die Fraktionschefs im EU-Parlament haben den Weg für die Ausschussreform gestern nicht ganz frei gemacht. Eigentlich wollten sie die bisherigen Unterausschüsse Sicherheit und Verteidigung (SEDE) sowie Öffentliche Gesundheit (SANT) zu Vollausschüssen machen. Außerdem soll es zwei auf zwölf Monate befristete Sonderausschüsse geben: für die Bekämpfung der Wohnungsnot (Housing) und zur Stärkung der Demokratie (Democracy Shield). Doch gestern Abend in der Konferenz der Präsidenten gab es noch Komplikationen. Nun will man die Zustimmung im schriftlichen Verfahren bis Montag einholen, um in der Straßburg-Woche im Plenum dann abzustimmen.
Die Aufwertung des ehemaligen AFET-Unterausschusses SEDE zu einem Vollausschuss hatten die Parlamentarier bereits im Sommer beschlossen, als die Parteifamilien der Von-der-Leyen-Koalition das Personalpaket für die Topjobs verhandelten. In den Mandaten finden sich die Kompetenzen wieder. Klar ist, dass SEDE nicht nur von AFET, sondern auch vom Industrieausschuss ITRE Kompetenzen bekommen soll.
Damit soll sichergestellt werden, dass Verteidigungskommissar Andrius Kubilius, dessen Aufgabenfeld im Wesentlichen die Verteidigungsindustrie ist, drüben im Parlament auf einen passenden Ausschuss trifft – in Form des SEDE-Vollausschusses unter Führung von Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP). Im AFET, unter der Führung von David McAllister (CDU), treten dann die Hohe Beauftragte Kaja Kallas auf, Mittelmeerkommissarin Dubravka Suica sowie Erweiterungskommissarin Marta Kos.
Wir müssen noch eine Korrektur des Editorials aus der gestrigen Ausgabe zum Besuch von Wirtschaftsminister Robert Habeck in Brüssel vornehmen: Dort hatte Habeck vom “Widerspruch” zwischen den Schuldenregeln und dem Ziel höherer Verteidigungsausgaben gesprochen. Seit dem Draghi-Bericht sei klar, dass zusätzliche Investitionen in dreistelliger Milliardenhöhe notwendig seien. Und dann hieß es: Möglicherweise wären die EU-Schuldenregeln anders ausgefallen, wenn man diese Erkenntnisse vorher gehabt hätte. Dieses indirekte Zitat stammt von Habeck und nicht von Bundesfinanzminister Jörg Kukies, wie wir irrtümlich geschrieben hatten. Wir bitten, dieses Versehen zu entschuldigen.
Kommen Sie gut in den Tag!
Ohne die effizientere Nutzung von Prozesswärme aus der Industrie sind die europäischen Klimaziele kaum erreichbar. Denn die Hauptemissionsquelle der Industrie ist die Verbrennung fossiler Brennstoffe – vor allem Gas – zur Wärmeerzeugung in Produktionsprozessen von Lebensmitteln, Papier, Chemikalien, Stahl und Zement. Laut einem an diesem Donnerstag veröffentlichten Bericht des Thinktanks Regulatory Assistance Project (RAP) könnten erhebliche Mengen an Treibhausgasemissionen durch die Elektrifizierung von Industrieprozessen vermieden werden.
Demnach waren im Jahr 2020 nur drei Prozent der Prozesswärme elektrifiziert – der Rest wurde durch fossile Energieträger gewonnen. Dabei könnten mit heute kommerziell verfügbaren Technologien schon bis zu 60 Prozent elektrifiziert sein, schreiben die RAP-Experten. Bis 2035 liege das Potenzial sogar bei 90 Prozent. Barrieren für eine schnellere Elektrifizierung sind:
RAP schlägt deshalb eine EU-Elektrifizierungsrichtlinie für die Industrie vor, um 60 Prozent Elektrifizierung bis 2050 zu erreichen. Die Europäische Kommission müsse die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verbessern, beispielsweise über Energie- und Kohlenstoffpreise, steuerliche Anreize und gezielte Unterstützung, um das Investitionsrisiko zu senken.
Zudem brauche es eine bessere Netzplanung und mehr Förderung für Forschung und Entwicklung. “Um das Elektrifizierungspotenzial in der deutschen Industrie zu heben, kommt es darauf an, die Netzentgelte zu reformieren und mehr Flexibilität zu fördern”, sagt Jan Rosenow, RAP-Direktor und Wissenschaftler am Environmental Change Institute der Universität Oxford. Bislang hätten große industrielle Stromverbraucher Rabatte für eine konstante Nachfrage erhalten. “Mit dem Aufkommen variabler erneuerbarer Energiequellen sollten wir jedoch zu dynamischen, zeitlich variierenden Netzgebühren übergehen, die die tatsächlichen Kosten der Stromübertragung widerspiegeln und einen flexiblen Energieeinsatz fördern.”
Die Industrie ist weltweit für bis zu 20 Prozent der CO₂-Emissionen verantwortlich. In Europa werden über 65 Prozent der Energie bei industriellen Anwendungen für Prozesse wie Trocknen, Bleichen, Sterilisierung und Destillierung verbraucht. Und ein Großteil dieser wertvollen Wärme geht verloren, weil er ungenutzt an die Umgebung abgegeben wird. Das will das Unternehmen Susheat nun ändern.
Eine Möglichkeit, industrielle Abwärme effizienter zu nutzen und dadurch Treibhausgasemissionen einzusparen, sind Hochtemperatur-Wärmepumpen. Ein neues Forschungsprojekt von Susheat zielt auf eine solche Effizienz-Revolution beim Energieverbrauch der europäischen Industrie ab und soll die Dekarbonisierung in diesem Bereich vorantreiben. Die Entwickler von Susheat wollen 75 Prozent oder mehr der Wärme aus Sektoren wie der Lebensmittel- und Getränkeindustrie, der Papierindustrie und der Petrochemie zurückgewinnen und wiederverwenden.
Eine kürzlich veröffentlichte Studie schätzt, dass Wärmepumpen, die Temperaturen von bis zu 250 Grad Celsius liefern, die industriebedingten Emissionen Europas um etwa 20 Millionen Tonnen CO₂ pro Jahr reduzieren könnten und eine “bedeutende” Rolle beim Erreichen der EU-Klimaziele spielen können. Das System aus einer neuartigen Wärmepumpe mit einem Speichersystem könnte zudem in ein bis zwei Jahren einsatzfähig sein – wenn die politischen Rahmenbedingungen und die Finanzierungskosten stimmen.
Silvia Trevisan und Mateo Sanclemente Lozano sind Forscher der Königlichen Technischen Hochschule (KTH) in Stockholm. Ihre Hochschule gehört zu den 14 Unternehmen und Universitäten, die an Susheat teilnehmen und in Ländern wie Rumänien, Italien, Österreich und Großbritannien ansässig sind, erklärten Trevisan und Lozano im Gespräch mit Table.Briefings. Mit einem Stirlingmotor der neuesten Generation, gebaut von der norwegischen Firma Enerin, nutzen sie die Abwärme und wandeln sie in Temperaturen von bis zu 250 Grad um.
Die KTH-Forscher verbinden die Wärmepumpe mit einem Speichersystem, das zum Teil die Form und Funktion der menschlichen Lunge nachahmt. Das System wurde von der Universitat de Lleida (Spanien) entwickelt und kann Wärme für mehrere Stunden speichern und so für mehr Flexibilität und Wärme auf Abruf sorgen.
Um noch flexibler und leistungsfähiger zu sein, sind die neuen industriellen Wärmepumpen- und Wärmespeichertechnologien mit einem solarthermischen Kraftwerk und einem KI-Managementsystem verbunden. So soll so viel Abwärme wie möglich wiederverwendet werden. Gleichzeitig soll das Technologiepaket für verschiedene Länder mit unterschiedlichen Strompreisen und -bedingungen geeignet sein.
“Man kann auch mit gebündelter Solarenergie Temperaturen zwischen 200 und 250 Grad erreichen”, sagt Trevisan. In einem Land wie Italien, wo Strom teuer ist, aber viel Sonne scheint, werde man mehr konzentrierte Solarwärme verwenden und weniger mit der Wärmepumpe produzieren. “In einem Land wie Norwegen, wo die Sonne weniger scheint, der Strom aber billig und umweltfreundlich ist, kann man die industrielle Wärmepumpe stärker einsetzen.”
Die kommerziellen industriellen Hochtemperatur-Wärmepumpen, die 250 Grad erreichen, könnten in ein bis zwei Jahren zur Verfügung stehen. “Das integrierte System wird mehr Zeit in Anspruch nehmen, da das Management komplexer ist – vielleicht vier bis fünf Jahre”, sagt Trevisan.
Die womöglich größten Herausforderungen sind die Kapitalkosten für die neuen Technologien und die von den Regierungen angebotenen Anreize. “Die Technologie könnte einen Wendepunkt darstellen”, sagt Trevisan. “Ein Großteil der Herausforderung hängt wahrscheinlich eher mit den Kapitalkosten und den Amortisationszeiten zusammen, die die Industrie bereit ist zu akzeptieren.”
Die European Heat Pump Association sieht das ähnlich. In den meisten EU-Ländern sowie in Norwegen, der Schweiz und Großbritannien gibt es staatliche Anreize, aber auch Hindernisse – unter anderem das mangelnde Bewusstsein für das Potenzial der neuen Technik. Deshalb fordert der Verband die EU-Kommission auf, diese neuen Technologien ins Zentrum ihres Gesetzes zur Beschleunigung der industriellen Dekarbonisierung (Industrial Decarbonisation Accelerator Act) zu stellen, das in Kürze veröffentlicht werden soll.
Trotz neuer Verflüssigungskapazitäten für LNG rechnet die Branche weiter mit einer angespannten Versorgung. “Für die nächsten zwei bis drei Jahre wird der Markt eng bleiben“, sagte Laurent David, Sprecher der Internationalen Vereinigung von LNG-Importeuren (GIIGNL), am Mittwoch beim World LNG Summit in Berlin.
Für Ende 2025 rechnet die Internationale Energieagentur (IEA) zwar damit, dass die weltweiten Verflüssigungskapazitäten um sechs Prozent wachsen werden. Allerdings machten die Teilnehmer in Berlin deutlich, dass sie aus mehreren Gründen auch mit einer zunehmenden globalen Nachfrage rechnen.
Rechenzentren & KI: In Malaysia und anderen südostasiatischen Staaten treiben Rechenzentren den Stromverbrauch in die Höhe, und der müsse entweder mit Erneuerbaren oder Gas gedeckt werden, sagte Alan Heng, CEO von Pavilion Energy aus Singapur. Die Gasbranche sieht sich jedenfalls als Konkurrenz zur Atomkraft. Letztere wird von vielen Silicon-Valley-Unternehmen favorisiert. CO₂-Abscheidung sei die einzige wettbewerbsfähige und verfügbare Technik, um jederzeit kohlenstoffarmen Strom für Rechenzentren zu liefern, gab sich Andrew Elliot von ExxonMobil überzeugt.
Ergänzung zu Erneuerbaren & AKW: “Wir brauchen immer noch ein zentralisiertes Backup und das bringt einen zu LNG. Batterien und Wasserstoff reichen nicht”, sagte Javier Moret, Global Head of LNG bei RWE. Mit ähnlichen Argumenten werben die Essener auch in Deutschland für einen zentralen Kapazitätsmarkt. Doch auch Kernkraftwerke seien darauf angewiesen, dass Gas die Spitzenlast deckt, sagte Takeuchi Atsunori von Tokyo Gas. In Taiwan wiederum werde 2025 das letzte noch verbliebene AKW außer Betrieb gehen, sodass mehr Gas benötigt werde, sagte Jane Liao vom Energieunternehmen CPC.
Schifffahrt: In Singapur sei der Einsatz von LNG in der Schifffahrt in diesem Jahr exponentiell gewachsen, berichtete Heng von Pavilion Energy. Bei erschwinglichen Preisen werde sich diese Entwicklung weiter fortsetzen.
China und weitere Staaten seien dabei, ihre Kapazitäten zur Regasifizierung zu erhöhen, fasste es Anatol Feygin vom texanischen Exporteur Cheniere zusammen. “Wir werden unser Geld in angespannten Zeiten schon verdienen”, sagte Feygin. Welche Rolle dabei einmal gebauten Terminals und Pipelines zukommt, verdeutlichte Konferenzpräsidentin Pat Roberts: “Aus meiner Erfahrung der letzten 20 Jahre kann ich sagen: Wenn Infrastruktur einmal da ist, werden Gelegenheiten kommen, um sie zu nutzen.”
Zwar bekannten sich viele Teilnehmer zur Dekarbonisierung. Konkrete Ankündigungen fehlten aber fast vollständig. Nnamdi Anowi von Nigeria LNG berichtete von einer Studie zur Finanzierbarkeit von CCS. Zur erstmals abgehaltenen “World Renewable Fuels Conference” kamen nur ein bis zwei Dutzend Teilnehmer – ein Bruchteil derjenigen aus dem großen Konferenzsaal. Bei einem Panel zur Dekarbonisierung diskutierte kein einziger NGO-Vertreter mit.
Ein wichtiger erster Schritt zur Dekarbonisierung soll die europäische Methan-Verordnung werden. Sie verbietet in den nächsten Jahren das Venting und Flaring von Erdgas aus der Förderung in der EU, soll Methanlecks bekämpfen und verpflichtet Importeure zumindest zur Berichterstattung über Emissionen. Letzteres sei keine Mission Impossible, bekräftigte Georges Tijbosch von der Zertifizierungsinitiative MiQ.
Bisher haben sich aber vor allem große Gaskonzerne mit dem Treibhausgas-Fußabdruck ihrer Produktion beschäftigt. “Viele Lieferanten haben keine Ahnung, woher ihre Moleküle kommen”, sagte Feygin von Cheniere. Aus der europäischen Regulierung erwartet Tijbosch von MiQ für die Zukunft eine zulässige Leckage-Rate allein aus der Produktion von 0,2 Prozent: “Viele Unternehmen, die wir zertifizieren, liegen darunter. Der Durchschnitt in den USA ist aber viel höher.”
Weit verbreitet war das Venting und Flaring zum Beispiel lange im texanischen Permian Basin, wo Erdgas teilweise als Nebenprodukt der Ölförderung anfällt. Kleinen Produzenten waren die Kosten für Gasleitungen zu hoch, weshalb sie das Gas einfach abfackelten.
Unter Donald Trump wird ein Zurückdrehen der Regulierung von Joe Biden erwartet. “Es ist klar, dass die neue Administration das Thema Methan eliminieren will”, sagte Christopher Goncalves von der Berkeley Research Group auf einem Podium. Die Rücknahme der Methan-Regulierung werde schnell kommen, weil die Regierung damit nicht durch den US-Kongress müsse.
Goncalves sieht jedoch auch zwei gegenläufige Bewegungen. Im demokratisch regierten Kalifornien und anderen Blue States werde es für Trump schwierig, die Politik zu ändern. Außerdem seien im Permian Basin inzwischen viele Gasleitungen in Bau. “Die Unternehmen werden nun mehr LNG exportieren wollen, und das vielleicht wichtigste Mittel, um die Gas-Verschwendung zu verhindern ist, es in den Markt zu bringen.”
13.12.2024 – 17:00-18:30 Uhr, online
FNF, Vortrag Die neue Europäische Kommission “von der Leyen II”
Die Friedrich-Naumann-Stiftung (FNF) beschäftigt sich mit den Aufgaben der Kommission von der Leyen II. INFOS & ANMELDUNG
16.12.2024 – 18:30-20:00 Uhr, Berlin/online
DGAP, Diskussion Der Sieg Donald Trumps und das Ampel-Aus: Konsequenzen für die transatlantische Sicherheitsarchitektur
Die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) diskutiert, welche Konsequenzen aus den Regierungswechseln in Deutschland und den USA für die transatlantische Sicherheitsarchitektur zu erwarten sind. INFOS & ANMELDUNG
16.12.2024 – 19:00-20:00 Uhr, online
FNF, Diskussion Wie grün ist grüner Wasserstoff für den Globalen Süden?
Die Friedrich-Naumann-Stiftung (FNF) diskutiert, ob grüner Wasserstoff für den Globalen Süden nachhaltig ist. INFOS & ANMELDUNG
17.12.2024 – 10:30-12:30 Uhr, Brüssel (Belgien)/online
ERCST, Roundtable 2025 State of the EU ETS Report
The European Roundtable on Climate Change and Sustainable Transition (ERCST) brainstorms on the outline and content of the 2025 state of the EU ETS Report INFOS & REGISTRATION
In den Verhandlungen über das Freihandelsabkommen mit der EU konnten die vier Mercosur-Staaten eine bevorzugte Behandlung für sich aushandeln in Sachen Entwaldungsverordnung (EUDR). Die ist Drittstaaten schon länger ein Dorn im Auge, speziell den südamerikanischen Mercosur-Staaten.
Die relevante Passage dazu findet sich im neuen Annex zum Kapitel “Handel und nachhaltige Entwicklung” des Abkommens. In Artikel 56 des Annex steht: “Die EU anerkennt, dass dieses Abkommen und die Maßnahmen zur Umsetzung der sich daraus ergebenden Verpflichtungen neben anderen Kriterien bei der Risikoeinstufung von Ländern wohlwollend berücksichtigt werden sollen.” Die Risikoeinstufung von Ländern ist ein wichtiger Teil der EUDR, da Produkte aus Hochrisikoländern höheren Due Diligence Anforderungen unterstellt sind.
Zusätzlich zur Zusicherung einer wohlwollenden Berücksichtigung in der Risikoeinstufung garantiert die EU den Mercosur-Staaten, dass europäische Behörden bei Kontrollen im Rahmen der EUDR auf Dokumente, Daten und Monitoringsysteme der Mercosur-Staaten zurückgreifen werden. Dies soll den südamerikanischen Staaten die Sorge nehmen, dass die EUDR ihre Souveränität untergräbt.
“Innerhalb der Grenzen der Entwaldungsrichtlinie” würden die Mercosur-Staaten nun eine “leicht bessere Behandlung” als andere Staaten genießen, erklärte ein EU-Beamter. Er betonte jedoch, dass es keine Garantien oder Ausnahmen gebe für die Staaten des Mercosur.
Ein weiteres Zugeständnis, das die Kommission den Südamerikanern machen musste, ist die Ausweitung des Streitschlichtungsmechanismus. Dieser kann laut Verhandlungstext auch in Bewegung gesetzt werden, wenn eine Vertragspartei eine Maßnahme ergreift, die den Vorteil, den die andere Verhandlungspartei aus einer Bestimmung des Freihandelsabkommens zieht, “zunichtemacht oder wesentlich beeinträchtigt”.
Auch diese Bestimmung ist mit Blick auf die Entwaldungsverordnung in das Abkommen eingefügt worden. Sollte sich beispielsweise herausstellen, dass die Verordnung sich so stark auf die Mercosur-Exporte in die EU auswirken würde, dass die zusätzlichen Einfuhrquoten den südamerikanischen Landwirten gar nichts nützten, könnte Mercosur den Streitschlichtungsmechanismus anrufen.
Die Klausel ist aber nicht auf die Entwaldungsverordnung oder auf die EU beschränkt. Beide Vertragsparteien können sich darauf berufen, wenn sie denken, dass eine Maßnahme des Gegenübers die Vorteile des Handelsabkommens wesentlich einschränkt.
Laut einem EU-Beamten ist ein derart weitgefasster Streitschlichtungsmechanismus nicht üblich in Freihandelsabkommen der EU. Der Punkt sei für die Mercosur-Staaten aber wichtig gewesen, auch um dem heimischen Publikum einen politischen Erfolg vorweisen zu können. jaa
Die EVP-Fraktion hat das Positionspapier “Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Automotive-Industrie” beschlossen. Darin fordert die größte Fraktion im EU-Parlament unter anderem eine Abkehr von dem bereits beschlossenen Verbrenner-Aus für Neuwagen ab 2035.
“Wir unterstützen den von der Kommission angekündigten Strategischen Dialog unter der Leitung von Ursula von der Leyen“, erklärte der Koordinator für Verkehrspolitik Jens Gieseke. Der CDU-Politiker hatte das Papier im Auftrag von EVP-Chef Manfred Weber erarbeitet. Die EVP habe die klare Erwartung, dass die Inhalte des Papiers “in diesem Prozess angemessen berücksichtigt werden”, teilte Gieseke weiter mit. mgr
Die Europäische Kommission will EU-Staaten, die an Russland und Belarus angrenzen, besser vor Migranten schützen. Für mehr digitale Überwachung und weitere Technik stellt die Brüsseler Behörde 170 Millionen Euro bereit, teilte sie am Mittwoch mit. Die Gelder sollen an Finnland, Polen, Lettland, Litauen, Estland und das Nicht-EU-Land Norwegen gehen.
Das Geld solle genutzt werden, “um die elektronische Überwachungsausrüstung aufzurüsten, die Telekommunikationsnetze zu verbessern, mobile Detektionsgeräte einzusetzen und das Eindringen von Drohnen zu bekämpfen”, hieß es in einer Erklärung.
Zuvor hatte Finnland Russland beschuldigt, Migranten aus Ländern wie Syrien und Somalia zu ermutigen, die Grenze zu überqueren. Moskau bestreitet das. Polen hatte beklagt, dass Belarus Migranten eine inoffizielle Route nach Europa anbiete. Auch Belarus weist die Vorwürfe zurück.
Henna Virkkunen, die für Sicherheit zuständige Vizepräsidentin der Kommission, bezeichnete die Lage an den europäischen Grenzen als sehr ernst. “Russland nutzt die Bewaffnung der Migration als ein neues Instrument im hybriden Krieg gegen die EU. Wir dürfen nicht zulassen, dass ein feindlicher Staat die europäischen Werte missbraucht, einschließlich des Rechts auf Asyl”, sagte sie. mbn/rtr
Der slowakische Ministerpräsident Robert Fico hat sich unterstützend für den Plan Chinas und Brasiliens für ein Ende des Kriegs in der Ukraine ausgesprochen. Fico zufolge tritt die Slowakei der Gruppe “Freunde des Friedens” bei den Vereinten Nationen bei und begrüßt den Friedensplan, den Brasilien gemeinsam mit China ausgearbeitet hat. “Wir bieten alle unsere bescheidenen Möglichkeiten, die wir in der Slowakei haben, um diesen Plan in verschiedenen Formen zu unterstützen”, sagte der slowakische Regierungschef bei einem Besuch in Brasilien. Er sei überzeugt, dass Brasilien zusammen mit China und anderen großen Ländern “eine äußerst wichtige Rolle spielen” werde, so Fico.
Die Initiative “Freunde des Friedens” wurde im September von China, Brasilien und mehr als einem Dutzend weiterer Länder bei den Vereinten Nationen ins Leben gerufen. Ihr Zwölf-Punkte-Plan schlägt unter anderem:
Der Plan wird von der Ukraine und westlichen Vertretern als keine Option zurückgewiesen, unter anderem da demnach die Ukraine Gebiete an den Angreiferstaat Russland abtreten müsste. ari
Die EU-Mitgliedstaaten haben sich angesichts des Ukraine-Kriegs auf ein weiteres Sanktionspaket gegen Russland geeinigt. Laut Informationen der Deutschen Presse-Agentur soll vor allem schärfer gegen die sogenannte russische Schattenflotte für den Transport von Öl und Ölprodukten vorgegangen werden. Plan ist es demnach, mehr als 50 weiteren Schiffen zu verbieten, in Häfen innerhalb der EU einzulaufen. Zudem sollen sie nicht mehr von Dienstleistungen europäischer Unternehmen profitieren können.
Bereits im Juni hatte die EU in einem ersten Schritt rund zwei Dutzend Schiffe auf eine entsprechende Schwarze Liste gesetzt. Russland wird vorgeworfen, zur Umgehung eines westlichen Preisdeckels für russische Ölexporte in Drittstaaten auf Schiffe zu setzen, die nicht in der Hand westlicher Reedereien oder von westlichen Versicherungen versichert worden sind. Voraussichtlich am kommenden Montag sollen die EU-Außenminister noch formell die im Coreper erzielte Einigung bestätigen. dpa
Seine Kritiker verliehen Daniel Křetínský (49) schon viele Etiketten: Die “tschechische Sphinx” werde er von der Financial Times genannt. Der französische Journalist Jérôme Lefilliâtre nannte ihn in einer Biografie den “Müllsammler Europas”. Denn Křetínský hat im Jahr 2009 unter anderem die Mitteldeutsche Braunkohlengesellschaft (Mibrag) und 2016 die Leag in der Lausitz erworben. Durch den Kauf der Kohleunternehmen stieg der Milliardär zu einem der größten Luftverschmutzer Europas auf.
Nun kommt eine weitere charakterisierende Metapher hinzu: “Zugeknöpft wie eine Auster” sei er zu seinen konkreten Plänen für die Thyssenkrupp-Stahltochter TKSE, sagte Jürgen Kerner im Gespräch mit Table.Briefings. Der zweite Vorsitzende der IG Metall und Aufsichtsratsmitglied der Thyssenkrupp AG hat jedoch einen durchaus differenzierten Eindruck von Křetínský.
An der TKSE hält Křetínský bereits ein Fünftel der Anteile, für weitere 30 Prozent besteht eine Option. “Wenn ich ihm eine Nachricht zukommen lasse, kommt sofort eine Reaktion”, sagt Kerner. “Das ist sehr freundlich.” Aber ein Gespräch über die wichtigen Fragen finde trotzdem nicht statt.
Ohne ein verbindliches Gespräch bleibe unklar, ob Křetínský eigenes Geld in den Konzern investieren wolle, um die Restrukturierung und ökologische Transformation des defizitären größten deutschen Stahlkonzerns mit zu ermöglichen. “Jede Woche, die ohne so ein Gespräch vergeht, nährt die Zweifel bei mir und den Kolleginnen und Kollegen, dass er der richtige Eigentümer ist”, mahnt Kerner. Dabei sei der Tscheche eigentlich “ein sehr zugewandter Mensch”, mit dem man sich gut “über vielerlei Themen auf einer Metaebene” unterhalten könne.
Ganz ähnlich beschreibt Sigmar Gabriel den Investor im Gespräch mit Table.Briefings: “Ich habe Herrn Křetínský als außerordentlich kenntnisreichen und sehr guten Analytiker kennengelernt”, sagt der ehemalige Bundeswirtschaftsminister, der im Spätsommer im Streit mit dem Thyssenkrupp-Vorstand seinen Posten als TKSE-Aufsichtsratsvorsitzender räumte. Damals empfahl Gabriel sogar, Křetínský solle die TKSE vollständig übernehmen – eine Aussage, der ehemalige Wirtschaftsminister nun aber nicht wiederholen wollte.
Křetínský gehört laut der Forbes-Reichenliste mit 9,4 Milliarden US-Dollar zu den drei reichsten Tschechen, seine Firmenbeteiligungen werden auf das Fünffache taxiert. Wie er als Sohn eines Informatikprofessors und einer Verfassungsrichterin zu diesem Reichtum gekommen ist, erklärt sich durch mehrere für ihn glückliche Umstände: zunächst lernte er nach seinem Jura-Studium und der Promotion an der Masaryk-Universität in Brünn Patrik Tkác und Petr Kellner kennen.
Tkác, erfolgreicher Bankier aus der Slowakei, holte Křetínský 1999 in seine Investmentfirma J&T, und machte ihn 2003 zum Partner. Gemeinsam gründeten sie 2009 die Holding EPH und engagierten sich zunächst im Geschäft mit fossiler Energie in Mittelosteuropa. Kellner wiederum hatte während der sogenannten Coupon-Privatisierung nach der Wende in Tschechien mit seinem in den Niederlanden registrierten Fonds PPF anscheinend wertlose Anteile der ehemaligen Staatsbetriebe aufgekauft und damit ein Vermögen gemacht. Mit Kellners Tochter Anna war Křetínský jahrelang liiert, mit der Hilfe ihres Vaters baute er am verschachtelten EPH-Firmenimperium.
Außerdem profitierte er enorm von der Vollinvasion Russlands in der Ukraine. Seitdem rentierten sich nicht nur die Kohlekraftwerke in Ostdeutschland und anderswo, sondern stiegen nach Angaben der tschechischen NGO Re-Set auch die Gewinne aus dem Erdgastransit von Sibirien nach Westeuropa, welche die EPH-Mehrheitsbeteiligung an Eustream einstreicht. Die ukrainische Regierung war davon genauso wenig begeistert wie über die anhaltenden Geschäfte des in Düsseldorf ansässigen Handelskonzerns Metro in Russland. Bei der kriselnden Metro hatte sich Křetínský 2018 eingekauft.
Heute gehört Křetínský ein schwer durchschaubares Firmengeflecht in ganz Europa. Beteiligungen hält er etwa an Supermarktketten wie Sainsbury (Großbritannien) und Casino (Frankreich), an Fußballclubs wie Westham United und Sparta Prag, und der niederländischen Post. In Frankreich kaufte er neben der Illustrierten Elle auch das linke Magazin Marianne und den zweitgrößten Verlag Editis. In seinem Heimatland bespielt sein Czech News Center ein Drittel des Medienmarkts, darunter das Boulevardblatt Blesk.
Gerade dieses Blatt, so Křetínskýs zahlreiche Gegner aus der Umweltschützer-Szene, habe immer wieder den Klimawandel geleugnet – vermeintlich passend zu einem Investor, der einen Großteil seines Vermögens mit fossiler Energie gemacht hat. Ein prominenter Gegner ist EU-Kommissar Jozef Síkela. Er hatte in seiner Zeit als tschechischer Industrie- und Handelsminister Křetínskýs Übernahmeversuch des Pipelinebetreibers Net4Gas abgewehrt und das Unternehmen verstaatlicht. Síkela fühlte sich durch negative Berichterstattung in Blesk unfair bedrängt. Inzwischen präsentiert sich Křetínský als Klimaschützer und gibt an, mit seinen Firmen die Energiewende voranbringen zu wollen.
Die Geschäftsstrategie von Křetínský ist es, kriselnde Unternehmen günstig aufzukaufen. Danach hält er sie in der Regel jahrelang. Er zerlegt sie anders als viele andere Investoren gewöhnlich nicht in Einzelteile. Aber er investiert oft auch nicht in größerem Stil, um die Unternehmen wieder in die Erfolgsspur zu bringen. Darauf hofft aber der IG-Metaller Kerner immer noch für die TKSE.
Dass Křetínský allerdings im Gegenteil Gewinne entzieht, wie ein Greenpeace-Bericht über die Leag kürzlich nahelegte, bestritt sein Sprecher Daniel Častvaj. “Als Aktionäre haben wir noch keinen einzigen Euro Gewinn als Dividende erhalten“, schrieb Častvaj an Table.Briefings. “Alle Gewinne werden im Unternehmen reinvestiert.” Ansonsten bitte er um Verständnis, dass ein Interview mit Křetínský zur Leag oder zur TKSE derzeit nicht möglich sei. Da ist sie wieder – die Auster. Alex Veit
Christoph von dem Bussche, Co-Geschäftsführer des deutschen Gasnetzbetreibers Gascade, ist am Mittwoch zum Präsidenten von Pre-ENNOH gewählt worden. Pre-ENNOH ist die Vorläuferorganisation des künftigen europäischen Wasserstoffnetz-Verbands (ENNOH), der 2025 die Arbeit aufnehmen will. In den Vorstand berufen wurde außerdem Detlef Brüggemeyer, Technischer Geschäftsführer von Open Grid Europe. An Gascade ist der Bund mittelbar beteiligt, die Bundesregierung strebt die komplette Übernahme der Muttergesellschaft Wiga an.
Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie doch einen Hinweis für unsere Personal-Rubrik an heads@table.media!
die Fraktionschefs im EU-Parlament haben den Weg für die Ausschussreform gestern nicht ganz frei gemacht. Eigentlich wollten sie die bisherigen Unterausschüsse Sicherheit und Verteidigung (SEDE) sowie Öffentliche Gesundheit (SANT) zu Vollausschüssen machen. Außerdem soll es zwei auf zwölf Monate befristete Sonderausschüsse geben: für die Bekämpfung der Wohnungsnot (Housing) und zur Stärkung der Demokratie (Democracy Shield). Doch gestern Abend in der Konferenz der Präsidenten gab es noch Komplikationen. Nun will man die Zustimmung im schriftlichen Verfahren bis Montag einholen, um in der Straßburg-Woche im Plenum dann abzustimmen.
Die Aufwertung des ehemaligen AFET-Unterausschusses SEDE zu einem Vollausschuss hatten die Parlamentarier bereits im Sommer beschlossen, als die Parteifamilien der Von-der-Leyen-Koalition das Personalpaket für die Topjobs verhandelten. In den Mandaten finden sich die Kompetenzen wieder. Klar ist, dass SEDE nicht nur von AFET, sondern auch vom Industrieausschuss ITRE Kompetenzen bekommen soll.
Damit soll sichergestellt werden, dass Verteidigungskommissar Andrius Kubilius, dessen Aufgabenfeld im Wesentlichen die Verteidigungsindustrie ist, drüben im Parlament auf einen passenden Ausschuss trifft – in Form des SEDE-Vollausschusses unter Führung von Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP). Im AFET, unter der Führung von David McAllister (CDU), treten dann die Hohe Beauftragte Kaja Kallas auf, Mittelmeerkommissarin Dubravka Suica sowie Erweiterungskommissarin Marta Kos.
Wir müssen noch eine Korrektur des Editorials aus der gestrigen Ausgabe zum Besuch von Wirtschaftsminister Robert Habeck in Brüssel vornehmen: Dort hatte Habeck vom “Widerspruch” zwischen den Schuldenregeln und dem Ziel höherer Verteidigungsausgaben gesprochen. Seit dem Draghi-Bericht sei klar, dass zusätzliche Investitionen in dreistelliger Milliardenhöhe notwendig seien. Und dann hieß es: Möglicherweise wären die EU-Schuldenregeln anders ausgefallen, wenn man diese Erkenntnisse vorher gehabt hätte. Dieses indirekte Zitat stammt von Habeck und nicht von Bundesfinanzminister Jörg Kukies, wie wir irrtümlich geschrieben hatten. Wir bitten, dieses Versehen zu entschuldigen.
Kommen Sie gut in den Tag!
Ohne die effizientere Nutzung von Prozesswärme aus der Industrie sind die europäischen Klimaziele kaum erreichbar. Denn die Hauptemissionsquelle der Industrie ist die Verbrennung fossiler Brennstoffe – vor allem Gas – zur Wärmeerzeugung in Produktionsprozessen von Lebensmitteln, Papier, Chemikalien, Stahl und Zement. Laut einem an diesem Donnerstag veröffentlichten Bericht des Thinktanks Regulatory Assistance Project (RAP) könnten erhebliche Mengen an Treibhausgasemissionen durch die Elektrifizierung von Industrieprozessen vermieden werden.
Demnach waren im Jahr 2020 nur drei Prozent der Prozesswärme elektrifiziert – der Rest wurde durch fossile Energieträger gewonnen. Dabei könnten mit heute kommerziell verfügbaren Technologien schon bis zu 60 Prozent elektrifiziert sein, schreiben die RAP-Experten. Bis 2035 liege das Potenzial sogar bei 90 Prozent. Barrieren für eine schnellere Elektrifizierung sind:
RAP schlägt deshalb eine EU-Elektrifizierungsrichtlinie für die Industrie vor, um 60 Prozent Elektrifizierung bis 2050 zu erreichen. Die Europäische Kommission müsse die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verbessern, beispielsweise über Energie- und Kohlenstoffpreise, steuerliche Anreize und gezielte Unterstützung, um das Investitionsrisiko zu senken.
Zudem brauche es eine bessere Netzplanung und mehr Förderung für Forschung und Entwicklung. “Um das Elektrifizierungspotenzial in der deutschen Industrie zu heben, kommt es darauf an, die Netzentgelte zu reformieren und mehr Flexibilität zu fördern”, sagt Jan Rosenow, RAP-Direktor und Wissenschaftler am Environmental Change Institute der Universität Oxford. Bislang hätten große industrielle Stromverbraucher Rabatte für eine konstante Nachfrage erhalten. “Mit dem Aufkommen variabler erneuerbarer Energiequellen sollten wir jedoch zu dynamischen, zeitlich variierenden Netzgebühren übergehen, die die tatsächlichen Kosten der Stromübertragung widerspiegeln und einen flexiblen Energieeinsatz fördern.”
Die Industrie ist weltweit für bis zu 20 Prozent der CO₂-Emissionen verantwortlich. In Europa werden über 65 Prozent der Energie bei industriellen Anwendungen für Prozesse wie Trocknen, Bleichen, Sterilisierung und Destillierung verbraucht. Und ein Großteil dieser wertvollen Wärme geht verloren, weil er ungenutzt an die Umgebung abgegeben wird. Das will das Unternehmen Susheat nun ändern.
Eine Möglichkeit, industrielle Abwärme effizienter zu nutzen und dadurch Treibhausgasemissionen einzusparen, sind Hochtemperatur-Wärmepumpen. Ein neues Forschungsprojekt von Susheat zielt auf eine solche Effizienz-Revolution beim Energieverbrauch der europäischen Industrie ab und soll die Dekarbonisierung in diesem Bereich vorantreiben. Die Entwickler von Susheat wollen 75 Prozent oder mehr der Wärme aus Sektoren wie der Lebensmittel- und Getränkeindustrie, der Papierindustrie und der Petrochemie zurückgewinnen und wiederverwenden.
Eine kürzlich veröffentlichte Studie schätzt, dass Wärmepumpen, die Temperaturen von bis zu 250 Grad Celsius liefern, die industriebedingten Emissionen Europas um etwa 20 Millionen Tonnen CO₂ pro Jahr reduzieren könnten und eine “bedeutende” Rolle beim Erreichen der EU-Klimaziele spielen können. Das System aus einer neuartigen Wärmepumpe mit einem Speichersystem könnte zudem in ein bis zwei Jahren einsatzfähig sein – wenn die politischen Rahmenbedingungen und die Finanzierungskosten stimmen.
Silvia Trevisan und Mateo Sanclemente Lozano sind Forscher der Königlichen Technischen Hochschule (KTH) in Stockholm. Ihre Hochschule gehört zu den 14 Unternehmen und Universitäten, die an Susheat teilnehmen und in Ländern wie Rumänien, Italien, Österreich und Großbritannien ansässig sind, erklärten Trevisan und Lozano im Gespräch mit Table.Briefings. Mit einem Stirlingmotor der neuesten Generation, gebaut von der norwegischen Firma Enerin, nutzen sie die Abwärme und wandeln sie in Temperaturen von bis zu 250 Grad um.
Die KTH-Forscher verbinden die Wärmepumpe mit einem Speichersystem, das zum Teil die Form und Funktion der menschlichen Lunge nachahmt. Das System wurde von der Universitat de Lleida (Spanien) entwickelt und kann Wärme für mehrere Stunden speichern und so für mehr Flexibilität und Wärme auf Abruf sorgen.
Um noch flexibler und leistungsfähiger zu sein, sind die neuen industriellen Wärmepumpen- und Wärmespeichertechnologien mit einem solarthermischen Kraftwerk und einem KI-Managementsystem verbunden. So soll so viel Abwärme wie möglich wiederverwendet werden. Gleichzeitig soll das Technologiepaket für verschiedene Länder mit unterschiedlichen Strompreisen und -bedingungen geeignet sein.
“Man kann auch mit gebündelter Solarenergie Temperaturen zwischen 200 und 250 Grad erreichen”, sagt Trevisan. In einem Land wie Italien, wo Strom teuer ist, aber viel Sonne scheint, werde man mehr konzentrierte Solarwärme verwenden und weniger mit der Wärmepumpe produzieren. “In einem Land wie Norwegen, wo die Sonne weniger scheint, der Strom aber billig und umweltfreundlich ist, kann man die industrielle Wärmepumpe stärker einsetzen.”
Die kommerziellen industriellen Hochtemperatur-Wärmepumpen, die 250 Grad erreichen, könnten in ein bis zwei Jahren zur Verfügung stehen. “Das integrierte System wird mehr Zeit in Anspruch nehmen, da das Management komplexer ist – vielleicht vier bis fünf Jahre”, sagt Trevisan.
Die womöglich größten Herausforderungen sind die Kapitalkosten für die neuen Technologien und die von den Regierungen angebotenen Anreize. “Die Technologie könnte einen Wendepunkt darstellen”, sagt Trevisan. “Ein Großteil der Herausforderung hängt wahrscheinlich eher mit den Kapitalkosten und den Amortisationszeiten zusammen, die die Industrie bereit ist zu akzeptieren.”
Die European Heat Pump Association sieht das ähnlich. In den meisten EU-Ländern sowie in Norwegen, der Schweiz und Großbritannien gibt es staatliche Anreize, aber auch Hindernisse – unter anderem das mangelnde Bewusstsein für das Potenzial der neuen Technik. Deshalb fordert der Verband die EU-Kommission auf, diese neuen Technologien ins Zentrum ihres Gesetzes zur Beschleunigung der industriellen Dekarbonisierung (Industrial Decarbonisation Accelerator Act) zu stellen, das in Kürze veröffentlicht werden soll.
Trotz neuer Verflüssigungskapazitäten für LNG rechnet die Branche weiter mit einer angespannten Versorgung. “Für die nächsten zwei bis drei Jahre wird der Markt eng bleiben“, sagte Laurent David, Sprecher der Internationalen Vereinigung von LNG-Importeuren (GIIGNL), am Mittwoch beim World LNG Summit in Berlin.
Für Ende 2025 rechnet die Internationale Energieagentur (IEA) zwar damit, dass die weltweiten Verflüssigungskapazitäten um sechs Prozent wachsen werden. Allerdings machten die Teilnehmer in Berlin deutlich, dass sie aus mehreren Gründen auch mit einer zunehmenden globalen Nachfrage rechnen.
Rechenzentren & KI: In Malaysia und anderen südostasiatischen Staaten treiben Rechenzentren den Stromverbrauch in die Höhe, und der müsse entweder mit Erneuerbaren oder Gas gedeckt werden, sagte Alan Heng, CEO von Pavilion Energy aus Singapur. Die Gasbranche sieht sich jedenfalls als Konkurrenz zur Atomkraft. Letztere wird von vielen Silicon-Valley-Unternehmen favorisiert. CO₂-Abscheidung sei die einzige wettbewerbsfähige und verfügbare Technik, um jederzeit kohlenstoffarmen Strom für Rechenzentren zu liefern, gab sich Andrew Elliot von ExxonMobil überzeugt.
Ergänzung zu Erneuerbaren & AKW: “Wir brauchen immer noch ein zentralisiertes Backup und das bringt einen zu LNG. Batterien und Wasserstoff reichen nicht”, sagte Javier Moret, Global Head of LNG bei RWE. Mit ähnlichen Argumenten werben die Essener auch in Deutschland für einen zentralen Kapazitätsmarkt. Doch auch Kernkraftwerke seien darauf angewiesen, dass Gas die Spitzenlast deckt, sagte Takeuchi Atsunori von Tokyo Gas. In Taiwan wiederum werde 2025 das letzte noch verbliebene AKW außer Betrieb gehen, sodass mehr Gas benötigt werde, sagte Jane Liao vom Energieunternehmen CPC.
Schifffahrt: In Singapur sei der Einsatz von LNG in der Schifffahrt in diesem Jahr exponentiell gewachsen, berichtete Heng von Pavilion Energy. Bei erschwinglichen Preisen werde sich diese Entwicklung weiter fortsetzen.
China und weitere Staaten seien dabei, ihre Kapazitäten zur Regasifizierung zu erhöhen, fasste es Anatol Feygin vom texanischen Exporteur Cheniere zusammen. “Wir werden unser Geld in angespannten Zeiten schon verdienen”, sagte Feygin. Welche Rolle dabei einmal gebauten Terminals und Pipelines zukommt, verdeutlichte Konferenzpräsidentin Pat Roberts: “Aus meiner Erfahrung der letzten 20 Jahre kann ich sagen: Wenn Infrastruktur einmal da ist, werden Gelegenheiten kommen, um sie zu nutzen.”
Zwar bekannten sich viele Teilnehmer zur Dekarbonisierung. Konkrete Ankündigungen fehlten aber fast vollständig. Nnamdi Anowi von Nigeria LNG berichtete von einer Studie zur Finanzierbarkeit von CCS. Zur erstmals abgehaltenen “World Renewable Fuels Conference” kamen nur ein bis zwei Dutzend Teilnehmer – ein Bruchteil derjenigen aus dem großen Konferenzsaal. Bei einem Panel zur Dekarbonisierung diskutierte kein einziger NGO-Vertreter mit.
Ein wichtiger erster Schritt zur Dekarbonisierung soll die europäische Methan-Verordnung werden. Sie verbietet in den nächsten Jahren das Venting und Flaring von Erdgas aus der Förderung in der EU, soll Methanlecks bekämpfen und verpflichtet Importeure zumindest zur Berichterstattung über Emissionen. Letzteres sei keine Mission Impossible, bekräftigte Georges Tijbosch von der Zertifizierungsinitiative MiQ.
Bisher haben sich aber vor allem große Gaskonzerne mit dem Treibhausgas-Fußabdruck ihrer Produktion beschäftigt. “Viele Lieferanten haben keine Ahnung, woher ihre Moleküle kommen”, sagte Feygin von Cheniere. Aus der europäischen Regulierung erwartet Tijbosch von MiQ für die Zukunft eine zulässige Leckage-Rate allein aus der Produktion von 0,2 Prozent: “Viele Unternehmen, die wir zertifizieren, liegen darunter. Der Durchschnitt in den USA ist aber viel höher.”
Weit verbreitet war das Venting und Flaring zum Beispiel lange im texanischen Permian Basin, wo Erdgas teilweise als Nebenprodukt der Ölförderung anfällt. Kleinen Produzenten waren die Kosten für Gasleitungen zu hoch, weshalb sie das Gas einfach abfackelten.
Unter Donald Trump wird ein Zurückdrehen der Regulierung von Joe Biden erwartet. “Es ist klar, dass die neue Administration das Thema Methan eliminieren will”, sagte Christopher Goncalves von der Berkeley Research Group auf einem Podium. Die Rücknahme der Methan-Regulierung werde schnell kommen, weil die Regierung damit nicht durch den US-Kongress müsse.
Goncalves sieht jedoch auch zwei gegenläufige Bewegungen. Im demokratisch regierten Kalifornien und anderen Blue States werde es für Trump schwierig, die Politik zu ändern. Außerdem seien im Permian Basin inzwischen viele Gasleitungen in Bau. “Die Unternehmen werden nun mehr LNG exportieren wollen, und das vielleicht wichtigste Mittel, um die Gas-Verschwendung zu verhindern ist, es in den Markt zu bringen.”
13.12.2024 – 17:00-18:30 Uhr, online
FNF, Vortrag Die neue Europäische Kommission “von der Leyen II”
Die Friedrich-Naumann-Stiftung (FNF) beschäftigt sich mit den Aufgaben der Kommission von der Leyen II. INFOS & ANMELDUNG
16.12.2024 – 18:30-20:00 Uhr, Berlin/online
DGAP, Diskussion Der Sieg Donald Trumps und das Ampel-Aus: Konsequenzen für die transatlantische Sicherheitsarchitektur
Die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) diskutiert, welche Konsequenzen aus den Regierungswechseln in Deutschland und den USA für die transatlantische Sicherheitsarchitektur zu erwarten sind. INFOS & ANMELDUNG
16.12.2024 – 19:00-20:00 Uhr, online
FNF, Diskussion Wie grün ist grüner Wasserstoff für den Globalen Süden?
Die Friedrich-Naumann-Stiftung (FNF) diskutiert, ob grüner Wasserstoff für den Globalen Süden nachhaltig ist. INFOS & ANMELDUNG
17.12.2024 – 10:30-12:30 Uhr, Brüssel (Belgien)/online
ERCST, Roundtable 2025 State of the EU ETS Report
The European Roundtable on Climate Change and Sustainable Transition (ERCST) brainstorms on the outline and content of the 2025 state of the EU ETS Report INFOS & REGISTRATION
In den Verhandlungen über das Freihandelsabkommen mit der EU konnten die vier Mercosur-Staaten eine bevorzugte Behandlung für sich aushandeln in Sachen Entwaldungsverordnung (EUDR). Die ist Drittstaaten schon länger ein Dorn im Auge, speziell den südamerikanischen Mercosur-Staaten.
Die relevante Passage dazu findet sich im neuen Annex zum Kapitel “Handel und nachhaltige Entwicklung” des Abkommens. In Artikel 56 des Annex steht: “Die EU anerkennt, dass dieses Abkommen und die Maßnahmen zur Umsetzung der sich daraus ergebenden Verpflichtungen neben anderen Kriterien bei der Risikoeinstufung von Ländern wohlwollend berücksichtigt werden sollen.” Die Risikoeinstufung von Ländern ist ein wichtiger Teil der EUDR, da Produkte aus Hochrisikoländern höheren Due Diligence Anforderungen unterstellt sind.
Zusätzlich zur Zusicherung einer wohlwollenden Berücksichtigung in der Risikoeinstufung garantiert die EU den Mercosur-Staaten, dass europäische Behörden bei Kontrollen im Rahmen der EUDR auf Dokumente, Daten und Monitoringsysteme der Mercosur-Staaten zurückgreifen werden. Dies soll den südamerikanischen Staaten die Sorge nehmen, dass die EUDR ihre Souveränität untergräbt.
“Innerhalb der Grenzen der Entwaldungsrichtlinie” würden die Mercosur-Staaten nun eine “leicht bessere Behandlung” als andere Staaten genießen, erklärte ein EU-Beamter. Er betonte jedoch, dass es keine Garantien oder Ausnahmen gebe für die Staaten des Mercosur.
Ein weiteres Zugeständnis, das die Kommission den Südamerikanern machen musste, ist die Ausweitung des Streitschlichtungsmechanismus. Dieser kann laut Verhandlungstext auch in Bewegung gesetzt werden, wenn eine Vertragspartei eine Maßnahme ergreift, die den Vorteil, den die andere Verhandlungspartei aus einer Bestimmung des Freihandelsabkommens zieht, “zunichtemacht oder wesentlich beeinträchtigt”.
Auch diese Bestimmung ist mit Blick auf die Entwaldungsverordnung in das Abkommen eingefügt worden. Sollte sich beispielsweise herausstellen, dass die Verordnung sich so stark auf die Mercosur-Exporte in die EU auswirken würde, dass die zusätzlichen Einfuhrquoten den südamerikanischen Landwirten gar nichts nützten, könnte Mercosur den Streitschlichtungsmechanismus anrufen.
Die Klausel ist aber nicht auf die Entwaldungsverordnung oder auf die EU beschränkt. Beide Vertragsparteien können sich darauf berufen, wenn sie denken, dass eine Maßnahme des Gegenübers die Vorteile des Handelsabkommens wesentlich einschränkt.
Laut einem EU-Beamten ist ein derart weitgefasster Streitschlichtungsmechanismus nicht üblich in Freihandelsabkommen der EU. Der Punkt sei für die Mercosur-Staaten aber wichtig gewesen, auch um dem heimischen Publikum einen politischen Erfolg vorweisen zu können. jaa
Die EVP-Fraktion hat das Positionspapier “Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Automotive-Industrie” beschlossen. Darin fordert die größte Fraktion im EU-Parlament unter anderem eine Abkehr von dem bereits beschlossenen Verbrenner-Aus für Neuwagen ab 2035.
“Wir unterstützen den von der Kommission angekündigten Strategischen Dialog unter der Leitung von Ursula von der Leyen“, erklärte der Koordinator für Verkehrspolitik Jens Gieseke. Der CDU-Politiker hatte das Papier im Auftrag von EVP-Chef Manfred Weber erarbeitet. Die EVP habe die klare Erwartung, dass die Inhalte des Papiers “in diesem Prozess angemessen berücksichtigt werden”, teilte Gieseke weiter mit. mgr
Die Europäische Kommission will EU-Staaten, die an Russland und Belarus angrenzen, besser vor Migranten schützen. Für mehr digitale Überwachung und weitere Technik stellt die Brüsseler Behörde 170 Millionen Euro bereit, teilte sie am Mittwoch mit. Die Gelder sollen an Finnland, Polen, Lettland, Litauen, Estland und das Nicht-EU-Land Norwegen gehen.
Das Geld solle genutzt werden, “um die elektronische Überwachungsausrüstung aufzurüsten, die Telekommunikationsnetze zu verbessern, mobile Detektionsgeräte einzusetzen und das Eindringen von Drohnen zu bekämpfen”, hieß es in einer Erklärung.
Zuvor hatte Finnland Russland beschuldigt, Migranten aus Ländern wie Syrien und Somalia zu ermutigen, die Grenze zu überqueren. Moskau bestreitet das. Polen hatte beklagt, dass Belarus Migranten eine inoffizielle Route nach Europa anbiete. Auch Belarus weist die Vorwürfe zurück.
Henna Virkkunen, die für Sicherheit zuständige Vizepräsidentin der Kommission, bezeichnete die Lage an den europäischen Grenzen als sehr ernst. “Russland nutzt die Bewaffnung der Migration als ein neues Instrument im hybriden Krieg gegen die EU. Wir dürfen nicht zulassen, dass ein feindlicher Staat die europäischen Werte missbraucht, einschließlich des Rechts auf Asyl”, sagte sie. mbn/rtr
Der slowakische Ministerpräsident Robert Fico hat sich unterstützend für den Plan Chinas und Brasiliens für ein Ende des Kriegs in der Ukraine ausgesprochen. Fico zufolge tritt die Slowakei der Gruppe “Freunde des Friedens” bei den Vereinten Nationen bei und begrüßt den Friedensplan, den Brasilien gemeinsam mit China ausgearbeitet hat. “Wir bieten alle unsere bescheidenen Möglichkeiten, die wir in der Slowakei haben, um diesen Plan in verschiedenen Formen zu unterstützen”, sagte der slowakische Regierungschef bei einem Besuch in Brasilien. Er sei überzeugt, dass Brasilien zusammen mit China und anderen großen Ländern “eine äußerst wichtige Rolle spielen” werde, so Fico.
Die Initiative “Freunde des Friedens” wurde im September von China, Brasilien und mehr als einem Dutzend weiterer Länder bei den Vereinten Nationen ins Leben gerufen. Ihr Zwölf-Punkte-Plan schlägt unter anderem:
Der Plan wird von der Ukraine und westlichen Vertretern als keine Option zurückgewiesen, unter anderem da demnach die Ukraine Gebiete an den Angreiferstaat Russland abtreten müsste. ari
Die EU-Mitgliedstaaten haben sich angesichts des Ukraine-Kriegs auf ein weiteres Sanktionspaket gegen Russland geeinigt. Laut Informationen der Deutschen Presse-Agentur soll vor allem schärfer gegen die sogenannte russische Schattenflotte für den Transport von Öl und Ölprodukten vorgegangen werden. Plan ist es demnach, mehr als 50 weiteren Schiffen zu verbieten, in Häfen innerhalb der EU einzulaufen. Zudem sollen sie nicht mehr von Dienstleistungen europäischer Unternehmen profitieren können.
Bereits im Juni hatte die EU in einem ersten Schritt rund zwei Dutzend Schiffe auf eine entsprechende Schwarze Liste gesetzt. Russland wird vorgeworfen, zur Umgehung eines westlichen Preisdeckels für russische Ölexporte in Drittstaaten auf Schiffe zu setzen, die nicht in der Hand westlicher Reedereien oder von westlichen Versicherungen versichert worden sind. Voraussichtlich am kommenden Montag sollen die EU-Außenminister noch formell die im Coreper erzielte Einigung bestätigen. dpa
Seine Kritiker verliehen Daniel Křetínský (49) schon viele Etiketten: Die “tschechische Sphinx” werde er von der Financial Times genannt. Der französische Journalist Jérôme Lefilliâtre nannte ihn in einer Biografie den “Müllsammler Europas”. Denn Křetínský hat im Jahr 2009 unter anderem die Mitteldeutsche Braunkohlengesellschaft (Mibrag) und 2016 die Leag in der Lausitz erworben. Durch den Kauf der Kohleunternehmen stieg der Milliardär zu einem der größten Luftverschmutzer Europas auf.
Nun kommt eine weitere charakterisierende Metapher hinzu: “Zugeknöpft wie eine Auster” sei er zu seinen konkreten Plänen für die Thyssenkrupp-Stahltochter TKSE, sagte Jürgen Kerner im Gespräch mit Table.Briefings. Der zweite Vorsitzende der IG Metall und Aufsichtsratsmitglied der Thyssenkrupp AG hat jedoch einen durchaus differenzierten Eindruck von Křetínský.
An der TKSE hält Křetínský bereits ein Fünftel der Anteile, für weitere 30 Prozent besteht eine Option. “Wenn ich ihm eine Nachricht zukommen lasse, kommt sofort eine Reaktion”, sagt Kerner. “Das ist sehr freundlich.” Aber ein Gespräch über die wichtigen Fragen finde trotzdem nicht statt.
Ohne ein verbindliches Gespräch bleibe unklar, ob Křetínský eigenes Geld in den Konzern investieren wolle, um die Restrukturierung und ökologische Transformation des defizitären größten deutschen Stahlkonzerns mit zu ermöglichen. “Jede Woche, die ohne so ein Gespräch vergeht, nährt die Zweifel bei mir und den Kolleginnen und Kollegen, dass er der richtige Eigentümer ist”, mahnt Kerner. Dabei sei der Tscheche eigentlich “ein sehr zugewandter Mensch”, mit dem man sich gut “über vielerlei Themen auf einer Metaebene” unterhalten könne.
Ganz ähnlich beschreibt Sigmar Gabriel den Investor im Gespräch mit Table.Briefings: “Ich habe Herrn Křetínský als außerordentlich kenntnisreichen und sehr guten Analytiker kennengelernt”, sagt der ehemalige Bundeswirtschaftsminister, der im Spätsommer im Streit mit dem Thyssenkrupp-Vorstand seinen Posten als TKSE-Aufsichtsratsvorsitzender räumte. Damals empfahl Gabriel sogar, Křetínský solle die TKSE vollständig übernehmen – eine Aussage, der ehemalige Wirtschaftsminister nun aber nicht wiederholen wollte.
Křetínský gehört laut der Forbes-Reichenliste mit 9,4 Milliarden US-Dollar zu den drei reichsten Tschechen, seine Firmenbeteiligungen werden auf das Fünffache taxiert. Wie er als Sohn eines Informatikprofessors und einer Verfassungsrichterin zu diesem Reichtum gekommen ist, erklärt sich durch mehrere für ihn glückliche Umstände: zunächst lernte er nach seinem Jura-Studium und der Promotion an der Masaryk-Universität in Brünn Patrik Tkác und Petr Kellner kennen.
Tkác, erfolgreicher Bankier aus der Slowakei, holte Křetínský 1999 in seine Investmentfirma J&T, und machte ihn 2003 zum Partner. Gemeinsam gründeten sie 2009 die Holding EPH und engagierten sich zunächst im Geschäft mit fossiler Energie in Mittelosteuropa. Kellner wiederum hatte während der sogenannten Coupon-Privatisierung nach der Wende in Tschechien mit seinem in den Niederlanden registrierten Fonds PPF anscheinend wertlose Anteile der ehemaligen Staatsbetriebe aufgekauft und damit ein Vermögen gemacht. Mit Kellners Tochter Anna war Křetínský jahrelang liiert, mit der Hilfe ihres Vaters baute er am verschachtelten EPH-Firmenimperium.
Außerdem profitierte er enorm von der Vollinvasion Russlands in der Ukraine. Seitdem rentierten sich nicht nur die Kohlekraftwerke in Ostdeutschland und anderswo, sondern stiegen nach Angaben der tschechischen NGO Re-Set auch die Gewinne aus dem Erdgastransit von Sibirien nach Westeuropa, welche die EPH-Mehrheitsbeteiligung an Eustream einstreicht. Die ukrainische Regierung war davon genauso wenig begeistert wie über die anhaltenden Geschäfte des in Düsseldorf ansässigen Handelskonzerns Metro in Russland. Bei der kriselnden Metro hatte sich Křetínský 2018 eingekauft.
Heute gehört Křetínský ein schwer durchschaubares Firmengeflecht in ganz Europa. Beteiligungen hält er etwa an Supermarktketten wie Sainsbury (Großbritannien) und Casino (Frankreich), an Fußballclubs wie Westham United und Sparta Prag, und der niederländischen Post. In Frankreich kaufte er neben der Illustrierten Elle auch das linke Magazin Marianne und den zweitgrößten Verlag Editis. In seinem Heimatland bespielt sein Czech News Center ein Drittel des Medienmarkts, darunter das Boulevardblatt Blesk.
Gerade dieses Blatt, so Křetínskýs zahlreiche Gegner aus der Umweltschützer-Szene, habe immer wieder den Klimawandel geleugnet – vermeintlich passend zu einem Investor, der einen Großteil seines Vermögens mit fossiler Energie gemacht hat. Ein prominenter Gegner ist EU-Kommissar Jozef Síkela. Er hatte in seiner Zeit als tschechischer Industrie- und Handelsminister Křetínskýs Übernahmeversuch des Pipelinebetreibers Net4Gas abgewehrt und das Unternehmen verstaatlicht. Síkela fühlte sich durch negative Berichterstattung in Blesk unfair bedrängt. Inzwischen präsentiert sich Křetínský als Klimaschützer und gibt an, mit seinen Firmen die Energiewende voranbringen zu wollen.
Die Geschäftsstrategie von Křetínský ist es, kriselnde Unternehmen günstig aufzukaufen. Danach hält er sie in der Regel jahrelang. Er zerlegt sie anders als viele andere Investoren gewöhnlich nicht in Einzelteile. Aber er investiert oft auch nicht in größerem Stil, um die Unternehmen wieder in die Erfolgsspur zu bringen. Darauf hofft aber der IG-Metaller Kerner immer noch für die TKSE.
Dass Křetínský allerdings im Gegenteil Gewinne entzieht, wie ein Greenpeace-Bericht über die Leag kürzlich nahelegte, bestritt sein Sprecher Daniel Častvaj. “Als Aktionäre haben wir noch keinen einzigen Euro Gewinn als Dividende erhalten“, schrieb Častvaj an Table.Briefings. “Alle Gewinne werden im Unternehmen reinvestiert.” Ansonsten bitte er um Verständnis, dass ein Interview mit Křetínský zur Leag oder zur TKSE derzeit nicht möglich sei. Da ist sie wieder – die Auster. Alex Veit
Christoph von dem Bussche, Co-Geschäftsführer des deutschen Gasnetzbetreibers Gascade, ist am Mittwoch zum Präsidenten von Pre-ENNOH gewählt worden. Pre-ENNOH ist die Vorläuferorganisation des künftigen europäischen Wasserstoffnetz-Verbands (ENNOH), der 2025 die Arbeit aufnehmen will. In den Vorstand berufen wurde außerdem Detlef Brüggemeyer, Technischer Geschäftsführer von Open Grid Europe. An Gascade ist der Bund mittelbar beteiligt, die Bundesregierung strebt die komplette Übernahme der Muttergesellschaft Wiga an.
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