Table.Briefing: Europe

Neue Agenda + Euro 7 + Dombrovskis in China

Liebe Leserin, lieber Leser,

sie ist eine Art Fahrplan für den Brüsseler Politbetrieb: die Agenda der EU-Kommission. In dem auf Französisch “Liste des Points Prévus” betitelten Dokument hält die Behörde fest, welche Initiativen das Kollegium der 27 Kommissare in den anstehenden Wochen und Monaten im College zu beschließen gedenkt. Ob ein Gesetzesvorschlag auf der (unverbindlichen) Liste steht, nach hinten rutscht oder gar ganz fehlt, kann ein echtes Politikum sein.

Seit Wochen bereits aber muss der EU-Betrieb ohne diese Orientierungshilfe auskommen: Nach der Sommerpause hat die Kommission keine neue Planung mehr veröffentlicht. Selbst in den Kabinetten der Kommissare wurde gerätselt, wie es weitergeht.

Nun aber hat das Team von Präsidentin Ursula von der Leyen eine aktualisierte Version intern verschickt. Die anderen Kommissare können noch Änderungswünsche anbringen, bevor die neue Agenda veröffentlicht wird. “Hoffentlich bald” werde es so weit sein, heißt es in der Behörde.

Auffällig: Die beiden politisch heikelsten Initiativen fehlen auf der Liste, die bis Ende November reicht und von unseren Kollegen von “Contexte” aufgespürt wurde:

  • Die Überarbeitung der Chemikalienverordnung REACH, die von der Leyen auf Druck der Industrie und der EVP im vergangenen Jahr bereits auf das vierte Quartal 2023 verschoben hatte.
  • Der Vorschlag für ein nachhaltiges Lebensmittelsystem (SFS).

Bei REACH ist denkbar, dass der Vorschlag doch noch kommt, womöglich im Dezember. Bei SFS ist das wohl wenig wahrscheinlich: “Die Kommissionspräsidentin scheint zu zögern, vor den Wahlen irgendetwas anzurühren, das den Zorn der potenziellen EVP-Wähler aus der Agrarwirtschaft wecken könnte”, heißt es in Brüssel.

Ihr
Till Hoppe
Bild von Till  Hoppe

Analyse

Rat einigt sich auf entkernten Vorschlag zu Euro 7

Am Ende benötigte der Wettbewerbsfähigkeitsrat nur wenig mehr als eine Stunde für die allgemeine Ausrichtung bei der Schadstoffnorm Euro 7. Deutschland stimmte gegen den Vorschlag der spanischen Ratspräsidentschaft. Die Bundesregierung hatte ehrgeizigere Grenzwerte und schärfere Testbedingungen für Nutzfahrzeuge gefordert und wollte zudem eine Regelung von E-Fuels im Gesetzestext von Euro 7 durchsetzen. Doch mit diesen Forderungen konnte sich Deutschland nicht durchsetzen.

Wie der tschechische Verkehrsminister feststellte, hat der Rat eine weite Strecke zurückgelegt und den Vorschlag der Kommission an vielen Stellen deutlich entschärft. Italien, Frankreich, Tschechien und vier weitere Mitgliedstaaten hatten sich im Mai zusammengetan, um ehrgeizige Grenzwerte und anspruchsvolle Testbedingungen zu verhindern.

Diese Gruppe, die mit der Blockade von Euro 7 drohte, sprach sich generell gegen schärfere Grenzwerte am Auspuff aus und wollte zudem spätere Fristen des Inkrafttretens durchsetzen. Die schwedische und anschließend die spanische Ratspräsidentschaft gingen in ihren Kompromissvorschlägen dann immer weiter auf diese Gruppe zu.

Frankreich, Tschechien und Co setzen sich durch

Im Wesentlichen wurde jetzt in der Allgemeinen Ausrichtung entschieden, was die Gruppe der acht Mitgliedstaaten im Mai gefordert hatte. Das sind die Eckpunkte der Schadstoffnorm:

  • Bei Pkw und Lieferwagen bleibt es bei den Grenzwerten von Euro 6.
  • Für Stadt- und Überlandbusse werden die Euro VI-Grenzwerte und die Testbedingungen leicht verschärft.
  • Erstmals gibt es Grenzwerte für den Partikelabrieb bei Bremsen und Reifen.
  • Bei neuen Stadtbussen kommt 2030 das Verbrennerverbot.
  • Der Kommission werden klare Fristen für die sekundäre Gesetzgebung gesetzt.
  • Es wird unterschiedliche Fristen des Inkrafttretens für neue Typen und bereits im Markt befindliche Typen geben.
  • Es gibt Anforderungen an die Mindesthaltbarkeit von Batterien für E-Autos.

Im Parlament stimmt der Umweltausschuss (ENVI) am 12. Oktober über den Bericht von Alexandr Vondra (ECR) ab. Dieser sieht ebenfalls eine Entschärfung der Grenzwerte und Testbedingungen gegenüber dem Vorschlag der Kommission vor. Es bleibt allerdings abzuwarten, ob er dafür eine Mehrheit bekommt. Der Zeitplan sieht vor, dass am 9. November das Plenum entscheidet. Danach können die Triloge beginnen.

CLEPA: Rückkehr zu Euro 6 nicht nötig

Erstmals hat die EU mit Euro 7 eine Schadstoffnorm vorgeschlagen, die sowohl Pkw, Lieferwagen als auch Lkw und Busse reguliert. Das Echo der Hersteller auf den Vorschlag der Kommission fiel differenziert aus: Die Hersteller von Pkw setzten sich für eine ambitioniertere Reform ein, damit weiterhin die Standards in der EU gesetzt werden. Auch China und die USA arbeiten an strengeren Schadstoffnormen.

Hersteller von Nutzfahrzeugen sagten, dass die vorgeschlagenen Grenzwerte teils nur unter hohem finanziellem Aufwand, teils technisch gar nicht erreichbar seien. Hersteller von Pkw und Nutzfahrzeugen forderten aber baldige Rechtssicherheit.  

Benjamin Krieger vom europäischen Dachverband der Zulieferer CLEPA: “Die erforderliche Technologie ist verfügbar und wirtschaftlich tragbar.” Eine Rückkehr zu Euro 6, wie vom Rat gefordert, sei nicht erforderlich, um die Mobilität bezahlbar zu halten und “wird weder dazu beitragen, strengere Luftqualitätsstandards umzusetzen noch Innovation in der EU anregen”.

“Die Regelung von E-Fuels stand nicht an”

Dem Drängen aus Berlin zum Trotz ist im Gesetzestext keine Regelung der E-Fuels aufgenommen worden. Industriekommissar Thierry Breton ging vor der Abstimmung noch einmal auf die Forderungen aus Berlin zu E-Fuels ein. “Die Regelung von E-Fuels in der Schadstoffnorm Euro 7 stand nicht an.” Die Kommission habe sich aber verpflichtet, alle nötigen Rechtsakte vorzulegen.

Der Legislativvorschlag der Kommission zur Definition von E-Fuels liege den Mitgliedstaaten inzwischen vor. Er hoffe, die Regelung bald “unter Dach und Fach zu bringen”. 

Bundesministerien streiten weiter

Die Kommission hat vor Kurzem den Mitgliedstaaten den Gesetzgebungsvorschlag für Pkw vorgelegt, die auch nach dem VerbrennerAus im Jahr 2035 noch ausschließlich mit E-Fuels fahren dürfen. Dieser Gesetzgebungsvorschlag sieht vor, dass die verwendeten E-Fuels exakt 100 Prozent weniger Treibhausgase ausstoßen dürfen als fossile Kraftstoffe. Über diesen Vorschlag soll am 4. Oktober erstmals im zuständigen Technical Comitee Motor Vehicles (TCMV) diskutiert werden.

Bei der TCMV-Sitzung im November oder Dezember sollen die Mitgliedstaaten darüber im Komitologieverfahren abstimmen. Das Bundesverkehrsministerium ist hier federführend. Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) ist gegen die 100-Prozent-Quote. Er hat sich für eine 70-Prozent-Quote ausgesprochen. In der Bundesregierung läuft die Abstimmung über den vorgelegten Legislativvorschlag noch.

  • Euro 7
  • Europäischer Rat

Dombrovskis zeigt klare Kante in China

Die Liste der Ergebnisse nach dem Treffen zwischen EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis und Chinas Vize-Ministerpräsident He Lifeng war lang. Auch ein öffentlicher Eklat wegen der EU-Untersuchung zu Chinas mutmaßlichen Subventionen auf E-Autos blieb aus. Wie die Atmosphäre beim ersten persönlich abgehaltenen EU-China-Handelsdialog wirklich war, ließ sich an den Gesichtern von Dombrovskis und He allerdings nur schwer ablesen.

Beide trugen am Donnerstag unaufgeregt ihre Punkte vor der Presse in der chinesischen Hauptstadt vor. Der Lette Dombrovskis betonte vorab, wie wichtig ihm der persönliche Austausch vor Ort sei. Neben He hatte er Handelsminister Wang Wentao, Finanzminister Liu Kun sowie Pan Gongsheng, den neuen Gouverneur der chinesischen Volksbank, getroffen.

Arbeitsgruppen und Frühwarnsystem

Die EU und China verständigten sich beim 10. Handelsdialog unter anderem auf mehrere gemeinsame Arbeitsgruppen und ein mögliches Rohstoff-Frühwarnsystem. Die wichtigsten Punkte und Aussagen im Überblick:

  • Arbeitsgruppen: Beide Seiten haben sich He zufolge auf die Einrichtung einer gemeinsamen Arbeitsgruppe für eine Reform der Welthandelsorganisation (WTO) geeinigt. He betonte in diesem Zusammenhang, dass China “Unilateralismus und Protektionismus” ablehne. Zudem soll eine Arbeitsgruppe eingesetzt werden, die sich mit dem Markt für alkoholische Getränke auseinandersetzt. Hier gibt es immer noch große Unterschiede bei Inhaltsstoffen und Labeling.
    Eine weitere Arbeitsgruppe wird sich mit der Vermittlung in einer Causa im Kosmetikbereich beschäftigen: China hatte zuletzt neue Offenlegungsvorgaben eingeführt, die große europäische Kosmetikhersteller zwingen, Daten lokal zu speichern, darunter auch Inhaltsstoffe und andere teils geschäftsentscheidende Angaben. Ein neuer Dialog soll zudem zum Thema Exportkontrollen eingerichtet werden.
  • Gespräche soll es auch über die Einrichtung eines Rohstoff-Frühwarnsystems geben, das Europa dabei helfen soll, sich auf Engpässe bei der Versorgung mit kritischen Rohstoffen vorzubereiten. “In diesem Zusammenhang haben wir beide vereinbart, die Gespräche über einen möglichen Transparenzmechanismus zwischen der EU und China für Lieferketten für kritische Rohstoffe fortzusetzen”, sagte Dombrovskis.
  • Handelstools: He Lifeng betonte, er hoffe, dass die EU bei Handelsinstrumenten wie dem internationalen Beschaffungsinstrument (International Procurement Instrument), einem möglichen Gesetz zu ausländische Subventionen und dem CO₂-Grenzausgleich CBAM “Zurückhaltung üben” werde.
  • Ukraine-Krieg: Dombrovskis sagt, er habe der chinesischen Führung “direkt Schlüsselbotschaften” übermittelt. “Russlands Angriffskrieg stellt eine massive Bedrohung dar und gefährdet nicht nur Leben, sondern auch die weltweite Nahrungsmittelversorgung”, sagte der EU-Kommissar. Er habe bei China eine Zusammenarbeit angeregt, um die Initiative für den sicheren Transport von Getreide und Lebensmitteln aus ukrainischen Häfen (Black Sea Grain Initiative) wieder in Gang zu bringen.
  • Das Anti-Spionagegesetz erschwere europäischen Firmen in China den Daten-Austausch, kritisierte Dombrovskis. “Das löst bei den Unternehmen in China echte Besorgnis aus.” Deshalb müsse ein Weg gefunden werden, EU-Unternehmen die Einhaltung der chinesischen Datengesetze zu erleichtern.
  • Agrarprodukte: China hat sich bereit erklärt, mehr Agrarprodukte aus der Europäischen Union zu importieren. Beide Seiten wollen demnach über den Marktzugang für Lebensmittel und Agrarprodukte aus Europa sprechen. Die EU hatte auf Fortschritte beim Zugang von Fleischprodukten zum chinesischen Markt gehofft. Dombrovskis sagt: “Wir müssen weiterhin auf die Anerkennung der sogenannten Regionalisierung hinarbeiten, um Exporte im Falle lokalisierter Tierseuchenausbrüche nicht zu behindern.”
  • Die Volksrepublik hofft im Gegenzug, dass Brüssel die Exporte von Hightech-Produkten wieder zulässt.
  • EU-Untersuchung zu E-Autos: Vize-Premier He betonte, dass Peking “große Besorgnis und Unzufriedenheit zum Ausdruck gebracht” habe. “Wir hoffen, dass die EU Vorsicht walten lassen und ihren Markt offen halten wird. Dies kommt den EU-Verbrauchern, einer umweltfreundlicheren, CO₂-armen Entwicklung und der globalen Zusammenarbeit beim Klimawandel zugute”, sagte He bei der gemeinsamen Pressekonferenz.

Die anstehende Überprüfung hatte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen in ihrer Rede zur Lage der Europäischen Union angekündigt. Sie stand vor Dombrovskis Besuch in Peking als aktuell größter Konfliktpunkt mit Peking im Raum.

Bedenken der EU-Handelskammer

Der EU-Handelskommissar sprach die Untersuchung nicht direkt bei seinem Besuch an – er zeigte aber klare Kante in verschiedenen Ansprachen, so auch bei einer Rede in der Tsinghua-Universität, der Alma mater von Chinas Staatschef Xi Jinping, am Montagmorgen: “Wir sind uns bewusst, dass die Welt China braucht, aber China muss auch erkennen, dass der Mangel an Gegenseitigkeit und gleichen Wettbewerbsbedingungen seitens Chinas, gepaart mit umfassenderen geopolitischen Veränderungen, Europa gezwungen hat, selbstbewusster zu werden”, sagte Dombrovskis. Er hielt seine gut 20-minütigen Rede vor Studenten und Lehrpersonal. “Wir haben Chinas Bedenken bezüglich der Pläne für wirtschaftliche Sicherheit der EU gehört.”

Dombrovskis hatte vor dem Treffen auch die Vertretung der EU-Handelskammer in Peking besucht. Die Kammer hatte in der vergangenen Woche ein ernüchterndes Positionspapier vorlegt, und sich ein Machtwort von Dombrovskis erhofft. “Wir haben Bedenken hinsichtlich des Geschäftsumfelds in China besprochen”, schrieb der EU-Handelskommissar nach dem Treffen auf X, vormals Twitter. Eine Lösung der Bedenken liege im Interesse der EU und Chinas.

EU-China-Dialoge auch zu Umwelt und Energie

Dombrovskis Visite ist nicht der einzige Besuch aus Brüssel: EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius befindet sich derzeit ebenfalls in China. Er traf am Montag seinen chinesischen Amtskollegen Huang Runqiu und den für Wasser-Ressourcen zuständigen Minister, Li Guoying. Beim 9. Minister-Dialog zur Umweltpolitik sei der “Grundstein unserer globalen Zusammenarbeit” gelegt worden, schrieb Sinkevičius auf X.

Der Dialog sei für den Austausch zu biologischer Vielfalt, Abfallwirtschaft und Kontrolle von Umweltverschmutzung unerlässlich, so der EU-Kommissar. Sinkevičius hatte bereits am Wochenende beim Blue Partnership Forum for the Ocean in Shenzhen gesprochen und die gemeinsame Verantwortung Chinas und der EU für die Ozeane betont.

Auch in den kommenden Wochen werden EU-Spitzenpolitiker in die chinesische Hauptstadt reisen. Energiekommissarin Kadri Simson wird kommende Woche erwartet, EU-Spitzendiplomat Josep Borrell soll dann im nächsten Monat zu Besuch kommen.

  • CBAM

Serbien und Kosovo: EU-Strategie gescheitert

Am Tag nach der blutigen Eskalation in Nordkosovo empfängt Serbiens Präsident Aleksandar Vučić den russischen Botschafter in Belgrad. Er habe Wladimir Putins Gesandten informiert, dass “im Kosovo ethnische Säuberungen” durchgeführt würden, schreibt Vučić auf Instagram zum Bild mit dem Händedruck. Und zwar durch Kosovos Regierungschef Albin Kurti, mit Unterstützung der internationalen Gemeinschaft. Kein Wort auf der Social-Media-Plattform zum Überfall von schwerbewaffneten Paramilitärs auf die Polizei des Kosovo, mutmaßlich aus Belgrad gesteuert.

Es ist die Parallelwelt von Aleksandar Vučić. Serbiens Präsident lüge unverfroren, kommentiert der EU-Parlamentarier Reinhard Bütikofer auf dem Kurznachrichtendienst X. Es gebe keine ethnischen Säuberungen im Kosovo. Vučić rechtfertige mit seinem Narrativ den serbischen Extremismus. Und Bütikofer ist nicht der einzige, der es für unwahrscheinlich hält, dass die Paramilitärs ohne Unterstützung aus Belgrad agierten, wie Vučić behauptet.

Es geht auch um Geopolitik

Die Priorität des serbischen Präsidenten am Tag nach der Konfrontation zwischen der Kosovo-Polizei und schwer bewaffneten Paramilitärs ist aber vor allem auch ein Indiz, wie kläglich die Strategie der EU und der USA gescheitert ist. Diese bestand kurz gefasst darin, den Druck auf Kosovo als vermeintlich schwächeren Part zu erhöhen und gleichzeitig Belgrad zu schonen.

Dies mit dem Ziel, Serbien aus der Einflusssphäre Wladimir Putins zu holen. Die USA und ihr Sondergesandter Gabriel Escobar unterstützen diesen Kurs. Auch, weil Serbiens Rüstungsindustrie der Ukraine dringend benötigte Munition liefern soll. Wobei der Umfang dieser Lieferungen unklar ist.

Es geht also auch um Geopolitik. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell und sein Sondergesandter Miroslav Lajčák führen den sogenannten Dialog zwischen Belgrad und Pristina seit drei Jahren ohne Erfolg. Eine Vereinbarung mit einer Liste von gegenseitigen Zugeständnissen hin zu einer Normalisierung liegt zwar seit dem Frühjahr auf dem Tisch.

Die Vermittler drängten aber zuletzt einseitig darauf, dass Kosovo zuerst Belgrads Forderung nach einer Autonomie für die serbische Minderheit erfüllt. In Pristina sieht man das nicht ohne Grund als ersten Schritt hin zu einer Abspaltung des Nordkosovo. Umso mehr, als dass es keine Garantie gibt, dass Serbiens Präsident ebenfalls liefert und Schritte zumindest hin zu einer De-facto-Anerkennung des jungen Staates unternimmt.

Vier Tote bei Konfrontation

Das Misstrauen in Pristina ist begründet, denn Vučić hat wiederholt öffentlich deklariert, dass er zu keinen Konzessionen gegenüber Kosovo bereit ist. Nach der tödlichen Konfrontation in Nordkosovo sah sich erstmals auch Josep Borrell zu deutlicheren Worten gezwungen. Er sprach von einem “feigen terroristischen Angriff auf Kosovos Polizeioffiziere”. Ohne allerdings die Täter klar zu benennen.

Kosovos Polizei könnten die rund 30 Paramilitärs dabei ertappt haben, Waffen in ein nahes serbisch-orthodoxes Kloster zu bringen, vermuten Beobachter vor Ort. Ähnliche Vorwürfe zirkulieren schon länger. Die Kosovo-Polizei hat jedenfalls nach der Konfrontation, bei der mindestens vier Paramilitärs getötet wurden, größere Mengen an schweren Waffen sichergestellt.

Nato-Truppe Kfor gibt sich zugeknöpft

Peinlich ist der schwerste Zwischenfall seit Langem auch für die Nato-Truppe Kfor, offiziell für die Sicherheit zwischen Kosovo und Serbien zuständig. Kfor beobachte die Situation im Norden Kosovos, sei präsent und bereit, einzuschreiten, heißt es dort zugeknöpft. Der Zwischenfall trage die Handschrift von Aleksandar Vulin, Serbiens Geheimdienstchef mit besonders engen Beziehungen nach Moskau, so Beobachter. Der frühere Innenminister, auf der Sanktionsliste der USA, könnte im Auftrag aus Moskau eine Eskalation gezielt provoziert haben.

Die EU müsse klar Solidarität mit Kosovo zeigen, fordert der EU-Parlamentarier Reinhard Bütikofer. Das Statement von Josep Borrell sei nicht ausreichend, die EU müsse jetzt Klartext reden. Andere EU-Abgeordnete kritisieren den Ansatz des Vermittlerduos Borrell-Lajčák schon länger als unausgewogen und kontraproduktiv.

Die EU hat Kosovo zuletzt einseitig mit Strafmaßnahmen belegt, nachdem Premier Kurti im Mai entgegen der Absprachen gewählte Bürgermeister in Nordkosovo mit Polizei in ihre Rathäuser hat eskortieren lassen, was Ausschreitungen mit vielen Verletzten zur Folge hatte.

Auch einzelne EU-Diplomaten drängten zuletzt auf einen ausgewogeneren Ansatz, ohne aber Borrell und seinem Sonderbeauftragten Lajčák das Vertrauen zu entziehen. Der Terrorangriff auf die Kosovo-Polizei habe das Potenzial, ein Umdenken auszulösen, so ein EU-Diplomat jetzt. Nicht ausgeschlossen, dass es mit der Nachsicht gegenüber Belgrad bald vorbei ist und die EU-Staaten Borrell zu einer Kurskorrektur zwingen.

  • EU-Außenpolitik
  • Josep Borrell
  • Kosovo
  • Serbien

Termine

27.09.2023 – 09:00-17:00 Uhr, Berlin/digital
HBS, Konferenz Labor.A 2023 – Wie gestalten wir die “Arbeit der Zukunft”?
Bei der Hans-Böckler-Stiftung (HBS) treten Gewerkschaft, Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft in den Austausch über die sozial-ökologische Transformation und diskutieren über Klimaschutz, die Vier-Tage-Woche und Künstliche Intelligenz.   INFOS & ANMELDUNG

27.09.2023 – 09:30-10:45 Uhr, online
BEUC, Discussion The consumer switch to heat pumps: How to turn the EU’s plans into action
The European Consumer Organisation BEUC will present the findings of its heat pump project, followed by a panel debate on how to ease the transition to heat pumps for consumers. INFO & REGISTRATION

27.09.2023 – 10:00-11:30 Uhr, online
Digital Europe, Panel Discussion Cloud rules in the EU: How cloudy is the legislative journey ahead?
At this event, policymakers and industry representatives will shed light on the regulatory state of affairs for Cloud in the European Union. INFO & REGISTRATION

27.09.2023 – 10:00-11:00 Uhr, online
TÜV, Seminar CSRD & ESG Due Diligence: Paving the way to sustainable leadership
This webinar seeks to enable business leaders and sustainability professionals to harness the potential of the CSRD by deep diving into the pivotal role of ESG due diligence. INFO & REGISTRATION

27.09.2023 – 14:00-15:30 Uhr, online
EUI, Seminar National policies coping with energy crisis and climate targets: The case of Italy
The European University Institute (EUI) will present and discuss the recently published Italy Energy Policies Review Report, which analyses the Italian energy and climate policies in response to the energy crisis and climate goals.  INFO & REGISTRATION

27.09.2023 – 16:45-19:30 Uhr, online
AI, Diskussion U.S.-German Forum Future Agriculture: Harvesting sustainable solutions – transatlantic insights on climate-smart arable farming
Auf der Abschlussveranstaltung des U.S.-German Forum Future Agriculture Projekts beim Aspen Institute (AI) diskutieren deutsche und US-amerikanische landwirtschaftliche Akteure mit Vertretern aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik über eine nachhaltige Zukunft der Landwirtschaft und geben Handlungsempfehlungen. INFOS & ANMELDUNG

27.09.2023 – 18:30-20:00 Uhr, Bonn/online
DGAP, Podiumsdiskussion Parlamentswahlen in Polen und ihre Folgen: Eine deutsch-französisch-polnische Perspektive
Die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) diskutiert mit Experten aus Polen, Frankreich und Deutschland über mögliche Folgen der polnischen Parlamentswahlen für Europa sowie die Beziehungen der drei Länder. INFOS

27.09.2023 – 19:30-21:00 Uhr, online
DGAP, Podiumsdiskussion Der Kampf um die Ukraine
Bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) diskutieren Expertinnen und Experten über die Lage in der Ukraine und die militärische Unterstützung des Westens. INFOS

28.09.-29.09.2023, Düsseldorf/online
Handelsblatt, Konferenz ESG-Reporting und -Steuerung 2023
Die Tagung befasst sich schwerpunktmäßig mit den Themen Nachhaltigkeit als Bestandteil der Unternehmensstrategie, Nachhaltigkeitsbericht und CSRD. INFOS & ANMELDUNG

28.09.-29.09.2023, Trier
ERA, Conference Annual Conference on Law and Sustainable Finance in the EU 2023
The Academy of European Law (ERA) will provide an update on the latest developments in sustainable finance law and address current issues such as greenwashing and ESG risk management. INFO & REGISTRATION

28.09.2023 – 14:00-20:00 Uhr, Berlin
Zeit, Konferenz ZEIT Wissen Kongress: Mut zur Nachhaltigkeit
Expertinnen und Experten aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft tauschen sich darüber aus, wie die Nachhaltigkeitsziele erreicht werden können und welche Rahmenbedingungen die Politik dafür schaffen muss. INFOS & ANMELDUNG

News

SPD nominiert Barley als Spitzenkandidatin

Die SPD-Spitze hat wie erwartet Katarina Barley als Spitzenkandidatin für die Europawahl 2024 nominiert. Das Parteipräsidium stimmte am Montag einstimmig für die 54-jährige Vizepräsidentin des Europaparlaments. Sie muss nun noch auf einem Parteitag bestätigt werden.

Parteichef Lars Klingbeil verwies darauf, dass Barley als frühere Bundestagsabgeordnete und Bundesjustizministerin beide politischen Ebenen miteinander verbinde. Bei der Europawahl gehe es darum, nicht denen das Feld zu überlassen, “die Europa kaputt machen wollen”. Barley warnte, nach der Bildung rechter Regierungen in einzelnen Ländern wie Italien oder Finnland drohe ein Rechtsruck auch für die gesamte EU.

Für Barley ist es bereits die zweite Spitzenkandidatur, auch bei der Europawahl 2019 trat sie als deutsche Nummer eins für die SPD an. Damals erzielten die Sozialdemokraten mit 15,8 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis aller Zeiten. dpa/tho

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  • Europawahlen 2024

Studie: KMU brauchen einfachere Sustainable-Finance-Regeln

Die Sustainable-Finance-Regulierung der EU ist nicht ausreichend auf kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) ausgerichtet. Das ist das Ergebnis einer Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) in Zusammenarbeit mit Eurochambres und SME United, die Table.Media vorliegt.

Die drei zentralen SustainableFinance-Regelwerke der EU – die Taxonomie, die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) und die Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR) – seien auf große Unternehmen ausgerichtet, die sich über den Kapitalmarkt bei Investoren finanzieren. Die darin festgelegten Berichtspflichten würden über verschiedene Kanäle auf KMU übertragen (Trickle-Down-Effekt). Dies führe zu hohen Kosten für KMU, ohne Vorteile wie einen besseren Zugang zu Finanzierungsinstrumenten zu bieten.

Darüber hinaus gebe es für nachhaltige KMU-Kreditfinanzierungen keine Standards, und Banken seien aufgrund möglicher Greenwashing-Vorwürfe sehr zögerlich bei ESG-Finanzierungen. Förderprogramme würden häufig als zu umständlich und die Genehmigungsphasen als zu lang beschrieben. Die komplexe EU-Taxonomie spiele für KMU keine Rolle; auf die Einführung der Nachhaltigkeitsberichte durch die CSRD ab 2024 seien die berichtspflichtigen KMU bisher schlecht vorbereitet.

Angepasster Berichtsstandard

Für KMU sollte die Sustainable-Finance-Regulierung deshalb laut der Studie einfacher und individueller werden. Eine mögliche Lösung sei ein angepasster Berichtsstandard für KMU, die größer als Kleinstunternehmen sind. Dieser sollte dazu dienen, die Transformation der KMU effektiv zu steuern und den Trickle-Down-Effekt innerhalb der Wertschöpfungskette zu begrenzen.

Der von der European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG) vorgeschlagene freiwillige KMU-Standard, der demnächst zur Konsultation ansteht, habe das Potenzial, diese Anforderungen zu erfüllen und sollte laut den Studienautoren weiterentwickelt werden. Dabei sollte die Anzahl der Kennzahlen an die Kapazitäten kleiner Unternehmen angepasst sein.

Zudem empfehlen die Studienautoren aufsichtsrechtliche Standards für grüne KMU-Kredite sowie einfachere, schnellere und effizientere staatliche Förderprogramme. Die Kapazität von Banken, grüne Finanzierungen durch Förderungen und KMU-orientierte Regulierungen zu vergeben, müsse massiv erhöht werden. Auf Unternehmensebene bedürfe es KMU-Finanzierungen in Form von Krediten, die an ESG-Kriterien gebunden sind (ESG-linked loans).

ESG-Investitionen von KMU dringend notwendig

Der Anteil externer und nachhaltiger Investitionen kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) sei zu niedrig, um die Transformation voranzutreiben. Knapp 60 Prozent der befragten KMU investieren in die Transformation ihrer Unternehmen, doch nur 35 Prozent dieser Investitionen seien extern finanziert. Nur 16 Prozent der verwendeten Finanzierung könne als Sustainable Finance klassifiziert werden.

ESG-Investitionen durch KMU seien jedoch dringend notwendig, um den Bedarf an Investitionen für die Erreichung der Klimaziele zu decken. Die EU-Kommission schätzt die zusätzlichen jährlichen Investitionen auf über 620 Milliarden Euro, und die Wertschöpfung der KMU auf rund 52 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Europa. leo

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  • Taxonomie

Klimaschutz: Bundesregierung will Nachteile für Luftverkehr verhindern

Die Bundesregierung hat ein offenes Ohr für Sorgen der Luftfahrtbranche über Wettbewerbsnachteile durch EU-Klimaschutzvorschriften. Gesetze wie die Pflicht für Airlines in der EU, einen steigenden Anteil klimaneutralen Treibstoffs zu tanken, sollten nicht zulasten europäischer und deutscher Flughäfen und Airlines gehen, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz am Montag in Hamburg auf der Nationalen Luftfahrtkonferenz. “Was den Wettbewerb verzerrt, was dazu führen könnte, dass Arbeitsplätze verlagert werden – das werden wir natürlich nicht hinnehmen.”

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) sicherten zu, sich für international einheitliche Standards einzusetzen, die Klimadumping durch nicht-europäische Konkurrenten verhindern sollen.

SAF deutlich teurer

Die EU schreibt den Fluggesellschaften ab 2025 eine steigende Quote für die Beimischung von nachhaltigem Treibstoff (SAF) vor. Der ist bisher erst in homöopathischer Dosis vorhanden und daher fünf bis sechs Mal so teuer wie fossiles Kerosin.

So wie die Quote jetzt gestaltet sei, “verspielt sie unseren Vorsprung und spielt im Wettbewerb den Drehkreuzen außerhalb Europas in die Hände und nicht den europäischen Airlines”, warnte Lufthansa-Chef Carsten Spohr. Die größte deutsche Airline befürchtet, bei Langstreckenflügen Marktanteile zu verlieren. Die Drehkreuze Frankfurt oder München hätten das Nachsehen gegenüber den Airports in Istanbul oder Dubai. rtr

Kommission: Booking.com darf Etraveli nicht übernehmen

Die EU-Wettbewerbshüter haben der milliardenschweren Übernahme der schwedischen ETraveli Group durch das Online-Buchungsportal Booking.com einen Riegel vorgeschoben. Das geplante Geschäft im Wert von 1,63 Milliarden Euro hätte die marktbeherrschende Stellung von Booking.com im Bereich der Online-Hotelbuchungen weiter verstärkt, teilte die Brüsseler Behörde am Montag mit.

Dies hätte zu höheren Kosten für die Anbieter und möglicherweise auch für die Kunden geführt. Die vorgeschlagenen Maßnahmen des Unternehmens hätten die Bedenken der Kartellwächter nicht ausräumen können. Großbritannien hatte die Übernahme im vergangenen Jahr ohne Auflagen genehmigt. rtr

  • Digitalisierung
  • Kartellrecht

Presseschau

Dombrovskis warnt Peking vor “Auseinanderdriften” Chinas und der EU EURONEWS
EU verbietet Verkauf von Produkten mit Mikroplastik ab Mitte Oktober WELT
EU-Staaten stimmen für abgeschwächte Abgasnorm – Deutschland isoliert STERN
Streit um EU-Asylreform – Baerbock stellt sich gegen Krisenverordnung WELT
Tunesien stößt der EU vor den Kopf GENERALANZEIGER
Migration: Diese Staaten schaffen selbst Fakten beim Grenzschutz WELT
EU-Länder ignorieren Strafen – dieses Dokument weckt Zweifel an Brüssels Macht WELT
Studie: Europa schöpft Wasserstoff-Potenziale nicht hinreichend aus ZFK
Frühere Justizministerin Barley erneut SPD-Spitzenkandidatin bei EU-Wahl STERN
Österreich wird gegen EU-Neuzulassung von Glyphosat stimmen DER STANDARD
EU-Lieferkettengesetz: Sorge über Auswirkungen auf Globalen Süden EURACTIV
Konflikt um ukrainisches Getreide: Orban keilt gegen die EU aus EURONEWS
Die EU hat das gleiche Problem wie die Schweiz: Der Rechtsstaat beschränkt den Zugriff auf gesperrte Russland-Gelder NZZ
Spätfolgen des Brexits – Machtspiele um E-Autos: künftig Strafzölle in Großbritannien? RND
EU will Getreideumschlag in Konstanza beschleunigen DVZ
EU-Kommission: Reiseportal Booking darf Konkurrenten eTraveli nicht übernehmen DEUTSCHLANDFUNK

Heads

Linda Kalcher – Für eine erfolgreiche Umsetzung des Green Deal

Nach fast sieben Jahren bei der European Climate Foundation (ECF) leitet Linda Kalcher nun den Thinktank Strategic Perspectives.

Die europäische Umwelt- und Klimapolitik begleitet Linda Kalcher seit ihrem Studium. Nach ihrem Romanistik-Bachelor in Bonn und Florenz studierte sie European Culture and Economy an der Ruhr-Universität Bochum. Dort war die Leverkusenerin auch Sprecherin des Masterstudiengangs, eine Ansprechpartnerin für 80 Studierende aus aller Welt. “Eine Vorstufe zur späteren Arbeit im Parlament“, sagt sie heute, mit Mitte dreißig.

Seit zwölf Jahren lebt Kalcher inzwischen in Brüssel und spricht sechs europäische Sprachen. Die ersten sechs Jahre war sie Mitarbeiterin im Büro des langjährigen SPD-Umweltpolitikers Jo Leinen, danach arbeitete sie bei der European Climate Foundation (ECF). Im letzten Jahr zusätzlich als Senior Advisor des Generalsekretärs der Vereinten Nationen.

Mehr Solidarität mit dem Globalen Süden

Fragt man sie, was die EU von der Klimapolitik der UN lernen kann, dann fordert Kalcher von den Europäern mehr Solidarität mit dem Globalen Süden. Dass Investitionen in die dortige Transformation vernachlässigt werden und die bereits 2009 versprochene Zahlung von 100 Milliarden US-Dollar noch immer aussteht, nutze geopolitisch vor allem China. Und schade der Glaubwürdigkeit Europas und jener der Industrieländer. 

Um Entscheidungsträger auf Missstände wie diese hinzuweisen und das politische Geschehen näher zu beraten, hat sie im Oktober 2022 den Thinktank Strategic Perspectives gegründet. Während die ECF vor allem zur Projektförderung und Finanzierung arbeitet, tritt Kalcher nun in der Klimapolitik wieder stärker in Kontakt mit Abgeordneten im Parlament.

Beratung auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene

Die Arbeit des Thinktanks füllt laut Kalcher zudem eine Nische: Zwar arbeiten einige Thinktanks bereits auf der Ebene nationaler und europäischer Umweltpolitik und andere auf europäischer und internationaler Ebene – kaum eine Denkfabrik nehme aber alle drei politischen Ebenen in den Blick.

Mitte Mai haben Kalcher und ihr Kollege Neil Makaroff den ersten Bericht von Strategic Perspectives veröffentlicht. In Zusammenarbeit mit Cambridge Econometrics modellieren sie darin die Auswirkungen des Green Deal und von Repower-EU und geben Empfehlungen für eine erfolgreiche Umsetzung. Aus ganz Europa haben sie außerdem Beispiele für eine sozial verträgliche Klimapolitik gesammelt, etwa die Wärmeumlage in Tschechien oder das deutsche 49-Euro-Ticket.

Kalcher blickt optimistisch in die Zukunft: “Wir haben herausgefunden, dass die Klimaziele bis 2030 noch zu erreichen sind und dabei auch netto 500.000 neue Arbeitsplätze entstehen.”

Wärmepumpen-Streit bleibt anderswo aus

Überrascht habe sie an den Ergebnissen allerdings, dass der Anteil von Erdgas an der Energieversorgung nur recht langsam sinke. “Ein Grund dafür ist der massive Ausbau von LNG-Terminals in Italien, Deutschland und Frankreich.” Stoßen Maßnahmen wie diese innereuropäisch auf Unverständnis, gilt es für Kalcher, alle Perspektiven im Blick zu behalten und den Regierungen verschiedener Länder – auch außerhalb Europas – zu erklären. 

Dass dies nicht immer einfach ist, zeigt sich aktuell: “Eine Debatte um Wärmepumpen wie in Deutschland findet in Ländern wie Frankreich, Tschechien oder Polen nicht statt.” Dort gingen die Verkaufszahlen – auch dank staatlicher Subventionen – seit 2022 als Reaktion auf den Krieg in der Ukraine deutlich in die Höhe. Warum Wärmepumpen in Deutschland so kontrovers diskutiert werden, ist daher eine der Fragen, die Kalcher in der europäischen Energiepolitik aktuell beschäftigen. Carlos Hanke Barajas 

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    Liebe Leserin, lieber Leser,

    sie ist eine Art Fahrplan für den Brüsseler Politbetrieb: die Agenda der EU-Kommission. In dem auf Französisch “Liste des Points Prévus” betitelten Dokument hält die Behörde fest, welche Initiativen das Kollegium der 27 Kommissare in den anstehenden Wochen und Monaten im College zu beschließen gedenkt. Ob ein Gesetzesvorschlag auf der (unverbindlichen) Liste steht, nach hinten rutscht oder gar ganz fehlt, kann ein echtes Politikum sein.

    Seit Wochen bereits aber muss der EU-Betrieb ohne diese Orientierungshilfe auskommen: Nach der Sommerpause hat die Kommission keine neue Planung mehr veröffentlicht. Selbst in den Kabinetten der Kommissare wurde gerätselt, wie es weitergeht.

    Nun aber hat das Team von Präsidentin Ursula von der Leyen eine aktualisierte Version intern verschickt. Die anderen Kommissare können noch Änderungswünsche anbringen, bevor die neue Agenda veröffentlicht wird. “Hoffentlich bald” werde es so weit sein, heißt es in der Behörde.

    Auffällig: Die beiden politisch heikelsten Initiativen fehlen auf der Liste, die bis Ende November reicht und von unseren Kollegen von “Contexte” aufgespürt wurde:

    • Die Überarbeitung der Chemikalienverordnung REACH, die von der Leyen auf Druck der Industrie und der EVP im vergangenen Jahr bereits auf das vierte Quartal 2023 verschoben hatte.
    • Der Vorschlag für ein nachhaltiges Lebensmittelsystem (SFS).

    Bei REACH ist denkbar, dass der Vorschlag doch noch kommt, womöglich im Dezember. Bei SFS ist das wohl wenig wahrscheinlich: “Die Kommissionspräsidentin scheint zu zögern, vor den Wahlen irgendetwas anzurühren, das den Zorn der potenziellen EVP-Wähler aus der Agrarwirtschaft wecken könnte”, heißt es in Brüssel.

    Ihr
    Till Hoppe
    Bild von Till  Hoppe

    Analyse

    Rat einigt sich auf entkernten Vorschlag zu Euro 7

    Am Ende benötigte der Wettbewerbsfähigkeitsrat nur wenig mehr als eine Stunde für die allgemeine Ausrichtung bei der Schadstoffnorm Euro 7. Deutschland stimmte gegen den Vorschlag der spanischen Ratspräsidentschaft. Die Bundesregierung hatte ehrgeizigere Grenzwerte und schärfere Testbedingungen für Nutzfahrzeuge gefordert und wollte zudem eine Regelung von E-Fuels im Gesetzestext von Euro 7 durchsetzen. Doch mit diesen Forderungen konnte sich Deutschland nicht durchsetzen.

    Wie der tschechische Verkehrsminister feststellte, hat der Rat eine weite Strecke zurückgelegt und den Vorschlag der Kommission an vielen Stellen deutlich entschärft. Italien, Frankreich, Tschechien und vier weitere Mitgliedstaaten hatten sich im Mai zusammengetan, um ehrgeizige Grenzwerte und anspruchsvolle Testbedingungen zu verhindern.

    Diese Gruppe, die mit der Blockade von Euro 7 drohte, sprach sich generell gegen schärfere Grenzwerte am Auspuff aus und wollte zudem spätere Fristen des Inkrafttretens durchsetzen. Die schwedische und anschließend die spanische Ratspräsidentschaft gingen in ihren Kompromissvorschlägen dann immer weiter auf diese Gruppe zu.

    Frankreich, Tschechien und Co setzen sich durch

    Im Wesentlichen wurde jetzt in der Allgemeinen Ausrichtung entschieden, was die Gruppe der acht Mitgliedstaaten im Mai gefordert hatte. Das sind die Eckpunkte der Schadstoffnorm:

    • Bei Pkw und Lieferwagen bleibt es bei den Grenzwerten von Euro 6.
    • Für Stadt- und Überlandbusse werden die Euro VI-Grenzwerte und die Testbedingungen leicht verschärft.
    • Erstmals gibt es Grenzwerte für den Partikelabrieb bei Bremsen und Reifen.
    • Bei neuen Stadtbussen kommt 2030 das Verbrennerverbot.
    • Der Kommission werden klare Fristen für die sekundäre Gesetzgebung gesetzt.
    • Es wird unterschiedliche Fristen des Inkrafttretens für neue Typen und bereits im Markt befindliche Typen geben.
    • Es gibt Anforderungen an die Mindesthaltbarkeit von Batterien für E-Autos.

    Im Parlament stimmt der Umweltausschuss (ENVI) am 12. Oktober über den Bericht von Alexandr Vondra (ECR) ab. Dieser sieht ebenfalls eine Entschärfung der Grenzwerte und Testbedingungen gegenüber dem Vorschlag der Kommission vor. Es bleibt allerdings abzuwarten, ob er dafür eine Mehrheit bekommt. Der Zeitplan sieht vor, dass am 9. November das Plenum entscheidet. Danach können die Triloge beginnen.

    CLEPA: Rückkehr zu Euro 6 nicht nötig

    Erstmals hat die EU mit Euro 7 eine Schadstoffnorm vorgeschlagen, die sowohl Pkw, Lieferwagen als auch Lkw und Busse reguliert. Das Echo der Hersteller auf den Vorschlag der Kommission fiel differenziert aus: Die Hersteller von Pkw setzten sich für eine ambitioniertere Reform ein, damit weiterhin die Standards in der EU gesetzt werden. Auch China und die USA arbeiten an strengeren Schadstoffnormen.

    Hersteller von Nutzfahrzeugen sagten, dass die vorgeschlagenen Grenzwerte teils nur unter hohem finanziellem Aufwand, teils technisch gar nicht erreichbar seien. Hersteller von Pkw und Nutzfahrzeugen forderten aber baldige Rechtssicherheit.  

    Benjamin Krieger vom europäischen Dachverband der Zulieferer CLEPA: “Die erforderliche Technologie ist verfügbar und wirtschaftlich tragbar.” Eine Rückkehr zu Euro 6, wie vom Rat gefordert, sei nicht erforderlich, um die Mobilität bezahlbar zu halten und “wird weder dazu beitragen, strengere Luftqualitätsstandards umzusetzen noch Innovation in der EU anregen”.

    “Die Regelung von E-Fuels stand nicht an”

    Dem Drängen aus Berlin zum Trotz ist im Gesetzestext keine Regelung der E-Fuels aufgenommen worden. Industriekommissar Thierry Breton ging vor der Abstimmung noch einmal auf die Forderungen aus Berlin zu E-Fuels ein. “Die Regelung von E-Fuels in der Schadstoffnorm Euro 7 stand nicht an.” Die Kommission habe sich aber verpflichtet, alle nötigen Rechtsakte vorzulegen.

    Der Legislativvorschlag der Kommission zur Definition von E-Fuels liege den Mitgliedstaaten inzwischen vor. Er hoffe, die Regelung bald “unter Dach und Fach zu bringen”. 

    Bundesministerien streiten weiter

    Die Kommission hat vor Kurzem den Mitgliedstaaten den Gesetzgebungsvorschlag für Pkw vorgelegt, die auch nach dem VerbrennerAus im Jahr 2035 noch ausschließlich mit E-Fuels fahren dürfen. Dieser Gesetzgebungsvorschlag sieht vor, dass die verwendeten E-Fuels exakt 100 Prozent weniger Treibhausgase ausstoßen dürfen als fossile Kraftstoffe. Über diesen Vorschlag soll am 4. Oktober erstmals im zuständigen Technical Comitee Motor Vehicles (TCMV) diskutiert werden.

    Bei der TCMV-Sitzung im November oder Dezember sollen die Mitgliedstaaten darüber im Komitologieverfahren abstimmen. Das Bundesverkehrsministerium ist hier federführend. Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) ist gegen die 100-Prozent-Quote. Er hat sich für eine 70-Prozent-Quote ausgesprochen. In der Bundesregierung läuft die Abstimmung über den vorgelegten Legislativvorschlag noch.

    • Euro 7
    • Europäischer Rat

    Dombrovskis zeigt klare Kante in China

    Die Liste der Ergebnisse nach dem Treffen zwischen EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis und Chinas Vize-Ministerpräsident He Lifeng war lang. Auch ein öffentlicher Eklat wegen der EU-Untersuchung zu Chinas mutmaßlichen Subventionen auf E-Autos blieb aus. Wie die Atmosphäre beim ersten persönlich abgehaltenen EU-China-Handelsdialog wirklich war, ließ sich an den Gesichtern von Dombrovskis und He allerdings nur schwer ablesen.

    Beide trugen am Donnerstag unaufgeregt ihre Punkte vor der Presse in der chinesischen Hauptstadt vor. Der Lette Dombrovskis betonte vorab, wie wichtig ihm der persönliche Austausch vor Ort sei. Neben He hatte er Handelsminister Wang Wentao, Finanzminister Liu Kun sowie Pan Gongsheng, den neuen Gouverneur der chinesischen Volksbank, getroffen.

    Arbeitsgruppen und Frühwarnsystem

    Die EU und China verständigten sich beim 10. Handelsdialog unter anderem auf mehrere gemeinsame Arbeitsgruppen und ein mögliches Rohstoff-Frühwarnsystem. Die wichtigsten Punkte und Aussagen im Überblick:

    • Arbeitsgruppen: Beide Seiten haben sich He zufolge auf die Einrichtung einer gemeinsamen Arbeitsgruppe für eine Reform der Welthandelsorganisation (WTO) geeinigt. He betonte in diesem Zusammenhang, dass China “Unilateralismus und Protektionismus” ablehne. Zudem soll eine Arbeitsgruppe eingesetzt werden, die sich mit dem Markt für alkoholische Getränke auseinandersetzt. Hier gibt es immer noch große Unterschiede bei Inhaltsstoffen und Labeling.
      Eine weitere Arbeitsgruppe wird sich mit der Vermittlung in einer Causa im Kosmetikbereich beschäftigen: China hatte zuletzt neue Offenlegungsvorgaben eingeführt, die große europäische Kosmetikhersteller zwingen, Daten lokal zu speichern, darunter auch Inhaltsstoffe und andere teils geschäftsentscheidende Angaben. Ein neuer Dialog soll zudem zum Thema Exportkontrollen eingerichtet werden.
    • Gespräche soll es auch über die Einrichtung eines Rohstoff-Frühwarnsystems geben, das Europa dabei helfen soll, sich auf Engpässe bei der Versorgung mit kritischen Rohstoffen vorzubereiten. “In diesem Zusammenhang haben wir beide vereinbart, die Gespräche über einen möglichen Transparenzmechanismus zwischen der EU und China für Lieferketten für kritische Rohstoffe fortzusetzen”, sagte Dombrovskis.
    • Handelstools: He Lifeng betonte, er hoffe, dass die EU bei Handelsinstrumenten wie dem internationalen Beschaffungsinstrument (International Procurement Instrument), einem möglichen Gesetz zu ausländische Subventionen und dem CO₂-Grenzausgleich CBAM “Zurückhaltung üben” werde.
    • Ukraine-Krieg: Dombrovskis sagt, er habe der chinesischen Führung “direkt Schlüsselbotschaften” übermittelt. “Russlands Angriffskrieg stellt eine massive Bedrohung dar und gefährdet nicht nur Leben, sondern auch die weltweite Nahrungsmittelversorgung”, sagte der EU-Kommissar. Er habe bei China eine Zusammenarbeit angeregt, um die Initiative für den sicheren Transport von Getreide und Lebensmitteln aus ukrainischen Häfen (Black Sea Grain Initiative) wieder in Gang zu bringen.
    • Das Anti-Spionagegesetz erschwere europäischen Firmen in China den Daten-Austausch, kritisierte Dombrovskis. “Das löst bei den Unternehmen in China echte Besorgnis aus.” Deshalb müsse ein Weg gefunden werden, EU-Unternehmen die Einhaltung der chinesischen Datengesetze zu erleichtern.
    • Agrarprodukte: China hat sich bereit erklärt, mehr Agrarprodukte aus der Europäischen Union zu importieren. Beide Seiten wollen demnach über den Marktzugang für Lebensmittel und Agrarprodukte aus Europa sprechen. Die EU hatte auf Fortschritte beim Zugang von Fleischprodukten zum chinesischen Markt gehofft. Dombrovskis sagt: “Wir müssen weiterhin auf die Anerkennung der sogenannten Regionalisierung hinarbeiten, um Exporte im Falle lokalisierter Tierseuchenausbrüche nicht zu behindern.”
    • Die Volksrepublik hofft im Gegenzug, dass Brüssel die Exporte von Hightech-Produkten wieder zulässt.
    • EU-Untersuchung zu E-Autos: Vize-Premier He betonte, dass Peking “große Besorgnis und Unzufriedenheit zum Ausdruck gebracht” habe. “Wir hoffen, dass die EU Vorsicht walten lassen und ihren Markt offen halten wird. Dies kommt den EU-Verbrauchern, einer umweltfreundlicheren, CO₂-armen Entwicklung und der globalen Zusammenarbeit beim Klimawandel zugute”, sagte He bei der gemeinsamen Pressekonferenz.

    Die anstehende Überprüfung hatte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen in ihrer Rede zur Lage der Europäischen Union angekündigt. Sie stand vor Dombrovskis Besuch in Peking als aktuell größter Konfliktpunkt mit Peking im Raum.

    Bedenken der EU-Handelskammer

    Der EU-Handelskommissar sprach die Untersuchung nicht direkt bei seinem Besuch an – er zeigte aber klare Kante in verschiedenen Ansprachen, so auch bei einer Rede in der Tsinghua-Universität, der Alma mater von Chinas Staatschef Xi Jinping, am Montagmorgen: “Wir sind uns bewusst, dass die Welt China braucht, aber China muss auch erkennen, dass der Mangel an Gegenseitigkeit und gleichen Wettbewerbsbedingungen seitens Chinas, gepaart mit umfassenderen geopolitischen Veränderungen, Europa gezwungen hat, selbstbewusster zu werden”, sagte Dombrovskis. Er hielt seine gut 20-minütigen Rede vor Studenten und Lehrpersonal. “Wir haben Chinas Bedenken bezüglich der Pläne für wirtschaftliche Sicherheit der EU gehört.”

    Dombrovskis hatte vor dem Treffen auch die Vertretung der EU-Handelskammer in Peking besucht. Die Kammer hatte in der vergangenen Woche ein ernüchterndes Positionspapier vorlegt, und sich ein Machtwort von Dombrovskis erhofft. “Wir haben Bedenken hinsichtlich des Geschäftsumfelds in China besprochen”, schrieb der EU-Handelskommissar nach dem Treffen auf X, vormals Twitter. Eine Lösung der Bedenken liege im Interesse der EU und Chinas.

    EU-China-Dialoge auch zu Umwelt und Energie

    Dombrovskis Visite ist nicht der einzige Besuch aus Brüssel: EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius befindet sich derzeit ebenfalls in China. Er traf am Montag seinen chinesischen Amtskollegen Huang Runqiu und den für Wasser-Ressourcen zuständigen Minister, Li Guoying. Beim 9. Minister-Dialog zur Umweltpolitik sei der “Grundstein unserer globalen Zusammenarbeit” gelegt worden, schrieb Sinkevičius auf X.

    Der Dialog sei für den Austausch zu biologischer Vielfalt, Abfallwirtschaft und Kontrolle von Umweltverschmutzung unerlässlich, so der EU-Kommissar. Sinkevičius hatte bereits am Wochenende beim Blue Partnership Forum for the Ocean in Shenzhen gesprochen und die gemeinsame Verantwortung Chinas und der EU für die Ozeane betont.

    Auch in den kommenden Wochen werden EU-Spitzenpolitiker in die chinesische Hauptstadt reisen. Energiekommissarin Kadri Simson wird kommende Woche erwartet, EU-Spitzendiplomat Josep Borrell soll dann im nächsten Monat zu Besuch kommen.

    • CBAM

    Serbien und Kosovo: EU-Strategie gescheitert

    Am Tag nach der blutigen Eskalation in Nordkosovo empfängt Serbiens Präsident Aleksandar Vučić den russischen Botschafter in Belgrad. Er habe Wladimir Putins Gesandten informiert, dass “im Kosovo ethnische Säuberungen” durchgeführt würden, schreibt Vučić auf Instagram zum Bild mit dem Händedruck. Und zwar durch Kosovos Regierungschef Albin Kurti, mit Unterstützung der internationalen Gemeinschaft. Kein Wort auf der Social-Media-Plattform zum Überfall von schwerbewaffneten Paramilitärs auf die Polizei des Kosovo, mutmaßlich aus Belgrad gesteuert.

    Es ist die Parallelwelt von Aleksandar Vučić. Serbiens Präsident lüge unverfroren, kommentiert der EU-Parlamentarier Reinhard Bütikofer auf dem Kurznachrichtendienst X. Es gebe keine ethnischen Säuberungen im Kosovo. Vučić rechtfertige mit seinem Narrativ den serbischen Extremismus. Und Bütikofer ist nicht der einzige, der es für unwahrscheinlich hält, dass die Paramilitärs ohne Unterstützung aus Belgrad agierten, wie Vučić behauptet.

    Es geht auch um Geopolitik

    Die Priorität des serbischen Präsidenten am Tag nach der Konfrontation zwischen der Kosovo-Polizei und schwer bewaffneten Paramilitärs ist aber vor allem auch ein Indiz, wie kläglich die Strategie der EU und der USA gescheitert ist. Diese bestand kurz gefasst darin, den Druck auf Kosovo als vermeintlich schwächeren Part zu erhöhen und gleichzeitig Belgrad zu schonen.

    Dies mit dem Ziel, Serbien aus der Einflusssphäre Wladimir Putins zu holen. Die USA und ihr Sondergesandter Gabriel Escobar unterstützen diesen Kurs. Auch, weil Serbiens Rüstungsindustrie der Ukraine dringend benötigte Munition liefern soll. Wobei der Umfang dieser Lieferungen unklar ist.

    Es geht also auch um Geopolitik. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell und sein Sondergesandter Miroslav Lajčák führen den sogenannten Dialog zwischen Belgrad und Pristina seit drei Jahren ohne Erfolg. Eine Vereinbarung mit einer Liste von gegenseitigen Zugeständnissen hin zu einer Normalisierung liegt zwar seit dem Frühjahr auf dem Tisch.

    Die Vermittler drängten aber zuletzt einseitig darauf, dass Kosovo zuerst Belgrads Forderung nach einer Autonomie für die serbische Minderheit erfüllt. In Pristina sieht man das nicht ohne Grund als ersten Schritt hin zu einer Abspaltung des Nordkosovo. Umso mehr, als dass es keine Garantie gibt, dass Serbiens Präsident ebenfalls liefert und Schritte zumindest hin zu einer De-facto-Anerkennung des jungen Staates unternimmt.

    Vier Tote bei Konfrontation

    Das Misstrauen in Pristina ist begründet, denn Vučić hat wiederholt öffentlich deklariert, dass er zu keinen Konzessionen gegenüber Kosovo bereit ist. Nach der tödlichen Konfrontation in Nordkosovo sah sich erstmals auch Josep Borrell zu deutlicheren Worten gezwungen. Er sprach von einem “feigen terroristischen Angriff auf Kosovos Polizeioffiziere”. Ohne allerdings die Täter klar zu benennen.

    Kosovos Polizei könnten die rund 30 Paramilitärs dabei ertappt haben, Waffen in ein nahes serbisch-orthodoxes Kloster zu bringen, vermuten Beobachter vor Ort. Ähnliche Vorwürfe zirkulieren schon länger. Die Kosovo-Polizei hat jedenfalls nach der Konfrontation, bei der mindestens vier Paramilitärs getötet wurden, größere Mengen an schweren Waffen sichergestellt.

    Nato-Truppe Kfor gibt sich zugeknöpft

    Peinlich ist der schwerste Zwischenfall seit Langem auch für die Nato-Truppe Kfor, offiziell für die Sicherheit zwischen Kosovo und Serbien zuständig. Kfor beobachte die Situation im Norden Kosovos, sei präsent und bereit, einzuschreiten, heißt es dort zugeknöpft. Der Zwischenfall trage die Handschrift von Aleksandar Vulin, Serbiens Geheimdienstchef mit besonders engen Beziehungen nach Moskau, so Beobachter. Der frühere Innenminister, auf der Sanktionsliste der USA, könnte im Auftrag aus Moskau eine Eskalation gezielt provoziert haben.

    Die EU müsse klar Solidarität mit Kosovo zeigen, fordert der EU-Parlamentarier Reinhard Bütikofer. Das Statement von Josep Borrell sei nicht ausreichend, die EU müsse jetzt Klartext reden. Andere EU-Abgeordnete kritisieren den Ansatz des Vermittlerduos Borrell-Lajčák schon länger als unausgewogen und kontraproduktiv.

    Die EU hat Kosovo zuletzt einseitig mit Strafmaßnahmen belegt, nachdem Premier Kurti im Mai entgegen der Absprachen gewählte Bürgermeister in Nordkosovo mit Polizei in ihre Rathäuser hat eskortieren lassen, was Ausschreitungen mit vielen Verletzten zur Folge hatte.

    Auch einzelne EU-Diplomaten drängten zuletzt auf einen ausgewogeneren Ansatz, ohne aber Borrell und seinem Sonderbeauftragten Lajčák das Vertrauen zu entziehen. Der Terrorangriff auf die Kosovo-Polizei habe das Potenzial, ein Umdenken auszulösen, so ein EU-Diplomat jetzt. Nicht ausgeschlossen, dass es mit der Nachsicht gegenüber Belgrad bald vorbei ist und die EU-Staaten Borrell zu einer Kurskorrektur zwingen.

    • EU-Außenpolitik
    • Josep Borrell
    • Kosovo
    • Serbien

    Termine

    27.09.2023 – 09:00-17:00 Uhr, Berlin/digital
    HBS, Konferenz Labor.A 2023 – Wie gestalten wir die “Arbeit der Zukunft”?
    Bei der Hans-Böckler-Stiftung (HBS) treten Gewerkschaft, Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft in den Austausch über die sozial-ökologische Transformation und diskutieren über Klimaschutz, die Vier-Tage-Woche und Künstliche Intelligenz.   INFOS & ANMELDUNG

    27.09.2023 – 09:30-10:45 Uhr, online
    BEUC, Discussion The consumer switch to heat pumps: How to turn the EU’s plans into action
    The European Consumer Organisation BEUC will present the findings of its heat pump project, followed by a panel debate on how to ease the transition to heat pumps for consumers. INFO & REGISTRATION

    27.09.2023 – 10:00-11:30 Uhr, online
    Digital Europe, Panel Discussion Cloud rules in the EU: How cloudy is the legislative journey ahead?
    At this event, policymakers and industry representatives will shed light on the regulatory state of affairs for Cloud in the European Union. INFO & REGISTRATION

    27.09.2023 – 10:00-11:00 Uhr, online
    TÜV, Seminar CSRD & ESG Due Diligence: Paving the way to sustainable leadership
    This webinar seeks to enable business leaders and sustainability professionals to harness the potential of the CSRD by deep diving into the pivotal role of ESG due diligence. INFO & REGISTRATION

    27.09.2023 – 14:00-15:30 Uhr, online
    EUI, Seminar National policies coping with energy crisis and climate targets: The case of Italy
    The European University Institute (EUI) will present and discuss the recently published Italy Energy Policies Review Report, which analyses the Italian energy and climate policies in response to the energy crisis and climate goals.  INFO & REGISTRATION

    27.09.2023 – 16:45-19:30 Uhr, online
    AI, Diskussion U.S.-German Forum Future Agriculture: Harvesting sustainable solutions – transatlantic insights on climate-smart arable farming
    Auf der Abschlussveranstaltung des U.S.-German Forum Future Agriculture Projekts beim Aspen Institute (AI) diskutieren deutsche und US-amerikanische landwirtschaftliche Akteure mit Vertretern aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik über eine nachhaltige Zukunft der Landwirtschaft und geben Handlungsempfehlungen. INFOS & ANMELDUNG

    27.09.2023 – 18:30-20:00 Uhr, Bonn/online
    DGAP, Podiumsdiskussion Parlamentswahlen in Polen und ihre Folgen: Eine deutsch-französisch-polnische Perspektive
    Die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) diskutiert mit Experten aus Polen, Frankreich und Deutschland über mögliche Folgen der polnischen Parlamentswahlen für Europa sowie die Beziehungen der drei Länder. INFOS

    27.09.2023 – 19:30-21:00 Uhr, online
    DGAP, Podiumsdiskussion Der Kampf um die Ukraine
    Bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) diskutieren Expertinnen und Experten über die Lage in der Ukraine und die militärische Unterstützung des Westens. INFOS

    28.09.-29.09.2023, Düsseldorf/online
    Handelsblatt, Konferenz ESG-Reporting und -Steuerung 2023
    Die Tagung befasst sich schwerpunktmäßig mit den Themen Nachhaltigkeit als Bestandteil der Unternehmensstrategie, Nachhaltigkeitsbericht und CSRD. INFOS & ANMELDUNG

    28.09.-29.09.2023, Trier
    ERA, Conference Annual Conference on Law and Sustainable Finance in the EU 2023
    The Academy of European Law (ERA) will provide an update on the latest developments in sustainable finance law and address current issues such as greenwashing and ESG risk management. INFO & REGISTRATION

    28.09.2023 – 14:00-20:00 Uhr, Berlin
    Zeit, Konferenz ZEIT Wissen Kongress: Mut zur Nachhaltigkeit
    Expertinnen und Experten aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft tauschen sich darüber aus, wie die Nachhaltigkeitsziele erreicht werden können und welche Rahmenbedingungen die Politik dafür schaffen muss. INFOS & ANMELDUNG

    News

    SPD nominiert Barley als Spitzenkandidatin

    Die SPD-Spitze hat wie erwartet Katarina Barley als Spitzenkandidatin für die Europawahl 2024 nominiert. Das Parteipräsidium stimmte am Montag einstimmig für die 54-jährige Vizepräsidentin des Europaparlaments. Sie muss nun noch auf einem Parteitag bestätigt werden.

    Parteichef Lars Klingbeil verwies darauf, dass Barley als frühere Bundestagsabgeordnete und Bundesjustizministerin beide politischen Ebenen miteinander verbinde. Bei der Europawahl gehe es darum, nicht denen das Feld zu überlassen, “die Europa kaputt machen wollen”. Barley warnte, nach der Bildung rechter Regierungen in einzelnen Ländern wie Italien oder Finnland drohe ein Rechtsruck auch für die gesamte EU.

    Für Barley ist es bereits die zweite Spitzenkandidatur, auch bei der Europawahl 2019 trat sie als deutsche Nummer eins für die SPD an. Damals erzielten die Sozialdemokraten mit 15,8 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis aller Zeiten. dpa/tho

    • Europapolitik
    • Europawahlen 2024

    Studie: KMU brauchen einfachere Sustainable-Finance-Regeln

    Die Sustainable-Finance-Regulierung der EU ist nicht ausreichend auf kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) ausgerichtet. Das ist das Ergebnis einer Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) in Zusammenarbeit mit Eurochambres und SME United, die Table.Media vorliegt.

    Die drei zentralen SustainableFinance-Regelwerke der EU – die Taxonomie, die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) und die Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR) – seien auf große Unternehmen ausgerichtet, die sich über den Kapitalmarkt bei Investoren finanzieren. Die darin festgelegten Berichtspflichten würden über verschiedene Kanäle auf KMU übertragen (Trickle-Down-Effekt). Dies führe zu hohen Kosten für KMU, ohne Vorteile wie einen besseren Zugang zu Finanzierungsinstrumenten zu bieten.

    Darüber hinaus gebe es für nachhaltige KMU-Kreditfinanzierungen keine Standards, und Banken seien aufgrund möglicher Greenwashing-Vorwürfe sehr zögerlich bei ESG-Finanzierungen. Förderprogramme würden häufig als zu umständlich und die Genehmigungsphasen als zu lang beschrieben. Die komplexe EU-Taxonomie spiele für KMU keine Rolle; auf die Einführung der Nachhaltigkeitsberichte durch die CSRD ab 2024 seien die berichtspflichtigen KMU bisher schlecht vorbereitet.

    Angepasster Berichtsstandard

    Für KMU sollte die Sustainable-Finance-Regulierung deshalb laut der Studie einfacher und individueller werden. Eine mögliche Lösung sei ein angepasster Berichtsstandard für KMU, die größer als Kleinstunternehmen sind. Dieser sollte dazu dienen, die Transformation der KMU effektiv zu steuern und den Trickle-Down-Effekt innerhalb der Wertschöpfungskette zu begrenzen.

    Der von der European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG) vorgeschlagene freiwillige KMU-Standard, der demnächst zur Konsultation ansteht, habe das Potenzial, diese Anforderungen zu erfüllen und sollte laut den Studienautoren weiterentwickelt werden. Dabei sollte die Anzahl der Kennzahlen an die Kapazitäten kleiner Unternehmen angepasst sein.

    Zudem empfehlen die Studienautoren aufsichtsrechtliche Standards für grüne KMU-Kredite sowie einfachere, schnellere und effizientere staatliche Förderprogramme. Die Kapazität von Banken, grüne Finanzierungen durch Förderungen und KMU-orientierte Regulierungen zu vergeben, müsse massiv erhöht werden. Auf Unternehmensebene bedürfe es KMU-Finanzierungen in Form von Krediten, die an ESG-Kriterien gebunden sind (ESG-linked loans).

    ESG-Investitionen von KMU dringend notwendig

    Der Anteil externer und nachhaltiger Investitionen kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) sei zu niedrig, um die Transformation voranzutreiben. Knapp 60 Prozent der befragten KMU investieren in die Transformation ihrer Unternehmen, doch nur 35 Prozent dieser Investitionen seien extern finanziert. Nur 16 Prozent der verwendeten Finanzierung könne als Sustainable Finance klassifiziert werden.

    ESG-Investitionen durch KMU seien jedoch dringend notwendig, um den Bedarf an Investitionen für die Erreichung der Klimaziele zu decken. Die EU-Kommission schätzt die zusätzlichen jährlichen Investitionen auf über 620 Milliarden Euro, und die Wertschöpfung der KMU auf rund 52 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Europa. leo

    • CSRD
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    • Green Finance
    • Taxonomie

    Klimaschutz: Bundesregierung will Nachteile für Luftverkehr verhindern

    Die Bundesregierung hat ein offenes Ohr für Sorgen der Luftfahrtbranche über Wettbewerbsnachteile durch EU-Klimaschutzvorschriften. Gesetze wie die Pflicht für Airlines in der EU, einen steigenden Anteil klimaneutralen Treibstoffs zu tanken, sollten nicht zulasten europäischer und deutscher Flughäfen und Airlines gehen, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz am Montag in Hamburg auf der Nationalen Luftfahrtkonferenz. “Was den Wettbewerb verzerrt, was dazu führen könnte, dass Arbeitsplätze verlagert werden – das werden wir natürlich nicht hinnehmen.”

    Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) sicherten zu, sich für international einheitliche Standards einzusetzen, die Klimadumping durch nicht-europäische Konkurrenten verhindern sollen.

    SAF deutlich teurer

    Die EU schreibt den Fluggesellschaften ab 2025 eine steigende Quote für die Beimischung von nachhaltigem Treibstoff (SAF) vor. Der ist bisher erst in homöopathischer Dosis vorhanden und daher fünf bis sechs Mal so teuer wie fossiles Kerosin.

    So wie die Quote jetzt gestaltet sei, “verspielt sie unseren Vorsprung und spielt im Wettbewerb den Drehkreuzen außerhalb Europas in die Hände und nicht den europäischen Airlines”, warnte Lufthansa-Chef Carsten Spohr. Die größte deutsche Airline befürchtet, bei Langstreckenflügen Marktanteile zu verlieren. Die Drehkreuze Frankfurt oder München hätten das Nachsehen gegenüber den Airports in Istanbul oder Dubai. rtr

    Kommission: Booking.com darf Etraveli nicht übernehmen

    Die EU-Wettbewerbshüter haben der milliardenschweren Übernahme der schwedischen ETraveli Group durch das Online-Buchungsportal Booking.com einen Riegel vorgeschoben. Das geplante Geschäft im Wert von 1,63 Milliarden Euro hätte die marktbeherrschende Stellung von Booking.com im Bereich der Online-Hotelbuchungen weiter verstärkt, teilte die Brüsseler Behörde am Montag mit.

    Dies hätte zu höheren Kosten für die Anbieter und möglicherweise auch für die Kunden geführt. Die vorgeschlagenen Maßnahmen des Unternehmens hätten die Bedenken der Kartellwächter nicht ausräumen können. Großbritannien hatte die Übernahme im vergangenen Jahr ohne Auflagen genehmigt. rtr

    • Digitalisierung
    • Kartellrecht

    Presseschau

    Dombrovskis warnt Peking vor “Auseinanderdriften” Chinas und der EU EURONEWS
    EU verbietet Verkauf von Produkten mit Mikroplastik ab Mitte Oktober WELT
    EU-Staaten stimmen für abgeschwächte Abgasnorm – Deutschland isoliert STERN
    Streit um EU-Asylreform – Baerbock stellt sich gegen Krisenverordnung WELT
    Tunesien stößt der EU vor den Kopf GENERALANZEIGER
    Migration: Diese Staaten schaffen selbst Fakten beim Grenzschutz WELT
    EU-Länder ignorieren Strafen – dieses Dokument weckt Zweifel an Brüssels Macht WELT
    Studie: Europa schöpft Wasserstoff-Potenziale nicht hinreichend aus ZFK
    Frühere Justizministerin Barley erneut SPD-Spitzenkandidatin bei EU-Wahl STERN
    Österreich wird gegen EU-Neuzulassung von Glyphosat stimmen DER STANDARD
    EU-Lieferkettengesetz: Sorge über Auswirkungen auf Globalen Süden EURACTIV
    Konflikt um ukrainisches Getreide: Orban keilt gegen die EU aus EURONEWS
    Die EU hat das gleiche Problem wie die Schweiz: Der Rechtsstaat beschränkt den Zugriff auf gesperrte Russland-Gelder NZZ
    Spätfolgen des Brexits – Machtspiele um E-Autos: künftig Strafzölle in Großbritannien? RND
    EU will Getreideumschlag in Konstanza beschleunigen DVZ
    EU-Kommission: Reiseportal Booking darf Konkurrenten eTraveli nicht übernehmen DEUTSCHLANDFUNK

    Heads

    Linda Kalcher – Für eine erfolgreiche Umsetzung des Green Deal

    Nach fast sieben Jahren bei der European Climate Foundation (ECF) leitet Linda Kalcher nun den Thinktank Strategic Perspectives.

    Die europäische Umwelt- und Klimapolitik begleitet Linda Kalcher seit ihrem Studium. Nach ihrem Romanistik-Bachelor in Bonn und Florenz studierte sie European Culture and Economy an der Ruhr-Universität Bochum. Dort war die Leverkusenerin auch Sprecherin des Masterstudiengangs, eine Ansprechpartnerin für 80 Studierende aus aller Welt. “Eine Vorstufe zur späteren Arbeit im Parlament“, sagt sie heute, mit Mitte dreißig.

    Seit zwölf Jahren lebt Kalcher inzwischen in Brüssel und spricht sechs europäische Sprachen. Die ersten sechs Jahre war sie Mitarbeiterin im Büro des langjährigen SPD-Umweltpolitikers Jo Leinen, danach arbeitete sie bei der European Climate Foundation (ECF). Im letzten Jahr zusätzlich als Senior Advisor des Generalsekretärs der Vereinten Nationen.

    Mehr Solidarität mit dem Globalen Süden

    Fragt man sie, was die EU von der Klimapolitik der UN lernen kann, dann fordert Kalcher von den Europäern mehr Solidarität mit dem Globalen Süden. Dass Investitionen in die dortige Transformation vernachlässigt werden und die bereits 2009 versprochene Zahlung von 100 Milliarden US-Dollar noch immer aussteht, nutze geopolitisch vor allem China. Und schade der Glaubwürdigkeit Europas und jener der Industrieländer. 

    Um Entscheidungsträger auf Missstände wie diese hinzuweisen und das politische Geschehen näher zu beraten, hat sie im Oktober 2022 den Thinktank Strategic Perspectives gegründet. Während die ECF vor allem zur Projektförderung und Finanzierung arbeitet, tritt Kalcher nun in der Klimapolitik wieder stärker in Kontakt mit Abgeordneten im Parlament.

    Beratung auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene

    Die Arbeit des Thinktanks füllt laut Kalcher zudem eine Nische: Zwar arbeiten einige Thinktanks bereits auf der Ebene nationaler und europäischer Umweltpolitik und andere auf europäischer und internationaler Ebene – kaum eine Denkfabrik nehme aber alle drei politischen Ebenen in den Blick.

    Mitte Mai haben Kalcher und ihr Kollege Neil Makaroff den ersten Bericht von Strategic Perspectives veröffentlicht. In Zusammenarbeit mit Cambridge Econometrics modellieren sie darin die Auswirkungen des Green Deal und von Repower-EU und geben Empfehlungen für eine erfolgreiche Umsetzung. Aus ganz Europa haben sie außerdem Beispiele für eine sozial verträgliche Klimapolitik gesammelt, etwa die Wärmeumlage in Tschechien oder das deutsche 49-Euro-Ticket.

    Kalcher blickt optimistisch in die Zukunft: “Wir haben herausgefunden, dass die Klimaziele bis 2030 noch zu erreichen sind und dabei auch netto 500.000 neue Arbeitsplätze entstehen.”

    Wärmepumpen-Streit bleibt anderswo aus

    Überrascht habe sie an den Ergebnissen allerdings, dass der Anteil von Erdgas an der Energieversorgung nur recht langsam sinke. “Ein Grund dafür ist der massive Ausbau von LNG-Terminals in Italien, Deutschland und Frankreich.” Stoßen Maßnahmen wie diese innereuropäisch auf Unverständnis, gilt es für Kalcher, alle Perspektiven im Blick zu behalten und den Regierungen verschiedener Länder – auch außerhalb Europas – zu erklären. 

    Dass dies nicht immer einfach ist, zeigt sich aktuell: “Eine Debatte um Wärmepumpen wie in Deutschland findet in Ländern wie Frankreich, Tschechien oder Polen nicht statt.” Dort gingen die Verkaufszahlen – auch dank staatlicher Subventionen – seit 2022 als Reaktion auf den Krieg in der Ukraine deutlich in die Höhe. Warum Wärmepumpen in Deutschland so kontrovers diskutiert werden, ist daher eine der Fragen, die Kalcher in der europäischen Energiepolitik aktuell beschäftigen. Carlos Hanke Barajas 

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    • Klima & Umwelt

    Europe.Table Redaktion

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