die Zeitenwende, die Bundeskanzler Scholz am 27. Februar vergangenen Jahres verkündete, habe viele Erwartungen an der gesamten Nato-Ostflanke geweckt, sagt Rolf Nikel. Bei unseren polnischen Nachbarn ganz besonders, weiß der ehemalige deutsche Botschafter in Polen. “Jetzt muss es darum gehen, durch Handlungen Vertrauen wiederherzustellen. Deutschland steht da noch mehr in der Pflicht als früher”, sagt Nikel, der heute Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik ist, im Gespräch mit Till Hoppe und Viktor Funk.
Eine Zeitenwende ganz anderer Art will die Kommission mit dem Digital Services Act in der Online-Welt erreichen. Viele Plattformen haben es spannend gemacht: Wer ihre Veröffentlichung zu den Nutzerzahlen finden wollte, musste zum Teil detektivisches Gespür entwickeln. Aber die Kommission hatte keine Vorschriften gemacht, wo genau diese für den Digital Services Act so wichtige Zahl online veröffentlicht werden muss. Und sie wird auch noch einmal nachhaken, weil sie sich nicht damit zufriedengeben wird, dass einige Plattformen keine konkreten Zahlen nennen. Auch Deutschland hat in Sachen DSA noch einiges zu erledigen, was genau, das können Sie in meiner Analyse lesen.
Gehen sie zusammen oder doch getrennt? Trotz aller Beteuerungen, “Hand in Hand” in die Nato zu gehen, könnte Finnland bereits im Sommer beitreten, – allerdings ohne Schweden. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz haben beide Seiten auf offener Bühne zwar Einigkeit demonstriert. Doch hinter den Kulissen sprachen sich finnische Politiker für einen Alleingang aus, wie meine Kollegin Nana Brink von Security.Table schreibt.
Neben hochrangigen Regierungsvertretern und Verteidigungsexperten vieler Länder nutzten auch Mitglieder der Europäischen Kommission die Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) als Plattform für Gespräche und Botschaften. So auch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die mit dem britischen Premier über Nordirland sprach, und der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell, der sich zu gemeinsamen europäischen Waffenbestellungen äußerte.
Wenn Sie noch mehr über die Ergebnisse der Münchner Sicherheitskonferenz erfahren möchten, dann empfehle ich Ihnen das MSC Spezial von Security.Table.
Ich wünsche Ihnen einen guten Start in die Woche,
Herr Nikel, Sie warnen vor einem tiefen Zerwürfnis zwischen Deutschland und Polen, verursacht durch die Fehler in der deutschen Politik gegenüber Russland.
Das Zerwürfnis betrifft die politische Ebene, nicht den zivilgesellschaftlichen Austausch und die boomende Wirtschaft. Deutschland muss nach seiner gescheiterten Russlandpolitik verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen. Diese Politik haben diverse Bundesregierungen, große Teile der deutschen Wirtschaft und der deutschen Öffentlichkeit mitgetragen. Polen, nicht nur die heutige Regierungspartei PiS, hat uns immer wieder gesagt, dass wir sicherheitspolitisch zu naiv seien und uns energiepolitisch viel zu abhängig gemacht haben von Russland. Wir wollten das nicht hören.
Glaubt man in Warschau den Beteuerungen aus Berlin, daraus gelernt zu haben?
Die Zeitenwende, die Bundeskanzler Scholz am 27. Februar letzten Jahres verkündete, hat viele Erwartungen an der gesamten Nato-Ostflanke geweckt. In Polen ganz besonders. Jetzt muss es darum gehen, durch Handlungen Vertrauen wiederherzustellen. Deutschland steht da noch mehr in der Pflicht als früher.
Verfolgen Warschau und Berlin überhaupt die gleichen Ziele gegenüber Moskau?
Polen will Russland und seine Menschen möglichst komplett isolieren, Deutschland will Moskau eindämmen, wirtschaftlich schwächen und politisch isolieren. Polen betrachtet Deutschland noch immer als einen politischen Gegenspieler, wenn es um Russland geht. Trotzdem besteht jetzt eine bessere Chance für eine gemeinsame Russlandpolitik auf Augenhöhe, da die Bundesregierung sich in der Russland-Politik auf Polen zubewegt hat wie nie zuvor.
Auch dann, wenn aus Polen wieder Forderungen an Deutschland nach hohen Reparationen kommen?
Diese tragen sicherlich nicht dazu bei, geschlossen gegen Putin aufzutreten. Deutschland hat eine 180-Grad-Wende vollzogen: in der Russland- und Ukrainepolitik, energiepolitisch und auch bei der EU-Erweiterung. Das bietet die strategische Chance, auf Augenhöhe miteinander zu reden und zu handeln.
Die Ankündigung der Bundesregierung, den Kampfpanzer Leopard zu liefern, müsste doch von Polen positiv bewertet werden. Immerhin hat es genau das gefordert.
Wird sie auch. Die Entscheidung von Kanzler Scholz ist sehr wichtig. Aber jetzt zeigt sich, dass sich da manche hinter Deutschland versteckt haben, die laut nach Panzerlieferungen gerufen haben. Wer A sagt, sollte auch B sagen können.
Was sollte Berlin noch tun?
In der aktuellen Lage spielt die Stärkung des Nato-Bündnisses eine wichtige Rolle, besonders der Ostflanke. Das heißt, wir müssen die Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr stärken. Das Zwei-Prozent-Ziel ist dabei nur ein Schritt. Dann lägen wir bei etwa 70 Milliarden Euro im Jahr, das wird von manchen aber nicht unbedingt mit Enthusiasmus aufgenommen, auch nicht in Polen. Daher wäre eine noch stärkere Einbettung in EU und Nato wünschenswert. Das ist auch eine Frage der Kommunikation. Und: Bei aller notwendigen Besonnenheit, wir müssen der Ukraine alles geben, was sie in der gegenwärtigen Situation braucht. Damit sie diesen Krieg gewinnt.
Wie blicken die Polen auf die Forderungen in den offenen Briefen aus Deutschland nach Friedensverhandlungen zwischen Kiew und Moskau?
Diese innerdeutsche Debatte wird in Polen überhaupt nicht verstanden. Sie schadet sogar, denn die Forderungen werden als zynisch verstanden, weil sie drohen, einem Aggressionsopfer die nötige Hilfe zu verweigern und Zweifel an der Zeitenwende in der deutschen Öffentlichkeit wecken. In Polen gilt das Rational von Marschall Józef Piłsudski, der Symbolfigur der polnischen Unabhängigkeit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, dass es keine polnische Freiheit ohne eine unabhängige Ukraine geben könne.
Warschau setzt sehr stark auf die USA als Sicherheitsgaranten. Was bedeutet das für die Bemühungen, die europäische Verteidigungsfähigkeit zu stärken?
Der bisherige Verlauf des Kriegs hat gezeigt, wie wichtig die USA für uns Europäer insgesamt sind. Wir müssen zuerst anerkennen, dass Warschau in Zukunft eine wichtige Rolle in dem sich abzeichnenden neuen systemischen Konflikt zwischen Russland und dem Westen spielen wird. Polen wird zum neuen Frontstaat, so wie Deutschland während des Kalten Krieges. Washington hat aber kein Interesse daran, dass dieser Staat im Konflikt mit Brüssel und Berlin steht. Insofern setzt sich die US-Administration für größtmöglichen europäische und westliche Geschlossenheit ein.
Wie lässt sich die Abstimmung hier verbessern?
Wir brauchen eine echte gemeinsame europäische Ostpolitik. Das betrifft die EU-Erweiterungspolitik genauso wie die östliche Partnerschaft. Gespräche mit Polen, allen anderen östlichen EU-Staaten, aber auch Frankreich sind notwendig. Deswegen schlage ich vor, das Format des Weimarer Dreiecks wiederzubeleben. Für alle Fragen, die die Ukraine betreffen, könnte das Weimarer Dreieck um die Ukraine erweitert werden.
Die PiS scheint aber wenig Interesse an enger Zusammenarbeit mit Deutschland zu haben.
Es käme auf einen Versuch an. In Polen stehen bekanntlich in diesem Jahr Wahlen an. Und die Ukraine, die an diesem Format sicherlich großes Interesse hätte, könnte auf Warschau Einfluss ausüben. Polen bekundet immer wieder, dass es die EU-Bestrebungen der Ukraine unterstützt. Hier wäre eine sinnvolle Plattform.
Wie sollte die deutsche Politik damit umgehen, wenn die Deutschland-kritischen Töne im polnischen Wahlkampf lauter werden?
Sich nicht in den Wahlkampf hineinziehen lassen. Cool bleiben. Deutschland ist immer Teil der polnischen Innenpolitik gewesen. Auch in Deutschland sind Wahlkämpfe nicht unbedingt eine Übung in Nuancen.
Sollte sich Berlin auch aus dem Streit zwischen EU-Kommission und Warschau um Justizreform und eingefrorene EU-Mittel heraushalten?
Wir sollten uns jedenfalls hüten, diesen Streit zwischen Polen und der EU-Kommission zu bilateralisieren. Da geht es um Grundwerte, es gibt entsprechende Urteile des Europäischen Gerichtshofes, Entscheidungen der Kommission und lange Diskussionen im EU-Ministerrat. Wir sollten darauf drängen, den Konflikt zu lösen und erste Anzeichen, dass dies gelingen könnte, gibt es ja.
In Ihrem Buch werden Sie für einen Diplomaten durchaus deutlich, berichten aus vertraulichen Gesprächen mit polnischen Politikerinnen und Politikern. Warum?
Ich glaube, man muss auch ab und an Klartext reden, schon gar als Vertreter eines Think-Tanks, der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, der ich seit mehr als zwei Jahren als Vizepräsident diene. Und einige Anekdoten sind ja vielleicht für den Leser auch ganz spannend. Ich habe mich insgesamt zurückgehalten und tue es auch weiterhin.
Das Buch: “Feinde Fremde Freunde. Polen und die Deutschen”, 312 S., 24 Euro; LMV
Rolf Nikel: Rolf Nikel, Jahrgang 1954, begann 1980 seine Karriere beim Auswärtigen Amt. Er war Mitarbeiter in den Botschaften der Sowjetunion, Kenia und Frankreich, bevor er 2014 zum Botschafter in Polen ernannt wurde. Während seiner 40-jährigen Laufbahn im diplomatischen Dienst arbeitete er insgesamt 14 Jahre im Bundeskanzleramt für Helmut Kohl, Gerhard Schröder und Angela Merkel. Seit Juni 2020 ist er Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).
Die EU will es genau wissen. Bis zum 17. Februar mussten Online-Plattformen und Online-Suchmaschinen, die ihre Dienste in der EU anbieten, ihre Nutzerzahlen veröffentlichen. Doch nicht alle wollten ins Detail gehen. Während Google seine Nutzerzahlen bis auf 100.000 genau angab, beschränkten sich Unternehmen wie Amazon oder Apple darauf, lediglich zu sagen, ob sie über oder unter dem Schwellenwert von 45 Millionen Nutzern liegen. Doch das reicht der Kommission nicht. “Das ist nicht genug. Eine Zahl ist eine Zahl”, twitterte Kommissionssprecher Johannes Bahrke. “Wir fordern die Plattformen, die dies noch nicht getan haben, auf, ihre Zahlen rasch zu veröffentlichen!”
Hintergrund für die Zählung ist die Umsetzung des Digital Services Act (DSA), der seit dem 16. November 2022 in Kraft ist. Für sehr große Anbieter gelten verschärfte Regeln, die unter anderem die Umsetzung eines Verhaltenskodex beinhalten. Sehr große Online-Plattformen (Very Large Online Platforms, VLOP) oder sehr große Online-Suchmaschinen (VLOSE) sind solche, die mehr als 45 Millionen aktive Nutzer in der EU haben, was etwa zehn Prozent der EU-Bevölkerung entspricht. Nachdem die Kommission die betreffenden Unternehmen bestimmt hat, haben diese vier Monate Zeit, die jeweils geltenden Anforderungen des DSA umzusetzen. Bei Verstößen drohen Bußgelder von bis zu sechs Prozent des Jahresumsatzes.
In den Guidelines der Kommission steht zwar, dass die Anbieter die Informationen zu den Nutzerzahlen “öffentlich zugänglich machen” müssen, “indem sie sie auf ihren Online-Schnittstellen veröffentlichen”. Dass diese Informationen leicht auffindbar sein oder unter einer bestimmten Rubrik veröffentlicht werden müssen, steht dort nicht. So ist einiges detektivisches Geschick notwendig, die betreffenden Angaben zu finden. Einige veröffentlichten die Zahlen im Impressum, wie die Online-Marktplätze Otto.de, Kaufland.de oder Zalando, andere machen detaillierte Angaben wie Google oder Snapchat.
Zu den Unternehmen, die nach eigenen Angaben zu den VLOPs oder den VLOSEs gehören, weil sie entsprechende Zahlen veröffentlicht haben, zählen die folgenden 19 Plattformen:
Der deutsche Onlinehändler Zalando gibt auf seiner Website an, dass die Gesamtplattform – also inklusive der Drittanbieter – 83,34 Millionen Nutzer habe. 30,84 Millionen davon würden unmittelbar die Dienste des Anbieters selbst nutzen. Damit ist Zalando die einzige deutsche Plattform, die absehbar unmittelbar unter Kommissionsaufsicht fällt.
Denn bei den VLOPs und VLOSEs übernimmt die Kommission die direkte Aufsicht über die Unternehmen. Für alle anderen Plattformen und Suchmaschinen sind die EU-Mitgliedstaaten selbst zuständig, die dafür bis zum 17. Februar 2024 Koordinatoren für digitale Dienste (DSC) ernennen müssen. Ab diesem Zeitpunkt müssen auch Plattformen mit weniger als 45 Millionen aktiven Nutzern alle DSA-Vorschriften einhalten.
Deutschland hat noch keinen Koordinator ernannt. Heißer Kandidat ist die Bundesnetzagentur. Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr wollte am Freitag auf Anfrage jedoch weder bestätigen noch dementieren, dass diese Entscheidung bereits gefallen sei. Das Digitale-Dienste-Gesetz, das deutsche Umsetzungsgesetz zum DSA, mit dem der deutsche Koordinator offiziell benannt werden soll, ist noch in Vorbereitung.
Vorgesehen ist, dass das Gesetz bereits zum 01. Januar 2024 gelten soll. Daher gilt es in Regierungskreisen eher als Frage von Wochen denn von Monaten, wann das Ministerium den Gesetzesentwurf vorstellt. Als schwierig könnte sich dabei die Abstimmung mit den Bundesländern herausstellen: Die hatten zuletzt beim Europäischen Medienfreiheitsgesetz (EMFA) auf die Aufsichtshoheit der Länder und die Staatsferne der Medienaufsicht gepocht.
Mindestens ebenso wichtig wie die Frage, wer der deutsche Koordinator wird, findet Julian Jaursch von der Stiftung Neue Verantwortung die Frage, wie der Koordinator arbeitet. “Egal wer die Aufgabe letztendlich übernimmt, wichtig ist, dass wir eine öffentliche Debatte führen, was wir von diesem Koordinator erwarten“, sagt der Projektleiter Plattformregulierung bei dem Berliner Think Tank. Diskussionspunkte sollten demnach sein:
“Wenn man frühzeitig darüber nachdenkt, kann es nur Vorteile haben”, meint Jaursch. In jedem Fall solle man die Aufgabe des Koordinators nicht unterschätzen, findet er. Denn auch die Plattformen, die weniger als 45 Millionen Nutzende im Monat haben, müssen sich an die Vorschriften des DSA halten. Und hier sind es die Mitgliedstaaten, die etwaige Verstöße ahnden müssen. “Daher wäre es gut, wenn Deutschland einen starken Koordinator mit ausreichend Ressourcen, Expertise und Befugnissen aufbaut”, rät Jaursch.
Aus Verbrauchersicht begrüßt Martin Madej, Referent für Digitales und Medien beim Verbraucherzentrale Bundesverband, das neue europäische Gesetz. “Es ist gut, dass die Rechte der Nutzerinnen und Nutzer nun festgeschrieben sind und damit viel Willkür ein Ende findet.” Die EU habe Standards gesetzt und Verfahren festgelegt. Wichtig sei jetzt, klare Strukturen zu schaffen. “Die Verbraucher brauchen ein einfaches und niedrigschwelliges Verfahren, um ihre Rechte geltend machen zu können”, sagt Madej. “Es darf nicht sein, dass sie im Dschungel der Zuständigkeiten irgendwo verloren gehen. Wir brauchen ein Frontoffice, an das sie sich wenden können. Was dann im Backoffice passiert, das ist kann hochkomplex sein, aber genau das ist dann die Leistung des Koordinators. Das müssen wir schaffen.”
Am Freitag hat die EU-Kommission außerdem eine öffentliche Konsultation zu den DSA-Durchsetzungsverfahren eingeleitet. Sie endet am 16. März.
Der frühere Chef des Euro-Rettungsschirms ESM, Klaus Regling, erhält das Bundesverdienstkreuz für sein jahrzehntelanges Wirken an der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion. Nach Informationen von Table.Media will Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) heute dem “Euro-Retter“, wie Regling gern von den Medien genannt wurde, das Verdienstkreuz 1. Klasse im Bundesfinanzministerium überreichen und die Laudatio halten.
Die Ehrung durch Lindner zum jetzigen Zeitpunkt darf durchaus als Botschaft gewertet werden. Aktuell stemmt sich Lindner in den Verhandlungen über die Reform der europäischen Schuldenregeln vehement gegen eine Aufweichung der Stabilitätskriterien. Der 72-jährige Regling war über Jahrzehnte mit klarer Kante ein Verfechter einer stabilitätsorientierten Währungsunion.
Der am 3. Oktober 1950 in Lübeck geborene Hanseat ist im vergangenen November nach zwölf Jahren an der Spitze des Rettungsschirms, den er aufbaute und dessen Milliardenprogramme in der Schuldenkrise die Währungsunion zusammenhielten, in den Ruhestand gewechselt.
Zuvor hatte Regling 30 Jahre in leitenden Positionen im öffentlichen und privaten Sektor in Europa, Asien und den USA gewirkt, darunter ein Jahrzehnt beim Internationalen Währungsfonds und ein Jahrzehnt beim Bundesfinanzministerium, wo er die Wirtschafts- und Währungsunion in Europa vorbereitete. So arbeite er maßgeblich am Entwurf des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts mit und war später eine der Schlüsselfiguren bei den Verhandlungen über den Vertrag von Maastricht.
Von 2001 bis 2008 war er Generaldirektor für Wirtschaft und Finanzen der Europäischen Kommission. Dort scheute sich der “Beamte mit Prinzipien” (Der Spiegel) nicht, “blaue Briefe” an solche Staaten zu verschicken, die eine überbordende Neuverschuldung aufwiesen, darunter auch an Deutschland. Mit seiner konsequenten Haltung nahm Regling auch einen Streit mit der damaligen Schröder-Regierung in Kauf. cr
Der britische Premierminister Rishi Sunak hat Spekulationen widersprochen, eine Lösung des Nordirland-Streits zwischen der Europäischen Union und Großbritannien stehe kurz bevor. Es gebe mitnichten eine Einigung über das sogenannte Nordirland-Protokoll, sagte er am Samstag am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz. “Es gibt immer noch Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt”, sagte der Regierungschef. Es gebe aber eine Verständigung darüber, was getan werden müsse.
Sein Büro teilte nach einem Treffen mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in München mit, beide seien sich einig, dass es sehr gute Fortschritte gebe. In Medienberichten hatte es in den vergangenen Tagen geheißen, ein Vertrag zur Beendigung des Konflikts werde in Kürze abgeschlossen.
Das Nordirland-Protokoll ist ein Zusatz zum Brexit-Vertrag. Es sieht für Nordirland besondere Zollregeln vor, um die Grenze zwischen der britischen Provinz und dem EU-Staat Irland offenzuhalten. Durch die Übereinkunft ist aber de facto eine Zollgrenze in der Irischen See entstanden, die Nordirland vom Rest des Vereinigten Königreichs trennt. Dagegen gibt es starken Widerstand in Nordirland. rtr
Der Chef der EU-Außenpolitik, Josep Borrell, unterstützte am Sonntag einen Aufruf an die EU-Mitglieder, gemeinsam Waffen zu kaufen, um der Ukraine zu helfen. Er warnte jedoch, dass dies nicht ausreichen würde, um den dringenden Bedarf Kiews an mehr Munition zu decken.
Borrell reagierte damit auf einen estnischen Vorschlag, die EU solle große Munitionsbestellungen im Namen mehrerer Mitgliedstaaten aufgeben, um die Beschaffung zu beschleunigen und europäische Rüstungsunternehmen zu Investitionen in den Ausbau ihrer Produktionskapazitäten zu bewegen.
EU-Beamte und Diplomaten sagen, dass sie dringend die Möglichkeit einer gemeinsamen Beschaffung von 155-Millimeter-Artilleriegranaten prüfen, um Kiew bei der Verteidigung gegen Russland zu unterstützen. Die EU-Außenminister werden voraussichtlich am Montag in Brüssel über den estnischen Plan beraten.
Bei einer Podiumsdiskussion mit dem estnischen Premierminister Kaja Kallas am Sonntag in München sagte Borrell: “Ich stimme dem Vorschlag des estnischen Premierministers voll und ganz zu, wir arbeiten daran und es wird funktionieren.”
In einer Rede vor der Diskussion sagte Borrell jedoch, dass die gemeinsame Beschaffung nur mittelfristig Früchte tragen könne. Im Moment müssten die ukrainischen Unterstützer schnell Nachschub aus den vorhandenen Beständen schicken. “Dieser Munitionsmangel muss schnell behoben werden. Es ist eine Frage von Wochen”, sagte er. rtr
Die Europäische Kommission hat das Handelsabkommen zwischen der EU und Neuseeland dem Rat zur Unterzeichnung übermittelt. Damit ist es der Ratifizierung einen großen Schritt näher gekommen. Sobald die 27 Mitgliedstaaten zugestimmt haben, können die EU und Neuseeland das Abkommen unterzeichnen. Stimmt anschließend auch das Europäische Parlament zu, kann das Abkommen in Kraft treten.
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wies auf die großen Chancen hin, die das Abkommen Unternehmen, Landwirten und Verbrauchern auf beiden Seiten bietet. Es werde auch dazu beitragen, gerechtes und grünes Wachstum herbeizuführen und den Industrieplan für den Grünen Deal fördern. So werde es der EU dabei helfen, Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen.
Die Kommission erwartet, dass das Abkommen der EU erhebliche Vorteile bringen wird. “Der bilaterale Handel dürfte um bis zu 30 Prozent wachsen, während sich die jährlichen EU-Ausfuhren um bis zu 4,5 Milliarden Euro erhöhen könnten”, schreibt die Kommission. Auch könnten die EU-Investitionen in Neuseeland um bis zu 80 Prozent steigen. Zudem erwartet die Kommission, dass das Abkommen Unternehmen in der EU ab dem ersten Jahr der Anwendung einen Zollabbau in Höhe von jährlich etwa 140 Millionen Euro bescheren kann. vis
Wie werden Religionen in Europa gesehen? Welche Initiativen beschäftigen sich in Deutschland und anderen Ländern zum Beispiel mit dem Islam? Wie geht die Politik mit Muslimen und Vertretern anderer Glaubensrichtungen um? Das sind einige der Fragen, mit denen sich Tomáš Sacher gemeinsam mit der Narrative Change Academy der Jungen Islam Konferenz beschäftigen möchte. “In diesem neuen Projekt der Stiftung arbeiten wir mit jungen Menschen aus drei europäischen Ländern zum Thema Islam in Europa und wollen damit zu einer konstruktiven Debattenkultur beitragen”, erklärt der 39-Jährige.
Auch in anderen Programmen der Schwarzkopf-Stiftung Junges Europa, deren Geschäftsführer Sacher seit dem 1. Januar ist, möchte er die Zusammenarbeit mit europäischen Partnern verstärken. “Im Bildungsprojekt Unterstanding Europe versuchen wir beispielsweise, junge Menschen auch in kleineren Orten abseits der Großstädte zu erreichen, die sich normalerweise kaum Gedanken über ihre europäische Identität machen”, erklärt er.
Tomáš Sacher kommt ursprünglich aus Tschechien und lebt seit mehr als Jahren mit seiner deutschen Frau in Berlin. Die gemeinsamen vier Kinder wachsen nicht nur mit Deutsch und Tschechisch auf, sondern lernen an bilingualen Schulen auch Englisch, dazu teilweise Spanisch, teilweise Französisch. Der älteste Sohn verbringt gerade ein Erasmus-Semester in Prag.
Die Schwarzkopf-Stiftung bietet dem Familienvater die Möglichkeit, die europäische Idee auch am Arbeitsplatz tagtäglich zu leben: Die rund 50 Mitarbeiter kommen aus unterschiedlichsten europäischen Ländern, leben teilweise auch im Ausland und nehmen per Videokonferenz an gemeinsamen Terminen teil. Die einwöchigen Sitzungen des European Youth Parliaments finden zweimal im Jahr – und immer an anderen Orten – statt.
Auch in seinen vorherigen beruflichen Stationen hat Tomáš Sacher immer nach Wegen gesucht, auf europäischer Ebene den Zusammenhalt in der Gesellschaft zu stärken. Zuletzt leitete er das internationale Kulturprogramm der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft. Davor war der promovierte Medien- und Kommunikationswissenschaftler Präsident des Netzwerks der Europäischen Kulturinstitute und Direktor des Tschechischen Zentrums Berlin.
Zwei Jahre lang reiste er nach seinem Studium als Moderator und Journalist durch europäische Länder. Unter anderem berichtete er vor 13 Jahren für eine große tschechische Wochenzeitung über die ukrainische Präsidentschaftswahl und die Maidan-Proteste – eine Erfahrung, die auch seinen Blick auf den aktuellen Krieg prägt. “In der Ukraine bin ich Menschen begegnet, die bereit waren, für ihre Chance auf eine Zukunft in Europa alles zu opfern“, sagt er. Den russischen Krieg in der Ukraine erlebe er jetzt als Weckruf an alle politisch aktiven Menschen in Europa: “Wir müssen die Ziele verteidigen, die wir bereits erreicht haben”. Janna Degener-Storr
die Zeitenwende, die Bundeskanzler Scholz am 27. Februar vergangenen Jahres verkündete, habe viele Erwartungen an der gesamten Nato-Ostflanke geweckt, sagt Rolf Nikel. Bei unseren polnischen Nachbarn ganz besonders, weiß der ehemalige deutsche Botschafter in Polen. “Jetzt muss es darum gehen, durch Handlungen Vertrauen wiederherzustellen. Deutschland steht da noch mehr in der Pflicht als früher”, sagt Nikel, der heute Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik ist, im Gespräch mit Till Hoppe und Viktor Funk.
Eine Zeitenwende ganz anderer Art will die Kommission mit dem Digital Services Act in der Online-Welt erreichen. Viele Plattformen haben es spannend gemacht: Wer ihre Veröffentlichung zu den Nutzerzahlen finden wollte, musste zum Teil detektivisches Gespür entwickeln. Aber die Kommission hatte keine Vorschriften gemacht, wo genau diese für den Digital Services Act so wichtige Zahl online veröffentlicht werden muss. Und sie wird auch noch einmal nachhaken, weil sie sich nicht damit zufriedengeben wird, dass einige Plattformen keine konkreten Zahlen nennen. Auch Deutschland hat in Sachen DSA noch einiges zu erledigen, was genau, das können Sie in meiner Analyse lesen.
Gehen sie zusammen oder doch getrennt? Trotz aller Beteuerungen, “Hand in Hand” in die Nato zu gehen, könnte Finnland bereits im Sommer beitreten, – allerdings ohne Schweden. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz haben beide Seiten auf offener Bühne zwar Einigkeit demonstriert. Doch hinter den Kulissen sprachen sich finnische Politiker für einen Alleingang aus, wie meine Kollegin Nana Brink von Security.Table schreibt.
Neben hochrangigen Regierungsvertretern und Verteidigungsexperten vieler Länder nutzten auch Mitglieder der Europäischen Kommission die Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) als Plattform für Gespräche und Botschaften. So auch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die mit dem britischen Premier über Nordirland sprach, und der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell, der sich zu gemeinsamen europäischen Waffenbestellungen äußerte.
Wenn Sie noch mehr über die Ergebnisse der Münchner Sicherheitskonferenz erfahren möchten, dann empfehle ich Ihnen das MSC Spezial von Security.Table.
Ich wünsche Ihnen einen guten Start in die Woche,
Herr Nikel, Sie warnen vor einem tiefen Zerwürfnis zwischen Deutschland und Polen, verursacht durch die Fehler in der deutschen Politik gegenüber Russland.
Das Zerwürfnis betrifft die politische Ebene, nicht den zivilgesellschaftlichen Austausch und die boomende Wirtschaft. Deutschland muss nach seiner gescheiterten Russlandpolitik verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen. Diese Politik haben diverse Bundesregierungen, große Teile der deutschen Wirtschaft und der deutschen Öffentlichkeit mitgetragen. Polen, nicht nur die heutige Regierungspartei PiS, hat uns immer wieder gesagt, dass wir sicherheitspolitisch zu naiv seien und uns energiepolitisch viel zu abhängig gemacht haben von Russland. Wir wollten das nicht hören.
Glaubt man in Warschau den Beteuerungen aus Berlin, daraus gelernt zu haben?
Die Zeitenwende, die Bundeskanzler Scholz am 27. Februar letzten Jahres verkündete, hat viele Erwartungen an der gesamten Nato-Ostflanke geweckt. In Polen ganz besonders. Jetzt muss es darum gehen, durch Handlungen Vertrauen wiederherzustellen. Deutschland steht da noch mehr in der Pflicht als früher.
Verfolgen Warschau und Berlin überhaupt die gleichen Ziele gegenüber Moskau?
Polen will Russland und seine Menschen möglichst komplett isolieren, Deutschland will Moskau eindämmen, wirtschaftlich schwächen und politisch isolieren. Polen betrachtet Deutschland noch immer als einen politischen Gegenspieler, wenn es um Russland geht. Trotzdem besteht jetzt eine bessere Chance für eine gemeinsame Russlandpolitik auf Augenhöhe, da die Bundesregierung sich in der Russland-Politik auf Polen zubewegt hat wie nie zuvor.
Auch dann, wenn aus Polen wieder Forderungen an Deutschland nach hohen Reparationen kommen?
Diese tragen sicherlich nicht dazu bei, geschlossen gegen Putin aufzutreten. Deutschland hat eine 180-Grad-Wende vollzogen: in der Russland- und Ukrainepolitik, energiepolitisch und auch bei der EU-Erweiterung. Das bietet die strategische Chance, auf Augenhöhe miteinander zu reden und zu handeln.
Die Ankündigung der Bundesregierung, den Kampfpanzer Leopard zu liefern, müsste doch von Polen positiv bewertet werden. Immerhin hat es genau das gefordert.
Wird sie auch. Die Entscheidung von Kanzler Scholz ist sehr wichtig. Aber jetzt zeigt sich, dass sich da manche hinter Deutschland versteckt haben, die laut nach Panzerlieferungen gerufen haben. Wer A sagt, sollte auch B sagen können.
Was sollte Berlin noch tun?
In der aktuellen Lage spielt die Stärkung des Nato-Bündnisses eine wichtige Rolle, besonders der Ostflanke. Das heißt, wir müssen die Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr stärken. Das Zwei-Prozent-Ziel ist dabei nur ein Schritt. Dann lägen wir bei etwa 70 Milliarden Euro im Jahr, das wird von manchen aber nicht unbedingt mit Enthusiasmus aufgenommen, auch nicht in Polen. Daher wäre eine noch stärkere Einbettung in EU und Nato wünschenswert. Das ist auch eine Frage der Kommunikation. Und: Bei aller notwendigen Besonnenheit, wir müssen der Ukraine alles geben, was sie in der gegenwärtigen Situation braucht. Damit sie diesen Krieg gewinnt.
Wie blicken die Polen auf die Forderungen in den offenen Briefen aus Deutschland nach Friedensverhandlungen zwischen Kiew und Moskau?
Diese innerdeutsche Debatte wird in Polen überhaupt nicht verstanden. Sie schadet sogar, denn die Forderungen werden als zynisch verstanden, weil sie drohen, einem Aggressionsopfer die nötige Hilfe zu verweigern und Zweifel an der Zeitenwende in der deutschen Öffentlichkeit wecken. In Polen gilt das Rational von Marschall Józef Piłsudski, der Symbolfigur der polnischen Unabhängigkeit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, dass es keine polnische Freiheit ohne eine unabhängige Ukraine geben könne.
Warschau setzt sehr stark auf die USA als Sicherheitsgaranten. Was bedeutet das für die Bemühungen, die europäische Verteidigungsfähigkeit zu stärken?
Der bisherige Verlauf des Kriegs hat gezeigt, wie wichtig die USA für uns Europäer insgesamt sind. Wir müssen zuerst anerkennen, dass Warschau in Zukunft eine wichtige Rolle in dem sich abzeichnenden neuen systemischen Konflikt zwischen Russland und dem Westen spielen wird. Polen wird zum neuen Frontstaat, so wie Deutschland während des Kalten Krieges. Washington hat aber kein Interesse daran, dass dieser Staat im Konflikt mit Brüssel und Berlin steht. Insofern setzt sich die US-Administration für größtmöglichen europäische und westliche Geschlossenheit ein.
Wie lässt sich die Abstimmung hier verbessern?
Wir brauchen eine echte gemeinsame europäische Ostpolitik. Das betrifft die EU-Erweiterungspolitik genauso wie die östliche Partnerschaft. Gespräche mit Polen, allen anderen östlichen EU-Staaten, aber auch Frankreich sind notwendig. Deswegen schlage ich vor, das Format des Weimarer Dreiecks wiederzubeleben. Für alle Fragen, die die Ukraine betreffen, könnte das Weimarer Dreieck um die Ukraine erweitert werden.
Die PiS scheint aber wenig Interesse an enger Zusammenarbeit mit Deutschland zu haben.
Es käme auf einen Versuch an. In Polen stehen bekanntlich in diesem Jahr Wahlen an. Und die Ukraine, die an diesem Format sicherlich großes Interesse hätte, könnte auf Warschau Einfluss ausüben. Polen bekundet immer wieder, dass es die EU-Bestrebungen der Ukraine unterstützt. Hier wäre eine sinnvolle Plattform.
Wie sollte die deutsche Politik damit umgehen, wenn die Deutschland-kritischen Töne im polnischen Wahlkampf lauter werden?
Sich nicht in den Wahlkampf hineinziehen lassen. Cool bleiben. Deutschland ist immer Teil der polnischen Innenpolitik gewesen. Auch in Deutschland sind Wahlkämpfe nicht unbedingt eine Übung in Nuancen.
Sollte sich Berlin auch aus dem Streit zwischen EU-Kommission und Warschau um Justizreform und eingefrorene EU-Mittel heraushalten?
Wir sollten uns jedenfalls hüten, diesen Streit zwischen Polen und der EU-Kommission zu bilateralisieren. Da geht es um Grundwerte, es gibt entsprechende Urteile des Europäischen Gerichtshofes, Entscheidungen der Kommission und lange Diskussionen im EU-Ministerrat. Wir sollten darauf drängen, den Konflikt zu lösen und erste Anzeichen, dass dies gelingen könnte, gibt es ja.
In Ihrem Buch werden Sie für einen Diplomaten durchaus deutlich, berichten aus vertraulichen Gesprächen mit polnischen Politikerinnen und Politikern. Warum?
Ich glaube, man muss auch ab und an Klartext reden, schon gar als Vertreter eines Think-Tanks, der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, der ich seit mehr als zwei Jahren als Vizepräsident diene. Und einige Anekdoten sind ja vielleicht für den Leser auch ganz spannend. Ich habe mich insgesamt zurückgehalten und tue es auch weiterhin.
Das Buch: “Feinde Fremde Freunde. Polen und die Deutschen”, 312 S., 24 Euro; LMV
Rolf Nikel: Rolf Nikel, Jahrgang 1954, begann 1980 seine Karriere beim Auswärtigen Amt. Er war Mitarbeiter in den Botschaften der Sowjetunion, Kenia und Frankreich, bevor er 2014 zum Botschafter in Polen ernannt wurde. Während seiner 40-jährigen Laufbahn im diplomatischen Dienst arbeitete er insgesamt 14 Jahre im Bundeskanzleramt für Helmut Kohl, Gerhard Schröder und Angela Merkel. Seit Juni 2020 ist er Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).
Die EU will es genau wissen. Bis zum 17. Februar mussten Online-Plattformen und Online-Suchmaschinen, die ihre Dienste in der EU anbieten, ihre Nutzerzahlen veröffentlichen. Doch nicht alle wollten ins Detail gehen. Während Google seine Nutzerzahlen bis auf 100.000 genau angab, beschränkten sich Unternehmen wie Amazon oder Apple darauf, lediglich zu sagen, ob sie über oder unter dem Schwellenwert von 45 Millionen Nutzern liegen. Doch das reicht der Kommission nicht. “Das ist nicht genug. Eine Zahl ist eine Zahl”, twitterte Kommissionssprecher Johannes Bahrke. “Wir fordern die Plattformen, die dies noch nicht getan haben, auf, ihre Zahlen rasch zu veröffentlichen!”
Hintergrund für die Zählung ist die Umsetzung des Digital Services Act (DSA), der seit dem 16. November 2022 in Kraft ist. Für sehr große Anbieter gelten verschärfte Regeln, die unter anderem die Umsetzung eines Verhaltenskodex beinhalten. Sehr große Online-Plattformen (Very Large Online Platforms, VLOP) oder sehr große Online-Suchmaschinen (VLOSE) sind solche, die mehr als 45 Millionen aktive Nutzer in der EU haben, was etwa zehn Prozent der EU-Bevölkerung entspricht. Nachdem die Kommission die betreffenden Unternehmen bestimmt hat, haben diese vier Monate Zeit, die jeweils geltenden Anforderungen des DSA umzusetzen. Bei Verstößen drohen Bußgelder von bis zu sechs Prozent des Jahresumsatzes.
In den Guidelines der Kommission steht zwar, dass die Anbieter die Informationen zu den Nutzerzahlen “öffentlich zugänglich machen” müssen, “indem sie sie auf ihren Online-Schnittstellen veröffentlichen”. Dass diese Informationen leicht auffindbar sein oder unter einer bestimmten Rubrik veröffentlicht werden müssen, steht dort nicht. So ist einiges detektivisches Geschick notwendig, die betreffenden Angaben zu finden. Einige veröffentlichten die Zahlen im Impressum, wie die Online-Marktplätze Otto.de, Kaufland.de oder Zalando, andere machen detaillierte Angaben wie Google oder Snapchat.
Zu den Unternehmen, die nach eigenen Angaben zu den VLOPs oder den VLOSEs gehören, weil sie entsprechende Zahlen veröffentlicht haben, zählen die folgenden 19 Plattformen:
Der deutsche Onlinehändler Zalando gibt auf seiner Website an, dass die Gesamtplattform – also inklusive der Drittanbieter – 83,34 Millionen Nutzer habe. 30,84 Millionen davon würden unmittelbar die Dienste des Anbieters selbst nutzen. Damit ist Zalando die einzige deutsche Plattform, die absehbar unmittelbar unter Kommissionsaufsicht fällt.
Denn bei den VLOPs und VLOSEs übernimmt die Kommission die direkte Aufsicht über die Unternehmen. Für alle anderen Plattformen und Suchmaschinen sind die EU-Mitgliedstaaten selbst zuständig, die dafür bis zum 17. Februar 2024 Koordinatoren für digitale Dienste (DSC) ernennen müssen. Ab diesem Zeitpunkt müssen auch Plattformen mit weniger als 45 Millionen aktiven Nutzern alle DSA-Vorschriften einhalten.
Deutschland hat noch keinen Koordinator ernannt. Heißer Kandidat ist die Bundesnetzagentur. Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr wollte am Freitag auf Anfrage jedoch weder bestätigen noch dementieren, dass diese Entscheidung bereits gefallen sei. Das Digitale-Dienste-Gesetz, das deutsche Umsetzungsgesetz zum DSA, mit dem der deutsche Koordinator offiziell benannt werden soll, ist noch in Vorbereitung.
Vorgesehen ist, dass das Gesetz bereits zum 01. Januar 2024 gelten soll. Daher gilt es in Regierungskreisen eher als Frage von Wochen denn von Monaten, wann das Ministerium den Gesetzesentwurf vorstellt. Als schwierig könnte sich dabei die Abstimmung mit den Bundesländern herausstellen: Die hatten zuletzt beim Europäischen Medienfreiheitsgesetz (EMFA) auf die Aufsichtshoheit der Länder und die Staatsferne der Medienaufsicht gepocht.
Mindestens ebenso wichtig wie die Frage, wer der deutsche Koordinator wird, findet Julian Jaursch von der Stiftung Neue Verantwortung die Frage, wie der Koordinator arbeitet. “Egal wer die Aufgabe letztendlich übernimmt, wichtig ist, dass wir eine öffentliche Debatte führen, was wir von diesem Koordinator erwarten“, sagt der Projektleiter Plattformregulierung bei dem Berliner Think Tank. Diskussionspunkte sollten demnach sein:
“Wenn man frühzeitig darüber nachdenkt, kann es nur Vorteile haben”, meint Jaursch. In jedem Fall solle man die Aufgabe des Koordinators nicht unterschätzen, findet er. Denn auch die Plattformen, die weniger als 45 Millionen Nutzende im Monat haben, müssen sich an die Vorschriften des DSA halten. Und hier sind es die Mitgliedstaaten, die etwaige Verstöße ahnden müssen. “Daher wäre es gut, wenn Deutschland einen starken Koordinator mit ausreichend Ressourcen, Expertise und Befugnissen aufbaut”, rät Jaursch.
Aus Verbrauchersicht begrüßt Martin Madej, Referent für Digitales und Medien beim Verbraucherzentrale Bundesverband, das neue europäische Gesetz. “Es ist gut, dass die Rechte der Nutzerinnen und Nutzer nun festgeschrieben sind und damit viel Willkür ein Ende findet.” Die EU habe Standards gesetzt und Verfahren festgelegt. Wichtig sei jetzt, klare Strukturen zu schaffen. “Die Verbraucher brauchen ein einfaches und niedrigschwelliges Verfahren, um ihre Rechte geltend machen zu können”, sagt Madej. “Es darf nicht sein, dass sie im Dschungel der Zuständigkeiten irgendwo verloren gehen. Wir brauchen ein Frontoffice, an das sie sich wenden können. Was dann im Backoffice passiert, das ist kann hochkomplex sein, aber genau das ist dann die Leistung des Koordinators. Das müssen wir schaffen.”
Am Freitag hat die EU-Kommission außerdem eine öffentliche Konsultation zu den DSA-Durchsetzungsverfahren eingeleitet. Sie endet am 16. März.
Der frühere Chef des Euro-Rettungsschirms ESM, Klaus Regling, erhält das Bundesverdienstkreuz für sein jahrzehntelanges Wirken an der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion. Nach Informationen von Table.Media will Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) heute dem “Euro-Retter“, wie Regling gern von den Medien genannt wurde, das Verdienstkreuz 1. Klasse im Bundesfinanzministerium überreichen und die Laudatio halten.
Die Ehrung durch Lindner zum jetzigen Zeitpunkt darf durchaus als Botschaft gewertet werden. Aktuell stemmt sich Lindner in den Verhandlungen über die Reform der europäischen Schuldenregeln vehement gegen eine Aufweichung der Stabilitätskriterien. Der 72-jährige Regling war über Jahrzehnte mit klarer Kante ein Verfechter einer stabilitätsorientierten Währungsunion.
Der am 3. Oktober 1950 in Lübeck geborene Hanseat ist im vergangenen November nach zwölf Jahren an der Spitze des Rettungsschirms, den er aufbaute und dessen Milliardenprogramme in der Schuldenkrise die Währungsunion zusammenhielten, in den Ruhestand gewechselt.
Zuvor hatte Regling 30 Jahre in leitenden Positionen im öffentlichen und privaten Sektor in Europa, Asien und den USA gewirkt, darunter ein Jahrzehnt beim Internationalen Währungsfonds und ein Jahrzehnt beim Bundesfinanzministerium, wo er die Wirtschafts- und Währungsunion in Europa vorbereitete. So arbeite er maßgeblich am Entwurf des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts mit und war später eine der Schlüsselfiguren bei den Verhandlungen über den Vertrag von Maastricht.
Von 2001 bis 2008 war er Generaldirektor für Wirtschaft und Finanzen der Europäischen Kommission. Dort scheute sich der “Beamte mit Prinzipien” (Der Spiegel) nicht, “blaue Briefe” an solche Staaten zu verschicken, die eine überbordende Neuverschuldung aufwiesen, darunter auch an Deutschland. Mit seiner konsequenten Haltung nahm Regling auch einen Streit mit der damaligen Schröder-Regierung in Kauf. cr
Der britische Premierminister Rishi Sunak hat Spekulationen widersprochen, eine Lösung des Nordirland-Streits zwischen der Europäischen Union und Großbritannien stehe kurz bevor. Es gebe mitnichten eine Einigung über das sogenannte Nordirland-Protokoll, sagte er am Samstag am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz. “Es gibt immer noch Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt”, sagte der Regierungschef. Es gebe aber eine Verständigung darüber, was getan werden müsse.
Sein Büro teilte nach einem Treffen mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in München mit, beide seien sich einig, dass es sehr gute Fortschritte gebe. In Medienberichten hatte es in den vergangenen Tagen geheißen, ein Vertrag zur Beendigung des Konflikts werde in Kürze abgeschlossen.
Das Nordirland-Protokoll ist ein Zusatz zum Brexit-Vertrag. Es sieht für Nordirland besondere Zollregeln vor, um die Grenze zwischen der britischen Provinz und dem EU-Staat Irland offenzuhalten. Durch die Übereinkunft ist aber de facto eine Zollgrenze in der Irischen See entstanden, die Nordirland vom Rest des Vereinigten Königreichs trennt. Dagegen gibt es starken Widerstand in Nordirland. rtr
Der Chef der EU-Außenpolitik, Josep Borrell, unterstützte am Sonntag einen Aufruf an die EU-Mitglieder, gemeinsam Waffen zu kaufen, um der Ukraine zu helfen. Er warnte jedoch, dass dies nicht ausreichen würde, um den dringenden Bedarf Kiews an mehr Munition zu decken.
Borrell reagierte damit auf einen estnischen Vorschlag, die EU solle große Munitionsbestellungen im Namen mehrerer Mitgliedstaaten aufgeben, um die Beschaffung zu beschleunigen und europäische Rüstungsunternehmen zu Investitionen in den Ausbau ihrer Produktionskapazitäten zu bewegen.
EU-Beamte und Diplomaten sagen, dass sie dringend die Möglichkeit einer gemeinsamen Beschaffung von 155-Millimeter-Artilleriegranaten prüfen, um Kiew bei der Verteidigung gegen Russland zu unterstützen. Die EU-Außenminister werden voraussichtlich am Montag in Brüssel über den estnischen Plan beraten.
Bei einer Podiumsdiskussion mit dem estnischen Premierminister Kaja Kallas am Sonntag in München sagte Borrell: “Ich stimme dem Vorschlag des estnischen Premierministers voll und ganz zu, wir arbeiten daran und es wird funktionieren.”
In einer Rede vor der Diskussion sagte Borrell jedoch, dass die gemeinsame Beschaffung nur mittelfristig Früchte tragen könne. Im Moment müssten die ukrainischen Unterstützer schnell Nachschub aus den vorhandenen Beständen schicken. “Dieser Munitionsmangel muss schnell behoben werden. Es ist eine Frage von Wochen”, sagte er. rtr
Die Europäische Kommission hat das Handelsabkommen zwischen der EU und Neuseeland dem Rat zur Unterzeichnung übermittelt. Damit ist es der Ratifizierung einen großen Schritt näher gekommen. Sobald die 27 Mitgliedstaaten zugestimmt haben, können die EU und Neuseeland das Abkommen unterzeichnen. Stimmt anschließend auch das Europäische Parlament zu, kann das Abkommen in Kraft treten.
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wies auf die großen Chancen hin, die das Abkommen Unternehmen, Landwirten und Verbrauchern auf beiden Seiten bietet. Es werde auch dazu beitragen, gerechtes und grünes Wachstum herbeizuführen und den Industrieplan für den Grünen Deal fördern. So werde es der EU dabei helfen, Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen.
Die Kommission erwartet, dass das Abkommen der EU erhebliche Vorteile bringen wird. “Der bilaterale Handel dürfte um bis zu 30 Prozent wachsen, während sich die jährlichen EU-Ausfuhren um bis zu 4,5 Milliarden Euro erhöhen könnten”, schreibt die Kommission. Auch könnten die EU-Investitionen in Neuseeland um bis zu 80 Prozent steigen. Zudem erwartet die Kommission, dass das Abkommen Unternehmen in der EU ab dem ersten Jahr der Anwendung einen Zollabbau in Höhe von jährlich etwa 140 Millionen Euro bescheren kann. vis
Wie werden Religionen in Europa gesehen? Welche Initiativen beschäftigen sich in Deutschland und anderen Ländern zum Beispiel mit dem Islam? Wie geht die Politik mit Muslimen und Vertretern anderer Glaubensrichtungen um? Das sind einige der Fragen, mit denen sich Tomáš Sacher gemeinsam mit der Narrative Change Academy der Jungen Islam Konferenz beschäftigen möchte. “In diesem neuen Projekt der Stiftung arbeiten wir mit jungen Menschen aus drei europäischen Ländern zum Thema Islam in Europa und wollen damit zu einer konstruktiven Debattenkultur beitragen”, erklärt der 39-Jährige.
Auch in anderen Programmen der Schwarzkopf-Stiftung Junges Europa, deren Geschäftsführer Sacher seit dem 1. Januar ist, möchte er die Zusammenarbeit mit europäischen Partnern verstärken. “Im Bildungsprojekt Unterstanding Europe versuchen wir beispielsweise, junge Menschen auch in kleineren Orten abseits der Großstädte zu erreichen, die sich normalerweise kaum Gedanken über ihre europäische Identität machen”, erklärt er.
Tomáš Sacher kommt ursprünglich aus Tschechien und lebt seit mehr als Jahren mit seiner deutschen Frau in Berlin. Die gemeinsamen vier Kinder wachsen nicht nur mit Deutsch und Tschechisch auf, sondern lernen an bilingualen Schulen auch Englisch, dazu teilweise Spanisch, teilweise Französisch. Der älteste Sohn verbringt gerade ein Erasmus-Semester in Prag.
Die Schwarzkopf-Stiftung bietet dem Familienvater die Möglichkeit, die europäische Idee auch am Arbeitsplatz tagtäglich zu leben: Die rund 50 Mitarbeiter kommen aus unterschiedlichsten europäischen Ländern, leben teilweise auch im Ausland und nehmen per Videokonferenz an gemeinsamen Terminen teil. Die einwöchigen Sitzungen des European Youth Parliaments finden zweimal im Jahr – und immer an anderen Orten – statt.
Auch in seinen vorherigen beruflichen Stationen hat Tomáš Sacher immer nach Wegen gesucht, auf europäischer Ebene den Zusammenhalt in der Gesellschaft zu stärken. Zuletzt leitete er das internationale Kulturprogramm der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft. Davor war der promovierte Medien- und Kommunikationswissenschaftler Präsident des Netzwerks der Europäischen Kulturinstitute und Direktor des Tschechischen Zentrums Berlin.
Zwei Jahre lang reiste er nach seinem Studium als Moderator und Journalist durch europäische Länder. Unter anderem berichtete er vor 13 Jahren für eine große tschechische Wochenzeitung über die ukrainische Präsidentschaftswahl und die Maidan-Proteste – eine Erfahrung, die auch seinen Blick auf den aktuellen Krieg prägt. “In der Ukraine bin ich Menschen begegnet, die bereit waren, für ihre Chance auf eine Zukunft in Europa alles zu opfern“, sagt er. Den russischen Krieg in der Ukraine erlebe er jetzt als Weckruf an alle politisch aktiven Menschen in Europa: “Wir müssen die Ziele verteidigen, die wir bereits erreicht haben”. Janna Degener-Storr