in dieser Woche will die EU-Kommission weitere Erleichterungen für die Bauern vorschlagen. Bei drei von neun Standards für den guten landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand von Flächen (GLÖZ) will sie bis zum Ende der Periode der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) 2027 Ausnahmen zulassen. Es geht unter anderem um die Vorschriften, einen Teil der Fläche brach liegen zu lassen (GLÖZ 8) und um die Regeln für die Bodenbedeckung (GLÖZ 6).
Zwei weitere Entscheidungen, die im Parlament fallen, haben die Bauern im Blick. So stimmen die Abgeordneten am Dienstag über die Industrieemissionsrichtlinie ab. Dabei dürfte es eine Mehrheit für die Version geben, die Rat und Parlament ausgehandelt haben. Sollte es so kommen, müssen Schweine- und Geflügelhalter mit neuen Auflagen rechnen. Rinderzüchtern ging es besser, sie sind außen vor bei dieser Richtlinie.
Am Mittwoch wird es eng, wenn das Parlament über die Verlängerung der Zollfreiheit für Produkte und Dienstleistungen aus der Ukraine abstimmt. Gerade in den Mitgliedstaaten, die an das von Putin angegriffene Land grenzen, gibt es massiven Unmut wegen Agrarimporten zu Dumpingpreisen. Die Abgeordneten aus Polen und Rumänien wollen deswegen dagegen stimmen, dem kriegsgeplagten Land weiter die Erleichterung zu gewähren. Vor allem Getreide aus der Ukraine, das zu günstigen Preisen auf den Markt kommt, macht den Landwirten zu schaffen. Die Abstimmung könnte scheitern. Die Kommission steht unter Druck. Kommt sie Polen und Rumänien noch entgegen? Etwa indem sie Getreide aufkauft und zwischenlagert, um die Preise zu stabilisieren?
Einen guten Start in die Woche!
Valérie Hayer wählte einen drastischen Vergleich: “Gestern Daladier und Chamberlain, heute Le Pen und Orbán (…) Wir sind in München im Jahr 1938”, sagte die Spitzenkandidatin der Renaissance-Partei zum Auftakt ihres Wahlkampfes für die Europawahl. Sie verglich die Positionierung des Rassemblement National (RN) zum russischen Krieg gegen die Ukraine mit der europäischen Appeasementpolitik vor dem Zweiten Weltkrieg und setzte damit den Ton für die kommenden Wochen.
Die Vorsitzende der Renew-Fraktion im Europaparlament sprach am Samstag vor 3000 Aktivisten und 29 Regierungsmitgliedern, die nach Lille gekommen waren. Europaabgeordnete wie Pascal Canfin, der Vorsitzende des Umweltausschusses, und EU-Kommissar Thierry Breton waren ebenfalls anwesend. Die prominenten Teilnehmer zeigen, wie ernst die Partei von Präsident Emmanuel Macron die Bedrohung durch den RN nimmt. Das RN führt die Umfragen in Frankreich seit Wochen an und könnte bis zu 30 Prozent der Stimmen auf sich vereinen, zehn Prozentpunkte mehr als Renaissance.
Die politische Herausforderung für Renaissance ist also riesig. Das erklärt auch die Rhetorik, die oft alarmistisch ist: “Selten, vielleicht sogar nie zuvor in der 80-jährigen Geschichte unseres Europas, war die Stunde so ernst”, rief Premierminister Gabriel Attal aus und verwies auf die Bomben, die auf die Ukraine fielen. Seine Generation lehne es ab, “in einem Europa alt zu werden, das Massaker zulassen und zum Vasallen Russlands werden könnte”, fuhr er fort.
Hayer und Attal kündigten eine Rede an, die Emmanuel Macron anlässlich der Feierlichkeiten zum 80. Jahrestag der Landung der Alliierten an den Stränden der Normandie halten wird. Diese Rede soll laut den Organisatoren “der Höhepunkt” der Wahlkampagne sein.
Die Feierlichkeiten, an denen zahlreiche ausländische Staatsoberhäupter teilnehmen werden, finden am 6. Juni 2024 statt, drei Tage, bevor die französischen Wähler an die Urnen gehen. Die Landungszeremonien bestimmen seit jeher den Rhythmus des innenpolitischen Lebens Frankreichs, da sie eine Gelegenheit bieten, an die einigende Figur von General De Gaulle zu erinnern.
Der Krieg in der Ukraine wird somit zum roten Faden der Renaissance-Kampagne. Auffallend war dabei, dass Deutschland in den offiziellen Reden in Lille keine Erwähnung fand. Die Partei, die für sich in Anspruch nimmt, die einzige wirklich europäische Partei Frankreichs zu sein, erwähnte das deutsch-französische Tandem mit keinem Wort. In einem Film, der die Arbeit des französischen Präsidenten für Europa vorstellt, sieht man, wie er Angela Merkel umarmt und nicht Olaf Scholz.
Tatsächlich ist das Unverständnis unter Aktivisten und Regierungsmitgliedern gegenüber der Bundesregierung groß. Ein Mitglied eines Ministerkabinetts kritisierte, dass Berlin es vorgezogen hat, Rüstungsgüter von den USA und nicht von Europa zu kaufen. Ein Abgeordneter unterschied zwischen der Außenministerin und dem Bundeskanzler. “Annalena Baerbock hat die Herausforderungen richtig eingeschätzt im Gegensatz zu Olaf Scholz”, sagt er.
Im März wird die Partei versuchen, Valérie Hayer durch eine “Vor-Ort-Kampagne” in ganz Frankreich bekannt zu machen. Dies wird auch eine Gelegenheit sein, auf die Europawahlen hinzuweisen, die noch immer “weitgehend unbekannt” seien.
Um dem Wahlsieg des RN so gut wie möglich entgegenzuwirken, wird Renaissance die Gebiete ins Visier nehmen, in denen die Partei bei den jüngsten beiden Präsidentschaftswahlenam besten abgeschnitten hat. Die Wählerschaft der Macronisten liege in einem als “großer Westen” bezeichneten Gebiet, sagt einer der Organisatoren. Es reiche von der Hafenstadt Le Havre in der Normandie, der Hochburg des ehemaligen Premierministers Edouard Philippe, bis nach Pau im Südwesten des Landes, wo mit François Bayrou ein anderer wichtiger politischer Verbündeter Emmanuel Macrons seine Hochburg hat.
Zudem wird sich die Partei auf die Erstellung der Wahlliste konzentrieren, was derzeit zu Spannungen zwischen den drei Koalitionsparteien Renaissance, Horizon (Partei von Edouard Philippe) und Modem (Partei von François Bayrou) führt. Im Mai kommt es dann zum “Endspurt” der Kampagne, die in den Feierlichkeiten zum 80. Jahrestag der Landung in der Normandie kulminieren soll.
Der Spezialchemiekonzern Evonik liefert Katalysatoren, Additive für Autolacke oder Kohlenstoff-Silizium-Verbundstoffe, die Batterien leistungsfähiger machen. Viele Produkte des Konzerns sind weltweit gefragt. Auch in einem anderen Bereich gilt das Unternehmen mit Hauptsitz in Essen als Vorbild. Dort gibt es bereits seit 1995 ein Europaforum, ein europäisches Gremium mit Beschäftigten- und Managementvertretern. Es wird regelmäßig informiert und angehört, etwa bei länderübergreifenden Umstrukturierungen.
“Bei uns in der Firma war das nie ein Thema, dass wir zu allen Themen informiert, abgeholt und angehört werden“, erzählt Matthias Krebs, seit 2015 für die Arbeitnehmerseite in dem Gremium. Seit vergangenem Herbst ist er sogar Vorsitzender jenes Europabetriebsrats der Evonik AG.
Frühzeitige Informationen und Einbeziehung, bevor Entscheidungen von der Konzernseite getroffen werden – das sollte eigentlich schon jetzt flächendeckend in der EU in Europabetriebsräten der Fall sein. Dieses Gremium kann auf Antrag von Beschäftigten in Konzernen mit mehr als 1.000 Mitarbeitenden, die mindestens in zwei Mitgliedstaaten tätig sind, etabliert werden. Er wird zu länderübergreifenden Themen konsultiert. Etwa bei Standortschließungen in mehreren Staaten oder Verlagerungen. Aktuell gibt es mehr als 1000 solcher Gremien. Anders als beim Europaforum von Evonik werden aber meistens nur Beschäftigtenvertreter entsandt.
Im Gegensatz zu deutschen Betriebsräten haben die Eurobetriebsräte kein Mitbestimmungs-, sondern nur ein Anhörungs- und Konsultationsrecht. Doch auch bei der Umsetzung dieser begrenzten Rechte hapert es nach Sicht von Kritikern zu oft. So kommt eine von der Kommission beauftragte Studie aus 2016 zu dem Ergebnis, dass nur ein Fünftel der befragten Eurobetriebsräte vor einer Entscheidung des Managements konsultiert wurde.
Auch der langjährige Berater von Eurobetriebsräten, Hellmut Gohde, sagt: “Manchmal waren etwa deutsche Mitglieder bei einer Eurobetriebsratssitzung in Paris oder London, und noch während die Sitzung läuft, erfahren die Beschäftigten im Heimatland per E-Mail, dass es ihren Arbeitsplatz nicht mehr gibt.” Solche Extremfälle seien zwar nicht die gängige Praxis. “Aber die Frustration über die eigene begrenzte Gestaltungsmöglichkeiten, die dann auch teils umgangen wird, die ist bei vielen schon groß”, sagt Gohde.
Nach einem Initiativantrag des Europaparlaments aus dem vergangenen Jahr hat nun auch die EU-Kommission ihre Vorschläge vorgelegt, wie sie die Rechte von europäischen Betriebsräten verbessern will. Zum einen fordert die Kommission in ihrem Vorschlag, dass europäische Betriebsräte informiert werden müssen, bevor die finale Entscheidung etwa über eine Standortschließung gefallen ist. Auf Stellungnahmen dazu sollen sie künftig verpflichtend eine Antwort erhalten, ebenfalls bevor die Entscheidung final getroffen ist. Mitbestimmungsrechte, wie bei deutschen Betriebsräten, gibt es in der Richtlinie weiter keine.
Der zweite wichtige Punkt: schärfere Sanktionen. Zwar werden die Staaten auch schon in der überarbeiteten Richtlinie aus 2009 angehalten, “wirksame, verhältnismäßige und abschreckende” Sanktionen einzuführen. Die Kommission sieht hier aber Umsetzungsdefizite. In Deutschland gibt es beispielsweise eine Höchststrafe von gerade einmal 15.000 Euro.
Der zuständige Berichterstatter Dennis Radtke (CDU), der auch den Initiativbericht des Parlaments verantwortet hat, betont: “Angesichts dieser Strafen kann man sich die Zeit und Energie für ein Verfahren vor dem Arbeitsgericht auch sparen. Das sind keine Handwerksbetriebe, sondern multimillionen Euro schwere, börsennotierte Unternehmen.”
Bei dem Thema zeichnet sich schon jetzt ein erster möglicher Konflikt auch für spätere Verhandlungen mit dem Rat ab. Denn das Parlament hat in seinem Initiativbericht von 2023 sogar Strafen analog zu den Strafgeldern der Datenschutzgrundverordnung gefordert. Dort geht es in besonders schweren Fällen um bis zu vier Prozent des weltweiten Umsatzes. Das dürfte vielen Staaten nicht sonderlich schmecken. Als Art Kompromiss will die Kommission keine konkreten Beträge festschreiben. Ihrer Vorstellung nach sollen sich die Strafen künftig aber etwa nach dem Jahresumsatz, der Dauer und der Schwere des Verstoßes richten.
Ein weiterer wichtiger Aspekt für Berichterstatter Radtke und die Kommission: Ein besserer und vor allem geregelter Zugang zu Gerichten. Nicht immer ist nämlich klar, welches Gericht überhaupt zuständig ist. Beispiel British Airways: Der Eurobetriebsrat klagte 2020 vor dem nationalen Arbeitsgericht Madrid, weil er bei einer geplanten Massenentlassung von rund 12.000 Mitarbeitenden nicht angehört worden war. Das Gericht erklärte sich zunächst für nicht zuständig.
Erst ein Berufungsverfahren beim Obersten Gerichtshof stellte fest, dass jenes nationale Arbeitsgericht sehr wohl die richtige Instanz war. Das Urteil erging dann im vergangenen Herbst – und endete mit einem Sieg des Eurobetriebsrats. Für die Entlassenen war es da schon viel zu spät. Gegen Irland läuft aktuell gar ein Vertragsverletzungsverfahren, weil Eurobetriebsräte dort quasi keinen Zugang zu regulären Gerichten haben.
Für den Eurobetriebsratsberater Hellmut Gohde ist die nun anstehende Novelle längst überfällig: “Viele Eurobetriebsräte warten schon seit Jahren auf eine Reform.” Besonders lobt er, dass die Pläne der Kommission auch eine Kostenübernahme bei Rechtsstreits durch die Unternehmen vorsieht. “Ich habe als Berater immer wieder auch Kontakt zu Anwälten hergestellt. Und die erste Frage ist immer die gleiche: Wer zahlt meine Rechnung?”
Fast spiegelbildlich dazu fällt dagegen die Reaktion der Arbeitgeberseite aus. Sie sieht keine Notwendigkeit zur Reform. So argumentiert Business Europe, dass die meisten europäischen Betriebsräte zufriedenstellend arbeiteten und es deswegen recht wenige Verfahren vor Gerichten gebe.
Besonders kritisch sieht der Verband, dass Arbeitnehmervertreter künftig zwingend vor wichtigen Entscheidungen angehört werden sollen – und unter Umständen auch einen erweiterten Zugang zu Informationen bekommen sollen. “Eine wirksame grenzüberschreitende Information und Anhörung der Arbeitnehmer soll erfolgen, ohne die Entscheidungsprozesse und Umsetzung von Entscheidungen in Unternehmen zu verzögern“, argumentiert Business Europe. Die Frage nach der Höhe der Sanktionen hält der Verband zudem für Sache der Mitgliedsstaaten.
CDU-Berichterstatter Radtke betont dagegen: “Der eigentliche Wert dieser Gremien wird nicht gesehen. Auch in sehr schwierigen Situationen wie Massenentlassungen führen sie dazu, dass wir relativ großen sozialen Frieden haben.” Nicht nur die Arbeitnehmer-, auch die Kapitalseite profitiere davon,
Dem pflichtet auch Evonik-Eurobetriebsrat Krebs zu. Er sagt: “Irgendwann muss ohnehin die Katze aus dem Sack. Je früher ich die Mitbestimmung ins Boot hole, desto früher kann ich sozialverträgliche Vereinbarungen erarbeiten. Das schafft Vertrauen.”
Aktuell arbeitet der Beschäftigungsausschuss (EMPL) des Parlaments an seinem Standpunkt zum Vorschlag der Kommission. Dort sind die Abgeordneten der Reform überwiegend positiv gesinnt, selbst Parlamentarier aus dem liberalen und konservativen Spektrum. Jozef Mihál, der slowakische Schattenberichterstatter von Renew, erklärt auf Anfrage etwa, dass die Novelle “ein notwendiger Schritt” sei, um sicherzustellen, dass das Recht der Arbeitnehmer auf Unterrichtung und Anhörung überall in der EU durchgesetzt wird.
Er hat Änderungseinträge eingebracht, die eine zu weit gefasste Definition von länderübergreifenden Angelegenheiten verhindern soll. Zudem plädiert er für mehr außergerichtliche Schlichtungsmechanismen und eine Deckelung der geplanten Kostenerstattungsfähigkeit der europäischen Betriebsräte.
Die Grüne Vize-Vorsitzende des EMPL, Katrin Langensiepen, sagt, dass es besonders wichtig sei, dass die Sanktionen erhöht werden. “Außerdem sollen Franchise-Unternehmen in den Anwendungsbereich der Richtlinie eingebunden werden, um sicherzustellen, dass auch sie an die Anforderungen der Richtlinie gebunden sind.” Auch die polnische PiS-Abgeordnete Elżbieta Rafalska hatte bei einer früheren Debatte im Beschäftigungsausschuss betont, dass sie sich die Einbeziehung von Franchise-Unternehmen wünsche.
An einer Stelle möchte CDU-Berichterstatter Radtke den Vorschlag der Kommission allerdings abschwächen: “Es sollte nicht zu einer zwingenden Neuverhandlung aller Altvereinbarungen kommen. Das will niemand. Weder Gewerkschafts- noch die Unternehmensseite.” Noch in dieser Legislatur will der CDU-Abgeordnete mit einer ersten Lesung des Textes im Parlament fertig werden.
Bei den portugiesischen Wahlen vom Sonntag (10. März) fahren die regierenden Sozialdemokraten eine herbe Niederlage ein. Nach der Auszählung der Stimmen in über 98 Prozent der Wahlbezirke, steht fest, dass der Wähleranteil der Sozialdemokraten von über 42 Prozent auf unter 30 Prozent fällt. Bei Redaktionsschluss waren es 28,7 Prozent. Sie liegen damit Kopf an Kopf mit der Mitte-rechts-Koalition “Demokratische Allianz”, deren Wähleranteil ebenfalls bei 28,7 Prozent liegt. Auch für sie bedeutet dieses Resultat einen leichten Rückgang des Wähleranteils.
Die große Gewinnerin heißt Chega, deren Parteinamen auf Deutsch mit “jetzt reicht’s” übersetzt werden kann. Nach der Auszählung fast aller Stimmen steht ihr Wähleranteil bei 18,1 Prozent – ein klarer Sprung nach vorne verglichen mit dem Wahlresultat von sieben Prozent in 2022. Gegründet wurde die Partei erst 2019 vom ehemaligen Sozialdemokraten André Ventura. Meinungsforschungsinstitute hatten diesen Rechtsrutsch im Vorfeld angekündigt.
Die Wahlen wurden ausgerufen, nachdem der Name des Ministerpräsidenten António Costa im November 2023 im Zusammenhang mit Korruptionsermittlungen genannt wurde, worauf dieser seinen Rücktritt bekannt gab. Nach aktuellem Ermittlungsstand hat er sich laut DPA aber nichts zuschulden kommen lassen. Costa, der sich Chancen auf das Amt des Präsidenten des Europäischen Rats ausrechnet, war seit 2015 Ministerpräsident Portugals. In dieser Zeit zeichnete sich Portugal im EU-Vergleich durch überdurchschnittliches Wachstum aus, was auch zu tieferen öffentlichen Schulden führte.
Laut DPA dürfte sich die Regierungsbildung schwierig gestalten. Weder Mitte-Links noch Mitte-Rechts kann ohne Zusammenarbeit mit Chega eine Koalition bilden. jaa
Der Sprecher von EVP-Fraktionschef Manfred Weber kandidiert für das Europaparlament. Dirk Gotink (42) soll die Liste von Pieter Omtzigts Partei Neuer Gesellschaftsvertrag bei den Europawahlen anführen. Der Niederländer Gotink ist seit 2018 Pressesprecher von Weber.
Man rechnet damit, dass die Liste von Omtzigt bei der Europawahl bis zu vier Sitze erobern kann. Omtzigt hat mit seiner erstmals 2023 bei der Parlamentswahl in den Niederlanden angetretenen Partei knapp 13 Prozent der Stimmen geholt. Er ist Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates und war Sonderermittler im Fall der ermordeten maltesischen Journalistin Daphne Caruana Galizia.
Omtzigt hat bereits die Aufnahme seiner Partei in der christdemokratischen Parteienfamilie EVP beantragt. Omtzigt war früher Abgeordneter für den Christen-Demokratisch Appèl (CDA) im niederländischen Parlament. Auch die Bauernpartei BBB hat bereits ihre Aufnahme in die EVP beantragt. Alle Mitgliedsparteien der EVP müssen satzungsgemäß der Aufnahme einer neuen Mitgliedspartei zustimmen. Die CDA hat kräftig an Einfluss eingebüßt. Von 1977 bis 1994 stellte sie den Premierminister. Nach den Umfragen dürfte sie im neuen Europaparlament mit zwei Abgeordneten vertreten sein. mgr
Nach dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron haben sich auch Liberale und Grüne im Europaparlament dafür ausgesprochen, das Recht auf Abtreibung in die EU-Grundrechtecharta aufnehmen zu lassen. “Das Recht auf sicheren Schwangerschaftsabbruch gehört als Grundrecht in die EU-Charta”, sagte die Grünen-Fraktionsvorsitzende Terry Reintke dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND/Sonntag). Das Recht auf körperliche Selbstbestimmung von Frauen dürfe nicht von politischen Mehrheiten abhängen, sagte sie.
Auch die Vorsitzende der Liberalen, Renew-Fraktionschefin Valérie Hayer, sagte dem RND, dass sie den Vorstoß Macrons unterstütze: “Während die radikale Rechte hart daran arbeitet, neue Wege zu finden, um ihre reaktionäre Agenda durchzusetzen, müssen wir in einer wirklich liberalen Gesellschaft entschlossener denn je für die Rechte der Frauen eintreten: Das Recht auf Abtreibung muss in die EU-Grundrechtecharta verankert werden, denn Frauenrechte dürfen wir niemals den Populisten überlassen.”
Macron hatte am Freitag erklärt, die Freiheit, einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen, solle in die Charta der Grundrechte der EU aufgenommen werden. Davor hatten am Montag die beiden französischen Parlamentskammern mit breiter Mehrheit dafür gestimmt, das Recht auf Abtreibung in der Verfassung des Landes zu verankern. Die EU-Grundrechtecharta ist nach Angaben der Bundeszentrale für politische Bildung für alle Staaten der Europäischen Union außer Polen verbindlich.
Am Freitag (8. März) erklärte der schweizerische Außenminister Ignazio Cassis an einer Pressekonferenz, dass der schweizerische Bundesrat sich für ein Verhandlungsmandat entschieden hat, das die bilateralen Beziehungen zur EU stabilisieren und den schweizerischen Binnenmarktzugang sichern soll.
Die Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU sind über eine Vielzahl von bilateralen Verträgen geregelt. Im Mai 2021 hatte der Bundesrat die langjährigen Verhandlungen für ein institutionelles Rahmenabkommen mit der EU abgebrochen. Das Rahmenabkommen hatte zum Ziel gehabt, die Übernahme von Binnenmarktrecht durch die Schweiz sowie die Streitbeilegung besser zu regeln. Insbesondere die Rolle des Europäischen Gerichtshofs und Sorgen um den Lohnschutz schürten innenpolitischen Widerstand.
Nun setzt die Schweizer Regierung auf einen Ansatz, in dem die institutionellen Fragen in jedem Marktzugangsabkommen einzeln geregelt werden. Zusätzlich zu den aktuellen Marktzugangsabkommen will die Schweizer Regierung ein Stromabkommen mit der EU verhandeln.
Das Verhandlungsmandat ist das Resultat eines langen Sondierungsprozesses mit der Europäischen Kommission. Sobald der EU-Rat ebenfalls ein neues Mandat verabschiedet, können die Verhandlungen beginnen. Laut Bundesrat soll dies schon im Verlaufe dieses Monats geschehen. jaa
Schlagzeug oder Wirtschaftsstudium – ganz so klar war der Weg für Morten Petersen nach der Schule nicht. “Ich war ein begeisterter Schlagzeuger, hatte aber auch Interesse an Regierungsangelegenheiten”, erinnert er sich. Das Interesse an Wirtschaft und Politik überwog dann doch, ganz zur Erleichterung seiner Eltern: “Ich höre immer noch ihr Aufatmen”. Mit dem Schlagzeugspielen aufgehört hat er aber nie. Noch heute liegen in seinem Haus überall Drumsticks herum, erzählt er. Auch in seinem Büro. “Es ist eine andere Sprache, ich bin an Wörter, Lesen und Schreiben gewöhnt, und die Musik ist eine ganz andere Welt, in die ich eintreten kann.”
Eine andere Welt als sein Alltag als EU-Parlamentarier. Gesetze und Debatten prägen seine Arbeit als Berichterstatter und stellvertretender Vorsitzender im Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie. Petersen ist einer derjenigen, die ganz nah an den Gesetzestexten arbeiten. Seine Themen: Energie und Klima.
Das war nicht immer so. Nach seinem Studium arbeitete er zunächst als Berater in einer Arbeitgeberorganisation, bevor er für die Partei Radikale Venstre ins Parlament in Kopenhagen einzog. Darauf folgten fünf Jahre in Brüssel bei einem Verband für Internetmedien. Hier bekam er Lust auf europäische Politik, sagt er: “Es hat mir die Augen geöffnet, dass so viel von dem, was wir im dänischen Parlament tun, mit Brüssel verbunden ist.” 2014 zog er ins Europäische Parlament, seit 2019 ist er Teil der liberalen Renew-Fraktion.
Seit zehn Jahren sitzt Petersen nun im Parlament. In dieser Zeit war er als Berichterstatter an vielen Initiativen der grünen Transformation der EU beteiligt, wie die europäische Strategie für erneuerbare Offshore-Energie oder die Überarbeitung der Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden. Zuletzt stand besonders der Energiemarkt im Fokus. Im Dezember einigten sich Kommission, Parlament und Rat vorläufig auf eine Reform. “Für die letzte haben wir drei Jahre gebraucht”, sagt er. Wegen des Kriegs in der Ukraine und der hohen Gaspreise ging es diesmal schneller. Er ist zufrieden mit der Reform. “Es ist uns gelungen, die Grundlagen des Elektrizitätsmarkts zu bewahren und die Flexibilität für die Mitgliedstaaten zu erhalten”, sagt er.
In Hinblick auf die Europawahl 2024 hofft er, weiterhin “Green Issues” auf der Agenda für die nächste Legislaturperiode zu sehen. Dabei dürften aber auch die Menschen nicht vergessen werden, sagt er. Die Kommunikation ist ihm besonders wichtig. “Wir müssen sehr intensiv darüber nachdenken, wie wir vermeiden können, dass die Menschen denken, Brüssel zwinge ihnen alle möglichen Gesetze und Initiativen auf, ohne zu wissen, warum.”
Daran arbeiten wird das Parlament dann ohne Petersen. Er kandidiert kein weiteres Mal und scheidet im Sommer aus. Zehn Jahre Parlament seien genug. “Ich glaube immer, dass man sich nicht in dem, was man tut, festfahren sollte.” Und wie geht es dann weiter? “Mit dem Schlagzeug”, scherzt Petersen. Genau weiß er es noch nicht, den Energie- und Klimathemen möchte er aber treu bleiben – und auch die EU könnte weiterhin eine wichtige Rolle in seiner Arbeit spielen. Denn auch in Dänemark “gibt es das Bedürfnis, Brüssel besser zu verstehen”. Katharina Kausche
in dieser Woche will die EU-Kommission weitere Erleichterungen für die Bauern vorschlagen. Bei drei von neun Standards für den guten landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand von Flächen (GLÖZ) will sie bis zum Ende der Periode der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) 2027 Ausnahmen zulassen. Es geht unter anderem um die Vorschriften, einen Teil der Fläche brach liegen zu lassen (GLÖZ 8) und um die Regeln für die Bodenbedeckung (GLÖZ 6).
Zwei weitere Entscheidungen, die im Parlament fallen, haben die Bauern im Blick. So stimmen die Abgeordneten am Dienstag über die Industrieemissionsrichtlinie ab. Dabei dürfte es eine Mehrheit für die Version geben, die Rat und Parlament ausgehandelt haben. Sollte es so kommen, müssen Schweine- und Geflügelhalter mit neuen Auflagen rechnen. Rinderzüchtern ging es besser, sie sind außen vor bei dieser Richtlinie.
Am Mittwoch wird es eng, wenn das Parlament über die Verlängerung der Zollfreiheit für Produkte und Dienstleistungen aus der Ukraine abstimmt. Gerade in den Mitgliedstaaten, die an das von Putin angegriffene Land grenzen, gibt es massiven Unmut wegen Agrarimporten zu Dumpingpreisen. Die Abgeordneten aus Polen und Rumänien wollen deswegen dagegen stimmen, dem kriegsgeplagten Land weiter die Erleichterung zu gewähren. Vor allem Getreide aus der Ukraine, das zu günstigen Preisen auf den Markt kommt, macht den Landwirten zu schaffen. Die Abstimmung könnte scheitern. Die Kommission steht unter Druck. Kommt sie Polen und Rumänien noch entgegen? Etwa indem sie Getreide aufkauft und zwischenlagert, um die Preise zu stabilisieren?
Einen guten Start in die Woche!
Valérie Hayer wählte einen drastischen Vergleich: “Gestern Daladier und Chamberlain, heute Le Pen und Orbán (…) Wir sind in München im Jahr 1938”, sagte die Spitzenkandidatin der Renaissance-Partei zum Auftakt ihres Wahlkampfes für die Europawahl. Sie verglich die Positionierung des Rassemblement National (RN) zum russischen Krieg gegen die Ukraine mit der europäischen Appeasementpolitik vor dem Zweiten Weltkrieg und setzte damit den Ton für die kommenden Wochen.
Die Vorsitzende der Renew-Fraktion im Europaparlament sprach am Samstag vor 3000 Aktivisten und 29 Regierungsmitgliedern, die nach Lille gekommen waren. Europaabgeordnete wie Pascal Canfin, der Vorsitzende des Umweltausschusses, und EU-Kommissar Thierry Breton waren ebenfalls anwesend. Die prominenten Teilnehmer zeigen, wie ernst die Partei von Präsident Emmanuel Macron die Bedrohung durch den RN nimmt. Das RN führt die Umfragen in Frankreich seit Wochen an und könnte bis zu 30 Prozent der Stimmen auf sich vereinen, zehn Prozentpunkte mehr als Renaissance.
Die politische Herausforderung für Renaissance ist also riesig. Das erklärt auch die Rhetorik, die oft alarmistisch ist: “Selten, vielleicht sogar nie zuvor in der 80-jährigen Geschichte unseres Europas, war die Stunde so ernst”, rief Premierminister Gabriel Attal aus und verwies auf die Bomben, die auf die Ukraine fielen. Seine Generation lehne es ab, “in einem Europa alt zu werden, das Massaker zulassen und zum Vasallen Russlands werden könnte”, fuhr er fort.
Hayer und Attal kündigten eine Rede an, die Emmanuel Macron anlässlich der Feierlichkeiten zum 80. Jahrestag der Landung der Alliierten an den Stränden der Normandie halten wird. Diese Rede soll laut den Organisatoren “der Höhepunkt” der Wahlkampagne sein.
Die Feierlichkeiten, an denen zahlreiche ausländische Staatsoberhäupter teilnehmen werden, finden am 6. Juni 2024 statt, drei Tage, bevor die französischen Wähler an die Urnen gehen. Die Landungszeremonien bestimmen seit jeher den Rhythmus des innenpolitischen Lebens Frankreichs, da sie eine Gelegenheit bieten, an die einigende Figur von General De Gaulle zu erinnern.
Der Krieg in der Ukraine wird somit zum roten Faden der Renaissance-Kampagne. Auffallend war dabei, dass Deutschland in den offiziellen Reden in Lille keine Erwähnung fand. Die Partei, die für sich in Anspruch nimmt, die einzige wirklich europäische Partei Frankreichs zu sein, erwähnte das deutsch-französische Tandem mit keinem Wort. In einem Film, der die Arbeit des französischen Präsidenten für Europa vorstellt, sieht man, wie er Angela Merkel umarmt und nicht Olaf Scholz.
Tatsächlich ist das Unverständnis unter Aktivisten und Regierungsmitgliedern gegenüber der Bundesregierung groß. Ein Mitglied eines Ministerkabinetts kritisierte, dass Berlin es vorgezogen hat, Rüstungsgüter von den USA und nicht von Europa zu kaufen. Ein Abgeordneter unterschied zwischen der Außenministerin und dem Bundeskanzler. “Annalena Baerbock hat die Herausforderungen richtig eingeschätzt im Gegensatz zu Olaf Scholz”, sagt er.
Im März wird die Partei versuchen, Valérie Hayer durch eine “Vor-Ort-Kampagne” in ganz Frankreich bekannt zu machen. Dies wird auch eine Gelegenheit sein, auf die Europawahlen hinzuweisen, die noch immer “weitgehend unbekannt” seien.
Um dem Wahlsieg des RN so gut wie möglich entgegenzuwirken, wird Renaissance die Gebiete ins Visier nehmen, in denen die Partei bei den jüngsten beiden Präsidentschaftswahlenam besten abgeschnitten hat. Die Wählerschaft der Macronisten liege in einem als “großer Westen” bezeichneten Gebiet, sagt einer der Organisatoren. Es reiche von der Hafenstadt Le Havre in der Normandie, der Hochburg des ehemaligen Premierministers Edouard Philippe, bis nach Pau im Südwesten des Landes, wo mit François Bayrou ein anderer wichtiger politischer Verbündeter Emmanuel Macrons seine Hochburg hat.
Zudem wird sich die Partei auf die Erstellung der Wahlliste konzentrieren, was derzeit zu Spannungen zwischen den drei Koalitionsparteien Renaissance, Horizon (Partei von Edouard Philippe) und Modem (Partei von François Bayrou) führt. Im Mai kommt es dann zum “Endspurt” der Kampagne, die in den Feierlichkeiten zum 80. Jahrestag der Landung in der Normandie kulminieren soll.
Der Spezialchemiekonzern Evonik liefert Katalysatoren, Additive für Autolacke oder Kohlenstoff-Silizium-Verbundstoffe, die Batterien leistungsfähiger machen. Viele Produkte des Konzerns sind weltweit gefragt. Auch in einem anderen Bereich gilt das Unternehmen mit Hauptsitz in Essen als Vorbild. Dort gibt es bereits seit 1995 ein Europaforum, ein europäisches Gremium mit Beschäftigten- und Managementvertretern. Es wird regelmäßig informiert und angehört, etwa bei länderübergreifenden Umstrukturierungen.
“Bei uns in der Firma war das nie ein Thema, dass wir zu allen Themen informiert, abgeholt und angehört werden“, erzählt Matthias Krebs, seit 2015 für die Arbeitnehmerseite in dem Gremium. Seit vergangenem Herbst ist er sogar Vorsitzender jenes Europabetriebsrats der Evonik AG.
Frühzeitige Informationen und Einbeziehung, bevor Entscheidungen von der Konzernseite getroffen werden – das sollte eigentlich schon jetzt flächendeckend in der EU in Europabetriebsräten der Fall sein. Dieses Gremium kann auf Antrag von Beschäftigten in Konzernen mit mehr als 1.000 Mitarbeitenden, die mindestens in zwei Mitgliedstaaten tätig sind, etabliert werden. Er wird zu länderübergreifenden Themen konsultiert. Etwa bei Standortschließungen in mehreren Staaten oder Verlagerungen. Aktuell gibt es mehr als 1000 solcher Gremien. Anders als beim Europaforum von Evonik werden aber meistens nur Beschäftigtenvertreter entsandt.
Im Gegensatz zu deutschen Betriebsräten haben die Eurobetriebsräte kein Mitbestimmungs-, sondern nur ein Anhörungs- und Konsultationsrecht. Doch auch bei der Umsetzung dieser begrenzten Rechte hapert es nach Sicht von Kritikern zu oft. So kommt eine von der Kommission beauftragte Studie aus 2016 zu dem Ergebnis, dass nur ein Fünftel der befragten Eurobetriebsräte vor einer Entscheidung des Managements konsultiert wurde.
Auch der langjährige Berater von Eurobetriebsräten, Hellmut Gohde, sagt: “Manchmal waren etwa deutsche Mitglieder bei einer Eurobetriebsratssitzung in Paris oder London, und noch während die Sitzung läuft, erfahren die Beschäftigten im Heimatland per E-Mail, dass es ihren Arbeitsplatz nicht mehr gibt.” Solche Extremfälle seien zwar nicht die gängige Praxis. “Aber die Frustration über die eigene begrenzte Gestaltungsmöglichkeiten, die dann auch teils umgangen wird, die ist bei vielen schon groß”, sagt Gohde.
Nach einem Initiativantrag des Europaparlaments aus dem vergangenen Jahr hat nun auch die EU-Kommission ihre Vorschläge vorgelegt, wie sie die Rechte von europäischen Betriebsräten verbessern will. Zum einen fordert die Kommission in ihrem Vorschlag, dass europäische Betriebsräte informiert werden müssen, bevor die finale Entscheidung etwa über eine Standortschließung gefallen ist. Auf Stellungnahmen dazu sollen sie künftig verpflichtend eine Antwort erhalten, ebenfalls bevor die Entscheidung final getroffen ist. Mitbestimmungsrechte, wie bei deutschen Betriebsräten, gibt es in der Richtlinie weiter keine.
Der zweite wichtige Punkt: schärfere Sanktionen. Zwar werden die Staaten auch schon in der überarbeiteten Richtlinie aus 2009 angehalten, “wirksame, verhältnismäßige und abschreckende” Sanktionen einzuführen. Die Kommission sieht hier aber Umsetzungsdefizite. In Deutschland gibt es beispielsweise eine Höchststrafe von gerade einmal 15.000 Euro.
Der zuständige Berichterstatter Dennis Radtke (CDU), der auch den Initiativbericht des Parlaments verantwortet hat, betont: “Angesichts dieser Strafen kann man sich die Zeit und Energie für ein Verfahren vor dem Arbeitsgericht auch sparen. Das sind keine Handwerksbetriebe, sondern multimillionen Euro schwere, börsennotierte Unternehmen.”
Bei dem Thema zeichnet sich schon jetzt ein erster möglicher Konflikt auch für spätere Verhandlungen mit dem Rat ab. Denn das Parlament hat in seinem Initiativbericht von 2023 sogar Strafen analog zu den Strafgeldern der Datenschutzgrundverordnung gefordert. Dort geht es in besonders schweren Fällen um bis zu vier Prozent des weltweiten Umsatzes. Das dürfte vielen Staaten nicht sonderlich schmecken. Als Art Kompromiss will die Kommission keine konkreten Beträge festschreiben. Ihrer Vorstellung nach sollen sich die Strafen künftig aber etwa nach dem Jahresumsatz, der Dauer und der Schwere des Verstoßes richten.
Ein weiterer wichtiger Aspekt für Berichterstatter Radtke und die Kommission: Ein besserer und vor allem geregelter Zugang zu Gerichten. Nicht immer ist nämlich klar, welches Gericht überhaupt zuständig ist. Beispiel British Airways: Der Eurobetriebsrat klagte 2020 vor dem nationalen Arbeitsgericht Madrid, weil er bei einer geplanten Massenentlassung von rund 12.000 Mitarbeitenden nicht angehört worden war. Das Gericht erklärte sich zunächst für nicht zuständig.
Erst ein Berufungsverfahren beim Obersten Gerichtshof stellte fest, dass jenes nationale Arbeitsgericht sehr wohl die richtige Instanz war. Das Urteil erging dann im vergangenen Herbst – und endete mit einem Sieg des Eurobetriebsrats. Für die Entlassenen war es da schon viel zu spät. Gegen Irland läuft aktuell gar ein Vertragsverletzungsverfahren, weil Eurobetriebsräte dort quasi keinen Zugang zu regulären Gerichten haben.
Für den Eurobetriebsratsberater Hellmut Gohde ist die nun anstehende Novelle längst überfällig: “Viele Eurobetriebsräte warten schon seit Jahren auf eine Reform.” Besonders lobt er, dass die Pläne der Kommission auch eine Kostenübernahme bei Rechtsstreits durch die Unternehmen vorsieht. “Ich habe als Berater immer wieder auch Kontakt zu Anwälten hergestellt. Und die erste Frage ist immer die gleiche: Wer zahlt meine Rechnung?”
Fast spiegelbildlich dazu fällt dagegen die Reaktion der Arbeitgeberseite aus. Sie sieht keine Notwendigkeit zur Reform. So argumentiert Business Europe, dass die meisten europäischen Betriebsräte zufriedenstellend arbeiteten und es deswegen recht wenige Verfahren vor Gerichten gebe.
Besonders kritisch sieht der Verband, dass Arbeitnehmervertreter künftig zwingend vor wichtigen Entscheidungen angehört werden sollen – und unter Umständen auch einen erweiterten Zugang zu Informationen bekommen sollen. “Eine wirksame grenzüberschreitende Information und Anhörung der Arbeitnehmer soll erfolgen, ohne die Entscheidungsprozesse und Umsetzung von Entscheidungen in Unternehmen zu verzögern“, argumentiert Business Europe. Die Frage nach der Höhe der Sanktionen hält der Verband zudem für Sache der Mitgliedsstaaten.
CDU-Berichterstatter Radtke betont dagegen: “Der eigentliche Wert dieser Gremien wird nicht gesehen. Auch in sehr schwierigen Situationen wie Massenentlassungen führen sie dazu, dass wir relativ großen sozialen Frieden haben.” Nicht nur die Arbeitnehmer-, auch die Kapitalseite profitiere davon,
Dem pflichtet auch Evonik-Eurobetriebsrat Krebs zu. Er sagt: “Irgendwann muss ohnehin die Katze aus dem Sack. Je früher ich die Mitbestimmung ins Boot hole, desto früher kann ich sozialverträgliche Vereinbarungen erarbeiten. Das schafft Vertrauen.”
Aktuell arbeitet der Beschäftigungsausschuss (EMPL) des Parlaments an seinem Standpunkt zum Vorschlag der Kommission. Dort sind die Abgeordneten der Reform überwiegend positiv gesinnt, selbst Parlamentarier aus dem liberalen und konservativen Spektrum. Jozef Mihál, der slowakische Schattenberichterstatter von Renew, erklärt auf Anfrage etwa, dass die Novelle “ein notwendiger Schritt” sei, um sicherzustellen, dass das Recht der Arbeitnehmer auf Unterrichtung und Anhörung überall in der EU durchgesetzt wird.
Er hat Änderungseinträge eingebracht, die eine zu weit gefasste Definition von länderübergreifenden Angelegenheiten verhindern soll. Zudem plädiert er für mehr außergerichtliche Schlichtungsmechanismen und eine Deckelung der geplanten Kostenerstattungsfähigkeit der europäischen Betriebsräte.
Die Grüne Vize-Vorsitzende des EMPL, Katrin Langensiepen, sagt, dass es besonders wichtig sei, dass die Sanktionen erhöht werden. “Außerdem sollen Franchise-Unternehmen in den Anwendungsbereich der Richtlinie eingebunden werden, um sicherzustellen, dass auch sie an die Anforderungen der Richtlinie gebunden sind.” Auch die polnische PiS-Abgeordnete Elżbieta Rafalska hatte bei einer früheren Debatte im Beschäftigungsausschuss betont, dass sie sich die Einbeziehung von Franchise-Unternehmen wünsche.
An einer Stelle möchte CDU-Berichterstatter Radtke den Vorschlag der Kommission allerdings abschwächen: “Es sollte nicht zu einer zwingenden Neuverhandlung aller Altvereinbarungen kommen. Das will niemand. Weder Gewerkschafts- noch die Unternehmensseite.” Noch in dieser Legislatur will der CDU-Abgeordnete mit einer ersten Lesung des Textes im Parlament fertig werden.
Bei den portugiesischen Wahlen vom Sonntag (10. März) fahren die regierenden Sozialdemokraten eine herbe Niederlage ein. Nach der Auszählung der Stimmen in über 98 Prozent der Wahlbezirke, steht fest, dass der Wähleranteil der Sozialdemokraten von über 42 Prozent auf unter 30 Prozent fällt. Bei Redaktionsschluss waren es 28,7 Prozent. Sie liegen damit Kopf an Kopf mit der Mitte-rechts-Koalition “Demokratische Allianz”, deren Wähleranteil ebenfalls bei 28,7 Prozent liegt. Auch für sie bedeutet dieses Resultat einen leichten Rückgang des Wähleranteils.
Die große Gewinnerin heißt Chega, deren Parteinamen auf Deutsch mit “jetzt reicht’s” übersetzt werden kann. Nach der Auszählung fast aller Stimmen steht ihr Wähleranteil bei 18,1 Prozent – ein klarer Sprung nach vorne verglichen mit dem Wahlresultat von sieben Prozent in 2022. Gegründet wurde die Partei erst 2019 vom ehemaligen Sozialdemokraten André Ventura. Meinungsforschungsinstitute hatten diesen Rechtsrutsch im Vorfeld angekündigt.
Die Wahlen wurden ausgerufen, nachdem der Name des Ministerpräsidenten António Costa im November 2023 im Zusammenhang mit Korruptionsermittlungen genannt wurde, worauf dieser seinen Rücktritt bekannt gab. Nach aktuellem Ermittlungsstand hat er sich laut DPA aber nichts zuschulden kommen lassen. Costa, der sich Chancen auf das Amt des Präsidenten des Europäischen Rats ausrechnet, war seit 2015 Ministerpräsident Portugals. In dieser Zeit zeichnete sich Portugal im EU-Vergleich durch überdurchschnittliches Wachstum aus, was auch zu tieferen öffentlichen Schulden führte.
Laut DPA dürfte sich die Regierungsbildung schwierig gestalten. Weder Mitte-Links noch Mitte-Rechts kann ohne Zusammenarbeit mit Chega eine Koalition bilden. jaa
Der Sprecher von EVP-Fraktionschef Manfred Weber kandidiert für das Europaparlament. Dirk Gotink (42) soll die Liste von Pieter Omtzigts Partei Neuer Gesellschaftsvertrag bei den Europawahlen anführen. Der Niederländer Gotink ist seit 2018 Pressesprecher von Weber.
Man rechnet damit, dass die Liste von Omtzigt bei der Europawahl bis zu vier Sitze erobern kann. Omtzigt hat mit seiner erstmals 2023 bei der Parlamentswahl in den Niederlanden angetretenen Partei knapp 13 Prozent der Stimmen geholt. Er ist Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates und war Sonderermittler im Fall der ermordeten maltesischen Journalistin Daphne Caruana Galizia.
Omtzigt hat bereits die Aufnahme seiner Partei in der christdemokratischen Parteienfamilie EVP beantragt. Omtzigt war früher Abgeordneter für den Christen-Demokratisch Appèl (CDA) im niederländischen Parlament. Auch die Bauernpartei BBB hat bereits ihre Aufnahme in die EVP beantragt. Alle Mitgliedsparteien der EVP müssen satzungsgemäß der Aufnahme einer neuen Mitgliedspartei zustimmen. Die CDA hat kräftig an Einfluss eingebüßt. Von 1977 bis 1994 stellte sie den Premierminister. Nach den Umfragen dürfte sie im neuen Europaparlament mit zwei Abgeordneten vertreten sein. mgr
Nach dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron haben sich auch Liberale und Grüne im Europaparlament dafür ausgesprochen, das Recht auf Abtreibung in die EU-Grundrechtecharta aufnehmen zu lassen. “Das Recht auf sicheren Schwangerschaftsabbruch gehört als Grundrecht in die EU-Charta”, sagte die Grünen-Fraktionsvorsitzende Terry Reintke dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND/Sonntag). Das Recht auf körperliche Selbstbestimmung von Frauen dürfe nicht von politischen Mehrheiten abhängen, sagte sie.
Auch die Vorsitzende der Liberalen, Renew-Fraktionschefin Valérie Hayer, sagte dem RND, dass sie den Vorstoß Macrons unterstütze: “Während die radikale Rechte hart daran arbeitet, neue Wege zu finden, um ihre reaktionäre Agenda durchzusetzen, müssen wir in einer wirklich liberalen Gesellschaft entschlossener denn je für die Rechte der Frauen eintreten: Das Recht auf Abtreibung muss in die EU-Grundrechtecharta verankert werden, denn Frauenrechte dürfen wir niemals den Populisten überlassen.”
Macron hatte am Freitag erklärt, die Freiheit, einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen, solle in die Charta der Grundrechte der EU aufgenommen werden. Davor hatten am Montag die beiden französischen Parlamentskammern mit breiter Mehrheit dafür gestimmt, das Recht auf Abtreibung in der Verfassung des Landes zu verankern. Die EU-Grundrechtecharta ist nach Angaben der Bundeszentrale für politische Bildung für alle Staaten der Europäischen Union außer Polen verbindlich.
Am Freitag (8. März) erklärte der schweizerische Außenminister Ignazio Cassis an einer Pressekonferenz, dass der schweizerische Bundesrat sich für ein Verhandlungsmandat entschieden hat, das die bilateralen Beziehungen zur EU stabilisieren und den schweizerischen Binnenmarktzugang sichern soll.
Die Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU sind über eine Vielzahl von bilateralen Verträgen geregelt. Im Mai 2021 hatte der Bundesrat die langjährigen Verhandlungen für ein institutionelles Rahmenabkommen mit der EU abgebrochen. Das Rahmenabkommen hatte zum Ziel gehabt, die Übernahme von Binnenmarktrecht durch die Schweiz sowie die Streitbeilegung besser zu regeln. Insbesondere die Rolle des Europäischen Gerichtshofs und Sorgen um den Lohnschutz schürten innenpolitischen Widerstand.
Nun setzt die Schweizer Regierung auf einen Ansatz, in dem die institutionellen Fragen in jedem Marktzugangsabkommen einzeln geregelt werden. Zusätzlich zu den aktuellen Marktzugangsabkommen will die Schweizer Regierung ein Stromabkommen mit der EU verhandeln.
Das Verhandlungsmandat ist das Resultat eines langen Sondierungsprozesses mit der Europäischen Kommission. Sobald der EU-Rat ebenfalls ein neues Mandat verabschiedet, können die Verhandlungen beginnen. Laut Bundesrat soll dies schon im Verlaufe dieses Monats geschehen. jaa
Schlagzeug oder Wirtschaftsstudium – ganz so klar war der Weg für Morten Petersen nach der Schule nicht. “Ich war ein begeisterter Schlagzeuger, hatte aber auch Interesse an Regierungsangelegenheiten”, erinnert er sich. Das Interesse an Wirtschaft und Politik überwog dann doch, ganz zur Erleichterung seiner Eltern: “Ich höre immer noch ihr Aufatmen”. Mit dem Schlagzeugspielen aufgehört hat er aber nie. Noch heute liegen in seinem Haus überall Drumsticks herum, erzählt er. Auch in seinem Büro. “Es ist eine andere Sprache, ich bin an Wörter, Lesen und Schreiben gewöhnt, und die Musik ist eine ganz andere Welt, in die ich eintreten kann.”
Eine andere Welt als sein Alltag als EU-Parlamentarier. Gesetze und Debatten prägen seine Arbeit als Berichterstatter und stellvertretender Vorsitzender im Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie. Petersen ist einer derjenigen, die ganz nah an den Gesetzestexten arbeiten. Seine Themen: Energie und Klima.
Das war nicht immer so. Nach seinem Studium arbeitete er zunächst als Berater in einer Arbeitgeberorganisation, bevor er für die Partei Radikale Venstre ins Parlament in Kopenhagen einzog. Darauf folgten fünf Jahre in Brüssel bei einem Verband für Internetmedien. Hier bekam er Lust auf europäische Politik, sagt er: “Es hat mir die Augen geöffnet, dass so viel von dem, was wir im dänischen Parlament tun, mit Brüssel verbunden ist.” 2014 zog er ins Europäische Parlament, seit 2019 ist er Teil der liberalen Renew-Fraktion.
Seit zehn Jahren sitzt Petersen nun im Parlament. In dieser Zeit war er als Berichterstatter an vielen Initiativen der grünen Transformation der EU beteiligt, wie die europäische Strategie für erneuerbare Offshore-Energie oder die Überarbeitung der Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden. Zuletzt stand besonders der Energiemarkt im Fokus. Im Dezember einigten sich Kommission, Parlament und Rat vorläufig auf eine Reform. “Für die letzte haben wir drei Jahre gebraucht”, sagt er. Wegen des Kriegs in der Ukraine und der hohen Gaspreise ging es diesmal schneller. Er ist zufrieden mit der Reform. “Es ist uns gelungen, die Grundlagen des Elektrizitätsmarkts zu bewahren und die Flexibilität für die Mitgliedstaaten zu erhalten”, sagt er.
In Hinblick auf die Europawahl 2024 hofft er, weiterhin “Green Issues” auf der Agenda für die nächste Legislaturperiode zu sehen. Dabei dürften aber auch die Menschen nicht vergessen werden, sagt er. Die Kommunikation ist ihm besonders wichtig. “Wir müssen sehr intensiv darüber nachdenken, wie wir vermeiden können, dass die Menschen denken, Brüssel zwinge ihnen alle möglichen Gesetze und Initiativen auf, ohne zu wissen, warum.”
Daran arbeiten wird das Parlament dann ohne Petersen. Er kandidiert kein weiteres Mal und scheidet im Sommer aus. Zehn Jahre Parlament seien genug. “Ich glaube immer, dass man sich nicht in dem, was man tut, festfahren sollte.” Und wie geht es dann weiter? “Mit dem Schlagzeug”, scherzt Petersen. Genau weiß er es noch nicht, den Energie- und Klimathemen möchte er aber treu bleiben – und auch die EU könnte weiterhin eine wichtige Rolle in seiner Arbeit spielen. Denn auch in Dänemark “gibt es das Bedürfnis, Brüssel besser zu verstehen”. Katharina Kausche