heute um 11 Uhr wird Alexander Van der Bellen einen Mann in der Hofburg empfangen, dem er eigentlich keine Türen öffnen wollte. Der österreichische Bundespräsident trifft FPÖ-Chef Herbert Kickl zu einem ersten Gespräch nach dem Scheitern der Koalitionsverhandlungen zwischen ÖVP, SPÖ und Neos. Kickl könnte demnächst zum Bundeskanzler gewählt werden – in einer Koalition mit der ÖVP.
Nachdem die liberalen Neos aus den Gesprächen ausgestiegen waren, scheiterten am Samstag auch Verhandlungen zwischen Sozialdemokraten und Konservativen. Kanzler Karl Nehammer hat seinen Rücktritt angekündigt. Noch im Lauf der Woche will Van der Bellen einen Interimskanzler ernennen, bis eine neue Regierung steht. Neuwahlen sind zwar nicht ausgeschlossen. Sie könnten aber erst in drei Monaten stattfinden und die FPÖ würde Umfragen zufolge nur noch weiter zulegen.
Mit Kickl würde Viktor Orbán einen Partner gewinnen und die Riege der Russlandfreunde im Rat wachsen. Die Wahl des Rechtspopulisten wäre ein bitteres Signal auch für Deutschland und andere europäische Staaten. Wenn sich Parteien der Mitte auf keinen gemeinsamen Kurs mehr einigen können und die wirtschaftlichen Bedingungen nicht verbessern, profitieren die Ränder.
Der wahrscheinliche Durchbruch für die FPÖ ist aber auch ein Warnsignal: Am stärksten hatte der Wirtschaftsflügel der ÖVP für ein Bündnis geworben. Ähnlichkeiten in wirtschaftspolitischen Vorstellungen dürfen aber kein Argument sein, Grundpfeiler der Demokratie wie Rechtsstaat und Gewaltenteilung aufs Spiel zu setzen.
Giorgia Meloni wird künftig, das glauben zumindest zahlreiche Beobachter, eine Brücke zwischen dem designierten US-Präsidenten Donald Trump und Europa schlagen. In den zwei Jahren ihrer Amtszeit hat sich Meloni vor allem außenpolitisch als verlässliche Partnerin etabliert und zählt heute – wohl auch wegen der schwächelnden Regierungen in Paris und Berlin – zu den einflussreichen Politikern Europas.
Das hat sie vor allem geschafft, weil sie auf internationaler Bühne gemäßigter auftritt, als viele es nach ihrer Wahl im Herbst 2022 befürchtet hatten. Dass sie in Italien einen gelinde gesagt hart konservativen Kurs fährt, wird da meist schweigend hingenommen.
Gerade diese Janusköpfigkeit ist es, die Meloni nun die neue Zuständigkeit der Trump-Flüsterin beschert. Dieser präsentierte Meloni den anderen Gästen in seinem Resort am Samstag als “eine fantastische Frau, die Europa wirklich im Sturm erobert” habe. Die überraschende Stippvisite der Römerin in Mar-a-Lago am Wochenende nährt die Hoffnungen ihrer Anhänger, dass die konservative Ministerpräsidentin zu Trumps bevorzugter Verbündeter in Europa werde. Zur Mediatorin zwischen ihm und den anderen Regierungschefs der EU. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte dem Vernehmen nach vorab über die Reise informiert.
Eine Rolle, die ihre Vorgeschichte hat. Schon 2018 hatte sie versucht, in Trumps Dunstkreis einzudringen. Der Besuch des damaligen Trump-Freundes Steve Bannon auf dem Jugendfest Atreju von Melonis Fratelli d’Italia hat allerdings kaum jemanden interessiert. Die Rechtsaußen-Partei war kurz zuvor mit 4,4 Prozent der Stimmen aus der Wahl gegangen und außerhalb Italiens komplett irrelevant.
Sechs Jahre später geht die Strategie Melonis auf: Wenn der heutige Trump-Berater und X-Inhaber Elon Musk – der 2023 der Stargast von Atreju war – in Europa mit jemandem sprechen will, ruft er Meloni an. Die wiederum bezeichnete Musk vor wenigen Tagen in einem Interview mit dem “Corriere della Sera” als “genialen Mann” und das in einer Zeit, in der Musk Wahlwerbung für die AfD macht. Musk sei eine “große Persönlichkeit unserer Zeit”, so das Urteil Melonis, “ein außergewöhnlicher Innovator, der immer die Zukunft im Blick hat.”
Die Italienerin geht aber auch in Hinsicht auf ihre Rolle in Europa durchaus strategisch vor. Meloni hatte Trump nach dessen Wahlsieg im November gratuliert und die “unerschütterlichen Verbindungen” zwischen Italien und den USA betont. Anders aber als ihr Regierungspartner in Rom, Lega-Chef Matteo Salvini, hat sich Meloni offiziell nie als glühende Trump-Anhängerin geoutet.
Als Anfang Dezember in Paris die Kathedrale von Notre-Dame wiedereröffnet wurde, kam es zur offiziell ersten persönlichen Begegnung zwischen Trump und Meloni. Der baldige US-Präsident lobte danach Meloni in einem Interview mit der “New York Post” als eine “echte Powerfrau”. Seit Tagen wird in italienischen Medien darüber spekuliert, ob Meloni der Amtseinführung Trumps am 20. Januar beiwohnen werde – was einer Provokation eines Großteils ihrer europäischen Partner gleichkommen würde. Der Blitz-Besuch am Wochenende dürfte diese Pläne, sollte es sie je gegeben haben, endgültig ad acta gelegt haben.
Interessant ist: Auch der scheidende Amtsinhaber Joe Biden hebt Meloni in seinen letzten Tagen im Amt noch auf ein Podest. Seine letzte Auslandsreise als US-Präsident wird ihn am Donnerstag nach Rom führen. Auf dem Programm stehen neben einer Audienz bei Papst Franziskus auch Treffen mit Meloni und Staatspräsident Sergio Mattarella. Die Sprecherin des Weißen Hauses, Karine Jean-Pierre, sagte, dass dieser Besuch die Beziehungen zwischen den USA und Italien stärken solle.
Bleibt die Frage, ob Meloni ihre neue Machtfülle dazu nutzen wird, gegenüber Trump mit ihren Partnern abgestimmte EU-Positionen zu vertreten, oder ob sie sich für einen orbanesken Sonderweg entscheidet. Doch allein schon die Abhängigkeit Italiens von den Milliarden Euro an EU-Fördergeldern dürfte Meloni im Zaum halten.
Die Unabhängigkeit von Gas aus Russland wird nach Ansicht von Experten erschwert durch hohe Netzentgelte, lange Bauzeiten wichtiger Pipelines und die mangelhafte Umsetzung europäischer Binnenmarktregeln. In der Kritik steht auch die Slowakei. Ministerpräsident Robert Fico droht der Ukraine seit Tagen mit einem Stromboykott wegen des eingestellten Transits von russischem Gas. Die Slowakei war bis zum Jahreswechsel ebenfalls Durchgangsstation für Gas Richtung Westen. Durch den Lieferstopp entgehen ihr künftig Einnahmen von 500 Millionen Euro pro Jahr.
Eigentlich hat die EU genug LNG-Terminals, um russische Lieferungen zu ersetzen. Im vergangenen Jahr flossen noch etwa 16 Milliarden Kubikmeter (bcm) russisches Gas durch die Ukraine-Leitungen. Die Kapazitäten auf Rügen von 10-15 bcm seien 2024 kaum benutzt worden, sagt Georg Zachmann vom Brüsseler Think-Tank Bruegel. Italienische LNG-Terminals hätten ebenfalls noch 10 bcm freie Kapazitäten. “Nach entsprechender Rekonfiguration der Gasflüsse in Europa sollten bestehende LNG-Kapazitäten für den aktuellen Bedarf in der Region ausreichen”, sagt der Energiefachmann.
Andere Experten sehen allerdings in genau dieser Umstellung der Flüsse innerhalb des Kontinents das zentrale Problem. Kyjiw setzt inzwischen auf ein neues Leitungsprojekt, den Vertikalen Gaskorridor. Er kann Flüssiggas aus Griechenland über Moldau bis in die Ukraine und weiter in die Slowakei transportieren. Ein Vorteil: Kyjiw könnte wieder auf Durchleitungsgebühren für den Transport Richtung Westen zählen – wofür auch die EU-Kommission mehrfach geworben hat.
Kurz vor der Jahreswende hatte der ukrainische Versorger DTEK die erste Ladung von US-amerikanischem LNG aus dem griechischen Terminal Revithoussa bei Athen erhalten. “Dies ist mehr als nur eine Lieferung, es ist ein strategischer Schritt”, erklärte der Stabschef des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, Andrij Jermak, auf X.
Derzeit wird der Vertikale Korridor stark erweitert. Die letzten Ausbaustufen zur Kapazitätserhöhung an der griechisch-bulgarischen Grenze im Westen und quer durch Rumänien sollen 2029 vollendet sein. Im vergangenen Jahr habe die hohe Nachfrage in Südosteuropa noch zu Engpässen an mehreren Verbindungen zwischen den Staaten in der Region geführt, berichtete die europäische Regulierungsagentur ACER schon vor Anbruch des Winters bei einem Ministertreffen in Budapest.
Aber auch die Staaten selbst behindern die Gasflüsse laut Händlern durch Bequemlichkeit und nationale Egoismen. Die Netzentgelte in der Slowakei seien intransparent, spiegelten nicht die tatsächlichen Kosten wider und entsprächen nicht den europäischen Netzkodizes, klagte der Energieverband EFET Anfang 2024 bei einem ähnlichen Treffen in Athen.
Wie Netzentgelte die Versorgungssicherheit beeinträchtigen können, zeigte sich zuletzt beim Streit zwischen Deutschland sowie Österreich und anderen mitteleuropäischen Staaten. Die Nutzer zahlen die milliardenteure Befüllung der Gasspeicher im Sommer 2022 noch immer über eine Umlage. Nach monatelangen Interventionen der EU-Nachbarn schaffte es der Bundestag vor Weihnachten noch, die Gasspeicherumlage an den Grenzen zum Jahreswechsel abzuschaffen.
Die steigenden Kosten hätten sonst dazu geführt, dass es zum Beispiel für Österreich billiger gewesen wäre, die eigenen Speicher zu entleeren. “Die Erhöhung der Umlage ist eine Diskriminierung von Inländern”, beschwerte sich darauf der FDP-Bundestagsabgeordnete Michael Kruse über die Folgen für deutsche Gaskunden. Die Erhöhungen dürften allerdings nur wenige Spitzenverbraucher aus der Industrie spüren, wie Berechnungen für Table.Briefings schon vor einem Jahr zeigten.
Deutschland steht aber mit derlei Handelshemmnissen in Europa nicht allein da. Bulgarien und Rumänien hätten etwa die Gebühren für Gashandelsgeschäfte erhöht, heißt es in der EFET-Übersicht von Anfang 2024. Aktuell erschweren “exorbitante Durchleitungsgebühren” einiger Netzbetreiber nach einer Analyse des Informationsdienstes ICIS die Versorgung der abtrünnigen moldawischen Region Transnistrien.
Hinter steigenden Netzentgelten auf Transportebene stehen laut ACER aber auch längerfristige Trends. Seit 2021 hätten sich die Entgelte bereits um 40 Prozent erhöht. Die Wettbewerbshüter machen dafür mehrere Faktoren verantwortlich:
Dass neue Übertragungskapazitäten allein für die Versorgungssicherheit nicht ausreichen, hat sich am Vertikalen Gaskorridor bereits erwiesen. Im vergangenen Juli hatte der ukrainische Transportnetzbetreiber erstmals Ausschreibungen für die erweiterten Kapazitäten an den Grenzen zu Rumänien und Moldau durchgeführt. Wie ein Sprecher Table.Briefings mitteilte, habe es aber zunächst keine Buchungen gegeben.
Grund sei die hohe Preisvolatilität in der Region gewesen, wie aus Unterlagen hervorgeht. An anderen Stellen des Korridors hätten Händler die Leitungen höchstens für zwei Jahre gebucht – “selbst in Fällen, in denen diese Kapazität derzeit stark ausgelastet ist”.
Die EU-Kommission sammelt noch bis Ende Januar Stellungnahmen zu ihrer geplanten Binnenmarktstrategie. Die Konsultation dazu startete am vergangenen Freitag. Die Kommission sammle Informationen über Hindernisse für den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr und Vorschläge zur besseren Durchsetzung von Rechtsvorschriften. Die gesammelten Ideen sollen auf dem Binnenmarktforum am 17. Februar in Krakau erörtert werden, wie die Kommission weiter mitteilte. Bis Mitte des Jahres soll die Strategie vorliegen.
Als nach wie vor bestehende Hindernisse nennt die Kommission in ihrem Aufruf etwa die Anerkennung von Berufsqualifikationen sowie Genehmigungs- und Melderegelungen für Dienstleistungen und Investitionen über Grenzen hinweg. “Die Strategie wird sektorspezifische politische Initiativen wie die Energieunion, die Spar- und Investitionsunion, die Union der Kompetenzen, den Aktionsplan für erschwinglichen Wohnraum und Maßnahmen zur Entwicklung des Binnenmarkts für Verkehrs- und Telekommunikationsdienste ergänzen.” ber
Kommissionspräsident Ursula von der Leyen hat ihre externen Termine für die ersten beiden Januarwochen abgesagt. Laut einem Sprecher hat die 66-Jährige mit einer schweren Lungenentzündung zu kämpfen. Die Präsidentin nehme ihre Amtsgeschäfte von Hannover aus wahr und stehe in engem täglichem Kontakt mit ihrem Team. “Wenn alles gut verläuft, wird die Präsidentin bis Mitte des Monats vollständig geheilt sein und wieder von ihrem Büro im Brüsseler Kommissionsgebäude aus arbeiten.”
Wegen der Erkrankung von der Leyens reist das College der Kommissare nicht wie geplant am 9. Januar nach Danzig, um den Beginn der polnischen Ratspräsidentschaft zu begehen. Die Reise soll nachgeholt werden. Die erste reguläre Sitzung des College ist für den 15. Januar angesetzt. Sollte von der Leyen bis dahin noch nicht gesund sein, würde die erste Vizepräsidentin Teresa Ribera die Sitzung leiten.
Heikel ist der Ausfall vor allem mit Blick auf die Amtseinführung von Donald Trump am 20. Januar. Der neue US-Präsident könnte gleich zu Beginn seiner Amtszeit wichtige Weichen im Ukraine-Konflikt stellen oder Zölle auf Einfuhren aus Europa verhängen, auf die die Europäer reagieren müssten. Von der Leyen kommt eine Schlüsselrolle zu, da sowohl Deutschland als auch Frankreich innenpolitisch geschwächt sind. tho
Der Vize der Grünen-Fraktion im Europaparlament, Sergey Lagodinsky, bewirbt sich im Kreisverband Pankow um das Direktmandat bei der Bundestagswahl am 23. Februar. Ob Lagodinsky bei der Wahl antritt, ist noch nicht klar. Am Mittwoch, 8. Januar, stimmt eine Parteiversammlung der Pankower Grünen darüber ab, wer der Bewerber für das Direktmandat wird. Gegen Lagodinsky kandidieren Julia Schneider, die für die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus ist, sowie der Bundestagsabgeordnete Stefan Gelbhaar.
2021 hat Gelbhaar das Direktmandat im Wahlkreis geholt. Gegen Gelbhaar läuft ein parteiinternes Ombudsverfahren wegen des Vorwurfs von sexuellen Übergriffen. Gelbhaar streitet die Vorwürfe ab und spricht von Verleumdung. Er wurde im November im Kreisverband fast einstimmig zum Direktkandidaten gewählt. Nach Bekanntwerden der Vorwürfe haben nun die Vorstände der Grünen auf Bundes-, Landes und Kreisebene Gelbhaar zum Rückzug aufgefordert. Lagodinsky war der erste Grünen-Politiker, der am Freitag seine Bereitschaft zur Kandidatur gegen Gelbhaar öffentlich gemacht hat. Er versteht seine Kandidatur als “Rettungsaktion” für seinen Heimatkreisverband.
Für die Freien Wähler bewirbt sich Rudolf Rinnen, Wahlkreismitarbeiter des Europaabgeordneten Joachim Streit, um einen Sitz im Europaparlament. Streit ist Mitglied der Renew-Fraktion. Rinnen ist Wahlkreismitarbeiter von Streit. Rinnen führt die Liste der Freien Wähler in Rheinland-Pfalz an. mgr
Die Zeitenwende kommt bislang vor allem als nationales Projekt daher, als Ertüchtigung der Bundeswehr. Oft reduzieren sie viele noch weiter, nämlich auf das Sondervermögen und die zwei Prozent der Nato-Ausgaben, die Deutschland nun endlich liefern will.
Doch seit dem 24.Februar 2022 ist klar definiert, was Deutschland für Europas Sicherheit und Verteidigung liefern muss: Der nationale Beitrag zur Nato muss auch dann dauerhaft verfügbar sein, wenn das Sondervermögen ausgegeben ist; die Ukraine muss in die Verteidigungsanstrengungen des Westens so integriert werden, dass sie zum Sicherheitslieferanten wird. Drittens muss Deutschland innerhalb der Nato kooperationsfähig und -befähigend sein.
Während eins und zwei bekannt sind, aber Schnelligkeit und Umfang der Beiträge hinter den Anforderungen bleiben, wird die Kooperationsfähigkeit häufig vergessen. Doch hier macht Deutschland sogar Rückschritte. Das ist dramatisch, denn Europas Verteidigung beruht auf der Annahme, dass die Europäer ihre politische und militärische Schlagkraft durch Zusammenarbeit und Geschlossenheit steigern. Schließlich können sie die zur Abschreckung und Verteidigung notwendigen großen Nato-Verbände nur gemeinsam aufstellen, und die Ostsee überwachen auch.
Die Zusammenarbeit ist aber auf der politisch-strategischen Ebene auf einem absoluten Tiefpunkt. Deutschlands Partner müssen sich anhören, wie großartig Deutschland die Ukraine unterstützt und andere nicht, zumindest wenn man die Zahlen so wählt, wie die Bundesregierung das tut, und statt auf das Verhältnis zur Wirtschaftskraft auf das absolute Volumen schaut. Die Beziehungen zu zentralen Partnern in Europa sind auf dem Tiefpunkt: Mit Frankreich herrscht ungekannte Sprachlosigkeit. Die Chance eines Neuanfangs mit Polen wurde vergeben. In vielen kleineren Formaten, wie den nordisch-baltischen Treffen, war Deutschland gar nicht mehr eingeladen.
So droht ein deutscher Sonderweg. Deutschland ist stolz auf seine Beiträge, aber seine Partner verzweifeln an Berlins mangelnder Einsicht, weil die deutschen Beiträge einerseits nicht reichen und andererseits ohne Berlin ausreichende Sicherheit in Europa kaum leistbar ist. In diesem Teufelskreis aus deutscher Selbstzufriedenheit und folglich gebremster Leistungsbereitschaft und Belehrung anderer, was sie zu tun hätten, resultiert nicht nur Frust, sondern eine wachsende Sicherheitslücke für Europa. Damit diese nicht größer wird, organisieren sich unsere Verbündeten um Deutschland herum. Im Grunde verlieren so alle (außer Russland).
Für Deutschland wird es nun doppelt schwierig, weil die vergangenen drei Jahre intensiver Partnerschaft von Scholz und Biden enden. Dann ist Europa vielleicht allein bei seiner Verteidigung, vor allem aber ist Deutschland allein in Europa, weil es seine Partner vernachlässigt hat. Und während andere – auch angetrieben durch die deutsche Abwesenheit- ihren Deal mit den USA suchen, dürfte sich ein isoliertes Deutschland im kritischen Fokus der neuen US-Regierung wiederfinden.
Dabei wollte doch gerade die Ampel-Koalition alles anders machen und betonte im Koalitionsvertrag 2021, dass sie “die Sorgen insbesondere unserer mittel- und osteuropäischen Partnerstaaten ernst” nimmt. Doch obwohl Deutschlands Vorstellungen, wie man Frieden bewahrt und Krieg verhindert, spätestens seit dem russischen Überfall gescheitert waren, meint Berlin immer noch, es könne den Alliierten von Nord- bis Südosteuropa erklären, was es militärisch braucht. Und dass Dialog und Entspannung eine Alternative zu erfolgreicher Abschreckung seien. Dabei baut Dialog auf gesicherter Abschreckung auf.
Damit sind wir beim Kern der Kooperationsunwilligkeit: Deutschland traut seiner (falschen) Interpretation der Vergangenheit mehr als der Evidenz im Hier und Jetzt und den Begründungen seiner Partner. Berlin hofft, dass das alte Europa noch nicht enden möge – dabei ist es längst vergangen. Für das Europa der Zukunft ist ein solches Deutschland aber eine Gefahr: Es schafft keine Gestaltungskraft durch Kooperation, sondern nur trotz des deutschen Sonderwegs. Damit aus der Zeitenwende etwas wird, sollte Deutschland weniger Lehrmeister und viel mehr Kooperationsmeister sein.
Claudia Major leitet die Forschungsgruppe Sicherheitspolitik an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Sie ist Mitglied im Beirat Innere Führung des Verteidigungsministeriums und des Beirats zivile Krisenprävention des Auswärtigen Amtes.
Christian Mölling leitet das Europaprogramm der Bertelsmann-Stiftung. Er forscht und berät seit 25 Jahren zu Fragen der Sicherheit, Verteidigung, Rüstung und Technologie.
heute um 11 Uhr wird Alexander Van der Bellen einen Mann in der Hofburg empfangen, dem er eigentlich keine Türen öffnen wollte. Der österreichische Bundespräsident trifft FPÖ-Chef Herbert Kickl zu einem ersten Gespräch nach dem Scheitern der Koalitionsverhandlungen zwischen ÖVP, SPÖ und Neos. Kickl könnte demnächst zum Bundeskanzler gewählt werden – in einer Koalition mit der ÖVP.
Nachdem die liberalen Neos aus den Gesprächen ausgestiegen waren, scheiterten am Samstag auch Verhandlungen zwischen Sozialdemokraten und Konservativen. Kanzler Karl Nehammer hat seinen Rücktritt angekündigt. Noch im Lauf der Woche will Van der Bellen einen Interimskanzler ernennen, bis eine neue Regierung steht. Neuwahlen sind zwar nicht ausgeschlossen. Sie könnten aber erst in drei Monaten stattfinden und die FPÖ würde Umfragen zufolge nur noch weiter zulegen.
Mit Kickl würde Viktor Orbán einen Partner gewinnen und die Riege der Russlandfreunde im Rat wachsen. Die Wahl des Rechtspopulisten wäre ein bitteres Signal auch für Deutschland und andere europäische Staaten. Wenn sich Parteien der Mitte auf keinen gemeinsamen Kurs mehr einigen können und die wirtschaftlichen Bedingungen nicht verbessern, profitieren die Ränder.
Der wahrscheinliche Durchbruch für die FPÖ ist aber auch ein Warnsignal: Am stärksten hatte der Wirtschaftsflügel der ÖVP für ein Bündnis geworben. Ähnlichkeiten in wirtschaftspolitischen Vorstellungen dürfen aber kein Argument sein, Grundpfeiler der Demokratie wie Rechtsstaat und Gewaltenteilung aufs Spiel zu setzen.
Giorgia Meloni wird künftig, das glauben zumindest zahlreiche Beobachter, eine Brücke zwischen dem designierten US-Präsidenten Donald Trump und Europa schlagen. In den zwei Jahren ihrer Amtszeit hat sich Meloni vor allem außenpolitisch als verlässliche Partnerin etabliert und zählt heute – wohl auch wegen der schwächelnden Regierungen in Paris und Berlin – zu den einflussreichen Politikern Europas.
Das hat sie vor allem geschafft, weil sie auf internationaler Bühne gemäßigter auftritt, als viele es nach ihrer Wahl im Herbst 2022 befürchtet hatten. Dass sie in Italien einen gelinde gesagt hart konservativen Kurs fährt, wird da meist schweigend hingenommen.
Gerade diese Janusköpfigkeit ist es, die Meloni nun die neue Zuständigkeit der Trump-Flüsterin beschert. Dieser präsentierte Meloni den anderen Gästen in seinem Resort am Samstag als “eine fantastische Frau, die Europa wirklich im Sturm erobert” habe. Die überraschende Stippvisite der Römerin in Mar-a-Lago am Wochenende nährt die Hoffnungen ihrer Anhänger, dass die konservative Ministerpräsidentin zu Trumps bevorzugter Verbündeter in Europa werde. Zur Mediatorin zwischen ihm und den anderen Regierungschefs der EU. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte dem Vernehmen nach vorab über die Reise informiert.
Eine Rolle, die ihre Vorgeschichte hat. Schon 2018 hatte sie versucht, in Trumps Dunstkreis einzudringen. Der Besuch des damaligen Trump-Freundes Steve Bannon auf dem Jugendfest Atreju von Melonis Fratelli d’Italia hat allerdings kaum jemanden interessiert. Die Rechtsaußen-Partei war kurz zuvor mit 4,4 Prozent der Stimmen aus der Wahl gegangen und außerhalb Italiens komplett irrelevant.
Sechs Jahre später geht die Strategie Melonis auf: Wenn der heutige Trump-Berater und X-Inhaber Elon Musk – der 2023 der Stargast von Atreju war – in Europa mit jemandem sprechen will, ruft er Meloni an. Die wiederum bezeichnete Musk vor wenigen Tagen in einem Interview mit dem “Corriere della Sera” als “genialen Mann” und das in einer Zeit, in der Musk Wahlwerbung für die AfD macht. Musk sei eine “große Persönlichkeit unserer Zeit”, so das Urteil Melonis, “ein außergewöhnlicher Innovator, der immer die Zukunft im Blick hat.”
Die Italienerin geht aber auch in Hinsicht auf ihre Rolle in Europa durchaus strategisch vor. Meloni hatte Trump nach dessen Wahlsieg im November gratuliert und die “unerschütterlichen Verbindungen” zwischen Italien und den USA betont. Anders aber als ihr Regierungspartner in Rom, Lega-Chef Matteo Salvini, hat sich Meloni offiziell nie als glühende Trump-Anhängerin geoutet.
Als Anfang Dezember in Paris die Kathedrale von Notre-Dame wiedereröffnet wurde, kam es zur offiziell ersten persönlichen Begegnung zwischen Trump und Meloni. Der baldige US-Präsident lobte danach Meloni in einem Interview mit der “New York Post” als eine “echte Powerfrau”. Seit Tagen wird in italienischen Medien darüber spekuliert, ob Meloni der Amtseinführung Trumps am 20. Januar beiwohnen werde – was einer Provokation eines Großteils ihrer europäischen Partner gleichkommen würde. Der Blitz-Besuch am Wochenende dürfte diese Pläne, sollte es sie je gegeben haben, endgültig ad acta gelegt haben.
Interessant ist: Auch der scheidende Amtsinhaber Joe Biden hebt Meloni in seinen letzten Tagen im Amt noch auf ein Podest. Seine letzte Auslandsreise als US-Präsident wird ihn am Donnerstag nach Rom führen. Auf dem Programm stehen neben einer Audienz bei Papst Franziskus auch Treffen mit Meloni und Staatspräsident Sergio Mattarella. Die Sprecherin des Weißen Hauses, Karine Jean-Pierre, sagte, dass dieser Besuch die Beziehungen zwischen den USA und Italien stärken solle.
Bleibt die Frage, ob Meloni ihre neue Machtfülle dazu nutzen wird, gegenüber Trump mit ihren Partnern abgestimmte EU-Positionen zu vertreten, oder ob sie sich für einen orbanesken Sonderweg entscheidet. Doch allein schon die Abhängigkeit Italiens von den Milliarden Euro an EU-Fördergeldern dürfte Meloni im Zaum halten.
Die Unabhängigkeit von Gas aus Russland wird nach Ansicht von Experten erschwert durch hohe Netzentgelte, lange Bauzeiten wichtiger Pipelines und die mangelhafte Umsetzung europäischer Binnenmarktregeln. In der Kritik steht auch die Slowakei. Ministerpräsident Robert Fico droht der Ukraine seit Tagen mit einem Stromboykott wegen des eingestellten Transits von russischem Gas. Die Slowakei war bis zum Jahreswechsel ebenfalls Durchgangsstation für Gas Richtung Westen. Durch den Lieferstopp entgehen ihr künftig Einnahmen von 500 Millionen Euro pro Jahr.
Eigentlich hat die EU genug LNG-Terminals, um russische Lieferungen zu ersetzen. Im vergangenen Jahr flossen noch etwa 16 Milliarden Kubikmeter (bcm) russisches Gas durch die Ukraine-Leitungen. Die Kapazitäten auf Rügen von 10-15 bcm seien 2024 kaum benutzt worden, sagt Georg Zachmann vom Brüsseler Think-Tank Bruegel. Italienische LNG-Terminals hätten ebenfalls noch 10 bcm freie Kapazitäten. “Nach entsprechender Rekonfiguration der Gasflüsse in Europa sollten bestehende LNG-Kapazitäten für den aktuellen Bedarf in der Region ausreichen”, sagt der Energiefachmann.
Andere Experten sehen allerdings in genau dieser Umstellung der Flüsse innerhalb des Kontinents das zentrale Problem. Kyjiw setzt inzwischen auf ein neues Leitungsprojekt, den Vertikalen Gaskorridor. Er kann Flüssiggas aus Griechenland über Moldau bis in die Ukraine und weiter in die Slowakei transportieren. Ein Vorteil: Kyjiw könnte wieder auf Durchleitungsgebühren für den Transport Richtung Westen zählen – wofür auch die EU-Kommission mehrfach geworben hat.
Kurz vor der Jahreswende hatte der ukrainische Versorger DTEK die erste Ladung von US-amerikanischem LNG aus dem griechischen Terminal Revithoussa bei Athen erhalten. “Dies ist mehr als nur eine Lieferung, es ist ein strategischer Schritt”, erklärte der Stabschef des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, Andrij Jermak, auf X.
Derzeit wird der Vertikale Korridor stark erweitert. Die letzten Ausbaustufen zur Kapazitätserhöhung an der griechisch-bulgarischen Grenze im Westen und quer durch Rumänien sollen 2029 vollendet sein. Im vergangenen Jahr habe die hohe Nachfrage in Südosteuropa noch zu Engpässen an mehreren Verbindungen zwischen den Staaten in der Region geführt, berichtete die europäische Regulierungsagentur ACER schon vor Anbruch des Winters bei einem Ministertreffen in Budapest.
Aber auch die Staaten selbst behindern die Gasflüsse laut Händlern durch Bequemlichkeit und nationale Egoismen. Die Netzentgelte in der Slowakei seien intransparent, spiegelten nicht die tatsächlichen Kosten wider und entsprächen nicht den europäischen Netzkodizes, klagte der Energieverband EFET Anfang 2024 bei einem ähnlichen Treffen in Athen.
Wie Netzentgelte die Versorgungssicherheit beeinträchtigen können, zeigte sich zuletzt beim Streit zwischen Deutschland sowie Österreich und anderen mitteleuropäischen Staaten. Die Nutzer zahlen die milliardenteure Befüllung der Gasspeicher im Sommer 2022 noch immer über eine Umlage. Nach monatelangen Interventionen der EU-Nachbarn schaffte es der Bundestag vor Weihnachten noch, die Gasspeicherumlage an den Grenzen zum Jahreswechsel abzuschaffen.
Die steigenden Kosten hätten sonst dazu geführt, dass es zum Beispiel für Österreich billiger gewesen wäre, die eigenen Speicher zu entleeren. “Die Erhöhung der Umlage ist eine Diskriminierung von Inländern”, beschwerte sich darauf der FDP-Bundestagsabgeordnete Michael Kruse über die Folgen für deutsche Gaskunden. Die Erhöhungen dürften allerdings nur wenige Spitzenverbraucher aus der Industrie spüren, wie Berechnungen für Table.Briefings schon vor einem Jahr zeigten.
Deutschland steht aber mit derlei Handelshemmnissen in Europa nicht allein da. Bulgarien und Rumänien hätten etwa die Gebühren für Gashandelsgeschäfte erhöht, heißt es in der EFET-Übersicht von Anfang 2024. Aktuell erschweren “exorbitante Durchleitungsgebühren” einiger Netzbetreiber nach einer Analyse des Informationsdienstes ICIS die Versorgung der abtrünnigen moldawischen Region Transnistrien.
Hinter steigenden Netzentgelten auf Transportebene stehen laut ACER aber auch längerfristige Trends. Seit 2021 hätten sich die Entgelte bereits um 40 Prozent erhöht. Die Wettbewerbshüter machen dafür mehrere Faktoren verantwortlich:
Dass neue Übertragungskapazitäten allein für die Versorgungssicherheit nicht ausreichen, hat sich am Vertikalen Gaskorridor bereits erwiesen. Im vergangenen Juli hatte der ukrainische Transportnetzbetreiber erstmals Ausschreibungen für die erweiterten Kapazitäten an den Grenzen zu Rumänien und Moldau durchgeführt. Wie ein Sprecher Table.Briefings mitteilte, habe es aber zunächst keine Buchungen gegeben.
Grund sei die hohe Preisvolatilität in der Region gewesen, wie aus Unterlagen hervorgeht. An anderen Stellen des Korridors hätten Händler die Leitungen höchstens für zwei Jahre gebucht – “selbst in Fällen, in denen diese Kapazität derzeit stark ausgelastet ist”.
Die EU-Kommission sammelt noch bis Ende Januar Stellungnahmen zu ihrer geplanten Binnenmarktstrategie. Die Konsultation dazu startete am vergangenen Freitag. Die Kommission sammle Informationen über Hindernisse für den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr und Vorschläge zur besseren Durchsetzung von Rechtsvorschriften. Die gesammelten Ideen sollen auf dem Binnenmarktforum am 17. Februar in Krakau erörtert werden, wie die Kommission weiter mitteilte. Bis Mitte des Jahres soll die Strategie vorliegen.
Als nach wie vor bestehende Hindernisse nennt die Kommission in ihrem Aufruf etwa die Anerkennung von Berufsqualifikationen sowie Genehmigungs- und Melderegelungen für Dienstleistungen und Investitionen über Grenzen hinweg. “Die Strategie wird sektorspezifische politische Initiativen wie die Energieunion, die Spar- und Investitionsunion, die Union der Kompetenzen, den Aktionsplan für erschwinglichen Wohnraum und Maßnahmen zur Entwicklung des Binnenmarkts für Verkehrs- und Telekommunikationsdienste ergänzen.” ber
Kommissionspräsident Ursula von der Leyen hat ihre externen Termine für die ersten beiden Januarwochen abgesagt. Laut einem Sprecher hat die 66-Jährige mit einer schweren Lungenentzündung zu kämpfen. Die Präsidentin nehme ihre Amtsgeschäfte von Hannover aus wahr und stehe in engem täglichem Kontakt mit ihrem Team. “Wenn alles gut verläuft, wird die Präsidentin bis Mitte des Monats vollständig geheilt sein und wieder von ihrem Büro im Brüsseler Kommissionsgebäude aus arbeiten.”
Wegen der Erkrankung von der Leyens reist das College der Kommissare nicht wie geplant am 9. Januar nach Danzig, um den Beginn der polnischen Ratspräsidentschaft zu begehen. Die Reise soll nachgeholt werden. Die erste reguläre Sitzung des College ist für den 15. Januar angesetzt. Sollte von der Leyen bis dahin noch nicht gesund sein, würde die erste Vizepräsidentin Teresa Ribera die Sitzung leiten.
Heikel ist der Ausfall vor allem mit Blick auf die Amtseinführung von Donald Trump am 20. Januar. Der neue US-Präsident könnte gleich zu Beginn seiner Amtszeit wichtige Weichen im Ukraine-Konflikt stellen oder Zölle auf Einfuhren aus Europa verhängen, auf die die Europäer reagieren müssten. Von der Leyen kommt eine Schlüsselrolle zu, da sowohl Deutschland als auch Frankreich innenpolitisch geschwächt sind. tho
Der Vize der Grünen-Fraktion im Europaparlament, Sergey Lagodinsky, bewirbt sich im Kreisverband Pankow um das Direktmandat bei der Bundestagswahl am 23. Februar. Ob Lagodinsky bei der Wahl antritt, ist noch nicht klar. Am Mittwoch, 8. Januar, stimmt eine Parteiversammlung der Pankower Grünen darüber ab, wer der Bewerber für das Direktmandat wird. Gegen Lagodinsky kandidieren Julia Schneider, die für die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus ist, sowie der Bundestagsabgeordnete Stefan Gelbhaar.
2021 hat Gelbhaar das Direktmandat im Wahlkreis geholt. Gegen Gelbhaar läuft ein parteiinternes Ombudsverfahren wegen des Vorwurfs von sexuellen Übergriffen. Gelbhaar streitet die Vorwürfe ab und spricht von Verleumdung. Er wurde im November im Kreisverband fast einstimmig zum Direktkandidaten gewählt. Nach Bekanntwerden der Vorwürfe haben nun die Vorstände der Grünen auf Bundes-, Landes und Kreisebene Gelbhaar zum Rückzug aufgefordert. Lagodinsky war der erste Grünen-Politiker, der am Freitag seine Bereitschaft zur Kandidatur gegen Gelbhaar öffentlich gemacht hat. Er versteht seine Kandidatur als “Rettungsaktion” für seinen Heimatkreisverband.
Für die Freien Wähler bewirbt sich Rudolf Rinnen, Wahlkreismitarbeiter des Europaabgeordneten Joachim Streit, um einen Sitz im Europaparlament. Streit ist Mitglied der Renew-Fraktion. Rinnen ist Wahlkreismitarbeiter von Streit. Rinnen führt die Liste der Freien Wähler in Rheinland-Pfalz an. mgr
Die Zeitenwende kommt bislang vor allem als nationales Projekt daher, als Ertüchtigung der Bundeswehr. Oft reduzieren sie viele noch weiter, nämlich auf das Sondervermögen und die zwei Prozent der Nato-Ausgaben, die Deutschland nun endlich liefern will.
Doch seit dem 24.Februar 2022 ist klar definiert, was Deutschland für Europas Sicherheit und Verteidigung liefern muss: Der nationale Beitrag zur Nato muss auch dann dauerhaft verfügbar sein, wenn das Sondervermögen ausgegeben ist; die Ukraine muss in die Verteidigungsanstrengungen des Westens so integriert werden, dass sie zum Sicherheitslieferanten wird. Drittens muss Deutschland innerhalb der Nato kooperationsfähig und -befähigend sein.
Während eins und zwei bekannt sind, aber Schnelligkeit und Umfang der Beiträge hinter den Anforderungen bleiben, wird die Kooperationsfähigkeit häufig vergessen. Doch hier macht Deutschland sogar Rückschritte. Das ist dramatisch, denn Europas Verteidigung beruht auf der Annahme, dass die Europäer ihre politische und militärische Schlagkraft durch Zusammenarbeit und Geschlossenheit steigern. Schließlich können sie die zur Abschreckung und Verteidigung notwendigen großen Nato-Verbände nur gemeinsam aufstellen, und die Ostsee überwachen auch.
Die Zusammenarbeit ist aber auf der politisch-strategischen Ebene auf einem absoluten Tiefpunkt. Deutschlands Partner müssen sich anhören, wie großartig Deutschland die Ukraine unterstützt und andere nicht, zumindest wenn man die Zahlen so wählt, wie die Bundesregierung das tut, und statt auf das Verhältnis zur Wirtschaftskraft auf das absolute Volumen schaut. Die Beziehungen zu zentralen Partnern in Europa sind auf dem Tiefpunkt: Mit Frankreich herrscht ungekannte Sprachlosigkeit. Die Chance eines Neuanfangs mit Polen wurde vergeben. In vielen kleineren Formaten, wie den nordisch-baltischen Treffen, war Deutschland gar nicht mehr eingeladen.
So droht ein deutscher Sonderweg. Deutschland ist stolz auf seine Beiträge, aber seine Partner verzweifeln an Berlins mangelnder Einsicht, weil die deutschen Beiträge einerseits nicht reichen und andererseits ohne Berlin ausreichende Sicherheit in Europa kaum leistbar ist. In diesem Teufelskreis aus deutscher Selbstzufriedenheit und folglich gebremster Leistungsbereitschaft und Belehrung anderer, was sie zu tun hätten, resultiert nicht nur Frust, sondern eine wachsende Sicherheitslücke für Europa. Damit diese nicht größer wird, organisieren sich unsere Verbündeten um Deutschland herum. Im Grunde verlieren so alle (außer Russland).
Für Deutschland wird es nun doppelt schwierig, weil die vergangenen drei Jahre intensiver Partnerschaft von Scholz und Biden enden. Dann ist Europa vielleicht allein bei seiner Verteidigung, vor allem aber ist Deutschland allein in Europa, weil es seine Partner vernachlässigt hat. Und während andere – auch angetrieben durch die deutsche Abwesenheit- ihren Deal mit den USA suchen, dürfte sich ein isoliertes Deutschland im kritischen Fokus der neuen US-Regierung wiederfinden.
Dabei wollte doch gerade die Ampel-Koalition alles anders machen und betonte im Koalitionsvertrag 2021, dass sie “die Sorgen insbesondere unserer mittel- und osteuropäischen Partnerstaaten ernst” nimmt. Doch obwohl Deutschlands Vorstellungen, wie man Frieden bewahrt und Krieg verhindert, spätestens seit dem russischen Überfall gescheitert waren, meint Berlin immer noch, es könne den Alliierten von Nord- bis Südosteuropa erklären, was es militärisch braucht. Und dass Dialog und Entspannung eine Alternative zu erfolgreicher Abschreckung seien. Dabei baut Dialog auf gesicherter Abschreckung auf.
Damit sind wir beim Kern der Kooperationsunwilligkeit: Deutschland traut seiner (falschen) Interpretation der Vergangenheit mehr als der Evidenz im Hier und Jetzt und den Begründungen seiner Partner. Berlin hofft, dass das alte Europa noch nicht enden möge – dabei ist es längst vergangen. Für das Europa der Zukunft ist ein solches Deutschland aber eine Gefahr: Es schafft keine Gestaltungskraft durch Kooperation, sondern nur trotz des deutschen Sonderwegs. Damit aus der Zeitenwende etwas wird, sollte Deutschland weniger Lehrmeister und viel mehr Kooperationsmeister sein.
Claudia Major leitet die Forschungsgruppe Sicherheitspolitik an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Sie ist Mitglied im Beirat Innere Führung des Verteidigungsministeriums und des Beirats zivile Krisenprävention des Auswärtigen Amtes.
Christian Mölling leitet das Europaprogramm der Bertelsmann-Stiftung. Er forscht und berät seit 25 Jahren zu Fragen der Sicherheit, Verteidigung, Rüstung und Technologie.