Russland hat mit seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine und mit seinen Erpressungsversuchen den globalen Energiemarkt kräftig durcheinandergebracht. Die Krise hat nicht zuletzt die Schwächen der bisherigen Struktur aufgezeigt. Der Geopolitik- und Energieexperte Andreas Goldthau erwartet, dass wir nicht wieder zu einem voll liberalisierten Energiemarkt zurückkehren werden. Außerdem hat er meiner Kollegin Charlotte Wirth erläutert, warum die erneuerbaren Energien von der Krise profitieren werden.
Viele Beobachter sehen auch die Presse- und Medienfreiheit in der Krise, da sie in einigen EU-Mitgliedstaaten zunehmend unter Druck geraten. Mit dem European Media Freedom Act möchte die EU die Medienfreiheit stärken. Doch in Deutschland kommt das nicht gut an. Hier gibt es eine starke Medienaufsicht, die keine Kompetenzen an die EU abgeben will. Der Bundesrat hat eine Subsidiaritätsrüge nach Brüssel gesandt. Das Problem: Er stellt sich mit seiner Abwehr des EMFA auf die Seite von Ungarn und Polen. Heute wird Kommissarin Věra Jourová ihren Entwurf erstmals mit den Kulturministern der 27-EU-Länder diskutieren, berichten Eric Bonse, Falk Steiner und ich.
Auch wenn die Sprache auf den Inflation Reduction Act der USA kommt, schlagen die Gemüter hoch. Die Europäer wollen nicht benachteiligt werden und fürchten einen Subventionswettlauf, schreibt Till Hoppe. Frankreichs Präsident und sein Wirtschafts- und Finanzminister reisen diese Woche nach Washington. Seine Stoßrichtung hat Bruno Le Maire schon vorab klargemacht: “Es ist an der Zeit, dass Europa die europäische Produktion bevorzugt.” Das klingt alles andere als versöhnlich.
Trotz alledem wünsche ich Ihnen einen guten Start in die Woche.
Herr Goldthau, in unserem letzten Interview sagten Sie, wir hätten es nicht mit einer Energiekrise, sondern mit einer Preiskrise zu tun. Das war vor dem russischen Angriff auf die Ukraine. Nun herrscht seit neun Monaten Krieg. Wie schätzen Sie die Lage heute ein?
Wir sind jetzt in einer fundamental anderen Situation als vor knapp einem Jahr. Der mit Abstand größte Versorger mit Erdgas in Europa ist ausgefallen. Wir haben es nicht mehr nur mit einer strukturellen Knappheit auf dem Markt zu tun, sondern ein Spieler hat diesen Markt verlassen. Russland wird auch nicht mehr zurückkehren. Das hat zu einer noch nie da gewesenen Knappheit geführt.
Seitdem versucht die EU, Alternativen zu finden. Was sind die Folgen?
Alles, was seit den 1970er-Jahren aufgebaut wurde, die Ausrichtung der europäischen Gas- und Energiewirtschaften, all das ist mit einem Schlag vorbei. Mit der Folge, dass die Energie-Geografien sich fundamental verschieben. Die Europäer versorgen sich nicht mehr aus dem Osten, sondern dem Westen, primär den USA. Gleichzeitig versuchen sie, sich auch noch nach Süden, nach Afrika zu orientieren. Die Russen orientieren sich nicht mehr nach Westen, sondern nach Osten. Wenn sich die Energieströme ändern, hat das wiederum Auswirkungen auf Infrastruktur, Investitionen, Finanzströme, die Art und Weise, wie Verträge geschlossen werden.
Wie wirkt sich die europäische Erschließung neuer Märkte auf Schwellenländer aus?
Die Kosten der Krise werden sehr ungleich verteilt. Nicht nur innerhalb Europas zwischen Arm und Reich, sondern auch zwischen dem globalen Norden und dem globalen Süden. Der Markt des Flüssiggases hat sich beispielsweise radikal verändert: Es geht kaum mehr LNG nach Südostasien. Es herrscht eine steigende Nachfrage bei begrenztem Angebot. Die Frage lautet also: Wie viel Geld kann man für ein knappes Gut auf den Tisch legen? Dabei verlieren diejenigen, die arm sind. Die Schwellenländer werden aus dem Markt gedrängt.
Die Ära der niedrigen Gaspreise in der EU sei vorbei, schreiben Sie in ihrem letzten Artikel. Müssen wir uns an teure Rechnungen gewöhnen?
Russland konnte Gas so billig anbieten, weil es geografisch nah war und weil die Infrastruktur abgeschrieben war. Aber der “Billiganbieter” Russland fällt jetzt aus. Flüssiggas ist nun die Importquelle der Wahl und muss die variable Versorgung sicherstellen. Aber der LNG-Markt wächst nur langsam, und gleichzeitig wächst auch die Energienachfrage. Es wird daher zu strukturell höheren Preisen kommen. Daher ist die Zeit der relativ niedrigen, für die deutsche und europäische Industrie sehr verkraftbaren Preise in der Tat vorbei.
Durch die Krise wird die Funktionsweise des europäischen Energiemarktes infrage gestellt: Die EU diskutiert über Preisdeckel und gemeinsame Gaseinkäufe. Wird es zu langfristigen Änderungen des Energiemarktes kommen?
Um das zu beantworten, müssen wir einen Schritt zurückgehen und uns anschauen, wie über Energie nachgedacht wird. Wir haben es eigentlich mit einem privaten Gut zu tun: Wenn ich Energie, sprich ein Molekül konsumiere, können Sie es nicht mehr konsumieren. Deshalb haben wir das Preisproblem auf dem Weltmarkt. Doch Energie hat gleichzeitig Charakteristiken eines öffentlichen Guts: Bricht der Energiemarkt für einen Tag zusammen, dann kommen Volkswirtschaften zum Stillstand, es brechen Kriege aus. Die Folgen für das öffentliche Leben, für Produktion, für alles, was wir Zivilisation nennen, sind dramatisch.
Wie geht man mit diesem Spannungsverhältnis zwischen öffentlichem und privatem Gut um?
Entweder organisiert man Energie öffentlich. Dann muss der Staat regulieren und die Versorgung sicherstellen. Das ist das Modell der 1970er-Jahre als wir öffentliche Versorger hatten, die den Auftrag der sicheren Versorgung erfüllten.
Oder?
Oder man organisiert Märkte so, dass sie Versorger anreizt, unter unterschiedlichen Bedingungen die Versorgungssicherheit bereitzustellen. Genau so hat die EU ihren Energiemarkt organisiert. Mit drei Energiepaketen, 1998, 2003 und 2009 hat man den Energiemarkt liberalisiert und privatisiert. Dem Charakter des öffentlichen Guts hat man Rechnung getragen, indem der Markt groß integriert, gut reguliert und wettbewerbsorientiert ist. Denn unter Wettbewerbsbedingungen haben Unternehmen den Anreiz, sichere Energieversorgung zu bezahlbaren Preisen bereitzustellen. Das hat ganz gut funktioniert: Die Preise sind gesunken.
Doch hat uns das allerdings in gewisse Abhängigkeiten gebracht …
Ja. Man hat darauf gesetzt, dass der Markt immer liquide genug ist, um die EU zu versorgen. Und man hat den Fokus ganz klar auf die wirtschaftlichen Kosten, nicht auf die politischen Kosten gelegt.
Das System funktioniert also nur in guten Zeiten?
Genau die Frage stellt man sich jetzt. Viele antworten, es habe sich um ein Gutwetterphänomen gehandelt, und man müsse den Markt wieder neu organisieren. Und das passiert ja gerade: Man verstaatlicht, der Staat kauft wieder ein und greift in die Preise ein. Ich glaube nicht, dass wir zum Stand von vor dem Krieg, also zu dem voll liberalisierten Gas- und Energiemarkt zurückkehren. Wir müssen auch zukünftig mit deutlich mehr Staatsintervention rechnen. Vielleicht ist das auch notwendig: Wir haben es schließlich mit einem Markt zu tun, der weder politische noch ökologische Faktoren eingepreist hat. Zur Bewältigung der Energiewende ist der Markt vielleicht nicht der beste Treiber.
Stichwort Energiewende. Wie wirkt sich der Krieg gegen die Ukraine auf die Energietransition aus?
Die Erneuerbaren werden einen riesigen Aufschwung erleben, denn wir denken anders über sie nach. Christian Lindner (FDP) meinte vor Kurzem etwa, es handele sich um “Freiheitsenergie”. Das ist bezeichnend. Man nimmt die Erneuerbaren nicht mehr nur als Maßnahme fürs Klima wahr, die gegenüber von fossilen Energien wirtschaftlich sein muss. Sondern auf einmal erkennt man den Erneuerbaren auch einen sicherheitspolitischen Nutzen an. Das ermöglicht einen vollkommen neuen Zugang zu den erneuerbaren Energien. Auf einmal ist es nicht mehr so wichtig, ob sie hundertprozentig wettbewerbsfähig sind. Schließlich schaffen sie Sicherheit für den Staat.
Sie werden also aufgewertet?
Absolut. Und damit schafft man ganz neue Möglichkeiten. Man kann etwa den Ausbau von Erneuerbaren über Staatshilfen sehr viel stärker unterstützen. Oder wenn es zu Güterabwägungen (trade-offs) kommt, etwa zwischen dem Schutz der Vögel in der Nordsee oder der Sicherheit des Staates, setzt man auf Letzteres. All das, was vorher den Ausbau der Erneuerbaren behindert hat, kann jetzt geschehen, weil es den übergeordneten Zielen der Sicherheit, der Wirtschaft und der Nation dient.
Zum Beispiel?
Das sehen wir bereits mit RePowerEU: Da werden für erneuerbare Energien und die Dekarbonisierung der Industrie mehr als 100 Milliarden Euro mobilisiert. In Deutschland wird eine ähnliche Summe investiert. Immer mehr Staaten setzen auf Offshore-Projekte. All diese Investitionen werden sich in ein paar Jahren sehr stark auswirken und den Erneuerbaren und der Energiewende einen kräftigen Schub geben.
Der Streit um das europäische Medienfreiheitsgesetz geht in eine entscheidende Phase. Am Montag wird die zuständige EU-Kommissarin Věra Jourová ihren Entwurf erstmals mit den Kulturministern der 27-EU-Länder diskutieren. “Ich rechne mit viel Ja-Aber”, sagte sie auf einer Medien-Konferenz am Freitag in Brüssel (“I guess I will hear a lot of howevers”). Die meisten Mitgliedstaaten seien grundsätzlich mit den Zielen des European Media Freedom Act (EMFA) einverstanden, hätten jedoch Vorbehalte gegen eine EU-weite Regulierung. Vor allem aus Deutschland erwarte sie Widerstand, sagte Jourová. “Die Deutschen sagen mir: Wir haben ein robustes System, rührt das nicht an!”
Um die Bedenken auszuräumen, malt die Vizepräsidentin der EU-Kommission die Lage der Medien in Europa rabenschwarz. Die Pressefreiheit seit durch hohe Konzentration und “Oligarchisierung”, aber auch durch große Online-Plattformen und Desinformation bedroht. In Ungarn und anderen Ländern versuche der Staat, die Kontrolle zu übernehmen.
In den vergangenen Jahren sei fast alles schlechter geworden, deshalb müsse die EU eingreifen und die Medienfreiheit schützen. Dabei gehe es aber nicht darum, die Medien und ihre Produktion zu regulieren. Vielmehr gehe es um die Rahmenbedingungen, in denen Medien produzieren. Die EU wolle den Online-Plattformen einen Riegel vorschieben und “mögliche künftige Zensurversuche” verhindern.
Das ist pikant. Denn Jourová ist selbst im Gespräch mit den Plattformen – und versucht, sie mit einem Verhaltenskodex zu Hatespeech und Desinformation an die kurze Leine zu legen. Bereits darin sehen Kritiker den Versuch einer Online-Zensur.
Auf die Bedenken großer deutsche Medienhäuser sowie der Bundesländer ging Jourová nicht ein. Sie betonte lediglich, dass sie mit allen Stakeholdern im Gespräch sei. Die Länder spielten eine “wichtige Rolle” in der deutschen Medienaufsicht, räumte Věra Jourovás persönliche Assistentin Marie Frenay ein. Daran wolle man auch künftig nicht rütteln.
Wortführer der Kritik sind die Bundesländer. Die Vorsitzende der Rundfunkkommission der Länder, die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD), begründete am Freitag im Bundesrat den Beschluss der Länderkammer, eine Subsidiaritätsrüge auszusprechen: “Wir haben europaweit, wenn nicht weltweit, die vielfältigste und pluralistischste Medienlandschaft überhaupt.”
Der Bundesrat teile zwar das Ziel vielfältiger und unabhängiger Medien in Europa: “Aus einem legitimen Ziel folgt aber dann noch lange keine korrespondierende Ermächtigung der Europäischen Union, dies im Wege einer Verordnung zu regeln.” Die Zentralisierung sei nicht die richtige Lösung, sagte Dreyer im Plenum der Länderkammer.
Schon im Oktober hatte die RFK scharfe Kritik geübt: “Im Hinblick auf Medienregulierung und -aufsicht droht eine weitgehende Zentralisierung auf europäischer Ebene mit deutlich zu großem Einfluss der Europäischen Kommission“, heißt es in einem Beschluss der RFK. “Dies ist aus Sicht einer bewusst und aus gutem Grund dezentralen Rundfunkordnung mit unabhängiger Aufsicht, wie sie in Deutschland gestaltet ist, kritisch zu sehen.”
Jourovás Anliegen nachzuvollziehen, falle nicht schwer, sagte die SPD-Politikerin am Freitag. Die vorgeschlagene Lösung sei aber nicht im Interesse Deutschlands. Deutschland wolle auf seinem hohen Standard bleiben und nicht der Gefahr ausgesetzt sein, sich nach unten anpassen zu müssen. Dass etwa Staatspropagandasender wie Russia Today in Deutschland keine Sendelizenz hätten, sei ein Beispiel dafür, dass das deutsche System funktioniere.
Dreyer kritisierte, dass die Kommission die bestehenden Instrumente gegen Missstände in einzelnen Mitgliedstaaten unzureichend nutze. Dem EMFA mit seiner Aufsichtsstruktur, bei der die EU eine wesentliche Rolle einnehme, fehle es an Staatsferne, kritisiert Dreyer.
Harte Kritik also aus den Bundesländern an Jourová und ihrem Vorschlag. Unterstützung für das Vorgehen kommt vom Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV): “Die Zuständigkeit für kulturelle Fragen liegt im Verantwortungsbereich und in der Pflicht der Mitgliedstaaten, die diese – bis auf vereinzelte Ausnahmen – kraft Verfassung und faktisch effektiv ausfüllen”, kritisiert der Leiter Medienpolitik beim BDZV Helmut Verdenhalven.
Mit der Subsidiaritätsrüge hat Deutschland nun formal einen von zwei deutschen Parlamentspunkten gegen den EMFA gesetzt. Je nachdem, wie viele der nationalen Parlamente ebenfalls Subsidiaritätsrügen aussprechen, muss die Kommission entweder Stellung nehmen, den Entwurf nachbessern oder den Vorschlag zurückziehen. Das Vorgehen der Länder ist durchaus heikel: Der Bundesrat spielt damit absehbar an der Seite Polens und Ungarns, die das Vorhaben aus ganz anderen Motiven ablehnen.
Würde der EMFA scheitern, hätten die Bundesländer allerdings mindestens ein anderes Problem nicht adressiert: Im Digital Services Act (DSA) werden Plattformanbieter dazu verpflichtet, Inhalte zu moderieren – unabhängig davon, ob diese bereits anderer Regulierung oder – wie im Fall der freien Presse – funktionierender Selbstregulierung unterliegen. Damit würde etwa Facebook oder Twitter entscheiden, ob ARD-Inhalte auf der Plattform stehen dürfen. Das Gegenteil von Medienfreiheit, und das beschlossenermaßen unter Kontrolle der EU-Kommission als Aufsichtsbehörde.
Dass es kein Medienprivileg für Inhalte im DSA gebe, sei schwer verständlich. “Aber: das ist jetzt passiert, das steht jetzt im DSA. Jeder, der sich darüber aufregt, kommt zu spät“, merkte bereits zur Vorstellung des EMFA Tobias Schmid an. Der Direktor der Landesanstalt für Medien in Nordrhein-Westfalen hat zwar ebenfalls Kritikpunkte am EMFA, sieht darin aber vor allem eine Chance: “Der EMFA versucht, einen Kompromiss zu finden, schafft etwas Ähnliches wie ein Medienprivileg. Die Frage ist: nehmen wir diese Andeutung einer Brücke und sagen, lasst uns das parlamentarische Verfahren jetzt nutzen und dafür sorgen, dass es für die freie Presse, aber auch Rundfunkveranstalter ein akzeptabler Weg ist. Oder stellen wir uns hin und sagen: Das geht aber nicht, wir dürfen gar nicht Gegenstand dieser Regulierung sein.”
Der DSA allerdings ist bereits in Kraft getreten. Würde die Kommission den EMFA-Vorschlag komplett zurückziehen, wäre zwar das Problem der Kontrollzentralisierung in der Medienaufsicht verhindert, das Problem der künftig wohl relevanteren Aufsicht über die größten Intermediäre wiederum ist mit dem DSA bereits der Kommission überlassen worden.
Und auch an anderer Stelle müssen sich die Bundesländer fragen, ob ihre Perspektive einer bestmöglich pluralistischen Medienlandschaft nicht doch etwas überzogen ist. Nicht umsonst enthält der EMFA unter anderem eine Vorschrift, nach der die Auswahl von Spitzenpersonal bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten wie der ARD gesetzlich vorgeschriebenen Transparenzkriterien unterliegen soll. Das zielt genau auf den Bereich, in dem die Bundesländer bislang alles andere als geglänzt haben. Einen Reformvorschlag sind die Ministerpräsidenten auch ein halbes Jahr nach dem Bekanntwerden des RBB-Skandals um Intendantin Patricia Schlesinger schuldig geblieben. von Eric Bonse, Falk Steiner und Corinna Visser
Beim Treffen der EU-Handelsminister haben etliche Mitgliedstaaten vor einem Subventionswettlauf mit den USA gewarnt. Das sei ein “gefährliches Spiel”, sagte der tschechische Industrieminister und derzeitige Ratsvorsitzende Jozef Síkela am Freitag. “Der Gewinner könnte auf einem anderen Kontinent sitzen, weder dem europäischen noch dem amerikanischen.”
Viele Mitgliedstaaten hätten zugleich ihre Sorge über den Inflation Reduction Act (IRA) geäußert, mit dem die US-Regierung klimafreundliche Technologien fördern will, sagte Síkela. Die EU stört sich daran, dass viele der Zuschüsse und Steuererleichterungen an einen Produktionsstandort in Nordamerika geknüpft sind und fordert eine Gleichbehandlung für die eigene Industrie. Frankreich und zunehmend auch Deutschland drängen darauf, einer Abwanderung der heimischen Industrie mit eigenen Förderprogrammen entgegenzuwirken (Europe.Table berichtete).
Die Mitgliedstaaten sind darüber aber uneins, zumal viele Regierungen wenig finanziellen Spielraum sehen. Auch in der EU-Kommission wird heftig diskutiert, welche Maßnahmen die EU dem IRA entgegensetzen sollte. Industriekommissar Thierry Breton will einen neuen European Sovereignty Fund für die Hilfen auflegen. Ebenfalls diskutiert wird über den deutschen Vorschlag, eine europäische Plattform für Transformationstechnologie aufzusetzen, die die Massenproduktion von Solarpaneelen, Wärmepumpen oder Elektrolyseuren in Europa finanziell unterstützt.
Der für Handel zuständige Vizepräsident Valdis Dombrovskis warnte aber, ein Subventionswettlauf sei “teuer und ineffizient”. Die EU solle versuchen, als Industriestandort attraktiver zu werden. Dazu zählten zum einen Maßnahmen gegen die hohen Energiepreise. Zum anderen solle geprüft werden, wie die vorhandenen Subventionen für die Dekarbonisierung der Wirtschaft gezielter eingesetzt werden könnten. Die Kommission arbeitet daran, einen Überblick über die unterschiedlichen Förderprogramme zusammenzustellen.
Das Thema dürfte auch den EU-Gipfel Mitte Dezember beschäftigen. Zunächst wollen die EU-Staaten abwarten, ob sich Washington doch noch zu den erhofften Zugeständnissen bewegen lässt. Nach dem Treffen des transatlantischen Handels- und Technologierates am 5. Dezember wolle man eine Bilanz ziehen, sagte Dombrovskis. Er warnte aber mit Blick auf die geopolitische Lage, der Streit über den IRA dürfe nicht die transatlantischen Beziehungen belasten.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Finanzminister Bruno Le Maire reisen diese Woche zum Staatsbesuch in die USA. “Frankreich könnte um Ausnahmen von einigen Zöllen und Beschränkungen bitten, die von der US-Regierung eingeführt wurden”, sagte Le Maire dem Fernsehsender France 3 am Sonntag. Die eigentliche Frage sei aber, “welche Art von Globalisierung liegt vor uns”?
Denn China bevorzuge die chinesische Produktion, Amerika bevorzuge die amerikanische Produktion. “Es ist an der Zeit, dass Europa die europäische Produktion bevorzugt“, sagte der Minister. Alle europäischen Staaten müssten verstehen, “dass wir heute angesichts dieser amerikanischen Entscheidungen lernen müssen, unsere wirtschaftlichen Interessen besser zu schützen und zu verteidigen”. tho, rtr
Das Europaparlament, der Rat und die Kommission beginnen am heutigen Montag ihre Verhandlungen zum geplanten Handelsinstrument gegen wirtschaftlichen Zwang. Auf dem Anti-Coercion Instrument (ACI) liegen große Hoffnungen: Es soll der Europäischen Union die Möglichkeit geben, sich besser gegen wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen von Drittstaaten – allen voran China – wehren zu können.
Bernd Lange, Vorsitzender des Handelsausschusses des EU-Parlaments, erwartet keine einfachen Verhandlungen. “Ich hoffe, dass alle Beteiligten das genügende Maß an Kompromissbereitschaft zeigen.” Unmut gibt es derzeit wegen der EU-internen Debatte um die Entscheidungshoheit für das ACI (China.Table berichtete). “Dieses Instrument wird dringend benötigt”, sagte Lange zu China.Table.
Musterfall dafür ist das De-Facto-Handelsembargo Chinas gegen Litauen, nachdem Taiwan in Vilnius eine offizielle Vertretung mit Namen “Taiwan” eröffnen durfte. Ob die Verhandlungen bis Ende des Jahres beendet werden können, ist offen. Das Parlament sei bereit, möglichst schnell voranzugehen, versicherte Lange. ari
Der ehemalige luxemburgische Finanzminister Pierre Gramegna wird neuer Chef beim Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM). Der Verwaltungsrat habe Gramegna, der Wunschkandidat von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) war, in einer Sondersitzung am Freitag mit breitem Konsens zum geschäftsführenden Direktor des Euro-Rettungsschirms bestimmt. Das teilte der ESM mit. Der Luxemburger tritt sein Mandat, das auf fünf Jahre angesetzt ist, am 1. Dezember an. Gramegna folgt auf Klaus Regling, der nach zehn Jahren an der Spitze des ESM nicht mehr zur Verfügung stand.
Paschal Donohoe, der Chef der Euro-Gruppe und gleichzeitig Vorsitzender des ESM-Gouverneursrats, führte nach der Entscheidung aus, er sei zuversichtlich, dass der ESM unter der Führung von Gramegna “weiterhin die starke und verlässliche Institution sein wird, zu der er gewachsen ist”. Die Besetzung mit Gramegna an der Spitze des Rettungsschirms war möglich geworden, nachdem Frankreich und Italien ihre Blockade gegen den Luxemburger hatten fallen lassen (Europe.Table berichtete). Gramegna war von 2013 bis Anfang 2022 Finanzminister in Luxemburg. Er hatte im November 2021 aus familiären Gründen seinen Rücktritt erklärt.
Donohoe, der die Regling-Nachfolge moderiert hat, will ebenfalls selbst weiterhin auf der europäischen Bühne aktiv bleiben. Der Ire strebt eine zweite Amtszeit als Präsident der Euro-Gruppe an. Dem dürfte nichts im Wege stehen, da Donohoe der einzige Anwärter auf den Vorsitz ist (Europe.Table berichtete). Am 24. November war die Frist abgelaufen, zu der sich Kandidaten der Mitgliedstaaten melden konnten. Formell wollen die 19 Euro-Finanzminister am 5. Dezember über den Vorsitz abstimmen. Das Votum gilt als Formalie. Die Amtszeit an der Spitze der Euro-Gruppe beträgt zweieinhalb Jahre. Donohoe, der seit dem 13. Juli 2020 Chef der Euro-Gruppe ist, will seine zweite Amtszeit Mitte Januar antreten. cr
Als Reaktion auf die Verurteilung Russlands als staatlichem Unterstützer von Terrorismus hat der Kreml dem Europaparlament eine “ungezügelte Russophobie und Hass auf Russland” vorgeworfen. Es gebe im EU-Parlament ein “riesiges Defizit an Professionalität”, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Sonntag nach Angaben der Agentur Itar-Tass im russischen Staatsfernsehen. Die Parlamentarier seien von Emotionen geleitet. Ohnehin sei die Resolution rechtlich nicht bindend und Moskau nehme sich die Verurteilung “nicht zu Herzen”.
Eine große Mehrheit der Abgeordneten des Europaparlaments hatte am Mittwoch einer Resolution zugestimmt, die Russland als einen “terroristische Mittel einsetzenden Staat” bezeichnet.
Bisher kennt das europäische Recht keine Kategorie oder Liste für Staaten, die Terrorismus unterstützen. Das EU-Parlament hatte auch gefordert, die diplomatischen Beziehungen zu Russland weiter einzuschränken. Zudem werden in der Resolution weitere Strafmaßnahmen wie ein Embargo gegen russische Diamanten gefordert. dpa
Amazon könnte sich Insidern zufolge im Kartellstreit mit der Europäischen Union bis zum Jahresende einigen. Es sei möglich, dass eine EU-Entscheidung bis Ende 2022 komme, verlaute am Freitag aus Kreisen. Die EU-Kartellwächter lehnten eine Stellungnahme ab. Amazon teilte auf Anfrage mit, dass der Online-Händler konstruktiv mit der Behörde zusammenarbeite.
Amazon hatte Insidern zufolge im Juni der EU Zugeständnisse angeboten. Daten der firmeneigenen Händlerplattform Marketplace sollten mit Verkäufern geteilt werden, zudem solle die Sichtbarkeit der Angebote von Rivalen auf der Plattform verbessert werden, sagten mit dem Vorgang vertraute Personen damals. Amazon hofft so, um eine mögliche Kartellstrafe herumzukommen, die bis zu zehn Prozent des Umsatzes betragen könnte.
Die EU-Kommission hatte das Verfahren gegen Amazon 2020 eröffnet und wirft dem Online-Konzern vor, seine Größe und Marktmacht zu missbrauchen, um eigene Produkte zu begünstigen und sich gegenüber Konkurrenten einen Vorteil zu verschaffen, die auf der Amazon-Plattform ebenfalls aktiv sind. Die Ermittlungen drehen sich zudem um die Frage, ob Amazon den Händlern Vorzüge einräumt, die beim Versenden die Amazon-Logistik nutzen. rtr
Die neue Gebäuderichtlinie, Regeln zur Energieversorgung oder zum Verkehr: Viele der EU-Entscheidungen haben unmittelbare Auswirkungen auf die Städte und Gemeinden. Umso wichtiger, dass die Kommunen einen direkten Draht nach Brüssel haben – ein Job für Lina Furch. Die 40-Jährige leitet das Brüsseler Büro und die Abteilung für Europa und Internationales beim Deutschen Städtetag.
Furch kommt aus Aachen, sie wächst in der Grenzregion zu Belgien und den Niederlanden auf. Offene Grenzen, verschiedene Sprachen, Europa, all das sei in ihrer Kindheit ganz normal gewesen, sagt Furch: “Erst später habe ich gemerkt, dass Europa etwas Einmaliges ist.”
Nach ihrem Jurastudium war Furch unter anderem für die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in Albanien, hat dort erlebt, wie sich das Land auf einen EU-Beitritt vorbereitet. Zurück in Deutschland wird sie stellvertretende Leiterin des Amtes für Internationales bei der Stadt Bonn, seit 2019 ist sie Abteilungsleiterin beim Deutschen Städtetag. Meistens arbeitet sie von Köln aus, etwa alle zwei Wochen fährt sie nach Brüssel, wo das Büro des Städtetages noch zwei weitere Mitarbeiter hat.
Ihre Abteilung versorgt die Mitgliedsstädte mit Neuigkeiten aus den EU-Institutionen. In einem Newsletter fassen Furch und ihr Team die wichtigsten Gesetzesinitiativen und europäischen Entwicklungen für die Kommunen zusammen.
Andersherum vertritt Furch in Brüssel die Interessen der Städte, sie führt Gespräche mit Kommissionsmitgliedern und Abgeordneten, trifft sich mit anderen kommunalen Vertreterinnen und Vertretern. Furch ist stellvertretende Generalsekretärin der Deutschen Sektion im Rat der Gemeinden und Regionen Europas (RGRE). Für viele dieser Gespräche versucht sie, persönlich nach Brüssel zu kommen, sagt Furch: “Die Zwischentöne kann man online nicht senden.”
Der Einfluss der kommunalen Ebene in Brüssel steigt, so jedenfalls nimmt Furch es wahr. Das ist wichtig für die Städte und Gemeinden. Denn: “70 bis 80 Prozent der durch europäisches Recht gesetzten Vorhaben haben Auswirkungen auf die Städte”, sagt Furch. Die Kommunen seien diejenigen, die EU-Recht am Ende praktisch umsetzen.
Andererseits: Das sei kein unmittelbares Recht, sagt Furch. Sie wünscht sich eine strukturelle Einbindung: mehr kommunale Sitze im Ausschuss der Regionen (AdR), das Recht, mitzuentscheiden. Nicht bei jedem Gesetz, sagt Furch. “Aber nur so können es Gesetze werden, die in der Praxis gut anwendbar sind.” Jana Hemmersmeier
Russland hat mit seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine und mit seinen Erpressungsversuchen den globalen Energiemarkt kräftig durcheinandergebracht. Die Krise hat nicht zuletzt die Schwächen der bisherigen Struktur aufgezeigt. Der Geopolitik- und Energieexperte Andreas Goldthau erwartet, dass wir nicht wieder zu einem voll liberalisierten Energiemarkt zurückkehren werden. Außerdem hat er meiner Kollegin Charlotte Wirth erläutert, warum die erneuerbaren Energien von der Krise profitieren werden.
Viele Beobachter sehen auch die Presse- und Medienfreiheit in der Krise, da sie in einigen EU-Mitgliedstaaten zunehmend unter Druck geraten. Mit dem European Media Freedom Act möchte die EU die Medienfreiheit stärken. Doch in Deutschland kommt das nicht gut an. Hier gibt es eine starke Medienaufsicht, die keine Kompetenzen an die EU abgeben will. Der Bundesrat hat eine Subsidiaritätsrüge nach Brüssel gesandt. Das Problem: Er stellt sich mit seiner Abwehr des EMFA auf die Seite von Ungarn und Polen. Heute wird Kommissarin Věra Jourová ihren Entwurf erstmals mit den Kulturministern der 27-EU-Länder diskutieren, berichten Eric Bonse, Falk Steiner und ich.
Auch wenn die Sprache auf den Inflation Reduction Act der USA kommt, schlagen die Gemüter hoch. Die Europäer wollen nicht benachteiligt werden und fürchten einen Subventionswettlauf, schreibt Till Hoppe. Frankreichs Präsident und sein Wirtschafts- und Finanzminister reisen diese Woche nach Washington. Seine Stoßrichtung hat Bruno Le Maire schon vorab klargemacht: “Es ist an der Zeit, dass Europa die europäische Produktion bevorzugt.” Das klingt alles andere als versöhnlich.
Trotz alledem wünsche ich Ihnen einen guten Start in die Woche.
Herr Goldthau, in unserem letzten Interview sagten Sie, wir hätten es nicht mit einer Energiekrise, sondern mit einer Preiskrise zu tun. Das war vor dem russischen Angriff auf die Ukraine. Nun herrscht seit neun Monaten Krieg. Wie schätzen Sie die Lage heute ein?
Wir sind jetzt in einer fundamental anderen Situation als vor knapp einem Jahr. Der mit Abstand größte Versorger mit Erdgas in Europa ist ausgefallen. Wir haben es nicht mehr nur mit einer strukturellen Knappheit auf dem Markt zu tun, sondern ein Spieler hat diesen Markt verlassen. Russland wird auch nicht mehr zurückkehren. Das hat zu einer noch nie da gewesenen Knappheit geführt.
Seitdem versucht die EU, Alternativen zu finden. Was sind die Folgen?
Alles, was seit den 1970er-Jahren aufgebaut wurde, die Ausrichtung der europäischen Gas- und Energiewirtschaften, all das ist mit einem Schlag vorbei. Mit der Folge, dass die Energie-Geografien sich fundamental verschieben. Die Europäer versorgen sich nicht mehr aus dem Osten, sondern dem Westen, primär den USA. Gleichzeitig versuchen sie, sich auch noch nach Süden, nach Afrika zu orientieren. Die Russen orientieren sich nicht mehr nach Westen, sondern nach Osten. Wenn sich die Energieströme ändern, hat das wiederum Auswirkungen auf Infrastruktur, Investitionen, Finanzströme, die Art und Weise, wie Verträge geschlossen werden.
Wie wirkt sich die europäische Erschließung neuer Märkte auf Schwellenländer aus?
Die Kosten der Krise werden sehr ungleich verteilt. Nicht nur innerhalb Europas zwischen Arm und Reich, sondern auch zwischen dem globalen Norden und dem globalen Süden. Der Markt des Flüssiggases hat sich beispielsweise radikal verändert: Es geht kaum mehr LNG nach Südostasien. Es herrscht eine steigende Nachfrage bei begrenztem Angebot. Die Frage lautet also: Wie viel Geld kann man für ein knappes Gut auf den Tisch legen? Dabei verlieren diejenigen, die arm sind. Die Schwellenländer werden aus dem Markt gedrängt.
Die Ära der niedrigen Gaspreise in der EU sei vorbei, schreiben Sie in ihrem letzten Artikel. Müssen wir uns an teure Rechnungen gewöhnen?
Russland konnte Gas so billig anbieten, weil es geografisch nah war und weil die Infrastruktur abgeschrieben war. Aber der “Billiganbieter” Russland fällt jetzt aus. Flüssiggas ist nun die Importquelle der Wahl und muss die variable Versorgung sicherstellen. Aber der LNG-Markt wächst nur langsam, und gleichzeitig wächst auch die Energienachfrage. Es wird daher zu strukturell höheren Preisen kommen. Daher ist die Zeit der relativ niedrigen, für die deutsche und europäische Industrie sehr verkraftbaren Preise in der Tat vorbei.
Durch die Krise wird die Funktionsweise des europäischen Energiemarktes infrage gestellt: Die EU diskutiert über Preisdeckel und gemeinsame Gaseinkäufe. Wird es zu langfristigen Änderungen des Energiemarktes kommen?
Um das zu beantworten, müssen wir einen Schritt zurückgehen und uns anschauen, wie über Energie nachgedacht wird. Wir haben es eigentlich mit einem privaten Gut zu tun: Wenn ich Energie, sprich ein Molekül konsumiere, können Sie es nicht mehr konsumieren. Deshalb haben wir das Preisproblem auf dem Weltmarkt. Doch Energie hat gleichzeitig Charakteristiken eines öffentlichen Guts: Bricht der Energiemarkt für einen Tag zusammen, dann kommen Volkswirtschaften zum Stillstand, es brechen Kriege aus. Die Folgen für das öffentliche Leben, für Produktion, für alles, was wir Zivilisation nennen, sind dramatisch.
Wie geht man mit diesem Spannungsverhältnis zwischen öffentlichem und privatem Gut um?
Entweder organisiert man Energie öffentlich. Dann muss der Staat regulieren und die Versorgung sicherstellen. Das ist das Modell der 1970er-Jahre als wir öffentliche Versorger hatten, die den Auftrag der sicheren Versorgung erfüllten.
Oder?
Oder man organisiert Märkte so, dass sie Versorger anreizt, unter unterschiedlichen Bedingungen die Versorgungssicherheit bereitzustellen. Genau so hat die EU ihren Energiemarkt organisiert. Mit drei Energiepaketen, 1998, 2003 und 2009 hat man den Energiemarkt liberalisiert und privatisiert. Dem Charakter des öffentlichen Guts hat man Rechnung getragen, indem der Markt groß integriert, gut reguliert und wettbewerbsorientiert ist. Denn unter Wettbewerbsbedingungen haben Unternehmen den Anreiz, sichere Energieversorgung zu bezahlbaren Preisen bereitzustellen. Das hat ganz gut funktioniert: Die Preise sind gesunken.
Doch hat uns das allerdings in gewisse Abhängigkeiten gebracht …
Ja. Man hat darauf gesetzt, dass der Markt immer liquide genug ist, um die EU zu versorgen. Und man hat den Fokus ganz klar auf die wirtschaftlichen Kosten, nicht auf die politischen Kosten gelegt.
Das System funktioniert also nur in guten Zeiten?
Genau die Frage stellt man sich jetzt. Viele antworten, es habe sich um ein Gutwetterphänomen gehandelt, und man müsse den Markt wieder neu organisieren. Und das passiert ja gerade: Man verstaatlicht, der Staat kauft wieder ein und greift in die Preise ein. Ich glaube nicht, dass wir zum Stand von vor dem Krieg, also zu dem voll liberalisierten Gas- und Energiemarkt zurückkehren. Wir müssen auch zukünftig mit deutlich mehr Staatsintervention rechnen. Vielleicht ist das auch notwendig: Wir haben es schließlich mit einem Markt zu tun, der weder politische noch ökologische Faktoren eingepreist hat. Zur Bewältigung der Energiewende ist der Markt vielleicht nicht der beste Treiber.
Stichwort Energiewende. Wie wirkt sich der Krieg gegen die Ukraine auf die Energietransition aus?
Die Erneuerbaren werden einen riesigen Aufschwung erleben, denn wir denken anders über sie nach. Christian Lindner (FDP) meinte vor Kurzem etwa, es handele sich um “Freiheitsenergie”. Das ist bezeichnend. Man nimmt die Erneuerbaren nicht mehr nur als Maßnahme fürs Klima wahr, die gegenüber von fossilen Energien wirtschaftlich sein muss. Sondern auf einmal erkennt man den Erneuerbaren auch einen sicherheitspolitischen Nutzen an. Das ermöglicht einen vollkommen neuen Zugang zu den erneuerbaren Energien. Auf einmal ist es nicht mehr so wichtig, ob sie hundertprozentig wettbewerbsfähig sind. Schließlich schaffen sie Sicherheit für den Staat.
Sie werden also aufgewertet?
Absolut. Und damit schafft man ganz neue Möglichkeiten. Man kann etwa den Ausbau von Erneuerbaren über Staatshilfen sehr viel stärker unterstützen. Oder wenn es zu Güterabwägungen (trade-offs) kommt, etwa zwischen dem Schutz der Vögel in der Nordsee oder der Sicherheit des Staates, setzt man auf Letzteres. All das, was vorher den Ausbau der Erneuerbaren behindert hat, kann jetzt geschehen, weil es den übergeordneten Zielen der Sicherheit, der Wirtschaft und der Nation dient.
Zum Beispiel?
Das sehen wir bereits mit RePowerEU: Da werden für erneuerbare Energien und die Dekarbonisierung der Industrie mehr als 100 Milliarden Euro mobilisiert. In Deutschland wird eine ähnliche Summe investiert. Immer mehr Staaten setzen auf Offshore-Projekte. All diese Investitionen werden sich in ein paar Jahren sehr stark auswirken und den Erneuerbaren und der Energiewende einen kräftigen Schub geben.
Der Streit um das europäische Medienfreiheitsgesetz geht in eine entscheidende Phase. Am Montag wird die zuständige EU-Kommissarin Věra Jourová ihren Entwurf erstmals mit den Kulturministern der 27-EU-Länder diskutieren. “Ich rechne mit viel Ja-Aber”, sagte sie auf einer Medien-Konferenz am Freitag in Brüssel (“I guess I will hear a lot of howevers”). Die meisten Mitgliedstaaten seien grundsätzlich mit den Zielen des European Media Freedom Act (EMFA) einverstanden, hätten jedoch Vorbehalte gegen eine EU-weite Regulierung. Vor allem aus Deutschland erwarte sie Widerstand, sagte Jourová. “Die Deutschen sagen mir: Wir haben ein robustes System, rührt das nicht an!”
Um die Bedenken auszuräumen, malt die Vizepräsidentin der EU-Kommission die Lage der Medien in Europa rabenschwarz. Die Pressefreiheit seit durch hohe Konzentration und “Oligarchisierung”, aber auch durch große Online-Plattformen und Desinformation bedroht. In Ungarn und anderen Ländern versuche der Staat, die Kontrolle zu übernehmen.
In den vergangenen Jahren sei fast alles schlechter geworden, deshalb müsse die EU eingreifen und die Medienfreiheit schützen. Dabei gehe es aber nicht darum, die Medien und ihre Produktion zu regulieren. Vielmehr gehe es um die Rahmenbedingungen, in denen Medien produzieren. Die EU wolle den Online-Plattformen einen Riegel vorschieben und “mögliche künftige Zensurversuche” verhindern.
Das ist pikant. Denn Jourová ist selbst im Gespräch mit den Plattformen – und versucht, sie mit einem Verhaltenskodex zu Hatespeech und Desinformation an die kurze Leine zu legen. Bereits darin sehen Kritiker den Versuch einer Online-Zensur.
Auf die Bedenken großer deutsche Medienhäuser sowie der Bundesländer ging Jourová nicht ein. Sie betonte lediglich, dass sie mit allen Stakeholdern im Gespräch sei. Die Länder spielten eine “wichtige Rolle” in der deutschen Medienaufsicht, räumte Věra Jourovás persönliche Assistentin Marie Frenay ein. Daran wolle man auch künftig nicht rütteln.
Wortführer der Kritik sind die Bundesländer. Die Vorsitzende der Rundfunkkommission der Länder, die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD), begründete am Freitag im Bundesrat den Beschluss der Länderkammer, eine Subsidiaritätsrüge auszusprechen: “Wir haben europaweit, wenn nicht weltweit, die vielfältigste und pluralistischste Medienlandschaft überhaupt.”
Der Bundesrat teile zwar das Ziel vielfältiger und unabhängiger Medien in Europa: “Aus einem legitimen Ziel folgt aber dann noch lange keine korrespondierende Ermächtigung der Europäischen Union, dies im Wege einer Verordnung zu regeln.” Die Zentralisierung sei nicht die richtige Lösung, sagte Dreyer im Plenum der Länderkammer.
Schon im Oktober hatte die RFK scharfe Kritik geübt: “Im Hinblick auf Medienregulierung und -aufsicht droht eine weitgehende Zentralisierung auf europäischer Ebene mit deutlich zu großem Einfluss der Europäischen Kommission“, heißt es in einem Beschluss der RFK. “Dies ist aus Sicht einer bewusst und aus gutem Grund dezentralen Rundfunkordnung mit unabhängiger Aufsicht, wie sie in Deutschland gestaltet ist, kritisch zu sehen.”
Jourovás Anliegen nachzuvollziehen, falle nicht schwer, sagte die SPD-Politikerin am Freitag. Die vorgeschlagene Lösung sei aber nicht im Interesse Deutschlands. Deutschland wolle auf seinem hohen Standard bleiben und nicht der Gefahr ausgesetzt sein, sich nach unten anpassen zu müssen. Dass etwa Staatspropagandasender wie Russia Today in Deutschland keine Sendelizenz hätten, sei ein Beispiel dafür, dass das deutsche System funktioniere.
Dreyer kritisierte, dass die Kommission die bestehenden Instrumente gegen Missstände in einzelnen Mitgliedstaaten unzureichend nutze. Dem EMFA mit seiner Aufsichtsstruktur, bei der die EU eine wesentliche Rolle einnehme, fehle es an Staatsferne, kritisiert Dreyer.
Harte Kritik also aus den Bundesländern an Jourová und ihrem Vorschlag. Unterstützung für das Vorgehen kommt vom Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV): “Die Zuständigkeit für kulturelle Fragen liegt im Verantwortungsbereich und in der Pflicht der Mitgliedstaaten, die diese – bis auf vereinzelte Ausnahmen – kraft Verfassung und faktisch effektiv ausfüllen”, kritisiert der Leiter Medienpolitik beim BDZV Helmut Verdenhalven.
Mit der Subsidiaritätsrüge hat Deutschland nun formal einen von zwei deutschen Parlamentspunkten gegen den EMFA gesetzt. Je nachdem, wie viele der nationalen Parlamente ebenfalls Subsidiaritätsrügen aussprechen, muss die Kommission entweder Stellung nehmen, den Entwurf nachbessern oder den Vorschlag zurückziehen. Das Vorgehen der Länder ist durchaus heikel: Der Bundesrat spielt damit absehbar an der Seite Polens und Ungarns, die das Vorhaben aus ganz anderen Motiven ablehnen.
Würde der EMFA scheitern, hätten die Bundesländer allerdings mindestens ein anderes Problem nicht adressiert: Im Digital Services Act (DSA) werden Plattformanbieter dazu verpflichtet, Inhalte zu moderieren – unabhängig davon, ob diese bereits anderer Regulierung oder – wie im Fall der freien Presse – funktionierender Selbstregulierung unterliegen. Damit würde etwa Facebook oder Twitter entscheiden, ob ARD-Inhalte auf der Plattform stehen dürfen. Das Gegenteil von Medienfreiheit, und das beschlossenermaßen unter Kontrolle der EU-Kommission als Aufsichtsbehörde.
Dass es kein Medienprivileg für Inhalte im DSA gebe, sei schwer verständlich. “Aber: das ist jetzt passiert, das steht jetzt im DSA. Jeder, der sich darüber aufregt, kommt zu spät“, merkte bereits zur Vorstellung des EMFA Tobias Schmid an. Der Direktor der Landesanstalt für Medien in Nordrhein-Westfalen hat zwar ebenfalls Kritikpunkte am EMFA, sieht darin aber vor allem eine Chance: “Der EMFA versucht, einen Kompromiss zu finden, schafft etwas Ähnliches wie ein Medienprivileg. Die Frage ist: nehmen wir diese Andeutung einer Brücke und sagen, lasst uns das parlamentarische Verfahren jetzt nutzen und dafür sorgen, dass es für die freie Presse, aber auch Rundfunkveranstalter ein akzeptabler Weg ist. Oder stellen wir uns hin und sagen: Das geht aber nicht, wir dürfen gar nicht Gegenstand dieser Regulierung sein.”
Der DSA allerdings ist bereits in Kraft getreten. Würde die Kommission den EMFA-Vorschlag komplett zurückziehen, wäre zwar das Problem der Kontrollzentralisierung in der Medienaufsicht verhindert, das Problem der künftig wohl relevanteren Aufsicht über die größten Intermediäre wiederum ist mit dem DSA bereits der Kommission überlassen worden.
Und auch an anderer Stelle müssen sich die Bundesländer fragen, ob ihre Perspektive einer bestmöglich pluralistischen Medienlandschaft nicht doch etwas überzogen ist. Nicht umsonst enthält der EMFA unter anderem eine Vorschrift, nach der die Auswahl von Spitzenpersonal bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten wie der ARD gesetzlich vorgeschriebenen Transparenzkriterien unterliegen soll. Das zielt genau auf den Bereich, in dem die Bundesländer bislang alles andere als geglänzt haben. Einen Reformvorschlag sind die Ministerpräsidenten auch ein halbes Jahr nach dem Bekanntwerden des RBB-Skandals um Intendantin Patricia Schlesinger schuldig geblieben. von Eric Bonse, Falk Steiner und Corinna Visser
Beim Treffen der EU-Handelsminister haben etliche Mitgliedstaaten vor einem Subventionswettlauf mit den USA gewarnt. Das sei ein “gefährliches Spiel”, sagte der tschechische Industrieminister und derzeitige Ratsvorsitzende Jozef Síkela am Freitag. “Der Gewinner könnte auf einem anderen Kontinent sitzen, weder dem europäischen noch dem amerikanischen.”
Viele Mitgliedstaaten hätten zugleich ihre Sorge über den Inflation Reduction Act (IRA) geäußert, mit dem die US-Regierung klimafreundliche Technologien fördern will, sagte Síkela. Die EU stört sich daran, dass viele der Zuschüsse und Steuererleichterungen an einen Produktionsstandort in Nordamerika geknüpft sind und fordert eine Gleichbehandlung für die eigene Industrie. Frankreich und zunehmend auch Deutschland drängen darauf, einer Abwanderung der heimischen Industrie mit eigenen Förderprogrammen entgegenzuwirken (Europe.Table berichtete).
Die Mitgliedstaaten sind darüber aber uneins, zumal viele Regierungen wenig finanziellen Spielraum sehen. Auch in der EU-Kommission wird heftig diskutiert, welche Maßnahmen die EU dem IRA entgegensetzen sollte. Industriekommissar Thierry Breton will einen neuen European Sovereignty Fund für die Hilfen auflegen. Ebenfalls diskutiert wird über den deutschen Vorschlag, eine europäische Plattform für Transformationstechnologie aufzusetzen, die die Massenproduktion von Solarpaneelen, Wärmepumpen oder Elektrolyseuren in Europa finanziell unterstützt.
Der für Handel zuständige Vizepräsident Valdis Dombrovskis warnte aber, ein Subventionswettlauf sei “teuer und ineffizient”. Die EU solle versuchen, als Industriestandort attraktiver zu werden. Dazu zählten zum einen Maßnahmen gegen die hohen Energiepreise. Zum anderen solle geprüft werden, wie die vorhandenen Subventionen für die Dekarbonisierung der Wirtschaft gezielter eingesetzt werden könnten. Die Kommission arbeitet daran, einen Überblick über die unterschiedlichen Förderprogramme zusammenzustellen.
Das Thema dürfte auch den EU-Gipfel Mitte Dezember beschäftigen. Zunächst wollen die EU-Staaten abwarten, ob sich Washington doch noch zu den erhofften Zugeständnissen bewegen lässt. Nach dem Treffen des transatlantischen Handels- und Technologierates am 5. Dezember wolle man eine Bilanz ziehen, sagte Dombrovskis. Er warnte aber mit Blick auf die geopolitische Lage, der Streit über den IRA dürfe nicht die transatlantischen Beziehungen belasten.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Finanzminister Bruno Le Maire reisen diese Woche zum Staatsbesuch in die USA. “Frankreich könnte um Ausnahmen von einigen Zöllen und Beschränkungen bitten, die von der US-Regierung eingeführt wurden”, sagte Le Maire dem Fernsehsender France 3 am Sonntag. Die eigentliche Frage sei aber, “welche Art von Globalisierung liegt vor uns”?
Denn China bevorzuge die chinesische Produktion, Amerika bevorzuge die amerikanische Produktion. “Es ist an der Zeit, dass Europa die europäische Produktion bevorzugt“, sagte der Minister. Alle europäischen Staaten müssten verstehen, “dass wir heute angesichts dieser amerikanischen Entscheidungen lernen müssen, unsere wirtschaftlichen Interessen besser zu schützen und zu verteidigen”. tho, rtr
Das Europaparlament, der Rat und die Kommission beginnen am heutigen Montag ihre Verhandlungen zum geplanten Handelsinstrument gegen wirtschaftlichen Zwang. Auf dem Anti-Coercion Instrument (ACI) liegen große Hoffnungen: Es soll der Europäischen Union die Möglichkeit geben, sich besser gegen wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen von Drittstaaten – allen voran China – wehren zu können.
Bernd Lange, Vorsitzender des Handelsausschusses des EU-Parlaments, erwartet keine einfachen Verhandlungen. “Ich hoffe, dass alle Beteiligten das genügende Maß an Kompromissbereitschaft zeigen.” Unmut gibt es derzeit wegen der EU-internen Debatte um die Entscheidungshoheit für das ACI (China.Table berichtete). “Dieses Instrument wird dringend benötigt”, sagte Lange zu China.Table.
Musterfall dafür ist das De-Facto-Handelsembargo Chinas gegen Litauen, nachdem Taiwan in Vilnius eine offizielle Vertretung mit Namen “Taiwan” eröffnen durfte. Ob die Verhandlungen bis Ende des Jahres beendet werden können, ist offen. Das Parlament sei bereit, möglichst schnell voranzugehen, versicherte Lange. ari
Der ehemalige luxemburgische Finanzminister Pierre Gramegna wird neuer Chef beim Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM). Der Verwaltungsrat habe Gramegna, der Wunschkandidat von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) war, in einer Sondersitzung am Freitag mit breitem Konsens zum geschäftsführenden Direktor des Euro-Rettungsschirms bestimmt. Das teilte der ESM mit. Der Luxemburger tritt sein Mandat, das auf fünf Jahre angesetzt ist, am 1. Dezember an. Gramegna folgt auf Klaus Regling, der nach zehn Jahren an der Spitze des ESM nicht mehr zur Verfügung stand.
Paschal Donohoe, der Chef der Euro-Gruppe und gleichzeitig Vorsitzender des ESM-Gouverneursrats, führte nach der Entscheidung aus, er sei zuversichtlich, dass der ESM unter der Führung von Gramegna “weiterhin die starke und verlässliche Institution sein wird, zu der er gewachsen ist”. Die Besetzung mit Gramegna an der Spitze des Rettungsschirms war möglich geworden, nachdem Frankreich und Italien ihre Blockade gegen den Luxemburger hatten fallen lassen (Europe.Table berichtete). Gramegna war von 2013 bis Anfang 2022 Finanzminister in Luxemburg. Er hatte im November 2021 aus familiären Gründen seinen Rücktritt erklärt.
Donohoe, der die Regling-Nachfolge moderiert hat, will ebenfalls selbst weiterhin auf der europäischen Bühne aktiv bleiben. Der Ire strebt eine zweite Amtszeit als Präsident der Euro-Gruppe an. Dem dürfte nichts im Wege stehen, da Donohoe der einzige Anwärter auf den Vorsitz ist (Europe.Table berichtete). Am 24. November war die Frist abgelaufen, zu der sich Kandidaten der Mitgliedstaaten melden konnten. Formell wollen die 19 Euro-Finanzminister am 5. Dezember über den Vorsitz abstimmen. Das Votum gilt als Formalie. Die Amtszeit an der Spitze der Euro-Gruppe beträgt zweieinhalb Jahre. Donohoe, der seit dem 13. Juli 2020 Chef der Euro-Gruppe ist, will seine zweite Amtszeit Mitte Januar antreten. cr
Als Reaktion auf die Verurteilung Russlands als staatlichem Unterstützer von Terrorismus hat der Kreml dem Europaparlament eine “ungezügelte Russophobie und Hass auf Russland” vorgeworfen. Es gebe im EU-Parlament ein “riesiges Defizit an Professionalität”, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Sonntag nach Angaben der Agentur Itar-Tass im russischen Staatsfernsehen. Die Parlamentarier seien von Emotionen geleitet. Ohnehin sei die Resolution rechtlich nicht bindend und Moskau nehme sich die Verurteilung “nicht zu Herzen”.
Eine große Mehrheit der Abgeordneten des Europaparlaments hatte am Mittwoch einer Resolution zugestimmt, die Russland als einen “terroristische Mittel einsetzenden Staat” bezeichnet.
Bisher kennt das europäische Recht keine Kategorie oder Liste für Staaten, die Terrorismus unterstützen. Das EU-Parlament hatte auch gefordert, die diplomatischen Beziehungen zu Russland weiter einzuschränken. Zudem werden in der Resolution weitere Strafmaßnahmen wie ein Embargo gegen russische Diamanten gefordert. dpa
Amazon könnte sich Insidern zufolge im Kartellstreit mit der Europäischen Union bis zum Jahresende einigen. Es sei möglich, dass eine EU-Entscheidung bis Ende 2022 komme, verlaute am Freitag aus Kreisen. Die EU-Kartellwächter lehnten eine Stellungnahme ab. Amazon teilte auf Anfrage mit, dass der Online-Händler konstruktiv mit der Behörde zusammenarbeite.
Amazon hatte Insidern zufolge im Juni der EU Zugeständnisse angeboten. Daten der firmeneigenen Händlerplattform Marketplace sollten mit Verkäufern geteilt werden, zudem solle die Sichtbarkeit der Angebote von Rivalen auf der Plattform verbessert werden, sagten mit dem Vorgang vertraute Personen damals. Amazon hofft so, um eine mögliche Kartellstrafe herumzukommen, die bis zu zehn Prozent des Umsatzes betragen könnte.
Die EU-Kommission hatte das Verfahren gegen Amazon 2020 eröffnet und wirft dem Online-Konzern vor, seine Größe und Marktmacht zu missbrauchen, um eigene Produkte zu begünstigen und sich gegenüber Konkurrenten einen Vorteil zu verschaffen, die auf der Amazon-Plattform ebenfalls aktiv sind. Die Ermittlungen drehen sich zudem um die Frage, ob Amazon den Händlern Vorzüge einräumt, die beim Versenden die Amazon-Logistik nutzen. rtr
Die neue Gebäuderichtlinie, Regeln zur Energieversorgung oder zum Verkehr: Viele der EU-Entscheidungen haben unmittelbare Auswirkungen auf die Städte und Gemeinden. Umso wichtiger, dass die Kommunen einen direkten Draht nach Brüssel haben – ein Job für Lina Furch. Die 40-Jährige leitet das Brüsseler Büro und die Abteilung für Europa und Internationales beim Deutschen Städtetag.
Furch kommt aus Aachen, sie wächst in der Grenzregion zu Belgien und den Niederlanden auf. Offene Grenzen, verschiedene Sprachen, Europa, all das sei in ihrer Kindheit ganz normal gewesen, sagt Furch: “Erst später habe ich gemerkt, dass Europa etwas Einmaliges ist.”
Nach ihrem Jurastudium war Furch unter anderem für die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in Albanien, hat dort erlebt, wie sich das Land auf einen EU-Beitritt vorbereitet. Zurück in Deutschland wird sie stellvertretende Leiterin des Amtes für Internationales bei der Stadt Bonn, seit 2019 ist sie Abteilungsleiterin beim Deutschen Städtetag. Meistens arbeitet sie von Köln aus, etwa alle zwei Wochen fährt sie nach Brüssel, wo das Büro des Städtetages noch zwei weitere Mitarbeiter hat.
Ihre Abteilung versorgt die Mitgliedsstädte mit Neuigkeiten aus den EU-Institutionen. In einem Newsletter fassen Furch und ihr Team die wichtigsten Gesetzesinitiativen und europäischen Entwicklungen für die Kommunen zusammen.
Andersherum vertritt Furch in Brüssel die Interessen der Städte, sie führt Gespräche mit Kommissionsmitgliedern und Abgeordneten, trifft sich mit anderen kommunalen Vertreterinnen und Vertretern. Furch ist stellvertretende Generalsekretärin der Deutschen Sektion im Rat der Gemeinden und Regionen Europas (RGRE). Für viele dieser Gespräche versucht sie, persönlich nach Brüssel zu kommen, sagt Furch: “Die Zwischentöne kann man online nicht senden.”
Der Einfluss der kommunalen Ebene in Brüssel steigt, so jedenfalls nimmt Furch es wahr. Das ist wichtig für die Städte und Gemeinden. Denn: “70 bis 80 Prozent der durch europäisches Recht gesetzten Vorhaben haben Auswirkungen auf die Städte”, sagt Furch. Die Kommunen seien diejenigen, die EU-Recht am Ende praktisch umsetzen.
Andererseits: Das sei kein unmittelbares Recht, sagt Furch. Sie wünscht sich eine strukturelle Einbindung: mehr kommunale Sitze im Ausschuss der Regionen (AdR), das Recht, mitzuentscheiden. Nicht bei jedem Gesetz, sagt Furch. “Aber nur so können es Gesetze werden, die in der Praxis gut anwendbar sind.” Jana Hemmersmeier