Table.Briefing: Europe

Mögliche EU-Kommissare + Ärger um Wasserstoff-Quoten + Spitzenkandidaten auf Tiktok

Liebe Leserin, lieber Leser,

wenn die Stimmzettel für die Europawahl am kommenden Montag fertig ausgezählt sind, dann beginnt der Poker um Posten und Einfluss in Brüssel erst richtig. Trotz der Animositäten von Charles Michel und trotz aller Spekulationen um Mario Draghi: Ursula von der Leyen hat nach wie vor die deutlichste Perspektive, auch die neue Kommissionspräsidentin zu werden. Ihre EVP wird voraussichtlich klar stärkste Kraft im neuen Europaparlament, und im Kreis der Staats- und Regierungschefs hat sie mächtige Fürsprecher – darunter Olaf Scholz.

Sicher fühlen kann sich von der Leyen dennoch nicht. Sollte die CDU-Politikerin im Rat durchfallen oder im Europaparlament keine Mehrheit erhalten, sind in Berlin die Grünen am Zuge. Sie haben sich im Ampel-Koalitionsvertrag das Recht festschreiben lassen, den neuen deutschen Kommissar vorzuschlagen, “sofern die Kommissionspräsidentin nicht aus Deutschland stammt”.

Hoch gehandelt wird Franziska Brantner, Parlamentarische Staatssekretärin bei Wirtschaftsminister Robert Habeck. Sie war von 2009 bis 2013 Mitglied im Europäischen Parlament, gilt als bestens vernetzt in Brüssel, außerdem als harte Verhandlerin. Für Habeck wäre das aber ein Verlust, wie meine Kollegin Helene Bubrowski im Berlin.Table schreibt: Brantner wird im grünen Bundestagswahlkampf, den voraussichtlich Habeck als Kanzlerkandidat anführen wird, eine prominente Rolle zugeschrieben. In ihrem Umfeld werden Ambitionen auf den Brüssel-Posten aber bestritten.

Auch der Name Sven Giegold fällt, beamteter Staatssekretär bei Habeck. Er saß bis 2021 im Europäischen Parlament. Allerdings gilt er als Einzelkämpfer, der als Amtschef seine Rolle gefunden habe. Im Gespräch ist laut Helene auch Tarek Al-Wazir, der langjährige hessische Wirtschaftsminister. Allerdings würde die Personalie den Grünen das Narrativ bescheren, dass ein Wahlverlierer nach Brüssel geschickt wird – einen Ruf, den sie nicht haben möchten. Ein Gerücht, das die BILD-Zeitung verbreitet hatte, dürfte sich hingegen als Luftnummer entpuppen: Annalena Baerbock soll nicht nach Brüssel gehen. Zumindest jetzt nicht.

In dieser Ausgabe geben wir Ihnen zudem einen ersten Überblick, wen die anderen Mitgliedstaaten in die neue Kommission entsenden könnten. Manches davon ist noch spekulativ – aber manchmal macht ja genau das den Reiz aus für die Lektüre.

Ihr
Till Hoppe
Bild von Till  Hoppe

Analyse

Das sind die möglichen Kommissare nach den Europawahlen

Der Zeitplan ist eng: Gelingt es Ursula von der Leyen, die Staats- und Regierungschefs hinter sich zu scharen und im Europaparlament eine Mehrheit zu organisieren, könnten die Abgeordneten sie bereits bei ihrer ersten Sitzungswoche Mitte Juli erneut zur Kommissionspräsidentin wählen.

Dann könnte die CDU-Politikerin die Sommerpause nutzen, um Gespräche mit den nationalen Kandidaten für die Kommission zu führen und deren Aufgabenbereiche in Absprache mit den Hauptstädten zuzuschneiden. Im September würden sich die Nominierten dann den Anhörungen in den Ausschüssen des Europaparlaments stellen. Wenn die Abgeordneten die Kommission als ganze bestätigen, könnte sie im November die Arbeit aufnehmen.

Es könnte aber auch ganz anders kommen – die Europawahl und der anschließende Machtpoker bringen zahlreiche Unwägbarkeiten mit sich, nicht nur für von der Leyen. In Belgien und Bulgarien werden zudem auch die nationalen Parlamente neu gewählt. Daher ist noch völlig unklar, wen die Wahlsieger für die Kommission vorschlagen werden.

Wir geben Ihnen einen Überblick über den Stand der Diskussionen. Teil zwei folgt morgen.

Dänemark

Als möglicher Kommissar wird Dan Jørgensen gehandelt, der Sozialdemokrat ist derzeit Minister für Entwicklungszusammenarbeit und globale Klimapolitik. Allerdings werden auch Premierministerin Mette Frederiksen bisweilen Ambitionen nachgesagt, von Kopenhagen nach Brüssel zu wechseln. Ihre Koalition ist zu Hause ähnlich unbeliebt wie die Berliner Ampel. Die Sozialdemokratin käme angesichts ihrer Regierungserfahrung als Ratspräsidentin infrage, doch ihre Aussichten wären dem Vernehmen nach nicht sonderlich gut. Frederiksen könnte sich daher theoretisch selbst für die Kommission vorschlagen – allerdings wäre der Job für sie wohl nur dann attraktiv, wenn sie erste Stellvertreterin der Kommissionspräsidentin würde. Den Posten streben allerdings auch andere an – etwa die spanische Kandidatin Teresa Ribeira.

Deutschland

Kanzler Olaf Scholz hat trotz der unterschiedlichen Parteibücher ein Interesse daran, dass Ursula von der Leyen Kommissionspräsidentin bleibt. Sollte die CDU-Politikerin scheitern, bekäme Berlin kaum noch einmal Zugriff auf den wichtigsten Posten in Brüssel. Dann wären die Grünen am Zuge, sie haben sich im Ampel-Koalitionsvertrag das Recht festschreiben lassen, den neuen deutschen Kommissar vorzuschlagen, “sofern die Kommissionspräsidentin nicht aus Deutschland stammt”.

Als mögliche Namen wird etwa Franziska Brantner gehandelt, Parlamentarische Staatssekretärin bei Wirtschaftsminister Robert Habeck. Denkbar wären auch Sven Giegold, beamteter Staatssekretär im BMWK, und Tarek Al-Wazir, der langjährige hessische Wirtschaftsminister.

Estland

Immer wieder fällt der Name von Premierministerin Kaja Kallas, wenn es um die Frage geht, wen Estland für die künftige Kommission nominiert. Sogar Kadri Simson, die aktuelle Kommissarin für Energie, hat sich geäußert: Sie glaube, sagte sie dem estnischen Rundfunk ERR, dass Kallas sich nach den Wahlen um einen Job in Brüssel bewerben werde. 

Die liberale Politikerin hat sich als unermüdliche Mahnerin für eine entschiedene Unterstützung der Ukraine und einen harten Kurs gegen Russland hervorgetan. “Was einen Aggressor wie Russland provoziert, ist Schwäche”, ist eine typische Kallas-Aussage. Sie wird insbesondere als mögliche Nachfolgerin des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell gehandelt – oder als Verteidigungskommissarin.

Finnland

Als größte Regierungspartei wird die Nationale Sammlungspartei von Ministerpräsident Petteri Orpo (EVP) den neuen Kommissar vorschlagen. Als wahrscheinlichster Kandidat gilt die erfahrene Europaabgeordnete Henna Virkkunen. Denn Orpo hat signalisiert, dass er jemanden nominieren möchte, der bei der Europawahl kandidiert hat.

Frankreich

Allein Emmanuel Macron entscheidet über die Nominierung. Und der Staatspräsident ist bekannt dafür, Personalien so lange wie möglich offenzulassen. Klar ist: Binnenmarktkommissar Thierry Breton hofft auf eine zweite Amtszeit. Allerdings hat der rührige Kommissar Macron mit einem seiner Tweets verärgert, mit dem er beim EVP-Kongress im März seine Chefin Ursula von der Leyen attackierte. Als Alternativen werden in Paris Finanz- und Wirtschaftsminister Bruno Le Maire oder Ex-Verkehrsminister Clément Beaune gehandelt. Aber Macron ist auch jederzeit für eine Überraschung gut.

Griechenland

Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis entscheidet, wen er schickt. Die besten Aussichten auf eine erneute Nominierung hat wohl der aktuelle Kommissionsvize Margarítis Schinás.

Irland

Kommissarin Mairead McGuinness würde gern weitermachen und würde von ihrem Profil her zum Agrarressort passen. Sie gehört der Partei Fine Gael von Ministerpräsident Simon Harris an, die zur EVP gehört. Doch in der Koalition ist vereinbart, dass der zweitgrößte Koalitionspartner Fianna Fáil den nächsten Kommissar stellt. Charlie McConalogue könnte dies sein. Allerdings wird in Irland in den nächsten sieben Monaten gewählt, wodurch sich noch etwas ändern könnte.

Italien

Ministerpräsidentin Giorgia Meloni lässt sich bislang nicht in die Karten schauen. Als möglicher Kandidat gehandelt wird etwa Außenminister Antonio Tajani: Der 70-Jährige von der Forza Italia war bereits von 2008 bis 2014 Mitglied der Kommission, zunächst verantwortlich für Verkehr, später für Unternehmen und Industrie. Tajani ist in Brüssel gut vernetzt und angesehen. In den vergangenen Wochen hat er sich öffentlich vehement für die Ernennung eines EU-Verteidigungskommissars eingesetzt – gut möglich, dass er sich selbst in dieser Rolle sieht.

Ein anderer Name ist Raffaele Fitto: Der Minister für Europäische Angelegenheiten war von 2014 bis 2022 Mitglied des Europäischen Parlaments, zunächst für die Forza Italia, zuletzt für Melonis Fratelli. Bis zu seinem Wechsel in die Regierung in Rom im Herbst 2022 war er Co-Vorsitzender der EKR-Fraktion. Fitto ist im Kabinett Meloni für die rund 200 Milliarden Euro aus dem EU-Wiederaufbaufonds zuständig und versicherte erst vor Kurzem, Italien verfolge “mit extremer Strenge” die mit Brüssel vereinbarten Ziele.

Weniger leicht vermittelbar wäre Francesco Lollobrigida, aktuell Landwirtschaftsminister. Der 52-Jährige ist Mitglied der Fratelli, Melonis Schwager und zählt zum recht kleinen Kreis derer, denen Meloni vertraut. Allerdings wäre seine Nominierung ein großes Risiko für die Ministerpräsidentin: Lollobrigida fällt immer wieder mit unpassenden Äußerungen auf, unter anderem spricht er von der “Gefahr eines ethnischen Austauschs”.

Kroatien

Nach der Parlamentswahl im April ist die HDZ von Ministerpräsident Andrej Plenković (EVP) eine Koalition mit der ultrarechten Partei DP eingegangen. Plenković dürfte die bisherige Kommissionsvizepräsidentin Dubravka Šuica erneut vorschlagen.

Lettland

Der künftige lettische Kommissar wird möglicherweise wieder Valdis Dombrovskis heißen. Der Exekutiv-Vizepräsident der EU-Kommission, zuständig für eine Wirtschaft im Dienste der Menschen, seit 2020 auch für Handel, geht als Spitzenkandidat der Regierungspartei Jaunā Vienotība (Neue Einigkeit) in die Europawahlen. Auf ihrer Website wirbt die Partei mit dem Slogan “Europäische Erfahrung für ein sicheres Lettland”, daneben ist Dombrovskis zu sehen. Der 52-Jährige ist seit 2014 Mitglied der Kommission und dort aktuell der ranghöchste Vertreter der EVP nach Präsidentin Ursula von der Leyen.

Dombrovskis hat schon vor einer Weile den Wunsch geäußert, Kommissar zu bleiben. Seine Kernthemen im Europa-Wahlkampf: Unterstützung der Ukraine, Wettbewerbsfähigkeit und Sicherheit. Mit Krišjānis Kariņš hat – oder hatte – Dombrovskis einen prominenten innerparteilichen Konkurrenten um den Posten des Kommissars. Doch Kariņš ist in den vergangenen Monaten wegen einer Flugaffäre massiv unter Druck geraten. Ende März ist er vom Amt des Außenministers zurückgetreten.

Litauen

Der wohl offensichtlichste Kandidat ist Gabrielius Landsbergis. Wie Estlands Premierministerin Kaja Kallas hat sich der litauische Außenminister und TS-LKD-Vorsitzende mit seiner klaren Haltung zum russischen Krieg in der Ukraine einen Namen gemacht. Kürzlich stellte er sich etwa hinter Frankreichs Präsident Macron, als dieser sagte, er schließe die Entsendung von Bodentruppen in die Ukraine nicht aus. Manche empfinden Landsbergis’ Rhetorik jedoch bisweilen als zu schrill, was seine Aussicht etwa auf den Posten als EU-Außenbeauftragter trüben dürfte.

Luxemburg

Die konservativ-liberale Koalitionsregierung von Premier Luc Frieden hat eigentlich vereinbart, den früheren Europaabgeordneten Christophe Hansen zu nominieren. Allerdings haben die europäischen Sozialdemokraten den Luxemburger Nicolas Schmit zu ihrem Spitzenkandidaten erkoren – und drängen Frieden nun, den bisherigen Arbeitskommissar nach der Wahl erneut aufzustellen. Ihr Argument: Als Spitzenkandidat der wohl zweitgrößten Parteienfamilie könnte Schmit für Luxemburg einen Posten als Vizepräsident mit wichtigem Portfolio fordern. Mit Hansen hingegen müsse das kleine Großherzogtum hingegen mit einem wenig relevanten Themengebiet vorliebnehmen. Von Till Hoppe, Sarah Schaefer, Almut Siefert, Claire Stam

  • Christophe Hansen
  • EU-Verteidigungskommissar
  • Europäische Kommission
  • Europawahlen 2024
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Wasserstoff: Was Industrie und BMWK besorgt

Ein neues Kommissionsdokument sorgt schon vor seinem Erscheinen für Unruhe in der europäischen Industrie und unter den EU-Staaten. Spätestens im Herbst will die Kommission Leitlinien veröffentlichen, um rechtliche Unklarheiten beim Industrieziel für grünen Wasserstoff auszuräumen. Brüsseler Kreise warnen vor zwei schwerwiegenden Folgen für Europas verarbeitendes Gewerbe.

Die Kommission erwäge, mit den Leitlinien die ab 2030 geltende Quote für grünen Wasserstoff auf Derivate wie Ammoniak und Methanol auszudehnen. Das bestätigten Table.Briefings zwei Quellen, die nicht namentlich genannt werden wollten. Die Verpflichtung für die Industrie zum Einsatz grünen Wasserstoffs könne dadurch um mindestens 40 Prozent steigen. Zudem würde der Import industrieller Güter auf Basis von Wasserstoff noch attraktiver – zulasten der europäischen Produktion.

BMWK will “der Zielerreichung förderliche Auslegung”

Das Bundeswirtschaftsministerium nimmt die Angelegenheit so ernst, dass es derzeit nach externer juristischer Beratung sucht. Eins der Ziele sei eine “rechtssichere, praktikable und der Zielerreichung förderliche Anwendung und Auslegung der Vorschriften”, heißt es in der öffentlichen Ausschreibung der Industrieabteilung. Für den 24. Mai hatte die EU-Kommission Experten aus Mitgliedstaaten und Verbänden bereits zu einem Workshop eingeladen, um über das Problem zu beraten.

Hintergrund für den Streit ist ein einzelnes Wort aus der Erneuerbare-Energien-Richtlinie. Parlament und Mitgliedstaaten hatten im vergangenen Jahr vereinbart, dass die Industrie ab 2030 bereits 42 Prozent ihres Wasserstoffs aus erneuerbaren Kraftstoffen nicht biogenen Ursprungs (RFNBO) decken muss. Derivate wie Ammoniak und Methanol schließt der Begriff RFNBO ein.

Kommission arbeitet an einheitlichem Vorgehen

Die Berechnung der Quote bezieht sich laut der Richtlinie aber auf RFNBO im Zähler und auf “Wasserstoff” im Nenner. Bei wortgetreuer Auslegung müssten die EU-Staaten also ihren Verbrauch an Wasserstoffderivaten nicht durch RFNBO ersetzen.

Im April habe die Generaldirektion Energie die Konsequenzen erstmals thematisiert, ist in Brüssel zu hören. Derzeit sei die Kommission selbst noch dabei, die Folgen für den Bedarf an grünem Wasserstoff zu quantifizieren, sagte ein Kommissionsbeamter zu Table.Briefings. Teilweise seien die fraglichen Mengen Geschäftsgeheimnisse. Ziel sei aber eine einheitliche Auslegung durch die Mitgliedstaaten.

Von anderer Seite heißt es, die Kommission halte den Begriff “Wasserstoff” für auslegungsbedürftig, was ihr nach eigener Ansicht Spielraum verschaffe, durch die Leitlinien auch Derivate in der Berechnung zu berücksichtigen.

Import von Endprodukten würde Quote umgehen

Die Industrie befürchtet für diesen Fall negative Folgen für die europäische Produktion. “Die Einbeziehung von Ammoniak und Methanol kann Anreize für die Einfuhr von Endprodukten schaffen, die nicht mit einem teuren RFNBO-Ziel in Einklang stehen müssen”, sagt ein Industrievertreter. Ohne die Ausweitung des Anwendungsbereichs sei es attraktiver, Derivate zu importieren und sie in Europa zu Endprodukten weiterzuverarbeiten.

Nach Ansicht des Abgeordneten Markus Pieper (CDU) droht die Kommission, mit einer Neudeutung des Wasserstoff-Begriffs durch rechtlich unverbindliche Leitlinien ihre Kompetenzen zu überschreiten. “Es kann nicht sein, dass die Kommission versucht, ein hart verhandeltes Gesetz nachträglich durch die Hintertür umzugestalten”, sagt der Berichterstatter der Erneuerbaren-Richtlinie. “Die Kommission würde die Gefahr einer Deindustrialisierung in Europa massiv anheizen. Wir bestehen darauf, dass die RFNBO-Quote für die Industrie so umgesetzt wird wie ausverhandelt.”

Weitere Ausnahmen warten auf nationale Umsetzung

Auslegungsbedürftig findet das Bundeswirtschaftsministerium zudem weitere Ausnahmen der Richtlinie. Bei der Berechnung des zu ersetzenden Verbrauchs darf zum Beispiel Wasserstoff außen vor bleiben, der für die Entschwefelung von fossilen Kraftstoffen benötigt wird oder der als Nebenprodukt bei der Herstellung bestimmter Basischemikalien entsteht.

Doch die Prozessketten in Raffinerien und Chemieparks sind vertrackt. Die Berater des BWMK sollen deshalb auch auf diesen Aspekt eingehen: “Welche industriellen Anwendungen lassen sich rechtlich vertretbar und gut begründbar (noch) unter die Ausnahmetatbestände subsumieren, welche keinesfalls?”

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Tiktok: Wie die Parteien junge Menschen erreichen und die AfD abhängen wollen

KI-generierte Titelbilder, rot untermalte, zugespitzte Headlines und knapp 50.000 Followerinnen und Follower – das ist der Tiktok-Account von Maximilian Krah, Spitzenkandidat der AfD. Seit Beginn des Europawahlkampfs dreht sich die Debatte um das soziale Netzwerk und den Erfolg der AfD auf und durch Tiktok. Derweil versuchen die anderen Parteien, mit Krah und der AfD mitzuhalten und sich auf dem politisch meist neu erschlossenen Netzwerk einer missverstandenen Zielgruppe schmackhaft zu machen.

Die Europäische Volkspartei (EVP) setzt dabei alles auf einen Account – den Fraktionsaccount. Ihre Themen – Aufrüstung, verstärkter Schutz der EU-Außengrenzen und die Begrenzung von Migration – finden bisweilen allerdings kaum statt.

Anders handhaben es die europäischen Sozialdemokraten (SPE). Einen Parteiaccount gibt es nicht, im deutschen Wahlkampf liegt der Fokus auf dem von SPD-Spitzenkandidatin Katarina Barley: Ausschnitte aus Debatten und Clips, die mit Ton und Wortwahl an junge Menschen gerichtet sind, ohne die Botschaft zu vereinfachen. Die Topthemen des Wahlprogramms – Frieden, Rente und Mindestlohn – werden allerdings oft nur indirekt angeschnitten.

Martin Fuchs, Politikberater, Dozent und Autor, kritisiert im Gespräch mit Table.Briefings: “Die SPD liefert zu wenig europäische Inhalte, sondern arbeitet sich eher an der AfD ab.” Besser sei an dieser Stelle: eigene, positive Akzente zu setzen.

Strack-Zimmermann: Dialog und Provokation

Europas Liberale (ALDE) inszenieren sich und Spitzenkandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann zur “Eurofighterin”. Mit kurzen Videos, viel Interaktion und provokanten Teasern passt sie sich an die Anforderungen der Plattform an. Ziele der ALDE: weniger Bürokratie, eine europäische Armee und Unterstützung für das international vereinbarte Klimaziel von Paris. Ziel von Strack-Zimmermann: die Konkurrenz provozieren.

Aus Sicht von Emmeline Charenton, Bundessekretärin der Jungen Europäischen Föderalist*innen Deutschlands, nicht die beste Strategie: Im Wahlkampf gegen die konservativen demokratischen Parteien, zum Beispiel die CDU, zu schießen, ergebe wenig Sinn. “Wenn man diese diffamiert, könnte es passieren, dass junge Menschen stattdessen weiter nach rechts wandern.”

Die europäischen Grünen (EGP), zu deren Zielen mehr Klimaschutz und das Verhindern des Rechtsrucks zählen, setzen mit Spitzenkandidatin Terry Reintke auf englischsprachige Ausschnitte aus Reintkes Reden und Filmmaterial aus dem Wahlkampf. Reintkes Tiktok-Auftritt ist durch Inhalte geprägt, recycelt und nicht immer an Tiktok angepasst, aber ohne oberflächlich zu sein.

 “Auf Tiktok funktioniert auch mal ‘quick and dirty’.”

Die deutschen Spitzenkandidaten der Europäischen Linken, Carola Rackete und Martin Schirdewan, punkten mit Inhalten und Einblicken in ihren politischen Alltag. Ihre Ziele: Armut bekämpfen, Großkonzerne besteuern und die EU-Schuldenregeln lockern. Verbesserungswürdig ist meist die Qualität von Bild und Ton. Fuchs sagt deshalb: “Was die Professionalität betrifft, gibt es unter den Parteien große Unterschiede.” Aber: Tiktok habe da einen anderen Anspruch als andere Netzwerke. “Man muss die Menschen erkennen und verstehen, aber auf Tiktok funktioniert auch mal ‘quick and dirty’.”

So unterschiedlich die Strategien auch sind, so eint die Kandidatinnen und Kandidaten eines: An die Reichweite von Krah, für den gegenwärtig ein Auftrittsverbot gilt, kommen sie nicht heran. Mit seinen zugespitzten, polarisierenden Inhalten generiert der AfD-Spitzenkandidat viele Klicks. Mit einem omnipräsenten populistischen Touch fängt er Menschen da ein, wo Unsicherheiten bestehen. Das bestätigt auch Charenton von den Jungen Europäischen Föderalist*innen: “Die AfD trifft in eben jene Kerben, die mit der Verunsicherung und Frustration junger Menschen zu tun haben.”

Parteien fehlt es an Inhalt und Netzwerk

Insgesamt sieht Politikberater Fuchs im Tiktok-Wahlkampf Verbesserungspotenzial: “Was fehlt, um jungen Menschen Themen wirklich nahezubringen, sind vor allem Inhalte – am ehesten gelingt dies noch der Linken und den Grünen.” Zudem fehle den meisten Parteien ein Netzwerk, das ihren Content in die Breite trägt. Die AfD habe früh begriffen, auf Drittaccounts zu bauen, um Menschen zu erreichen, die bisher noch nichts mit ihr zu tun hatten. Seien es LGBTQ-Aktivisten, Handwerker oder Kampfsportler – “diese sind für junge Menschen oft ansprechender als ein alter weißer Mann aus dem Partei-Kosmos.”

Was eine Kampagne, die junge Menschen erreichen will, denn leisten müsse? Sie müsse zeigen, dass sie junge Menschen und ihre Bedürfnisse ernst nimmt, sagt Fuchs. “Es bedarf einer authentischen und emotionalen Ansprache und einer inhaltlichen Fokussierung auf die Probleme unserer Zeit, wie Krieg und Frieden, Migration, den Mangel an Wohnraum oder verlorene Aufstiegsversprechen.” Und es gehe darum, positive Ideen und Visionen darzustellen.

Politik braucht den Blick auf junge Menschen

Schließlich bleibt die Frage, welchen tatsächlichen Einfluss der Tiktok-Wahlkampf haben wird. Fuchs glaubt, die Videos werden ihre Effekte haben. Der direkte Einfluss sei aber überschaubar und werde massiv überbewertet. “Ich befürworte, dass Demokraten dorthin gehen – es ist der richtige Kanal, um Jugendliche anzusprechen, um aufzuklären, Diskurse anzugehen und positiven Input zu geben.” Aber die Erwartungshaltung, damit Wahlen wiederzugewinnen und Stimmen von den Rechten wegzunehmen, hält er für ungerechtfertigt.

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News

Europawahl: Wie die Jüngeren wählen

Junge Menschen sind proeuropäischer, gehen aber seltener wählen. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage von “eupinions”, dem europäischen Meinungsforschungsinstitut der Bertelsmann Stiftung. Die Studie wird am heutigen Mittwoch veröffentlicht. Bei der Umfrage im März sagten im EU-Schnitt 59 Prozent der Wähler zwischen 16 und 25 Jahren, dass sie wählen gehen. 24 Prozent sagten “vielleicht” und 17 Prozent “nein”.

In der Altersgruppe der 26- bis 69-Jährigen lag der Wert der Wähler bei 65 Prozent. 22 Prozent sagten “vielleicht”, 13 Prozent “nein”. In Deutschland sind die jungen Wähler noch wahlmüder: 57 Prozent in der jungen Altersgruppe, sagten, dass sie wählen gehen, 27 Prozent gaben “vielleicht” an, 16 Prozent sagten “nein”. In der älteren Altersgruppe waren die Werte 62 Prozent (“ja”), 24 Prozent (“vielleicht”), 14 Prozent (“nein”).

Referendum zum EU-Verbleib

Dabei sind die 16- bis 25-Jährigen pro-europäischer eingestellt als ältere Wähler. Im EU-Schnitt und in Deutschland würden 78 Prozent der Jüngeren bei einem Referendum dafür stimmen, dass ihr Land in der EU bleibt. Dieser Wert lag in der Gruppe der 26- bis 69-Jährigen bei 65 Prozent im EU-Schnitt und bei 66 Prozent in Deutschland.

Bei den Gründen für die Wahlentscheidung fällt auf, dass die Jüngeren seltener aus Protest wählen. Gefragt nach den Hauptmotiven (zwei Antworten möglich) gaben 23 Prozent der 16- bis 25 -Jährigen an “Missbilligung der aktuellen Politik ausdrücken” gegenüber 30 Prozent der 26- bis 69-Jährigen. Immerhin 41 Prozent der Jüngeren gaben an “Beeinflussung, wer die nächste Kommission führt” gegenüber 38 Prozent bei den Älteren. 43 Prozent bei den Jüngeren und 48 Prozent bei den Älteren wollen “die Richtung der EU gestalten“. Am meisten verbreitet ist “Die politische Partei unterstützen, der ich mich am nächsten fühle”. 50 Prozent der Jüngeren und 52 Prozent der Älteren kreuzten dies an.

Klimawandel ist Jüngeren wichtiger

Die Jüngeren haben andere Themen, die ihnen wichtig sind. Auf die Frage nach drei Aufgaben, auf die sich die EU im nächsten Mandat konzentrieren soll, sagten 50 Prozent der Jüngeren: “Rechte der Bürger und Bürgerinnen schützen”. Bei den Älteren lag dieser Wert bei 32 Prozent. 42 Prozent der Jüngeren nannten “Klimawandel bekämpfen”, gegenüber 31 Prozent bei den Älteren. 35 Prozent bei den Jüngeren hoben “Terrorismus bekämpfen” hervor, gegenüber 30 Prozent bei den Älteren. 33 Prozent der Jüngeren stimmten für “öffentliche Gesundheit sichern”, gegenüber 23 Prozent bei den Älteren.   mgr

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Green Finance: Warum die EU-Aufsichtsbehörden vor “Greenwashing” warnen

Europas Aufsichtsbehörden stemmen sich gemeinsam gegen zunehmende Schönfärberei bei vermeintlich “grünen” Finanzprodukten. Banken, Versicherer und andere Finanzmarktakteure seien in der Verantwortung, Nachhaltigkeitsinformationen bereitzustellen, die “fair, klar und nicht irreführend sind”, betonten die Bankenaufsicht EBA, die Versicherungsaufsicht EIOPA und die Wertpapieraufsicht ESMA am Dienstag anlässlich der Veröffentlichung ihre jüngsten Analysen zu sogenanntem Greenwashing im Finanzsektor.

Die EU-Kommission will mehr Geld in “grüne” Anlagen lenken, um den klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft zu beschleunigen. Bankberater und Versicherungsvermittler müssen daher inzwischen bei der Anlageberatung die Vorstellungen der Kundschaft beim Thema Nachhaltigkeit abfragen.

Doch was ist tatsächlich nachhaltig, und wo gaukeln Anbieter der Kundschaft nur Umwelt- und Klimafreundlichkeit vor? Mit zunehmender Nachfrage nach nachhaltigen Geldanlagen nimmt auch die Gefahr zu, dass Anbieter Produkte als “grüner” darstellen, als diese tatsächlich sind. Die Versicherungsaufsicht EIOPA warnt: “Wenn nicht gegen Greenwashing vorgegangen wird, könnte es echte Bemühungen zur Finanzierung des nachhaltigen Wandels untergraben und das Vertrauen der Verbraucher in den europäischen Versicherungs- und Rentensektor schwächen.”

Immer mehr Fälle von “Greenwashing”

Die Fallzahlen im Versicherungssektor sind nach EIOPA-Angaben zuletzt gestiegen: Im laufenden Jahr hätten die nationalen Aufsichtsbehörden von fünf Mitgliedsstaaten “Greenwashing”-Fälle gemeldet, 2023 waren es drei. Sechs weitere nationale Aufsichtsbehörden untersuchen den Angaben zufolge derzeit potenzielle Fälle.

Auch die EU-Bankenaufsicht EBA beobachtet ein wachsendes “Greenwashing”-Risiko bei Banken, Wertpapierfirmen und Zahlungsdienstleistern. Das Ergebnis der quantitativen EBA-Analyse von “Greenwashing” zeige eine deutliche Zunahme dieses Trends in allen Sektoren, auch bei den EU-Banken. Die Gesamtzahl der mutmaßlichen Fälle in der Europäischen Union sei im Jahr 2023 weiter gestiegen: um 26,1 Prozent im Vergleich zu 2022, teilte die EBA mit.

Die Analysen der Aufsichtsbehörden zu “Greenwashing” sind Teil einer umfassenderen Initiative. So hatte die EU-Kommission im März 2023 einen Gesetzesvorschlag vorgelegt, der Unternehmen bei Angaben etwa zur Klimafreundlichkeit oder Nachhaltigkeit ihrer Waren zu Mindeststandards verpflichten soll. Ziel der Kommission: Wer ein als umweltfreundlich beworbenes Produkt kauft, soll sicher sein können, dass das Produkt wirklich “grün” ist.

In ihrer Pressemitteilung forderte die ESMA die nationalen Aufsichtsbehörden zudem auf, mehr personelle Ressourcen und Aufsichtstools für den Kampf gegen “Greenwashing” einzusetzen. dpa

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EU-Kommission stellt Leag-Entschädigung teilweise unter Vorbehalt

Das ostdeutsche Braunkohle-Unternehmen Leag bekommt für den beschlossenen Kohleausstieg statt der von der Bundesregierung in Aussicht gestellten 1,75 Milliarden Euro zunächst nur 1,2 Milliarden Euro Entschädigung. Diese Summe soll die Mehrkosten abdecken, die durch den gesetzlich vereinbarten Ausstieg aus der Kohleverstromung auf jeden Fall anfallen. 600 Millionen davon sollen die Mehrkosten der Renaturierung der Tagebaue abdecken, weitere 600 Millionen sollen für die soziale Absicherung der bisherigen Beschäftigten verwendet werden. Das teilten Wirtschaftsminister Robert Habeck und Leag-Vorstand Thorsten Kramer am Dienstag mit.

Die restlichen 550 Millionen Euro wurden von der EU-Kommission, die die im Rahmen des Kohleausstiegs im Jahr 2019 vereinbarte Entschädigung als Beihilfe genehmigen muss, unter Vorbehalt gestellt. Mit ihnen soll die Leag für Gewinne entschädigt werden, die dem Unternehmen durch den früheren Kohleausstieg entgehen. Allerdings ist völlig unklar, ob es überhaupt entgangene Gewinne gibt; viele Experten gehen davon aus, dass die Kohlekraftwerke auch ohne politischen Beschluss allein aufgrund der Marktentwicklung vom Netz gehen würden.

Kosten der Renaturierung sind unklar

Aus diesem Grund hat die EU-Kommission nun festgelegt, dass zum Zeitpunkt der jeweiligen Stilllegung berechnet werden soll, wie viel Gewinn jedes Kraftwerk beim Weiterbetrieb noch hätte machen können. Habeck erklärte zwar, die Formel, mit der dies berechnet werde, sei “kein Geheimnis”; doch auf Anfrage von Table.Briefings wurde sie weder vom Ministerium noch von der Kommission zur Verfügung gestellt, sodass derzeit keine Aussage dazu möglich ist, wie viel Geld unter welchen Bedingungen fließen wird. Möglicherweise stehen die Details auch noch gar nicht fest, denn bisher gibt es laut BMWK nur eine Grundsatzentscheidung; der finale Genehmigungsentscheid wird erst im Laufe des Jahres erwartet.

Die 1,2 Milliarden Euro, die auf jeden Fall ausgezahlt werden, fließen nicht an die Leag selbst, sondern an zwei Zweckgesellschaften, an denen die Länder Brandenburg und Sachsen Pfändungsrechte haben. Damit soll sichergestellt werden, dass sie tatsächlich für die vorgesehenen Zwecke verwendet werden. Unklar ist allerdings, ob genug Geld für die Renaturierung der Tagebaue vorhanden ist. Neben den 600 Millionen Euro, die aus der Entschädigung dafür vorgesehen sind, hat die Leag laut Kramer dafür bisher etwa 1 Milliarde eingezahlt. Wie hoch die Gesamtkosten geschätzt werden, wurde mit Verweis auf Geschäftsgeheimnisse nicht mitgeteilt. mkr

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Was Merz und Scholz zur Debatte um EKR-Unterstützung für von der Leyen sagen

CDU-Chef Friedrich Merz hat die SPD und Kanzler Olaf Scholz aufgefordert, nach einem Sieg der Christdemokraten bei der Europawahl deren Spitzenkandidatin Ursula von der Leyen (CDU) bei der Wiederwahl zur EU-Kommissionspräsidentin zu unterstützen. “Nach allem, was wir heute abschätzen können, werden die europäischen Christdemokraten die eindeutigen Wahlsieger werden”, sagte der Unionsfraktionsvorsitzende am Dienstag in Berlin. Er fügte hinzu: “Dann ist aus meiner Sicht selbstverständlich, dass auch alle anderen respektieren, dass die Spitzenkandidatin (…) das natürliche Recht hat, auch wieder vorgeschlagen zu werden als Präsidentin der EU-Kommission.” 

Scholz warnte die Kommissionspräsidentin derweil, sich nach der Europawahl mit den Stimmen rechtsextremer oder rechtspopulistischer Parteien im Europäischen Parlament in eine zweite Amtszeit wählen zu lassen. Die SPD stehe zwar zu dem Spitzenkandidatenprinzip und werde dies immer möglich machen, sagte Scholz am Dienstagabend. “Aber eines muss klar sein: Eine Kommissionspräsidentin oder ein Kommissionspräsident muss sich immer auf die demokratischen Parteien Europas stützen“, fügte der SPD-Politiker hinzu. Dazu gehörten Konservative, Sozialdemokraten, Liberale und auch Grüne.

“Es dürfen keine rechtsextremen und rechtspopulistischen Parteien dabei sein”, sagte Scholz. Er betonte dies, weil er manchmal den Eindruck habe, dass dies nicht ernst genommen werde. “Nein, das ist mein bitterer Ernst.” Gerade die Deutschen hätten die Aufgabe, auch nach der Europawahl mitzuhelfen, dass Europa gut regiert werde. “Und dieses Prinzip werden wir nicht zur Disposition stellen.” Was genau dies für die Abstimmung bedeutet, ließ Scholz offen. dpa/rtr

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Umfrage: Wozu schlechte Arbeitsbedingungen führen können

Eine neue Umfrage des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung zeigt, dass die Arbeitsbedingungen von Beschäftigten beeinflussen, wie sie zur Demokratie stehen. Für die Erhebung wurden Ende 2023 rund 15.000 Erwerbstätige und Arbeitsuchende in zehn EU-Mitgliedstaaten befragt, darunter Deutschland, Italien und Polen.

Das Ergebnis: Menschen, die unzufrieden mit ihren Arbeitsbedingungen und ihrem Gehalt sind und beruflich nur wenig Mitsprachemöglichkeiten haben, sehen die Demokratie ­- und Zuwanderung – überdurchschnittlich oft negativ. Die Arbeitswelt sei europaweit relevant, “um den Aufstieg der politischen extremen Rechten zu verstehen und zu bekämpfen”, sagte Bettina Kohlrausch, wissenschaftliche Direktorin des WSI.

In Ungarn, Polen und Italien sehen die Forschenden eine Sondersituation: Demnach ist die Absicht, eine rechtsextreme Partei zu wählen, dort umso höher, je höher die Zufriedenheit mit der Demokratie ist. Das zeige, dass Menschen ein unterschiedliches Verständnis von Demokratie haben und der Begriff selbst “von rechten oder totalitären Regimen erfolgreich für sich instrumentalisiert werden kann”. okb

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Wieso wir Mehrheitsentscheidungen in der EU-Außen- und Sicherheitspolitik brauchen

Von Belén Becerril Atienza, Annegret Bendiek, Juha Jokela, Sabina Lange, Sofia Vandenbosch, Ramses A. Wessel

Seit Jahrzehnten wird die EU für ihre außen- und sicherheitspolitische Untätigkeit, ihre träge Reaktionsfähigkeit und Kakophonie im internationalen Krisenmanagement kritisiert. Oftmals profitieren autoritäre Staaten von der Uneinigkeit unter den 27 Mitgliedstaaten. Wichtige außenpolitische Entscheidungen können von nur einem Mitgliedstaat blockiert werden. Mit dem Ergebnis, dass die EU-27 handlungsunfähig ist und der Einfluss Dritter auf Europa wächst. Für die Union entstehen wirtschaftliche und politische Nachteile, die mit hohen Kosten verbunden sein können.

Der Ukrainekrieg hat zwar gezeigt, dass die Mitgliedstaaten bei existenziellen Bedrohungen durchaus nationale Interessen zugunsten einer kollektiven Handlungsfähigkeit zurückstellen können. Die Verhängung von Sanktionen gegen Russland ist in ihrem Umfang historisch einzigartig.

Als Sicherheitsgemeinschaft ist die EU mit der Idee verbunden, gemeinsame Bedrohungen nicht nur abzuwehren, sondern auch für die Sicherheit der EU und ihrer Bürgerinnen Sorge zu tragen. Vertraglich hat die EU sich daher dem Ziel verpflichtet, “Frieden, Sicherheit und Fortschritt in Europa und in der Welt zu fördern”. Zur “Weltpolitikfähigkeit” (J.C. Juncker) benötigt die EU allerdings mehr. Es braucht eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP), die die EU institutionell in die Lage versetzt, nicht nur bei außerordentlichen Krisen, sondern auch im Routinemodus die Interessen Europas und seiner Bürger gegenüber Dritten zu vertreten.

Auf das Vetorecht verzichten

Um Blockaden in der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik zukünftig zu verhindern, müssen alle Mitgliedstaaten auf ihr Vetorecht im Rat verzichten und sich bereit erklären, künftig mit qualifizierter Mehrheit über die auswärtigen Politiken gegenüber Russland, China oder Iran abzustimmen (QMV). Hierzu braucht es allerdings einen Sicherheitsmechanismus (in Eurosprech: “safety net”, auf Deutsch: Souveränitätssicherheitsnetz). Die Mitgliedstaaten werden nur dann ihre Souveränitätsvorbehalte aufgeben, wenn sie auf wirksame Mechanismen zum Schutz ihrer nationalen Interessen vertrauen können.

Die EU-Verträge sehen bereits eine Reihe von Mechanismen vor, die das Einstimmigkeitsprinzip aufweichen. Der Europäische Rat kann einstimmig beschließen, die Liste der Themen, über die mit Mehrheit entschieden wird, zu erweitern. Mitgliedstaaten können sich zudem der Stimme enthalten, wenn sie mit einem Vorschlag nicht einverstanden sind, sodass der Beschluss trotz ihrer Einwände angenommen werden kann.

In beiden Fällen kann ein Mitgliedstaat die sogenannte “Notbremse” ziehen, wenn er der Meinung ist, dass er den vorgeschlagenen Beschluss aus wichtigen und erklärten Gründen der nationalen Politik ablehnen muss; in diesem Fall kommt wieder die Einstimmigkeit zur Anwendung und der Hohe Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik (derzeit Josep Borrell) wird beauftragt, nach einer Lösung zu suchen. Bleibt die Suche erfolglos, können die Mitgliedstaaten beschließen, den Europäischen Rat einzuschalten, wo weiterhin Einstimmigkeit die Regel ist.

Individuelle Vetos durch “kollektives Veto” ersetzen

Trotz dieser ausführlichen Bestimmungen und bereits existenten Sicherungen gegenüber der Möglichkeit, überstimmt zu werden, bestehen die Mitgliedstaaten auf zusätzlichen Rückversicherungen. Es sollte daher eine politische Erklärung angenommen werden, die gewährleistet, dass nationale Interessen weiter berücksichtigt werden und dass der Hohe Repräsentant im Konfliktfall nach einem Kompromiss sucht. Ein derartiges “Souveränitätssicherheitsnetz” würde den Übergang qualifizierten Mehrheitsentscheidungen in der GASP wesentlich erleichtern.

Es sollte hier ebenfalls festgehalten werden, dass Mitgliedstaaten jederzeit ihren Abstimmungsvorbehalt anmelden können, um einen Beschluss aufzuhalten, bis eine angemessene Lösung gefunden wird (der sogenannte Ioannina-Mechanismus). Darüber hinaus sollte der Beschluss bekräftigen, dass der Rat auch künftig Konsense anstrebt. Schließlich sollten die Mitgliedstaaten politische Kompromisse erarbeiten, die individuelle Vetos durch ein “kollektives Veto” ersetzen, für das nicht ein, sondern drei Mitgliedstaaten erforderlich sind, die einen gewissen Prozentsatz der Bevölkerung vertreten.

“Souveränitätssicherheitsnetze” sind politische Erklärungen, die eine autonomieschonende europäische Handlungsfähigkeit der EU in der GASP ermöglichen. Einzelne Vetos beschränken unnötig die kollektive Handlungsfähigkeit auf Kosten der Resilienz und Selbstbehauptung Europas. Das neu gewählte Europäische Parlament sollte künftig nicht nur als demokratischer Wächter fungieren, sondern auch der internationalen Rolle der EU in der Welt im Rahmen einer supranationalen GASP gerecht werden.

Die im Mai 2023 gegründete “Freundesgruppe der qualifizierten Mehrheit” versammelt zahlreiche EU-Mitgliedstaaten, die Vorschläge für die Einführung von qualifizierten Mehrheitsentscheidungen in der GASP unterbreitet haben. Die Autoren gehören zum wissenschaftlichen “Sounding Board” des Freundeskreises, sind politisch unabhängig und haben hierzu eigene Vorschläge verfasst.

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  • Europäischer Rat

Europe.Table Redaktion

EUROPE.TABLE REDAKTION

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    Liebe Leserin, lieber Leser,

    wenn die Stimmzettel für die Europawahl am kommenden Montag fertig ausgezählt sind, dann beginnt der Poker um Posten und Einfluss in Brüssel erst richtig. Trotz der Animositäten von Charles Michel und trotz aller Spekulationen um Mario Draghi: Ursula von der Leyen hat nach wie vor die deutlichste Perspektive, auch die neue Kommissionspräsidentin zu werden. Ihre EVP wird voraussichtlich klar stärkste Kraft im neuen Europaparlament, und im Kreis der Staats- und Regierungschefs hat sie mächtige Fürsprecher – darunter Olaf Scholz.

    Sicher fühlen kann sich von der Leyen dennoch nicht. Sollte die CDU-Politikerin im Rat durchfallen oder im Europaparlament keine Mehrheit erhalten, sind in Berlin die Grünen am Zuge. Sie haben sich im Ampel-Koalitionsvertrag das Recht festschreiben lassen, den neuen deutschen Kommissar vorzuschlagen, “sofern die Kommissionspräsidentin nicht aus Deutschland stammt”.

    Hoch gehandelt wird Franziska Brantner, Parlamentarische Staatssekretärin bei Wirtschaftsminister Robert Habeck. Sie war von 2009 bis 2013 Mitglied im Europäischen Parlament, gilt als bestens vernetzt in Brüssel, außerdem als harte Verhandlerin. Für Habeck wäre das aber ein Verlust, wie meine Kollegin Helene Bubrowski im Berlin.Table schreibt: Brantner wird im grünen Bundestagswahlkampf, den voraussichtlich Habeck als Kanzlerkandidat anführen wird, eine prominente Rolle zugeschrieben. In ihrem Umfeld werden Ambitionen auf den Brüssel-Posten aber bestritten.

    Auch der Name Sven Giegold fällt, beamteter Staatssekretär bei Habeck. Er saß bis 2021 im Europäischen Parlament. Allerdings gilt er als Einzelkämpfer, der als Amtschef seine Rolle gefunden habe. Im Gespräch ist laut Helene auch Tarek Al-Wazir, der langjährige hessische Wirtschaftsminister. Allerdings würde die Personalie den Grünen das Narrativ bescheren, dass ein Wahlverlierer nach Brüssel geschickt wird – einen Ruf, den sie nicht haben möchten. Ein Gerücht, das die BILD-Zeitung verbreitet hatte, dürfte sich hingegen als Luftnummer entpuppen: Annalena Baerbock soll nicht nach Brüssel gehen. Zumindest jetzt nicht.

    In dieser Ausgabe geben wir Ihnen zudem einen ersten Überblick, wen die anderen Mitgliedstaaten in die neue Kommission entsenden könnten. Manches davon ist noch spekulativ – aber manchmal macht ja genau das den Reiz aus für die Lektüre.

    Ihr
    Till Hoppe
    Bild von Till  Hoppe

    Analyse

    Das sind die möglichen Kommissare nach den Europawahlen

    Der Zeitplan ist eng: Gelingt es Ursula von der Leyen, die Staats- und Regierungschefs hinter sich zu scharen und im Europaparlament eine Mehrheit zu organisieren, könnten die Abgeordneten sie bereits bei ihrer ersten Sitzungswoche Mitte Juli erneut zur Kommissionspräsidentin wählen.

    Dann könnte die CDU-Politikerin die Sommerpause nutzen, um Gespräche mit den nationalen Kandidaten für die Kommission zu führen und deren Aufgabenbereiche in Absprache mit den Hauptstädten zuzuschneiden. Im September würden sich die Nominierten dann den Anhörungen in den Ausschüssen des Europaparlaments stellen. Wenn die Abgeordneten die Kommission als ganze bestätigen, könnte sie im November die Arbeit aufnehmen.

    Es könnte aber auch ganz anders kommen – die Europawahl und der anschließende Machtpoker bringen zahlreiche Unwägbarkeiten mit sich, nicht nur für von der Leyen. In Belgien und Bulgarien werden zudem auch die nationalen Parlamente neu gewählt. Daher ist noch völlig unklar, wen die Wahlsieger für die Kommission vorschlagen werden.

    Wir geben Ihnen einen Überblick über den Stand der Diskussionen. Teil zwei folgt morgen.

    Dänemark

    Als möglicher Kommissar wird Dan Jørgensen gehandelt, der Sozialdemokrat ist derzeit Minister für Entwicklungszusammenarbeit und globale Klimapolitik. Allerdings werden auch Premierministerin Mette Frederiksen bisweilen Ambitionen nachgesagt, von Kopenhagen nach Brüssel zu wechseln. Ihre Koalition ist zu Hause ähnlich unbeliebt wie die Berliner Ampel. Die Sozialdemokratin käme angesichts ihrer Regierungserfahrung als Ratspräsidentin infrage, doch ihre Aussichten wären dem Vernehmen nach nicht sonderlich gut. Frederiksen könnte sich daher theoretisch selbst für die Kommission vorschlagen – allerdings wäre der Job für sie wohl nur dann attraktiv, wenn sie erste Stellvertreterin der Kommissionspräsidentin würde. Den Posten streben allerdings auch andere an – etwa die spanische Kandidatin Teresa Ribeira.

    Deutschland

    Kanzler Olaf Scholz hat trotz der unterschiedlichen Parteibücher ein Interesse daran, dass Ursula von der Leyen Kommissionspräsidentin bleibt. Sollte die CDU-Politikerin scheitern, bekäme Berlin kaum noch einmal Zugriff auf den wichtigsten Posten in Brüssel. Dann wären die Grünen am Zuge, sie haben sich im Ampel-Koalitionsvertrag das Recht festschreiben lassen, den neuen deutschen Kommissar vorzuschlagen, “sofern die Kommissionspräsidentin nicht aus Deutschland stammt”.

    Als mögliche Namen wird etwa Franziska Brantner gehandelt, Parlamentarische Staatssekretärin bei Wirtschaftsminister Robert Habeck. Denkbar wären auch Sven Giegold, beamteter Staatssekretär im BMWK, und Tarek Al-Wazir, der langjährige hessische Wirtschaftsminister.

    Estland

    Immer wieder fällt der Name von Premierministerin Kaja Kallas, wenn es um die Frage geht, wen Estland für die künftige Kommission nominiert. Sogar Kadri Simson, die aktuelle Kommissarin für Energie, hat sich geäußert: Sie glaube, sagte sie dem estnischen Rundfunk ERR, dass Kallas sich nach den Wahlen um einen Job in Brüssel bewerben werde. 

    Die liberale Politikerin hat sich als unermüdliche Mahnerin für eine entschiedene Unterstützung der Ukraine und einen harten Kurs gegen Russland hervorgetan. “Was einen Aggressor wie Russland provoziert, ist Schwäche”, ist eine typische Kallas-Aussage. Sie wird insbesondere als mögliche Nachfolgerin des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell gehandelt – oder als Verteidigungskommissarin.

    Finnland

    Als größte Regierungspartei wird die Nationale Sammlungspartei von Ministerpräsident Petteri Orpo (EVP) den neuen Kommissar vorschlagen. Als wahrscheinlichster Kandidat gilt die erfahrene Europaabgeordnete Henna Virkkunen. Denn Orpo hat signalisiert, dass er jemanden nominieren möchte, der bei der Europawahl kandidiert hat.

    Frankreich

    Allein Emmanuel Macron entscheidet über die Nominierung. Und der Staatspräsident ist bekannt dafür, Personalien so lange wie möglich offenzulassen. Klar ist: Binnenmarktkommissar Thierry Breton hofft auf eine zweite Amtszeit. Allerdings hat der rührige Kommissar Macron mit einem seiner Tweets verärgert, mit dem er beim EVP-Kongress im März seine Chefin Ursula von der Leyen attackierte. Als Alternativen werden in Paris Finanz- und Wirtschaftsminister Bruno Le Maire oder Ex-Verkehrsminister Clément Beaune gehandelt. Aber Macron ist auch jederzeit für eine Überraschung gut.

    Griechenland

    Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis entscheidet, wen er schickt. Die besten Aussichten auf eine erneute Nominierung hat wohl der aktuelle Kommissionsvize Margarítis Schinás.

    Irland

    Kommissarin Mairead McGuinness würde gern weitermachen und würde von ihrem Profil her zum Agrarressort passen. Sie gehört der Partei Fine Gael von Ministerpräsident Simon Harris an, die zur EVP gehört. Doch in der Koalition ist vereinbart, dass der zweitgrößte Koalitionspartner Fianna Fáil den nächsten Kommissar stellt. Charlie McConalogue könnte dies sein. Allerdings wird in Irland in den nächsten sieben Monaten gewählt, wodurch sich noch etwas ändern könnte.

    Italien

    Ministerpräsidentin Giorgia Meloni lässt sich bislang nicht in die Karten schauen. Als möglicher Kandidat gehandelt wird etwa Außenminister Antonio Tajani: Der 70-Jährige von der Forza Italia war bereits von 2008 bis 2014 Mitglied der Kommission, zunächst verantwortlich für Verkehr, später für Unternehmen und Industrie. Tajani ist in Brüssel gut vernetzt und angesehen. In den vergangenen Wochen hat er sich öffentlich vehement für die Ernennung eines EU-Verteidigungskommissars eingesetzt – gut möglich, dass er sich selbst in dieser Rolle sieht.

    Ein anderer Name ist Raffaele Fitto: Der Minister für Europäische Angelegenheiten war von 2014 bis 2022 Mitglied des Europäischen Parlaments, zunächst für die Forza Italia, zuletzt für Melonis Fratelli. Bis zu seinem Wechsel in die Regierung in Rom im Herbst 2022 war er Co-Vorsitzender der EKR-Fraktion. Fitto ist im Kabinett Meloni für die rund 200 Milliarden Euro aus dem EU-Wiederaufbaufonds zuständig und versicherte erst vor Kurzem, Italien verfolge “mit extremer Strenge” die mit Brüssel vereinbarten Ziele.

    Weniger leicht vermittelbar wäre Francesco Lollobrigida, aktuell Landwirtschaftsminister. Der 52-Jährige ist Mitglied der Fratelli, Melonis Schwager und zählt zum recht kleinen Kreis derer, denen Meloni vertraut. Allerdings wäre seine Nominierung ein großes Risiko für die Ministerpräsidentin: Lollobrigida fällt immer wieder mit unpassenden Äußerungen auf, unter anderem spricht er von der “Gefahr eines ethnischen Austauschs”.

    Kroatien

    Nach der Parlamentswahl im April ist die HDZ von Ministerpräsident Andrej Plenković (EVP) eine Koalition mit der ultrarechten Partei DP eingegangen. Plenković dürfte die bisherige Kommissionsvizepräsidentin Dubravka Šuica erneut vorschlagen.

    Lettland

    Der künftige lettische Kommissar wird möglicherweise wieder Valdis Dombrovskis heißen. Der Exekutiv-Vizepräsident der EU-Kommission, zuständig für eine Wirtschaft im Dienste der Menschen, seit 2020 auch für Handel, geht als Spitzenkandidat der Regierungspartei Jaunā Vienotība (Neue Einigkeit) in die Europawahlen. Auf ihrer Website wirbt die Partei mit dem Slogan “Europäische Erfahrung für ein sicheres Lettland”, daneben ist Dombrovskis zu sehen. Der 52-Jährige ist seit 2014 Mitglied der Kommission und dort aktuell der ranghöchste Vertreter der EVP nach Präsidentin Ursula von der Leyen.

    Dombrovskis hat schon vor einer Weile den Wunsch geäußert, Kommissar zu bleiben. Seine Kernthemen im Europa-Wahlkampf: Unterstützung der Ukraine, Wettbewerbsfähigkeit und Sicherheit. Mit Krišjānis Kariņš hat – oder hatte – Dombrovskis einen prominenten innerparteilichen Konkurrenten um den Posten des Kommissars. Doch Kariņš ist in den vergangenen Monaten wegen einer Flugaffäre massiv unter Druck geraten. Ende März ist er vom Amt des Außenministers zurückgetreten.

    Litauen

    Der wohl offensichtlichste Kandidat ist Gabrielius Landsbergis. Wie Estlands Premierministerin Kaja Kallas hat sich der litauische Außenminister und TS-LKD-Vorsitzende mit seiner klaren Haltung zum russischen Krieg in der Ukraine einen Namen gemacht. Kürzlich stellte er sich etwa hinter Frankreichs Präsident Macron, als dieser sagte, er schließe die Entsendung von Bodentruppen in die Ukraine nicht aus. Manche empfinden Landsbergis’ Rhetorik jedoch bisweilen als zu schrill, was seine Aussicht etwa auf den Posten als EU-Außenbeauftragter trüben dürfte.

    Luxemburg

    Die konservativ-liberale Koalitionsregierung von Premier Luc Frieden hat eigentlich vereinbart, den früheren Europaabgeordneten Christophe Hansen zu nominieren. Allerdings haben die europäischen Sozialdemokraten den Luxemburger Nicolas Schmit zu ihrem Spitzenkandidaten erkoren – und drängen Frieden nun, den bisherigen Arbeitskommissar nach der Wahl erneut aufzustellen. Ihr Argument: Als Spitzenkandidat der wohl zweitgrößten Parteienfamilie könnte Schmit für Luxemburg einen Posten als Vizepräsident mit wichtigem Portfolio fordern. Mit Hansen hingegen müsse das kleine Großherzogtum hingegen mit einem wenig relevanten Themengebiet vorliebnehmen. Von Till Hoppe, Sarah Schaefer, Almut Siefert, Claire Stam

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    Wasserstoff: Was Industrie und BMWK besorgt

    Ein neues Kommissionsdokument sorgt schon vor seinem Erscheinen für Unruhe in der europäischen Industrie und unter den EU-Staaten. Spätestens im Herbst will die Kommission Leitlinien veröffentlichen, um rechtliche Unklarheiten beim Industrieziel für grünen Wasserstoff auszuräumen. Brüsseler Kreise warnen vor zwei schwerwiegenden Folgen für Europas verarbeitendes Gewerbe.

    Die Kommission erwäge, mit den Leitlinien die ab 2030 geltende Quote für grünen Wasserstoff auf Derivate wie Ammoniak und Methanol auszudehnen. Das bestätigten Table.Briefings zwei Quellen, die nicht namentlich genannt werden wollten. Die Verpflichtung für die Industrie zum Einsatz grünen Wasserstoffs könne dadurch um mindestens 40 Prozent steigen. Zudem würde der Import industrieller Güter auf Basis von Wasserstoff noch attraktiver – zulasten der europäischen Produktion.

    BMWK will “der Zielerreichung förderliche Auslegung”

    Das Bundeswirtschaftsministerium nimmt die Angelegenheit so ernst, dass es derzeit nach externer juristischer Beratung sucht. Eins der Ziele sei eine “rechtssichere, praktikable und der Zielerreichung förderliche Anwendung und Auslegung der Vorschriften”, heißt es in der öffentlichen Ausschreibung der Industrieabteilung. Für den 24. Mai hatte die EU-Kommission Experten aus Mitgliedstaaten und Verbänden bereits zu einem Workshop eingeladen, um über das Problem zu beraten.

    Hintergrund für den Streit ist ein einzelnes Wort aus der Erneuerbare-Energien-Richtlinie. Parlament und Mitgliedstaaten hatten im vergangenen Jahr vereinbart, dass die Industrie ab 2030 bereits 42 Prozent ihres Wasserstoffs aus erneuerbaren Kraftstoffen nicht biogenen Ursprungs (RFNBO) decken muss. Derivate wie Ammoniak und Methanol schließt der Begriff RFNBO ein.

    Kommission arbeitet an einheitlichem Vorgehen

    Die Berechnung der Quote bezieht sich laut der Richtlinie aber auf RFNBO im Zähler und auf “Wasserstoff” im Nenner. Bei wortgetreuer Auslegung müssten die EU-Staaten also ihren Verbrauch an Wasserstoffderivaten nicht durch RFNBO ersetzen.

    Im April habe die Generaldirektion Energie die Konsequenzen erstmals thematisiert, ist in Brüssel zu hören. Derzeit sei die Kommission selbst noch dabei, die Folgen für den Bedarf an grünem Wasserstoff zu quantifizieren, sagte ein Kommissionsbeamter zu Table.Briefings. Teilweise seien die fraglichen Mengen Geschäftsgeheimnisse. Ziel sei aber eine einheitliche Auslegung durch die Mitgliedstaaten.

    Von anderer Seite heißt es, die Kommission halte den Begriff “Wasserstoff” für auslegungsbedürftig, was ihr nach eigener Ansicht Spielraum verschaffe, durch die Leitlinien auch Derivate in der Berechnung zu berücksichtigen.

    Import von Endprodukten würde Quote umgehen

    Die Industrie befürchtet für diesen Fall negative Folgen für die europäische Produktion. “Die Einbeziehung von Ammoniak und Methanol kann Anreize für die Einfuhr von Endprodukten schaffen, die nicht mit einem teuren RFNBO-Ziel in Einklang stehen müssen”, sagt ein Industrievertreter. Ohne die Ausweitung des Anwendungsbereichs sei es attraktiver, Derivate zu importieren und sie in Europa zu Endprodukten weiterzuverarbeiten.

    Nach Ansicht des Abgeordneten Markus Pieper (CDU) droht die Kommission, mit einer Neudeutung des Wasserstoff-Begriffs durch rechtlich unverbindliche Leitlinien ihre Kompetenzen zu überschreiten. “Es kann nicht sein, dass die Kommission versucht, ein hart verhandeltes Gesetz nachträglich durch die Hintertür umzugestalten”, sagt der Berichterstatter der Erneuerbaren-Richtlinie. “Die Kommission würde die Gefahr einer Deindustrialisierung in Europa massiv anheizen. Wir bestehen darauf, dass die RFNBO-Quote für die Industrie so umgesetzt wird wie ausverhandelt.”

    Weitere Ausnahmen warten auf nationale Umsetzung

    Auslegungsbedürftig findet das Bundeswirtschaftsministerium zudem weitere Ausnahmen der Richtlinie. Bei der Berechnung des zu ersetzenden Verbrauchs darf zum Beispiel Wasserstoff außen vor bleiben, der für die Entschwefelung von fossilen Kraftstoffen benötigt wird oder der als Nebenprodukt bei der Herstellung bestimmter Basischemikalien entsteht.

    Doch die Prozessketten in Raffinerien und Chemieparks sind vertrackt. Die Berater des BWMK sollen deshalb auch auf diesen Aspekt eingehen: “Welche industriellen Anwendungen lassen sich rechtlich vertretbar und gut begründbar (noch) unter die Ausnahmetatbestände subsumieren, welche keinesfalls?”

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    Tiktok: Wie die Parteien junge Menschen erreichen und die AfD abhängen wollen

    KI-generierte Titelbilder, rot untermalte, zugespitzte Headlines und knapp 50.000 Followerinnen und Follower – das ist der Tiktok-Account von Maximilian Krah, Spitzenkandidat der AfD. Seit Beginn des Europawahlkampfs dreht sich die Debatte um das soziale Netzwerk und den Erfolg der AfD auf und durch Tiktok. Derweil versuchen die anderen Parteien, mit Krah und der AfD mitzuhalten und sich auf dem politisch meist neu erschlossenen Netzwerk einer missverstandenen Zielgruppe schmackhaft zu machen.

    Die Europäische Volkspartei (EVP) setzt dabei alles auf einen Account – den Fraktionsaccount. Ihre Themen – Aufrüstung, verstärkter Schutz der EU-Außengrenzen und die Begrenzung von Migration – finden bisweilen allerdings kaum statt.

    Anders handhaben es die europäischen Sozialdemokraten (SPE). Einen Parteiaccount gibt es nicht, im deutschen Wahlkampf liegt der Fokus auf dem von SPD-Spitzenkandidatin Katarina Barley: Ausschnitte aus Debatten und Clips, die mit Ton und Wortwahl an junge Menschen gerichtet sind, ohne die Botschaft zu vereinfachen. Die Topthemen des Wahlprogramms – Frieden, Rente und Mindestlohn – werden allerdings oft nur indirekt angeschnitten.

    Martin Fuchs, Politikberater, Dozent und Autor, kritisiert im Gespräch mit Table.Briefings: “Die SPD liefert zu wenig europäische Inhalte, sondern arbeitet sich eher an der AfD ab.” Besser sei an dieser Stelle: eigene, positive Akzente zu setzen.

    Strack-Zimmermann: Dialog und Provokation

    Europas Liberale (ALDE) inszenieren sich und Spitzenkandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann zur “Eurofighterin”. Mit kurzen Videos, viel Interaktion und provokanten Teasern passt sie sich an die Anforderungen der Plattform an. Ziele der ALDE: weniger Bürokratie, eine europäische Armee und Unterstützung für das international vereinbarte Klimaziel von Paris. Ziel von Strack-Zimmermann: die Konkurrenz provozieren.

    Aus Sicht von Emmeline Charenton, Bundessekretärin der Jungen Europäischen Föderalist*innen Deutschlands, nicht die beste Strategie: Im Wahlkampf gegen die konservativen demokratischen Parteien, zum Beispiel die CDU, zu schießen, ergebe wenig Sinn. “Wenn man diese diffamiert, könnte es passieren, dass junge Menschen stattdessen weiter nach rechts wandern.”

    Die europäischen Grünen (EGP), zu deren Zielen mehr Klimaschutz und das Verhindern des Rechtsrucks zählen, setzen mit Spitzenkandidatin Terry Reintke auf englischsprachige Ausschnitte aus Reintkes Reden und Filmmaterial aus dem Wahlkampf. Reintkes Tiktok-Auftritt ist durch Inhalte geprägt, recycelt und nicht immer an Tiktok angepasst, aber ohne oberflächlich zu sein.

     “Auf Tiktok funktioniert auch mal ‘quick and dirty’.”

    Die deutschen Spitzenkandidaten der Europäischen Linken, Carola Rackete und Martin Schirdewan, punkten mit Inhalten und Einblicken in ihren politischen Alltag. Ihre Ziele: Armut bekämpfen, Großkonzerne besteuern und die EU-Schuldenregeln lockern. Verbesserungswürdig ist meist die Qualität von Bild und Ton. Fuchs sagt deshalb: “Was die Professionalität betrifft, gibt es unter den Parteien große Unterschiede.” Aber: Tiktok habe da einen anderen Anspruch als andere Netzwerke. “Man muss die Menschen erkennen und verstehen, aber auf Tiktok funktioniert auch mal ‘quick and dirty’.”

    So unterschiedlich die Strategien auch sind, so eint die Kandidatinnen und Kandidaten eines: An die Reichweite von Krah, für den gegenwärtig ein Auftrittsverbot gilt, kommen sie nicht heran. Mit seinen zugespitzten, polarisierenden Inhalten generiert der AfD-Spitzenkandidat viele Klicks. Mit einem omnipräsenten populistischen Touch fängt er Menschen da ein, wo Unsicherheiten bestehen. Das bestätigt auch Charenton von den Jungen Europäischen Föderalist*innen: “Die AfD trifft in eben jene Kerben, die mit der Verunsicherung und Frustration junger Menschen zu tun haben.”

    Parteien fehlt es an Inhalt und Netzwerk

    Insgesamt sieht Politikberater Fuchs im Tiktok-Wahlkampf Verbesserungspotenzial: “Was fehlt, um jungen Menschen Themen wirklich nahezubringen, sind vor allem Inhalte – am ehesten gelingt dies noch der Linken und den Grünen.” Zudem fehle den meisten Parteien ein Netzwerk, das ihren Content in die Breite trägt. Die AfD habe früh begriffen, auf Drittaccounts zu bauen, um Menschen zu erreichen, die bisher noch nichts mit ihr zu tun hatten. Seien es LGBTQ-Aktivisten, Handwerker oder Kampfsportler – “diese sind für junge Menschen oft ansprechender als ein alter weißer Mann aus dem Partei-Kosmos.”

    Was eine Kampagne, die junge Menschen erreichen will, denn leisten müsse? Sie müsse zeigen, dass sie junge Menschen und ihre Bedürfnisse ernst nimmt, sagt Fuchs. “Es bedarf einer authentischen und emotionalen Ansprache und einer inhaltlichen Fokussierung auf die Probleme unserer Zeit, wie Krieg und Frieden, Migration, den Mangel an Wohnraum oder verlorene Aufstiegsversprechen.” Und es gehe darum, positive Ideen und Visionen darzustellen.

    Politik braucht den Blick auf junge Menschen

    Schließlich bleibt die Frage, welchen tatsächlichen Einfluss der Tiktok-Wahlkampf haben wird. Fuchs glaubt, die Videos werden ihre Effekte haben. Der direkte Einfluss sei aber überschaubar und werde massiv überbewertet. “Ich befürworte, dass Demokraten dorthin gehen – es ist der richtige Kanal, um Jugendliche anzusprechen, um aufzuklären, Diskurse anzugehen und positiven Input zu geben.” Aber die Erwartungshaltung, damit Wahlen wiederzugewinnen und Stimmen von den Rechten wegzunehmen, hält er für ungerechtfertigt.

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    News

    Europawahl: Wie die Jüngeren wählen

    Junge Menschen sind proeuropäischer, gehen aber seltener wählen. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage von “eupinions”, dem europäischen Meinungsforschungsinstitut der Bertelsmann Stiftung. Die Studie wird am heutigen Mittwoch veröffentlicht. Bei der Umfrage im März sagten im EU-Schnitt 59 Prozent der Wähler zwischen 16 und 25 Jahren, dass sie wählen gehen. 24 Prozent sagten “vielleicht” und 17 Prozent “nein”.

    In der Altersgruppe der 26- bis 69-Jährigen lag der Wert der Wähler bei 65 Prozent. 22 Prozent sagten “vielleicht”, 13 Prozent “nein”. In Deutschland sind die jungen Wähler noch wahlmüder: 57 Prozent in der jungen Altersgruppe, sagten, dass sie wählen gehen, 27 Prozent gaben “vielleicht” an, 16 Prozent sagten “nein”. In der älteren Altersgruppe waren die Werte 62 Prozent (“ja”), 24 Prozent (“vielleicht”), 14 Prozent (“nein”).

    Referendum zum EU-Verbleib

    Dabei sind die 16- bis 25-Jährigen pro-europäischer eingestellt als ältere Wähler. Im EU-Schnitt und in Deutschland würden 78 Prozent der Jüngeren bei einem Referendum dafür stimmen, dass ihr Land in der EU bleibt. Dieser Wert lag in der Gruppe der 26- bis 69-Jährigen bei 65 Prozent im EU-Schnitt und bei 66 Prozent in Deutschland.

    Bei den Gründen für die Wahlentscheidung fällt auf, dass die Jüngeren seltener aus Protest wählen. Gefragt nach den Hauptmotiven (zwei Antworten möglich) gaben 23 Prozent der 16- bis 25 -Jährigen an “Missbilligung der aktuellen Politik ausdrücken” gegenüber 30 Prozent der 26- bis 69-Jährigen. Immerhin 41 Prozent der Jüngeren gaben an “Beeinflussung, wer die nächste Kommission führt” gegenüber 38 Prozent bei den Älteren. 43 Prozent bei den Jüngeren und 48 Prozent bei den Älteren wollen “die Richtung der EU gestalten“. Am meisten verbreitet ist “Die politische Partei unterstützen, der ich mich am nächsten fühle”. 50 Prozent der Jüngeren und 52 Prozent der Älteren kreuzten dies an.

    Klimawandel ist Jüngeren wichtiger

    Die Jüngeren haben andere Themen, die ihnen wichtig sind. Auf die Frage nach drei Aufgaben, auf die sich die EU im nächsten Mandat konzentrieren soll, sagten 50 Prozent der Jüngeren: “Rechte der Bürger und Bürgerinnen schützen”. Bei den Älteren lag dieser Wert bei 32 Prozent. 42 Prozent der Jüngeren nannten “Klimawandel bekämpfen”, gegenüber 31 Prozent bei den Älteren. 35 Prozent bei den Jüngeren hoben “Terrorismus bekämpfen” hervor, gegenüber 30 Prozent bei den Älteren. 33 Prozent der Jüngeren stimmten für “öffentliche Gesundheit sichern”, gegenüber 23 Prozent bei den Älteren.   mgr

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    Green Finance: Warum die EU-Aufsichtsbehörden vor “Greenwashing” warnen

    Europas Aufsichtsbehörden stemmen sich gemeinsam gegen zunehmende Schönfärberei bei vermeintlich “grünen” Finanzprodukten. Banken, Versicherer und andere Finanzmarktakteure seien in der Verantwortung, Nachhaltigkeitsinformationen bereitzustellen, die “fair, klar und nicht irreführend sind”, betonten die Bankenaufsicht EBA, die Versicherungsaufsicht EIOPA und die Wertpapieraufsicht ESMA am Dienstag anlässlich der Veröffentlichung ihre jüngsten Analysen zu sogenanntem Greenwashing im Finanzsektor.

    Die EU-Kommission will mehr Geld in “grüne” Anlagen lenken, um den klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft zu beschleunigen. Bankberater und Versicherungsvermittler müssen daher inzwischen bei der Anlageberatung die Vorstellungen der Kundschaft beim Thema Nachhaltigkeit abfragen.

    Doch was ist tatsächlich nachhaltig, und wo gaukeln Anbieter der Kundschaft nur Umwelt- und Klimafreundlichkeit vor? Mit zunehmender Nachfrage nach nachhaltigen Geldanlagen nimmt auch die Gefahr zu, dass Anbieter Produkte als “grüner” darstellen, als diese tatsächlich sind. Die Versicherungsaufsicht EIOPA warnt: “Wenn nicht gegen Greenwashing vorgegangen wird, könnte es echte Bemühungen zur Finanzierung des nachhaltigen Wandels untergraben und das Vertrauen der Verbraucher in den europäischen Versicherungs- und Rentensektor schwächen.”

    Immer mehr Fälle von “Greenwashing”

    Die Fallzahlen im Versicherungssektor sind nach EIOPA-Angaben zuletzt gestiegen: Im laufenden Jahr hätten die nationalen Aufsichtsbehörden von fünf Mitgliedsstaaten “Greenwashing”-Fälle gemeldet, 2023 waren es drei. Sechs weitere nationale Aufsichtsbehörden untersuchen den Angaben zufolge derzeit potenzielle Fälle.

    Auch die EU-Bankenaufsicht EBA beobachtet ein wachsendes “Greenwashing”-Risiko bei Banken, Wertpapierfirmen und Zahlungsdienstleistern. Das Ergebnis der quantitativen EBA-Analyse von “Greenwashing” zeige eine deutliche Zunahme dieses Trends in allen Sektoren, auch bei den EU-Banken. Die Gesamtzahl der mutmaßlichen Fälle in der Europäischen Union sei im Jahr 2023 weiter gestiegen: um 26,1 Prozent im Vergleich zu 2022, teilte die EBA mit.

    Die Analysen der Aufsichtsbehörden zu “Greenwashing” sind Teil einer umfassenderen Initiative. So hatte die EU-Kommission im März 2023 einen Gesetzesvorschlag vorgelegt, der Unternehmen bei Angaben etwa zur Klimafreundlichkeit oder Nachhaltigkeit ihrer Waren zu Mindeststandards verpflichten soll. Ziel der Kommission: Wer ein als umweltfreundlich beworbenes Produkt kauft, soll sicher sein können, dass das Produkt wirklich “grün” ist.

    In ihrer Pressemitteilung forderte die ESMA die nationalen Aufsichtsbehörden zudem auf, mehr personelle Ressourcen und Aufsichtstools für den Kampf gegen “Greenwashing” einzusetzen. dpa

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    EU-Kommission stellt Leag-Entschädigung teilweise unter Vorbehalt

    Das ostdeutsche Braunkohle-Unternehmen Leag bekommt für den beschlossenen Kohleausstieg statt der von der Bundesregierung in Aussicht gestellten 1,75 Milliarden Euro zunächst nur 1,2 Milliarden Euro Entschädigung. Diese Summe soll die Mehrkosten abdecken, die durch den gesetzlich vereinbarten Ausstieg aus der Kohleverstromung auf jeden Fall anfallen. 600 Millionen davon sollen die Mehrkosten der Renaturierung der Tagebaue abdecken, weitere 600 Millionen sollen für die soziale Absicherung der bisherigen Beschäftigten verwendet werden. Das teilten Wirtschaftsminister Robert Habeck und Leag-Vorstand Thorsten Kramer am Dienstag mit.

    Die restlichen 550 Millionen Euro wurden von der EU-Kommission, die die im Rahmen des Kohleausstiegs im Jahr 2019 vereinbarte Entschädigung als Beihilfe genehmigen muss, unter Vorbehalt gestellt. Mit ihnen soll die Leag für Gewinne entschädigt werden, die dem Unternehmen durch den früheren Kohleausstieg entgehen. Allerdings ist völlig unklar, ob es überhaupt entgangene Gewinne gibt; viele Experten gehen davon aus, dass die Kohlekraftwerke auch ohne politischen Beschluss allein aufgrund der Marktentwicklung vom Netz gehen würden.

    Kosten der Renaturierung sind unklar

    Aus diesem Grund hat die EU-Kommission nun festgelegt, dass zum Zeitpunkt der jeweiligen Stilllegung berechnet werden soll, wie viel Gewinn jedes Kraftwerk beim Weiterbetrieb noch hätte machen können. Habeck erklärte zwar, die Formel, mit der dies berechnet werde, sei “kein Geheimnis”; doch auf Anfrage von Table.Briefings wurde sie weder vom Ministerium noch von der Kommission zur Verfügung gestellt, sodass derzeit keine Aussage dazu möglich ist, wie viel Geld unter welchen Bedingungen fließen wird. Möglicherweise stehen die Details auch noch gar nicht fest, denn bisher gibt es laut BMWK nur eine Grundsatzentscheidung; der finale Genehmigungsentscheid wird erst im Laufe des Jahres erwartet.

    Die 1,2 Milliarden Euro, die auf jeden Fall ausgezahlt werden, fließen nicht an die Leag selbst, sondern an zwei Zweckgesellschaften, an denen die Länder Brandenburg und Sachsen Pfändungsrechte haben. Damit soll sichergestellt werden, dass sie tatsächlich für die vorgesehenen Zwecke verwendet werden. Unklar ist allerdings, ob genug Geld für die Renaturierung der Tagebaue vorhanden ist. Neben den 600 Millionen Euro, die aus der Entschädigung dafür vorgesehen sind, hat die Leag laut Kramer dafür bisher etwa 1 Milliarde eingezahlt. Wie hoch die Gesamtkosten geschätzt werden, wurde mit Verweis auf Geschäftsgeheimnisse nicht mitgeteilt. mkr

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    Was Merz und Scholz zur Debatte um EKR-Unterstützung für von der Leyen sagen

    CDU-Chef Friedrich Merz hat die SPD und Kanzler Olaf Scholz aufgefordert, nach einem Sieg der Christdemokraten bei der Europawahl deren Spitzenkandidatin Ursula von der Leyen (CDU) bei der Wiederwahl zur EU-Kommissionspräsidentin zu unterstützen. “Nach allem, was wir heute abschätzen können, werden die europäischen Christdemokraten die eindeutigen Wahlsieger werden”, sagte der Unionsfraktionsvorsitzende am Dienstag in Berlin. Er fügte hinzu: “Dann ist aus meiner Sicht selbstverständlich, dass auch alle anderen respektieren, dass die Spitzenkandidatin (…) das natürliche Recht hat, auch wieder vorgeschlagen zu werden als Präsidentin der EU-Kommission.” 

    Scholz warnte die Kommissionspräsidentin derweil, sich nach der Europawahl mit den Stimmen rechtsextremer oder rechtspopulistischer Parteien im Europäischen Parlament in eine zweite Amtszeit wählen zu lassen. Die SPD stehe zwar zu dem Spitzenkandidatenprinzip und werde dies immer möglich machen, sagte Scholz am Dienstagabend. “Aber eines muss klar sein: Eine Kommissionspräsidentin oder ein Kommissionspräsident muss sich immer auf die demokratischen Parteien Europas stützen“, fügte der SPD-Politiker hinzu. Dazu gehörten Konservative, Sozialdemokraten, Liberale und auch Grüne.

    “Es dürfen keine rechtsextremen und rechtspopulistischen Parteien dabei sein”, sagte Scholz. Er betonte dies, weil er manchmal den Eindruck habe, dass dies nicht ernst genommen werde. “Nein, das ist mein bitterer Ernst.” Gerade die Deutschen hätten die Aufgabe, auch nach der Europawahl mitzuhelfen, dass Europa gut regiert werde. “Und dieses Prinzip werden wir nicht zur Disposition stellen.” Was genau dies für die Abstimmung bedeutet, ließ Scholz offen. dpa/rtr

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    Umfrage: Wozu schlechte Arbeitsbedingungen führen können

    Eine neue Umfrage des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung zeigt, dass die Arbeitsbedingungen von Beschäftigten beeinflussen, wie sie zur Demokratie stehen. Für die Erhebung wurden Ende 2023 rund 15.000 Erwerbstätige und Arbeitsuchende in zehn EU-Mitgliedstaaten befragt, darunter Deutschland, Italien und Polen.

    Das Ergebnis: Menschen, die unzufrieden mit ihren Arbeitsbedingungen und ihrem Gehalt sind und beruflich nur wenig Mitsprachemöglichkeiten haben, sehen die Demokratie ­- und Zuwanderung – überdurchschnittlich oft negativ. Die Arbeitswelt sei europaweit relevant, “um den Aufstieg der politischen extremen Rechten zu verstehen und zu bekämpfen”, sagte Bettina Kohlrausch, wissenschaftliche Direktorin des WSI.

    In Ungarn, Polen und Italien sehen die Forschenden eine Sondersituation: Demnach ist die Absicht, eine rechtsextreme Partei zu wählen, dort umso höher, je höher die Zufriedenheit mit der Demokratie ist. Das zeige, dass Menschen ein unterschiedliches Verständnis von Demokratie haben und der Begriff selbst “von rechten oder totalitären Regimen erfolgreich für sich instrumentalisiert werden kann”. okb

    • Arbeitsbedingungen
    • Sozialpolitik

    Must-Reads

    Wahl des Kommissionspräsidenten: Scholz warnt von der Leyen vor einer Wiederwahl mit Hilfe rechter Parteien N-TV
    Internes Dokument von EU-Expertengruppe: EU will WhatsApp-Chats mitlesen T-ONLINE
    Greenwashing: Neue FDP-Blockade in Brüssel. FAZ
    EU-Handelskommissar Johannes Hahn will Ablaufdatum für EU-Gesetze – Green Deal nicht tot SALZBURGER NACHRICHTEN
    “Wir konnten es damals nicht verhindern”: Holocaust-Überlebende appellieren vor der EU-Wahl an Erstwähler TAGESSPIEGEL
    Vorzeitiger Kohleaustritt: EU-Kommission sichert Leag Milliarden-Entschädigung zu N-TV
    Aufmarsch in Brüssel: Bauern demonstrieren gegen EU-Agrarpolitik FAZ
    Umstrittener Deal mit Albanien: Melonis Migrationspakt wird immer teurer RND
    Italiens Regierung mietet Schiff für Migrantentransport nach Albanien DER STANDARD
    Rechtsruck in Portugal: Das sind die neuen strengen Einwanderungsregeln DE
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    Standpunkt

    Wieso wir Mehrheitsentscheidungen in der EU-Außen- und Sicherheitspolitik brauchen

    Von Belén Becerril Atienza, Annegret Bendiek, Juha Jokela, Sabina Lange, Sofia Vandenbosch, Ramses A. Wessel

    Seit Jahrzehnten wird die EU für ihre außen- und sicherheitspolitische Untätigkeit, ihre träge Reaktionsfähigkeit und Kakophonie im internationalen Krisenmanagement kritisiert. Oftmals profitieren autoritäre Staaten von der Uneinigkeit unter den 27 Mitgliedstaaten. Wichtige außenpolitische Entscheidungen können von nur einem Mitgliedstaat blockiert werden. Mit dem Ergebnis, dass die EU-27 handlungsunfähig ist und der Einfluss Dritter auf Europa wächst. Für die Union entstehen wirtschaftliche und politische Nachteile, die mit hohen Kosten verbunden sein können.

    Der Ukrainekrieg hat zwar gezeigt, dass die Mitgliedstaaten bei existenziellen Bedrohungen durchaus nationale Interessen zugunsten einer kollektiven Handlungsfähigkeit zurückstellen können. Die Verhängung von Sanktionen gegen Russland ist in ihrem Umfang historisch einzigartig.

    Als Sicherheitsgemeinschaft ist die EU mit der Idee verbunden, gemeinsame Bedrohungen nicht nur abzuwehren, sondern auch für die Sicherheit der EU und ihrer Bürgerinnen Sorge zu tragen. Vertraglich hat die EU sich daher dem Ziel verpflichtet, “Frieden, Sicherheit und Fortschritt in Europa und in der Welt zu fördern”. Zur “Weltpolitikfähigkeit” (J.C. Juncker) benötigt die EU allerdings mehr. Es braucht eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP), die die EU institutionell in die Lage versetzt, nicht nur bei außerordentlichen Krisen, sondern auch im Routinemodus die Interessen Europas und seiner Bürger gegenüber Dritten zu vertreten.

    Auf das Vetorecht verzichten

    Um Blockaden in der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik zukünftig zu verhindern, müssen alle Mitgliedstaaten auf ihr Vetorecht im Rat verzichten und sich bereit erklären, künftig mit qualifizierter Mehrheit über die auswärtigen Politiken gegenüber Russland, China oder Iran abzustimmen (QMV). Hierzu braucht es allerdings einen Sicherheitsmechanismus (in Eurosprech: “safety net”, auf Deutsch: Souveränitätssicherheitsnetz). Die Mitgliedstaaten werden nur dann ihre Souveränitätsvorbehalte aufgeben, wenn sie auf wirksame Mechanismen zum Schutz ihrer nationalen Interessen vertrauen können.

    Die EU-Verträge sehen bereits eine Reihe von Mechanismen vor, die das Einstimmigkeitsprinzip aufweichen. Der Europäische Rat kann einstimmig beschließen, die Liste der Themen, über die mit Mehrheit entschieden wird, zu erweitern. Mitgliedstaaten können sich zudem der Stimme enthalten, wenn sie mit einem Vorschlag nicht einverstanden sind, sodass der Beschluss trotz ihrer Einwände angenommen werden kann.

    In beiden Fällen kann ein Mitgliedstaat die sogenannte “Notbremse” ziehen, wenn er der Meinung ist, dass er den vorgeschlagenen Beschluss aus wichtigen und erklärten Gründen der nationalen Politik ablehnen muss; in diesem Fall kommt wieder die Einstimmigkeit zur Anwendung und der Hohe Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik (derzeit Josep Borrell) wird beauftragt, nach einer Lösung zu suchen. Bleibt die Suche erfolglos, können die Mitgliedstaaten beschließen, den Europäischen Rat einzuschalten, wo weiterhin Einstimmigkeit die Regel ist.

    Individuelle Vetos durch “kollektives Veto” ersetzen

    Trotz dieser ausführlichen Bestimmungen und bereits existenten Sicherungen gegenüber der Möglichkeit, überstimmt zu werden, bestehen die Mitgliedstaaten auf zusätzlichen Rückversicherungen. Es sollte daher eine politische Erklärung angenommen werden, die gewährleistet, dass nationale Interessen weiter berücksichtigt werden und dass der Hohe Repräsentant im Konfliktfall nach einem Kompromiss sucht. Ein derartiges “Souveränitätssicherheitsnetz” würde den Übergang qualifizierten Mehrheitsentscheidungen in der GASP wesentlich erleichtern.

    Es sollte hier ebenfalls festgehalten werden, dass Mitgliedstaaten jederzeit ihren Abstimmungsvorbehalt anmelden können, um einen Beschluss aufzuhalten, bis eine angemessene Lösung gefunden wird (der sogenannte Ioannina-Mechanismus). Darüber hinaus sollte der Beschluss bekräftigen, dass der Rat auch künftig Konsense anstrebt. Schließlich sollten die Mitgliedstaaten politische Kompromisse erarbeiten, die individuelle Vetos durch ein “kollektives Veto” ersetzen, für das nicht ein, sondern drei Mitgliedstaaten erforderlich sind, die einen gewissen Prozentsatz der Bevölkerung vertreten.

    “Souveränitätssicherheitsnetze” sind politische Erklärungen, die eine autonomieschonende europäische Handlungsfähigkeit der EU in der GASP ermöglichen. Einzelne Vetos beschränken unnötig die kollektive Handlungsfähigkeit auf Kosten der Resilienz und Selbstbehauptung Europas. Das neu gewählte Europäische Parlament sollte künftig nicht nur als demokratischer Wächter fungieren, sondern auch der internationalen Rolle der EU in der Welt im Rahmen einer supranationalen GASP gerecht werden.

    Die im Mai 2023 gegründete “Freundesgruppe der qualifizierten Mehrheit” versammelt zahlreiche EU-Mitgliedstaaten, die Vorschläge für die Einführung von qualifizierten Mehrheitsentscheidungen in der GASP unterbreitet haben. Die Autoren gehören zum wissenschaftlichen “Sounding Board” des Freundeskreises, sind politisch unabhängig und haben hierzu eigene Vorschläge verfasst.

    • EU-Reform
    • Europäischer Rat

    Europe.Table Redaktion

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