dass Trilog-Einigungen nachträglich noch einmal geändert werden, ist unüblich. Doch ohne einen zusätzlichen Erwägungsgrund, der E-Fuels eine bessere Perspektive für die Nutzung in Lkw gibt, hätte die FDP wohl die Überarbeitung der CO₂-Flottengrenzwerte für schwere Nutzfahrzeuge im Rat blockiert.
Heute wird der zuständige Umweltausschuss im EU-Parlament über die Überarbeitung der Lkw-Flottenziele abstimmen. Den Ausschussmitgliedern wird die Version vorgelegt, die die EU-Botschafter am Freitag angenommen haben – also mit dem Erwägungsgrund zu E-Fuels, der ja eigentlich nicht Bestandteil der Trilog-Einigung war.
Zwar dürfte es den Gegnern von E-Fuels im Straßenverkehr nicht schmecken, dass der Rat sich auf Druck der FDP nicht an die geschlossene Trilog-Einigung gehalten hat. Doch die Alternative wäre noch schlimmer für sie: keine überarbeiteten Flottengrenzwerte mehr in dieser Legislatur. Also werden die Grünen zähneknirschend zustimmen. Die EVP unterstützt E-Fuels im Straßenverkehr zwar, hält den Text aber dennoch nicht für technologieoffen genug und will ihn ablehnen. Die Abstimmung dürfte also spannend werden.
Ich wünsche einen schönen Tag und viele neue Erkenntnisse beim Lesen.
Die Erleichterung der politischen Verantwortlichen ist groß, seit sich Europaparlament und EU-Rat in der Nacht auf Samstag auf eine Reform der Schuldenregeln geeinigt haben. Doch Ökonomen bewerten das Resultat, erreicht nach zähen Verhandlungen, kritisch.
Die meisten Ökonomen sind sich zwar einig: Die neuen Schuldenregeln sind besser als die aktuellen des Stabilitäts- und Wachstumspakts. Und zwar “um einiges”, wie Andreas Eisl, Forscher am Pariser Jacques Delors Institute, sagt. Denn: “Es ist sinnvoll, dass man stärker zwischen den Ländern differenziert.”
Die neuen Regeln orientieren sich an einer Schuldentragfähigkeitsanalyse, die für jedes Land individuell den budgetären Spielraum definieren soll. Gemeinsam mit den weniger drakonischen Strafen steigere dies die Chancen, dass die Regeln auch tatsächlich so angewendet würden, wie sie auf dem Papier stehen, so Eisl.
Cinzia Alcidi, Leiterin der wirtschaftspolitischen Abteilung am Centre for European Policy Studies (CEPS), bewertet die Individualisierung der Regeln ebenfalls positiv. Die neuen Regeln “schaffen ein Umfeld, in dem nationale Regierungen mehr Eigenverantwortung haben”, sagte Alcidi zu Table Media.
Die Reform hatte ursprünglich zum Ziel, auch die Komplexität der Regeln zu reduzieren. Dieses Ziel musste jedoch der politischen Kompromissfindung zwischen den Finanzministern geopfert werden. Die Sicherheitslinien, die unter anderem von Deutschland gefordert wurden, und die Ausnahmen, welche unter anderem die französische Regierung verlangte, um diese Sicherheitslinien zu akzeptieren, machen die neuen Regeln zu einem unübersichtlichen Ungetüm.
“Die Sicherheitslinien waren sicher notwendig, um zu einer politischen Einigung zu kommen, aber sie erhöhen die Komplexität”, sagte Alcidi. Zudem bedauert sie, dass das strukturelle Defizit nun wieder als relevante Größe in den Schuldenregeln vorkommt.
Der Einbezug des strukturellen Defizits in einer der Sicherheitslinien der neuen Regeln kritisiert auch Florian Schuster, Forscher am finanzpolitischen Thinktank Dezernat Zukunft: Es sei eine nicht-beobachtbare Größe, die man nur schätzen könne. “Die dafür verwendete Methodik weist viele Probleme auf – eins davon ist Prozyklizität. So müssen Defizite in Krisenzeiten übermäßig stark zurückgefahren werden”, sagt Schuster.
Eisl bedauert, dass die Chance verpasst wurde, die Schuldenregeln mit einer Diskussion zum EU-Budget zu verbinden. Man habe in der EU eine große Divergenz in den budgetären Spielräumen der einzelnen Mitgliedstaaten, aber gleichzeitig einen hohen Investitionsbedarf. “Meines Erachtens reicht die Reform der Fiskalregeln allein nicht aus”, sagte er und erklärte, dass einige Mitgliedstaaten auch ohne Fiskalregeln schlicht zu wenig finanziellen Spielraum hätten.
Eine Diskussion über zusätzliche Finanzierungsmöglichkeiten auf europäischer Ebene wäre laut Eisl angebracht gewesen, aber der politische Wille dazu fehlte. Eine Studie des Centre for European Reform (CER) schlug zum Beispiel vor, dass ein höheres EU-Budget dafür verwendet werden könnte, Länder finanziell zu belohnen, die sich finanzpolitisch sinnvoll verhalten.
Sorgen machen sich alle befragten Ökonomen über die Auswirkungen der neuen Schuldenregeln auf die Investitionen. “Die strikten Vorgaben für die jährliche Reduktion von Schuldenständen und Defiziten werden in hoch verschuldeten Ländern für erhebliche Ausgabenkürzungen sorgen – auch dort, wo es wirtschaftlich schadet”, befürchtet Schuster.
Auch Alcidi warnt vor einem Teufelskreis von zu wenig Investitionen und schwacher Wirtschaftskraft, die schlussendlich zu einer höheren Verschuldungsquote verglichen mit der Wirtschaftskraft führt.
Laut Strategic Foresight Report der Kommission benötigt die EU jährlich zusätzliche Investitionen von über 620 Milliarden Euro, um ihre Energie- und Klimaziele zu erreichen. Gleichzeitig läuft das Investitionsprogramm Next Generation EU im Jahr 2027 aus.
Keiner der befragten Ökonomen glaubt, dass die EU diese Zusatzinvestitionen unter den neuen Schuldenregeln tätigen kann, auch wenn ein Großteil davon Privatinvestitionen sein sollten. “Die Realität wird die sein, dass wir diese Investitionslücke nicht schließen werden“, warnt Eisl. “Mit den neuen Regeln gibt es keinen Spielraum für die hohen künftigen Finanzierungsbedarfe, der annähernd groß genug wäre”, erklärt Schuster.
Herr Edenhofer, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, müssten wir nicht nur Emissionen aus Industriesektoren vermeiden, sondern der Atmosphäre mehr CO₂ als wir ausstoßen. Wie kann das funktionieren?
Da gibt es zwei fundamentale Prinzipien. Das eine: Wer emittiert, muss zahlen. Das andere: Wer Kohlenstoffsenken bereitstellt, muss dafür entlohnt werden. Das gilt für Bauern, die am Horn von Afrika durch ihre Arbeit im Boden Kohlenstoff dauerhaft binden genauso wie für Leute, die mit technischen Filtern CO₂ aus der Atmosphäre entziehen und in geologischen Formationen lagern.
Wir reden über Milliardensummen.
Ja, denn wenn wir die globale Erwärmung langfristig auf 1,5 Grad begrenzen wollen, werden wir bis 2050 jährlich fünf bis 15 Milliarden Tonnen CO₂ aus der Atmosphäre holen müssen. Bei Preisen von 100 bis 300 US-Dollar pro Tonne CO₂ heißt das, wir müssten etwa eine halbe bis knapp vier Billionen Dollar für diese Müllabfuhr ausgeben. Das ist eine gigantische Summe, zwischen 0,3 und drei Prozent des weltweiten Bruttosozialprodukts – und etwa so viel wie die 2,2 Billionen Militärausgaben weltweit im Jahr 2022. Da entsteht ein gigantischer Wirtschaftssektor. Aber über diese Art von Klimafinanzierung redet auf den COPs noch keiner.
Warum wird diese Debatte nicht geführt?
Weil die Politik nicht konsequent ist. Wenn man sich die nationalen Klimabeiträge der Regierungen ansieht, sieht man eine Verbesserung. Aber die steht erstmal nur auf dem Papier.
Wenn man sich dann aber anschaut, was die Regierungen tatsächlich machen und es mit dem vergleicht, was ihre Ministerinnen und Minister auf der COP versprechen, dann werden die Versprechen unglaubwürdig. Sie machen buchstäblich das Gegenteil: Auf den Konferenzen reden sie über einen Ausstieg aus der Kohle und aus dem Öl, zu Hause machen sie Pläne für eine Ausweitung der Produktion.
Aber das wären ja alles versenktes Geld, wenn sich die Politik durchsetzt.
Ich glaube, die Märkte wetten darauf, dass die Klimapolitik nicht wirksam umgesetzt wird, weil sie die Versprechen der Regierung als nicht glaubwürdig einschätzen. Deswegen glaube ich nicht, dass wir auf den Höhepunkt der Produktion von Öl und Gas zusteuern, wie es die Internationale Energieagentur IEA sagt. Die Märkte zeigen bislang keine Bereitschaft, sich von den Fossilen zu verabschieden.
Sie meinen, die Märkte beeindruckt eine Passage in der COP-Abschlusserklärung nicht, die die Staaten auffordert, sich “von den Fossilen in einem Wandel wegzubewegen”?
Wenn die Regierungen wollen, dass die Märkte anders reagieren, dann müssen sie jetzt glaubwürdigere Beschlüsse fassen. Eine solche Glaubwürdigkeit kommt nicht aus immer neuen Zielen wie etwa der Verdreifachung der erneuerbaren Energien, die jetzt in Dubai beschlossen wurde. Das Bekenntnis zur Abkehr von fossilen Brennstoffen im Abschlussdokument der COP setzt ein wichtiges Zeichen.
Jetzt kommt es aber darauf an, dass diese Abkehr Realität wird – zum Beispiel, indem die Europäische Union ihren Green Deal durchsetzt. Wenn etwa beim zweiten Emissionshandel, der in der EU 2027 für den Gebäude- und Verkehrssektor eingeführt wird, die Preise für Öl und Gas steigen und die Importe in die EU sinken, hätte das einen Effekt auf die Märkte. Um zu verhindern, dass diese Einsparung nicht zu einem vermehrten Verbrauch etwa in Asien führt, müsste die USA ebenfalls mitmachen.
Wie soll das funktionieren?
Die EU könnte zusammen mit den USA eine Art Nachfragekartell bilden: Gelingt der Green Deal der EU und der Inflation Reduction Act der USA, sinkt glaubwürdig die Nachfrage nach den Fossilen. Andere Länder könnten sich einer CO₂-Bepreisung anschließen. Wie wirksam das sein kann, zeigt der Blick auf den Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) der Europäer: Allein die Ankündigung dieser CO₂-Grenzausgleichsregelung hat schon erhebliche Wirkungen ausgelöst. Indien erwägt eine nationale CO₂-Steuer, die Türkei einen nationalen Emissionshandel, in den USA denken sogar Republikaner darüber nach. In den Ländern des globalen Südens wollen manche mit der EU darüber sprechen. Auf den Märkten wird man Reaktionen sehen, sobald Instrumente glaubwürdig umgesetzt werden.
Aber warum ist es so schwierig, etwa einen CO₂-Preis einzuführen? Sie haben ja schon früher argumentiert, dass die Politik eigentlich nichts Besseres finden könnte: Emissionen senken und Einnahmen erzeugen, mit denen dann soziale Wohltaten finanziert werden können.
Man kann ja auf das Klimaproblem in zweierlei Weise gucken. Man kann sagen, wir wissen seit dem Klima-Report von Nicholas Stern von 2006, dass Handeln billiger ist als Nichthandeln. Das ist zwar richtig, aber die Vorteile der Klimapolitik sieht man in der Zukunft und anderswo, die Kosten fallen hier und jetzt an. Und zwar bei Gruppen, die sehr mächtig sind. Wer den fossilen Kapitalstock besteuern will, hat sofort die ganzen fossilen Sektoren gegen sich: die Autoindustrie oder die Baubranchen zum Beispiel. Das kann man nur überwinden, wenn man bereit ist, die potenziellen Verlierer – etwa Haus- oder Autobesitzer – zu kompensieren. Die Regierung hätte beim Heizungsgesetz, als es an den größten Bestandteil des volkswirtschaftlichen Kapitalstocks ging, sofort mit Kompensationen beginnen müssen.
Schlagen Sie so eine Kompensation auch im internationalen Maßstab vor?
Aus meiner Sicht ist das unverzichtbar. Wir brauchen Mechanismen, die Länder dabei unterstützen, dass sie ihre CO₂-Preise anheben. Ein Entwicklungsland kann nicht den gleichen CO₂-Preis haben wie die EU. Dafür muss es Fonds geben. Und die Klima-Entwicklungshilfe müsste daran gekoppelt sein, dass die Länder einen CO₂-Preis einführen. Solche an Bedingungen geknüpfte Hilfszahlungen sind ein Tabu, das ist mir klar. Aber so eine Art von Lastenausgleich wäre nötig und wirkungsvoll.
Das hieße, Industrieländer zahlen viele Milliarden, damit in Entwicklungsländern ein CO₂-Preis gilt, der so hoch ist wie bei uns?
Wir würden davon profitieren. Warum? Erstens, weil die anderen dann auch Klimapolitik betreiben. Und zweitens schützen wir unsere Industrie vor Wettbewerbsnachteil. Man kann damit Trittbrettfahrer aushebeln. Es wäre eine Kooperation, bei der alle gewinnen.
Der von der EU-Kommission im Frühjahr 2023 vorgelegte Entwurf der Green Claims-Richtlinie ist in den Beratungen der federführenden Ausschüsse des EU-Parlaments vereinfacht worden. Damit kommen die Parlamentarier der Industrie entgegen, die den Entwurf als überregulierend und kostspielig kritisiert hatte. Die bisher informelle Einigung soll am heutigen Mittwoch offiziell im Umwelt- und im Verbraucherschutzausschuss verabschiedet werden. Mitte März soll das Plenum über den Bericht abstimmen.
Mit der Green Claims-Richtlinie will die EU-Kommission falsche oder nicht belegbare umweltbezogene Aussagen in der Produktwerbung verbieten. Allgemeine Werbeclaims und Umweltsiegel, die ein Produkt beispielsweise als “klimaneutral”, “grün”, “zu 100 Prozent recycelt” oder “biologisch abbaubar” bezeichnen, sollen künftig nur noch zulässig sein, wenn deren Umweltwirkung wissenschaftlich verifiziert ist.
Laut einem Kompromisspapier, das Table.Media vorliegt, wollen die Abgeordneten vor allem die Zertifizierung von Umweltaussagen vereinfachen. Bisher war vorgesehen, dass Unternehmen für jede umweltbezogene Aussage eine Zertifizierung durch eine externe akkreditierte Stelle durchlaufen müssen – auch dann, wenn das Unternehmen bereits über ein Umweltsiegel für seinen Umwelt-Claim verfügt.
Nun soll lediglich das vorhandene Umweltsiegel diesen Prozess durchlaufen, um den Vorgang zu beschleunigen, sagt Pernille Weiss, dänische EVP-Abgeordnete im Umweltausschuss. Zertifiziert wird das Siegel aber nur dann, wenn es gewisse wissenschaftliche Kriterien erfüllt. Diese sollen von der EU-Kommission noch definiert werden. Zusätzlich soll die Brüsseler Behörde ein vereinfachtes Zertifizierungsprozedere für die gebräuchlichsten Claims entwickeln.
Ein weiteres Entgegenkommen betrifft kleine und mittlere Unternehmen (KMU). Unternehmen mit einem Umsatz in Höhe von bis zu zehn Millionen Euro pro Jahr oder mit zehn bis 50 Angestellten sollen ein Jahr mehr Zeit erhalten, die neuen Vorgaben umzusetzen. Für größere Unternehmen gelten weiter 30 Monate Umsetzungsfrist nach Inkrafttreten der Richtlinie. Kleinstunternehmen mit bis zu zehn Beschäftigten waren schon im Ursprungsentwurf der EU-Kommission von der Richtlinie ausgenommen.
Die Geldbuße in Höhe von mindestens vier Prozent des Jahresumsatzes, die Unternehmen bei Verstößen gegen die Richtlinie zahlen sollen, wird beibehalten. Weitgehend unverändert bleiben auch die Kommunikationspflichten der Unternehmen: Informationen über eine spezifische Umweltaussage sollen den Verbrauchern öffentlich zugänglich gemacht werden, entweder am Produkt selbst oder in Form eines Web-Links, eines QR-Codes oder eines digitalen Produktpasses.
Der Bericht zur Green-Claims-Richtlinie soll in der Woche vom 11. bis 14. März im Plenum des EU-Parlaments beraten werden. Für eine Verabschiedung noch in dieser Legislaturperiode ist es dann schon zu spät. Laut Informationen von Table.Media sollen die Trilogverhandlungen frühestens im Herbst beginnen. Beobachter rechnen damit, dass spätestens dann auch die hohen Geldbußen zur Disposition stehen. Kai Moll
Im Hin und Her um die Aussetzung der Regeln zu Brachflächen innerhalb der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) hat die Europäische Kommission ein Machtwort gesprochen. Die vorgeschlagene Ausnahmeregelung hatte unter den Mitgliedstaaten am Freitag nicht die nötige Mehrheit gefunden. Darüber hat sich die Kommission jetzt hinweggesetzt und die Lockerung im Alleingang in die Tat umgesetzt. Die Maßnahme biete “den Landwirten Flexibilität und belohnt sie gleichzeitig für ihre wichtige Arbeit”, begründete Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den Schritt.
Die Kommission hatte die Lockerung gegenüber dem ursprünglichen Vorschlag noch einmal ausgeweitet. Rückwirkend ab Januar 2024 können die EU-Länder es erlauben, auf vier Prozent der Ackerfläche Leguminosen oder Zwischenfrüchten anzubauen, statt dieselbe Fläche im Sinne der Biodiversität brachliegen zu lassen. Der CDU-Europaabgeordnete und Vorsitzende des Agrarausschusses, Norbert Lins, begrüßte die Ausnahmeregelung und rief die Bundesregierung dazu auf, diese vollständig umzusetzen.
Deutliche Kritik kommt dagegen von Bundesumweltministerin Steffi Lemke. Der Beschluss missachte, dass auch die Landwirtschaft nur dann eine Zukunft habe, wenn die Artenvielfalt “ausreichend geschützt” werde. Es sei “überraschend”, dass Brüssel die Maßnahme ohne ausreichende Mehrheit durchgesetzt habe, sagte auch ein Sprecher des Bundeslandwirtschaftsministeriums (BMEL) zu Table.Media. Die Bundesregierung hat bis zum 29. Februar Zeit, zu entscheiden, ob und wie sie die Ausnahmeregelung umsetzen will. Festlegen wollte sich der BMEL-Sprecher hierzu noch nicht.
Aus Ministeriumskreisen ist aber zu hören, dass das Haus die Frage mit der Debatte um die Ökoregelungen verknüpfen will – einem anderen Instrument für mehr Nachhaltigkeit in der GAP. Demnach komme es bei der möglichen Umsetzung der Ausnahme auch darauf an, wie “an anderer Stelle” Leistungen der Landwirte für die Artenvielfalt honoriert werden können – etwa durch die Einführung einer neuen Ökoregelung, die Bauernvertreter gefordert hatten. Hierzu will das BMEL nun in Gespräche mit den Ländern, der Branche und dem Bundesumweltministerium treten. jd
Ab 2027 wird das europäische Emissionshandelssystem für Gebäude und Verkehr (ETS 2) eingeführt. Die Verknüpfung mit einem nationalen CO₂-Mindestpreis könnte laut Experten das Preisniveau stabilisieren und so die Planbarkeit für private Haushalte und Unternehmen verbessern. Das geht aus einer Studie des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) und des Öko-Instituts hervor. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untersuchen darin, wie der Bundesemissionshandel (BEH) und das ETS 2 nach dessen Einführung zusammengeführt werden könnten.
Der ETS 2 wird entkoppelt vom bereits bestehenden EU-Emissionshandel für Energie und Industrie eingeführt und einen eigenen europaweiten CO₂-Preis bilden. Wo es bereits nationale CO₂-Preise für Gebäude und Verkehr gibt – darunter Deutschland – soll der ETS 2 diese ersetzen. Allerdings wird der Preis im deutschen BEH 2026 bereits bei bis zu 65 Euro pro Tonne liegen und damit womöglich höher sein als zu Beginn des ETS 2 (voraussichtlich etwa 45 Euro).
Um starke Schwankungen des CO₂-Preises zu verhindern, verursacht etwa durch politische Entscheidungen aus einzelnen Mitgliedstaaten, empfehlen die Studienautoren daher zusätzlich einen nationalen Mindestpreis über die Energiesteuer. Läge der Marktpreis im ETS 2 unter diesem Mindestpreis, würde ein Preisaufschlag erfolgen. Liegt der EU-weite Preis darüber, fiele der Aufschlag weg. Der Mindestpreis solle sich auf einem Niveau befinden, mit dem die nationalen Klimaziele erreicht werden können, heißt es in der Studie.
Eine genaue Zielmarke für den Preis geben FÖS und Öko-Institut jedoch nicht vor. Der Thinktank Agora Energiewende hatte vergangenes Jahr 120 Euro pro Tonne mit progressivem jährlichem Anstieg empfohlen.
FÖS und Öko-Institut sehen in dem Preisaufschlag auch ein Instrument, um Finanzmittel für den sozialen Ausgleich zu generieren – beispielsweise für ein Klimageld. Zwar geht ein Teil der Einnahmen aus dem ETS 2 in den Klimasozialfonds, jedoch sind diese zweckgebunden und können nicht für ein allgemeines Klimageld verwendet werden. Der Mindestpreis würde also zusätzlichen finanziellen Spielraum ermöglichen. Die schnelle Einführung des Klimageldes fordern die Studienautoren ausdrücklich.
Die Forscher betonen zudem, dass der Mindestpreis nur mit entsprechenden Kompensationsmaßnahmen für mittlere und untere Einkommensgruppen einhergehen dürfe. Bisherige Förderprogramme unterstützten vor allem Besserverdienende, beispielsweise beim Kauf eines neuen E-Autos. Es brauche daher zusätzliche Förderprogramme für niedrige und mittlere Einkommen, damit auch diese Verbräuche senken könnten und die sozial-ökologische Transformation gelinge, erklärten die Autoren. Als Beispiel nennen sie eine Kaufprämie für gebrauchte E-Autos. luk
Der AI Act hat eine weitere wichtige Hürde genommen: Die Abgeordneten in den beiden federführenden Ausschüssen für Binnenmarkt (IMCO) und Justiz (LIBE) haben den Kompromiss zum KI-Gesetz mit großer Mehrheit angenommen. Um 9:43 Uhr stand das Ergebnis fest: Von 86 abgegebenen Stimmen entfielen 71 auf Ja, bei acht Gegenstimmen und sieben Enthaltungen.
Damit ist der Weg frei für die Abstimmung im Plenum des Europaparlaments. Diese wird voraussichtlich in der Sitzung am 10. oder 11. April stattfinden. Anschließend muss der Text noch vom Rat endgültig gebilligt werden – eine Formsache, da die Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten bereits einstimmig dafür votiert haben.
Der AI Act, das weltweit erste umfassende Gesetz zur Regulierung der Künstlichen Intelligenz, wird 24 Monate nach Inkrafttreten vollständig anwendbar sein. Einige Regelungen gelten jedoch bereits früher:
Die Kommission hat vier Marktuntersuchungen abgeschlossen, die sie im September 2023 im Rahmen des Digital Markets Act (DMA) eingeleitet hatte. Sie stellt nun fest, dass weder Apple für iMessage noch Microsoft für die Suchmaschine Bing, den Webbrowser Edge und den Werbedienst Microsoft Advertising als Gatekeeper gelten.
Apple und Microsoft hatten im Juli 2023 ihre Plattformdienste gemeldet, die die quantitativen Schwellenwerte des DMA erreichten. Darunter waren auch die vier genannten Dienste. Beide Unternehmen legten jedoch Argumente vor, dass diese Dienste trotz Erfüllung der Schwellenwerte nicht als Gatekeeper fungierten. Die Kommission entschied, dass die Widerlegungsanträge eine tiefergehende Analyse verdienten.
Nach dieser umfassenden Prüfung unter Einbeziehung der Meinungen relevanter Stakeholder sowie nach einer Anhörung des Beratungsausschusses für digitale Märkte kam die Kommission zu dem Schluss, dass iMessage, Bing, Edge und Microsoft Advertising nicht als Gatekeeper-Dienste einzustufen sind. Die aktuellen Entscheidungen beeinträchtigen jedoch nicht die Einstufung von Apple und Microsoft als Gatekeeper bezüglich anderer zentraler Plattformdienste. vis
Der estnische Auslandsgeheimdienst rechnet damit, dass Russland in den kommenden Jahren die Zahl der Truppen entlang der NATO-Grenze deutlich erhöhen wird. “Wir werden höchstwahrscheinlich eine Aufstockung der Truppenstärke erleben, vielleicht sogar eine Verdoppelung“, sagte dessen Chef Kaupo Rosin. Russland habe derzeit keine Pläne für Angriffe auf NATO-Staaten, der Kreml halte einen Krieg jedoch für möglich.
Laut dem Jahresbericht des estnischen Dienstes bereitet sich Russland darauf vor, eine neue Einheit von Bodenkampftruppen in der Nähe der Grenze zu Finnland zu schaffen, wo die russische Militärpräsenz bislang minimal ist. Der Beitritt Finnlands zur NATO und der bevorstehende Beitritt Schwedens stellten zweifellos eine große Herausforderung für den russischen Generalstab dar.
Russland plant eine Militärreform, durch die die Zahl der Soldaten bis 2026 von 1,15 Millionen auf 1,5 Millionen steigen soll. Moskau stelle die Militärreform als Antwort auf die NATO-Erweiterung dar und “rechnet wahrscheinlich mit einem möglichen Konflikt mit der Allianz innerhalb des nächsten Jahrzehnts“, heißt es in dem Bericht weiter.
Kaupo Rosin betonte, dass die Entwicklungen in der russischen Armeestruktur vom Verlauf des Krieges in der Ukraine abhängen werden. Es gebe zahlreiche Hindernisse, etwa die kurze Zeitspanne sowie die wirtschaftliche und demografische Situation Russlands. Russland habe jedoch bewiesen, dass es trotz des laufenden Krieges über genügend militärische Ressourcen verfüge.
“Jetzt ist es an der Zeit, dass wir unsere eigenen Verteidigungskapazitäten ausbauen”, sagt der Geheimdienstchef. “Bevor Russland einen Angriff startet, berechnet es in der Regel das Kräfteverhältnis. Unsere Aufgabe als Estland und als NATO ist es, dafür zu sorgen, dass diese Berechnungen immer zu dem Ergebnis führen, dass es sich nicht lohnt anzugreifen”, so Rosin. Jurga Bakaitė
Als Konsequenz aus Drohungen des früheren US-Präsidenten Donald Trump gegen Nato-Partner hat sich Bundesfinanzminister Christian Lindner für mehr Kooperation mit Frankreich und Großbritannien bei der atomaren Abschreckung ausgesprochen. “Der französische Präsident Emmanuel Macron hat verschiedentlich Kooperationsangebote vorgetragen”, schrieb der FDP-Vorsitzende in einem Gastbeitrag für die FAZ. “Die jüngsten Äußerungen von Donald Trump sollten wir als Aufforderung verstehen, dieses Element europäischer Sicherheit unter dem Dach der Nato weiterzudenken.”
Die nukleare Abschreckung der Nato basiert derzeit sehr stark auf den US-Atomwaffen. Großbritannien und Frankreich sind die einzigen beiden anderen Nato-Staaten, die über solche Waffensysteme verfügen. Macron hatte Deutschland und anderen EU-Partnern bereits 2020 Gespräche über eine europäische Kooperation bei der atomaren Abschreckung angeboten, bisher ohne große Resonanz.
Bundeskanzler Olaf Scholz lehnt eine Debatte über die Veränderungen des bisherigen Systems ab. “Ich weiß nicht, was diese Diskussion heute soll”, sagte er im Januar der Zeit. Er halte die nukleare Teilhabe mit den USA “für den realistischeren Weg”. Am Montag bekräftigte er diese Haltung: “Wir haben eine funktionierende Nato, eine sehr gute transatlantische Partnerschaft. Dazu gehört auch das, was wir an nuklearer Zusammenarbeit entwickelt haben”, sagte er auf einer Pressekonferenz mit dem polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk. dpa
Seit gut zwei Jahren leitet Steffen Meyer die Abteilung Wirtschafts-, Finanz- und Klimapolitik im Bundeskanzleramt und ist damit einer der wichtigsten Berater von Olaf Scholz. Angesichts immer engerer finanzieller Spielräume hilft er seitdem, die Leistungsfähigkeit der größten Volkswirtschaft in Europa zu erhalten.
Für den Finanzökonomen ist die Haushaltslage auch ein Grund dafür, warum in Brüssel und Berlin derzeit so gern über Bürokratieabbau gesprochen wird: “Mittel für weitere finanzielle Entlastungen sind begrenzt, wir müssen die Unternehmen deshalb insbesondere auch von Bürokratie entlasten und zugleich Planungs- und Genehmigungsprozesse entschieden beschleunigen.”
Doch natürlich erwartet die Industrie auch eine Antwort auf die Steuergeschenke aus dem amerikanischen Inflation Reduction Act. “Wir müssen möglichst viele und insbesondere die zentralen Teile der energieintensiven industriellen Wertschöpfung in Europa halten”, sagt Meyer. “Gerade die wirtschaftlichen Ökosysteme, die wir in Deutschland haben – aus kleinen und großen Unternehmen und Universitäten -, müssen wir bewahren.”
Noch offen ist für den 55-Jährigen aber, ob die Regierung in Washington ihr Milliardenprogramm wirklich durchhalten wird. “Unterschiedlichen Akteuren in den USA wird langsam klar, welch teuren Weg sie mit dem Inflation Reduction Act eingeschlagen haben. Eine Bepreisung von CO₂-Emissionen wäre da natürlich grundsätzlich eine mögliche, sehr effiziente Option.” Insgesamt bestehe gerade mit Blick auf die Positionierung der Republikaner einiges an Unsicherheit, ob der IRA in unveränderter Form auch in den kommenden Jahren bestehen bleibe.
Doch im Kanzleramt lassen sie keinen Zweifel daran, dass sich die Zukunftsaufgaben nicht allein durch staatliche Finanzhilfen bewältigen lassen. “Die Ziele aus der Klimapolitik und aus dem Net Zero Industry Act schaffen Planungssicherheit für Unternehmen. Doch der Löwenanteil der Investitionen wird privat gestemmt werden müssen“, sagt Meyer.
Eine der wichtigsten europapolitischen Herausforderungen nach der Wahl im Juni sieht der Ökonom deshalb in der Mobilisierung von mehr privatem Kapital – auch aus dem Ausland. “Für die neue EU-Kommission wird die Kapitalmarktunion eine sehr wichtige Aufgabe werden. Wenn man sieht, wie viel Kapital weltweit vorhanden ist und wie viel davon nach Europa fließt, gibt es noch einiges zu tun.”
Für eine europäische Kapitalmarktreform sieht der Wirtschaftsberater des Kanzlers darum zwei zentrale Aufgaben: “Europa hat zu viele unterschiedliche Regelungen im Steuersystem und im Insolvenzrecht. Wenn der EU dort Veränderungen gelängen, wäre das ein echter Game-Changer für die Kapitalmarktunion und für mehr Investitionen von Anlegern aus dem außereuropäischen Ausland.”
Meyer denkt dabei weniger an umfassende Reformen wie eine gemeinsame Bemessungsgrundlage für die Körperschaftsteuer – zu oft sind Anläufe dieser Art in Brüssel bereits versandet: “Wir brauchen in Europa harmonisierte Besteuerungsregelungen speziell für die Zwecke des Kapitalmarktes.“
Zu europäischen Finanzfragen schrieb Meyer auch schon seine Dissertation an der Universität Würzburg. Auch die USA kennt der Volkswirt schon lange aus eigener Anschauung – ein Jahr lang studierte er Anfang der 90er-Jahre in Georgia. Acht Jahre verbrachte der Finanzwissenschaftler später beim Internationalen Währungsfonds – zuletzt als Exekutivdirektor für Deutschland.
Die längste Zeit seiner Karriere absolvierte Steffen Meyer aber im Bundesfinanzministerium. Bis Ende 2021 leitete er die Unterabteilung “Grundsatzfragen einzelner Wirtschaftsbereiche/Sozialstaat”. Mit Staatssekretär Jörg Kukies ging er anschließend ins Kanzleramt.
Mit dem Gipfel-Sherpa des Kanzlers tauscht sich Meyer am Spreebogen ebenso eng aus wie mit Undine Ruge, der europapolitischen Beraterin von Olaf Scholz. Der Austausch mit den europäischen Kollegen war für Meyer wiederum eine der wichtigsten Aufgaben, als er auf seine heutige Position wechselte. “Man gewinnt ein Gefühl dafür, wo andere Regierungszentralen ihre Prioritäten setzen“, sagt Meyer.
Zugutekommen wird ihm dies in den kommenden Monaten, wenn die EU-Kommission Themen für die nächste Legislatur sammelt – wie den deutschen Wunsch nach einer engeren Kapitalmarktunion. Manuel Berkel
dass Trilog-Einigungen nachträglich noch einmal geändert werden, ist unüblich. Doch ohne einen zusätzlichen Erwägungsgrund, der E-Fuels eine bessere Perspektive für die Nutzung in Lkw gibt, hätte die FDP wohl die Überarbeitung der CO₂-Flottengrenzwerte für schwere Nutzfahrzeuge im Rat blockiert.
Heute wird der zuständige Umweltausschuss im EU-Parlament über die Überarbeitung der Lkw-Flottenziele abstimmen. Den Ausschussmitgliedern wird die Version vorgelegt, die die EU-Botschafter am Freitag angenommen haben – also mit dem Erwägungsgrund zu E-Fuels, der ja eigentlich nicht Bestandteil der Trilog-Einigung war.
Zwar dürfte es den Gegnern von E-Fuels im Straßenverkehr nicht schmecken, dass der Rat sich auf Druck der FDP nicht an die geschlossene Trilog-Einigung gehalten hat. Doch die Alternative wäre noch schlimmer für sie: keine überarbeiteten Flottengrenzwerte mehr in dieser Legislatur. Also werden die Grünen zähneknirschend zustimmen. Die EVP unterstützt E-Fuels im Straßenverkehr zwar, hält den Text aber dennoch nicht für technologieoffen genug und will ihn ablehnen. Die Abstimmung dürfte also spannend werden.
Ich wünsche einen schönen Tag und viele neue Erkenntnisse beim Lesen.
Die Erleichterung der politischen Verantwortlichen ist groß, seit sich Europaparlament und EU-Rat in der Nacht auf Samstag auf eine Reform der Schuldenregeln geeinigt haben. Doch Ökonomen bewerten das Resultat, erreicht nach zähen Verhandlungen, kritisch.
Die meisten Ökonomen sind sich zwar einig: Die neuen Schuldenregeln sind besser als die aktuellen des Stabilitäts- und Wachstumspakts. Und zwar “um einiges”, wie Andreas Eisl, Forscher am Pariser Jacques Delors Institute, sagt. Denn: “Es ist sinnvoll, dass man stärker zwischen den Ländern differenziert.”
Die neuen Regeln orientieren sich an einer Schuldentragfähigkeitsanalyse, die für jedes Land individuell den budgetären Spielraum definieren soll. Gemeinsam mit den weniger drakonischen Strafen steigere dies die Chancen, dass die Regeln auch tatsächlich so angewendet würden, wie sie auf dem Papier stehen, so Eisl.
Cinzia Alcidi, Leiterin der wirtschaftspolitischen Abteilung am Centre for European Policy Studies (CEPS), bewertet die Individualisierung der Regeln ebenfalls positiv. Die neuen Regeln “schaffen ein Umfeld, in dem nationale Regierungen mehr Eigenverantwortung haben”, sagte Alcidi zu Table Media.
Die Reform hatte ursprünglich zum Ziel, auch die Komplexität der Regeln zu reduzieren. Dieses Ziel musste jedoch der politischen Kompromissfindung zwischen den Finanzministern geopfert werden. Die Sicherheitslinien, die unter anderem von Deutschland gefordert wurden, und die Ausnahmen, welche unter anderem die französische Regierung verlangte, um diese Sicherheitslinien zu akzeptieren, machen die neuen Regeln zu einem unübersichtlichen Ungetüm.
“Die Sicherheitslinien waren sicher notwendig, um zu einer politischen Einigung zu kommen, aber sie erhöhen die Komplexität”, sagte Alcidi. Zudem bedauert sie, dass das strukturelle Defizit nun wieder als relevante Größe in den Schuldenregeln vorkommt.
Der Einbezug des strukturellen Defizits in einer der Sicherheitslinien der neuen Regeln kritisiert auch Florian Schuster, Forscher am finanzpolitischen Thinktank Dezernat Zukunft: Es sei eine nicht-beobachtbare Größe, die man nur schätzen könne. “Die dafür verwendete Methodik weist viele Probleme auf – eins davon ist Prozyklizität. So müssen Defizite in Krisenzeiten übermäßig stark zurückgefahren werden”, sagt Schuster.
Eisl bedauert, dass die Chance verpasst wurde, die Schuldenregeln mit einer Diskussion zum EU-Budget zu verbinden. Man habe in der EU eine große Divergenz in den budgetären Spielräumen der einzelnen Mitgliedstaaten, aber gleichzeitig einen hohen Investitionsbedarf. “Meines Erachtens reicht die Reform der Fiskalregeln allein nicht aus”, sagte er und erklärte, dass einige Mitgliedstaaten auch ohne Fiskalregeln schlicht zu wenig finanziellen Spielraum hätten.
Eine Diskussion über zusätzliche Finanzierungsmöglichkeiten auf europäischer Ebene wäre laut Eisl angebracht gewesen, aber der politische Wille dazu fehlte. Eine Studie des Centre for European Reform (CER) schlug zum Beispiel vor, dass ein höheres EU-Budget dafür verwendet werden könnte, Länder finanziell zu belohnen, die sich finanzpolitisch sinnvoll verhalten.
Sorgen machen sich alle befragten Ökonomen über die Auswirkungen der neuen Schuldenregeln auf die Investitionen. “Die strikten Vorgaben für die jährliche Reduktion von Schuldenständen und Defiziten werden in hoch verschuldeten Ländern für erhebliche Ausgabenkürzungen sorgen – auch dort, wo es wirtschaftlich schadet”, befürchtet Schuster.
Auch Alcidi warnt vor einem Teufelskreis von zu wenig Investitionen und schwacher Wirtschaftskraft, die schlussendlich zu einer höheren Verschuldungsquote verglichen mit der Wirtschaftskraft führt.
Laut Strategic Foresight Report der Kommission benötigt die EU jährlich zusätzliche Investitionen von über 620 Milliarden Euro, um ihre Energie- und Klimaziele zu erreichen. Gleichzeitig läuft das Investitionsprogramm Next Generation EU im Jahr 2027 aus.
Keiner der befragten Ökonomen glaubt, dass die EU diese Zusatzinvestitionen unter den neuen Schuldenregeln tätigen kann, auch wenn ein Großteil davon Privatinvestitionen sein sollten. “Die Realität wird die sein, dass wir diese Investitionslücke nicht schließen werden“, warnt Eisl. “Mit den neuen Regeln gibt es keinen Spielraum für die hohen künftigen Finanzierungsbedarfe, der annähernd groß genug wäre”, erklärt Schuster.
Herr Edenhofer, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, müssten wir nicht nur Emissionen aus Industriesektoren vermeiden, sondern der Atmosphäre mehr CO₂ als wir ausstoßen. Wie kann das funktionieren?
Da gibt es zwei fundamentale Prinzipien. Das eine: Wer emittiert, muss zahlen. Das andere: Wer Kohlenstoffsenken bereitstellt, muss dafür entlohnt werden. Das gilt für Bauern, die am Horn von Afrika durch ihre Arbeit im Boden Kohlenstoff dauerhaft binden genauso wie für Leute, die mit technischen Filtern CO₂ aus der Atmosphäre entziehen und in geologischen Formationen lagern.
Wir reden über Milliardensummen.
Ja, denn wenn wir die globale Erwärmung langfristig auf 1,5 Grad begrenzen wollen, werden wir bis 2050 jährlich fünf bis 15 Milliarden Tonnen CO₂ aus der Atmosphäre holen müssen. Bei Preisen von 100 bis 300 US-Dollar pro Tonne CO₂ heißt das, wir müssten etwa eine halbe bis knapp vier Billionen Dollar für diese Müllabfuhr ausgeben. Das ist eine gigantische Summe, zwischen 0,3 und drei Prozent des weltweiten Bruttosozialprodukts – und etwa so viel wie die 2,2 Billionen Militärausgaben weltweit im Jahr 2022. Da entsteht ein gigantischer Wirtschaftssektor. Aber über diese Art von Klimafinanzierung redet auf den COPs noch keiner.
Warum wird diese Debatte nicht geführt?
Weil die Politik nicht konsequent ist. Wenn man sich die nationalen Klimabeiträge der Regierungen ansieht, sieht man eine Verbesserung. Aber die steht erstmal nur auf dem Papier.
Wenn man sich dann aber anschaut, was die Regierungen tatsächlich machen und es mit dem vergleicht, was ihre Ministerinnen und Minister auf der COP versprechen, dann werden die Versprechen unglaubwürdig. Sie machen buchstäblich das Gegenteil: Auf den Konferenzen reden sie über einen Ausstieg aus der Kohle und aus dem Öl, zu Hause machen sie Pläne für eine Ausweitung der Produktion.
Aber das wären ja alles versenktes Geld, wenn sich die Politik durchsetzt.
Ich glaube, die Märkte wetten darauf, dass die Klimapolitik nicht wirksam umgesetzt wird, weil sie die Versprechen der Regierung als nicht glaubwürdig einschätzen. Deswegen glaube ich nicht, dass wir auf den Höhepunkt der Produktion von Öl und Gas zusteuern, wie es die Internationale Energieagentur IEA sagt. Die Märkte zeigen bislang keine Bereitschaft, sich von den Fossilen zu verabschieden.
Sie meinen, die Märkte beeindruckt eine Passage in der COP-Abschlusserklärung nicht, die die Staaten auffordert, sich “von den Fossilen in einem Wandel wegzubewegen”?
Wenn die Regierungen wollen, dass die Märkte anders reagieren, dann müssen sie jetzt glaubwürdigere Beschlüsse fassen. Eine solche Glaubwürdigkeit kommt nicht aus immer neuen Zielen wie etwa der Verdreifachung der erneuerbaren Energien, die jetzt in Dubai beschlossen wurde. Das Bekenntnis zur Abkehr von fossilen Brennstoffen im Abschlussdokument der COP setzt ein wichtiges Zeichen.
Jetzt kommt es aber darauf an, dass diese Abkehr Realität wird – zum Beispiel, indem die Europäische Union ihren Green Deal durchsetzt. Wenn etwa beim zweiten Emissionshandel, der in der EU 2027 für den Gebäude- und Verkehrssektor eingeführt wird, die Preise für Öl und Gas steigen und die Importe in die EU sinken, hätte das einen Effekt auf die Märkte. Um zu verhindern, dass diese Einsparung nicht zu einem vermehrten Verbrauch etwa in Asien führt, müsste die USA ebenfalls mitmachen.
Wie soll das funktionieren?
Die EU könnte zusammen mit den USA eine Art Nachfragekartell bilden: Gelingt der Green Deal der EU und der Inflation Reduction Act der USA, sinkt glaubwürdig die Nachfrage nach den Fossilen. Andere Länder könnten sich einer CO₂-Bepreisung anschließen. Wie wirksam das sein kann, zeigt der Blick auf den Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) der Europäer: Allein die Ankündigung dieser CO₂-Grenzausgleichsregelung hat schon erhebliche Wirkungen ausgelöst. Indien erwägt eine nationale CO₂-Steuer, die Türkei einen nationalen Emissionshandel, in den USA denken sogar Republikaner darüber nach. In den Ländern des globalen Südens wollen manche mit der EU darüber sprechen. Auf den Märkten wird man Reaktionen sehen, sobald Instrumente glaubwürdig umgesetzt werden.
Aber warum ist es so schwierig, etwa einen CO₂-Preis einzuführen? Sie haben ja schon früher argumentiert, dass die Politik eigentlich nichts Besseres finden könnte: Emissionen senken und Einnahmen erzeugen, mit denen dann soziale Wohltaten finanziert werden können.
Man kann ja auf das Klimaproblem in zweierlei Weise gucken. Man kann sagen, wir wissen seit dem Klima-Report von Nicholas Stern von 2006, dass Handeln billiger ist als Nichthandeln. Das ist zwar richtig, aber die Vorteile der Klimapolitik sieht man in der Zukunft und anderswo, die Kosten fallen hier und jetzt an. Und zwar bei Gruppen, die sehr mächtig sind. Wer den fossilen Kapitalstock besteuern will, hat sofort die ganzen fossilen Sektoren gegen sich: die Autoindustrie oder die Baubranchen zum Beispiel. Das kann man nur überwinden, wenn man bereit ist, die potenziellen Verlierer – etwa Haus- oder Autobesitzer – zu kompensieren. Die Regierung hätte beim Heizungsgesetz, als es an den größten Bestandteil des volkswirtschaftlichen Kapitalstocks ging, sofort mit Kompensationen beginnen müssen.
Schlagen Sie so eine Kompensation auch im internationalen Maßstab vor?
Aus meiner Sicht ist das unverzichtbar. Wir brauchen Mechanismen, die Länder dabei unterstützen, dass sie ihre CO₂-Preise anheben. Ein Entwicklungsland kann nicht den gleichen CO₂-Preis haben wie die EU. Dafür muss es Fonds geben. Und die Klima-Entwicklungshilfe müsste daran gekoppelt sein, dass die Länder einen CO₂-Preis einführen. Solche an Bedingungen geknüpfte Hilfszahlungen sind ein Tabu, das ist mir klar. Aber so eine Art von Lastenausgleich wäre nötig und wirkungsvoll.
Das hieße, Industrieländer zahlen viele Milliarden, damit in Entwicklungsländern ein CO₂-Preis gilt, der so hoch ist wie bei uns?
Wir würden davon profitieren. Warum? Erstens, weil die anderen dann auch Klimapolitik betreiben. Und zweitens schützen wir unsere Industrie vor Wettbewerbsnachteil. Man kann damit Trittbrettfahrer aushebeln. Es wäre eine Kooperation, bei der alle gewinnen.
Der von der EU-Kommission im Frühjahr 2023 vorgelegte Entwurf der Green Claims-Richtlinie ist in den Beratungen der federführenden Ausschüsse des EU-Parlaments vereinfacht worden. Damit kommen die Parlamentarier der Industrie entgegen, die den Entwurf als überregulierend und kostspielig kritisiert hatte. Die bisher informelle Einigung soll am heutigen Mittwoch offiziell im Umwelt- und im Verbraucherschutzausschuss verabschiedet werden. Mitte März soll das Plenum über den Bericht abstimmen.
Mit der Green Claims-Richtlinie will die EU-Kommission falsche oder nicht belegbare umweltbezogene Aussagen in der Produktwerbung verbieten. Allgemeine Werbeclaims und Umweltsiegel, die ein Produkt beispielsweise als “klimaneutral”, “grün”, “zu 100 Prozent recycelt” oder “biologisch abbaubar” bezeichnen, sollen künftig nur noch zulässig sein, wenn deren Umweltwirkung wissenschaftlich verifiziert ist.
Laut einem Kompromisspapier, das Table.Media vorliegt, wollen die Abgeordneten vor allem die Zertifizierung von Umweltaussagen vereinfachen. Bisher war vorgesehen, dass Unternehmen für jede umweltbezogene Aussage eine Zertifizierung durch eine externe akkreditierte Stelle durchlaufen müssen – auch dann, wenn das Unternehmen bereits über ein Umweltsiegel für seinen Umwelt-Claim verfügt.
Nun soll lediglich das vorhandene Umweltsiegel diesen Prozess durchlaufen, um den Vorgang zu beschleunigen, sagt Pernille Weiss, dänische EVP-Abgeordnete im Umweltausschuss. Zertifiziert wird das Siegel aber nur dann, wenn es gewisse wissenschaftliche Kriterien erfüllt. Diese sollen von der EU-Kommission noch definiert werden. Zusätzlich soll die Brüsseler Behörde ein vereinfachtes Zertifizierungsprozedere für die gebräuchlichsten Claims entwickeln.
Ein weiteres Entgegenkommen betrifft kleine und mittlere Unternehmen (KMU). Unternehmen mit einem Umsatz in Höhe von bis zu zehn Millionen Euro pro Jahr oder mit zehn bis 50 Angestellten sollen ein Jahr mehr Zeit erhalten, die neuen Vorgaben umzusetzen. Für größere Unternehmen gelten weiter 30 Monate Umsetzungsfrist nach Inkrafttreten der Richtlinie. Kleinstunternehmen mit bis zu zehn Beschäftigten waren schon im Ursprungsentwurf der EU-Kommission von der Richtlinie ausgenommen.
Die Geldbuße in Höhe von mindestens vier Prozent des Jahresumsatzes, die Unternehmen bei Verstößen gegen die Richtlinie zahlen sollen, wird beibehalten. Weitgehend unverändert bleiben auch die Kommunikationspflichten der Unternehmen: Informationen über eine spezifische Umweltaussage sollen den Verbrauchern öffentlich zugänglich gemacht werden, entweder am Produkt selbst oder in Form eines Web-Links, eines QR-Codes oder eines digitalen Produktpasses.
Der Bericht zur Green-Claims-Richtlinie soll in der Woche vom 11. bis 14. März im Plenum des EU-Parlaments beraten werden. Für eine Verabschiedung noch in dieser Legislaturperiode ist es dann schon zu spät. Laut Informationen von Table.Media sollen die Trilogverhandlungen frühestens im Herbst beginnen. Beobachter rechnen damit, dass spätestens dann auch die hohen Geldbußen zur Disposition stehen. Kai Moll
Im Hin und Her um die Aussetzung der Regeln zu Brachflächen innerhalb der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) hat die Europäische Kommission ein Machtwort gesprochen. Die vorgeschlagene Ausnahmeregelung hatte unter den Mitgliedstaaten am Freitag nicht die nötige Mehrheit gefunden. Darüber hat sich die Kommission jetzt hinweggesetzt und die Lockerung im Alleingang in die Tat umgesetzt. Die Maßnahme biete “den Landwirten Flexibilität und belohnt sie gleichzeitig für ihre wichtige Arbeit”, begründete Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den Schritt.
Die Kommission hatte die Lockerung gegenüber dem ursprünglichen Vorschlag noch einmal ausgeweitet. Rückwirkend ab Januar 2024 können die EU-Länder es erlauben, auf vier Prozent der Ackerfläche Leguminosen oder Zwischenfrüchten anzubauen, statt dieselbe Fläche im Sinne der Biodiversität brachliegen zu lassen. Der CDU-Europaabgeordnete und Vorsitzende des Agrarausschusses, Norbert Lins, begrüßte die Ausnahmeregelung und rief die Bundesregierung dazu auf, diese vollständig umzusetzen.
Deutliche Kritik kommt dagegen von Bundesumweltministerin Steffi Lemke. Der Beschluss missachte, dass auch die Landwirtschaft nur dann eine Zukunft habe, wenn die Artenvielfalt “ausreichend geschützt” werde. Es sei “überraschend”, dass Brüssel die Maßnahme ohne ausreichende Mehrheit durchgesetzt habe, sagte auch ein Sprecher des Bundeslandwirtschaftsministeriums (BMEL) zu Table.Media. Die Bundesregierung hat bis zum 29. Februar Zeit, zu entscheiden, ob und wie sie die Ausnahmeregelung umsetzen will. Festlegen wollte sich der BMEL-Sprecher hierzu noch nicht.
Aus Ministeriumskreisen ist aber zu hören, dass das Haus die Frage mit der Debatte um die Ökoregelungen verknüpfen will – einem anderen Instrument für mehr Nachhaltigkeit in der GAP. Demnach komme es bei der möglichen Umsetzung der Ausnahme auch darauf an, wie “an anderer Stelle” Leistungen der Landwirte für die Artenvielfalt honoriert werden können – etwa durch die Einführung einer neuen Ökoregelung, die Bauernvertreter gefordert hatten. Hierzu will das BMEL nun in Gespräche mit den Ländern, der Branche und dem Bundesumweltministerium treten. jd
Ab 2027 wird das europäische Emissionshandelssystem für Gebäude und Verkehr (ETS 2) eingeführt. Die Verknüpfung mit einem nationalen CO₂-Mindestpreis könnte laut Experten das Preisniveau stabilisieren und so die Planbarkeit für private Haushalte und Unternehmen verbessern. Das geht aus einer Studie des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) und des Öko-Instituts hervor. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untersuchen darin, wie der Bundesemissionshandel (BEH) und das ETS 2 nach dessen Einführung zusammengeführt werden könnten.
Der ETS 2 wird entkoppelt vom bereits bestehenden EU-Emissionshandel für Energie und Industrie eingeführt und einen eigenen europaweiten CO₂-Preis bilden. Wo es bereits nationale CO₂-Preise für Gebäude und Verkehr gibt – darunter Deutschland – soll der ETS 2 diese ersetzen. Allerdings wird der Preis im deutschen BEH 2026 bereits bei bis zu 65 Euro pro Tonne liegen und damit womöglich höher sein als zu Beginn des ETS 2 (voraussichtlich etwa 45 Euro).
Um starke Schwankungen des CO₂-Preises zu verhindern, verursacht etwa durch politische Entscheidungen aus einzelnen Mitgliedstaaten, empfehlen die Studienautoren daher zusätzlich einen nationalen Mindestpreis über die Energiesteuer. Läge der Marktpreis im ETS 2 unter diesem Mindestpreis, würde ein Preisaufschlag erfolgen. Liegt der EU-weite Preis darüber, fiele der Aufschlag weg. Der Mindestpreis solle sich auf einem Niveau befinden, mit dem die nationalen Klimaziele erreicht werden können, heißt es in der Studie.
Eine genaue Zielmarke für den Preis geben FÖS und Öko-Institut jedoch nicht vor. Der Thinktank Agora Energiewende hatte vergangenes Jahr 120 Euro pro Tonne mit progressivem jährlichem Anstieg empfohlen.
FÖS und Öko-Institut sehen in dem Preisaufschlag auch ein Instrument, um Finanzmittel für den sozialen Ausgleich zu generieren – beispielsweise für ein Klimageld. Zwar geht ein Teil der Einnahmen aus dem ETS 2 in den Klimasozialfonds, jedoch sind diese zweckgebunden und können nicht für ein allgemeines Klimageld verwendet werden. Der Mindestpreis würde also zusätzlichen finanziellen Spielraum ermöglichen. Die schnelle Einführung des Klimageldes fordern die Studienautoren ausdrücklich.
Die Forscher betonen zudem, dass der Mindestpreis nur mit entsprechenden Kompensationsmaßnahmen für mittlere und untere Einkommensgruppen einhergehen dürfe. Bisherige Förderprogramme unterstützten vor allem Besserverdienende, beispielsweise beim Kauf eines neuen E-Autos. Es brauche daher zusätzliche Förderprogramme für niedrige und mittlere Einkommen, damit auch diese Verbräuche senken könnten und die sozial-ökologische Transformation gelinge, erklärten die Autoren. Als Beispiel nennen sie eine Kaufprämie für gebrauchte E-Autos. luk
Der AI Act hat eine weitere wichtige Hürde genommen: Die Abgeordneten in den beiden federführenden Ausschüssen für Binnenmarkt (IMCO) und Justiz (LIBE) haben den Kompromiss zum KI-Gesetz mit großer Mehrheit angenommen. Um 9:43 Uhr stand das Ergebnis fest: Von 86 abgegebenen Stimmen entfielen 71 auf Ja, bei acht Gegenstimmen und sieben Enthaltungen.
Damit ist der Weg frei für die Abstimmung im Plenum des Europaparlaments. Diese wird voraussichtlich in der Sitzung am 10. oder 11. April stattfinden. Anschließend muss der Text noch vom Rat endgültig gebilligt werden – eine Formsache, da die Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten bereits einstimmig dafür votiert haben.
Der AI Act, das weltweit erste umfassende Gesetz zur Regulierung der Künstlichen Intelligenz, wird 24 Monate nach Inkrafttreten vollständig anwendbar sein. Einige Regelungen gelten jedoch bereits früher:
Die Kommission hat vier Marktuntersuchungen abgeschlossen, die sie im September 2023 im Rahmen des Digital Markets Act (DMA) eingeleitet hatte. Sie stellt nun fest, dass weder Apple für iMessage noch Microsoft für die Suchmaschine Bing, den Webbrowser Edge und den Werbedienst Microsoft Advertising als Gatekeeper gelten.
Apple und Microsoft hatten im Juli 2023 ihre Plattformdienste gemeldet, die die quantitativen Schwellenwerte des DMA erreichten. Darunter waren auch die vier genannten Dienste. Beide Unternehmen legten jedoch Argumente vor, dass diese Dienste trotz Erfüllung der Schwellenwerte nicht als Gatekeeper fungierten. Die Kommission entschied, dass die Widerlegungsanträge eine tiefergehende Analyse verdienten.
Nach dieser umfassenden Prüfung unter Einbeziehung der Meinungen relevanter Stakeholder sowie nach einer Anhörung des Beratungsausschusses für digitale Märkte kam die Kommission zu dem Schluss, dass iMessage, Bing, Edge und Microsoft Advertising nicht als Gatekeeper-Dienste einzustufen sind. Die aktuellen Entscheidungen beeinträchtigen jedoch nicht die Einstufung von Apple und Microsoft als Gatekeeper bezüglich anderer zentraler Plattformdienste. vis
Der estnische Auslandsgeheimdienst rechnet damit, dass Russland in den kommenden Jahren die Zahl der Truppen entlang der NATO-Grenze deutlich erhöhen wird. “Wir werden höchstwahrscheinlich eine Aufstockung der Truppenstärke erleben, vielleicht sogar eine Verdoppelung“, sagte dessen Chef Kaupo Rosin. Russland habe derzeit keine Pläne für Angriffe auf NATO-Staaten, der Kreml halte einen Krieg jedoch für möglich.
Laut dem Jahresbericht des estnischen Dienstes bereitet sich Russland darauf vor, eine neue Einheit von Bodenkampftruppen in der Nähe der Grenze zu Finnland zu schaffen, wo die russische Militärpräsenz bislang minimal ist. Der Beitritt Finnlands zur NATO und der bevorstehende Beitritt Schwedens stellten zweifellos eine große Herausforderung für den russischen Generalstab dar.
Russland plant eine Militärreform, durch die die Zahl der Soldaten bis 2026 von 1,15 Millionen auf 1,5 Millionen steigen soll. Moskau stelle die Militärreform als Antwort auf die NATO-Erweiterung dar und “rechnet wahrscheinlich mit einem möglichen Konflikt mit der Allianz innerhalb des nächsten Jahrzehnts“, heißt es in dem Bericht weiter.
Kaupo Rosin betonte, dass die Entwicklungen in der russischen Armeestruktur vom Verlauf des Krieges in der Ukraine abhängen werden. Es gebe zahlreiche Hindernisse, etwa die kurze Zeitspanne sowie die wirtschaftliche und demografische Situation Russlands. Russland habe jedoch bewiesen, dass es trotz des laufenden Krieges über genügend militärische Ressourcen verfüge.
“Jetzt ist es an der Zeit, dass wir unsere eigenen Verteidigungskapazitäten ausbauen”, sagt der Geheimdienstchef. “Bevor Russland einen Angriff startet, berechnet es in der Regel das Kräfteverhältnis. Unsere Aufgabe als Estland und als NATO ist es, dafür zu sorgen, dass diese Berechnungen immer zu dem Ergebnis führen, dass es sich nicht lohnt anzugreifen”, so Rosin. Jurga Bakaitė
Als Konsequenz aus Drohungen des früheren US-Präsidenten Donald Trump gegen Nato-Partner hat sich Bundesfinanzminister Christian Lindner für mehr Kooperation mit Frankreich und Großbritannien bei der atomaren Abschreckung ausgesprochen. “Der französische Präsident Emmanuel Macron hat verschiedentlich Kooperationsangebote vorgetragen”, schrieb der FDP-Vorsitzende in einem Gastbeitrag für die FAZ. “Die jüngsten Äußerungen von Donald Trump sollten wir als Aufforderung verstehen, dieses Element europäischer Sicherheit unter dem Dach der Nato weiterzudenken.”
Die nukleare Abschreckung der Nato basiert derzeit sehr stark auf den US-Atomwaffen. Großbritannien und Frankreich sind die einzigen beiden anderen Nato-Staaten, die über solche Waffensysteme verfügen. Macron hatte Deutschland und anderen EU-Partnern bereits 2020 Gespräche über eine europäische Kooperation bei der atomaren Abschreckung angeboten, bisher ohne große Resonanz.
Bundeskanzler Olaf Scholz lehnt eine Debatte über die Veränderungen des bisherigen Systems ab. “Ich weiß nicht, was diese Diskussion heute soll”, sagte er im Januar der Zeit. Er halte die nukleare Teilhabe mit den USA “für den realistischeren Weg”. Am Montag bekräftigte er diese Haltung: “Wir haben eine funktionierende Nato, eine sehr gute transatlantische Partnerschaft. Dazu gehört auch das, was wir an nuklearer Zusammenarbeit entwickelt haben”, sagte er auf einer Pressekonferenz mit dem polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk. dpa
Seit gut zwei Jahren leitet Steffen Meyer die Abteilung Wirtschafts-, Finanz- und Klimapolitik im Bundeskanzleramt und ist damit einer der wichtigsten Berater von Olaf Scholz. Angesichts immer engerer finanzieller Spielräume hilft er seitdem, die Leistungsfähigkeit der größten Volkswirtschaft in Europa zu erhalten.
Für den Finanzökonomen ist die Haushaltslage auch ein Grund dafür, warum in Brüssel und Berlin derzeit so gern über Bürokratieabbau gesprochen wird: “Mittel für weitere finanzielle Entlastungen sind begrenzt, wir müssen die Unternehmen deshalb insbesondere auch von Bürokratie entlasten und zugleich Planungs- und Genehmigungsprozesse entschieden beschleunigen.”
Doch natürlich erwartet die Industrie auch eine Antwort auf die Steuergeschenke aus dem amerikanischen Inflation Reduction Act. “Wir müssen möglichst viele und insbesondere die zentralen Teile der energieintensiven industriellen Wertschöpfung in Europa halten”, sagt Meyer. “Gerade die wirtschaftlichen Ökosysteme, die wir in Deutschland haben – aus kleinen und großen Unternehmen und Universitäten -, müssen wir bewahren.”
Noch offen ist für den 55-Jährigen aber, ob die Regierung in Washington ihr Milliardenprogramm wirklich durchhalten wird. “Unterschiedlichen Akteuren in den USA wird langsam klar, welch teuren Weg sie mit dem Inflation Reduction Act eingeschlagen haben. Eine Bepreisung von CO₂-Emissionen wäre da natürlich grundsätzlich eine mögliche, sehr effiziente Option.” Insgesamt bestehe gerade mit Blick auf die Positionierung der Republikaner einiges an Unsicherheit, ob der IRA in unveränderter Form auch in den kommenden Jahren bestehen bleibe.
Doch im Kanzleramt lassen sie keinen Zweifel daran, dass sich die Zukunftsaufgaben nicht allein durch staatliche Finanzhilfen bewältigen lassen. “Die Ziele aus der Klimapolitik und aus dem Net Zero Industry Act schaffen Planungssicherheit für Unternehmen. Doch der Löwenanteil der Investitionen wird privat gestemmt werden müssen“, sagt Meyer.
Eine der wichtigsten europapolitischen Herausforderungen nach der Wahl im Juni sieht der Ökonom deshalb in der Mobilisierung von mehr privatem Kapital – auch aus dem Ausland. “Für die neue EU-Kommission wird die Kapitalmarktunion eine sehr wichtige Aufgabe werden. Wenn man sieht, wie viel Kapital weltweit vorhanden ist und wie viel davon nach Europa fließt, gibt es noch einiges zu tun.”
Für eine europäische Kapitalmarktreform sieht der Wirtschaftsberater des Kanzlers darum zwei zentrale Aufgaben: “Europa hat zu viele unterschiedliche Regelungen im Steuersystem und im Insolvenzrecht. Wenn der EU dort Veränderungen gelängen, wäre das ein echter Game-Changer für die Kapitalmarktunion und für mehr Investitionen von Anlegern aus dem außereuropäischen Ausland.”
Meyer denkt dabei weniger an umfassende Reformen wie eine gemeinsame Bemessungsgrundlage für die Körperschaftsteuer – zu oft sind Anläufe dieser Art in Brüssel bereits versandet: “Wir brauchen in Europa harmonisierte Besteuerungsregelungen speziell für die Zwecke des Kapitalmarktes.“
Zu europäischen Finanzfragen schrieb Meyer auch schon seine Dissertation an der Universität Würzburg. Auch die USA kennt der Volkswirt schon lange aus eigener Anschauung – ein Jahr lang studierte er Anfang der 90er-Jahre in Georgia. Acht Jahre verbrachte der Finanzwissenschaftler später beim Internationalen Währungsfonds – zuletzt als Exekutivdirektor für Deutschland.
Die längste Zeit seiner Karriere absolvierte Steffen Meyer aber im Bundesfinanzministerium. Bis Ende 2021 leitete er die Unterabteilung “Grundsatzfragen einzelner Wirtschaftsbereiche/Sozialstaat”. Mit Staatssekretär Jörg Kukies ging er anschließend ins Kanzleramt.
Mit dem Gipfel-Sherpa des Kanzlers tauscht sich Meyer am Spreebogen ebenso eng aus wie mit Undine Ruge, der europapolitischen Beraterin von Olaf Scholz. Der Austausch mit den europäischen Kollegen war für Meyer wiederum eine der wichtigsten Aufgaben, als er auf seine heutige Position wechselte. “Man gewinnt ein Gefühl dafür, wo andere Regierungszentralen ihre Prioritäten setzen“, sagt Meyer.
Zugutekommen wird ihm dies in den kommenden Monaten, wenn die EU-Kommission Themen für die nächste Legislatur sammelt – wie den deutschen Wunsch nach einer engeren Kapitalmarktunion. Manuel Berkel