Table.Briefing: Europe

Letzte Chance für EU-Lieferkettengesetz + Neue Linksfraktion im EP? + Kritik an Macrons Soldatenplänen

Liebe Leserin, lieber Leser,

heute ist es so weit: Mittags um 12 Uhr sollen laut Plan die EU-Botschafter im Ausschuss der Ständigen Vertreter (AStV) über das EU-Lieferkettengesetz abstimmen.

Beinahe um drei Wochen hat sich die Entscheidung der Mitgliedstaaten verschoben – ob nun doch eine qualifizierte Mehrheit zusammenkommt, bleibt noch bis zur Abstimmung ungewiss. Mehrere Mitgliedstaaten würden sich ihre Position bis zur letzten Sekunde offenhalten, erklärte ein Sprecher. Jedoch spreche die Tatsache, dass die belgische Ratspräsidentschaft das Thema auf die Agenda gesetzt hat, für eine realistische Chance.

In der Zwischenzeit hat sich auch der Sustainable Finance-Beirat der Bundesregierung dafür ausgesprochen, die CSDDD noch unter der aktuellen Ratspräsidentschaft zu verabschieden. “Das Gesetz ist eine Gelegenheit zu zeigen, dass Europa seine Werte nicht nur verteidigt, sondern auch lebt”, heißt es in einer am Montag veröffentlichten Stellungnahme. Der Beirat berät das Bundesfinanzministerium bezüglich der Sustainable Finance-Strategie. Das Ministerium blockiert bisher eine Zustimmung der Bundesregierung.

Allerdings wird die Bundesregierung zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr in die Beratungen eingebunden, zu unverrückbar scheint ihre Position. Aus Regierungskreisen hieß es, Deutschland sei in der Tat “außen vor”. Stattdessen hat die belgische Ratspräsidentschaft laut Informationen von Table.Media versucht, aufgrund der Bevölkerungsgröße vor allem Italien zu überzeugen. In Rom hält man sich bedeckt, berät und verhandelt im engsten Kreis um Ministerpräsidentin Giorgia Meloni.

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Leonie Düngefeld
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Analyse

Ukraine: Scholz und Macron demonstrieren ihre Uneinigkeit

Es kommt nicht oft vor, dass die beiden wichtigsten europäischen Politiker einander derart offen widersprechen. Bei dem Treffen von mehr als 20 Staats- und Regierungschefs am Vorabend habe man sich noch einmal “sehr einhellig” verständigt, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz am Dienstag, “dass es keine Bodentruppen, keine Soldaten auf ukrainischem Boden geben wird, die von europäischen Staaten oder von Nato-Staaten dort hingeschickt werden”.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte in einer nächtlichen Pressekonferenz auch diese Option explizit offengehalten. “Nichts darf ausgeschlossen werden, um unser Ziel zu verfolgen: Russland kann und darf diesen Krieg nicht gewinnen”, sagte er auf eine Journalistenfrage hin. Man habe darüber sehr “offen und direkt” diskutiert, fügte er hinzu. Für Frankreich wollte er die Option nicht ausschließen und begründete dies mit “strategischer Ambiguität”.

Konkret sprach Macron davon, bei einigen der in Paris vereinbarten Maßnahmen zur Unterstützung der Ukraine sei nicht ausgeschlossen, dass zur Sicherung eigene Soldaten erforderlich seien. Außenminister Stéphane Séjourné präzisierte am Dienstag: “Ich denke dabei insbesondere an die Minenräumung, die Cyberabwehr, die Herstellung von Waffen vor Ort, auf ukrainischem Territorium. Einige Aufgaben könnten eine Präsenz auf ukrainischem Territorium erfordern, ohne die Schwelle zum Kampf zu überschreiten.” Auch er sagte, nichts solle ausgeschlossen werden.

Gegenwind aus anderen EU-Staaten

Macron erntete am Dienstag auch Widerspruch aus anderen EU-Staaten. Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk betonte, er plane derzeit keine Entsendung von Soldaten. Er wolle zum jetzigen Zeitpunkt aber nicht spekulieren, ob es in der Zukunft unter bestimmten Unterständen zu einer Änderung dieses Standpunktes kommen könne. Im gleichen Sinne äußerte sich der tschechische Ministerpräsident Petr Fiala, der schwedische Regierungschef Ulf Kristersson und der Niederländer Mark Rutte.

Besonders konsterniert fielen die Reaktionen in Berlin aus, bevor sich die Bundesregierung öffentlich um Schadensbegrenzung bemühte. Scholz hatte Macron schon am Wochenende dargelegt, was er von dessen Vorstoß hält – nämlich nichts.

Der Kanzler begründete am Montag vor dem Treffen in Paris zudem seine Ablehnung von Taurus-Marschflugkörpern für Kiew ausdrücklich damit, dass dafür der Einsatz deutscher Soldaten im Kriegsgebiet vonnöten sei. Jana Puglierin, Senior Policy Fellow beim European Council on Foreign Relations (ECFR), spricht daher von einer “offenen Darstellung der Uneinigkeit und vor allem der Dissonanz im deutsch-französischen Tandem”.

Macron “vermisst die Anerkennung”

Macron nutzte den Presseauftritt seinerseits für eine Retourkutsche in Sachen Waffenlieferungen für die Ukraine. Der Präsident habe sich offenbar provoziert gefühlt durch die öffentlichen Forderungen von Scholz, die anderen EU-Partner sollten die Ukraine stärker unterstützen, sagt Éric Maurice, Policy Analyst am European Policy Centre. Die Regierung in Paris unterstütze die Ukraine im Verborgenen stärker, als es die öffentlichen Zahlen etwa des Kieler Instituts für Weltwirtschaft wiedergäben, “und vermisst dafür offenkundig die Anerkennung”.

Mit einer neuen Koalition für Raketen mittlerer und größerer Reichweite erhöht Macron wiederum den Druck auf Scholz, ebenfalls Langstreckenraketen an die Ukraine zu liefern: “Wir werden diese Koalition ab heute Abend mit allen Staaten guten Willens organisieren”, sagte Macron am Montag. Es gehe um den ausdrücklichen Wunsch des ukrainischen Präsidenten nach Waffen, um auch in der Tiefe des russischen Aufmarschgebiets Luftschläge ausführen zu können.

Experte: Macron will Botschaft nach Moskau senden

Maurice bezweifelt, dass Macron aus innenpolitischem Kalkül handelte – er könne mit einer Diskussion um Bodentruppen auch in der eigenen Öffentlichkeit “nichts gewinnen”. Dem Präsidenten sei es vielmehr darum gegangen, eine Botschaft der Abschreckung an Moskau zu senden: “Dass Europa zu allem bereit ist, sollte Russland noch weitergehen – whatever it takes.”

Ähnlich argumentiert ECFR-Expertin Camille Grand. Macrons Kernbotschaft sei gewesen, dass die Europäer der Ukraine langfristig zur Seite stünden – und dabei Wege ausloteten, die Unterstützung zu vertiefen, auch wenn es hierbei noch keinen Konsens gebe. “Er eröffnet eher ein Gespräch über die Formen der Unterstützung für die Ukraine, als dass er unmittelbare Maßnahmen ankündigt”, sagt Grand.

Der Wirbel um die Frage der Bodentruppen überdeckt zudem eine neue Initiative Tschechiens zur Munitionsbeschaffung. Prag will rund 800.000 Artilleriegeschosse außerhalb der EU vom Kaliber 155 Millimeter aufkaufen und der Ukraine zuliefern. Dafür sind aber Mittel in der Höhe von 1,5 Milliarden Dollar nötig, die Tschechien nicht alleine aufbringen will.

Keine derartigen Pläne bei Nato und EU

Ein Sprecher des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell sagte, in der EU sei Konsens, der Ukraine alles zu geben, was das Land in seinem Verteidigungskrieg für einen Sieg brauche. Wie dies geschehe, sei zu einem großen Teil in der Hand der Mitgliedstaaten. Es gebe auf jeden Fall keine Entscheidung auf EU-Ebene, die Ukraine mit Truppen zu unterstützen.

Ähnlich äußerte sich Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg: Die Verbündeten leisteten unvergleichliche Hilfe für die Ukraine. Die Allianz habe aber nicht die Absicht, Kampftruppen zu schicken.

Doch welches sind die Länder, die laut Macron diesbezüglich Überlegungen anstellen und in Paris das Thema vorgebracht haben sollen? Balten und Polen als Staaten an der Ostflanke plädierten dafür, alle Optionen zu evaluieren, schreibt die französische Zeitung “Le Monde” unter Berufung auf einen Diplomaten. Eine Entscheidung müsse gemeinsam getroffen und schrittweise vorbereitet werden.

Hat Ficos Narrativ verfangen?

Die öffentliche Diskussion angestoßen hatte allerdings der slowakische Ministerpräsident Robert Fico, und zwar eher im Sinne einer Warnung. Einzelne Länder seien offenbar bereit, eigene Soldaten direkt in die Ukraine zu schicken, sagte der Linksnationalist auf Facebook vor seiner Abreise nach Paris. Das werde jedoch Russland nicht zum Einlenken bewegen, sondern im Gegenteil die Gefahr einer Ausweitung des Konflikts vergrößern.

Der Kreml reagierte prompt auf die Äußerungen von Paris: Eine Entsendung von Truppen werde den Konflikt zwischen Russland und Nato nicht nur wahrscheinlich, sondern unvermeidlich machen. Macron äußerte sich zur Debatte über Bodentruppen am Montag nach der Konferenz erst auf die Frage eines Journalisten hin, der auf Robert Ficos Warnungen verwiesen hatte. So gesehen könnte das Kalkül des prorussischen Slowaken aufgegangen sein, das Narrativ des Kremls von der Nato-Präsenz in der Ukraine zu bedienen.

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Wie das Bündnis Sahra Wagenknecht und Mélenchons Partei kooperieren könnten

Es gibt einige Ähnlichkeiten zwischen dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) und La France insoumise – und einige Bekanntschaften. Ausgerechnet der einstige Linken-Mitgründer und spätere Ehemann von Wagenknecht, Oskar Lafontaine, pflegte mit Jean-Luc Mélenchon ein enges Verhältnis. Beide galten in ihren Parteien als schwarze Schafe – Lafontaine bei der SPD, Mélenchon bei der Parti socialiste.

Mélenchon und Wagenknecht haben inzwischen eigene Parteien gegründet, die nach der Wahl im Europaparlament zusammenarbeiten könnten, trotz einiger Differenzen. Mélenchons La France insoumise (LFI) und das Bündnis um Sahra Wagenknecht verbindet nicht nur der starke Personenkult. Sie eint die Überzeugung, dass die Institutionen in “Brüssel” vor allem technokratische Diener eines ausbeuterischen, kapitalistischen Systems seien, zulasten der Bürger. Und beide versuchen, trotz harter Systemkritik nicht zu radikal zu klingen.

LFI will EU-Verträge umschreiben

2017 wollte Jean-Luc Mélenchon die EU-Verträge neu verhandeln, für den Fall eines Scheiterns sah er als Plan B den einseitigen Austritt Frankreichs, die Abschaffung des Euro und die Rückkehr von Kapital- und Warenkontrollen an den nationalen Grenzen vor. Fünf Jahren später will LFI die Verträge immer noch umschreiben, um beispielsweise einen “ökologischen Protektionismus” zu ermöglichen, oder das Recht der Staaten, “öffentliche Monopole in strategischen Sektoren zu schaffen”. Ein Austritt aus Euro-Zone und EU wird nicht mehr erwähnt.

Mélenchon und Wagenknecht eint auch ihre Geringschätzung für das Europäische Parlament. Jean-Luc Mélenchon glänzte zu seiner Zeit als Europaabgeordneter von 2009 bis 2017 vor allem durch Abwesenheit. “Man sah ihn nur selten, er verpasste sogar wesentliche Abstimmungen“, erinnert sich ein französischer Veteran im Parlament. LFI nutzte die europäische Bühne insbesondere dafür, um sich innenpolitisch in Frankreich zu profilieren, sagt Eric Maurice, Politikexperte beim Thinktank European Policy Center.

Ähnliches sagt man auch über Sahra Wagenknecht, die sowohl im Bundestag als auch im Europaparlament oft fehlte. “Eine Debatte im Europaparlament ist ein Graus”, sagte sie etwa 2013. “Gähnende Leere auf den Bänken, im Vergleich dazu ist der Bundestag selbst in den Nachtstunden voll besetzt. Und niemand draußen nimmt diese Debatten zur Kenntnis.” Wagenknecht schloss konsequenterweise 2023 bereits vor der offiziellen Parteigründung kategorisch aus, ins Europaparlament zu gehen: Ihr Platz sei im Bundestag.

EU-Bühne fürs nationale Schaulaufen

Das wiederum könnte eine Gemeinsamkeit beschreiben. Denn laut dem Politikexperten Maurice nutzt LFI die europäische Bühne für nationale politische Zwecke. “Ideologisch unterscheidet sich LFI vom Rassemblement national, doch taktisch verfolgen beide Parteien denselben Ansatz: das europäische Mandat zu nutzen, um sich in Frankreich politisch zu profilieren”, stellt er fest.

Für Wagenknecht nach Brüssel und Straßburg gehen sollen die Spitzenkandidaten Fabio de Masi und Thomas Geisel. De Masi saß für die deutsche Linkspartei von 2014 bis 2017 gemeinsam mit Mélenchon in der Linken-Fraktion (GUE/NGL). Fraglich ist, ob Linkspartei und BSW in einem Block koexistieren könnten.

Differenzen bei der Migration

Es gibt aber programmatische Unterschiede zwischen LFI und BSW. “La France insoumise ist eine Partei, die den Multikulturalismus propagiert. Sie ist sehr offen für Einwanderung, und das aus wahltaktischen Gründen”, erläutert Maurice. Mélenchon punktet stark bei wirtschaftlich schlechter gestellten Bevölkerungsgruppen in den französischen Vorstädten, wo viele Einwanderer leben.

Bei einer Umfrage nach der Präsidentschaftswahl 2022 haben 69 Prozent der Menschen muslimischen Glaubens angegeben, für ihn gestimmt zu haben, sagt Jérôme Fourquet, Leiter der Abteilung für Meinungsforschung und Unternehmensstrategien beim Meinungsforschungsinstitut Ifop. LFI wird sogar vorgeworfen, zu viel Nachgiebigkeit gegenüber dem radikalen Islam zu zeigen.

Wagenknechts Partei hingegen ist zwar nicht gegen jede Form der Einwanderung – sie wendet sich aber offensiv gegen das heutige System der Flüchtlingsaufnahme. Bei Muslimen gezielt um Stimmen zu werben, kommt für die Partei nicht infrage – schon gar nicht vor den für das BSW noch wichtigeren Landtagswahlen in drei ostdeutschen Bundesländern, die in den Monaten nach der Europawahl folgen.

Renationalisierung der Verteidigung oder Abrüstung?

Ein weiterer Unterschied: Im BSW-Europawahlprogramm werden die Militärausgaben scharf kritisiert – Mélenchon hingegen plädiert für eine Renationalisierung der Rüstungswirtschaft und ein militärisch unabhängiges Frankreich.

Dagegen fordern beide, dass sich Europas von den USA lösen solle. Die Formulierungen sind fast wortgleich: Europa dürfe nicht länger Vasall der USA sein. Stattdessen fordern sie einen Ausgleich mit den sicherheitspolitischen Interessen Wladimir Putins: “Radikale Diplomatie” solle Waffenlieferungen ersetzen.

Eigene Fraktion denkbar

Vielleicht reichen solche Gemeinsamkeiten aber schon aus, um mit weiteren Akteuren eine gemeinsame Fraktion nach der Wahl zu bilden. Denn im Europaparlament sind Fraktionen fast immer deutlich pluraler als etwa in Berlin aufgestellt. “In Nuancen unterscheiden sich Parteien immer, selbst wenn sie zu einer Parteienfamilie gezählt werden können”, sagt der Erlanger Politikwissenschaftler Cornelius Wurthmann. “Inhaltliche Verwandtschaft hört aber nicht bei Differenzen auf, sondern fängt bei Gemeinsamkeiten an. Ansonsten hätte man es ja mit identischen Zwillingen zu tun.” Er sehe auch jenseits von LFI noch einige potenzielle Mitkoalitionäre kleinerer Parteien aus weiteren Staaten.

2019 erhielt die von Manon Aubry angeführte LFI-Liste 6,31 Prozent der Stimmen und entsandte sechs Abgeordnete ins Parlament in Straßburg und Brüssel. Umfragen zufolge liegt sie derzeit bei sieben bis acht Prozent in der Wählergunst. Für das BSW liegen derzeit noch keine verlässlichen Zahlen zur Europawahl vor. Dass BSW-Abgeordnete ins EP einziehen werden, ist allerdings so gut wie gesichert – ohne Sperrklausel wäre alles andere eine herbe Niederlage.

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News

Renaturierungsgesetz erhält Mehrheit im Europaparlament

Die Abstimmung zum Renaturierungsgesetz im Europaparlament war mit Spannung erwartet worden. Bis zum Schluss blieb das Schicksal dieses höchst umstrittenen Textes ungewiss. Am Ende stimmten 329 Europaabgeordnete dafür, 275 dagegen und 24 enthielten sich der Stimme. Abgeordneten der christdemokratischen Europäischen Volkspartei (EVP), der konservativen EKR und der rechtsextremen ID war es nicht gelungen, das Gesetz zu verhindern.

“Das ist ein historischer Durchbruch”, freute sich Berichterstatter César Luena (S&D). Er betonte, dass die Verabschiedung der EU eine Führungsrolle und Glaubwürdigkeit auf der internationalen Bühne verleiht. Im Herbst findet im kolumbianischen Cali die COP 16 zur Biodiversität statt. Ende 2022 wurde das Kunming-Montreal-Rahmenabkommen über biologische Vielfalt verabschiedet.

Unterstützung von 21 Mitgliedstaaten

Die EVP hatte am Vortag der Wahl angekündigt, dass sie gegen den Text stimmen würde und als Grund dafür zu viel Bürokratie für Landwirte ausgemacht. Dennoch stimmten 25 Christdemokraten für den Text. Es handele sich dabei sicherlich um konservative Abgeordnete, deren Regierungen den Text im Ausschuss der Ständigen Vertreter (AStV) unterstützen, sagte Schattenberichterstatterin Jutta Paulus (Grüne). “Diese Abgeordneten haben es also vorgezogen, ihren Regierungen und nicht ihrem Parteichef Manfred Weber zu folgen.” 21 Mitgliedstaaten hatten erklärt, dass sie den im November letzten Jahres gefundenen Trilog-Kompromiss unterstützen.

Die deutschen FDP-Abgeordneten folgten der EVP und stimmten dagegen. Die Vorsitzende von Renew, Valérie Hayer, stimmte, wie alle französischen Abgeordneten von Renew dafür. Und dies, obwohl die französische Regierung händeringend versucht, die Umweltauflagen für Landwirte zu reduzieren. Paris stellt insbesondere die im Trilog gefundene Einigung über die Richtlinie für Industrieemissionen infrage. Sie zielt unter anderem darauf, den Schadstoffausstoß von Viehzuchtbetrieben zu reduzieren.

Der Umweltrat stimmt am 25. März über die politische Einigung zum Renaturierungsgesetz ab. Die Verordnung tritt 20 Tage nach Veröffentlichung im Amtsblatt der EU in Kraft. Dann haben die Mitgliedstaaten zwei Jahre Zeit, nationale Renaturierungspläne vorzulegen, mit klaren Zielen für deren Realisierung. Ziel des Gesetzes ist, bis 2030 mindestens 20 Prozent der Landflächen und 20 Prozent der Seefläche in der EU zu renaturieren.

Finanzierung noch offen

“Die Finanzierung ist ein Punkt, der noch nicht geklärt ist”, betonte César Luena. “Es wird die Aufgabe von Rat, Parlament und Kommission im nächsten Mandat sein, die Finanzarchitektur des Renaturierungsgesetzes zu definieren.”

Das Gesetz sieht vor, dass die Kommission Vorschläge zur Finanzierung der Maßnahmen machen muss, wenn sie die Renaturierungspläne der Mitgliedstaaten erhält, erklärte Paulus. “Erst wenn die Kommission die Renaturierungspläne erhalten hat, kann sie abschätzen, was die Kosten der Maßnahmen in der Umsetzung sind.” cst

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Verpackungsverordnung: Ratspräsidentschaft hält an Mehrwegzielen fest, Parlament will Ausnahmeregelung

Die stellvertretenden Botschafter der EU-Mitgliedstaaten haben am Mittwoch über einen neuen Kompromissvorschlag der belgischen Ratspräsidentschaft zur EU-Verpackungsverordnung beraten. Laut dem Entwurf, den die französische Nachrichtenplattform Contexte Anfang der Woche veröffentlichte, hält die Ratspräsidentschaft an Maßnahmen fest, die Verpackungsmüll vermeiden sollen, darunter auch die Ziele für Mehrwegsysteme.

Die Ratspräsidentschaft sieht laut dem Kompromissvorschlag Maßnahmen zur Vermeidung von Verpackungsabfällen als ein entscheidendes Element der Verordnung. Die EU-Vorgaben würden den Mitgliedstaaten die notwendigen Instrumente zur Abfallverringerung verleihen (Artikel 38). Daher sehe die Ratspräsidentschaft in den Verhandlungen “eine sehr begrenzte Flexibilität bei der Beschränkung auf bestimmte Verpackungsformate“. Das Parlament fordert dazu eine Reihe von Streichungen und Ausnahmeregeln.

Vorbereitung auf Trilog am 4. März

Dennoch will die Ratspräsidentschaft “eine gewisse Offenheit gegenüber dem Parlament” zeigen und schlägt ein Kompromisspaket vor: Demnach könnte die Frist zur Umsetzung in den Mitgliedstaaten verschoben und zusätzliche Ausnahmen hinsichtlich der Verbote für unnötige Verpackungsformate geschaffen werden (Anhang V). Die Ratspräsidentschaft erwarte hier “großen Druck” vonseiten des Parlaments.

Zum Kompromissvorschlag gehört auch eine Überarbeitung der Mehrwegziele (Artikel 26). Verschiedene Formen von Verpackungen und Ausnahmen sollen klarer zusammengefasst werden. Die Ratspräsidentschaft werde darauf bestehen, dass Mehrwegziele für Speisen und Getränke zum Mitnehmen erhalten bleiben; für alkoholische und nicht-alkoholische Getränke sollen allgemeinere Formulierungen verwendet werden.

Am kommenden Montag beginnt der zweite Trilog und wird voraussichtlich sehr lang dauern, da die Verhandelnden aus Rat, Parlament und Kommission eine Einigung anstreben. Bereits geeinigt hatten sich Rat und Parlament beim ersten politischen Trilog am 5. Februar unter anderem über die Ziele für den Recyclinganteil in Kunststoffverpackungen und die Bestimmungen über biobasierten Kunststoff (Artikel 7).

Parlament schlägt Ausnahmeregelung vor

Die Berichterstatterin für die Verpackungsverordnung im EU-Parlament, Frédérique Ries (Renew), hingegen schlug gestern eine Ausnahmeregelung für die Verbote für Einwegverpackungen sowie für die Mehrwegpflichten vor. Das entsprechende Dokument veröffentlichte ebenfalls Contexte. Sie will damit “Ländern wie Italien oder Finnland, die über ein effizientes Recyclingsystem verfügen und nicht auf das Wiederverwendungssystem umstellen wollen” entgegenkommen, zumindest in Bezug auf den Gastronomiesektor.

Konkret formuliert sie folgende Vorschläge:

  • eine Ausnahme von den Verboten für bestimmte Einwegverpackungen (Artikel 22) auf Märkten von Mitgliedstaaten, die bereits das Recyclingziel von 70 Prozent erfüllen. Die Wirtschaftsakteure müssen für diese Ausnahme außerdem nachweisen können, dass sie andere, gleichwertige Maßnahmen zur Abfallvermeidung ergriffen haben.
  • eine Ausnahme von Mehrwegpflichten auf Märkten von Mitgliedstaaten, die ihre Verpackungsabfälle in den Jahren 2026 und 2027 bereits zu 70 Prozent (des Gewichts der insgesamt in Verkehr gebrachten Verpackungen) gemessen haben und darüber berichten. Auch für diese Ausnahme müssen die betroffenen Wirtschaftsakteure Maßnahmen zur Abfallvermeidung ergriffen haben. Entsprechende Maßnahmen sind in der Verordnung aufgelistet. leo
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Abfallverbringung: EU-Parlament verabschiedet strengere Regeln

Das EU-Parlament hat am Dienstag die Überarbeitung der Abfallverbringungsverordnung beschlossen. Mit dieser sollen Exporte von Kunststoffabfällen in Drittländer reduziert und die Verfahren den Zielen der Kreislaufwirtschaft angepasst werden. Mit 587 Stimmen bei acht Gegenstimmen und 33 Enthaltungen nahm das Parlament die Einigung aus den Trilogverhandlungen an.

Die derzeit geltende Abfallverbringungsverordnung stammt aus dem Jahr 2006. Seitdem sind die Ausfuhren von Abfällen aus der EU in Drittländer erheblich gestiegen, insbesondere in Nicht-OECD-Länder. Die nun beschlossene Überarbeitung soll dies eingrenzen: Der Export von Kunststoffabfällen aus der EU in Nicht-OECD-Länder wird innerhalb von zweieinhalb Jahren nach Inkrafttreten der Verordnung verboten, Ausnahmen gibt es nur unter strengen Bedingungen. Andere, für das Recycling geeignete Abfälle, werden nur dann aus der EU in Nicht-OECD-Länder ausgeführt, wenn sicher ist, dass diese nachhaltig damit umgehen können.

Auch Kontrolle soll verbessert werden

Digitalisierte Verfahren sollen es erleichtern, Abfälle zum Recycling innerhalb der EU zu verteilen. Innerhalb der EU sollen dazu Informationen und Daten durch eine zentrale elektronische Schnittstelle ausgetauscht werden, um die Berichterstattung und Transparenz zu verbessern.

Mit dem Gesetz wird auch eine Durchsetzungsgruppe eingerichtet. Diese soll die Zusammenarbeit zwischen den EU-Mitgliedstaaten verbessern, um illegale Verbringungen zu verhindern und aufzudecken.

Im November hatten sich Rat und Parlament im Trilog vorläufig geeinigt. Nachdem das Parlament die Einigung formal angenommen hat, muss nun noch der Rat abstimmen. Der Ausschuss der Ständigen Vertreter (AStV) hatte das Trilogergebnis bereits am 6. Dezember 2023 gebilligt. leo

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EU-Kommission will Entwicklung fortgeschrittener Werkstoffe fördern

Am Dienstag hat die EU-Kommission eine Kommunikation unter dem Namen “Advanced Materials for Industrial Leadership” verabschiedet. Darin warnt sie, dass der EU drohe, ihre Führungsrolle bei der grünen und digitalen Transformation zu verlieren. Eine strategischere Herangehensweise sei nötig, insbesondere weil der Zugang zu fortgeschrittenen Werkstoffen im aktuellen geopolitischen Umfeld nicht mehr garantiert sei.

Die Kommunikation ist auch eine Reaktion der Kommission auf einen Aufruf verschiedener Forschungsinstitute aus dem Jahr 2022, darunter auch das Frauenhofer Institut. Darin hieß es, dass die EU einen “systemischen Ansatz” für die Entwicklung fortgeschrittener Werkstoffe brauche.

Unter fortgeschrittenen Werkstoffen versteht die Kommission Materialien, die so gestaltet sind, dass sie neue oder verbesserte Eigenschaften aufweisen, oder verbesserte strukturelle Merkmale, mit dem Ziel, eine bessere Leistung zu erzielen. Als Beispiele nennt die Kommission unter anderem:

  • Metallische Nanopartikel, welche die Energiekonvertierung in Solarpanels verbessern sollen;
  • Neue, nichtsiliziumbasierte Materialien für die Herstellung von Chips;
  • Naturbasierte Materialien für bessere und nachhaltigere Isolation.

Fragmentierte, langsame Innovation

Die Kommunikation identifiziert eine Reihe von Problemen, die aktuell bei der Entwicklung und Anwendung dieser fortgeschrittenen Werkstoffe besteht:

  • Eine Fragmentierung der Forschungs- und Entwicklungslandschaft in Europa
  • Tiefe Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen
  • Langsame Innovationsprozesse: Forschungsergebnisse finden selten oder zu langsam Einfluss in industrielle Produktionsprozesse
  • Mangel an Test- und Experimentanlagen
  • Mangel an Fachkräften
  • Wenig Fortschritt bei Zirkularität und Materialeffizienz

Laut Kommission drohen diese Probleme, zu Hindernissen für die grüne und digitale Transformation zu werden. Zudem werde man von Drittstaaten abhängig, die geopolitisch abweichende Interessen verfolgen.

Kommission setzt auf Absprache statt eigenes Gesetz

Die Kommission präsentiert keinen neuen Gesetzesvorschlag, sondern versucht, innerhalb der aktuellen EU-Programme für einen verstärkten Fokus auf fortgeschrittene Werkstoffe Platz zu machen. “Ein gesetzlicher Vorstoß wäre nicht zwingend stärker”, sagte ein Kommissionsbeamter vor der Publikation der Kommunikation. Mit einem Gesetzesvorstoß könne man den Prozess sogar verzögern, meinte er.

Stattdessen setzt die Kommission auf mehr Koordination. Zusammen mit den Mitgliedstaaten will sie gemeinsame Forschungs- und Entwicklungsziele in den Bereichen Energie, Mobilität, Bau und Elektrotechnik formulieren. Laut einem Kommissionsbeamten sei das Problem nicht, dass zu wenig Leute sich mit dem Thema der fortgeschrittenen Werkstoffe auseinandersetzen, sondern dass sie nicht miteinander sprechen würden.  

Dafür ruft die Kommission einen Technologie-Rat ins Leben. Dieser soll regelmäßig Akteure aus der Industrie und nationalen Industrie- und Forschungsministerien zusammenbringen. Auch Länder, die durch das EU-Forschungsprogramm Horizon Europe assoziiert sind, sollten zu diesem Technologie-Rat Zugang erhalten.

Entwicklungsprozesse beschleunigen

Die Kommission will auch das Problem der langwierigen Entwicklungsprozesse angehen. So sollen Unternehmen besseren Zugang zu Testanlagen erhalten. Zudem will sie das Thema der fortgeschrittenen Werkstoffe auch in der öffentlichen Beschaffung stärker thematisieren. Im Rahmen des “Big Buyers Working Together“-Projekt der Kommission sollen öffentliche Beschaffer auf fortgeschrittene Werkstoffe Wert legen, um deren Aufnahme in industrielle Prozesse zu beschleunigen.

Bei der Finanzierung bleibt die Kommission jedoch zurückhaltend. Da sie keine großen Budget-Diskussionen oder Gesetzgebungsprozesse lostreten will, muss sie bereits existierende EU-Geldtöpfe anzapfen. Die relevantesten finanziellen Maßnahmen sind folgende:

  • 500 Millionen Euro aus dem Horizon Europe Programm sollen zwischen 2025 und 2027 in ein Programm fließen, das unter dem Namen “Innovative Materials for Europe” Kooperationen zwischen öffentlichen Forschungsinstitutionen und Akteuren aus der Privatwirtschaft fördern soll.
  • Der Europäische Innovationsrat soll 130 Millionen Euro in die Kommerzialisierung fortgeschrittener Werkstoffe investieren. jaa
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Gassparen soll in Krisen nicht mehr verpflichtend sein

Die Europäische Kommission hat ihre Empfehlungen zur Zukunft der Verordnung zum Gassparen vorgestellt. Zwar sollen die EU-Länder weiter freiwillig ihren Gasverbrauch um 15 Prozent einschränken, eine verpflichtende Vorgabe zum Gassparen in Krisen soll in Zukunft aber wegfallen.

Die Verordnung 2022/1369 beinhaltet bisher eine freiwillige Reduktion des Gasverbrauchs um 15 Prozent, die in Notlagen verpflichtend werden kann. Da sie Ende März ausläuft, musste die Kommission sie bis zum 1. März evaluieren. Die Verordnung zum Gassparen war eine von verschiedenen Maßnahmen der EU, nachdem Russlands die Ukraine überfallen und europäische Gaslieferungen gedrosselt hatte.

EU-Diplomaten erklärten, einige Länder hielten die Politik nicht mehr für notwendig, da der Höhepunkt der europäischen Energiekrise überschritten sei und die europäischen Länder ihren Gasbedarf seit dem russischen Einmarsch in der Ukraine im Februar 2022 konsequent gesenkt hätten. Es gab jedoch einige wenige, die die Empfehlung ablehnten. Es wird erwartet, dass die Energieminister der EU-Länder die neue Empfehlung bei ihrem Treffen im März annehmen.

Der Gaspreis in Europa ist in diesem Monat auf ein Dreijahrestief gefallen. Den Daten von Gas Infrastructure Europe zufolge gehen die EU-Länder mit ungewöhnlich vollen Gasspeichern aus diesem Winter hervor – sie sind zu etwa 64 Prozent gefüllt. rtr/ber/lei

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Presseschau

Bundeskanzler Olaf Scholz: NATO und EU schicken keine Soldaten in Ukraine N-TV
EU-Parlament stimmt für umstrittenes Naturschutzgesetz FAZ
Chatkontrolle: Der Rat will es nochmal versuchen NETZPOLITIK
“Gesetz für Daphne”: EU-Parlament stimmt für besseren Schutz gegen Einschüchterungsklagen NETZPOLITIK
EU-Parlament beschließt neue Regeln für politische Werbung HORIZONT
Treffen der V4-Gruppe in Prag: “Visegrád ist lebendig” FAZ
Landwirte protestieren in Warschau gegen die Agrarpolitik ZDF
Regionalwahlen in Sardinien: Giorgia Meloni verliert die Aura der Unbesiegbarkeit RND
Spanien: Königspaar trifft Bewohner nach Hochhausbrand in Valencia ZDF

Heads

Kerstin Maria Rippel – Die Newcomerin im Stahlsektor

“Man kann viel lesen, viel reden, aber ich wollte die Industrie erleben, anschauen und auch riechen”, sagt Kerstin Maria Rippel, Geschäftsführerin der Wirtschaftsvereinigung Stahl.

Kerstin Maria Rippel konnte ihren Job offenbar kaum erwarten. Schon Monate, bevor sie die neue Geschäftsführerin der Wirtschaftsvereinigung Stahl wurde, setzte sie sich ins Auto und fuhr zu Stahlproduktionen in ganz Deutschland. “Man kann viel lesen, viel reden, aber ich wollte die Industrie erleben, anschauen und auch riechen”, sagt Rippel. Was ihr früh dabei auffiel: Die Menschen vor Ort hätten eine hohe Identifikation mit ihrer Arbeit, seien wahnsinnig stolz auf den Stahl, den sie dort produzieren.

Nur: Die Stahlindustrie steckt bis zum Hals in der Krise und muss gerade parallel noch einen großen Wandel stemmen. Die CO₂-Emissionen müssen runter und dafür müssen die Stahlgiganten auf grünen Strom und grünen Wasserstoff umrüsten. Das wiederum ist teuer und für die Industrie enorm anstrengend.

Rippel ist es nun, die in diesem heiklen Terrain kommunikativ navigieren muss. Sie muss die Politik überzeugen, dass die Stahlbranche überlebensnotwendig für den Standort Deutschland ist. Sie muss die Unternehmen zusammenbringen, um einheitlich auftreten zu können. Sie muss den Verband modernisieren – und dann müssen die Stahlarbeiter vor Ort noch bei Laune gehalten werden, damit die Stimmung nicht kippt. All das ist eine riesige Herausforderung, der sich Rippel jetzt stellen muss.

Rippel ist ausgebildete Journalistin

Über sich selbst sagt die 51-Jährige, dass sie eine Newcomerin in der Branche ist, und das passt. Studiert hat Rippel schließlich Jura in Saarbrücken und Stuttgart, hat später noch eine journalistische Ausbildung absolviert und sich ihre ersten Sporen beim Bundesverband Neue Energiewirtschaft verdient. Dort arbeitete sie als Pressesprecherin, bevor sie 2013 zum Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz wechselte, wo sie einen rasanten Aufstieg hinlegte. Von der Teamleiterin für Energiepolitik schaffte sie es in nicht einmal sechs Jahren zur Prokuristin, bevor 2023 dann der Ruf aus der Stahlbranche kam: Frau Rippel, wollen Sie nicht mal etwas ganz Neues machen und unsere Wirtschaftsvereinigung führen?  

Rippel erinnert sich noch gut an die Anfrage. Stahl? Damit hatte sie nichts am Hut, kannte wie die meisten Menschen nur die archaischen Bilder von den Hochöfen. Doch sie erkannte damals, dass die Branche vor einer gigantischen Transformation steht – nicht nur, weil die Unternehmen wollen, sondern weil sie sich verändern müssen. Rippel fand das spannend, sagte zu und begann die große Tour durch die Stahlwerke in Deutschland.

Solange ihr Vertrag bei 50Hertz noch lief, fuhr sie dort an den Wochenenden hin, las nebenbei dicke Wälzer über die Stahlindustrie, die Technologie dahinter, die Historie. Heute kann die selbsternannte Newcomerin mit Fachbegriffen nur so um sich schmeißen – jeder Stahl-Nerd würde dahinschmelzen.

Die große Story der Stahlindustrie erzählen

Nach ihrem Start krempelte sie einiges um, stellte die Kommunikation des Lobbyverbands neu auf: Rippel ist, anders als ihre Vorgänger, bei LinkedIn aktiv, tritt offener auf, gibt Interviews, will präsent in der Öffentlichkeit sein, um die große Story der Stahlindustrie zu erzählen: “Wir verursachen aktuell ein Drittel der Industrieemissionen, wollen das ändern – und dabei gleichzeitig die Wirtschaftskraft Deutschlands erhalten”, sagt Rippel. Mit grünem Stahl Made in Germany gelinge beides. “Wie wir das schaffen können und was wir dazu brauchen, das kommunizieren wir ganz offen, das ist doch eine spannende Geschichte.”

Dass die Geschichte bei der Politik, aber auch den Mitarbeitern in der Industrie verfängt, ist wichtig. Denn die sind besorgt. Wie soll diese Transformation aussehen? Was bedeutet das für den eigenen Arbeitsplatz, für die eigene Zukunft? Solche Sorgen lassen sich am einfachsten mit Förder-Milliarden beseitigen, das weiß auch Rippel.

“Vom alten Business Case verabschieden”

Sowieso sei der Umbau ohne Geld aus der Politik nicht zu stemmen, glaubt die Lobbyisten: “Die Stahlindustrie muss sich von ihrem alten Businesscase verabschieden, um grünen Stahl zu produzieren.” Gleichzeitig gebe es für grünen Stahl im Wettbewerb heute noch keinen Businesscase – auch weil die Preise für Wasserstoff oder Strom viel zu hoch seien, führt Rippel aus. “Die Phase dazwischen sollen Fördermittel überbrücken, die wir brauchen, um ein erstes Angebot an grünem Stahl anzuregen.” Zuletzt durfte die Stahlindustrie sich über große Förderzusagen freuen, ein paar Milliarden hier, ein paar Milliarden da. Da konnte Rippel sich mit ihrer Überzeugung offenbar durchsetzen.  

Im Mai ist sie ein Jahr im Amt, bisher scheint es gut zu laufen. Die Förderzusagen sind da, aus der Industrie gibt es bisher keine Unkenrufe und auch sie selbst sagt: “Ich bin zufrieden mit dem, was wir als Team schon geschafft haben.” Danach gefragt, gibt sie sich die Schulnote “Gut”, weil sie viel angestoßen habe. Ein “Sehr gut” wollte sie sich nicht geben. Es gebe ja noch genug zu tun. Nils Wischmeyer

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  • Stahlindustrie
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Europe.Table Redaktion

EUROPE.TABLE REDAKTION

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    heute ist es so weit: Mittags um 12 Uhr sollen laut Plan die EU-Botschafter im Ausschuss der Ständigen Vertreter (AStV) über das EU-Lieferkettengesetz abstimmen.

    Beinahe um drei Wochen hat sich die Entscheidung der Mitgliedstaaten verschoben – ob nun doch eine qualifizierte Mehrheit zusammenkommt, bleibt noch bis zur Abstimmung ungewiss. Mehrere Mitgliedstaaten würden sich ihre Position bis zur letzten Sekunde offenhalten, erklärte ein Sprecher. Jedoch spreche die Tatsache, dass die belgische Ratspräsidentschaft das Thema auf die Agenda gesetzt hat, für eine realistische Chance.

    In der Zwischenzeit hat sich auch der Sustainable Finance-Beirat der Bundesregierung dafür ausgesprochen, die CSDDD noch unter der aktuellen Ratspräsidentschaft zu verabschieden. “Das Gesetz ist eine Gelegenheit zu zeigen, dass Europa seine Werte nicht nur verteidigt, sondern auch lebt”, heißt es in einer am Montag veröffentlichten Stellungnahme. Der Beirat berät das Bundesfinanzministerium bezüglich der Sustainable Finance-Strategie. Das Ministerium blockiert bisher eine Zustimmung der Bundesregierung.

    Allerdings wird die Bundesregierung zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr in die Beratungen eingebunden, zu unverrückbar scheint ihre Position. Aus Regierungskreisen hieß es, Deutschland sei in der Tat “außen vor”. Stattdessen hat die belgische Ratspräsidentschaft laut Informationen von Table.Media versucht, aufgrund der Bevölkerungsgröße vor allem Italien zu überzeugen. In Rom hält man sich bedeckt, berät und verhandelt im engsten Kreis um Ministerpräsidentin Giorgia Meloni.

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    Leonie Düngefeld
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    Analyse

    Ukraine: Scholz und Macron demonstrieren ihre Uneinigkeit

    Es kommt nicht oft vor, dass die beiden wichtigsten europäischen Politiker einander derart offen widersprechen. Bei dem Treffen von mehr als 20 Staats- und Regierungschefs am Vorabend habe man sich noch einmal “sehr einhellig” verständigt, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz am Dienstag, “dass es keine Bodentruppen, keine Soldaten auf ukrainischem Boden geben wird, die von europäischen Staaten oder von Nato-Staaten dort hingeschickt werden”.

    Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte in einer nächtlichen Pressekonferenz auch diese Option explizit offengehalten. “Nichts darf ausgeschlossen werden, um unser Ziel zu verfolgen: Russland kann und darf diesen Krieg nicht gewinnen”, sagte er auf eine Journalistenfrage hin. Man habe darüber sehr “offen und direkt” diskutiert, fügte er hinzu. Für Frankreich wollte er die Option nicht ausschließen und begründete dies mit “strategischer Ambiguität”.

    Konkret sprach Macron davon, bei einigen der in Paris vereinbarten Maßnahmen zur Unterstützung der Ukraine sei nicht ausgeschlossen, dass zur Sicherung eigene Soldaten erforderlich seien. Außenminister Stéphane Séjourné präzisierte am Dienstag: “Ich denke dabei insbesondere an die Minenräumung, die Cyberabwehr, die Herstellung von Waffen vor Ort, auf ukrainischem Territorium. Einige Aufgaben könnten eine Präsenz auf ukrainischem Territorium erfordern, ohne die Schwelle zum Kampf zu überschreiten.” Auch er sagte, nichts solle ausgeschlossen werden.

    Gegenwind aus anderen EU-Staaten

    Macron erntete am Dienstag auch Widerspruch aus anderen EU-Staaten. Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk betonte, er plane derzeit keine Entsendung von Soldaten. Er wolle zum jetzigen Zeitpunkt aber nicht spekulieren, ob es in der Zukunft unter bestimmten Unterständen zu einer Änderung dieses Standpunktes kommen könne. Im gleichen Sinne äußerte sich der tschechische Ministerpräsident Petr Fiala, der schwedische Regierungschef Ulf Kristersson und der Niederländer Mark Rutte.

    Besonders konsterniert fielen die Reaktionen in Berlin aus, bevor sich die Bundesregierung öffentlich um Schadensbegrenzung bemühte. Scholz hatte Macron schon am Wochenende dargelegt, was er von dessen Vorstoß hält – nämlich nichts.

    Der Kanzler begründete am Montag vor dem Treffen in Paris zudem seine Ablehnung von Taurus-Marschflugkörpern für Kiew ausdrücklich damit, dass dafür der Einsatz deutscher Soldaten im Kriegsgebiet vonnöten sei. Jana Puglierin, Senior Policy Fellow beim European Council on Foreign Relations (ECFR), spricht daher von einer “offenen Darstellung der Uneinigkeit und vor allem der Dissonanz im deutsch-französischen Tandem”.

    Macron “vermisst die Anerkennung”

    Macron nutzte den Presseauftritt seinerseits für eine Retourkutsche in Sachen Waffenlieferungen für die Ukraine. Der Präsident habe sich offenbar provoziert gefühlt durch die öffentlichen Forderungen von Scholz, die anderen EU-Partner sollten die Ukraine stärker unterstützen, sagt Éric Maurice, Policy Analyst am European Policy Centre. Die Regierung in Paris unterstütze die Ukraine im Verborgenen stärker, als es die öffentlichen Zahlen etwa des Kieler Instituts für Weltwirtschaft wiedergäben, “und vermisst dafür offenkundig die Anerkennung”.

    Mit einer neuen Koalition für Raketen mittlerer und größerer Reichweite erhöht Macron wiederum den Druck auf Scholz, ebenfalls Langstreckenraketen an die Ukraine zu liefern: “Wir werden diese Koalition ab heute Abend mit allen Staaten guten Willens organisieren”, sagte Macron am Montag. Es gehe um den ausdrücklichen Wunsch des ukrainischen Präsidenten nach Waffen, um auch in der Tiefe des russischen Aufmarschgebiets Luftschläge ausführen zu können.

    Experte: Macron will Botschaft nach Moskau senden

    Maurice bezweifelt, dass Macron aus innenpolitischem Kalkül handelte – er könne mit einer Diskussion um Bodentruppen auch in der eigenen Öffentlichkeit “nichts gewinnen”. Dem Präsidenten sei es vielmehr darum gegangen, eine Botschaft der Abschreckung an Moskau zu senden: “Dass Europa zu allem bereit ist, sollte Russland noch weitergehen – whatever it takes.”

    Ähnlich argumentiert ECFR-Expertin Camille Grand. Macrons Kernbotschaft sei gewesen, dass die Europäer der Ukraine langfristig zur Seite stünden – und dabei Wege ausloteten, die Unterstützung zu vertiefen, auch wenn es hierbei noch keinen Konsens gebe. “Er eröffnet eher ein Gespräch über die Formen der Unterstützung für die Ukraine, als dass er unmittelbare Maßnahmen ankündigt”, sagt Grand.

    Der Wirbel um die Frage der Bodentruppen überdeckt zudem eine neue Initiative Tschechiens zur Munitionsbeschaffung. Prag will rund 800.000 Artilleriegeschosse außerhalb der EU vom Kaliber 155 Millimeter aufkaufen und der Ukraine zuliefern. Dafür sind aber Mittel in der Höhe von 1,5 Milliarden Dollar nötig, die Tschechien nicht alleine aufbringen will.

    Keine derartigen Pläne bei Nato und EU

    Ein Sprecher des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell sagte, in der EU sei Konsens, der Ukraine alles zu geben, was das Land in seinem Verteidigungskrieg für einen Sieg brauche. Wie dies geschehe, sei zu einem großen Teil in der Hand der Mitgliedstaaten. Es gebe auf jeden Fall keine Entscheidung auf EU-Ebene, die Ukraine mit Truppen zu unterstützen.

    Ähnlich äußerte sich Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg: Die Verbündeten leisteten unvergleichliche Hilfe für die Ukraine. Die Allianz habe aber nicht die Absicht, Kampftruppen zu schicken.

    Doch welches sind die Länder, die laut Macron diesbezüglich Überlegungen anstellen und in Paris das Thema vorgebracht haben sollen? Balten und Polen als Staaten an der Ostflanke plädierten dafür, alle Optionen zu evaluieren, schreibt die französische Zeitung “Le Monde” unter Berufung auf einen Diplomaten. Eine Entscheidung müsse gemeinsam getroffen und schrittweise vorbereitet werden.

    Hat Ficos Narrativ verfangen?

    Die öffentliche Diskussion angestoßen hatte allerdings der slowakische Ministerpräsident Robert Fico, und zwar eher im Sinne einer Warnung. Einzelne Länder seien offenbar bereit, eigene Soldaten direkt in die Ukraine zu schicken, sagte der Linksnationalist auf Facebook vor seiner Abreise nach Paris. Das werde jedoch Russland nicht zum Einlenken bewegen, sondern im Gegenteil die Gefahr einer Ausweitung des Konflikts vergrößern.

    Der Kreml reagierte prompt auf die Äußerungen von Paris: Eine Entsendung von Truppen werde den Konflikt zwischen Russland und Nato nicht nur wahrscheinlich, sondern unvermeidlich machen. Macron äußerte sich zur Debatte über Bodentruppen am Montag nach der Konferenz erst auf die Frage eines Journalisten hin, der auf Robert Ficos Warnungen verwiesen hatte. So gesehen könnte das Kalkül des prorussischen Slowaken aufgegangen sein, das Narrativ des Kremls von der Nato-Präsenz in der Ukraine zu bedienen.

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    Wie das Bündnis Sahra Wagenknecht und Mélenchons Partei kooperieren könnten

    Es gibt einige Ähnlichkeiten zwischen dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) und La France insoumise – und einige Bekanntschaften. Ausgerechnet der einstige Linken-Mitgründer und spätere Ehemann von Wagenknecht, Oskar Lafontaine, pflegte mit Jean-Luc Mélenchon ein enges Verhältnis. Beide galten in ihren Parteien als schwarze Schafe – Lafontaine bei der SPD, Mélenchon bei der Parti socialiste.

    Mélenchon und Wagenknecht haben inzwischen eigene Parteien gegründet, die nach der Wahl im Europaparlament zusammenarbeiten könnten, trotz einiger Differenzen. Mélenchons La France insoumise (LFI) und das Bündnis um Sahra Wagenknecht verbindet nicht nur der starke Personenkult. Sie eint die Überzeugung, dass die Institutionen in “Brüssel” vor allem technokratische Diener eines ausbeuterischen, kapitalistischen Systems seien, zulasten der Bürger. Und beide versuchen, trotz harter Systemkritik nicht zu radikal zu klingen.

    LFI will EU-Verträge umschreiben

    2017 wollte Jean-Luc Mélenchon die EU-Verträge neu verhandeln, für den Fall eines Scheiterns sah er als Plan B den einseitigen Austritt Frankreichs, die Abschaffung des Euro und die Rückkehr von Kapital- und Warenkontrollen an den nationalen Grenzen vor. Fünf Jahren später will LFI die Verträge immer noch umschreiben, um beispielsweise einen “ökologischen Protektionismus” zu ermöglichen, oder das Recht der Staaten, “öffentliche Monopole in strategischen Sektoren zu schaffen”. Ein Austritt aus Euro-Zone und EU wird nicht mehr erwähnt.

    Mélenchon und Wagenknecht eint auch ihre Geringschätzung für das Europäische Parlament. Jean-Luc Mélenchon glänzte zu seiner Zeit als Europaabgeordneter von 2009 bis 2017 vor allem durch Abwesenheit. “Man sah ihn nur selten, er verpasste sogar wesentliche Abstimmungen“, erinnert sich ein französischer Veteran im Parlament. LFI nutzte die europäische Bühne insbesondere dafür, um sich innenpolitisch in Frankreich zu profilieren, sagt Eric Maurice, Politikexperte beim Thinktank European Policy Center.

    Ähnliches sagt man auch über Sahra Wagenknecht, die sowohl im Bundestag als auch im Europaparlament oft fehlte. “Eine Debatte im Europaparlament ist ein Graus”, sagte sie etwa 2013. “Gähnende Leere auf den Bänken, im Vergleich dazu ist der Bundestag selbst in den Nachtstunden voll besetzt. Und niemand draußen nimmt diese Debatten zur Kenntnis.” Wagenknecht schloss konsequenterweise 2023 bereits vor der offiziellen Parteigründung kategorisch aus, ins Europaparlament zu gehen: Ihr Platz sei im Bundestag.

    EU-Bühne fürs nationale Schaulaufen

    Das wiederum könnte eine Gemeinsamkeit beschreiben. Denn laut dem Politikexperten Maurice nutzt LFI die europäische Bühne für nationale politische Zwecke. “Ideologisch unterscheidet sich LFI vom Rassemblement national, doch taktisch verfolgen beide Parteien denselben Ansatz: das europäische Mandat zu nutzen, um sich in Frankreich politisch zu profilieren”, stellt er fest.

    Für Wagenknecht nach Brüssel und Straßburg gehen sollen die Spitzenkandidaten Fabio de Masi und Thomas Geisel. De Masi saß für die deutsche Linkspartei von 2014 bis 2017 gemeinsam mit Mélenchon in der Linken-Fraktion (GUE/NGL). Fraglich ist, ob Linkspartei und BSW in einem Block koexistieren könnten.

    Differenzen bei der Migration

    Es gibt aber programmatische Unterschiede zwischen LFI und BSW. “La France insoumise ist eine Partei, die den Multikulturalismus propagiert. Sie ist sehr offen für Einwanderung, und das aus wahltaktischen Gründen”, erläutert Maurice. Mélenchon punktet stark bei wirtschaftlich schlechter gestellten Bevölkerungsgruppen in den französischen Vorstädten, wo viele Einwanderer leben.

    Bei einer Umfrage nach der Präsidentschaftswahl 2022 haben 69 Prozent der Menschen muslimischen Glaubens angegeben, für ihn gestimmt zu haben, sagt Jérôme Fourquet, Leiter der Abteilung für Meinungsforschung und Unternehmensstrategien beim Meinungsforschungsinstitut Ifop. LFI wird sogar vorgeworfen, zu viel Nachgiebigkeit gegenüber dem radikalen Islam zu zeigen.

    Wagenknechts Partei hingegen ist zwar nicht gegen jede Form der Einwanderung – sie wendet sich aber offensiv gegen das heutige System der Flüchtlingsaufnahme. Bei Muslimen gezielt um Stimmen zu werben, kommt für die Partei nicht infrage – schon gar nicht vor den für das BSW noch wichtigeren Landtagswahlen in drei ostdeutschen Bundesländern, die in den Monaten nach der Europawahl folgen.

    Renationalisierung der Verteidigung oder Abrüstung?

    Ein weiterer Unterschied: Im BSW-Europawahlprogramm werden die Militärausgaben scharf kritisiert – Mélenchon hingegen plädiert für eine Renationalisierung der Rüstungswirtschaft und ein militärisch unabhängiges Frankreich.

    Dagegen fordern beide, dass sich Europas von den USA lösen solle. Die Formulierungen sind fast wortgleich: Europa dürfe nicht länger Vasall der USA sein. Stattdessen fordern sie einen Ausgleich mit den sicherheitspolitischen Interessen Wladimir Putins: “Radikale Diplomatie” solle Waffenlieferungen ersetzen.

    Eigene Fraktion denkbar

    Vielleicht reichen solche Gemeinsamkeiten aber schon aus, um mit weiteren Akteuren eine gemeinsame Fraktion nach der Wahl zu bilden. Denn im Europaparlament sind Fraktionen fast immer deutlich pluraler als etwa in Berlin aufgestellt. “In Nuancen unterscheiden sich Parteien immer, selbst wenn sie zu einer Parteienfamilie gezählt werden können”, sagt der Erlanger Politikwissenschaftler Cornelius Wurthmann. “Inhaltliche Verwandtschaft hört aber nicht bei Differenzen auf, sondern fängt bei Gemeinsamkeiten an. Ansonsten hätte man es ja mit identischen Zwillingen zu tun.” Er sehe auch jenseits von LFI noch einige potenzielle Mitkoalitionäre kleinerer Parteien aus weiteren Staaten.

    2019 erhielt die von Manon Aubry angeführte LFI-Liste 6,31 Prozent der Stimmen und entsandte sechs Abgeordnete ins Parlament in Straßburg und Brüssel. Umfragen zufolge liegt sie derzeit bei sieben bis acht Prozent in der Wählergunst. Für das BSW liegen derzeit noch keine verlässlichen Zahlen zur Europawahl vor. Dass BSW-Abgeordnete ins EP einziehen werden, ist allerdings so gut wie gesichert – ohne Sperrklausel wäre alles andere eine herbe Niederlage.

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    Renaturierungsgesetz erhält Mehrheit im Europaparlament

    Die Abstimmung zum Renaturierungsgesetz im Europaparlament war mit Spannung erwartet worden. Bis zum Schluss blieb das Schicksal dieses höchst umstrittenen Textes ungewiss. Am Ende stimmten 329 Europaabgeordnete dafür, 275 dagegen und 24 enthielten sich der Stimme. Abgeordneten der christdemokratischen Europäischen Volkspartei (EVP), der konservativen EKR und der rechtsextremen ID war es nicht gelungen, das Gesetz zu verhindern.

    “Das ist ein historischer Durchbruch”, freute sich Berichterstatter César Luena (S&D). Er betonte, dass die Verabschiedung der EU eine Führungsrolle und Glaubwürdigkeit auf der internationalen Bühne verleiht. Im Herbst findet im kolumbianischen Cali die COP 16 zur Biodiversität statt. Ende 2022 wurde das Kunming-Montreal-Rahmenabkommen über biologische Vielfalt verabschiedet.

    Unterstützung von 21 Mitgliedstaaten

    Die EVP hatte am Vortag der Wahl angekündigt, dass sie gegen den Text stimmen würde und als Grund dafür zu viel Bürokratie für Landwirte ausgemacht. Dennoch stimmten 25 Christdemokraten für den Text. Es handele sich dabei sicherlich um konservative Abgeordnete, deren Regierungen den Text im Ausschuss der Ständigen Vertreter (AStV) unterstützen, sagte Schattenberichterstatterin Jutta Paulus (Grüne). “Diese Abgeordneten haben es also vorgezogen, ihren Regierungen und nicht ihrem Parteichef Manfred Weber zu folgen.” 21 Mitgliedstaaten hatten erklärt, dass sie den im November letzten Jahres gefundenen Trilog-Kompromiss unterstützen.

    Die deutschen FDP-Abgeordneten folgten der EVP und stimmten dagegen. Die Vorsitzende von Renew, Valérie Hayer, stimmte, wie alle französischen Abgeordneten von Renew dafür. Und dies, obwohl die französische Regierung händeringend versucht, die Umweltauflagen für Landwirte zu reduzieren. Paris stellt insbesondere die im Trilog gefundene Einigung über die Richtlinie für Industrieemissionen infrage. Sie zielt unter anderem darauf, den Schadstoffausstoß von Viehzuchtbetrieben zu reduzieren.

    Der Umweltrat stimmt am 25. März über die politische Einigung zum Renaturierungsgesetz ab. Die Verordnung tritt 20 Tage nach Veröffentlichung im Amtsblatt der EU in Kraft. Dann haben die Mitgliedstaaten zwei Jahre Zeit, nationale Renaturierungspläne vorzulegen, mit klaren Zielen für deren Realisierung. Ziel des Gesetzes ist, bis 2030 mindestens 20 Prozent der Landflächen und 20 Prozent der Seefläche in der EU zu renaturieren.

    Finanzierung noch offen

    “Die Finanzierung ist ein Punkt, der noch nicht geklärt ist”, betonte César Luena. “Es wird die Aufgabe von Rat, Parlament und Kommission im nächsten Mandat sein, die Finanzarchitektur des Renaturierungsgesetzes zu definieren.”

    Das Gesetz sieht vor, dass die Kommission Vorschläge zur Finanzierung der Maßnahmen machen muss, wenn sie die Renaturierungspläne der Mitgliedstaaten erhält, erklärte Paulus. “Erst wenn die Kommission die Renaturierungspläne erhalten hat, kann sie abschätzen, was die Kosten der Maßnahmen in der Umsetzung sind.” cst

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    Verpackungsverordnung: Ratspräsidentschaft hält an Mehrwegzielen fest, Parlament will Ausnahmeregelung

    Die stellvertretenden Botschafter der EU-Mitgliedstaaten haben am Mittwoch über einen neuen Kompromissvorschlag der belgischen Ratspräsidentschaft zur EU-Verpackungsverordnung beraten. Laut dem Entwurf, den die französische Nachrichtenplattform Contexte Anfang der Woche veröffentlichte, hält die Ratspräsidentschaft an Maßnahmen fest, die Verpackungsmüll vermeiden sollen, darunter auch die Ziele für Mehrwegsysteme.

    Die Ratspräsidentschaft sieht laut dem Kompromissvorschlag Maßnahmen zur Vermeidung von Verpackungsabfällen als ein entscheidendes Element der Verordnung. Die EU-Vorgaben würden den Mitgliedstaaten die notwendigen Instrumente zur Abfallverringerung verleihen (Artikel 38). Daher sehe die Ratspräsidentschaft in den Verhandlungen “eine sehr begrenzte Flexibilität bei der Beschränkung auf bestimmte Verpackungsformate“. Das Parlament fordert dazu eine Reihe von Streichungen und Ausnahmeregeln.

    Vorbereitung auf Trilog am 4. März

    Dennoch will die Ratspräsidentschaft “eine gewisse Offenheit gegenüber dem Parlament” zeigen und schlägt ein Kompromisspaket vor: Demnach könnte die Frist zur Umsetzung in den Mitgliedstaaten verschoben und zusätzliche Ausnahmen hinsichtlich der Verbote für unnötige Verpackungsformate geschaffen werden (Anhang V). Die Ratspräsidentschaft erwarte hier “großen Druck” vonseiten des Parlaments.

    Zum Kompromissvorschlag gehört auch eine Überarbeitung der Mehrwegziele (Artikel 26). Verschiedene Formen von Verpackungen und Ausnahmen sollen klarer zusammengefasst werden. Die Ratspräsidentschaft werde darauf bestehen, dass Mehrwegziele für Speisen und Getränke zum Mitnehmen erhalten bleiben; für alkoholische und nicht-alkoholische Getränke sollen allgemeinere Formulierungen verwendet werden.

    Am kommenden Montag beginnt der zweite Trilog und wird voraussichtlich sehr lang dauern, da die Verhandelnden aus Rat, Parlament und Kommission eine Einigung anstreben. Bereits geeinigt hatten sich Rat und Parlament beim ersten politischen Trilog am 5. Februar unter anderem über die Ziele für den Recyclinganteil in Kunststoffverpackungen und die Bestimmungen über biobasierten Kunststoff (Artikel 7).

    Parlament schlägt Ausnahmeregelung vor

    Die Berichterstatterin für die Verpackungsverordnung im EU-Parlament, Frédérique Ries (Renew), hingegen schlug gestern eine Ausnahmeregelung für die Verbote für Einwegverpackungen sowie für die Mehrwegpflichten vor. Das entsprechende Dokument veröffentlichte ebenfalls Contexte. Sie will damit “Ländern wie Italien oder Finnland, die über ein effizientes Recyclingsystem verfügen und nicht auf das Wiederverwendungssystem umstellen wollen” entgegenkommen, zumindest in Bezug auf den Gastronomiesektor.

    Konkret formuliert sie folgende Vorschläge:

    • eine Ausnahme von den Verboten für bestimmte Einwegverpackungen (Artikel 22) auf Märkten von Mitgliedstaaten, die bereits das Recyclingziel von 70 Prozent erfüllen. Die Wirtschaftsakteure müssen für diese Ausnahme außerdem nachweisen können, dass sie andere, gleichwertige Maßnahmen zur Abfallvermeidung ergriffen haben.
    • eine Ausnahme von Mehrwegpflichten auf Märkten von Mitgliedstaaten, die ihre Verpackungsabfälle in den Jahren 2026 und 2027 bereits zu 70 Prozent (des Gewichts der insgesamt in Verkehr gebrachten Verpackungen) gemessen haben und darüber berichten. Auch für diese Ausnahme müssen die betroffenen Wirtschaftsakteure Maßnahmen zur Abfallvermeidung ergriffen haben. Entsprechende Maßnahmen sind in der Verordnung aufgelistet. leo
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    Abfallverbringung: EU-Parlament verabschiedet strengere Regeln

    Das EU-Parlament hat am Dienstag die Überarbeitung der Abfallverbringungsverordnung beschlossen. Mit dieser sollen Exporte von Kunststoffabfällen in Drittländer reduziert und die Verfahren den Zielen der Kreislaufwirtschaft angepasst werden. Mit 587 Stimmen bei acht Gegenstimmen und 33 Enthaltungen nahm das Parlament die Einigung aus den Trilogverhandlungen an.

    Die derzeit geltende Abfallverbringungsverordnung stammt aus dem Jahr 2006. Seitdem sind die Ausfuhren von Abfällen aus der EU in Drittländer erheblich gestiegen, insbesondere in Nicht-OECD-Länder. Die nun beschlossene Überarbeitung soll dies eingrenzen: Der Export von Kunststoffabfällen aus der EU in Nicht-OECD-Länder wird innerhalb von zweieinhalb Jahren nach Inkrafttreten der Verordnung verboten, Ausnahmen gibt es nur unter strengen Bedingungen. Andere, für das Recycling geeignete Abfälle, werden nur dann aus der EU in Nicht-OECD-Länder ausgeführt, wenn sicher ist, dass diese nachhaltig damit umgehen können.

    Auch Kontrolle soll verbessert werden

    Digitalisierte Verfahren sollen es erleichtern, Abfälle zum Recycling innerhalb der EU zu verteilen. Innerhalb der EU sollen dazu Informationen und Daten durch eine zentrale elektronische Schnittstelle ausgetauscht werden, um die Berichterstattung und Transparenz zu verbessern.

    Mit dem Gesetz wird auch eine Durchsetzungsgruppe eingerichtet. Diese soll die Zusammenarbeit zwischen den EU-Mitgliedstaaten verbessern, um illegale Verbringungen zu verhindern und aufzudecken.

    Im November hatten sich Rat und Parlament im Trilog vorläufig geeinigt. Nachdem das Parlament die Einigung formal angenommen hat, muss nun noch der Rat abstimmen. Der Ausschuss der Ständigen Vertreter (AStV) hatte das Trilogergebnis bereits am 6. Dezember 2023 gebilligt. leo

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    EU-Kommission will Entwicklung fortgeschrittener Werkstoffe fördern

    Am Dienstag hat die EU-Kommission eine Kommunikation unter dem Namen “Advanced Materials for Industrial Leadership” verabschiedet. Darin warnt sie, dass der EU drohe, ihre Führungsrolle bei der grünen und digitalen Transformation zu verlieren. Eine strategischere Herangehensweise sei nötig, insbesondere weil der Zugang zu fortgeschrittenen Werkstoffen im aktuellen geopolitischen Umfeld nicht mehr garantiert sei.

    Die Kommunikation ist auch eine Reaktion der Kommission auf einen Aufruf verschiedener Forschungsinstitute aus dem Jahr 2022, darunter auch das Frauenhofer Institut. Darin hieß es, dass die EU einen “systemischen Ansatz” für die Entwicklung fortgeschrittener Werkstoffe brauche.

    Unter fortgeschrittenen Werkstoffen versteht die Kommission Materialien, die so gestaltet sind, dass sie neue oder verbesserte Eigenschaften aufweisen, oder verbesserte strukturelle Merkmale, mit dem Ziel, eine bessere Leistung zu erzielen. Als Beispiele nennt die Kommission unter anderem:

    • Metallische Nanopartikel, welche die Energiekonvertierung in Solarpanels verbessern sollen;
    • Neue, nichtsiliziumbasierte Materialien für die Herstellung von Chips;
    • Naturbasierte Materialien für bessere und nachhaltigere Isolation.

    Fragmentierte, langsame Innovation

    Die Kommunikation identifiziert eine Reihe von Problemen, die aktuell bei der Entwicklung und Anwendung dieser fortgeschrittenen Werkstoffe besteht:

    • Eine Fragmentierung der Forschungs- und Entwicklungslandschaft in Europa
    • Tiefe Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen
    • Langsame Innovationsprozesse: Forschungsergebnisse finden selten oder zu langsam Einfluss in industrielle Produktionsprozesse
    • Mangel an Test- und Experimentanlagen
    • Mangel an Fachkräften
    • Wenig Fortschritt bei Zirkularität und Materialeffizienz

    Laut Kommission drohen diese Probleme, zu Hindernissen für die grüne und digitale Transformation zu werden. Zudem werde man von Drittstaaten abhängig, die geopolitisch abweichende Interessen verfolgen.

    Kommission setzt auf Absprache statt eigenes Gesetz

    Die Kommission präsentiert keinen neuen Gesetzesvorschlag, sondern versucht, innerhalb der aktuellen EU-Programme für einen verstärkten Fokus auf fortgeschrittene Werkstoffe Platz zu machen. “Ein gesetzlicher Vorstoß wäre nicht zwingend stärker”, sagte ein Kommissionsbeamter vor der Publikation der Kommunikation. Mit einem Gesetzesvorstoß könne man den Prozess sogar verzögern, meinte er.

    Stattdessen setzt die Kommission auf mehr Koordination. Zusammen mit den Mitgliedstaaten will sie gemeinsame Forschungs- und Entwicklungsziele in den Bereichen Energie, Mobilität, Bau und Elektrotechnik formulieren. Laut einem Kommissionsbeamten sei das Problem nicht, dass zu wenig Leute sich mit dem Thema der fortgeschrittenen Werkstoffe auseinandersetzen, sondern dass sie nicht miteinander sprechen würden.  

    Dafür ruft die Kommission einen Technologie-Rat ins Leben. Dieser soll regelmäßig Akteure aus der Industrie und nationalen Industrie- und Forschungsministerien zusammenbringen. Auch Länder, die durch das EU-Forschungsprogramm Horizon Europe assoziiert sind, sollten zu diesem Technologie-Rat Zugang erhalten.

    Entwicklungsprozesse beschleunigen

    Die Kommission will auch das Problem der langwierigen Entwicklungsprozesse angehen. So sollen Unternehmen besseren Zugang zu Testanlagen erhalten. Zudem will sie das Thema der fortgeschrittenen Werkstoffe auch in der öffentlichen Beschaffung stärker thematisieren. Im Rahmen des “Big Buyers Working Together“-Projekt der Kommission sollen öffentliche Beschaffer auf fortgeschrittene Werkstoffe Wert legen, um deren Aufnahme in industrielle Prozesse zu beschleunigen.

    Bei der Finanzierung bleibt die Kommission jedoch zurückhaltend. Da sie keine großen Budget-Diskussionen oder Gesetzgebungsprozesse lostreten will, muss sie bereits existierende EU-Geldtöpfe anzapfen. Die relevantesten finanziellen Maßnahmen sind folgende:

    • 500 Millionen Euro aus dem Horizon Europe Programm sollen zwischen 2025 und 2027 in ein Programm fließen, das unter dem Namen “Innovative Materials for Europe” Kooperationen zwischen öffentlichen Forschungsinstitutionen und Akteuren aus der Privatwirtschaft fördern soll.
    • Der Europäische Innovationsrat soll 130 Millionen Euro in die Kommerzialisierung fortgeschrittener Werkstoffe investieren. jaa
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    Gassparen soll in Krisen nicht mehr verpflichtend sein

    Die Europäische Kommission hat ihre Empfehlungen zur Zukunft der Verordnung zum Gassparen vorgestellt. Zwar sollen die EU-Länder weiter freiwillig ihren Gasverbrauch um 15 Prozent einschränken, eine verpflichtende Vorgabe zum Gassparen in Krisen soll in Zukunft aber wegfallen.

    Die Verordnung 2022/1369 beinhaltet bisher eine freiwillige Reduktion des Gasverbrauchs um 15 Prozent, die in Notlagen verpflichtend werden kann. Da sie Ende März ausläuft, musste die Kommission sie bis zum 1. März evaluieren. Die Verordnung zum Gassparen war eine von verschiedenen Maßnahmen der EU, nachdem Russlands die Ukraine überfallen und europäische Gaslieferungen gedrosselt hatte.

    EU-Diplomaten erklärten, einige Länder hielten die Politik nicht mehr für notwendig, da der Höhepunkt der europäischen Energiekrise überschritten sei und die europäischen Länder ihren Gasbedarf seit dem russischen Einmarsch in der Ukraine im Februar 2022 konsequent gesenkt hätten. Es gab jedoch einige wenige, die die Empfehlung ablehnten. Es wird erwartet, dass die Energieminister der EU-Länder die neue Empfehlung bei ihrem Treffen im März annehmen.

    Der Gaspreis in Europa ist in diesem Monat auf ein Dreijahrestief gefallen. Den Daten von Gas Infrastructure Europe zufolge gehen die EU-Länder mit ungewöhnlich vollen Gasspeichern aus diesem Winter hervor – sie sind zu etwa 64 Prozent gefüllt. rtr/ber/lei

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    Presseschau

    Bundeskanzler Olaf Scholz: NATO und EU schicken keine Soldaten in Ukraine N-TV
    EU-Parlament stimmt für umstrittenes Naturschutzgesetz FAZ
    Chatkontrolle: Der Rat will es nochmal versuchen NETZPOLITIK
    “Gesetz für Daphne”: EU-Parlament stimmt für besseren Schutz gegen Einschüchterungsklagen NETZPOLITIK
    EU-Parlament beschließt neue Regeln für politische Werbung HORIZONT
    Treffen der V4-Gruppe in Prag: “Visegrád ist lebendig” FAZ
    Landwirte protestieren in Warschau gegen die Agrarpolitik ZDF
    Regionalwahlen in Sardinien: Giorgia Meloni verliert die Aura der Unbesiegbarkeit RND
    Spanien: Königspaar trifft Bewohner nach Hochhausbrand in Valencia ZDF

    Heads

    Kerstin Maria Rippel – Die Newcomerin im Stahlsektor

    “Man kann viel lesen, viel reden, aber ich wollte die Industrie erleben, anschauen und auch riechen”, sagt Kerstin Maria Rippel, Geschäftsführerin der Wirtschaftsvereinigung Stahl.

    Kerstin Maria Rippel konnte ihren Job offenbar kaum erwarten. Schon Monate, bevor sie die neue Geschäftsführerin der Wirtschaftsvereinigung Stahl wurde, setzte sie sich ins Auto und fuhr zu Stahlproduktionen in ganz Deutschland. “Man kann viel lesen, viel reden, aber ich wollte die Industrie erleben, anschauen und auch riechen”, sagt Rippel. Was ihr früh dabei auffiel: Die Menschen vor Ort hätten eine hohe Identifikation mit ihrer Arbeit, seien wahnsinnig stolz auf den Stahl, den sie dort produzieren.

    Nur: Die Stahlindustrie steckt bis zum Hals in der Krise und muss gerade parallel noch einen großen Wandel stemmen. Die CO₂-Emissionen müssen runter und dafür müssen die Stahlgiganten auf grünen Strom und grünen Wasserstoff umrüsten. Das wiederum ist teuer und für die Industrie enorm anstrengend.

    Rippel ist es nun, die in diesem heiklen Terrain kommunikativ navigieren muss. Sie muss die Politik überzeugen, dass die Stahlbranche überlebensnotwendig für den Standort Deutschland ist. Sie muss die Unternehmen zusammenbringen, um einheitlich auftreten zu können. Sie muss den Verband modernisieren – und dann müssen die Stahlarbeiter vor Ort noch bei Laune gehalten werden, damit die Stimmung nicht kippt. All das ist eine riesige Herausforderung, der sich Rippel jetzt stellen muss.

    Rippel ist ausgebildete Journalistin

    Über sich selbst sagt die 51-Jährige, dass sie eine Newcomerin in der Branche ist, und das passt. Studiert hat Rippel schließlich Jura in Saarbrücken und Stuttgart, hat später noch eine journalistische Ausbildung absolviert und sich ihre ersten Sporen beim Bundesverband Neue Energiewirtschaft verdient. Dort arbeitete sie als Pressesprecherin, bevor sie 2013 zum Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz wechselte, wo sie einen rasanten Aufstieg hinlegte. Von der Teamleiterin für Energiepolitik schaffte sie es in nicht einmal sechs Jahren zur Prokuristin, bevor 2023 dann der Ruf aus der Stahlbranche kam: Frau Rippel, wollen Sie nicht mal etwas ganz Neues machen und unsere Wirtschaftsvereinigung führen?  

    Rippel erinnert sich noch gut an die Anfrage. Stahl? Damit hatte sie nichts am Hut, kannte wie die meisten Menschen nur die archaischen Bilder von den Hochöfen. Doch sie erkannte damals, dass die Branche vor einer gigantischen Transformation steht – nicht nur, weil die Unternehmen wollen, sondern weil sie sich verändern müssen. Rippel fand das spannend, sagte zu und begann die große Tour durch die Stahlwerke in Deutschland.

    Solange ihr Vertrag bei 50Hertz noch lief, fuhr sie dort an den Wochenenden hin, las nebenbei dicke Wälzer über die Stahlindustrie, die Technologie dahinter, die Historie. Heute kann die selbsternannte Newcomerin mit Fachbegriffen nur so um sich schmeißen – jeder Stahl-Nerd würde dahinschmelzen.

    Die große Story der Stahlindustrie erzählen

    Nach ihrem Start krempelte sie einiges um, stellte die Kommunikation des Lobbyverbands neu auf: Rippel ist, anders als ihre Vorgänger, bei LinkedIn aktiv, tritt offener auf, gibt Interviews, will präsent in der Öffentlichkeit sein, um die große Story der Stahlindustrie zu erzählen: “Wir verursachen aktuell ein Drittel der Industrieemissionen, wollen das ändern – und dabei gleichzeitig die Wirtschaftskraft Deutschlands erhalten”, sagt Rippel. Mit grünem Stahl Made in Germany gelinge beides. “Wie wir das schaffen können und was wir dazu brauchen, das kommunizieren wir ganz offen, das ist doch eine spannende Geschichte.”

    Dass die Geschichte bei der Politik, aber auch den Mitarbeitern in der Industrie verfängt, ist wichtig. Denn die sind besorgt. Wie soll diese Transformation aussehen? Was bedeutet das für den eigenen Arbeitsplatz, für die eigene Zukunft? Solche Sorgen lassen sich am einfachsten mit Förder-Milliarden beseitigen, das weiß auch Rippel.

    “Vom alten Business Case verabschieden”

    Sowieso sei der Umbau ohne Geld aus der Politik nicht zu stemmen, glaubt die Lobbyisten: “Die Stahlindustrie muss sich von ihrem alten Businesscase verabschieden, um grünen Stahl zu produzieren.” Gleichzeitig gebe es für grünen Stahl im Wettbewerb heute noch keinen Businesscase – auch weil die Preise für Wasserstoff oder Strom viel zu hoch seien, führt Rippel aus. “Die Phase dazwischen sollen Fördermittel überbrücken, die wir brauchen, um ein erstes Angebot an grünem Stahl anzuregen.” Zuletzt durfte die Stahlindustrie sich über große Förderzusagen freuen, ein paar Milliarden hier, ein paar Milliarden da. Da konnte Rippel sich mit ihrer Überzeugung offenbar durchsetzen.  

    Im Mai ist sie ein Jahr im Amt, bisher scheint es gut zu laufen. Die Förderzusagen sind da, aus der Industrie gibt es bisher keine Unkenrufe und auch sie selbst sagt: “Ich bin zufrieden mit dem, was wir als Team schon geschafft haben.” Danach gefragt, gibt sie sich die Schulnote “Gut”, weil sie viel angestoßen habe. Ein “Sehr gut” wollte sie sich nicht geben. Es gebe ja noch genug zu tun. Nils Wischmeyer

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