Table.Briefing: Europe

Kritik an Hoekstra-Nominierung + Herbstausblick Energie + Ökodesign-Anforderungen

Liebe Leserin, lieber Leser,

Brüssel erwacht so langsam aus dem Sommerschlaf! Der politische Betrieb in den EU-Institutionen nimmt diese Woche wieder Fahrt auf. Zwar dauert es noch mehr als zwei Wochen bis zur “State of the EU”-Rede von Ursula von der Leyen, die den politischen Auftakt nach der parlamentarischen Sommerpause markiert. Doch bereits in dieser Woche finden die ersten Ausschusssitzungen und Trilog-Runden statt.

Am Mittwoch verhandeln Parlament und Rat im Trilog über die Ökodesign-Verordnung. Hierzu bringt Sie diese Ausgabe in den News auf den neuesten Stand. Am Donnerstag findet der Trilog zur Gebäuderichtlinie statt.

Ebenfalls am Mittwoch stimmt der Agrarausschuss über seine Stellungnahme zur Zertifizierung von CO₂-Entnahmen ab und tauscht sich außerdem mit der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit über Pflanzenschutzmittel und die Risikobewertung zu Glyphosat aus.

Im Haushaltsausschuss wird am Mittwoch über die Anträge auf Mittelübertragung im Haushaltsplan 2023 abgestimmt und über eine Stellungnahme zur Rolle der Steuerpolitik in Krisenzeiten beraten. Der Wirtschaftsausschuss prüft die Änderungsanträge des Gesamthaushaltsplans 2024.

Und dann könnte sich in dieser Woche noch entscheiden, ob der niederländische Außenminister Wopke Hoekstra der Nachfolger von Frans Timmermans als Klimakommissar wird. Über die Kritik an seiner Nominierung finden Sie in dieser Ausgabe eine Analyse, die auch das Prozedere der Ernennung erklärt.

Haben Sie einen guten Start in die Woche und willkommen zurück!

Ihr
Lukas Knigge
Bild von Lukas  Knigge

Analyse

Timmermans Nachfolge: Kritik an Hoekstra-Nominierung

Wopke Hoekstra, Minister of Foreign Affairs, at the Binnenhof bulding complex that also houses the parliament after the weekly Council of Ministers in The Hague, The Netherlands, 17 March 2023. EPA-EFE/Remko de Waal
Wobke Hoekstra ist in der EU kein Unbekannter – allerdings ist er bisher nicht als Klimaexperte hervorgetreten. 

Am Freitag hat der niederländische Premierminister Mark Rutte offiziell Wopke Hoekstra als EU-Kommissar der Niederlande vorgeschlagen. Der bisherige Außenminister soll die Nachfolge von Frans Timmermans übernehmen, der als Spitzenkandidat eines Bündnisses aus Sozialdemokraten und Grünen bei der vorgezogenen Parlamentswahl am 22. November antritt. Allerdings gibt es ein Problem an der Nachfolge-Regelung Ruttes: Der Christdemokrat Hoekstra gehört zu einer anderen Parteifamilie als der Sozialdemokrat Timmermans.

Die Sozialdemokraten im EU-Parlament fordern deshalb, dass jemand aus ihren Reihen auf Timmermans folgen müsse. Insbesondere, da Hoekstra womöglich auch den Aufgabenbereich internationale Klimapolitik von seinem Vorgänger übernehmen könnte. “Für unsere Fraktion ist es entscheidend, dass das Klimaportfolio in den Händen der S&D-Familie bleibt”, twitterte die S&D-Fraktion. Und sagte voraus: Hoekstra erwarte eine harte Anhörung im EU-Parlament.

S&D könnte Hoekstra blockieren

Das Prozedere sieht vor, dass Hoekstra nun am Dienstag zunächst bei Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vorstellig wird. Dort wird es um seine Qualifikation gehen und seinen möglichen Aufgabenbereich. Anschließend muss das EU-Parlament nach einer Befragung des Nominierten im entsprechenden Fachausschuss zustimmen. Die Abgeordneten können den Kandidaten in der geheimen Abstimmung auch ablehnen.

Sollten die Parlamentarier tatsächlich gegen den 47-Jährigen stimmen, müsste Rutte einen neuen Kandidaten nominieren. Wählt er eine Sozialdemokratin, würde die EVP womöglich eine Mehrheit gegen diese schmieden. Rutte selbst ist ein Liberaler.

Bekommt Hoekstra das Klima-Ressort?

Hoekstra ist bislang nicht als Klimapolitiker aufgefallen. Als Außen- und als Finanzminister in den Niederlanden bringt er aber Erfahrungen mit, die er in die internationalen Klimaverhandlungen einbringen könnte, bei denen es stark um Klimafinanzierung gehen wird. Seine Hauptaufgabe als Kommissar in den kommenden Monaten dürfte sein, die EU bei der UN-Klimakonferenz in Dubai (COP28) am Verhandlungstisch zu vertreten. Denn neue Gesetzesinitiativen sind von der Kommission auf dem Gebiet kaum noch zu erwarten. Der designierte Exekutivvizepräsident Maroš Šefčovič soll die verbleibenden Aktivitäten beim Green Deal koordinieren.

Die Aufgabenteilung sorgt für Kritik unter Klimapolitikern. Der niederländische Grünen-Abgeordnete Bas Eickhout quittierte die Nominierung Hoekstras mit einem zynischen “Tja …”. Hoekstra habe nicht genug Zeit, um etwas Wesentliches zu bewegen, kommentiert die niederländische Volt-Politikerin Sophie in ‘t Veld. Sie schlägt an dessen Stelle Timmermans Kabinettchef Diederik Samsom als Nachfolger vor. Er könne “die Klimaagenda nahtlos übernehmen”.

  • Europäische Kommission
  • Green Deal
  • Niederlande

Abkühlen statt Einheizen – der energiepolitische Herbst

In der Energiepolitik startet die Arbeit nach der Sommerpause mit der Atomfrage – nein, zur Abwechslung mal nicht mit dem Grundsatzstreit zwischen Frankreich und Deutschland. Vielmehr legt der Slowene Franc Bogovič (EVP) alsbald seinen Entwurf für den Initiativbericht des Parlaments zu kleinen modularen Reaktoren (SMR) vor. Ob daraus eine neue Blüte der Atomenergie in Europa wird, wie in den Träumen mancher Silicon-Valley-Gurus, werden die nächsten Jahre zeigen.

Schon am Donnerstag steht dann der erste wichtige Trilog auf dem Programm, verhandelt wird die Gebäuderichtlinie. Deutschland hat seine Ambitionen in den vergangenen Monaten immer weiter heruntergefahren. Viele Beobachter rechnen nicht mehr damit, dass noch Mindesteffizienzstandards (MEPS) für einzelne, besonders viel Energie verschwendende Gebäude kommen, wie sie Kommission und Parlament wollen.

Im Frühjahr hatte Bauministerin Klara Geywitz (SPD) die Idee ins Spiel gebracht, die MEPS sollten für den Durchschnitt ganzer Quartiere gelten. Damit stehe Deutschland aber sogar im Rat allein da, sagt eine mit den Verhandlungen vertraute Quelle. Die allgemeine Ausrichtung des Rates gilt für den Durchschnitt des gesamten nationalen Gebäudebestands.

Strommarkt-Trilog steht bevor

Für die Strommarktreform stehen die letzten Schritte vor dem Trilog an. Am 7. September entscheidet der ITRE noch über die Position zur Transparenzrichtlinie REMIT. In der zweiten Septemberwoche soll dann das Plenum über die Gesamtnovelle mit der Strommarktverordnung und der Strommarktrichtlinie abstimmen. Die Positionen zu letzteren beiden hatte der Industrieausschuss schon kurz vor der Sommerpause beschlossen.

Es ist gut möglich, dass ID oder EKR das Votum im Plenum bis zur darauffolgenden Sitzungswoche hinauszögern. Die letztlich entscheidende Mehrheit von EVP, S&D, Renew und Grünen steht aber. Eine offizielle Agenda für die erste Sitzung der Ständigen Vertreter (Coreper) nach der Sommerpause gibt es noch nicht. Die spanische Ratspräsidentschaft will das Dossier aber bis Jahresende abschließen.

Industriestrompreis fehlt noch EU-Dimension

Außerdem wird noch spannend, ob und wie die deutsche Debatte zum Industriestrompreis mit dem Brüsseler Diskurs verzahnt wird. Zumindest die verschiedensten Vorschläge zu einem subventionierten “Brückenstrompreis” bis zum massenhaften Ausbau der Erneuerbaren dürften nicht nur beihilferelevant sein, sondern auch für politischen Zündstoff im Rat sorgen. Dort wird argwöhnisch verfolgt, welche Regierung ihre Industrie mit Subventionen zu stützen versucht.

Ein Augenmerk auf die europarechtliche Dimension will in den nächsten Wochen etwa die Denkfabrik Epico legen, sagt deren Direktor Bernd Weber. Dahinter stehen für den Energieexperten aber grundsätzlichere Debatten. “Die erste spannende Frage ist, wo man Veränderungen auf marktlichem Wege zulässt oder aus Gründen der Resilienz gegensteuert”, sagt Weber. Und die zweite Dimension sei die Rolle von Markt und Staat und ihrem Zusammenspiel.

Der Net-Zero Industry Act kann für den Epico-Gründer nur der Anfang sein. “Europa braucht eine ganzheitliche Industriestrategie. Große Teile der Wertschöpfung und auch der Dekarbonisierung sind vom Vorschlag der Kommission noch nicht abgedeckt”.

Gasmarktpaket: Priorität für die Industrie

Hoch relevant für die Dekarbonisierung ist das Gasmarktpaket. Der Trilog steht für die Bundesregierung weit oben auf der Prioritätenliste, weil an dem Gesetzeswerk auch der Aufbau eines dringend benötigten Wasserstoffnetzes hängt. Die Ratspräsidentschaft wird es aber wohl nicht so ehrgeizig angehen wie die Strommarktreform. Er hoffe noch auf eine Einigung bis Ende des Jahres, sagte Berichterstatter Jens Geier (SPD) kurz vor der Sommerpause. Klarer sehen werde man wohl erst im Oktober.

Strittig ist unter anderem noch die Netzplanung. Bei unterschiedlichen Regelungen für Transport- und Verteilnetzbetreiber (VNB) soll sich der Rat zuletzt in Richtung des Parlaments bewegt haben. Das Parlament will die kleinen VNBs nicht so hart regulieren wie die überregionalen Netzgesellschaften. Eher machbar scheinen Wege, um Wasserstoff für die Industrie zu priorisieren, wie es Geier anstrebt.

Energieminister treffen sich erst im Dezember

Die Energieminister treffen sich wieder am 19. Dezember in Brüssel. Bis dahin sei derzeit kein weiteres Treffen vorgesehen, bestätigte die Ratspräsidentschaft am Freitag auf Anfrage. Allerdings hat Spanien eine ganze Reihe von Kongressen und Expertenrunden angesetzt:

  • Internationaler Klima- und Energiegipfel. 2. Oktober, Madrid
  • High-level Konferenz zur Auswertung der Nationalen Energie- und Klimapläne. Die NECPs sind das zentrale Tool, um zu überprüfen, ob die Mitgliedstaaten die Green-Deal-Politik umsetzen und alle klimapolitischen Ziele der EU erreicht werden. 20. Oktober, Madrid
  • Konferenz zum gerechten Übergang. Die soziale Komponente hat auch in Deutschland nach dem Wirbel um das Gebäudegesetz deutlich an Gewicht gewonnen. 26.-27. Oktober, Ponferrada
  • Internationaler Kongress zur Atomenergie. 2.-3. November, Burgos
  • Konferenz zum Strategic Energy Technology Plan (SET Plan), einem zentralen Plan zur EU-Energieforschung. 13.-14. November, Viladecans
  • Treffen der Energieexperten der Ständigen Vertretungen. 29.11.-1.12. Las Palmas de Gran Canaria

Schon am 7. September wird nach Informationen von Table.Media die High-level Konferenz zum Ausbau der Stromnetze stattfinden, welche die Generaldirektion Energie im Juni angekündigt hatte. Nachdem jüngst alle Weichen für einen schnelleren Ausbau der Erneuerbaren gestellt wurden, rückt der Netzausbau wieder stärker in den Fokus.

In Vorbereitung ist außerdem noch der Aktionsplan der Kommission zu Wärmepumpen. Die letzte Möglichkeit zu ausführlichen Stellungnahmen gibt es am 9. Oktober beim vierten Stakeholder-Forum. Ebenfalls noch weitgehend in der konzeptionellen Phase ist das Thema Speicherung und Nutzung von Kohlendioxid (CCUS). Vom 27. bis 28. November plant die Kommission dazu ein Forum in Dänemark.

  • Energiepolitik
  • EPBD
  • Gaspreise
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  • ITRE
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News

Ökodesign: Right-to-Repair-Kampagne fordert Senkung des Rohstoffbedarfs

Vor dem Auftakt der Trilogverhandlungen zur Ökodesign-Verordnung am kommenden Mittwoch fordert die europäische Right-to-Repair-Kampagne die EU-Institutionen auf, wirksame Ökodesign-Anforderungen zu gewährleisten und das Potenzial zur Verringerung des Bedarfs an (kritischen) Rohstoffen auszuschöpfen. Ein entsprechendes Positionspapier liegt Table.Media vor. Darin schreibt das Bündnis europäischer Organisationen, die sich für Reparatur einsetzen: “Wir sehen die Ökodesign-Verordnung als einen großen Schritt der EU für den Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft“. Das Papier wurde von weiteren zivilgesellschaftlichen Organisationen wie Germanwatch unterzeichnet.

Die Ökodesign-Verordnung solle “ein sinnvoller Schritt zur Verringerung der Nachfrage nach (kritischen und strategischen) Rohstoffen sein”, heißt es in dem Papier. So sollten Synergien mit dem Gesetz über kritische Rohstoffe (Critical Raw Materials Act) geschaffen werden, dessen Entwurf bislang keine Reduzierung der Nachfrage nach Rohstoffen vorsieht, sondern sich auf die Versorgungssicherheit konzentriere. Die Nachfrageseite müsse stärker berücksichtigt werden, fordert das Right-to-Repair-Bündnis.

Digitaler Produktpass entscheidend für Kreislaufwirtschaft

Auch das Vernichtungsverbot unverkaufter Waren müsse zügig und wirksam umgesetzt werden. Dafür sprechen sich alle drei EU-Institutionen aus. Allerdings konnte sich der Rat lediglich auf Textilien und Schuhe einigen, während das Parlament fordert, auch Elektroprodukte in das Verbot einzubeziehen.

Der digitale Produktpass, der mit der neuen Ökodesign-Verordnung eingeführt werden soll, habe das Potenzial, die Kreislaufwirtschaft entscheidend zu verändern, schreibt das Bündnis, da er das Informationsdefizit entlang der Kreislaufwertschöpfungskette beheben würde. Dafür müsse jedoch garantiert werden, dass Reparaturbetriebe und andere Beteiligte auch tatsächlich Zugang zu den relevanten Informationen erhalten. Der Verweis auf das Geschäftsgeheimnis dürfe nicht dazu führen, dass Hersteller von der Informationspflicht befreit würden.

Die Organisationen warnen vor ähnlichen Versäumnissen wie im Falle der Ökodesign-Richtlinie, die 2009 in Kraft trat. Die Kommission habe damals die Umsetzungsmaßnahmen nur langsam und nach einem produktbezogenen Ansatz festgelegt. Dieser Ansatz sei zwar in einigen Fällen wichtig, doch stelle nicht sicher, dass alle in der EU in Verkehr gebrachten Produkte Mindestanforderungen an ihre Haltbarkeit erfüllen. Die neue Ökodesign-Verordnung müsse daher “die rechtzeitige Einführung von horizontalen Anforderungen für größere Produktgruppen wie Elektro- und Elektronikgeräte ermöglichen”, heißt es in dem Positionspapier. leo

  • Kreislaufwirtschaft
  • Ökodesign
  • Recht auf Reparatur

Montenegro: Neue Regierung voraussichtlich ohne Belgrad-Verbündeten

Im Nato- und Balkanland Montenegro zeichnet sich eine Regierungsbildung ohne die offen pro-serbische und pro-russische Allianz Für die Zukunft Montenegros (ZBCG/früher: Demokratisches Forum) ab. Dies erklärte der Chef der zentristischen Partei Europa Jetzt (PES), Milojko Spajic, der den Regierungsauftrag erhalten hatte. Er werde eine Regierung mit kleineren pro-serbischen Parteien sowie den Parteien der ethnischen Minderheiten bilden, sagte Spajic in der Nacht zum Sonntag nach einer Vorstandssitzung seiner Partei.

Europa Jetzt war bei den Parlamentswahlen im Juni stimmstärkste Kraft geworden, braucht aber Partner für eine künftige Regierung. Eine mögliche Koalition mit den eher pro-serbischen Demokraten und der pro-serbischen Sozialistischen Volkspartei (SNP) sowie mit den pro-westlichen Parteien der Bosniaken, Albaner und Kroaten hätte eine Mehrheit von 43 der 81 Abgeordneten hinter sich.

In Montenegro ist das Verhältnis zum großen Nachbarn Serbien ein delikates. Unter Präsident Aleksandar Vucic verfolgt Belgrad eine Politik der Vereinnahmung der ethnischen Serben in den Nachbarländern. Etwa 30 Prozent der Montenegriner fühlen sich als Serben, aber nicht alle von ihnen unterstützen – so wie die ZBCG – bedingungslos die Politik Belgrads.

Zugleich befindet sich das Land in der abschließenden Phase der Beendigung der Ära des Langzeitherrschers Milo Djukanovic. Dieser hatte als Verbündeter der Westens das Land 2006 in die Unabhängigkeit von Serbien und 2017 in die Nato geführt. Die drei Jahrzehnte, in denen er die Geschicke des Landes bestimmte, waren aber auch von Korruption und Gewalt gegen Oppositionelle geprägt.

Im April dieses Jahres verlor Djukanovic die Präsidentschaftswahl gegen Jakov Milatovic aus der PES. Seine Demokratische Partei der Sozialisten (DPS) ist bereits seit 2020 in der Opposition. Er selbst trat nach der verlorenen Präsidentschaftswahl auch als DPS-Chef zurück. dpa

  • Balkan
  • Montenegro
  • Serbien

SPD-Fraktion will Beihilferecht lockern

Die SPD-Bundestagsfraktion will am Montag einen Sechs-Punkte-Plan für mehr Wirtschaftswachstum beschließen. Er enthält die Forderung, weiterhin “massiv” in die Ansiedlung großer Industrieunternehmen zu investieren. Dafür soll auch das EU-Beihilferecht gelockert werden, um den bereits eingeschlagenen Weg für Batterien, Chips und grüne Stahlwerke auch auf andere Branchen auszuweiten. Genannt werden in dem Beschlussentwurf beispielhaft die Chipfabriken von Intel und TSMC, für die bereits Milliardensubventionen beschlossen wurden – was auch Kritik hervorgerufen hat.

Die SPD-Bundestagsfraktion kommt am Montag zu einer zweitägigen Klausurtagung in Wiesbaden zusammen, bei der es vor allem um einen staatlich subventionierten Industriestrompreis gehen wird. Die 206 Abgeordneten der größten Regierungsfraktion, zu denen auch Bundeskanzler Olaf Scholz gehört, wollen dazu ein konkretes Konzept beschließen. Die Fraktionsspitze schlägt einen auf mindestens fünf Jahre befristeten Preis von fünf Cent pro Kilowattstunde für besonders stark von hohen Energiekosten betroffene Unternehmen vor.

Scholz hat sich bisher skeptisch zu der Staatshilfe geäußert. Bei der Klausur muss er nun Farbe bekennen. Das Thema birgt neues Konfliktpotenzial für die Ampel-Koalition. Die FDP lehnt die Subvention ab, die Grünen sind dafür. dpa/rtr/luk

  • Beihilfenrecht
  • Chips
  • Wirtschaftspolitik

EU plant weiteren Einsatz am Golf von Guinea

Die Europäische Union will offenbar im Herbst eine sogenannte zivil-militärische Mission am Golf von Guinea in Westafrika starten. Wie die “Welt am Sonntag” unter Berufung auf Diplomatenkreise vorab berichtet, haben sich die EU-Länder darauf verständigt, mit dem Einsatz unmittelbar nach einem entsprechenden formalen Beschluss der EU-Außenminister bei ihrem Treffen im Oktober in Luxemburg zu beginnen. Wie die Insider dem Blatt erklärten, soll eine bisher noch nicht genau definierte Zahl an Polizisten und Soldaten dabei in den Ländern Elfenbeinküste, Ghana, Togo und Benin zum Einsatz kommen.

Mit dem Einsatz verfolgt die EU dem Blatt zufolge vier Ziele:

  • allgemeine Stärkung der Sicherheitskräfte insbesondere im Norden der vier Länder durch Beratung und Training
  • “Einsatzvorbereitungstraining” für Anti-Terror-Operationen
  • technische Unterstützung
  • Vertrauensbildung im Sicherheitssektor

Der Grund für den Einsatz sei die Sorge der EU, dass jihadistische Gruppen ihre Aktivitäten in Westafrika von der Sahelzone weiter in Richtung der südlichen Küstenländer am Golf von Guinea ausweiten könnten und die Instabilität in der Region sich noch weiter ausbreitet. Wie das Blatt weiter berichtet, haben die Regierungen von Benin und Ghana das für die Mission der Europäer notwendige Einladungsschreiben zum Aufenthalt in ihren Ländern bereits verschickt.

Erst Ende 2022 hatte die EU eine Militärmission im Niger beschlossen, um den Terrorismus in der Region zu bekämpfen. Die Sahelzone gilt als Zentrum für islamistischen Terror. Sowohl in Mali als auch in Burkina Faso und Niger sind Gruppen des Islamischen Staates und Al-Kaida tätig.

Für die EU ist die Lage im Niger auch bedeutend, weil es eines der wichtigsten Transitländer für afrikanische Migranten auf dem Weg nach Europa ist. Die EU kooperiert mit Niger bereits seit 2015, vor allem um die Migrationsroute von der nigrischen Wüstenstadt Agadez nach Libyen zu blockieren. 503 Millionen Euro Fördermittel hatte die EU für Niger im Haushalt für die Zeitspanne 2021 bis 2024 bereitgestellt. Seit dem Militärputsch am 26. Juli in Niger hat die EU die Zusammenarbeit mit dem Land ausgesetzt. Zurzeit befinden sich noch knapp 100 deutsche Soldaten vor Ort. rtr

  • Niger
  • Sicherheitspolitik

Presseschau

Stärkung der Sicherheitskräfte: EU plant militärischen Einsatz am Golf von Guinea N-TV
Südkaukasus: In Bergkarabach verhungern Menschen, die EU schaut weg ZEIT
Bergkarabach: Warum Europa die Warnungen vor einem Genozid ignoriert WELT
Flucht nach Europa: Hunderte Geflüchtete erreichen Lampedusa per Boot ZEIT
Nachfolger von Frans Timmermans: Niederländischer Außenminister Hoekstra soll EU-Kommissar werden SPIEGEL
Die Linke und ihr Europa-Wahlprogramm: Linke für Friedensinitiative von EU und Russland-Verbündeten RP-ONLINE
Kommentar – Europa: Wir brauchen eine europäische Armee – in der Nato und an der Seite der USA WELT
In Europa brennt es: Mehr Zusammenarbeit soll überwältigten Feuerwehrleuten helfen NZZ
Russian billionaire pleads for EU sanctions relief after decrying war FT
“It’s sad that French society is too insecure to let an American work for the EU” TELEGRAPH
Pfizer-Aktie freundlich: EU-Kommission erteilt Zulassung für RSV-Impfstoff von Pfizer für Babys FINANZEN
Brexit: Darum fahren Briten noch immer mit EU-Schildern rum NAU
Large US tech companies face new EU rules CNN
How EU’s new DSA rules impact tech giants and users INTERESTING ENGINEERING
Squeezed out: Bulgaria lavender oil makers fear EU laws EURACTIV

Heads

Abigaël Vasselier – Von der EU-Verwaltung zur Denkfabrik

Abigaël Vasselier leitet das Foreign-Relations-Team bei Merics.

Von der Thinktankerin, zur Politik-Macherin – und wieder zurück: Abigaël Vasselier leitet seit ein paar Wochen das Foreign Relations-Team bei der deutschen China-Denkfabrik Merics. In ihrer neuen Position wird die Französin auch einen Fokus auf die China-Politik der EU legen. Als stellvertretende Abteilungsleiterin für China, Hongkong, Macao, Taiwan und die Mongolei beim Europäischen Auswärtigen Dienst (EEAS) hatte sie diese bis vor kurzem noch selbst aktiv mitgestaltet. Ihren ersten Denkfabrikjob hatte Vasselier zuvor beim European Council on Foreign Relations (ECFR). 

Dieses Prinzip der “revolving door” – also des Job-Tauschs wie in einer Drehtür – sieht sie als sehr wertvoll für ihre Arbeit. “Ich denke, wenn man einmal selbst in der Verwaltung gearbeitet hat, formuliert man politische Empfehlungen anders als davor”, sagt Vasselier. Wer “selbst im System mit angepackt” habe, könne besser einschätzen, was von einem Apparat wie der weitläufigen und gleichzeitig detaillierten EU-Verwaltung erwartbar sei. “Man weiß viel besser, auf welcher Ebene Debatten geführt und welche Stakeholder und Akteure zusammengebracht werden müssen.” 

“Mehr Platz zu Nachdenken”

Nach fünf Jahren beim EEAS aber habe sie das Gefühl gehabt, sie müsse von der Verwaltung zurück in einen Raum, der wieder mehr Platz zum Nachdenken und neue Ideen lasse. Denn als Diplomatin sei dieser Raum doch ab und an eingeschränkt. Wenn sich mehr Menschen in die Job-Drehtür begeben würden, um auch einmal die jeweils andere Seite – Praxis getauscht gegen Theorie und andersherum – zu erkunden, hätte das ihrer Ansicht nach viel Potenzial. “Das würde der europäischen Politik helfen, mehr ‘out of the box’ zu denken, neue Ideen zu haben und proaktiver zu sein, das gilt auch in der China-Frage”, sagt Vasselier. Durch ihre Zeit beim EEAS gehe sie die Thinktank-Arbeit bei Merics nun anders an als bei ihrem ersten Denkfabrikjob bei ECFR. 

Dass sie einmal in der Thinktank-Welt mit einem Fokus auf China und Asien landen würde, war für Vasselier bei ihrer ersten Berührung mit Mandarin noch ganz weit weg – gedanklich und geografisch. 1989 geboren, wuchs sie in der mittelgroßen Gemeinde Fos-sur-mer in Südfrankreich auf, nicht weit von Marseille. Auf dem Lycée in Istres gab es damals die Wahl für eine weitere Fremdsprache: Chinesisch. “Ich hätte lieber Arabisch gelernt, weil das alle meine Freunde sprachen, aber so wurde es eben Mandarin”, sagt Vasselier. Bei einem Klassenausflug nach Peking besuchte sie das erste Mal China.

Aus der französischen Provinz nach Peking

Wie der erste Mandarin-Kontakt war auch Vasseliers weiteres China-Interesse ein wenig dem Zufall der Sprachwahl geschuldet. Denn für ihr Studium der Auswärtigen Beziehungen an der Universität Sciences Po in Aix-en-Provence musste sie eine Drittsprache neben Englisch belegen. Zur Auswahl stand Spanisch – oder abermals Mandarin. Um ihre Sprachkenntnisse zu vertiefen, verbrachte sie während des Studiums ein Jahr an der China Foreign Affairs University in Peking.

Nach ihrem Bachelor-Studium machte Vasselier eine achtmonatige Stippvisite in der Beratungsbranche; dann zog es sie zurück an die Uni: Sie erfüllte sich den Traum eines Studiums an einer britischen Hochschule mit einem Masterabschluss in Asian Studies an der SOAS in London

“Der deutsch-französische Motor ist wichtig für Europa”

Während der Weg in die Asien- und China-Studien, wie Vasselier selbst sagt, auf mehreren Zufällen basierte, setzte sie von Beginn an klar auf eine gesamteuropäische Herangehensweise. “Die Erkenntnis, dass China nicht nur aus der nationalen Perspektive betrachtet werden kann, ergab sich ziemlich früh.” Nach ihrem Masterstudium bekam auch ihre Arbeit einen europäischen Fokus: Beim Thinktank ECFR arbeitete Vasselier eng mit dem französischen Sinologen François Godement zusammen, um ein Asien-Programm zu etablieren. Godement wurde ihr Mentor, zusammen veröffentlichten sie das Buch “China at the gates: A new power audit of EU-China relations”. Godement habe sie angehalten, mehr zu schreiben, erzählt Vasselier. 

Ob sie dafür in den kommenden Monaten viel Zeit haben wird, wird sich zeigen. Die Agenda für ihre neue Position sei bereits gut gefüllt. Unter anderem beinhalte sie die Vorbereitung für den anstehenden EU-China-Gipfel und weitere hochrangige Dialoge. Bei ihrer Arbeit bei Merics sei es ihr wichtig, ihre französische Erfahrung mit einzubringen, betont Vasselier. “Der deutsch-französische Motor ist wichtig für Europa, auch in der China-Frage.” Nach Brüssel wird nun Berlin ihr neues Zuhause. Ein wenig Vorbereitung auf Deutschland hatte sie bereits: Vasselier ist mit einem Deutschen verheiratet. Amelie Richter

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Europe.Table Redaktion

EUROPE.TABLE REDAKTION

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    Am Mittwoch verhandeln Parlament und Rat im Trilog über die Ökodesign-Verordnung. Hierzu bringt Sie diese Ausgabe in den News auf den neuesten Stand. Am Donnerstag findet der Trilog zur Gebäuderichtlinie statt.

    Ebenfalls am Mittwoch stimmt der Agrarausschuss über seine Stellungnahme zur Zertifizierung von CO₂-Entnahmen ab und tauscht sich außerdem mit der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit über Pflanzenschutzmittel und die Risikobewertung zu Glyphosat aus.

    Im Haushaltsausschuss wird am Mittwoch über die Anträge auf Mittelübertragung im Haushaltsplan 2023 abgestimmt und über eine Stellungnahme zur Rolle der Steuerpolitik in Krisenzeiten beraten. Der Wirtschaftsausschuss prüft die Änderungsanträge des Gesamthaushaltsplans 2024.

    Und dann könnte sich in dieser Woche noch entscheiden, ob der niederländische Außenminister Wopke Hoekstra der Nachfolger von Frans Timmermans als Klimakommissar wird. Über die Kritik an seiner Nominierung finden Sie in dieser Ausgabe eine Analyse, die auch das Prozedere der Ernennung erklärt.

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    Analyse

    Timmermans Nachfolge: Kritik an Hoekstra-Nominierung

    Wopke Hoekstra, Minister of Foreign Affairs, at the Binnenhof bulding complex that also houses the parliament after the weekly Council of Ministers in The Hague, The Netherlands, 17 March 2023. EPA-EFE/Remko de Waal
    Wobke Hoekstra ist in der EU kein Unbekannter – allerdings ist er bisher nicht als Klimaexperte hervorgetreten. 

    Am Freitag hat der niederländische Premierminister Mark Rutte offiziell Wopke Hoekstra als EU-Kommissar der Niederlande vorgeschlagen. Der bisherige Außenminister soll die Nachfolge von Frans Timmermans übernehmen, der als Spitzenkandidat eines Bündnisses aus Sozialdemokraten und Grünen bei der vorgezogenen Parlamentswahl am 22. November antritt. Allerdings gibt es ein Problem an der Nachfolge-Regelung Ruttes: Der Christdemokrat Hoekstra gehört zu einer anderen Parteifamilie als der Sozialdemokrat Timmermans.

    Die Sozialdemokraten im EU-Parlament fordern deshalb, dass jemand aus ihren Reihen auf Timmermans folgen müsse. Insbesondere, da Hoekstra womöglich auch den Aufgabenbereich internationale Klimapolitik von seinem Vorgänger übernehmen könnte. “Für unsere Fraktion ist es entscheidend, dass das Klimaportfolio in den Händen der S&D-Familie bleibt”, twitterte die S&D-Fraktion. Und sagte voraus: Hoekstra erwarte eine harte Anhörung im EU-Parlament.

    S&D könnte Hoekstra blockieren

    Das Prozedere sieht vor, dass Hoekstra nun am Dienstag zunächst bei Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vorstellig wird. Dort wird es um seine Qualifikation gehen und seinen möglichen Aufgabenbereich. Anschließend muss das EU-Parlament nach einer Befragung des Nominierten im entsprechenden Fachausschuss zustimmen. Die Abgeordneten können den Kandidaten in der geheimen Abstimmung auch ablehnen.

    Sollten die Parlamentarier tatsächlich gegen den 47-Jährigen stimmen, müsste Rutte einen neuen Kandidaten nominieren. Wählt er eine Sozialdemokratin, würde die EVP womöglich eine Mehrheit gegen diese schmieden. Rutte selbst ist ein Liberaler.

    Bekommt Hoekstra das Klima-Ressort?

    Hoekstra ist bislang nicht als Klimapolitiker aufgefallen. Als Außen- und als Finanzminister in den Niederlanden bringt er aber Erfahrungen mit, die er in die internationalen Klimaverhandlungen einbringen könnte, bei denen es stark um Klimafinanzierung gehen wird. Seine Hauptaufgabe als Kommissar in den kommenden Monaten dürfte sein, die EU bei der UN-Klimakonferenz in Dubai (COP28) am Verhandlungstisch zu vertreten. Denn neue Gesetzesinitiativen sind von der Kommission auf dem Gebiet kaum noch zu erwarten. Der designierte Exekutivvizepräsident Maroš Šefčovič soll die verbleibenden Aktivitäten beim Green Deal koordinieren.

    Die Aufgabenteilung sorgt für Kritik unter Klimapolitikern. Der niederländische Grünen-Abgeordnete Bas Eickhout quittierte die Nominierung Hoekstras mit einem zynischen “Tja …”. Hoekstra habe nicht genug Zeit, um etwas Wesentliches zu bewegen, kommentiert die niederländische Volt-Politikerin Sophie in ‘t Veld. Sie schlägt an dessen Stelle Timmermans Kabinettchef Diederik Samsom als Nachfolger vor. Er könne “die Klimaagenda nahtlos übernehmen”.

    • Europäische Kommission
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    Abkühlen statt Einheizen – der energiepolitische Herbst

    In der Energiepolitik startet die Arbeit nach der Sommerpause mit der Atomfrage – nein, zur Abwechslung mal nicht mit dem Grundsatzstreit zwischen Frankreich und Deutschland. Vielmehr legt der Slowene Franc Bogovič (EVP) alsbald seinen Entwurf für den Initiativbericht des Parlaments zu kleinen modularen Reaktoren (SMR) vor. Ob daraus eine neue Blüte der Atomenergie in Europa wird, wie in den Träumen mancher Silicon-Valley-Gurus, werden die nächsten Jahre zeigen.

    Schon am Donnerstag steht dann der erste wichtige Trilog auf dem Programm, verhandelt wird die Gebäuderichtlinie. Deutschland hat seine Ambitionen in den vergangenen Monaten immer weiter heruntergefahren. Viele Beobachter rechnen nicht mehr damit, dass noch Mindesteffizienzstandards (MEPS) für einzelne, besonders viel Energie verschwendende Gebäude kommen, wie sie Kommission und Parlament wollen.

    Im Frühjahr hatte Bauministerin Klara Geywitz (SPD) die Idee ins Spiel gebracht, die MEPS sollten für den Durchschnitt ganzer Quartiere gelten. Damit stehe Deutschland aber sogar im Rat allein da, sagt eine mit den Verhandlungen vertraute Quelle. Die allgemeine Ausrichtung des Rates gilt für den Durchschnitt des gesamten nationalen Gebäudebestands.

    Strommarkt-Trilog steht bevor

    Für die Strommarktreform stehen die letzten Schritte vor dem Trilog an. Am 7. September entscheidet der ITRE noch über die Position zur Transparenzrichtlinie REMIT. In der zweiten Septemberwoche soll dann das Plenum über die Gesamtnovelle mit der Strommarktverordnung und der Strommarktrichtlinie abstimmen. Die Positionen zu letzteren beiden hatte der Industrieausschuss schon kurz vor der Sommerpause beschlossen.

    Es ist gut möglich, dass ID oder EKR das Votum im Plenum bis zur darauffolgenden Sitzungswoche hinauszögern. Die letztlich entscheidende Mehrheit von EVP, S&D, Renew und Grünen steht aber. Eine offizielle Agenda für die erste Sitzung der Ständigen Vertreter (Coreper) nach der Sommerpause gibt es noch nicht. Die spanische Ratspräsidentschaft will das Dossier aber bis Jahresende abschließen.

    Industriestrompreis fehlt noch EU-Dimension

    Außerdem wird noch spannend, ob und wie die deutsche Debatte zum Industriestrompreis mit dem Brüsseler Diskurs verzahnt wird. Zumindest die verschiedensten Vorschläge zu einem subventionierten “Brückenstrompreis” bis zum massenhaften Ausbau der Erneuerbaren dürften nicht nur beihilferelevant sein, sondern auch für politischen Zündstoff im Rat sorgen. Dort wird argwöhnisch verfolgt, welche Regierung ihre Industrie mit Subventionen zu stützen versucht.

    Ein Augenmerk auf die europarechtliche Dimension will in den nächsten Wochen etwa die Denkfabrik Epico legen, sagt deren Direktor Bernd Weber. Dahinter stehen für den Energieexperten aber grundsätzlichere Debatten. “Die erste spannende Frage ist, wo man Veränderungen auf marktlichem Wege zulässt oder aus Gründen der Resilienz gegensteuert”, sagt Weber. Und die zweite Dimension sei die Rolle von Markt und Staat und ihrem Zusammenspiel.

    Der Net-Zero Industry Act kann für den Epico-Gründer nur der Anfang sein. “Europa braucht eine ganzheitliche Industriestrategie. Große Teile der Wertschöpfung und auch der Dekarbonisierung sind vom Vorschlag der Kommission noch nicht abgedeckt”.

    Gasmarktpaket: Priorität für die Industrie

    Hoch relevant für die Dekarbonisierung ist das Gasmarktpaket. Der Trilog steht für die Bundesregierung weit oben auf der Prioritätenliste, weil an dem Gesetzeswerk auch der Aufbau eines dringend benötigten Wasserstoffnetzes hängt. Die Ratspräsidentschaft wird es aber wohl nicht so ehrgeizig angehen wie die Strommarktreform. Er hoffe noch auf eine Einigung bis Ende des Jahres, sagte Berichterstatter Jens Geier (SPD) kurz vor der Sommerpause. Klarer sehen werde man wohl erst im Oktober.

    Strittig ist unter anderem noch die Netzplanung. Bei unterschiedlichen Regelungen für Transport- und Verteilnetzbetreiber (VNB) soll sich der Rat zuletzt in Richtung des Parlaments bewegt haben. Das Parlament will die kleinen VNBs nicht so hart regulieren wie die überregionalen Netzgesellschaften. Eher machbar scheinen Wege, um Wasserstoff für die Industrie zu priorisieren, wie es Geier anstrebt.

    Energieminister treffen sich erst im Dezember

    Die Energieminister treffen sich wieder am 19. Dezember in Brüssel. Bis dahin sei derzeit kein weiteres Treffen vorgesehen, bestätigte die Ratspräsidentschaft am Freitag auf Anfrage. Allerdings hat Spanien eine ganze Reihe von Kongressen und Expertenrunden angesetzt:

    • Internationaler Klima- und Energiegipfel. 2. Oktober, Madrid
    • High-level Konferenz zur Auswertung der Nationalen Energie- und Klimapläne. Die NECPs sind das zentrale Tool, um zu überprüfen, ob die Mitgliedstaaten die Green-Deal-Politik umsetzen und alle klimapolitischen Ziele der EU erreicht werden. 20. Oktober, Madrid
    • Konferenz zum gerechten Übergang. Die soziale Komponente hat auch in Deutschland nach dem Wirbel um das Gebäudegesetz deutlich an Gewicht gewonnen. 26.-27. Oktober, Ponferrada
    • Internationaler Kongress zur Atomenergie. 2.-3. November, Burgos
    • Konferenz zum Strategic Energy Technology Plan (SET Plan), einem zentralen Plan zur EU-Energieforschung. 13.-14. November, Viladecans
    • Treffen der Energieexperten der Ständigen Vertretungen. 29.11.-1.12. Las Palmas de Gran Canaria

    Schon am 7. September wird nach Informationen von Table.Media die High-level Konferenz zum Ausbau der Stromnetze stattfinden, welche die Generaldirektion Energie im Juni angekündigt hatte. Nachdem jüngst alle Weichen für einen schnelleren Ausbau der Erneuerbaren gestellt wurden, rückt der Netzausbau wieder stärker in den Fokus.

    In Vorbereitung ist außerdem noch der Aktionsplan der Kommission zu Wärmepumpen. Die letzte Möglichkeit zu ausführlichen Stellungnahmen gibt es am 9. Oktober beim vierten Stakeholder-Forum. Ebenfalls noch weitgehend in der konzeptionellen Phase ist das Thema Speicherung und Nutzung von Kohlendioxid (CCUS). Vom 27. bis 28. November plant die Kommission dazu ein Forum in Dänemark.

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    Ökodesign: Right-to-Repair-Kampagne fordert Senkung des Rohstoffbedarfs

    Vor dem Auftakt der Trilogverhandlungen zur Ökodesign-Verordnung am kommenden Mittwoch fordert die europäische Right-to-Repair-Kampagne die EU-Institutionen auf, wirksame Ökodesign-Anforderungen zu gewährleisten und das Potenzial zur Verringerung des Bedarfs an (kritischen) Rohstoffen auszuschöpfen. Ein entsprechendes Positionspapier liegt Table.Media vor. Darin schreibt das Bündnis europäischer Organisationen, die sich für Reparatur einsetzen: “Wir sehen die Ökodesign-Verordnung als einen großen Schritt der EU für den Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft“. Das Papier wurde von weiteren zivilgesellschaftlichen Organisationen wie Germanwatch unterzeichnet.

    Die Ökodesign-Verordnung solle “ein sinnvoller Schritt zur Verringerung der Nachfrage nach (kritischen und strategischen) Rohstoffen sein”, heißt es in dem Papier. So sollten Synergien mit dem Gesetz über kritische Rohstoffe (Critical Raw Materials Act) geschaffen werden, dessen Entwurf bislang keine Reduzierung der Nachfrage nach Rohstoffen vorsieht, sondern sich auf die Versorgungssicherheit konzentriere. Die Nachfrageseite müsse stärker berücksichtigt werden, fordert das Right-to-Repair-Bündnis.

    Digitaler Produktpass entscheidend für Kreislaufwirtschaft

    Auch das Vernichtungsverbot unverkaufter Waren müsse zügig und wirksam umgesetzt werden. Dafür sprechen sich alle drei EU-Institutionen aus. Allerdings konnte sich der Rat lediglich auf Textilien und Schuhe einigen, während das Parlament fordert, auch Elektroprodukte in das Verbot einzubeziehen.

    Der digitale Produktpass, der mit der neuen Ökodesign-Verordnung eingeführt werden soll, habe das Potenzial, die Kreislaufwirtschaft entscheidend zu verändern, schreibt das Bündnis, da er das Informationsdefizit entlang der Kreislaufwertschöpfungskette beheben würde. Dafür müsse jedoch garantiert werden, dass Reparaturbetriebe und andere Beteiligte auch tatsächlich Zugang zu den relevanten Informationen erhalten. Der Verweis auf das Geschäftsgeheimnis dürfe nicht dazu führen, dass Hersteller von der Informationspflicht befreit würden.

    Die Organisationen warnen vor ähnlichen Versäumnissen wie im Falle der Ökodesign-Richtlinie, die 2009 in Kraft trat. Die Kommission habe damals die Umsetzungsmaßnahmen nur langsam und nach einem produktbezogenen Ansatz festgelegt. Dieser Ansatz sei zwar in einigen Fällen wichtig, doch stelle nicht sicher, dass alle in der EU in Verkehr gebrachten Produkte Mindestanforderungen an ihre Haltbarkeit erfüllen. Die neue Ökodesign-Verordnung müsse daher “die rechtzeitige Einführung von horizontalen Anforderungen für größere Produktgruppen wie Elektro- und Elektronikgeräte ermöglichen”, heißt es in dem Positionspapier. leo

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    • Recht auf Reparatur

    Montenegro: Neue Regierung voraussichtlich ohne Belgrad-Verbündeten

    Im Nato- und Balkanland Montenegro zeichnet sich eine Regierungsbildung ohne die offen pro-serbische und pro-russische Allianz Für die Zukunft Montenegros (ZBCG/früher: Demokratisches Forum) ab. Dies erklärte der Chef der zentristischen Partei Europa Jetzt (PES), Milojko Spajic, der den Regierungsauftrag erhalten hatte. Er werde eine Regierung mit kleineren pro-serbischen Parteien sowie den Parteien der ethnischen Minderheiten bilden, sagte Spajic in der Nacht zum Sonntag nach einer Vorstandssitzung seiner Partei.

    Europa Jetzt war bei den Parlamentswahlen im Juni stimmstärkste Kraft geworden, braucht aber Partner für eine künftige Regierung. Eine mögliche Koalition mit den eher pro-serbischen Demokraten und der pro-serbischen Sozialistischen Volkspartei (SNP) sowie mit den pro-westlichen Parteien der Bosniaken, Albaner und Kroaten hätte eine Mehrheit von 43 der 81 Abgeordneten hinter sich.

    In Montenegro ist das Verhältnis zum großen Nachbarn Serbien ein delikates. Unter Präsident Aleksandar Vucic verfolgt Belgrad eine Politik der Vereinnahmung der ethnischen Serben in den Nachbarländern. Etwa 30 Prozent der Montenegriner fühlen sich als Serben, aber nicht alle von ihnen unterstützen – so wie die ZBCG – bedingungslos die Politik Belgrads.

    Zugleich befindet sich das Land in der abschließenden Phase der Beendigung der Ära des Langzeitherrschers Milo Djukanovic. Dieser hatte als Verbündeter der Westens das Land 2006 in die Unabhängigkeit von Serbien und 2017 in die Nato geführt. Die drei Jahrzehnte, in denen er die Geschicke des Landes bestimmte, waren aber auch von Korruption und Gewalt gegen Oppositionelle geprägt.

    Im April dieses Jahres verlor Djukanovic die Präsidentschaftswahl gegen Jakov Milatovic aus der PES. Seine Demokratische Partei der Sozialisten (DPS) ist bereits seit 2020 in der Opposition. Er selbst trat nach der verlorenen Präsidentschaftswahl auch als DPS-Chef zurück. dpa

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    SPD-Fraktion will Beihilferecht lockern

    Die SPD-Bundestagsfraktion will am Montag einen Sechs-Punkte-Plan für mehr Wirtschaftswachstum beschließen. Er enthält die Forderung, weiterhin “massiv” in die Ansiedlung großer Industrieunternehmen zu investieren. Dafür soll auch das EU-Beihilferecht gelockert werden, um den bereits eingeschlagenen Weg für Batterien, Chips und grüne Stahlwerke auch auf andere Branchen auszuweiten. Genannt werden in dem Beschlussentwurf beispielhaft die Chipfabriken von Intel und TSMC, für die bereits Milliardensubventionen beschlossen wurden – was auch Kritik hervorgerufen hat.

    Die SPD-Bundestagsfraktion kommt am Montag zu einer zweitägigen Klausurtagung in Wiesbaden zusammen, bei der es vor allem um einen staatlich subventionierten Industriestrompreis gehen wird. Die 206 Abgeordneten der größten Regierungsfraktion, zu denen auch Bundeskanzler Olaf Scholz gehört, wollen dazu ein konkretes Konzept beschließen. Die Fraktionsspitze schlägt einen auf mindestens fünf Jahre befristeten Preis von fünf Cent pro Kilowattstunde für besonders stark von hohen Energiekosten betroffene Unternehmen vor.

    Scholz hat sich bisher skeptisch zu der Staatshilfe geäußert. Bei der Klausur muss er nun Farbe bekennen. Das Thema birgt neues Konfliktpotenzial für die Ampel-Koalition. Die FDP lehnt die Subvention ab, die Grünen sind dafür. dpa/rtr/luk

    • Beihilfenrecht
    • Chips
    • Wirtschaftspolitik

    EU plant weiteren Einsatz am Golf von Guinea

    Die Europäische Union will offenbar im Herbst eine sogenannte zivil-militärische Mission am Golf von Guinea in Westafrika starten. Wie die “Welt am Sonntag” unter Berufung auf Diplomatenkreise vorab berichtet, haben sich die EU-Länder darauf verständigt, mit dem Einsatz unmittelbar nach einem entsprechenden formalen Beschluss der EU-Außenminister bei ihrem Treffen im Oktober in Luxemburg zu beginnen. Wie die Insider dem Blatt erklärten, soll eine bisher noch nicht genau definierte Zahl an Polizisten und Soldaten dabei in den Ländern Elfenbeinküste, Ghana, Togo und Benin zum Einsatz kommen.

    Mit dem Einsatz verfolgt die EU dem Blatt zufolge vier Ziele:

    • allgemeine Stärkung der Sicherheitskräfte insbesondere im Norden der vier Länder durch Beratung und Training
    • “Einsatzvorbereitungstraining” für Anti-Terror-Operationen
    • technische Unterstützung
    • Vertrauensbildung im Sicherheitssektor

    Der Grund für den Einsatz sei die Sorge der EU, dass jihadistische Gruppen ihre Aktivitäten in Westafrika von der Sahelzone weiter in Richtung der südlichen Küstenländer am Golf von Guinea ausweiten könnten und die Instabilität in der Region sich noch weiter ausbreitet. Wie das Blatt weiter berichtet, haben die Regierungen von Benin und Ghana das für die Mission der Europäer notwendige Einladungsschreiben zum Aufenthalt in ihren Ländern bereits verschickt.

    Erst Ende 2022 hatte die EU eine Militärmission im Niger beschlossen, um den Terrorismus in der Region zu bekämpfen. Die Sahelzone gilt als Zentrum für islamistischen Terror. Sowohl in Mali als auch in Burkina Faso und Niger sind Gruppen des Islamischen Staates und Al-Kaida tätig.

    Für die EU ist die Lage im Niger auch bedeutend, weil es eines der wichtigsten Transitländer für afrikanische Migranten auf dem Weg nach Europa ist. Die EU kooperiert mit Niger bereits seit 2015, vor allem um die Migrationsroute von der nigrischen Wüstenstadt Agadez nach Libyen zu blockieren. 503 Millionen Euro Fördermittel hatte die EU für Niger im Haushalt für die Zeitspanne 2021 bis 2024 bereitgestellt. Seit dem Militärputsch am 26. Juli in Niger hat die EU die Zusammenarbeit mit dem Land ausgesetzt. Zurzeit befinden sich noch knapp 100 deutsche Soldaten vor Ort. rtr

    • Niger
    • Sicherheitspolitik

    Presseschau

    Stärkung der Sicherheitskräfte: EU plant militärischen Einsatz am Golf von Guinea N-TV
    Südkaukasus: In Bergkarabach verhungern Menschen, die EU schaut weg ZEIT
    Bergkarabach: Warum Europa die Warnungen vor einem Genozid ignoriert WELT
    Flucht nach Europa: Hunderte Geflüchtete erreichen Lampedusa per Boot ZEIT
    Nachfolger von Frans Timmermans: Niederländischer Außenminister Hoekstra soll EU-Kommissar werden SPIEGEL
    Die Linke und ihr Europa-Wahlprogramm: Linke für Friedensinitiative von EU und Russland-Verbündeten RP-ONLINE
    Kommentar – Europa: Wir brauchen eine europäische Armee – in der Nato und an der Seite der USA WELT
    In Europa brennt es: Mehr Zusammenarbeit soll überwältigten Feuerwehrleuten helfen NZZ
    Russian billionaire pleads for EU sanctions relief after decrying war FT
    “It’s sad that French society is too insecure to let an American work for the EU” TELEGRAPH
    Pfizer-Aktie freundlich: EU-Kommission erteilt Zulassung für RSV-Impfstoff von Pfizer für Babys FINANZEN
    Brexit: Darum fahren Briten noch immer mit EU-Schildern rum NAU
    Large US tech companies face new EU rules CNN
    How EU’s new DSA rules impact tech giants and users INTERESTING ENGINEERING
    Squeezed out: Bulgaria lavender oil makers fear EU laws EURACTIV

    Heads

    Abigaël Vasselier – Von der EU-Verwaltung zur Denkfabrik

    Abigaël Vasselier leitet das Foreign-Relations-Team bei Merics.

    Von der Thinktankerin, zur Politik-Macherin – und wieder zurück: Abigaël Vasselier leitet seit ein paar Wochen das Foreign Relations-Team bei der deutschen China-Denkfabrik Merics. In ihrer neuen Position wird die Französin auch einen Fokus auf die China-Politik der EU legen. Als stellvertretende Abteilungsleiterin für China, Hongkong, Macao, Taiwan und die Mongolei beim Europäischen Auswärtigen Dienst (EEAS) hatte sie diese bis vor kurzem noch selbst aktiv mitgestaltet. Ihren ersten Denkfabrikjob hatte Vasselier zuvor beim European Council on Foreign Relations (ECFR). 

    Dieses Prinzip der “revolving door” – also des Job-Tauschs wie in einer Drehtür – sieht sie als sehr wertvoll für ihre Arbeit. “Ich denke, wenn man einmal selbst in der Verwaltung gearbeitet hat, formuliert man politische Empfehlungen anders als davor”, sagt Vasselier. Wer “selbst im System mit angepackt” habe, könne besser einschätzen, was von einem Apparat wie der weitläufigen und gleichzeitig detaillierten EU-Verwaltung erwartbar sei. “Man weiß viel besser, auf welcher Ebene Debatten geführt und welche Stakeholder und Akteure zusammengebracht werden müssen.” 

    “Mehr Platz zu Nachdenken”

    Nach fünf Jahren beim EEAS aber habe sie das Gefühl gehabt, sie müsse von der Verwaltung zurück in einen Raum, der wieder mehr Platz zum Nachdenken und neue Ideen lasse. Denn als Diplomatin sei dieser Raum doch ab und an eingeschränkt. Wenn sich mehr Menschen in die Job-Drehtür begeben würden, um auch einmal die jeweils andere Seite – Praxis getauscht gegen Theorie und andersherum – zu erkunden, hätte das ihrer Ansicht nach viel Potenzial. “Das würde der europäischen Politik helfen, mehr ‘out of the box’ zu denken, neue Ideen zu haben und proaktiver zu sein, das gilt auch in der China-Frage”, sagt Vasselier. Durch ihre Zeit beim EEAS gehe sie die Thinktank-Arbeit bei Merics nun anders an als bei ihrem ersten Denkfabrikjob bei ECFR. 

    Dass sie einmal in der Thinktank-Welt mit einem Fokus auf China und Asien landen würde, war für Vasselier bei ihrer ersten Berührung mit Mandarin noch ganz weit weg – gedanklich und geografisch. 1989 geboren, wuchs sie in der mittelgroßen Gemeinde Fos-sur-mer in Südfrankreich auf, nicht weit von Marseille. Auf dem Lycée in Istres gab es damals die Wahl für eine weitere Fremdsprache: Chinesisch. “Ich hätte lieber Arabisch gelernt, weil das alle meine Freunde sprachen, aber so wurde es eben Mandarin”, sagt Vasselier. Bei einem Klassenausflug nach Peking besuchte sie das erste Mal China.

    Aus der französischen Provinz nach Peking

    Wie der erste Mandarin-Kontakt war auch Vasseliers weiteres China-Interesse ein wenig dem Zufall der Sprachwahl geschuldet. Denn für ihr Studium der Auswärtigen Beziehungen an der Universität Sciences Po in Aix-en-Provence musste sie eine Drittsprache neben Englisch belegen. Zur Auswahl stand Spanisch – oder abermals Mandarin. Um ihre Sprachkenntnisse zu vertiefen, verbrachte sie während des Studiums ein Jahr an der China Foreign Affairs University in Peking.

    Nach ihrem Bachelor-Studium machte Vasselier eine achtmonatige Stippvisite in der Beratungsbranche; dann zog es sie zurück an die Uni: Sie erfüllte sich den Traum eines Studiums an einer britischen Hochschule mit einem Masterabschluss in Asian Studies an der SOAS in London

    “Der deutsch-französische Motor ist wichtig für Europa”

    Während der Weg in die Asien- und China-Studien, wie Vasselier selbst sagt, auf mehreren Zufällen basierte, setzte sie von Beginn an klar auf eine gesamteuropäische Herangehensweise. “Die Erkenntnis, dass China nicht nur aus der nationalen Perspektive betrachtet werden kann, ergab sich ziemlich früh.” Nach ihrem Masterstudium bekam auch ihre Arbeit einen europäischen Fokus: Beim Thinktank ECFR arbeitete Vasselier eng mit dem französischen Sinologen François Godement zusammen, um ein Asien-Programm zu etablieren. Godement wurde ihr Mentor, zusammen veröffentlichten sie das Buch “China at the gates: A new power audit of EU-China relations”. Godement habe sie angehalten, mehr zu schreiben, erzählt Vasselier. 

    Ob sie dafür in den kommenden Monaten viel Zeit haben wird, wird sich zeigen. Die Agenda für ihre neue Position sei bereits gut gefüllt. Unter anderem beinhalte sie die Vorbereitung für den anstehenden EU-China-Gipfel und weitere hochrangige Dialoge. Bei ihrer Arbeit bei Merics sei es ihr wichtig, ihre französische Erfahrung mit einzubringen, betont Vasselier. “Der deutsch-französische Motor ist wichtig für Europa, auch in der China-Frage.” Nach Brüssel wird nun Berlin ihr neues Zuhause. Ein wenig Vorbereitung auf Deutschland hatte sie bereits: Vasselier ist mit einem Deutschen verheiratet. Amelie Richter

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    Europe.Table Redaktion

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