Table.Briefing: Europe

Langes Wünsche in der Handelspolitik + Die kommende Forschungsagenda + Orbán will Meloni und Le Pen-Zusammenarbeit

Liebe Leserin, lieber Leser,

ihr Programm für den heutigen Rat haben die Energieminister in den vergangenen Tagen immer voller gepackt. Eigentlich sollten die Schlussfolgerungen zum Netzausbau im Mittelpunkt stehen. Monatelang hatte die belgische Ratspräsidentschaft daran gearbeitet; die Vollendung des Strombinnenmarktes wird nach jetzigem Stand wohl das beherrschende energiepolitische Thema der nächsten Legislatur.

Frankreich hat aber, unterstützt von der Bundesregierung und den Niederlanden, kurzfristig den Betrug mit Biokraftstoffen auf die Tagesordnung gesetzt – wobei es inzwischen schwerfällt, den Überblick über all die Einfallstore für Betrüger in diesem Bereich zu behalten. China flutet den europäischen Markt seit Monaten mit Treibstoff, der angeblich klimafreundlich aus Abfall- und Reststoffen hergestellt wurde.

“Wir schlagen vor, dass die Zertifizierung der Nachhaltigkeit der in diesen Anlagen hergestellten Biokraftstoffe abgelehnt wird, wenn den Kontrolleuren der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten der Zugang zu den Anlagen verweigert wird”, schreiben die Staaten in einem an die Kommission gerichteten Papier, das Table.Briefings vorliegt.

Für Enttäuschung dürfte dagegen das Papier der Kommission zu Fortschritten bei Kapazitätsmärkten gesorgt haben. Mehrere Mitgliedstaaten wie Deutschland und Italien hatten auf einfachere Genehmigungsverfahren für die Vergütung neuer Gaskraftwerke gedrängt. Auf eineinhalb Seiten wiederholt die Kommission aber lediglich den bekannten Zeitplan für ihre kommenden Vorschläge.

Lebendiger werden dagegen wohl die Diskussionen um die deutsche Gasspeicherumlage. In einem gemeinsamen Papier kritisieren Österreich, Tschechien, die Slowakei und Ungarn nun, dass sie ab Juli sogar noch mehr zahlen sollen. An die Kommission appellieren sie, eine Lösung zu finden, damit nicht weiterhin “die Energiesicherheit in ganz Mitteleuropa gefährdet” wird.

Ihr
Manuel Berkel
Bild von Manuel  Berkel

Interview

Bernd Lange hofft auf Freihandelsabkommen mit Mercosur, Australien und Indonesien

Der Europaabgeordnete Bernd Lange (SPD) erhofft sich für die nächste Legislatur größere Erfolge bei der Verhandlung neuer Handelsabkommen.

Für den langjährigen Europaabgeordneten Bernd Lange (SPD) sollte sich die Handelspolitik der kommenden EU-Kommission an drei Prioritäten ausrichten:

  • die Reform der Welthandelsorganisation WTO
  • der Ausbau des bilateralen Netzes bilateraler Freihandelsabkommen
  • die flexible und partnerschaftliche Umsetzung der Entwaldungsverordnung und des CO₂-Grenzausgleichs

Der Erfolg der EU-Handelspolitik wird aber stark vom internationalen Umfeld abhängen, insbesondere vom Ausgang der US-Präsidentschaftswahlen am 4. November. Wie die EU die von ihm geforderten Prioritäten verfolgen soll und auf die Ergebnisse der US-Wahlen reagieren kann, besprach Lange im Interview mit Table.Briefings.

Vorbereitungen für mögliche WTO-Cases

Joe Biden scheint nicht viel von der WTO zu halten. Wenn er wiedergewählt wird: Wie realistisch ist eine WTO-Reform in den kommenden Jahren?

US-Präsidenten sind in der zweiten Amtszeit generell etwas entspannter. Ein Faktor sind allerdings auch die Mehrheitsverhältnisse im Repräsentantenhaus. Es ist aber die klare Ansage der Biden-Administration, dass nach dem 4. November die Frage des Streitschlichtungsmechanismus der WTO angegangen wird. Auch die Frage der Definition nationaler Sicherheit werden wir sicherlich mit den amerikanischen Freunden noch einmal sehr intensiv besprechen. Zuletzt hatte sich die Konfrontation zwar zugespitzt. Ich gehe davon aus, dass sich die Lage etwas entspannten wird, mit einer wiedergewählten Biden-Regierung. 

Es ist auch möglich, dass das andere Szenario eintrifft und Trump die Präsidentschaftswahl gewinnt. Er hat von einem Zehn-Prozent-Zoll gesprochen, den er wie eine Mauer um den amerikanischen Markt ziehen will. Wie kann die EU reagieren, wenn er das umsetzt?

Ja, er will zehn Prozent auf alles, in bestimmten Sektoren will er Quoten einführen, er möchte sich innerhalb von vier Jahren von China unabhängig machen, und einiges mehr. Das sind alles Dinge, die nicht WTO-kompatibel sind. Wir bereiten uns jetzt schon für mögliche WTO-Cases vor. Und dann haben wir natürlich unsere defensiven Instrumente, insbesondere bei der öffentlichen Beschaffung, wo wir auch Aktivitäten von amerikanischen Unternehmen einschränken könnten.

“Wir haben jetzt Gegenmaßnahmen in der Werkzeugkiste”

Welche Instrumente hat die EU noch?

Etwa das Anti-Zwangsmaßnahmen-Instrument, das auch entstanden ist, weil Trump damals mit Zöllen auf europäische Autos gedroht hatte. Jetzt haben wir Gegenmaßnahmen in unserer Werkzeugkiste. Wir gucken sehr genau, welche Maßnahmen wir unter welchen Bedingungen auch sehr schnell einleiten können. Noch einmal so eine Situation, in der wir überrascht werden von einem feindlichen Handeln eines Freundes, das werden wir nicht zulassen.

Hat die Union mittlerweile genügend Handelsverteidigungsinstrumente zur Verfügung oder gibt es noch Lücken?

Im Moment ist der Werkzeugkasten gut gefüllt. Wir haben auch noch die Durchsetzungsverordnung, um WTO-Recht durchzusetzen, und das Screening ausländischer Direktinvestitionen. Auch das Instrument gegen ausländische Subventionen werden wir sicher scharf stellen. Aber wenn wir merken, dass wir noch etwas anderes haben müssen, können wir da auch noch schnell etwas etablieren.

Für faire Wertschöpfungsketten sorgen

Der Ausbau des bilateralen Handelsnetzes ist in dieser Legislatur schleppend verlaufen. Wo können in den kommenden Jahren Abkommen gelingen?

Mercosur, Australien, Indonesien sind die drei Abkommen, um die es nächster Zeit besonders gehen wird. Die Mercosur-Staaten sind nach wie vor interessiert an einem Abkommen. Ich hoffe, dass dieses Mal die Situation bei uns nicht dazu führt, dass es scheitert. Deswegen müssen wir mit unseren französischen Freunden intensiv reden.

Aber wie soll das funktionieren? Ohne Frankreich wird es wohl kein Mercosur-Abkommen geben.

Wir müssen schauen, wie die Landwirtschaftspolitik in Frankreich gestaltet wird und dann auch noch einmal auf die Wertschöpfungskette in der Landwirtschaft insgesamt. Wir haben vor einigen Jahren eine Gesetzgebung gemacht gegen unfaire Handelspraktiken, weil da die großen Verwerter und Händler von Agrarprodukten den Landwirten wirklich Daumenschrauben angesetzt haben. Das waren völlig unfaire Praktiken. Das wurde zum Teil abgeschafft, aber da müssen wir nochmals ran. Letztendlich muss die Wertschöpfungskette von der Milch über den Käse bis zum Verkauf fair gestaltet werden. Und wenn dem so ist, dann ist die Skepsis gegenüber Freihandelsverträgen auch nicht mehr so groß.

Flexiblere Umsetzung der Entwaldungsverordnung

Wie sieht die Timeline aus beim Mercosur-Abkommen?

Wir müssen die Europawahl abwarten, dann muss etwas passieren und im nächsten Jahr muss der Deckel draufgemacht werden.

Sie plädieren auch dafür, dass die EU die unilateralen EU-Regulierungen mit Handelsbezug wie die Entwaldungsverordnung vorsichtig umsetzt. Was schwebt Ihnen da vor?

Der Ansatz muss flexibler und kooperativer sein. Bei der Entwaldungsverordnung gibt es zum Beispiel drei verschiedene Risikoklassifizierungen. Aber auf Länder bezogen kann man das eigentlich nicht so machen. Indonesien hat 4.000 Kilometer Entfernung zwischen ihren Inseln, die Produktionsbedingungen sind sehr unterschiedlich. Kann man ein Land einfach so klassifizieren? Und wie kann man stärker die Instrumente unserer Partner in die Umsetzung einbinden? Viele Länder haben zum Beispiel aus eigenem Antrieb schon Karten erstellt, um die Entwaldung nachzuvollziehen. Ich glaube, da kann man wirklich mehr kooperieren.

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Analyse

Europawahl: Was im Bereich Forschung und Innovation in der nächsten Legislatur ansteht

Noch bis 2027 läuft Horizon Europe, das aktuelle neunte Rahmenprogramm für Forschung und Innovation der EU, das ein Budget von 95 Milliarden Euro hat. Wie der Nachfolger heißen und wie groß sein Budget sein wird, wird die neue EU-Kommission vorschlagen. “Die wichtigste Voraussetzung dafür ist, dass der gesamte EU-Haushalt feststeht, der mehrjährige Finanzrahmen für den Zeitraum 2028 bis 2034. Der Vorschlag der EU-Kommission dazu soll Mitte 2025 vorliegen”, sagt Victoria Reichl, Leiterin des Brüsseler Büros der Kooperationsstelle EU der Wissenschaftsorganisationen (KoWi), einer Serviceplattform für die großen deutschen Wissenschaftsorganisationen.

Parallel dazu sei im nächsten Sommer der Kommissionsvorschlag für das zehnte Rahmenprogramm für Forschung und Innovation (FP10) zu erwarten, das ebenfalls von 2028 bis 2034 läuft. Mitglieder des EU-Parlaments sowie viele europäische Stakeholder-Verbände haben sich hinsichtlich des Budgets von FP10 bereits positioniert: Sie halten eine deutliche Erhöhung für erforderlich – auf 200 Milliarden Euro. Diese Verdopplung im Vergleich zu Horizon Europe hält Reichl jedoch für schwer realisierbar. Von den Mitgliedstaaten würden in ihren bisherigen Positionierungen zu FP10 derzeit bewusst noch keine Zahlen genannt oder konkrete budgetäre Forderungen gestellt, schließlich liege die politische Entscheidung über die Ausgestaltung des nächsten EU-Finanzrahmens in der Hand der europäischen Staats- und Regierungschefs.

Was sich für das neue Forschungsrahmenprogramm abzeichnet

Inhaltlich positionieren sich die Staaten derzeit aber sehr wohl schon zu FP10. Dänemark und Lettland haben das bereits recht früh getan und dabei unter anderem eine Debatte über die Auflösung des Europäischen Instituts für Innovation und Technologie (EIT) angestoßen, das ebenfalls zum Forschungsrahmenprogramm gehört und inhaltliche Überschneidungen mit dem European Innovation Council (EIC) aufweist.

Zu den Ländern, die früh Stellung zu FP10 bezogen haben, gehört auch Deutschland mit dem am vergangenen Donnerstag veröffentlichten Diskussionspapier des BMBF. Es plädiert unter anderem für eine Stärkung der europäischen Sicherheit, etwa durch komplementäre Förderung und Synergien zwischen ziviler und militärischer Forschung. Am gestrigen Mittwoch hat auch die DFG ein Positionspapier zu FP10 veröffentlicht.

Debatte über Dual Use in Europa

Der Umgang mit dem Dual Use-Potenzial von Forschung werde in der nächsten Legislaturperiode weiterhin ein wichtiges Thema sein, sagt Reichl. Die EU-Kommission hat dazu Anfang 2024 das Weißbuch “Optionen für eine verstärkte Unterstützung von Forschung und Entwicklung zu Technologien mit potenziell doppeltem Verwendungszweck” vorgelegt. Darin werden drei Wege aufgezeigt, wie sich die EU-Finanzierungsprogramme an die veränderten geopolitischen Bedingungen anpassen lassen.

Einer davon wäre, von dem bisher ausschließlich zivilen Charakter des Rahmenprogramms abzurücken. “Dies hätte natürlich Auswirkungen auf den Europäischen Verteidigungsfonds, der bisher ein separates spezifisches Programm in Horizon Europe ist”, sagt Reichl.

DARPA als Vorbild

Daneben hatte die Kommission auch neue Instrumente ins Spiel gebracht. Victor Warhem, Ökonom am Centres für European Policy Network (CEP), schlägt vor, sich am Vorbild der US-Agentur für Verteidigungsforschung DARPA zu orientieren. Diese war, bei überschaubarem Budget, an bahnbrechenden Erfindungen wie dem Internet oder GPS beteiligt.

Warhem bringt daher eine neue EU-Agentur für Sprunginnovationen in der Dual-Use-Forschung ins Spiel, die etwa bei der Europäischen Verteidigungsagentur aufgehängt werden könnte. Diese solle mit einem Budget ausgestattet werden, das 0,02 Prozent der EU-Wirtschaftsleistung entspricht. In diesem Jahr entspräche das rund 3,3 Milliarden Euro.

ERC: Maria Leptins erste Amtszeit endet im Herbst 2025

Grundlegende Änderungen hinsichtlich der Struktur des Rahmenprogramms zeichneten sich bisher nicht ab, eher eine grundsätzliche Kontinuität der Programme innerhalb der drei Säulen. “Absehbar ist aber eine Debatte über mehr Durchlässigkeit zwischen den Säulen”, sagt Reichl.

Vor allem die Förderung exzellenter Grundlagenforschung durch den European Research Council (ERC) in der ersten Säule steht aus ihrer Sicht fest, denn sie ist allgemein anerkannt und hochgeschätzt. Personell wird es interessant, wenn im Herbst 2025 die vierjährige erste Amtszeit der ERC-Präsidentin Maria Leptin endet, wobei eine zweite Amtszeit möglich wäre. 

Jenseits des FP10 sieht die Leiterin des Brüsseler KoWi-Büros einige weitere forschungspolitische Themen und Entscheidungen auf der Agenda der nächsten EU-Kommission:

  • Europäischer Forschungsraum: Anfang 2025 soll die neue Policy Agenda für die European Research Area (ERA) präsentiert werden. Sie definiert für die kommenden drei Jahre zentrale forschungspolitische Aktivitäten. “Die Kommission diskutiert dazu vorab mit den Mitgliedstaaten und Stakeholdern, welche Themen neu dazukommen und welche fortgesetzt werden”, erläutert Reichl. Zur aktuellen ERA Policy Agenda gehört beispielsweise die Reform der Forschungsbewertung (CoaARA).
  • Forschungsfreiheit: Dieses Thema steht auch auf der aktuellen ERA Policy Agenda. Das Parlament hat sich damit sehr ausführlich befasst, federführend war der CDU-Abgeordnete Christian Ehler. “Die Kommission will nun in einer Studie die Situation der Forschungsfreiheit – de jure und de facto – in den einzelnen Mitgliedstaaten und im Vergleich mit Drittstaaten untersuchen lassen. Danach wird vermutlich überlegt, ob man legislativ tätig werden will und kann, so wie das Europäische Parlament es bereits gefordert hatte”, sagt Reichl.
  • Forschungsinfrastrukturen: 2025 ist die nächste Roadmap des Europäischen Strategieforums für Forschungsinfrastrukturen (ESFRI) zu erwarten. Darin wird festgehalten, welche paneuropäischen Infrastrukturen gefördert werden. Das BMBF wird in Vorbereitung dazu noch im Sommer ein Priorisierungsverfahren auf nationaler Ebene für Forschungsinfrastrukturen (FIS) starten, damit die deutsche FIS-Roadmap mit dem ESFRI-Prozess synchronisiert werden kann.
  • Künstliche Intelligenz: Die EU hat Ende Mai endgültig den AI Act beschlossen. Allerdings wird die Entwicklung beziehungsweise Nutzung von KI-Technologien rein zu Forschungszwecken darin nicht geregelt. Es gibt jedoch bereits EU-Guidelines zum Einsatz von KI in der Forschung. “In Brüssel wird nun diskutiert, ob diese Richtlinien ausreichend sind”, sagt Reichl.

Werden die Generaldirektionen Forschung und Bildung weiter gemeinsam politisch geleitet?

Wichtig für die EU-Forschungspolitik werden auch der Zuschnitt und die Zuständigkeiten innerhalb der EU-Kommission. Nach den letzten Europawahlen im Jahr 2019 hat Mariya Gabriel als EU-Forschungskommissarin erstmals zwei Generaldirektionen geleitet: die für Forschung und Innovation sowie die für Bildung. Sowohl Gabriel als auch ihre Nachfolgerin Iliana Ivanova waren beziehungsweise sind dabei insgesamt sogar für fünf Bereiche zuständig: Innovation, Forschung, Kultur, Bildung und Jugend.

Weil forschungsrelevante EU-Programmlinien wie das EIT und die Marie-Skłodowska-Curie-Maßnahmen auch zuvor in der Zuständigkeit der Generaldirektion Bildung waren, gebe es durchaus Argumente für diese Zusammenlegung, sagt Reichl. Insgesamt hatte man sich mehr Synergieeffekte zwischen den EU-Bildungs- und Forschungsprogrammen erhofft. Sie hört jedoch auch Kritik an der derzeitigen Kombination. Reichl: “Letztlich ist das eine politische Entscheidung, die die nächste EU-Kommission zu treffen hat.” Im Dezember soll das neue Kollegium der Kommissionsmitglieder vorgestellt werden. Dann steht auch fest, wer sich auf EU-Ebene um Forschungsbelange kümmern wird und was noch zu diesem Portfolio gehören wird. Mit Till Hoppe

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Ausblick auf die Wahlen: Warum De Croo in Belgien zittern muss

Seit fünf Monaten führt Belgien die EU durch Krisen, Kriege und geopolitische Turbulenzen – bisher mit Erfolg. Von der Reform des gemeinsamen europäischen Asylsystems GEAS bis hin zum umstrittenen Lieferkettengesetz hat der belgische Ratsvorsitz einige heiße Eisen aus dem Feuer geholt und die 27 EU-Staaten zusammengehalten.

Doch nun droht Belgien selbst in die Krise zu rutschen. Ausgerechnet am Tag der Europawahl, dem 9. Juni, stehen Neuwahlen auf regionaler und föderaler Ebene an. Sie könnten das belgische Königreich noch mehr spalten und an den Rand der Unregierbarkeit führen. Die jüngsten Umfragen zeichnen das Bild eines tief zerrissenen Landes.

Zuspruch für Separatisten und Rechtsextreme

In Flandern, der größten Region, liegen die Separatisten des Vlaams Belang nach Zahlen des IPSOS-Instituts mit 26,8 Prozent der Wahlabsichten vorn. Die ebenfalls nationalistische Partei N-VA folgt mit 20,6 Prozent auf Platz zwei. Gemeinsam kommen sie auf annähernd 50 Prozent – mehr als genug, um Belgien zu blockieren.

In der französischsprachigen Wallonie liefern sich Sozialisten und Liberale vom Mouvement Réformateur (MR) mit je 22,6 Prozent ein spannendes Kopf-an-Kopf-Rennen. Hier zeichnet sich nach Jahren der sozialistischen Vorherrschaft ein Patt ab, das ebenfalls lähmend wirken kann – weit über die Region hinaus.

In der Hauptstadt Brüssel, dem Sitz der EU-Institutionen, liegt der MR mit 23,3 Prozent vorn. Die linksradikale “Parti des Travailleurs Belges” (PTB) folgt auf Platz zwei mit 19,8 Prozent – Tendenz steigend. Die Grünen sind von 21,6 auf 12,5 Prozent abgesackt; der belgische Rundfunk BRF spricht von einem “Debakel”.

De Croo braucht neue Partner

Wie sich aus diesem bunten Flickenteppich eine tragfähige föderale Regierung für das ganze Land bilden lässt, ist unklar. Für die derzeit regierende Vivaldi-Koalition um den liberalen Premierminister Alexander De Croo zeichnet sich jedenfalls keine Mehrheit mehr ab.

Statt bisher sieben könnten künftig acht oder mehr Parteien nötig sein, um eine Regierung zu bilden. Eine Möglichkeit wäre, dass die wallonische Oppositionspartei “Les Engagés” (ehemals Christdemokraten, CDH) nach der Wahl in die Regierungskoalition eintritt – und Vivaldi so doch noch zu einer zweiten Amtszeit verhilft.

Allerdings versuchen die Nationalisten in Flandern, genau dies zu verhindern. N-VA-Chef Bart De Wever mobilisiert seine Anhänger mit der Warnung vor einer Vivaldi- 2.0-Regierung, die unter dem Motto “Tous ensemble contre l’extrême droite” (Gemeinsam gegen die Rechtsextremen) die bisherige, liberale Politik weiterführen könnte.

Abspaltung Flanderns unwahrscheinlich

Noch radikaler gibt sich der Führer des Vlaams Belang, Tom Van Grieken. “Es ist an der Zeit, mit den Systemparteien abzurechnen”, fordert er. Zugleich macht Van Grieken Druck auf die N-VA: Sie habe es in der Hand, den “Cordon sanitaire” aufzubrechen. Gemeinsam könnten die separatistischen flämischen Parteien auch auf Bundesebene eine Rolle spielen.

Heißt das, dass die Spaltung des Landes droht? Auf dem Papier ja, in der Praxis nein. Denn für eine Loslösung Flanderns aus der Föderation wäre eine radikale Staatsreform nötig. Entsprechende Verfassungsänderungen erfordern im Parlament eine Zweidrittelmehrheit der 150 Sitze. Diese ist derzeit nicht in Sicht.

“Es gibt keine Mehrheit für die Spaltung Belgiens und keine Zweidrittelmehrheit für eine Staatsreform”, sagte der renommierte deutsche Staatsrechtler Christian Behrendt dem deutschsprachigen Portal Belgieninfo. Selbst kleinere Reformen – etwa die Regionalisierung des Gesundheitswesens – hätten wenig Aussicht auf Erfolg.

Linksradikale punkten ebenfalls

Das “Worst Case”-Szenario schließen die meisten Experten aus. Allerdings dürfte die Regierungsbildung sehr schwierig werden. Denn nicht nur die Zukunft Belgiens sorgt für Streit.

Der Wahlkampf dreht sich auch um die Nahost-Politik, in der sich Belgien immer mehr von Israel (und von Deutschland) abgrenzt, um die hohen Lebenshaltungskosten und um die Sparpolitik, die mit den neuen EU-Schuldenregeln auf das hoch verschuldete Land zukommt.

Vor allem die linksradikale PTB versteht es, mit diesen Themen zu punkten – übrigens nicht nur in Brüssel, sondern landesweit, da sie als einzige Partei zentral und föderal agiert. Dennoch dürfte die Wahl vor allem von den rechten und rechtsextremen Parteien in Flandern bestimmt werden – denn sie liegen auch landesweit vorn.

In Flandern entscheidet sich diese Wahl – davon sind die meisten Beobachter überzeugt. Eine Schlüsselrolle komme der flämischen NV-A und ihrem Chef De Wever zu, heißt es in einer Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung.

Zusammenarbeit mit Separatisten?

Wenn sich die NV-A mit dem Vlaams Belang zusammentut, drohe eine Blockade – denn alle anderen Parteien lehnen eine Zusammenarbeit mit den rechtsextremen Flamen ab. Wenn sie sich hingegen auf die Vivaldi-Parteien zubewegt, würden die Karten neu gemischt. Dann dürfte es darauf ankommen, welche Forderungen De Wever stellt – und ob sie für die gemäßigten Parteien akzeptabel sind.

So oder so stellt man sich in Brüssel auf langwierige Verhandlungen ein. Nach den letzten Parlamentswahlen 2019 dauerte es fast 500 Tage, bis die amtierende Vivaldi-Regierung endlich stand. Dieses Mal könnte sogar der Negativ-Rekord von 541 Tagen gebrochen werden, der nach der Wahl 2010 aufgestellt wurde. Den belgischen EU-Vorsitz dürfte dies allerdings nicht lähmen. Egal, was passiert – Regierungschef De Croo und sein Team bleiben geschäftsführend im Amt. Die letzten drei Wochen bis zum Ende der Ratspräsidentschaft sind also gesichert. Schwierig wird es danach – denn am 1. Juli geht der Ratsvorsitz an Ungarn über, ausgerechnet.

Alle Texte zur Europawahl 2024 finden Sie hier

  • Belgien
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  • Staatsreform

Termine

31.05.2024 – 18:00 Uhr, Hamburg
Universität Hamburg, Vortrag Europa vor der Wahl: Zwischen nationalen und europäischen Identitäten
Der ehemalige polnische Botschafter in Deutschland und den USA, Janusz Reiter, spricht 50 Jahre nach der Kopenhagener Erklärung zur europäischen Identität über die Rolle von nationalen und kollektiven Identitäten in Europa heute. INFOS & ANMELDUNG

03.06.2024 – 16:00-17:00 Uhr, online
SNV, Discussion Background talk with Martin Husovec: The DSA on disinformation – on point or missing the mark?
Stiftung Neue Verantwortung (SNV) invites legal and policy experts to discuss how the EU Digital Services Act deals with disinformation in practice, how regulators can address enforcement issues and what suitable checks and balances could look like. INFO & REGISTRATION

03.06.2024 – 17:00-19:00 Uhr, Berlin
FZE, Konferenz Der Rechtsrahmen für das geplante Wasserstoff-Kernnetz – faire Risikoverteilung?
Das Forum für Zukunftsenergien (FZE) gibt eine Einführung in die Planung des Wasserstoff-Kernnetzes und beleuchtet die privatwirtschaftliche Finanzierung des Aufbaus, gefolgt von einer Podiumsdiskussion mit Experten und Bundestagsabgeordneten. INFOS

04.06.-05.06.2024, Berlin
FAZ, Konferenz European Economic Conference
Die von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) ausgerichtete Konferenz bietet eine Plattform für Vertreter der europäischen Wirtschaft, Politik und Wissenschaft, um die Rolle der Europäischen Union bei der Förderung von Wirtschaftswachstum, sozialem Zusammenhalt und nachhaltiger Entwicklung zu diskutieren. INFOS & ANMELDUNG

04.06.-05.06.2024, Berlin
EAB, Konferenz Deutsch-Ungarisches Forum 2024
Die Europäische Akademie Berlin (EAB) bringt Wissenschaftler, politische Entscheidungsträger und Akteure der Zivilgesellschaft zusammen, um das Verhältnis zwischen Deutschland und Ungarn sowie Herausforderungen auf europäischer Ebene zu diskutieren. Die Veranstaltung zielt darauf ab, gegenseitiges Verständnis zu fördern, Zukunftskooperationen zu initiieren und Handlungsempfehlungen zu erarbeiten. INFOS & ANMELDUNG

News

Durchsuchungen bei weiterem Ex-Krah-Mitarbeiter im EU-Parlament

Rund anderthalb Wochen vor der Europawahl hat es erneut Durchsuchungen im Europaparlament gegeben – dieses Mal wegen des Verdachts der russischen Einflussnahme. Das teilte die belgische Staatsanwaltschaft am Mittwoch mit. Der Spitzenkandidat der AfD bei der Europawahl, Maximilian Krah, bestätigte, dass sich die Durchsuchungen in Brüssel und Straßburg gegen einen früheren Mitarbeiter richteten. Inzwischen arbeitet der Mann für den niederländischen EU-Abgeordneten Marcel de Graaff von der extrem rechten Partei Forum für Demokratie. Der zeigte sich am Mittwoch überrascht.

Krah schrieb auf X: “Weil es missverstanden wird: Es gab heute keine Durchsuchung in einem Büro, das zu mir gehört.” Der “betroffene Ex-Mitarbeiter arbeitet längst für einen anderen Abgeordneten, dort wurde sein Büro durchsucht.” Der Mann hat nach Angaben aus Krahs Büro bis vor zwei Jahren für den AfD-Europaabgeordneten gearbeitet.

Wichtige Rolle für “Voice of Europe”?

Zuvor hatte die belgische Staatsanwaltschaft mitgeteilt, dass im Zusammenhang mit mutmaßlicher russischer Einflussnahme die Wohnung und die Büros eines Mitarbeiters des Europäischen Parlaments in Brüssel und in Straßburg durchsucht worden seien. Die Durchsuchungen erfolgten demnach im Rahmen eines Falles von Einflussnahme, passiver Bestechung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation, hieß es.

Weiter teilte die Staatsanwaltschaft mit, Anzeichen deuteten darauf hin, dass der Mitarbeiter des Parlaments eine wichtige Rolle in der Affäre um die prorussische Internetplattform “Voice of Europe” (VoE) gespielt habe. Es gebe Hinweise auf eine russische Einflussnahme, wonach Mitglieder des Europäischen Parlaments angesprochen und bezahlt wurden, um über die Webseite “Voice of Europe” russische Propaganda zu fördern.

Der niederländische EU-Abgeordnete Marcel de Graaff zeigte sich am Mittwoch überrascht von den Durchsuchungen bei seinem Mitarbeiter im Europaparlament. Durch die Medien habe er von den Durchsuchungen in der Wohnung und den Büros seines Mitarbeiters erfahren, schrieb er auf X. “Ich habe mit meinem Mitarbeiter gesprochen und er war darüber nicht informiert. Die Behörden haben weder mich noch ihn kontaktiert. Für mich kommt das alles völlig überraschend”, schrieb der fraktionslose Abgeordnete weiter.

Eine Beteiligung an “einer sogenannten russischen Desinformationsoperation” stritt De Graaff vehement ab. Der 62 Jahre alte de Graaff war zunächst von 2011 bis 2022 für die radikal rechte Partei für die Freiheit (PVV) des niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders im Europaparlament. 2022 wechselte er zur extrem rechten Partei Forum für Demokratie. dpa

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Zölle auf E-Autos: Darum wartet die EU-Kommission mit der Entscheidung 

Die EU-Kommission wird die Ergebnisse ihrer Untersuchung gegen chinesische E-Autohersteller voraussichtlich nicht vor der Europawahl am 9. Juni verkünden. Es gebe eine klare Tendenz dazu, um nicht den Anschein einer politischen Entscheidung aufkommen zu lassen, hieß es in der Kommission gegenüber Table.Briefings. Zuvor hatte der Spiegel darüber berichtet.

Die Handelsexperten der Behörde haben in den vergangenen Monaten im Rahmen der Untersuchung zahlreiche Informationen über die Praktiken der chinesischen Hersteller gesammelt, die den Verdacht auf übermäßige Staatshilfen erhärtet haben. Das Ergebnis ihrer Untersuchung teilt die Kommission den betroffenen Unternehmen und den Mitgliedstaaten üblicherweise einen Monat vor Ablauf der Frist mit. Dies wäre der 5. Juni. Diese Praxis sei aber nicht zwingend, heißt es in der Behörde.

Die Kommission pocht darauf, dass die Zollentscheidung evidenzbasiert getroffen wird. Darauf dringt auch Bundeskanzler Olaf Scholz, aus Sorge vor Vergeltungsmaßnahmen Pekings. In Brüssel wird darauf verwiesen, dass die USA ohne eine solche Untersuchung Zölle von 100 Prozent auf Elektroautos aus Chinas verhängt hatten. Die Kommission dürfte deutlich niedrigere Zusatzzölle vorschlagen. Beobachter rechnen damit, dass die Kommission die Zölle zunächst von bislang zehn Prozent auf 15 bis 30 Prozent anhebt.

Entscheidung mit Folgen für andere Branchen

Zugleich wird in der Kommission betont, dass die Entscheidung eine Bedeutung über die Autobranche hinaus entfalten werde. China habe auch in anderen Sektoren wie Stahl oder Solar massive Überkapazitäten aufgebaut und bislang auf vielfach von europäischen Politikern vorgebrachte Kritik nicht reagiert. 

Die Untersuchung zu staatlichen Subventionen für E-Fahrzeuge aus China war im Oktober eingeleitet worden und kann bis zu 13 Monaten dauern. Will die EU-Kommission vorläufige Zölle verhängen – was eine Voraussetzung für dauerhafte Zölle ist – muss das binnen neun Monaten nach Einleitung des Verfahrens geschehen. Diese Frist endet am 4. Juli.

Beobachter waren davon ausgegangen, dass die amtierende EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen die Antisubventionszölle noch vor den Wahlen bekannt geben möchte. Deutsche Autohersteller sehen den Schritt der EU sehr kritisch und haben Bedenken wegen Vergeltungszöllen aus Peking. tho/ari

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Klima-Governance: Warum Ungarn mehr Einfluss bekommt

Die scheidende EU-Kommission will die Governance-Verordnung für die Klima- und Energiepolitik der EU nicht mehr wie vorgesehen noch im Juni überarbeiten. “Was einen künftigen Gesetzgebungsvorschlag angeht, wäre jede Entscheidung von der nächsten Kommission zu treffen”, sagte ein Kommissionsbeamter am Mittwoch zu Table.Briefings. Daher ist mit einem Gesetzgebungsvorschlag frühestens ab November zu rechnen, wenn das neue Kollegium voraussichtlich bestätigt wird.

Die Governance-Verordnung ist das zentrale Werkzeug, um zu überprüfen, ob die Mitgliedstaaten ihre beschlossenen Energie- und Klimaziele für die nächsten Jahre erreichen. Geregelt wird darin etwa auch, wie viel jeder Mitgliedstaat zum gemeinsamen Ziel für erneuerbare Energien für 2030 beitragen sollte.

Schwerpunkt der nächsten Ratspräsidentschaft

Mit der Überarbeitung will die Kommission die Berichtspflichten für die EU-Staaten weiter vereinfachen. Die Verordnung sieht eigentlich vor, dass die Kommission die Evaluation bis Mitte Juni vorlegen muss – sechs Monate nach dem Global Stocktake der Klimakonferenz COP28.

“Den Berichten der Kommission können erforderlichenfalls Gesetzgebungsvorschläge beigefügt werden”, heißt es in der Verordnung weiter. Wie der Kommissionsbeamte andeutete, könnte die Evaluierung nach den Europawahlen auch schon vor eventuellen Gesetzgebungsvorschlägen vorgelegt werden.

Nach einem Bericht von Contexte will die ungarische Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr eine Schlussfolgerung des Rates zum Governance-Rahmen erreichen. Weil sich der Kommissionsvorschlag verzögert, könnten die Mitgliedstaaten deshalb frühzeitig Einfluss auf den zentralen Mechanismus nehmen, mit dem ihre Klimapolitik eigentlich überwacht werden soll. ber

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Wie sich die SPD ein Abkommen mit von der Leyen vorstellt

Die neue Spitze der EU-Kommission könnte nach Ansicht des SPD-Abgeordneten René Repasi schon in der ersten Plenarwoche nach den Europawahlen gewählt werden. “Es geht nicht um einen Koalitionsvertrag mit 200 Seiten, sondern um Leitplanken für eine Zusammenarbeit und die können wir innerhalb von 24 Stunden verhandeln“, sagte der Vorsitzende der Europa-SPD am Mittwoch vor Journalisten. Repasi plädierte außerdem für einen Mechanismus, nach dem die möglichen Partner während der Legislatur immer wieder zu Gesprächen zusammenkommen.

Der SPD-Parlamentarier griff Ursula von der Leyen für ihre Öffnung gegenüber der europaskeptischen EKR-Fraktion scharf an. Mit Liberalen und Grünen hätten Sozialdemokraten und die EVP voraussichtlich eine Mehrheit. “Es gibt keine Notwendigkeit für Flirts mit der EKR und die EVP muss verstehen, dass solche Flirts mit Rechts nicht ohne Konsequenzen bleiben können.”

Repasi nennt von der Leyens Kriterien Augenwischerei

Von der Leyen hatte drei Kriterien für eine Zusammenarbeit mit Teilen der EKR genannt: proeuropäisch, pro Ukraine und Rechtsstaatlichkeit. “Ich finde diese Kriterien sehr oberflächlich, sie sind Augenwischerei“, entgegnete Repasi. Der Versuch, zwischen Teilen der Rechtskonservativen Unterschiede zu machen, gehe an der Realität im Parlament vorbei, wo die EKR, anders als die noch rechtere ID, immer relativ geschlossen abgestimmt habe: “Es gibt nur eine EKR mit Meloni oder nichts – zumindest so lange Meloni noch Teil der Fraktion ist.”

Beim Green Deal wird es nach Ansicht Repasis trotz Zugewinnen rechter Parteien keine Rolle rückwärts geben. Möglich sei stattdessen eine Entlastung der Unternehmen von Berichtspflichten. Die Pestizidverordnung werde sicherlich anders aussehen als zunächst vorgeschlagen. Auch beim PFAS-Verbot über die Chemikalienverordnung REACH könnte es noch Bewegung geben.

Ecke kritisiert Union für Sprachbilder voller Wut

Mit ihren Attacken gegen das Verbrenner-Verbot ab 2035 sieht der sächsische SPD-Europaabgeordnete Matthias Ecke die CDU “auf dem Holzweg”. Ein Großteil aller europäischen Elektroautos werde bereits in Sachsen gefertigt. “Die Agitation von Michael Kretschmer ist verblüffend, weil sie schädlich ist für die Autoindustrie in Sachsen. Wir wären gut beraten, die Elektromobilität zu stärken.”

Ecke war Anfang Mai von mutmaßlich rechtsextremen Tätern in Dresden beim Aufhängen von Wahlplakaten zusammengeschlagen worden. Ecke sagte, er spüre immer noch die Auswirkungen der Verletzungen und müsse einige Termine nach langen Tagen absagen. “Für mich stand aber nie zur Debatte, dass ich nicht weitermache. Für mich ist es eine politische Frage, öffentliche Räume nicht preiszugeben.”

Ecke kritisierte, dass auch “von Seiten der Union Sprachbilder bedient werden, die Zorn und Wut in der Bevölkerung aufnehmen. Ich hoffe, dass sich das runterregelt und wir wieder zu einem sachlichen Austausch kommen.” ber

Alle Texte zur Europawahl 2024 finden Sie hier.

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Orbán: Le Pen und Meloni sollten nach der EU-Wahl zusammenarbeiten

Italiens und Frankreichs rechtsextreme Führerinnen Giorgia Meloni und Marine Le Pen sollten ihre Rivalität beenden und die Zusammenarbeit nach den Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni verstärken, sagte der ungarische Premierminister Viktor Orbán in einem am Mittwoch veröffentlichten Interview mit der französischen Zeitschrift Le Point.

“Wenn sie es schaffen, zusammenzuarbeiten, in einer einzigen Gruppe oder einer Koalition, werden sie eine Kraft für Europa sein. Die Anziehungskraft ihrer Zusammenarbeit wäre sehr stark“, sagte Orbán.

Umfragen sagen voraus, dass Europas nationalistische und euroskeptische Parteien im Juni eine Rekordzahl an Stimmen gewinnen werden. Abgeordnete, die solche Ansichten vertreten, werden wahrscheinlich in zwei rivalisierenden Fraktionen sitzen. Derzeit gibt es die rechtsextreme ID-Fraktion und den euroskeptischen bis rechtspopulistischen Block der Europäischen Konservativen und Reformer (ECR).

Neue Chance nach AfD-Rauswurf?

Quellen sagten der Nachrichtenagentur Reuters, dass die Chancen für die Bildung eines einzigen, schlagkräftigen rechtsextremen Blocks in Europa gering seien. Der Grund: Zwischen den beiden führenden Persönlichkeiten Meloni und Le Pen gebe es Differenzen in Fragen wie der Haltung zum Ukraine-Krieg und den Beziehungen zu Russland.

Auf die Frage, ob seine Partei Fidesz immer noch plane, Melonis ECR-Block nach der Wahl beizutreten, sagte Orbán: “Ja, das ist immer noch auf der Tagesordnung.” Orbán sagte in dem Interview jedoch, dass “alles neu geschrieben werden kann”, nachdem Le Pens konkurrierendes ID-Lager die deutsche rechtsextreme Partei AfD ausgeschlossen hat.

Auf die Frage nach möglichen Kandidaten für die Führung der Europäischen Kommission sagte Orbán, seine oberste Priorität sei es, “die derzeitige Führung loszuwerden” und dass es zu früh sei, Namen zu nennen. rtr

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Rücknahme des Verbrenner-Aus: Liese will Revision vorziehen

Peter Liese und die CDU/CSU wollen das von EU-Parlament und Mitgliedstaaten für 2035 beschlossene Verbrenner-Aus in der nächsten Legislatur wieder rückgängig machen. Dafür will der umwelt- und klimapolitische Sprecher der EVP nicht bis 2026 warten, wenn das Gesetz von der EU-Kommission ohnehin überprüft werden muss. Anders als die FDP, die ebenfalls das Verbrenner-Aus rückgängig machen will, will Liese nicht auf die Revisionsklausel warten. Aus seiner Sicht spreche nichts dagegen, eine Gesetzesänderung schon vorher vorzunehmen.

Dass die Union die Rücknahme des Verbrenner-Aus in ihrem Wahlprogramm fordert, die EVP in ihrem Manifest aber nicht, hält Liese für unproblematisch. Die EVP sei immer gegen das Verbrennerverbot gewesen und er gehe davon aus, dass dies auch im nächsten EU-Parlament so bleiben werde.

Fraglich ist, ob die nächste EU-Kommission eine solche Überarbeitung der CO₂-Flottengrenzwerte für Pkw unterstützen wird. Die derzeitige und womöglich auch kommende Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat sich bislang nicht eindeutig positioniert. Der Generaldirektor Klimaschutz der Kommission, Kurt Vandenberghe, kündigte im Table.Briefings-Interview an, den Klimagesetzen für das Klimaziel 2030, wozu das Verbrenner-Aus gehört, nichts hinzufügen zu wollen. luk

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AI Office: Wie die Kommission sich für die Überwachung von KI aufstellt

Lucilla Sioli übernimmt die Leitung des neuen Büros für künstliche Intelligenz (AI Office) in der EU-Kommission. Am Mittwoch gab die Behörde die entsprechende Umstrukturierung der Abteilung A der Generaldirektion Kommunikationsnetze, Inhalte und Technologien (CNECT) bekannt. Aufgabe des Büros ist es, die Entwicklung, den Einsatz und die Nutzung von KI zu fördern. Es soll die positiven gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Vorteile sowie Innovationen ermöglichen und gleichzeitig die Risiken mindern. Eine zentrale Rolle spielt es vor allem bei der Überwachung allgemeiner KI-Modelle (general purpose AI models, GPAI).

“Das heute vorgestellte AI Office wird uns helfen, eine kohärente Umsetzung des KI-Gesetzes zu gewährleisten”, sagte Exekutiv-Vizepräsidentin Margrethe Vestager. Gemeinsam mit Entwicklern und Wissenschaftlern werde das Büro GPAI bewerten und testen, um sicherzustellen, “dass KI uns als Menschen dient und unsere europäischen Werte aufrechterhält”.

AI Office umfasst fünf Referate

Das AI Office, dessen Aufgaben im AI Act festgelegt sind, hat intern bereits am 21. Februar seine Arbeit aufgenommen. Die jetzt verkündete Umstrukturierung der Abteilung CNECT A soll am 16. Juni wirksam werden. Das Büro soll einmal mehr als 140 Mitarbeiter beschäftigen. 60 davon sind bereits an Bord – vor allem Verwaltungsassistenten, Juristen, Politikspezialisten und Wirtschaftswissenschaftler. Die 80 noch zu rekrutierenden Mitarbeiter sollen vor allem Techniker und KI-Spezialisten sein. Die Kommission will diese schrittweise einstellen und sich dabei am Bedarf orientieren.

Die Generaldirektion CNECT A hatte bisher vier, das neue AI Office wird fünf Referate haben:

  • Regulierung und Compliance: koordiniert den regulatorischen Ansatz zur einheitlichen Anwendung und Durchsetzung des KI-Gesetzes in der gesamten Union
  • KI-Sicherheit: fokussiert sich auf die Identifizierung systemischer Risiken sehr leistungsfähiger allgemeiner Modelle sowie auf mögliche Gegenmaßnahmen und Evaluierungsansätze
  • Exzellenz in KI und Robotik: unterstützt und finanziert Forschung und Entwicklung, um ein Exzellenz-Ökosystem zu fördern, und koordiniert die GenAI4EU-Initiative
  • KI für das Gemeinwohl: entwirft und implementiert internationale Engagements des KI-Büros in Bereichen wie Wettermodellierung, Krebsdiagnosen und digitale Zwillinge für Rekonstruktionen
  • KI-Innovation und Politikkoordination: überwacht die Ausführung der KI-Strategie der EU, beobachtet Trends und Investitionen, stimuliert die Einführung von KI durch ein Netzwerk europäischer digitaler Innovationszentren und die Einrichtung von KI-Fabriken

Kilian Gross leitet das Referat für Regulierung und Compliance

Außerdem wird das Büro einen leitenden wissenschaftlichen Berater haben, der für wissenschaftliche Exzellenz bei der Bewertung von Modellen und innovativen Ansätzen sorgt. Ein Berater für internationale Angelegenheiten soll die Zusammenarbeit mit internationalen Partnern im Bereich der vertrauenswürdigen Künstlichen Intelligenz sicherstellen.

Für das wohl wichtigste Referat für Regulierung und Compliance ist Kilian Gross zuständig. Er hat ebenso wie seine Chefin Lucilla Sioli maßgeblich an der Entstehung des AI Acts mitgewirkt. Ob auch Dragoș Tudorache, einer der beiden Ko-Berichterstatter des EU-Parlaments, eine Position im AI Office haben wird, ließ die Kommission offen.

Die größte Änderung in der Struktur betreffen das bisherige Referat A3, das von Mikroelektronik und Photonik auf KI-Sicherheit umgestellt wird. Es hat noch keinen Leiter. Das neue fünfte Referat, KI für das Gemeinwohl, wird Martin Bailey leiten. vis

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Was Asselborn von der Ukraine-Friedenskonferenz in der Schweiz erwartet

Der langjährige luxemburgische Außenminister Jean Asselborn erachtet die geplante Ukraine-Friedenskonferenz in der Schweiz als wichtig. “Was beschlossen werden könnte, ist eine Einigung mit der Ukraine, unter welchen Bedingungen sie bereit ist, einen Dialog mit Russland aufzunehmen”, sagte Asselborn Table.Briefings.  

Es gebe aber keine Blaupause für eine diplomatische Annäherung in diesem Konflikt, zumal der große Teil der Welt kein Interesse an einer Lösung habe. “Die meisten Länder jenseits der G7 sagen, das ist ein europäisches Problem.” Nur China könne Putin wirklich stoppen, sagt Asselborn. “Die Chinesen sind Kommunisten, aber auch große Handelsleute. Sie haben kein Interesse an einem langen Krieg.” Wenn der Krieg die globale Ökonomie zu sehr beschädige, dann könnte auch China den Druck auf Putin erhöhen.

Bei der Unterstützung der Ukraine dürfe der Westen jetzt nicht nachlassen. Asselborn plädierte für weitere Waffenlieferungen, vor allem Flugabwehrsysteme. “Die Abwehr im Himmel ist entscheidend. Deutschland will ein weiteres Patriot-System liefern, da müssen andere europäische Länder nachziehen.” brö

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Ungarn sucht für Bau von Atomkraftwerk Hilfe von Belarus

Die Regierung in Budapest hat mit Belarus ein Abkommen über Hilfe beim Bau eines zweiten ungarischen Atomkraftwerks unterzeichnet. Das teilte der Außenminister Péter Szijjártó am Mittwoch in Minsk mit, ohne Details zu nennen.

Damit baut Ungarn seine Beziehungen zu autokratischen Ländern in Osteuropa auf dem Feld der Energiepolitik aus. Bereits das russische Unternehmen Rosatom baut am Standort Paks II in Zentralungarn zwei Reaktoren mit einer Leistung von je 1,2 Gigawatt. Das 12,5 Milliarden Euro teure Projekt hat sich lange verzögert. Der Ausbau des Kraftwerks Paks ist laut dem polnischen Thinktank Centre for Eastern Studies (OSW) das größte Wirtschaftsprojekt des Kabinetts von Viktor Orbán und “Ausdruck einer anhaltenden Energieabhängigkeit Ungarns von Russland”.

Atomenergie fällt nicht unter die EU-Sanktionen gegen Russland, die wegen des Überfalls auf die Ukraine verhängt wurden. Ungarn, das weiter den größten Teil seines Stroms und Gases aus Russland bezieht, hat sich gegen eine Ausweitung der Sanktionen auf diesen Bereich ausgesprochen. rtr/lei

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Dick Schoof sieht sich nicht “an der Leine von Geert Wilders”

Schoof: Ein Bürokrat, der laut niederländischen Medien Kameras liebt.

Die Wahl wirkt überraschend: Wenn Geert Wilders gerne über etwas schimpft, dann sind es ungewählte Bürokraten. Dick Schoof, der künftige Regierungschef und Nachfolger von Mark Rutte, ist genau das, ein Spitzenbeamter, der zudem als Macher mit einigem Geltungsdrang beschrieben wird. Die letzten 20 Jahre hat Schoof an Schlüsselstellen die Sicherheits- und Asylpolitik der Niederlande mitgeprägt. Er ist also eigentlich ein Repräsentant dieses “tiefen Staates”, den der rechtsextreme Wahlsieger sonst gerne anprangert.

Er wolle Regierungschef “aller Niederländer sein”, betonte Schoof bei einem ersten Auftritt in der neuen Rolle. Und nein, er könne sich überhaupt nicht mit dem Bild identifizieren, dass er als Ministerpräsident “an der Leine von Wilders” hängen werde. Geert Wilders mit seiner Freiheitspartei PVV, die rechtsliberale VVD, die konservative NSC von Pieter Omtzigt und die populistische Bauernbewegung BBB haben sich erst im zweiten Anlauf auf den hohen Beamten geeinigt.

Ein Beamter mit Affinität zur Öffentlichkeit

Der 67-Jährige war zuletzt oberster Beamter im Justizministerium und dort rechte Hand von Justizministerin Dilan Yeşilgöz, die zugleich Parteichefin der rechtsliberalen VVD ist. Vorher führte Schoof den niederländischen Geheimdienst, den Allgemeinen Nachrichten- und Sicherheitsdienst (AIVD). Davor war er Nationaler Koordinator für Terrorismusbekämpfung und Sicherheit (NCTV). Dick Schoof sei es immerhin gewohnt, in schwer gepanzerten Fahrzeugen und von Polizei eskortiert herumzufahren, so das NRC Handelsblad. Anders als der scheidende Ministerpräsident Mark Rutte, der lieber mit dem Fahrrad zur Arbeit fährt.

Schoof wisse mehr über Wilders als umgekehrt, was heikel werden könne, schreibt das NRC Handelsblad weiter. In seiner Rolle beim NCTV war Schoof auch für das Sicherheitsdispositiv des Islam-Gegners verantwortlich, der regelmäßig mit dem Tod bedroht wird. Frühere Stationen waren Führungspositionen bei der Polizei und beim Einwanderungs- und Einbürgerungsdienst (IND). Dick Schoof wird in den niederländischen Medien als Macher beschrieben, der für seine politischen Vorgesetzten die Schwerarbeit erledigte und gerne auch die Grenzen auslotet. Und während andere Beamte die Öffentlichkeit scheuten, liebe Dick Schoof die Kamera.

Verrentung schlug Schoof aus

So äußerte sich der Spitzenbeamte erst kürzlich in einem ausführlichen Interview mit “De Groene Amsterdammer” nuanciert zu den möglichen Gefahren für den Rechtsstaat, sollte eine von Geert Wilders PVV dominierte Regierung an die Macht kommen. Er habe keine scharfe Messlatte, mit der er sagen könne, ab wann ein Land kein demokratischer Rechtsstaat sei. Rechtsstaatlichkeit und Demokratie seien immer einem Wandel unterworfen. Der Rechtsstaat könne auch mit Politikern wie Geert Wilders umgehen, die verfassungswidrige Forderungen in ihrem Parteiprogramm haben: “Unterschätzen Sie nicht die rechtsstaatlichen Instanzen unseres Landes.”

Es ist, als hätte Dick Schoof geahnt, dass er bald Ministerpräsident von Geert Wilders Gnaden werden würde. Seine lange Karriere im öffentlichen Dienst und demokratischen Rechtsstaat werde ihm als roter Faden nützlich sein, sagte er jetzt nach der Nominierung. Eigentlich hätte der 67-Jährige in Rente gehen können, doch Dick Schoof hatte unlängst noch um Verlängerung gebeten.

Völlig farblos ist der künftige Regierungschef nicht. Bis 2021 war er Mitglied der sozialdemokratischen Partei der Arbeit (PvdA). Er habe sich dort nach 30 Jahren nicht mehr zu Hause gefühlt. Ob er sich denn mit der Ideologie von Geert Wilders PVV identifizieren könne, wurde er bei der Präsentation am Mittwoch gefragt. Er sei von allen vier Fraktionsvorsitzenden für den Posten angefragt worden, so Schoof. Und wiederholte, dass er Ministerpräsident “aller Niederländer” sein wolle. Stephan Israel

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Europe.Table Redaktion

EUROPE.TABLE REDAKTION

Licenses:
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    ihr Programm für den heutigen Rat haben die Energieminister in den vergangenen Tagen immer voller gepackt. Eigentlich sollten die Schlussfolgerungen zum Netzausbau im Mittelpunkt stehen. Monatelang hatte die belgische Ratspräsidentschaft daran gearbeitet; die Vollendung des Strombinnenmarktes wird nach jetzigem Stand wohl das beherrschende energiepolitische Thema der nächsten Legislatur.

    Frankreich hat aber, unterstützt von der Bundesregierung und den Niederlanden, kurzfristig den Betrug mit Biokraftstoffen auf die Tagesordnung gesetzt – wobei es inzwischen schwerfällt, den Überblick über all die Einfallstore für Betrüger in diesem Bereich zu behalten. China flutet den europäischen Markt seit Monaten mit Treibstoff, der angeblich klimafreundlich aus Abfall- und Reststoffen hergestellt wurde.

    “Wir schlagen vor, dass die Zertifizierung der Nachhaltigkeit der in diesen Anlagen hergestellten Biokraftstoffe abgelehnt wird, wenn den Kontrolleuren der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten der Zugang zu den Anlagen verweigert wird”, schreiben die Staaten in einem an die Kommission gerichteten Papier, das Table.Briefings vorliegt.

    Für Enttäuschung dürfte dagegen das Papier der Kommission zu Fortschritten bei Kapazitätsmärkten gesorgt haben. Mehrere Mitgliedstaaten wie Deutschland und Italien hatten auf einfachere Genehmigungsverfahren für die Vergütung neuer Gaskraftwerke gedrängt. Auf eineinhalb Seiten wiederholt die Kommission aber lediglich den bekannten Zeitplan für ihre kommenden Vorschläge.

    Lebendiger werden dagegen wohl die Diskussionen um die deutsche Gasspeicherumlage. In einem gemeinsamen Papier kritisieren Österreich, Tschechien, die Slowakei und Ungarn nun, dass sie ab Juli sogar noch mehr zahlen sollen. An die Kommission appellieren sie, eine Lösung zu finden, damit nicht weiterhin “die Energiesicherheit in ganz Mitteleuropa gefährdet” wird.

    Ihr
    Manuel Berkel
    Bild von Manuel  Berkel

    Interview

    Bernd Lange hofft auf Freihandelsabkommen mit Mercosur, Australien und Indonesien

    Der Europaabgeordnete Bernd Lange (SPD) erhofft sich für die nächste Legislatur größere Erfolge bei der Verhandlung neuer Handelsabkommen.

    Für den langjährigen Europaabgeordneten Bernd Lange (SPD) sollte sich die Handelspolitik der kommenden EU-Kommission an drei Prioritäten ausrichten:

    • die Reform der Welthandelsorganisation WTO
    • der Ausbau des bilateralen Netzes bilateraler Freihandelsabkommen
    • die flexible und partnerschaftliche Umsetzung der Entwaldungsverordnung und des CO₂-Grenzausgleichs

    Der Erfolg der EU-Handelspolitik wird aber stark vom internationalen Umfeld abhängen, insbesondere vom Ausgang der US-Präsidentschaftswahlen am 4. November. Wie die EU die von ihm geforderten Prioritäten verfolgen soll und auf die Ergebnisse der US-Wahlen reagieren kann, besprach Lange im Interview mit Table.Briefings.

    Vorbereitungen für mögliche WTO-Cases

    Joe Biden scheint nicht viel von der WTO zu halten. Wenn er wiedergewählt wird: Wie realistisch ist eine WTO-Reform in den kommenden Jahren?

    US-Präsidenten sind in der zweiten Amtszeit generell etwas entspannter. Ein Faktor sind allerdings auch die Mehrheitsverhältnisse im Repräsentantenhaus. Es ist aber die klare Ansage der Biden-Administration, dass nach dem 4. November die Frage des Streitschlichtungsmechanismus der WTO angegangen wird. Auch die Frage der Definition nationaler Sicherheit werden wir sicherlich mit den amerikanischen Freunden noch einmal sehr intensiv besprechen. Zuletzt hatte sich die Konfrontation zwar zugespitzt. Ich gehe davon aus, dass sich die Lage etwas entspannten wird, mit einer wiedergewählten Biden-Regierung. 

    Es ist auch möglich, dass das andere Szenario eintrifft und Trump die Präsidentschaftswahl gewinnt. Er hat von einem Zehn-Prozent-Zoll gesprochen, den er wie eine Mauer um den amerikanischen Markt ziehen will. Wie kann die EU reagieren, wenn er das umsetzt?

    Ja, er will zehn Prozent auf alles, in bestimmten Sektoren will er Quoten einführen, er möchte sich innerhalb von vier Jahren von China unabhängig machen, und einiges mehr. Das sind alles Dinge, die nicht WTO-kompatibel sind. Wir bereiten uns jetzt schon für mögliche WTO-Cases vor. Und dann haben wir natürlich unsere defensiven Instrumente, insbesondere bei der öffentlichen Beschaffung, wo wir auch Aktivitäten von amerikanischen Unternehmen einschränken könnten.

    “Wir haben jetzt Gegenmaßnahmen in der Werkzeugkiste”

    Welche Instrumente hat die EU noch?

    Etwa das Anti-Zwangsmaßnahmen-Instrument, das auch entstanden ist, weil Trump damals mit Zöllen auf europäische Autos gedroht hatte. Jetzt haben wir Gegenmaßnahmen in unserer Werkzeugkiste. Wir gucken sehr genau, welche Maßnahmen wir unter welchen Bedingungen auch sehr schnell einleiten können. Noch einmal so eine Situation, in der wir überrascht werden von einem feindlichen Handeln eines Freundes, das werden wir nicht zulassen.

    Hat die Union mittlerweile genügend Handelsverteidigungsinstrumente zur Verfügung oder gibt es noch Lücken?

    Im Moment ist der Werkzeugkasten gut gefüllt. Wir haben auch noch die Durchsetzungsverordnung, um WTO-Recht durchzusetzen, und das Screening ausländischer Direktinvestitionen. Auch das Instrument gegen ausländische Subventionen werden wir sicher scharf stellen. Aber wenn wir merken, dass wir noch etwas anderes haben müssen, können wir da auch noch schnell etwas etablieren.

    Für faire Wertschöpfungsketten sorgen

    Der Ausbau des bilateralen Handelsnetzes ist in dieser Legislatur schleppend verlaufen. Wo können in den kommenden Jahren Abkommen gelingen?

    Mercosur, Australien, Indonesien sind die drei Abkommen, um die es nächster Zeit besonders gehen wird. Die Mercosur-Staaten sind nach wie vor interessiert an einem Abkommen. Ich hoffe, dass dieses Mal die Situation bei uns nicht dazu führt, dass es scheitert. Deswegen müssen wir mit unseren französischen Freunden intensiv reden.

    Aber wie soll das funktionieren? Ohne Frankreich wird es wohl kein Mercosur-Abkommen geben.

    Wir müssen schauen, wie die Landwirtschaftspolitik in Frankreich gestaltet wird und dann auch noch einmal auf die Wertschöpfungskette in der Landwirtschaft insgesamt. Wir haben vor einigen Jahren eine Gesetzgebung gemacht gegen unfaire Handelspraktiken, weil da die großen Verwerter und Händler von Agrarprodukten den Landwirten wirklich Daumenschrauben angesetzt haben. Das waren völlig unfaire Praktiken. Das wurde zum Teil abgeschafft, aber da müssen wir nochmals ran. Letztendlich muss die Wertschöpfungskette von der Milch über den Käse bis zum Verkauf fair gestaltet werden. Und wenn dem so ist, dann ist die Skepsis gegenüber Freihandelsverträgen auch nicht mehr so groß.

    Flexiblere Umsetzung der Entwaldungsverordnung

    Wie sieht die Timeline aus beim Mercosur-Abkommen?

    Wir müssen die Europawahl abwarten, dann muss etwas passieren und im nächsten Jahr muss der Deckel draufgemacht werden.

    Sie plädieren auch dafür, dass die EU die unilateralen EU-Regulierungen mit Handelsbezug wie die Entwaldungsverordnung vorsichtig umsetzt. Was schwebt Ihnen da vor?

    Der Ansatz muss flexibler und kooperativer sein. Bei der Entwaldungsverordnung gibt es zum Beispiel drei verschiedene Risikoklassifizierungen. Aber auf Länder bezogen kann man das eigentlich nicht so machen. Indonesien hat 4.000 Kilometer Entfernung zwischen ihren Inseln, die Produktionsbedingungen sind sehr unterschiedlich. Kann man ein Land einfach so klassifizieren? Und wie kann man stärker die Instrumente unserer Partner in die Umsetzung einbinden? Viele Länder haben zum Beispiel aus eigenem Antrieb schon Karten erstellt, um die Entwaldung nachzuvollziehen. Ich glaube, da kann man wirklich mehr kooperieren.

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    Analyse

    Europawahl: Was im Bereich Forschung und Innovation in der nächsten Legislatur ansteht

    Noch bis 2027 läuft Horizon Europe, das aktuelle neunte Rahmenprogramm für Forschung und Innovation der EU, das ein Budget von 95 Milliarden Euro hat. Wie der Nachfolger heißen und wie groß sein Budget sein wird, wird die neue EU-Kommission vorschlagen. “Die wichtigste Voraussetzung dafür ist, dass der gesamte EU-Haushalt feststeht, der mehrjährige Finanzrahmen für den Zeitraum 2028 bis 2034. Der Vorschlag der EU-Kommission dazu soll Mitte 2025 vorliegen”, sagt Victoria Reichl, Leiterin des Brüsseler Büros der Kooperationsstelle EU der Wissenschaftsorganisationen (KoWi), einer Serviceplattform für die großen deutschen Wissenschaftsorganisationen.

    Parallel dazu sei im nächsten Sommer der Kommissionsvorschlag für das zehnte Rahmenprogramm für Forschung und Innovation (FP10) zu erwarten, das ebenfalls von 2028 bis 2034 läuft. Mitglieder des EU-Parlaments sowie viele europäische Stakeholder-Verbände haben sich hinsichtlich des Budgets von FP10 bereits positioniert: Sie halten eine deutliche Erhöhung für erforderlich – auf 200 Milliarden Euro. Diese Verdopplung im Vergleich zu Horizon Europe hält Reichl jedoch für schwer realisierbar. Von den Mitgliedstaaten würden in ihren bisherigen Positionierungen zu FP10 derzeit bewusst noch keine Zahlen genannt oder konkrete budgetäre Forderungen gestellt, schließlich liege die politische Entscheidung über die Ausgestaltung des nächsten EU-Finanzrahmens in der Hand der europäischen Staats- und Regierungschefs.

    Was sich für das neue Forschungsrahmenprogramm abzeichnet

    Inhaltlich positionieren sich die Staaten derzeit aber sehr wohl schon zu FP10. Dänemark und Lettland haben das bereits recht früh getan und dabei unter anderem eine Debatte über die Auflösung des Europäischen Instituts für Innovation und Technologie (EIT) angestoßen, das ebenfalls zum Forschungsrahmenprogramm gehört und inhaltliche Überschneidungen mit dem European Innovation Council (EIC) aufweist.

    Zu den Ländern, die früh Stellung zu FP10 bezogen haben, gehört auch Deutschland mit dem am vergangenen Donnerstag veröffentlichten Diskussionspapier des BMBF. Es plädiert unter anderem für eine Stärkung der europäischen Sicherheit, etwa durch komplementäre Förderung und Synergien zwischen ziviler und militärischer Forschung. Am gestrigen Mittwoch hat auch die DFG ein Positionspapier zu FP10 veröffentlicht.

    Debatte über Dual Use in Europa

    Der Umgang mit dem Dual Use-Potenzial von Forschung werde in der nächsten Legislaturperiode weiterhin ein wichtiges Thema sein, sagt Reichl. Die EU-Kommission hat dazu Anfang 2024 das Weißbuch “Optionen für eine verstärkte Unterstützung von Forschung und Entwicklung zu Technologien mit potenziell doppeltem Verwendungszweck” vorgelegt. Darin werden drei Wege aufgezeigt, wie sich die EU-Finanzierungsprogramme an die veränderten geopolitischen Bedingungen anpassen lassen.

    Einer davon wäre, von dem bisher ausschließlich zivilen Charakter des Rahmenprogramms abzurücken. “Dies hätte natürlich Auswirkungen auf den Europäischen Verteidigungsfonds, der bisher ein separates spezifisches Programm in Horizon Europe ist”, sagt Reichl.

    DARPA als Vorbild

    Daneben hatte die Kommission auch neue Instrumente ins Spiel gebracht. Victor Warhem, Ökonom am Centres für European Policy Network (CEP), schlägt vor, sich am Vorbild der US-Agentur für Verteidigungsforschung DARPA zu orientieren. Diese war, bei überschaubarem Budget, an bahnbrechenden Erfindungen wie dem Internet oder GPS beteiligt.

    Warhem bringt daher eine neue EU-Agentur für Sprunginnovationen in der Dual-Use-Forschung ins Spiel, die etwa bei der Europäischen Verteidigungsagentur aufgehängt werden könnte. Diese solle mit einem Budget ausgestattet werden, das 0,02 Prozent der EU-Wirtschaftsleistung entspricht. In diesem Jahr entspräche das rund 3,3 Milliarden Euro.

    ERC: Maria Leptins erste Amtszeit endet im Herbst 2025

    Grundlegende Änderungen hinsichtlich der Struktur des Rahmenprogramms zeichneten sich bisher nicht ab, eher eine grundsätzliche Kontinuität der Programme innerhalb der drei Säulen. “Absehbar ist aber eine Debatte über mehr Durchlässigkeit zwischen den Säulen”, sagt Reichl.

    Vor allem die Förderung exzellenter Grundlagenforschung durch den European Research Council (ERC) in der ersten Säule steht aus ihrer Sicht fest, denn sie ist allgemein anerkannt und hochgeschätzt. Personell wird es interessant, wenn im Herbst 2025 die vierjährige erste Amtszeit der ERC-Präsidentin Maria Leptin endet, wobei eine zweite Amtszeit möglich wäre. 

    Jenseits des FP10 sieht die Leiterin des Brüsseler KoWi-Büros einige weitere forschungspolitische Themen und Entscheidungen auf der Agenda der nächsten EU-Kommission:

    • Europäischer Forschungsraum: Anfang 2025 soll die neue Policy Agenda für die European Research Area (ERA) präsentiert werden. Sie definiert für die kommenden drei Jahre zentrale forschungspolitische Aktivitäten. “Die Kommission diskutiert dazu vorab mit den Mitgliedstaaten und Stakeholdern, welche Themen neu dazukommen und welche fortgesetzt werden”, erläutert Reichl. Zur aktuellen ERA Policy Agenda gehört beispielsweise die Reform der Forschungsbewertung (CoaARA).
    • Forschungsfreiheit: Dieses Thema steht auch auf der aktuellen ERA Policy Agenda. Das Parlament hat sich damit sehr ausführlich befasst, federführend war der CDU-Abgeordnete Christian Ehler. “Die Kommission will nun in einer Studie die Situation der Forschungsfreiheit – de jure und de facto – in den einzelnen Mitgliedstaaten und im Vergleich mit Drittstaaten untersuchen lassen. Danach wird vermutlich überlegt, ob man legislativ tätig werden will und kann, so wie das Europäische Parlament es bereits gefordert hatte”, sagt Reichl.
    • Forschungsinfrastrukturen: 2025 ist die nächste Roadmap des Europäischen Strategieforums für Forschungsinfrastrukturen (ESFRI) zu erwarten. Darin wird festgehalten, welche paneuropäischen Infrastrukturen gefördert werden. Das BMBF wird in Vorbereitung dazu noch im Sommer ein Priorisierungsverfahren auf nationaler Ebene für Forschungsinfrastrukturen (FIS) starten, damit die deutsche FIS-Roadmap mit dem ESFRI-Prozess synchronisiert werden kann.
    • Künstliche Intelligenz: Die EU hat Ende Mai endgültig den AI Act beschlossen. Allerdings wird die Entwicklung beziehungsweise Nutzung von KI-Technologien rein zu Forschungszwecken darin nicht geregelt. Es gibt jedoch bereits EU-Guidelines zum Einsatz von KI in der Forschung. “In Brüssel wird nun diskutiert, ob diese Richtlinien ausreichend sind”, sagt Reichl.

    Werden die Generaldirektionen Forschung und Bildung weiter gemeinsam politisch geleitet?

    Wichtig für die EU-Forschungspolitik werden auch der Zuschnitt und die Zuständigkeiten innerhalb der EU-Kommission. Nach den letzten Europawahlen im Jahr 2019 hat Mariya Gabriel als EU-Forschungskommissarin erstmals zwei Generaldirektionen geleitet: die für Forschung und Innovation sowie die für Bildung. Sowohl Gabriel als auch ihre Nachfolgerin Iliana Ivanova waren beziehungsweise sind dabei insgesamt sogar für fünf Bereiche zuständig: Innovation, Forschung, Kultur, Bildung und Jugend.

    Weil forschungsrelevante EU-Programmlinien wie das EIT und die Marie-Skłodowska-Curie-Maßnahmen auch zuvor in der Zuständigkeit der Generaldirektion Bildung waren, gebe es durchaus Argumente für diese Zusammenlegung, sagt Reichl. Insgesamt hatte man sich mehr Synergieeffekte zwischen den EU-Bildungs- und Forschungsprogrammen erhofft. Sie hört jedoch auch Kritik an der derzeitigen Kombination. Reichl: “Letztlich ist das eine politische Entscheidung, die die nächste EU-Kommission zu treffen hat.” Im Dezember soll das neue Kollegium der Kommissionsmitglieder vorgestellt werden. Dann steht auch fest, wer sich auf EU-Ebene um Forschungsbelange kümmern wird und was noch zu diesem Portfolio gehören wird. Mit Till Hoppe

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    Ausblick auf die Wahlen: Warum De Croo in Belgien zittern muss

    Seit fünf Monaten führt Belgien die EU durch Krisen, Kriege und geopolitische Turbulenzen – bisher mit Erfolg. Von der Reform des gemeinsamen europäischen Asylsystems GEAS bis hin zum umstrittenen Lieferkettengesetz hat der belgische Ratsvorsitz einige heiße Eisen aus dem Feuer geholt und die 27 EU-Staaten zusammengehalten.

    Doch nun droht Belgien selbst in die Krise zu rutschen. Ausgerechnet am Tag der Europawahl, dem 9. Juni, stehen Neuwahlen auf regionaler und föderaler Ebene an. Sie könnten das belgische Königreich noch mehr spalten und an den Rand der Unregierbarkeit führen. Die jüngsten Umfragen zeichnen das Bild eines tief zerrissenen Landes.

    Zuspruch für Separatisten und Rechtsextreme

    In Flandern, der größten Region, liegen die Separatisten des Vlaams Belang nach Zahlen des IPSOS-Instituts mit 26,8 Prozent der Wahlabsichten vorn. Die ebenfalls nationalistische Partei N-VA folgt mit 20,6 Prozent auf Platz zwei. Gemeinsam kommen sie auf annähernd 50 Prozent – mehr als genug, um Belgien zu blockieren.

    In der französischsprachigen Wallonie liefern sich Sozialisten und Liberale vom Mouvement Réformateur (MR) mit je 22,6 Prozent ein spannendes Kopf-an-Kopf-Rennen. Hier zeichnet sich nach Jahren der sozialistischen Vorherrschaft ein Patt ab, das ebenfalls lähmend wirken kann – weit über die Region hinaus.

    In der Hauptstadt Brüssel, dem Sitz der EU-Institutionen, liegt der MR mit 23,3 Prozent vorn. Die linksradikale “Parti des Travailleurs Belges” (PTB) folgt auf Platz zwei mit 19,8 Prozent – Tendenz steigend. Die Grünen sind von 21,6 auf 12,5 Prozent abgesackt; der belgische Rundfunk BRF spricht von einem “Debakel”.

    De Croo braucht neue Partner

    Wie sich aus diesem bunten Flickenteppich eine tragfähige föderale Regierung für das ganze Land bilden lässt, ist unklar. Für die derzeit regierende Vivaldi-Koalition um den liberalen Premierminister Alexander De Croo zeichnet sich jedenfalls keine Mehrheit mehr ab.

    Statt bisher sieben könnten künftig acht oder mehr Parteien nötig sein, um eine Regierung zu bilden. Eine Möglichkeit wäre, dass die wallonische Oppositionspartei “Les Engagés” (ehemals Christdemokraten, CDH) nach der Wahl in die Regierungskoalition eintritt – und Vivaldi so doch noch zu einer zweiten Amtszeit verhilft.

    Allerdings versuchen die Nationalisten in Flandern, genau dies zu verhindern. N-VA-Chef Bart De Wever mobilisiert seine Anhänger mit der Warnung vor einer Vivaldi- 2.0-Regierung, die unter dem Motto “Tous ensemble contre l’extrême droite” (Gemeinsam gegen die Rechtsextremen) die bisherige, liberale Politik weiterführen könnte.

    Abspaltung Flanderns unwahrscheinlich

    Noch radikaler gibt sich der Führer des Vlaams Belang, Tom Van Grieken. “Es ist an der Zeit, mit den Systemparteien abzurechnen”, fordert er. Zugleich macht Van Grieken Druck auf die N-VA: Sie habe es in der Hand, den “Cordon sanitaire” aufzubrechen. Gemeinsam könnten die separatistischen flämischen Parteien auch auf Bundesebene eine Rolle spielen.

    Heißt das, dass die Spaltung des Landes droht? Auf dem Papier ja, in der Praxis nein. Denn für eine Loslösung Flanderns aus der Föderation wäre eine radikale Staatsreform nötig. Entsprechende Verfassungsänderungen erfordern im Parlament eine Zweidrittelmehrheit der 150 Sitze. Diese ist derzeit nicht in Sicht.

    “Es gibt keine Mehrheit für die Spaltung Belgiens und keine Zweidrittelmehrheit für eine Staatsreform”, sagte der renommierte deutsche Staatsrechtler Christian Behrendt dem deutschsprachigen Portal Belgieninfo. Selbst kleinere Reformen – etwa die Regionalisierung des Gesundheitswesens – hätten wenig Aussicht auf Erfolg.

    Linksradikale punkten ebenfalls

    Das “Worst Case”-Szenario schließen die meisten Experten aus. Allerdings dürfte die Regierungsbildung sehr schwierig werden. Denn nicht nur die Zukunft Belgiens sorgt für Streit.

    Der Wahlkampf dreht sich auch um die Nahost-Politik, in der sich Belgien immer mehr von Israel (und von Deutschland) abgrenzt, um die hohen Lebenshaltungskosten und um die Sparpolitik, die mit den neuen EU-Schuldenregeln auf das hoch verschuldete Land zukommt.

    Vor allem die linksradikale PTB versteht es, mit diesen Themen zu punkten – übrigens nicht nur in Brüssel, sondern landesweit, da sie als einzige Partei zentral und föderal agiert. Dennoch dürfte die Wahl vor allem von den rechten und rechtsextremen Parteien in Flandern bestimmt werden – denn sie liegen auch landesweit vorn.

    In Flandern entscheidet sich diese Wahl – davon sind die meisten Beobachter überzeugt. Eine Schlüsselrolle komme der flämischen NV-A und ihrem Chef De Wever zu, heißt es in einer Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung.

    Zusammenarbeit mit Separatisten?

    Wenn sich die NV-A mit dem Vlaams Belang zusammentut, drohe eine Blockade – denn alle anderen Parteien lehnen eine Zusammenarbeit mit den rechtsextremen Flamen ab. Wenn sie sich hingegen auf die Vivaldi-Parteien zubewegt, würden die Karten neu gemischt. Dann dürfte es darauf ankommen, welche Forderungen De Wever stellt – und ob sie für die gemäßigten Parteien akzeptabel sind.

    So oder so stellt man sich in Brüssel auf langwierige Verhandlungen ein. Nach den letzten Parlamentswahlen 2019 dauerte es fast 500 Tage, bis die amtierende Vivaldi-Regierung endlich stand. Dieses Mal könnte sogar der Negativ-Rekord von 541 Tagen gebrochen werden, der nach der Wahl 2010 aufgestellt wurde. Den belgischen EU-Vorsitz dürfte dies allerdings nicht lähmen. Egal, was passiert – Regierungschef De Croo und sein Team bleiben geschäftsführend im Amt. Die letzten drei Wochen bis zum Ende der Ratspräsidentschaft sind also gesichert. Schwierig wird es danach – denn am 1. Juli geht der Ratsvorsitz an Ungarn über, ausgerechnet.

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    Termine

    31.05.2024 – 18:00 Uhr, Hamburg
    Universität Hamburg, Vortrag Europa vor der Wahl: Zwischen nationalen und europäischen Identitäten
    Der ehemalige polnische Botschafter in Deutschland und den USA, Janusz Reiter, spricht 50 Jahre nach der Kopenhagener Erklärung zur europäischen Identität über die Rolle von nationalen und kollektiven Identitäten in Europa heute. INFOS & ANMELDUNG

    03.06.2024 – 16:00-17:00 Uhr, online
    SNV, Discussion Background talk with Martin Husovec: The DSA on disinformation – on point or missing the mark?
    Stiftung Neue Verantwortung (SNV) invites legal and policy experts to discuss how the EU Digital Services Act deals with disinformation in practice, how regulators can address enforcement issues and what suitable checks and balances could look like. INFO & REGISTRATION

    03.06.2024 – 17:00-19:00 Uhr, Berlin
    FZE, Konferenz Der Rechtsrahmen für das geplante Wasserstoff-Kernnetz – faire Risikoverteilung?
    Das Forum für Zukunftsenergien (FZE) gibt eine Einführung in die Planung des Wasserstoff-Kernnetzes und beleuchtet die privatwirtschaftliche Finanzierung des Aufbaus, gefolgt von einer Podiumsdiskussion mit Experten und Bundestagsabgeordneten. INFOS

    04.06.-05.06.2024, Berlin
    FAZ, Konferenz European Economic Conference
    Die von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) ausgerichtete Konferenz bietet eine Plattform für Vertreter der europäischen Wirtschaft, Politik und Wissenschaft, um die Rolle der Europäischen Union bei der Förderung von Wirtschaftswachstum, sozialem Zusammenhalt und nachhaltiger Entwicklung zu diskutieren. INFOS & ANMELDUNG

    04.06.-05.06.2024, Berlin
    EAB, Konferenz Deutsch-Ungarisches Forum 2024
    Die Europäische Akademie Berlin (EAB) bringt Wissenschaftler, politische Entscheidungsträger und Akteure der Zivilgesellschaft zusammen, um das Verhältnis zwischen Deutschland und Ungarn sowie Herausforderungen auf europäischer Ebene zu diskutieren. Die Veranstaltung zielt darauf ab, gegenseitiges Verständnis zu fördern, Zukunftskooperationen zu initiieren und Handlungsempfehlungen zu erarbeiten. INFOS & ANMELDUNG

    News

    Durchsuchungen bei weiterem Ex-Krah-Mitarbeiter im EU-Parlament

    Rund anderthalb Wochen vor der Europawahl hat es erneut Durchsuchungen im Europaparlament gegeben – dieses Mal wegen des Verdachts der russischen Einflussnahme. Das teilte die belgische Staatsanwaltschaft am Mittwoch mit. Der Spitzenkandidat der AfD bei der Europawahl, Maximilian Krah, bestätigte, dass sich die Durchsuchungen in Brüssel und Straßburg gegen einen früheren Mitarbeiter richteten. Inzwischen arbeitet der Mann für den niederländischen EU-Abgeordneten Marcel de Graaff von der extrem rechten Partei Forum für Demokratie. Der zeigte sich am Mittwoch überrascht.

    Krah schrieb auf X: “Weil es missverstanden wird: Es gab heute keine Durchsuchung in einem Büro, das zu mir gehört.” Der “betroffene Ex-Mitarbeiter arbeitet längst für einen anderen Abgeordneten, dort wurde sein Büro durchsucht.” Der Mann hat nach Angaben aus Krahs Büro bis vor zwei Jahren für den AfD-Europaabgeordneten gearbeitet.

    Wichtige Rolle für “Voice of Europe”?

    Zuvor hatte die belgische Staatsanwaltschaft mitgeteilt, dass im Zusammenhang mit mutmaßlicher russischer Einflussnahme die Wohnung und die Büros eines Mitarbeiters des Europäischen Parlaments in Brüssel und in Straßburg durchsucht worden seien. Die Durchsuchungen erfolgten demnach im Rahmen eines Falles von Einflussnahme, passiver Bestechung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation, hieß es.

    Weiter teilte die Staatsanwaltschaft mit, Anzeichen deuteten darauf hin, dass der Mitarbeiter des Parlaments eine wichtige Rolle in der Affäre um die prorussische Internetplattform “Voice of Europe” (VoE) gespielt habe. Es gebe Hinweise auf eine russische Einflussnahme, wonach Mitglieder des Europäischen Parlaments angesprochen und bezahlt wurden, um über die Webseite “Voice of Europe” russische Propaganda zu fördern.

    Der niederländische EU-Abgeordnete Marcel de Graaff zeigte sich am Mittwoch überrascht von den Durchsuchungen bei seinem Mitarbeiter im Europaparlament. Durch die Medien habe er von den Durchsuchungen in der Wohnung und den Büros seines Mitarbeiters erfahren, schrieb er auf X. “Ich habe mit meinem Mitarbeiter gesprochen und er war darüber nicht informiert. Die Behörden haben weder mich noch ihn kontaktiert. Für mich kommt das alles völlig überraschend”, schrieb der fraktionslose Abgeordnete weiter.

    Eine Beteiligung an “einer sogenannten russischen Desinformationsoperation” stritt De Graaff vehement ab. Der 62 Jahre alte de Graaff war zunächst von 2011 bis 2022 für die radikal rechte Partei für die Freiheit (PVV) des niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders im Europaparlament. 2022 wechselte er zur extrem rechten Partei Forum für Demokratie. dpa

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    Zölle auf E-Autos: Darum wartet die EU-Kommission mit der Entscheidung 

    Die EU-Kommission wird die Ergebnisse ihrer Untersuchung gegen chinesische E-Autohersteller voraussichtlich nicht vor der Europawahl am 9. Juni verkünden. Es gebe eine klare Tendenz dazu, um nicht den Anschein einer politischen Entscheidung aufkommen zu lassen, hieß es in der Kommission gegenüber Table.Briefings. Zuvor hatte der Spiegel darüber berichtet.

    Die Handelsexperten der Behörde haben in den vergangenen Monaten im Rahmen der Untersuchung zahlreiche Informationen über die Praktiken der chinesischen Hersteller gesammelt, die den Verdacht auf übermäßige Staatshilfen erhärtet haben. Das Ergebnis ihrer Untersuchung teilt die Kommission den betroffenen Unternehmen und den Mitgliedstaaten üblicherweise einen Monat vor Ablauf der Frist mit. Dies wäre der 5. Juni. Diese Praxis sei aber nicht zwingend, heißt es in der Behörde.

    Die Kommission pocht darauf, dass die Zollentscheidung evidenzbasiert getroffen wird. Darauf dringt auch Bundeskanzler Olaf Scholz, aus Sorge vor Vergeltungsmaßnahmen Pekings. In Brüssel wird darauf verwiesen, dass die USA ohne eine solche Untersuchung Zölle von 100 Prozent auf Elektroautos aus Chinas verhängt hatten. Die Kommission dürfte deutlich niedrigere Zusatzzölle vorschlagen. Beobachter rechnen damit, dass die Kommission die Zölle zunächst von bislang zehn Prozent auf 15 bis 30 Prozent anhebt.

    Entscheidung mit Folgen für andere Branchen

    Zugleich wird in der Kommission betont, dass die Entscheidung eine Bedeutung über die Autobranche hinaus entfalten werde. China habe auch in anderen Sektoren wie Stahl oder Solar massive Überkapazitäten aufgebaut und bislang auf vielfach von europäischen Politikern vorgebrachte Kritik nicht reagiert. 

    Die Untersuchung zu staatlichen Subventionen für E-Fahrzeuge aus China war im Oktober eingeleitet worden und kann bis zu 13 Monaten dauern. Will die EU-Kommission vorläufige Zölle verhängen – was eine Voraussetzung für dauerhafte Zölle ist – muss das binnen neun Monaten nach Einleitung des Verfahrens geschehen. Diese Frist endet am 4. Juli.

    Beobachter waren davon ausgegangen, dass die amtierende EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen die Antisubventionszölle noch vor den Wahlen bekannt geben möchte. Deutsche Autohersteller sehen den Schritt der EU sehr kritisch und haben Bedenken wegen Vergeltungszöllen aus Peking. tho/ari

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    Klima-Governance: Warum Ungarn mehr Einfluss bekommt

    Die scheidende EU-Kommission will die Governance-Verordnung für die Klima- und Energiepolitik der EU nicht mehr wie vorgesehen noch im Juni überarbeiten. “Was einen künftigen Gesetzgebungsvorschlag angeht, wäre jede Entscheidung von der nächsten Kommission zu treffen”, sagte ein Kommissionsbeamter am Mittwoch zu Table.Briefings. Daher ist mit einem Gesetzgebungsvorschlag frühestens ab November zu rechnen, wenn das neue Kollegium voraussichtlich bestätigt wird.

    Die Governance-Verordnung ist das zentrale Werkzeug, um zu überprüfen, ob die Mitgliedstaaten ihre beschlossenen Energie- und Klimaziele für die nächsten Jahre erreichen. Geregelt wird darin etwa auch, wie viel jeder Mitgliedstaat zum gemeinsamen Ziel für erneuerbare Energien für 2030 beitragen sollte.

    Schwerpunkt der nächsten Ratspräsidentschaft

    Mit der Überarbeitung will die Kommission die Berichtspflichten für die EU-Staaten weiter vereinfachen. Die Verordnung sieht eigentlich vor, dass die Kommission die Evaluation bis Mitte Juni vorlegen muss – sechs Monate nach dem Global Stocktake der Klimakonferenz COP28.

    “Den Berichten der Kommission können erforderlichenfalls Gesetzgebungsvorschläge beigefügt werden”, heißt es in der Verordnung weiter. Wie der Kommissionsbeamte andeutete, könnte die Evaluierung nach den Europawahlen auch schon vor eventuellen Gesetzgebungsvorschlägen vorgelegt werden.

    Nach einem Bericht von Contexte will die ungarische Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr eine Schlussfolgerung des Rates zum Governance-Rahmen erreichen. Weil sich der Kommissionsvorschlag verzögert, könnten die Mitgliedstaaten deshalb frühzeitig Einfluss auf den zentralen Mechanismus nehmen, mit dem ihre Klimapolitik eigentlich überwacht werden soll. ber

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    Wie sich die SPD ein Abkommen mit von der Leyen vorstellt

    Die neue Spitze der EU-Kommission könnte nach Ansicht des SPD-Abgeordneten René Repasi schon in der ersten Plenarwoche nach den Europawahlen gewählt werden. “Es geht nicht um einen Koalitionsvertrag mit 200 Seiten, sondern um Leitplanken für eine Zusammenarbeit und die können wir innerhalb von 24 Stunden verhandeln“, sagte der Vorsitzende der Europa-SPD am Mittwoch vor Journalisten. Repasi plädierte außerdem für einen Mechanismus, nach dem die möglichen Partner während der Legislatur immer wieder zu Gesprächen zusammenkommen.

    Der SPD-Parlamentarier griff Ursula von der Leyen für ihre Öffnung gegenüber der europaskeptischen EKR-Fraktion scharf an. Mit Liberalen und Grünen hätten Sozialdemokraten und die EVP voraussichtlich eine Mehrheit. “Es gibt keine Notwendigkeit für Flirts mit der EKR und die EVP muss verstehen, dass solche Flirts mit Rechts nicht ohne Konsequenzen bleiben können.”

    Repasi nennt von der Leyens Kriterien Augenwischerei

    Von der Leyen hatte drei Kriterien für eine Zusammenarbeit mit Teilen der EKR genannt: proeuropäisch, pro Ukraine und Rechtsstaatlichkeit. “Ich finde diese Kriterien sehr oberflächlich, sie sind Augenwischerei“, entgegnete Repasi. Der Versuch, zwischen Teilen der Rechtskonservativen Unterschiede zu machen, gehe an der Realität im Parlament vorbei, wo die EKR, anders als die noch rechtere ID, immer relativ geschlossen abgestimmt habe: “Es gibt nur eine EKR mit Meloni oder nichts – zumindest so lange Meloni noch Teil der Fraktion ist.”

    Beim Green Deal wird es nach Ansicht Repasis trotz Zugewinnen rechter Parteien keine Rolle rückwärts geben. Möglich sei stattdessen eine Entlastung der Unternehmen von Berichtspflichten. Die Pestizidverordnung werde sicherlich anders aussehen als zunächst vorgeschlagen. Auch beim PFAS-Verbot über die Chemikalienverordnung REACH könnte es noch Bewegung geben.

    Ecke kritisiert Union für Sprachbilder voller Wut

    Mit ihren Attacken gegen das Verbrenner-Verbot ab 2035 sieht der sächsische SPD-Europaabgeordnete Matthias Ecke die CDU “auf dem Holzweg”. Ein Großteil aller europäischen Elektroautos werde bereits in Sachsen gefertigt. “Die Agitation von Michael Kretschmer ist verblüffend, weil sie schädlich ist für die Autoindustrie in Sachsen. Wir wären gut beraten, die Elektromobilität zu stärken.”

    Ecke war Anfang Mai von mutmaßlich rechtsextremen Tätern in Dresden beim Aufhängen von Wahlplakaten zusammengeschlagen worden. Ecke sagte, er spüre immer noch die Auswirkungen der Verletzungen und müsse einige Termine nach langen Tagen absagen. “Für mich stand aber nie zur Debatte, dass ich nicht weitermache. Für mich ist es eine politische Frage, öffentliche Räume nicht preiszugeben.”

    Ecke kritisierte, dass auch “von Seiten der Union Sprachbilder bedient werden, die Zorn und Wut in der Bevölkerung aufnehmen. Ich hoffe, dass sich das runterregelt und wir wieder zu einem sachlichen Austausch kommen.” ber

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    Orbán: Le Pen und Meloni sollten nach der EU-Wahl zusammenarbeiten

    Italiens und Frankreichs rechtsextreme Führerinnen Giorgia Meloni und Marine Le Pen sollten ihre Rivalität beenden und die Zusammenarbeit nach den Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni verstärken, sagte der ungarische Premierminister Viktor Orbán in einem am Mittwoch veröffentlichten Interview mit der französischen Zeitschrift Le Point.

    “Wenn sie es schaffen, zusammenzuarbeiten, in einer einzigen Gruppe oder einer Koalition, werden sie eine Kraft für Europa sein. Die Anziehungskraft ihrer Zusammenarbeit wäre sehr stark“, sagte Orbán.

    Umfragen sagen voraus, dass Europas nationalistische und euroskeptische Parteien im Juni eine Rekordzahl an Stimmen gewinnen werden. Abgeordnete, die solche Ansichten vertreten, werden wahrscheinlich in zwei rivalisierenden Fraktionen sitzen. Derzeit gibt es die rechtsextreme ID-Fraktion und den euroskeptischen bis rechtspopulistischen Block der Europäischen Konservativen und Reformer (ECR).

    Neue Chance nach AfD-Rauswurf?

    Quellen sagten der Nachrichtenagentur Reuters, dass die Chancen für die Bildung eines einzigen, schlagkräftigen rechtsextremen Blocks in Europa gering seien. Der Grund: Zwischen den beiden führenden Persönlichkeiten Meloni und Le Pen gebe es Differenzen in Fragen wie der Haltung zum Ukraine-Krieg und den Beziehungen zu Russland.

    Auf die Frage, ob seine Partei Fidesz immer noch plane, Melonis ECR-Block nach der Wahl beizutreten, sagte Orbán: “Ja, das ist immer noch auf der Tagesordnung.” Orbán sagte in dem Interview jedoch, dass “alles neu geschrieben werden kann”, nachdem Le Pens konkurrierendes ID-Lager die deutsche rechtsextreme Partei AfD ausgeschlossen hat.

    Auf die Frage nach möglichen Kandidaten für die Führung der Europäischen Kommission sagte Orbán, seine oberste Priorität sei es, “die derzeitige Führung loszuwerden” und dass es zu früh sei, Namen zu nennen. rtr

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    Rücknahme des Verbrenner-Aus: Liese will Revision vorziehen

    Peter Liese und die CDU/CSU wollen das von EU-Parlament und Mitgliedstaaten für 2035 beschlossene Verbrenner-Aus in der nächsten Legislatur wieder rückgängig machen. Dafür will der umwelt- und klimapolitische Sprecher der EVP nicht bis 2026 warten, wenn das Gesetz von der EU-Kommission ohnehin überprüft werden muss. Anders als die FDP, die ebenfalls das Verbrenner-Aus rückgängig machen will, will Liese nicht auf die Revisionsklausel warten. Aus seiner Sicht spreche nichts dagegen, eine Gesetzesänderung schon vorher vorzunehmen.

    Dass die Union die Rücknahme des Verbrenner-Aus in ihrem Wahlprogramm fordert, die EVP in ihrem Manifest aber nicht, hält Liese für unproblematisch. Die EVP sei immer gegen das Verbrennerverbot gewesen und er gehe davon aus, dass dies auch im nächsten EU-Parlament so bleiben werde.

    Fraglich ist, ob die nächste EU-Kommission eine solche Überarbeitung der CO₂-Flottengrenzwerte für Pkw unterstützen wird. Die derzeitige und womöglich auch kommende Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat sich bislang nicht eindeutig positioniert. Der Generaldirektor Klimaschutz der Kommission, Kurt Vandenberghe, kündigte im Table.Briefings-Interview an, den Klimagesetzen für das Klimaziel 2030, wozu das Verbrenner-Aus gehört, nichts hinzufügen zu wollen. luk

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    AI Office: Wie die Kommission sich für die Überwachung von KI aufstellt

    Lucilla Sioli übernimmt die Leitung des neuen Büros für künstliche Intelligenz (AI Office) in der EU-Kommission. Am Mittwoch gab die Behörde die entsprechende Umstrukturierung der Abteilung A der Generaldirektion Kommunikationsnetze, Inhalte und Technologien (CNECT) bekannt. Aufgabe des Büros ist es, die Entwicklung, den Einsatz und die Nutzung von KI zu fördern. Es soll die positiven gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Vorteile sowie Innovationen ermöglichen und gleichzeitig die Risiken mindern. Eine zentrale Rolle spielt es vor allem bei der Überwachung allgemeiner KI-Modelle (general purpose AI models, GPAI).

    “Das heute vorgestellte AI Office wird uns helfen, eine kohärente Umsetzung des KI-Gesetzes zu gewährleisten”, sagte Exekutiv-Vizepräsidentin Margrethe Vestager. Gemeinsam mit Entwicklern und Wissenschaftlern werde das Büro GPAI bewerten und testen, um sicherzustellen, “dass KI uns als Menschen dient und unsere europäischen Werte aufrechterhält”.

    AI Office umfasst fünf Referate

    Das AI Office, dessen Aufgaben im AI Act festgelegt sind, hat intern bereits am 21. Februar seine Arbeit aufgenommen. Die jetzt verkündete Umstrukturierung der Abteilung CNECT A soll am 16. Juni wirksam werden. Das Büro soll einmal mehr als 140 Mitarbeiter beschäftigen. 60 davon sind bereits an Bord – vor allem Verwaltungsassistenten, Juristen, Politikspezialisten und Wirtschaftswissenschaftler. Die 80 noch zu rekrutierenden Mitarbeiter sollen vor allem Techniker und KI-Spezialisten sein. Die Kommission will diese schrittweise einstellen und sich dabei am Bedarf orientieren.

    Die Generaldirektion CNECT A hatte bisher vier, das neue AI Office wird fünf Referate haben:

    • Regulierung und Compliance: koordiniert den regulatorischen Ansatz zur einheitlichen Anwendung und Durchsetzung des KI-Gesetzes in der gesamten Union
    • KI-Sicherheit: fokussiert sich auf die Identifizierung systemischer Risiken sehr leistungsfähiger allgemeiner Modelle sowie auf mögliche Gegenmaßnahmen und Evaluierungsansätze
    • Exzellenz in KI und Robotik: unterstützt und finanziert Forschung und Entwicklung, um ein Exzellenz-Ökosystem zu fördern, und koordiniert die GenAI4EU-Initiative
    • KI für das Gemeinwohl: entwirft und implementiert internationale Engagements des KI-Büros in Bereichen wie Wettermodellierung, Krebsdiagnosen und digitale Zwillinge für Rekonstruktionen
    • KI-Innovation und Politikkoordination: überwacht die Ausführung der KI-Strategie der EU, beobachtet Trends und Investitionen, stimuliert die Einführung von KI durch ein Netzwerk europäischer digitaler Innovationszentren und die Einrichtung von KI-Fabriken

    Kilian Gross leitet das Referat für Regulierung und Compliance

    Außerdem wird das Büro einen leitenden wissenschaftlichen Berater haben, der für wissenschaftliche Exzellenz bei der Bewertung von Modellen und innovativen Ansätzen sorgt. Ein Berater für internationale Angelegenheiten soll die Zusammenarbeit mit internationalen Partnern im Bereich der vertrauenswürdigen Künstlichen Intelligenz sicherstellen.

    Für das wohl wichtigste Referat für Regulierung und Compliance ist Kilian Gross zuständig. Er hat ebenso wie seine Chefin Lucilla Sioli maßgeblich an der Entstehung des AI Acts mitgewirkt. Ob auch Dragoș Tudorache, einer der beiden Ko-Berichterstatter des EU-Parlaments, eine Position im AI Office haben wird, ließ die Kommission offen.

    Die größte Änderung in der Struktur betreffen das bisherige Referat A3, das von Mikroelektronik und Photonik auf KI-Sicherheit umgestellt wird. Es hat noch keinen Leiter. Das neue fünfte Referat, KI für das Gemeinwohl, wird Martin Bailey leiten. vis

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    Was Asselborn von der Ukraine-Friedenskonferenz in der Schweiz erwartet

    Der langjährige luxemburgische Außenminister Jean Asselborn erachtet die geplante Ukraine-Friedenskonferenz in der Schweiz als wichtig. “Was beschlossen werden könnte, ist eine Einigung mit der Ukraine, unter welchen Bedingungen sie bereit ist, einen Dialog mit Russland aufzunehmen”, sagte Asselborn Table.Briefings.  

    Es gebe aber keine Blaupause für eine diplomatische Annäherung in diesem Konflikt, zumal der große Teil der Welt kein Interesse an einer Lösung habe. “Die meisten Länder jenseits der G7 sagen, das ist ein europäisches Problem.” Nur China könne Putin wirklich stoppen, sagt Asselborn. “Die Chinesen sind Kommunisten, aber auch große Handelsleute. Sie haben kein Interesse an einem langen Krieg.” Wenn der Krieg die globale Ökonomie zu sehr beschädige, dann könnte auch China den Druck auf Putin erhöhen.

    Bei der Unterstützung der Ukraine dürfe der Westen jetzt nicht nachlassen. Asselborn plädierte für weitere Waffenlieferungen, vor allem Flugabwehrsysteme. “Die Abwehr im Himmel ist entscheidend. Deutschland will ein weiteres Patriot-System liefern, da müssen andere europäische Länder nachziehen.” brö

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    Ungarn sucht für Bau von Atomkraftwerk Hilfe von Belarus

    Die Regierung in Budapest hat mit Belarus ein Abkommen über Hilfe beim Bau eines zweiten ungarischen Atomkraftwerks unterzeichnet. Das teilte der Außenminister Péter Szijjártó am Mittwoch in Minsk mit, ohne Details zu nennen.

    Damit baut Ungarn seine Beziehungen zu autokratischen Ländern in Osteuropa auf dem Feld der Energiepolitik aus. Bereits das russische Unternehmen Rosatom baut am Standort Paks II in Zentralungarn zwei Reaktoren mit einer Leistung von je 1,2 Gigawatt. Das 12,5 Milliarden Euro teure Projekt hat sich lange verzögert. Der Ausbau des Kraftwerks Paks ist laut dem polnischen Thinktank Centre for Eastern Studies (OSW) das größte Wirtschaftsprojekt des Kabinetts von Viktor Orbán und “Ausdruck einer anhaltenden Energieabhängigkeit Ungarns von Russland”.

    Atomenergie fällt nicht unter die EU-Sanktionen gegen Russland, die wegen des Überfalls auf die Ukraine verhängt wurden. Ungarn, das weiter den größten Teil seines Stroms und Gases aus Russland bezieht, hat sich gegen eine Ausweitung der Sanktionen auf diesen Bereich ausgesprochen. rtr/lei

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    Dick Schoof sieht sich nicht “an der Leine von Geert Wilders”

    Schoof: Ein Bürokrat, der laut niederländischen Medien Kameras liebt.

    Die Wahl wirkt überraschend: Wenn Geert Wilders gerne über etwas schimpft, dann sind es ungewählte Bürokraten. Dick Schoof, der künftige Regierungschef und Nachfolger von Mark Rutte, ist genau das, ein Spitzenbeamter, der zudem als Macher mit einigem Geltungsdrang beschrieben wird. Die letzten 20 Jahre hat Schoof an Schlüsselstellen die Sicherheits- und Asylpolitik der Niederlande mitgeprägt. Er ist also eigentlich ein Repräsentant dieses “tiefen Staates”, den der rechtsextreme Wahlsieger sonst gerne anprangert.

    Er wolle Regierungschef “aller Niederländer sein”, betonte Schoof bei einem ersten Auftritt in der neuen Rolle. Und nein, er könne sich überhaupt nicht mit dem Bild identifizieren, dass er als Ministerpräsident “an der Leine von Wilders” hängen werde. Geert Wilders mit seiner Freiheitspartei PVV, die rechtsliberale VVD, die konservative NSC von Pieter Omtzigt und die populistische Bauernbewegung BBB haben sich erst im zweiten Anlauf auf den hohen Beamten geeinigt.

    Ein Beamter mit Affinität zur Öffentlichkeit

    Der 67-Jährige war zuletzt oberster Beamter im Justizministerium und dort rechte Hand von Justizministerin Dilan Yeşilgöz, die zugleich Parteichefin der rechtsliberalen VVD ist. Vorher führte Schoof den niederländischen Geheimdienst, den Allgemeinen Nachrichten- und Sicherheitsdienst (AIVD). Davor war er Nationaler Koordinator für Terrorismusbekämpfung und Sicherheit (NCTV). Dick Schoof sei es immerhin gewohnt, in schwer gepanzerten Fahrzeugen und von Polizei eskortiert herumzufahren, so das NRC Handelsblad. Anders als der scheidende Ministerpräsident Mark Rutte, der lieber mit dem Fahrrad zur Arbeit fährt.

    Schoof wisse mehr über Wilders als umgekehrt, was heikel werden könne, schreibt das NRC Handelsblad weiter. In seiner Rolle beim NCTV war Schoof auch für das Sicherheitsdispositiv des Islam-Gegners verantwortlich, der regelmäßig mit dem Tod bedroht wird. Frühere Stationen waren Führungspositionen bei der Polizei und beim Einwanderungs- und Einbürgerungsdienst (IND). Dick Schoof wird in den niederländischen Medien als Macher beschrieben, der für seine politischen Vorgesetzten die Schwerarbeit erledigte und gerne auch die Grenzen auslotet. Und während andere Beamte die Öffentlichkeit scheuten, liebe Dick Schoof die Kamera.

    Verrentung schlug Schoof aus

    So äußerte sich der Spitzenbeamte erst kürzlich in einem ausführlichen Interview mit “De Groene Amsterdammer” nuanciert zu den möglichen Gefahren für den Rechtsstaat, sollte eine von Geert Wilders PVV dominierte Regierung an die Macht kommen. Er habe keine scharfe Messlatte, mit der er sagen könne, ab wann ein Land kein demokratischer Rechtsstaat sei. Rechtsstaatlichkeit und Demokratie seien immer einem Wandel unterworfen. Der Rechtsstaat könne auch mit Politikern wie Geert Wilders umgehen, die verfassungswidrige Forderungen in ihrem Parteiprogramm haben: “Unterschätzen Sie nicht die rechtsstaatlichen Instanzen unseres Landes.”

    Es ist, als hätte Dick Schoof geahnt, dass er bald Ministerpräsident von Geert Wilders Gnaden werden würde. Seine lange Karriere im öffentlichen Dienst und demokratischen Rechtsstaat werde ihm als roter Faden nützlich sein, sagte er jetzt nach der Nominierung. Eigentlich hätte der 67-Jährige in Rente gehen können, doch Dick Schoof hatte unlängst noch um Verlängerung gebeten.

    Völlig farblos ist der künftige Regierungschef nicht. Bis 2021 war er Mitglied der sozialdemokratischen Partei der Arbeit (PvdA). Er habe sich dort nach 30 Jahren nicht mehr zu Hause gefühlt. Ob er sich denn mit der Ideologie von Geert Wilders PVV identifizieren könne, wurde er bei der Präsentation am Mittwoch gefragt. Er sei von allen vier Fraktionsvorsitzenden für den Posten angefragt worden, so Schoof. Und wiederholte, dass er Ministerpräsident “aller Niederländer” sein wolle. Stephan Israel

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    Europe.Table Redaktion

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