch ein Großteil unserer nationalen Gesetzgebung hat inzwischen ihren Ursprung in europäischen Richtlinien und Verordnungen. Green-Deal-Initiativen, wie etwa die Richtlinien IED, CSRD und CS3D, lassen insbesondere den europäischen Mittelstand in Papierkram ersticken – jedoch ohne die nötige Unterstützung bei der Umsetzung zu leisten. Insbesondere Berichtspflichten mit bis zu 1.000 Einzelaspekten bringen die Unternehmen an ihre Grenzen.
Mit der neuen EU-Kommission soll sich nun einiges ändern: Die Themen Wettbewerbsfähigkeit und Bürokratieabbau sind neue politische Schwerpunkte. Darunter fallen viele Initiativen, die auch für den Mittelstand gut klingen: ein Vizepräsident der EU-Kommission für Umsetzung, Vereinfachung – kurz: Bürokratieabbau. Es sind jährliche Fortschrittsberichte aller Kommissare zu eben jenem Thema geplant sowie Wettbewerbs- und KMU-Checks. Auch soll es eine neue Definitionskategorie für kleine Midcap-Unternehmen geben – ein Thema, für das sich die WVMetalle besonders einsetzt, weil der heutige KMU-Schutz allzu oft durch die Hintertür ausgehebelt wird. Es bleibt abzuwarten, ob die EU-Institutionen spürbare Erleichterungen auf den Weg bringen werden.
Aber nicht nur die europäische Ebene hat diesbezüglich Nachholbedarf. Auch die Bundes- und Landespolitik sowie die regionale Politik und Verwaltung müssen den industriellen Mittelstand entlasten. Viele Unternehmen hierzulande sehen in der Bürokratie eines der größten Hemmnisse für ihre Entwicklung.
Es ist daher wichtig, dass die Politik der zunehmenden Regulierungswut Einhalt gebietet und stattdessen Verordnungen abbaut. Vorschläge dazu gibt es massenhaft: Eine der wichtigsten in Bezug auf die EU ist eine konsequente 1:1-Umsetzung von Regelungen auf nationaler Ebene. Die ambitionierte bundesdeutsche Praxis nach dem Motto “lass uns einfach noch eine Schippe drauflegen” muss ein Ende haben.
Gerne greifen wir an dieser Stelle nochmals den Vorschlag von der Leyens hinsichtlich einer jährlichen Berichterstattung aller Kommissare zu Fortschritten beim Bürokratieabbau auf. Die konsequente Zuarbeit aus unseren Bundesministerien ist dabei dringend geboten.
Auch auf Landes- und kommunaler Ebene bricht sich der Bürokratiewahnsinn Bahn. Beispiel Bauprojekte: In Berlin wartet man im Durchschnitt 30 Monate auf eine Baugenehmigung. Ein Bauherr in Bayern benötigt 73 verschiedene Formulare und muss 14 Behörden kontaktieren, um ein Einfamilienhaus zu bauen. Von Industrieprojekten ganz zu schweigen.
Aber Bürokratie findet auch in der eigenen Industrie zunehmend statt. Es ist ohne Zweifel sinnvoll, als Kunde bestimmte Standards mit den eigenen Lieferanten zu vereinbaren. Solche sind in den einschlägigen Normen beschrieben. Mit der sogenannten “High Level Structure” haben die Verfasser dieser Normen versucht, einen Abgleich zwischen den Systemen, zum Beispiel für die Qualität, die Umwelt oder die Arbeitssicherheit, zu schaffen.
Schwierig sind dagegen zusätzliche Normanforderung, etwa für die Medizintechnik, den Flugzeugbau und die Automobilindustrie. Jeweils unterschiedliche Standards für jeden Rohstoff mögen zunächst sinnvoll erscheinen, in der Praxis sind die Unterschiede der einzelnen Commodities jedoch marginal. Umso größer ist allerdings der Unterschied beim Aufwand aufseiten der Zulieferer, die dann verschiedene Systeme pflegen, auditieren und schulen müssen. Hinzukommen umfangreiche Audits mit Begutachtungen, Maßnahmenplänen und schlimmstenfalls Sanktionen.
Nicht selten handeln die Auditoren dem Geiste nach wie große Unternehmen und projizieren den Wunsch nach ähnlichen Strukturen auf die kleinen Betriebe. Damit nicht genug, kommen nun auch noch Forderungen nach Datensicherheit und Nachhaltigkeit hinzu. Das bekannte Muster “Norm plus eigene weitergehende Forderungen” setzt sich fort.
Ist das noch verhältnismäßig, geschweige denn zielführend? Einen Sinn hinter all diesen Bestimmungen ist für Zulieferbetriebe nicht mehr zu erkennen. Denn die Wirtschaftsleistung der deutschen Industrie sinkt im internationalen Vergleich. Und auch Patentweltmeister sind wir schon lange nicht mehr. Immer mehr Betrieb wandern ab oder schließen gleich ganz. Ließe sich das Ruder nochmals herumreißen? Ja, aber was wir brauchen, ist weniger gängelnde Regulatorik, mehr Freiheit und mehr Zeit für unsere Ingenieure.
Gerd Röders ist Präsident der Wirtschaftsvereinigung Metalle
haben Sie schon mal vom New Legislative Framework gehört? Nein, es ist nicht die neue Initiative der Kommissionspräsidentin zum Bürokratieabbau, sondern ein Weg zur schlankeren Gesetzgebung aus dem Jahr 2008 – und genau der wird nun nach dem Inkrafttreten des AI Act wichtig.
“Grundsätzlich begrüßen wir den New Legislative Framework-Ansatz der EU, der im Gesetzestext selbst lediglich allgemeine Anforderungen definiert und die konkreten technischen Umsetzungsvorgaben möglichst praxistauglich von Industrieexperten ausarbeiten lässt”, hat der KI-Experte von Bitkom, Janis Hecker, meiner Kollegin Corinna Visser erzählt. Denn die entscheidenden Regeln für KI-Unternehmen erarbeiten nun Normungsgremien.
Wie die unterschiedlichen Ebenen – nationale, europäische und internationale – bei der Normierung zusammenarbeiten, lesen Sie in ihrer Analyse. Nicht nur aufschlussreich für KI-Interessierte.
Viel Spaß beim Lesen der 750. Ausgabe von Europe.Table wünscht
Der Zeitplan ist sehr sportlich, findet Filiz Elmas, Leiterin der Strategieentwicklung Künstliche Intelligenz beim Deutschen Institut für Normung (DIN). Zwar ist die europäische KI-Verordnung (AI Act) am 1. August gerade erst in Kraft getreten. “Doch wir haben uns als Ziel gesetzt, dass die Entwürfe zu den entsprechenden harmonisierten europäischen Normen bis Ende dieses Jahres fertiggestellt sind”, sagt Elmas. Dann beginnt der Konsultationsprozess. “Die Veröffentlichung der fertigen Normen ist spätestens bis Ende 2025 geplant”, fügt Elmas hinzu. Dann ist für die betroffenen Unternehmen und Organisationen nur noch ein halbes Jahr Zeit, um ihre KI-Systeme regelkonform zu machen. Denn der AI Act ist 24 Monate nach seinem Inkrafttreten, also ab dem 2. August 2026, anwendbar.
Tatsächlich warten dir Unternehmen bereits dringend auf diese Normen. “Für KI-Unternehmen ist die zeitnahe Verabschiedung harmonisierter Standards eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine innovationsfreundliche Umsetzung des AI Acts”, betont Daniel Abbou, Geschäftsführer des KI-Bundesverbands. Vor allem Start-ups und KMU müssten mit massiven Compliance-Kosten rechnen, wenn sie für die notwendigen Konformitätsbewertungsverfahren nicht ausreichend Vorbereitungszeit hätten. “Für diese Unternehmen ist die Umsetzung ansonsten nur mit massivem Zeit- und Beratungsaufwand möglich, was unweigerlich zu hohen Zusatzkosten führt”, sagt Abbou. Im schlimmsten Fall gehe das zulasten der Innovationskraft des Unternehmens und führe zu verzögerten oder gar gescheiterten Markteinführungen.
“Normen spielen insbesondere für solche KI-Systeme eine große Rolle, die unter Hochrisiko-KI-Systeme im AI Act fallen”, erläutert Janis Hecker, Referent für Künstliche Intelligenz beim Digitalverband Bitkom. Hierzu habe die EU zwar eine Liste von Anforderungen für Anbieter dieser Systeme im AI Act definiert. “Wie diese aber konkret technisch umzusetzen sind, wird in erster Linie über zu erarbeitende harmonisierte europäische Normen festgeschrieben.” Der Vorteil harmonisierter europäischer Normen sei, dass jedes Unternehmen, das diese befolgt, automatisch eine Konformitätsvermutung mit dem AI Act erlangt. Das sei eine rechtssichere Möglichkeit, um die eigenen Hochrisiko-KI-Systeme im Einklang mit dem AI Act auf den Markt zu bringen.
Die Kommission hat bereits im Mai 2023 einen Normungsauftrag (Standardisation Request) an das Europäische Komitee für Normung und das Europäische Komitee für elektrotechnische Normung (CEN/CENELEC) erteilt. Da war der AI Act noch im Gesetzgebungsprozess. Der Normungsauftrag umfasst eine Liste der zu erarbeitenden neuen europäischen Normen mit zehn Punkten. Dazu gehören Normungsunterlagen zu:
Deutschland – genauer gesagt das DIN und die Deutsche Kommission Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik (DKE) – haben vorgearbeitet. Sie haben bereits im November 2020 eine erste Normierungsroadmap erstellt, deren zweite Ausgabe im Dezember 2022 folgte. “Die Roadmap ist der strategische Fahrplan für die KI-Normung auf nationaler Ebene“, erklärt Filiz Elmas. Sie sei in einem sehr breiten Beteiligungsprozess von mehr als 570 Fachleuten entstanden. Diese Fachleute aus unterschiedlichen Bereichen haben in Arbeitsgruppen identifiziert, wo es Bedarf für Normen und Standards gibt.
Was die Fachleute auf nationaler Ebene erarbeiten, bringt Deutschland über das DIN in den europäischen und darüber hinaus in den internationalen Normungsprozess ein. “Das Thema KI ist ein globales Thema”, erklärt Elmas. “Es ergibt wenig Sinn, national vorzugehen und nationale Standards zu entwickeln. Deswegen haben wir frühzeitig angefangen, auf ISO/IEC-Ebene entsprechende Normen zu entwickeln.”
Die Internationale Organisation für Normung (ISO) und die Internationale Elektrotechnische Kommission (IEC) haben im gemeinsamen technischen Ausschuss für Informationstechnologie (JTC1) einen Unterausschuss für Künstliche Intelligenz gegründet (SC42). “Das war der erste Ausschuss, der sich zum Thema vertrauenswürdige KI gebildet hat und aus dem inzwischen mehr als 30 ISO-Standards hervorgegangen sind”, sagt Elmas.
Das entsprechende Gremium auf europäischer Ebene, das Joint Technical Committee 21 Artificial Intelligence (CEN-CENELEC JTC 21), entstand erst im Zuge der Diskussion um den AI Act. Dabei sind die Empfehlungen aus der deutschen Normungsroadmap für KI eingeflossen. Die Arbeiten auf EU-Ebene begannen also deutlich später als beim ISO-Gremium auf internationaler Ebene. “Die Themen sind aber die gleichen”, erläutert Elmas. “Insofern wird sich das JTC 21 auch internationaler Normen bedienen, die schon da sind und sie adaptieren auf die europäische Ebene. Man muss das Rad ja nicht neu erfinden.”
Gerade der Wirtschaft ist es wichtig, dass europäische mit internationalen Normen im Einklang stehen. Die Europäische Union habe mit dem AI Act das weltweit erste umfassende Regelwerk für KI geschaffen. “Es sollte daher nun auch der Anspruch sein, dass die geschaffenen Regelungen eine möglichst breite Anwendung finden“, fordert Abbou vom KI-Bundesverband. “Damit der globale Compliance-Dschungel für KI-Unternehmen leichter zu navigieren ist – idealerweise mit einer entsprechenden Harmonisierung auch über die Europäische Union hinaus.”
Aber auch in umgekehrter Richtung sollten Standardisierungs- und Normungsgremien im Hinblick auf die für den AI Act zu entwickelnden Standards bestehende internationale Standardisierungen berücksichtigen. Beispielsweise könnten die Standards für Artificial Intelligence Management Systeme (ISO/IEC 42001) und für Anforderungen an Stellen, die KI-Managementsysteme auditieren und zertifizieren (ISO/IEC 42006) als Grundlage für harmonisierte Standards nach Artikel 40 des AI Act dienen. “Beide Ansätze würden dazu beitragen, eine Fragmentierung des Weltmarktes und gleichzeitig gravierende Nachteile für europäische und deutsche Anbieter zu vermeiden”, meint Abbou.
Elmas geht allerdings davon aus, dass an der einen oder anderen Stelle internationale Standards etwas verschärft werden, um den AI Act eben einzuhalten. Dennoch stützten sich die Arbeiten des JTC 21 im Wesentlichen auf die Arbeiten der ISO. “Das ist ein großes Netzwerk an Akteuren”, sagt Elmas.
CEN/CENELEC funktioniert dezentral. Mitglieder sind die nationalen Normungsgremien (NSB), für Deutschland das DIN, sowie die nationalen Komitees (NC), für Deutschland das DKE. Sie betreiben die technischen Gruppen, die die Normen ausarbeiten. Sowohl DIN und DKE als auch CEN und CENELEC arbeiten eng zusammen, auch in gemeinsamen Ausschüssen. Das CEN-CENELEC-Managementzentrum in Brüssel verwaltet und koordiniert dieses System. Bei JTC 21 sind aktuell 42 deutsche Experten aktiv (beim ISO-Gremium SC42 sind es 37). So finden deutsche Perspektiven Einzug in die europäischen und internationalen Normungsgremien.
Das DIN hat gerade die DIN/TS 92004 veröffentlicht. Die Norm soll Leitlinien zur Identifikation und Analyse von Risiken in KI-Systemen im gesamten Lebenszyklus liefern. Auch diese Norm ist für den europäischen Normungsprozess bestimmt. “Wir haben da keine klassische DIN-Norm im Bereich der KI entwickelt”, sagt Elmas. “Was wir auf nationaler Ebene entwickeln, sind in der Regel Vornormen, um diese schnell in die internationale Ebene einbringen und einfließen lassen zu können.”
In den entsprechenden internationalen Gremien werden daraus die Normen entwickelt. “Am Ende wird es gar keine DIN-Normen auf deutscher Ebene zu KI geben” erklärt Elmas. Denn wenn die europäische Normen angenommen sind, sollen die nationalen Normungsgremien diese in identische nationale Normen umsetzen und alle entgegenstehenden nationalen Normen zurückziehen.
Leider sind KMU in den entsprechenden Gremien der deutschen und europäischen Normungsorganisationen kaum vertreten, konstatiert Abbou vom KI-Verband. Dabei seien es gerade diese Unternehmen, die von solchen Mechanismen sehr profitieren könnten und etwa im Bereich des produzierenden Gewerbes auf schnell umsetzbare und kostengünstige Time-to-Market-Prozesse angewiesen seien.
“Ein Hemmnis für die Beteiligung von KMU an solchen Prozessen und Gremien ist sicherlich der Aufwand, der mit der Mitarbeit in den entsprechenden Gremien verbunden ist, und die damit möglicherweise wegfallenden Ressourcen im Unternehmen”, sagt Abbou. Deutsche KMU sollten daher durch gezielte Informationskampagnen weiter für dieses Thema sensibilisiert werden. Abbou schlägt vor, für KMU gezielte Anreize für eine direkte Beteiligung zu setzen, etwa mit einer umfassenden Förderung der Mitarbeit in Normungsgremien.
Verbände wie der KI-Bundesverband oder der Bitkom bieten KMU eine Plattform, um sich in den Normungsprozess einzubringen. “Grundsätzlich begrüßen wir als Bitkom den New Legislative Framework-Ansatz der EU, der im Gesetzestext selbst lediglich allgemeine Anforderungen definiert und die konkreten technischen Umsetzungsvorgaben möglichst praxistauglich von Industrieexperten ausarbeiten lässt”, sagt Janis Hecker. Wie der spezielle Prozess zur Ausarbeitung der harmonisierten europäischen Normen für Hochrisiko-KI-Systeme im AI Act am Ende zu bewerten sei, lasse sich zum jetzigen Zeitpunkt jedoch noch nicht sagen.
Im Namen von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen verfasste Binnenmarkt-Kommissar Thierry Breton am Freitag eine Antwort an Verkehrsminister Volker Wissing auf dessen Brief zur drohenden Stilllegung von Dieselautos (wir berichteten). Das Schreiben liegt Table.Briefings vor. Breton erklärt, dass Wissings Formulierung, Euro-5- und Euro-6-Dieselfahrzeuge müssten die Emissionsvorgaben künftig nicht nur im Labor, sondern in “jeder Fahrsituation” einhalten, “irreführend” sei. “Die Kommission hat nicht die Absicht, rückwirkende Änderungen vorzunehmen, den Automobilherstellern zusätzlichen Verwaltungsaufwand oder zusätzliche Anforderungen aufzuerlegen oder Maßnahmen zu ergreifen oder zu fördern, die Bürger, die Autos in gutem Glauben gekauft haben, in irgendeiner Weise benachteiligen werden”, heißt es in dem Brief.
Wissing sieht sich durch den Brief trotzdem in seiner Sorge bestätigt.”Der Kommissar räumt die Bedenken des Ministers nicht aus”, erklärte eine Sprecherin des BMDV gegenüber Table.Briefings. Breton bezeichne Wissings Aussagen zwar als “irreführend”, aber nicht als falsch. Zudem gehe es nicht um rückwirkende Maßnahmen. Schließlich würde die Entscheidung nicht durch die Kommission, sondern den Europäischen Gerichtshof getroffen. Aus diesem Grund sei es wichtig, eine Klarstellung im europäischen Regelwerk vorzunehmen. Dazu sei Wissing bereits auf seine EU-Amtskollegen zugegangen.
Hintergrund ist eine Anhörung vor dem Europäischen Gerichtshof von Anfang Juli. Darin ging es im Kern um die Frage, ob die vorgegebenen Grenzwerte von Euro-5-Kfz auch im “normalen Betrieb” eingehalten werden müssen. In der Anhörung hat die Kommission diese Frage bejaht. Die Kommission habe lediglich festgestellt, “dass die Pkw-Emissionsgrenzwerte unter normalen Einsatzbedingungen eingehalten werden müssen”, sagte ein Sprecher. Damit sei nicht jede Fahrsituation gemeint. Auch habe die Behörde ihren Standpunkt in dieser Frage nie geändert. max/dpa
Mit einer Änderung des EU-Rechts für Netzentgelte will das Bundeswirtschaftsministerium die Flexibilität im Stromsystem erhöhen. Das geht aus dem Optionspapier “Strommarktdesign der Zukunft” hervor, das das BMWK am Freitag vorgestellt hat. Im Kapitel zu nachfrageseitigen Flexibilitätspotenzialen schreibt das Ministerium zum “Aktionsbereich neue Netzentgeltstruktur”: “EU-Rahmen für Netzentgelte reformieren und fit für Anforderungen des zukünftigen Stromsystems machen.”
Mit dem Papier konsultiert das Wirtschaftsministerium verschiedene Möglichkeiten für die zukünftige Vergütung erneuerbarer Energien, Kapazitätsmechanismen und eine Flexibilisierung des Strommarkts, um fluktuierende erneuerbare Energien besser ins Stromsystem zu integrieren. Neben diesen nationalen Reformen sammelt das BMWK aber auch bereits Vorschläge für eine Reform des europäischen Strommarkts. Die nun vorgeschlagene Reform der Netzentgelte bezieht sich offenbar auf Artikel 18 der EU-Strommarktverordnung.
Zu den europäischen Leitplanken zählen laut dem Papier, “dass Netzentgelte kostenorientiert sein müssen und diskriminierungsfrei zu erheben sind. Die Tarifierung muss zudem transparent sein und Anreize für eine effiziente Netznutzung schaffen. Mit Blick auf das klimaneutrale Stromsystem wird es in Europa darum gehen müssen, diese Prinzipien zu spezifizieren und den Rahmen gegebenenfalls auch auf flexibilitätsfördernde Regelungen umzustellen.” Außerdem solle die Komplexität der Regulierung reduziert werden. Seine Vorschläge will das BMWK in einer “Flexibilitäts-Agenda” zusammenfassen. ber
Die neue Emissionsrichtlinie für Industrie und Bauern ist am Sonntag in Kraft getreten. Mit den überarbeiteten Regelungen sollen Schadstoffe von großen Industrieanlagen sowie von Schweine- und Geflügelzuchtbetrieben reduziert werden, wie die Kommission mitteilte. Die Mitgliedstaaten haben nun zwei Jahre Zeit, ihre nationalen Gesetze anzupassen.
Die Brüsseler Behörde erwartet, dass mit dem Gesetz Emissionen von Schadstoffen wie Feinstaub, Schwefeldioxid oder Stickoxid bis 2050 um bis zu 40 Prozent gesenkt werden. Betriebe wie besonders große Schweine- und Geflügelanlagen waren bereits von den Vorschriften betroffen – die geltenden Regelungen werden laut Kommission jedoch ausgeweitet.
Auch Metallabbaubetriebe und Anlagen zur Herstellung von Batterien unterliegen den neuen Regeln. Die Vorgaben gelten aber nicht sofort. Industrielle Unternehmen haben ab 2028 vier Jahre Zeit, die neusten verfügbaren Techniken anzuwenden, wie die EU-Kommission mitteilte. Für Landwirte werden die Regeln ab 2030 gelten, hieß es. dpa
In ihrer Rede vor dem Europäischen Parlament hat auch die inzwischen wiedergewählte Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen den Bürokratieabbau zu einem zentralen Thema gemacht. Es ist gut, dass die EU-Kommission sich damit ausführlich beschäftigen möchte. Denn auch ein Großteil unserer nationalen Gesetzgebung hat inzwischen ihren Ursprung in europäischen Richtlinien und Verordnungen. Green-Deal-Initiativen, wie etwa die Richtlinien IED, CSRD und CS3D, lassen insbesondere den europäischen Mittelstand in Papierkram ersticken – jedoch ohne die nötige Unterstützung bei der Umsetzung zu leisten. Insbesondere Berichtspflichten mit bis zu 1.000 Einzelaspekten bringen die Unternehmen an ihre Grenzen.
Mit der neuen EU-Kommission soll sich nun einiges ändern: Die Themen Wettbewerbsfähigkeit und Bürokratieabbau sind neue politische Schwerpunkte. Darunter fallen viele Initiativen, die auch für den Mittelstand gut klingen: ein Vizepräsident der EU-Kommission für Umsetzung, Vereinfachung – kurz: Bürokratieabbau. Es sind jährliche Fortschrittsberichte aller Kommissare zu eben jenem Thema geplant sowie Wettbewerbs- und KMU-Checks. Auch soll es eine neue Definitionskategorie für kleine Midcap-Unternehmen geben – ein Thema, für das sich die WVMetalle besonders einsetzt, weil der heutige KMU-Schutz allzu oft durch die Hintertür ausgehebelt wird. Es bleibt abzuwarten, ob die EU-Institutionen spürbare Erleichterungen auf den Weg bringen werden.
Aber nicht nur die europäische Ebene hat diesbezüglich Nachholbedarf. Auch die Bundes- und Landespolitik sowie die regionale Politik und Verwaltung müssen den industriellen Mittelstand entlasten. Viele Unternehmen hierzulande sehen in der Bürokratie eines der größten Hemmnisse für ihre Entwicklung.
Es ist daher wichtig, dass die Politik der zunehmenden Regulierungswut Einhalt gebietet und stattdessen Verordnungen abbaut. Vorschläge dazu gibt es massenhaft: Eine der wichtigsten in Bezug auf die EU ist eine konsequente 1:1-Umsetzung von Regelungen auf nationaler Ebene. Die ambitionierte bundesdeutsche Praxis nach dem Motto “lass uns einfach noch eine Schippe drauflegen” muss ein Ende haben.
Gerne greifen wir an dieser Stelle nochmals den Vorschlag von der Leyens hinsichtlich einer jährlichen Berichterstattung aller Kommissare zu Fortschritten beim Bürokratieabbau auf. Die konsequente Zuarbeit aus unseren Bundesministerien ist dabei dringend geboten.
Auch auf Landes- und kommunaler Ebene bricht sich der Bürokratiewahnsinn Bahn. Beispiel Bauprojekte: In Berlin wartet man im Durchschnitt 30 Monate auf eine Baugenehmigung. Ein Bauherr in Bayern benötigt 73 verschiedene Formulare und muss 14 Behörden kontaktieren, um ein Einfamilienhaus zu bauen. Von Industrieprojekten ganz zu schweigen.
Aber Bürokratie findet auch in der eigenen Industrie zunehmend statt. Es ist ohne Zweifel sinnvoll, als Kunde bestimmte Standards mit den eigenen Lieferanten zu vereinbaren. Solche sind in den einschlägigen Normen beschrieben. Mit der sogenannten “High Level Structure” haben die Verfasser dieser Normen versucht, einen Abgleich zwischen den Systemen, zum Beispiel für die Qualität, die Umwelt oder die Arbeitssicherheit, zu schaffen.
Schwierig sind dagegen zusätzliche Normanforderung, etwa für die Medizintechnik, den Flugzeugbau und die Automobilindustrie. Jeweils unterschiedliche Standards für jeden Rohstoff mögen zunächst sinnvoll erscheinen, in der Praxis sind die Unterschiede der einzelnen Commodities jedoch marginal. Umso größer ist allerdings der Unterschied beim Aufwand aufseiten der Zulieferer, die dann verschiedene Systeme pflegen, auditieren und schulen müssen. Hinzukommen umfangreiche Audits mit Begutachtungen, Maßnahmenplänen und schlimmstenfalls Sanktionen.
Nicht selten handeln die Auditoren dem Geiste nach wie große Unternehmen und projizieren den Wunsch nach ähnlichen Strukturen auf die kleinen Betriebe. Damit nicht genug, kommen nun auch noch Forderungen nach Datensicherheit und Nachhaltigkeit hinzu. Das bekannte Muster “Norm plus eigene weitergehende Forderungen” setzt sich fort.
Ist das noch verhältnismäßig, geschweige denn zielführend? Einen Sinn hinter all diesen Bestimmungen ist für Zulieferbetriebe nicht mehr zu erkennen. Denn die Wirtschaftsleistung der deutschen Industrie sinkt im internationalen Vergleich. Und auch Patentweltmeister sind wir schon lange nicht mehr. Immer mehr Betrieb wandern ab oder schließen gleich ganz. Ließe sich das Ruder nochmals herumreißen? Ja, aber was wir brauchen, ist weniger gängelnde Regulatorik, mehr Freiheit und mehr Zeit für unsere Ingenieure.
Gerd Röders ist Präsident der Wirtschaftsvereinigung Metalle