im Straßburger Plenum wird heute zwei Stunden lang über die Landwirtschaft debattiert. Auffällig ist, dass Landwirtschaftskommissar Janusz Wojciechowski nicht dabei ist. Dabei war der Politiker, der früher bei den Christdemokraten war und danach zur nationalkonservativen PiS gegangen ist, zunächst auf der Rednerliste bei der Schwerpunktdebatte vorgesehen.
Statt Wojciechowski wird nun Maroš Šefčovič die Kommission vertreten. Offizielle Begründung für den Austausch ist: Das Europaparlament habe entschieden, die Debatte auf die Chefebene zu heben. In der ersten Runde reden die Fraktionschefs, dann sind erst die Fachpolitiker dran. Damit müsse Šefčovič reden, der als Exekutiv-Vizepräsident der Kommission hierarchisch über dem Landwirtschaftskommissar steht. Wojciechowski dürfte die Änderung der Liste aber durchaus als Affront verstehen. Er hat immer wieder die Linie der PiS in Brüssel vertreten.
Von der Leyen will wohl sichergehen, dass vonseiten der Kommission keine Misstöne in die Landwirtschaftsdebatte kommen. Sie kümmert sich zusehends selbst um das wichtige Thema. Gestern hatte die Kommissionspräsidentin überraschend im Parlament die umstrittene Pestizidverordnung SUR beerdigt. Und sie dürfte auch dafür gesorgt haben, dass in den Texten der Kommission zum Klimaziel 2040 keine neuen Verpflichtungen für die Bauern stehen. Das können Sie in den Analyse meiner Kollegen Lukas Scheid und Manuel Berkel lesen.
Die Umsetzung der europäischen Klimagesetze hat gerade erst begonnen – da kommt jetzt schon der Vorschlag der EU-Kommission für ein neues Klimaziel für 2040. Wie wirksam das Fit-for-55-Paket zur Erreichung der 2030er-Klimaziele wirklich ist, wird sich noch zeigen. Und trotzdem muss die Kommission bereits ein Jahrzehnt weiterdenken und das 2040-Ziel vorgeben. Dazu ist sie laut EU-Klimagesetz verpflichtet.
Von einigen Europaabgeordneten kommt allerdings die Kritik, man dürfe Industrie und Menschen keinen weiteren “Zwang und Verbote” aufdrücken, wie CDU/CSU-Gruppenchef Daniel Caspary das EU-Klimaziel 2040 kommentierte. Aber auch seine Partei hat für das Klimagesetz gestimmt, das die Kommission verpflichtete, ein Klimaziel für 2040 vorzustellen – kurz nach dem Global Stocktake, das im Dezember bei der COP28 in Dubai abgeschlossen wurde.
Die Kommission hat also keine Wahl. Doch kurz vor den Europawahlen schwindet offenbar die Unterstützung für Klimaschutzmaßnahmen. Das zeigt sich nicht zuletzt auch durch die Forderungen der EVP nach weniger Regulierung im Umweltbereich. Die Versuchung ist groß, sich im Wahlkampf und unter dem Druck protestierender Bauern gegen weitere Maßnahmen zu stellen.
Dabei liegt der jetzige Vorschlag am unteren Ende der Empfehlung des EU-Klimabeirats, der der Kommission ein Ziel von 90 bis 95 Prozent vorgeschlagen hat. Das sorgt vor allem bei grünen Abgeordneten für Kritik. “Nicht sonderlich mutig”, nennt es Michael Bloss. Er kritisiert insbesondere, dass CCS auch zur Vermeidung von Emissionen fossiler Energieträger zum Einsatz kommen soll, anstatt nur in den schwer dekarbonisierbaren Industriesektoren.
Die Kommission verteidigt diese Pläne mit unvermeidbaren Restemissionen aus der Verbrennung von Öl in der Schifffahrt und Gas für Heiz- und Industriezwecke. Das eindeutige Ziel, das die EU noch bei der COP28 verfolgt hat, die Verbrennung Fossiler schnellstmöglich zu beenden, findet sich in dem nun vorgelegten Vorschlag also nur bedingt wieder. Etwa zehn Prozent der abgeschiedenen Emissionen sollen 2040 und sogar auch noch 2050 aus der Verbrennung Fossiler kommen, wenn man der Industrial Carbon Management Strategie der Kommission folgt.
Neben den bestehenden Instrumenten, mit denen die Kommission 55 Prozent CO₂-Reduktion bis 2030 erreichen will, sollen für das Klimaziel 2040 weitere dazu kommen. Darunter:
Allerdings hatte erst am Montag die Kommission Hilfen für die europäische Solarindustrie abgelehnt, die sich vor billigen Importen aus China fürchtet. Die Linie der Kommission zeigt also auch Widersprüche.
Darauf weist auch die Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch hin. Einerseits lobte sie, dass die Kommission den bisherigen Rechtsrahmen der EU-Klimapolitik weiterführen wolle. Auch zeige der Anspruch, den grünen Umbau sozialverträglich zu gestalten, dass man in Brüssel verstanden habe, dass “für eine Erfolgsgeschichte Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit zusammen gedacht werden müssen”, hieß es.
Lutz Weischer, Leiter des Berliner Germanwatch Büros, kritisiert “diesen konservativen Vorschlag” als “nur das absolute Minimum dessen, was nötig ist”. Auch fehle ein Enddatum für fossile Brennstoffe, das zeigen würde, “dass die EU die wegweisenden Beschlüsse des Weltklimagipfels von Dubai ernst nimmt.” Enttäuschend ambitionslos seien auch die Pläne für das internationale Engagement in der Klimapolitik.
Die Landwirtschaft könne ebenfalls eine wichtige Rolle spielen, heißt es zwar von der Kommission. Konkreter wird sie allerdings nicht. In einer vorherigen Version des Vorschlags war der Agrarsektor noch deutlich stärker in die Pflicht genommen worden und als einer der Schlüsselsektoren zur CO₂-Reduzierung bezeichnet worden. Im finalen Vorschlag ist davon keine Rede mehr. “Auf Druck der Industrie und der Lobbygruppen, die nicht die gesamte Landwirtschaft vertreten, hat die Kommission die Landwirtschaft aus dem Spiel gelassen”, klagt die Brüsseler Umwelt-NGO European Environmental Bureau (EEB).
Das 90-Prozent-Ziel selbst ist nur eine minimale Ambitionserhöhung. Mit der Fortsetzung der Maßnahmen des Fit-for-55-Pakets für 2030 würde Europa gemäß Kommissionsprognosen bereits eine Emissionsreduktion von 88 Prozent im Jahr 2040 erreichen. Ob die EU damit ihre Rolle als globaler Klimavorreiter behält, ist unklar.
Da es sich bei dem Vorschlag nicht um einen legislativen Vorschlag handelt, beginnt die Debatte nun eher auf informeller Ebene. Parlament und Mitgliedstaaten müssen keine eigenen Positionen erarbeiten, könnten sich aber trotzdem positionieren und tun dies auch bereits. Das entsprechende Gesetzespaket wird frühestens für Anfang 2025 erwartet – also zur Amtszeit der nächsten EU-Kommission. Ein Wahlkampfthema für die Europawahl im Juni ist damit gesetzt.
Als Fixstern, an dem sich alle Klimagesetze orientieren, hat der Grünen-Abgeordnete Michael Bloss die Mitteilung der EU-Kommission zum Klimaziel 2040 bezeichnet. Handfeste Gesetzentwürfe zu einzelnen Wirtschaftsbereichen werden zwar noch auf sich warten lassen, etwa die Erhöhung der Wind-, Solar- und Wasserstoffziele in der Erneuerbaren-Richtlinie. Doch welche Folgen eine Dekarbonisierung um 90 statt 55 Prozent für welche Sektoren hat, lässt sich aus dem am Dienstag vorgelegten Gesamtpaket schon gut ableiten.
Da ist etwa die umfangreiche Folgenabschätzung zum Vorschlag der Kommission. Ein Ziel von minus 90 Prozent Treibhausgasen liegt genau zwischen den Szenarien zwei und drei aus dem hunderte Seiten umfassenden Impact Assessment.
Deren Unterschiede liegen vor allem im stärkeren Gebrauch von synthetischen Kraft- und Brennstoffen (E-Fuels) und der Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid (CCS). Zum Carbon Management hat die Kommission am Dienstag auch eine eigene Strategie veröffentlicht, die vor allem für Industrie und Landwirtschaft Bedeutung hat – und nicht zuletzt für die bevorstehende Strategie der Bundesregierung zum gleichen Thema.
Bis 2030 müssen 7.300 Kilometer an CO₂-Transportleitungen und Schiffsrouten eingerichtet werden, wie aus dem EU-Papier hervorgeht. Bis 2050 soll das Netz auf 19.000 Kilometer anwachsen. Dafür hält die Kommission 16 Milliarden Euro an Investitionen für nötig. Eine ausführliche Darstellung eines möglichen CO₂-Transportnetzes enthält eine ebenfalls am Dienstag veröffentlichte Analyse des Joint Research Centre (JRC) der EU. In keinem Szenario sind darin CO₂-Speicher auf dem deutschen Festland nötig.
Ziel der Kommission ist ein europäischer Markt für Kohlendioxid. Besonders interessant für die vielen kleineren Industriebetriebe in Deutschland dürfte sein, dass die Kommission spezielle Lösungen für Anlagen abseits der industriellen Ballungsgebiete entwickeln will, um deren “Verhandlungsmacht gegenüber den Infrastrukturbetreibern zu stärken”, sodass auch sie an das Netz angeschlossen werden.
Schon 2024 will die Kommission mit den Arbeiten an mehreren Gesetzen beginnen: einem eigenen Regulierungspaket ähnlich dem Gasbinnenmarktpaket und einer Grundlage für die Netzplanung. Wenn möglich sollen auch vorhandene Gasleitungen und Speicher umgebaut werden – wobei grüne Gase wie Wasserstoff ausdrücklich Vorrang haben.
Ähnlich wie für Wasserstoff und Erdgas soll es bis Anfang 2026 außerdem eine neue Plattform geben, um Anbieter, Nutzer und Speicherbetreiber im künftigen CO₂-Markt zusammenzubringen. Gleichzeitig soll ein Investitionsatlas für Speicherprojekte vorliegen. Schon vor 2030 sollen die ersten Speicherkapazitäten verfügbar sein. Schon bis Juni dieses Jahres müssen die EU-Staaten eine Übersicht über Speichermöglichkeiten in ihren Nationalen Energie- und Klimaplänen (NECPs) vorlegen.
Die Kosten für die CO₂-Abscheidung schwanken nach einer Analyse der Kommission erheblich – pro Tonne sollen sie 13 bis 103 Euro betragen – ohne Transport und Speicherung. Der Preis für CO₂-Futures im Jahr 2030 liegt derzeit etwa bei 77 Euro, sodass sich ein Großteil der Projekte bereits rechnen könnte. Ab dem kommenden Jahrzehnt könne so ein Markt für Carbon Management mit einem Volumen von 45 bis 100 Milliarden Euro entstehen. Als Konsequenz will die Kommission im kommenden Jahr prüfen, ob die bisher übliche Projektförderung etwa für Zementhersteller durch eine marktbasierte Förderung abgelöst werden kann.
Eine Rolle spielen soll CCS auch im Energiesektor. Wie sich in Entwürfen bereits abgezeichnet hatte, hat die Kommission nicht mehr den Ehrgeiz, die Stromversorgung bis 2040 komplett frei von Erdgas zu machen. Stattdessen rechnet sie nur noch damit, dass Erneuerbare und Kernenergie gut 90 Prozent des Stroms erzeugen: “Die verbleibenden zehn Prozent werden durch negative Emissionen kompensiert oder mit kohlenstoffarmen Lösungen, einschließlich der Nutzung von Kohlenstoffabscheidung und -speicherung, ausgestattet.”
Noch vor einigen Jahren galt CCS für Gas- oder gar Kohlekraftwerke als politisch tot. Inzwischen hält sich sogar die Ampel diese Hintertür in ihrer Kraftwerksstrategie offen und hat die Entscheidung über diese Technologie auf ihre eigene Carbon-Management-Strategie vertagt.
Fahrt aufnehmen wird laut EU-Kommission die Elektromobilität. Bis 2040 werden Verbrenner nur noch 26 Prozent des Pkw-Bestands ausmachen, wie aus der Folgenabschätzung hervorgeht. Zehn Jahre später sollen es gar nur noch Restbestände von zwei Prozent sein. Entsprechend wird der Anteil von batterieelektrischen Autos 2040 bei 57 Prozent liegen, 2050 bei 79 Prozent.
Überraschenderweise könnten sich Hybridautos länger halten als gedacht, für 2040 rechnet die Kommission mit einem Anteil von elf Prozent am Bestand: “Dies deutet darauf hin, dass diese Technologie eine wichtige Rolle bei der Abkehr von fossilen Brennstoffen spielen wird. Im Jahr 2050 wird der Anteil der Plug-in-Hybride jedoch auf fünf Prozent sinken.”
Welche Rolle E-Fuels und Biokraftstoffe für die stark abnehmende Zahl von Verbrenner-Pkw spielen werden, geht aus der Folgenabschätzung nicht eindeutig hervor. Zwar soll der Verbrauch von E-Fuels gerade in den Klimapfaden mit hoher CO₂-Reduktion steil ansteigen. Allerdings fließt ein Großteil davon in den Schiffs- und Flugverkehr und in die Tanks von Lkw.
Für Pkw hat die Kommission am Dienstag keine genauen Zahlen veröffentlicht. Abschätzen lassen sie sich aber aus einem Balkendiagramm (Figure 68). Gut zehn Prozent des Energieverbrauchs von Pkw werden demnach 2040 durch E-Fuels gedeckt. Bis 2050 sinkt der Anteil aber deutlich, den Löwenanteil machen dann Strom für E-Autos und Wasserstoff für Brennstoffzellen-Fahrzeuge aus.
Mitgliedstaaten und Europaparlament haben sich politisch auf den Net-Zero Industry Act (NZIA) geeinigt. Das Gesetz soll Europas Antwort auf den US-amerikanischen Inflation Reduction Act sein und die Standortbedingungen für die Hersteller einer Reihe von klimafreundlichen Technologien verbessern. Damit werde die Regulierungsagenda des europäischen Green Deals erstmals um einen Business Case ergänzt, sagte der Berichterstatter des Europaparlaments, Christian Ehler (CDU). Rat und Parlament müssen die Einigung aber noch formell absegnen.
Der NZIA sieht einige Erleichterungen für Investoren vor, die Produktionskapazitäten für Netto-Null-Technologien aufbauen wollen:
Profitieren von diesen Vorteilen sollen europäische Hersteller in einer langen Liste von Sektoren, die fast durchgängig dem Vorschlag des Europaparlaments entspricht. Ehler setzte zudem durch, dass auch deren Zulieferer etwa in der Grundstoffindustrie oder im Maschinenbau aufgenommen werden. Auf der Liste finden sich neben unstrittigen Bereichen wie Solar, Wind und Wärmepumpen auch politisch sensible wie die Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid (CCS) sowie dessen Transport – und wie Nukleartechnologien. Allerdings können die Mitgliedsstaaten selbst entscheiden, ob sie auch Atomkraftprojekte fördern.
Daneben können die Mitgliedstaaten geplante Fabriken als “strategische Projekte” einstufen, wenn sie diese als besonders wichtig für Resilienz und Wettbewerbsfähigkeit einstufen. Dazu können auch Investitionen in die Dekarbonisierung von energieintensiven Industrien wie Stahl, Aluminium oder Zement zählen.
Anders als der US-Inflation Reduction Act ist das EU-Gegenstück nicht mit massiven Finanzmitteln unterlegt. Ehler wollte die Mitgliedstaaten dazu verpflichten, 20 Prozent ihrer nationalen Einnahmen aus dem europäischen Emissionshandelssystem (ETS) zur Förderung von Netto-Null-Projekten einzusetzen. Die Regierungen ließen sich aber nur darauf ein, dies in einem nicht rechtsverbindlichen Erwägungsgrund aufzunehmen. Dennoch eröffne man damit die Diskussion, wie die Mitgliedstaaten ihre ETS-Einnahmen nutzten, sagte Ehler.
Auch von der Aufstockung des EU-Finanzrahmens profitieren die grünen Industrien finanziell kaum. Die dafür eigentlich vorgesehene neue Investitionsplattform STEP sieht hierfür kaum frisches Geld vor. Vor allem Deutschland hatte darauf gepocht, statt zehn Milliarden Euro zusätzlich für Fonds wie InvestEU nur 1,5 Milliarden zur Verfügung zu stellen, und die sind für den Europäischen Verteidigungsfonds reserviert.
In der Windindustrie stößt der NZIA auch ohne frisches Geld auf Zustimmung. “Es mangelt weniger an Geld als an Tempo”, sagt Wolfram Axthelm, Geschäftsführer des Bundesverbandes Windenergie. Investoren stünden bereit, sie verzweifelten aber oft “an hyperkomplexen und überlangen Genehmigungsverfahren“. Eine zentrale Anlaufstelle sei gerade in Deutschland der Schlüssel, damit die Fristen auch eingehalten werden können.
Skeptischer bewertet Catrin Schiffer, Expertin beim Industrieverband BDI, das Gesetzesvorhaben. “Der NZIA hilft uns in Deutschland wenig, um die Projekte zu beschleunigen.” Die hiesigen Genehmigungsfristen lägen mit sechs beziehungsweise sieben Monaten deutlich unter den neuen EU-Vorgaben. Für Unternehmen gebe es auch bereits zentrale Anlaufstellen, die Bundesimmissionsschutzbehörden.
“Das Problem in Deutschland ist ein anderes: Die Fristen werden oft nicht eingehalten, weil die Verfahren mit Anforderungen überfrachtet wurden”, sagt Schiffer. Die Genehmigungsverfahren dauerten deshalb im Durchschnitt sechs Monate länger als im Bundesimmissionsschutzgesetz vorgesehen. Die Bundesregierung habe aber verstanden, dass hier Handlungsbedarf bestehe.
Knapp zwei Jahre nach der Präsentation ihres Vorschlags für eine Verordnung zur nachhaltigen Nutzung von Pflanzenschutzmitteln (SUR) zieht die EU-Kommission das Projekt zurück. Das kündigte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Dienstagmorgen vor dem Europäischen Parlament an. “Der Vorschlag hat polarisiert”, räumte die CDU-Politikerin ein. Das Parlament hatte bereits im November gegen die SUR gestimmt, auch im Rat “werden keine Fortschritte mehr erzielt”, so von der Leyen. Die belgische Ratspräsidentschaft hatte zuletzt jedoch – wenigstens offiziell – weiter an dem Thema gearbeitet und erfuhr dem Vernehmen nach vom Rückzug der Kommission selbst erst kurz vor der Ankündigung am Dienstagmorgen.
Das Ziel, “die Risiken der Verwendung chemischer Pflanzenschutzmittel zu verringern”, bleibe aber trotz allem bestehen, so von der Leyen. Die Kommission “könnte” zu einem späteren Zeitpunkt einen neuen, “weitaus ausgereifteren Vorschlag” vorlegen. Das heißt: Ein neuer Vorschlag wäre das Projekt der nächsten Kommission, möglicherweise wieder unter Führung von der Leyens, die allerdings noch nicht offiziell ihre Kandidatur verkündet hat. Der Vorschlag käme damit auch nach Abschluss des Strategiedialogs Landwirtschaft, den von der Leyen im Januar eröffnet hatte und der bis zum Sommer Empfehlungen vorlegen soll. Und einen “intensiveren Dialog” brauche es als Grundlage für einen neuen Vorschlag, ließ von der Leyen wissen.
Von der Leyens Rückzieher wirkt in diesem Kontext wie ein Schuldeingeständnis. Als “handwerklich schlecht” war der ursprüngliche Vorschlag immer wieder kritisiert worden, nicht nur vonseiten der Landwirtschaft und von der Leyens eigener Parteifamilie EVP, sondern auch vom grünen Bundesagrarminister Cem Özdemir. Punkte wie ein Totalverbot von Pestiziden in sensiblen Gebieten stießen fast einhellig auf Kritik, sogar die grüne Berichterstatterin des Parlaments, Sarah Wiener strich dieses aus ihrem Berichtsentwurf, der ansonsten deutlich ambitionierter war als der Kommissionsvorschlag. Viele Mitgliedstaaten und Verbände fühlten sich vor den Kopf gestoßen, entsprechend wenig guten Willen gab es im Laufe der Verhandlungen.
Die Absage an die SUR ist das jüngste einer Reihe von Zugeständnissen im Zuge der aktuellen Bauernproteste in vielen europäischen Ländern und zuletzt auch in Brüssel. In der vergangenen Woche hatte die Kommission bereits Lockerungen bei der GAP vorgeschlagen, zudem hatte von der Leyen einen Vorschlag zum Bürokratieabbau in der Landwirtschaft noch vor Ende des Monats versprochen. Druck auf Brüssel, zusätzliche Zugeständnisse zu machen, kommt vor allem aus Paris. Dort hat Premier Gabriel Attal Ende vergangener Woche angekündigt, dass auch der französische Plan zur Pestizidreduktion vorerst verschoben und noch einmal überarbeitet wird.
Der Rückzieher in Sachen SUR ist zwar ein deutliches Signal an die protestierenden Landwirte, dürfte in der Praxis aber wenig ändern. Denn mit der Ablehnung durch das Parlament, das gleichzeitig gegen die weitere Arbeit an dem Dossier stimmte, war das Vorhaben ohnehin in eine Sackgasse geraten und wäre, wenigstens in dieser Legislatur, wohl nicht mehr verabschiedet worden.
Die Kommission macht damit aber den Weg frei für die Vorbereitung eines neuen Vorschlags. Bis dieser einmal erarbeitet und verhandelt ist, dürften allerdings mehrere Jahre vergehen. Und eine Garantie dafür, dass die nächste Kommission dieses heikle Thema noch einmal angeht, gibt es nicht.
Scharfe Kritik am Rückzug des Vorschlags kommt von den europäischen Grünen. Deren Co-Vorsitzender Philipp Lambert bezeichnete den Schritt in einer Pressekonferenz als “absurd” er gehe “auf Kosten des Green Deal“. Lob gibt es aus der EVP. Peter Liese (CDU), der umweltpolitische Sprecher der EVP, dankte von der Leyen ausdrücklich. Ein “klarer Schnitt” sei das “richtige Zeichen” für die Landwirtschaft. Auch der FDP-Europaabgeordnete und Parlamentsvize Jan-Christoph Oetjen begrüßte das Aus des Gesetzesvorhabens. Reduktionsziele müssten nun “gemeinsam mit der Landwirtschaft entwickelt werden”.
Führende Hochschullehrer im Fahrzeug- und Motorenbau widersprechen in einer gemeinsamen Stellungnahme vehement Urteilen mehrerer deutscher Gerichte zum “Thermofenster” bei älteren Diesel-Pkw. Damit bestreiten sie, dass Besitzer von neun Millionen älteren Diesel-Pkw der Schadstoffnorm Euro 5 Anspruch auf Schadenersatz durch die Hersteller haben. In der Stellungnahme der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Kraftfahrzeug- und Motorentechnik (WKM), die am Mittwoch veröffentlicht wird und Table.Media vorliegt, heißt es: Die Rechtsprechung verstoße “in ihrer Konsequenz gegen naturwissenschaftliche und ingenieurtechnische Fakten” und führe letztendlich zu einer “Gefahr für Leib und Leben”. Die Stellungnahme wird unterstützt von 38 Professoren einschlägiger Lehrstühle und Institute aus Deutschland, Österreich und der Schweiz.
In zahlreichen Gerichtsprozessen geht es derzeit um die Frage, ob die Besitzer von rund neun Millionen Diesel-Pkw der Baujahre 2008 bis 2014 allein in Deutschland möglicherweise Schadenersatzansprüche gegen die Hersteller geltend machen können. Die Gerichte, unter anderem das Verwaltungsgericht Schleswig in einem Urteil im Januar, hatten argumentiert, dass es sich bei den “Thermofenstern” um eine unzulässige Abschalteinrichtung handele.
Thermofenster sind seit Jahren Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen. Sie sind von den illegalen Techniken zur Zykluserkennung zu unterscheiden, durch die später der Dieselskandal ausgelöst wurde. Thermofenster bedeutet, dass die Abgasreinigung heruntergeregelt oder ganz abgeschaltet wird, wenn die Außentemperatur unter bestimmte Werte fällt. Die Wissenschaftler schreiben: “Heutige Emissionstechnologien mit einer deutlich temperaturunabhängigeren Abgasreinigung sind das Ergebnis kontinuierlicher […] Entwicklungsarbeiten und waren im Zeitfenster der Euro-5-Entwicklung nicht vorhanden“.
Weiter heißt es in der Stellungnahme im Hinblick auf die ergangenen Urteile von VG Schleswig und weiteren Gerichten: “Wird die damals notwendige Temperaturabhängigkeit heute für unzulässig erklärt, bedeutet dies faktisch ein generelles nachträgliches und rückwirkendes Verbot einer ursprünglich akzeptierten Dieseltechnologie.”
Die Forscher warnen vor dramatischen Folgen, wenn es kein “Thermofenster” gäbe, also die Abgasreinigung nicht bei niedrigen Temperaturen heruntergeregelt oder ausgeschaltet würde: Das Abgasrückführventil drohe dann zu blockieren. “Für den Fahrer nicht vorhersehbar” erfolge “mindestens eines von folgenden Schadensszenarien: mangelhafte Lastaufnahme, komplettes Versagen der Lastaufnahme, kompletter unerwünschter Motorstillstand oder unkontrollierter Abbrand des Dieselrußpartikelfilters” bis hin zum Fahrzeugbrand.
Die Wissenschaftler weisen zudem darauf hin, dass die politischen Entscheidungsträger seinerzeit über die technischen Folgen der Euro 5- sowie der ersten Generation der Euro 6-Technologie informiert waren: “Politische Entscheidungsträger und an den Gesetzgebungsprozessen beteiligten Verantwortlichen auf nationaler und europäischer Ebene” hätten gewusst, dass mit der damaligen Technologie zwar niedrige CO₂-Flottengrenzwerte zu erzielen waren. Zugleich sei bekannt gewesen, dass dies einherging “mit im Realbetrieb deutlich höheren NOx-Emissionen” als im synthetischen NEFZ-Test.
Es sei zudem immer klar gewesen, dass “Thermofenster” notwendig waren: “Ebenfalls war die generelle Temperaturabhängigkeit der NOx-Emissionen und das Erfordernis der temperaturabhängigen AGR-Regelung bekannt.” mgr
Die Unterhändler von Europaparlament und Mitgliedstaaten haben sich am Dienstagabend auf Änderungen am mittelfristigen Finanzrahmen der EU (MFR) verständigt. Das Ergebnis orientiert sich stark an dem Kompromiss, den die Staats- und Regierungschefs im Europäischen Rat erzielt haben. Das Parlament hat deutlich höhere Zusatzausgaben gefordert, konnte sich aber nicht durchsetzen.
Bis zum Ende der Finanzperiode 2027 sind folgende Mehrausgaben vorgesehen:
Ein Teil der Mittel muss nicht von den Mitgliedstaaten aufgebracht werden, sondern wird aus anderen EU-Töpfen umgeleitet. Darauf hatte besonders die Bundesregierung gedrungen. Der Co-Berichterstatter des Europaparlaments, Johan Van Overtveldt (EKR), bedauerte, dass dafür auch das Forschungsprogramm Horizon Europe angezapft wurde. Dies könne “nicht der Weg sein, um Wachstum und Arbeitsplätze in unserem Teil der Welt zu sichern”.
Teilweise durchsetzen konnte sich das Parlament hingegen damit, EU-Programme wie Erasmus+ vor Kürzungen zu schützen, die durch steigende Zinskosten für das Investitionsprogramm Next Generation EU nötig werden könnten. Das gefundene Konstrukt könne aber “zu jährlichen zähen Verhandlungen und weiteren Kürzungen führen”, kritisierte der Grünen-Haushälter Rasmus Andresen. tho
Am Mittwoch stimmt das Plenum des Europäischen Parlaments über seine Verhandlungsposition zur vorgeschlagenen Lockerung des EU-Gentechnikrechts ab. Die Europäische Kommission hat unter anderem vorgeschlagen, die Regelungen für Genom-editierte Pflanzen, die so auch auf herkömmliche Weise hätten entstehen können, deutlich zu lockern. Am selben Tag will auch die belgische EU-Ratspräsidentschaft das Thema noch einmal mit den Botschaftern der Mitgliedstaaten diskutieren, wie ein Sprecher bestätigte.
Nachdem beim Agrarrat im Dezember der Versuch gescheitert war, eine Einigung unter den 27 Agrarministern herbeizuführen, liefen die Gespräche zu dem Dossier zuletzt auf Arbeitsebene. Indem sie das Thema nun noch einmal eine Ebene höher auf die Tagesordnung der Botschafter setzt, will die Präsidentschaft dem Sprecher zufolge neuen politischen Input zu Punkten einholen, die sich bei den Gesprächen der Fachleute zuletzt schwierig gestalteten.
Dabei geht es vor allem um die Frage der Patentierbarkeit von gentechnisch veränderten Pflanzen und Saatgut. Dem Vernehmen nach ist das Patentthema unter anderem für Warschau ein Knackpunkt. Polen gilt als Land, das seine ablehnende Haltung ändern und doch noch für den Gentechnik-Vorschlag stimmen könnte. Für eine Ratsmehrheit würde das – ceteris paribus – ausreichen. Bisher hat sich die neue Regierung unter Donald Tusk zu dem Thema noch nicht öffentlich geäußert. Wie sich das Land verhält, dürfte auch davon abhängen, welche Zugeständnisse Warschau angeboten werden.
Dass es bei dem Treffen schon zu einer Gesamteinigung kommt, schloss der Sprecher der belgischen Präsidentschaft nicht aus, zwingendes Ziel der Sitzung sei dies aber nicht. Aufseiten des Parlaments dagegen wird erwartet, dass das Plenum dem Vorschlag zustimmt. Wahrscheinlich ist auch, dass das Plenum in Kernpunkten nah an der Version des Textes bleibt, die der Umweltausschuss im Januar verabschiedet hatte. jd
Am Dienstagmorgen um 4:45 Uhr haben Rat und Parlament eine vorläufige politische Einigung über den Gigabit Infrastructure Act (GIA) erzielt. Das Gesetz ersetzt die Broadband Cost Reduction Directive (BCRD) von 2014 und zielt darauf ab, den Ausbau von Hochgeschwindigkeitsnetzen in der gesamten EU zu beschleunigen und zu vereinfachen.
Wichtige Aspekte des Gesetzes umfassen die Vereinfachung der Genehmigungsverfahren, die Reduzierung bürokratischer Hürden und die Einführung des Prinzips der “stillschweigenden Genehmigung”. Demnach gelten Infrastrukturprojekte automatisch als genehmigt, wenn sie nicht innerhalb von vier Monaten von den Behörden beschieden werden. Das Gesetz enthält auch Maßnahmen zur Förderung der Konnektivität in ländlichen und abgelegenen Gebieten sowie spezifische Bestimmungen zur Unterstützung der Nutzung bestehender physischer Infrastrukturen.
Rat und Parlament haben sich zudem über die Abschaffung der Gebühren für Auslandsgespräche und SMS innerhalb der EU geeinigt. Dies war nicht Teil des ursprünglichen Kommissionsvorschlags. Das Parlament fügte dies ein, weil die bestehenden Preisobergrenzen für Intra-EU-Anrufe in wenigen Monaten auslaufen. “Mit dieser Verordnung und der Abschaffung der Roaming-Gebühren werden Anrufe von und nach überall in Europa nahtlos an die Gebühren im Inland angeglichen”, stellte Berichterstatter Alin Mituța (Renew) fest. “Hier liefert die EU direkt an ihre Bürger.” Die Angleichung gilt ab 2029. In der Zwischenzeit gelten die derzeitigen Obergrenzen weiter.
Die Verhandlungen seien extrem zäh verlaufen, erklärte Niklas Nienaß, Schattenberichterstatter der Grünen im Industrieausschuss. Eine Beschleunigung des Breitbandausbaus werde mit dem GIA nur mittelmäßig erreicht. Die Mitgliedstaaten hätten lieber alles beim Alten belassen wollen, meinte er. Auch kämen die Maßnahmen wegen der langen Übergangsfrist von 18 Monaten nach seinem Inkrafttreten recht spät. Einige Bestimmungen gelten sogar erst zu einem noch späteren Zeitpunkt. Daher sagt Nienaß voraus: Das Ziel der digitalen Dekade erreiche die EU “eher über Satelliteninternet als über den Breitbandausbau”. vis
Das Europäische Parlament (EP) und der Rat haben sich am Montag auf Regeln für die Regulierung des ESG-Rating-Marktes geeinigt. Kern der Verordnung zur Transparenz und Integrität von ESG-Rating-Tätigkeiten ist, dass Anbieter von ESG-Ratings künftig unter der Aufsicht der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) stehen und Transparenzanforderungen erfüllen müssen. Wenn die Institutionen die Verordnung formal angenommen haben, gelten die neuen Regeln 18 Monate nach Inkrafttreten.
ESG-Rating-Anbieter sollen künftig separate Bewertungen für die Kategorien Umwelt, Soziales und Governance veröffentlichen, statt ein aggregiertes Rating für alle. Wenn sie doch nur eine übergreifende Bewertung nutzen, müssen sie laut Vereinbarung von EP und Rat Auskunft über die Gewichtung der einzelnen Faktoren sowie über die Methode zur Gewichtung geben. Zudem müssen die Anbieter darüber informieren, ob ein Rating für Umwelt das Pariser Klimaziel berücksichtigt. Bei Sozialem und Governance braucht es Angaben zur Berücksichtigung von internationalen Übereinkommen.
Zudem werden ESG-Rating-Anbieter verpflichtet, Angaben zur “Wesentlichkeit” zu machen – also ob das Rating nur Auswirkungen, etwa durch den Klimawandel, auf das Unternehmen berücksichtigt oder auch die Folgen der Geschäftstätigkeit für Umwelt, Soziales und Unternehmensführung. Für kleine Rating-Anbieter sieht die Verordnung Ausnahmen vor. Dazu gehört etwa, dass sie die ersten drei Jahre nach ihrer Gründung keine Aufsichtsgebühren an die ESMA zahlen müssen oder die Behörde sie in gut begründeten Fällen von bestimmten Anforderungen befreien kann.
Um Interessenkonflikte zu vermeiden, müssen ESG-Rating-Anbieter, die gleichzeitig Leistungen wie Beratung, Wirtschaftsprüfung oder Kreditrating anbieten, das Rating-Geschäft von den anderen Bereichen trennen. Andere Unternehmen sind mindestens verpflichtet, klare Maßnahmen zu ergreifen, die Interessenkonflikte verhindern.
Fachleute nehmen die Einigung größtenteils positiv auf. “Die politische Einigung begrüßen wir sehr, denn sie wird für deutlich mehr Qualität im bisher unregulierten Markt der ESG-Ratings sorgen”, sagt etwa Henrik Pontzen, Abteilungsleiter ESG im Portfoliomanagement bei Union Investment.
Für Silke Stremlau betrifft die wichtigste Neuerung die Transparenzanforderungen an ESG-Rating-Anbieter. “Damit kommt endlich mehr Licht in die Black-Box einiger Anbieter”, sagt die Vorsitzende des Sustainable-Finance-Beirats der Bundesregierung. Sie hätte es aber gut gefunden, wenn auch Anbieter von Ratings und Indizes eine juristische Trennung hätten vornehmen müssen. “Ich hoffe, dass die ESMA hier genügend Kontrollmöglichkeiten hat, um Interessenkonflikte aufzudecken”, ergänzt Stremlau.
Für Julia Haake, Vorsitzende der European Association of Sustainability Rating Agencies, ist die Regulierung ebenfalls ein Schritt in die richtige Richtung. “Allerdings sind wir immer noch besorgt, dass kleine und mittelgroße europäische Anbieter durch die Regulierung benachteiligt werden, weil es für sie schwieriger sein wird, die dadurch stark steigenden Kosten zu tragen, als für große Player”, sagt Haake, die auch Head of ESG Rating Agency bei Ethifinance ist. Sie habe “nicht den Eindruck, dass ein Level-Playing-Field geschaffen wird”.
Der belgische Ratsvorsitz und das Europäische Parlament haben sich am Dienstag auf ein erstes EU-Gesetz zur Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt geeinigt. Das neue Gesetz legt gemeinsame Mindeststandards bei einer Reihe von Straftatbeständen fest, etwa wie diese definiert werden und welche Strafen es geben muss. Dazu werden Regeln für den Umgang mit Betroffenen sexueller oder häuslicher Gewalt etabliert. Der vorläufige politische Kompromiss muss nun noch formal vom Parlament und Rat bestätigt werden.
Mit dem neuen Gesetz würden die folgenden Straftaten EU-weit unter Strafe gestellt:
Das neue Gesetz werde den Opfern dieser Straftaten auch den Zugang zur Justiz erleichtern, teilte der Rat mit. Mitgliedstaaten müssten beispielsweise dafür sorgen, dass Opfer von Gewalt gegen Frauen oder häuslicher Gewalt über leicht zugängliche und einfach zu nutzende Kanäle Anzeige erstatten können. Dazu sollen die Länder verpflichtet werden, spezielle Beratungsstellen etwa für vergewaltigte Frauen vorzuhalten.
Die schwedische linke Europaparlamentarierin Malin Björk bedauerte, dass es keine Einigung auf einen “Ja heißt Ja”-Paragrafen gegeben habe. Demnach hätte Sex nur dann als einvernehmlich gegolten, wenn beide Seiten dies zuvor explizit geäußert haben. “Dennoch ist die Richtlinie ein großer Schritt nach vorn. Zum ersten Mal, und nach zwei Jahrzehnten feministischen Kampfes, werden wir ein EU-Instrument haben, das geschlechtsspezifische Gewalt anspricht und verurteilt”, sagte Björk.
Marie-Colline Leroy, belgische Staatssekretärin für Geschlechtergleichstellung, betonte, dass die Richtlinie ein umfangreiches Kapitel zur Prävention enthalte, um gegen die zugrunde liegenden Muster von Zwang, Macht und Kontrolle vorzugehen. “Die Mitgliedstaaten senden eine klare Botschaft: Wir akzeptieren nicht länger, dass man als Frau stärker gefährdet ist als ein Mann”, sagte Leroy. lei
Die EU-Kommission hat am Dienstag strengere strafrechtliche Vorschriften zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der Ausbeutung von Kindern vorgeschlagen, darunter ein hartes Vorgehen gegen Livestreaming-Pornografie und die Einbeziehung von Missbrauchsmaterial in Deep Fakes oder anderes KI-generiertes Material.
Sowohl die deutlich gestiegene Präsenz von Kindern im Internet als auch die rasanten technologischen Entwicklungen hätten neue Möglichkeiten für Missbrauch geschaffen, erklärte die Kommission am Dienstag. Dies habe 2022 zur Meldung von 1,5 Millionen Fällen von sexuellem Kindesmissbrauch in der EU geführt. “Die Gefahr des Missbrauchs ist real und hat in der gesamten EU zugenommen”, erklärte die Kommission.
Die neuen Vorschriften würden die 2011 eingeführten Vorschriften anpassen und die Definition von Straftaten im Zusammenhang mit Kindesmissbrauch auf Livestreaming und KI-Inhalte ausweiten. Sie sehen auch eine längere Frist für die Anzeige von Missbrauch vor und gewähren den Opfern Anspruch auf finanzielle Entschädigung. Das Europäische Parlament und die Mitgliedsstaaten müssen dem Vorschlag zustimmen, bevor er in Kraft treten kann. rtr
Barbara Gessler leitet demnächst die Vertretung der EU-Kommission in Berlin. Das Regionalbüro in Bonn wird künftig geführt von Stefan Lock. In München kommt Wolfgang Bücherl zum Zuge. Diese Neuverpflichtungen hat die Kommission beschlossen. Die Vertretung der Kommission in Berlin sowie die beiden Regionalbüros hatten lange Zeit keine Leitungen.
Gessler war bisher Abteilungsleiterin in der Brüsseler Exekutivagentur für Bildung, Audiovisuelles und Kultur (EACEA). Sie hatte zu einem früheren Zeitpunkt bereits die Regionalvertretung in Bonn geleitet. Der Tag, an dem ihre Ernennung wirksam wird, steht laut Kommission noch nicht fest. Lock (Bonn) leitet bisher die Kooperation des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EEAS) für Äthiopien und Eritrea. Bücherl (München) kommt aus der Generaldirektion Gesundheit der Kommission (DG Sante) und war zuletzt abgeordnet an das bayerische Gesundheitsministerium. mgr
Catherine Martens wird Sprecherin der neuen Renew-Fraktionsvorsitzenden Valérie Hayer. Die Deutsch-Französin Martens hatte zuletzt in der Renew-Pressestelle gearbeitet. Zuvor war sie viele Jahre als Fernsehjournalistin bei der Deutschen Welle in Brüssel tätig. Ihr Vorgänger, Antoine Guéry, ist mit dem vorherigen Renew-Chef Stéphane Séjourné nach Paris gewechselt und ist dort dessen Sprecher in seinem neuen Amt als französischer Außenminister.
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im Straßburger Plenum wird heute zwei Stunden lang über die Landwirtschaft debattiert. Auffällig ist, dass Landwirtschaftskommissar Janusz Wojciechowski nicht dabei ist. Dabei war der Politiker, der früher bei den Christdemokraten war und danach zur nationalkonservativen PiS gegangen ist, zunächst auf der Rednerliste bei der Schwerpunktdebatte vorgesehen.
Statt Wojciechowski wird nun Maroš Šefčovič die Kommission vertreten. Offizielle Begründung für den Austausch ist: Das Europaparlament habe entschieden, die Debatte auf die Chefebene zu heben. In der ersten Runde reden die Fraktionschefs, dann sind erst die Fachpolitiker dran. Damit müsse Šefčovič reden, der als Exekutiv-Vizepräsident der Kommission hierarchisch über dem Landwirtschaftskommissar steht. Wojciechowski dürfte die Änderung der Liste aber durchaus als Affront verstehen. Er hat immer wieder die Linie der PiS in Brüssel vertreten.
Von der Leyen will wohl sichergehen, dass vonseiten der Kommission keine Misstöne in die Landwirtschaftsdebatte kommen. Sie kümmert sich zusehends selbst um das wichtige Thema. Gestern hatte die Kommissionspräsidentin überraschend im Parlament die umstrittene Pestizidverordnung SUR beerdigt. Und sie dürfte auch dafür gesorgt haben, dass in den Texten der Kommission zum Klimaziel 2040 keine neuen Verpflichtungen für die Bauern stehen. Das können Sie in den Analyse meiner Kollegen Lukas Scheid und Manuel Berkel lesen.
Die Umsetzung der europäischen Klimagesetze hat gerade erst begonnen – da kommt jetzt schon der Vorschlag der EU-Kommission für ein neues Klimaziel für 2040. Wie wirksam das Fit-for-55-Paket zur Erreichung der 2030er-Klimaziele wirklich ist, wird sich noch zeigen. Und trotzdem muss die Kommission bereits ein Jahrzehnt weiterdenken und das 2040-Ziel vorgeben. Dazu ist sie laut EU-Klimagesetz verpflichtet.
Von einigen Europaabgeordneten kommt allerdings die Kritik, man dürfe Industrie und Menschen keinen weiteren “Zwang und Verbote” aufdrücken, wie CDU/CSU-Gruppenchef Daniel Caspary das EU-Klimaziel 2040 kommentierte. Aber auch seine Partei hat für das Klimagesetz gestimmt, das die Kommission verpflichtete, ein Klimaziel für 2040 vorzustellen – kurz nach dem Global Stocktake, das im Dezember bei der COP28 in Dubai abgeschlossen wurde.
Die Kommission hat also keine Wahl. Doch kurz vor den Europawahlen schwindet offenbar die Unterstützung für Klimaschutzmaßnahmen. Das zeigt sich nicht zuletzt auch durch die Forderungen der EVP nach weniger Regulierung im Umweltbereich. Die Versuchung ist groß, sich im Wahlkampf und unter dem Druck protestierender Bauern gegen weitere Maßnahmen zu stellen.
Dabei liegt der jetzige Vorschlag am unteren Ende der Empfehlung des EU-Klimabeirats, der der Kommission ein Ziel von 90 bis 95 Prozent vorgeschlagen hat. Das sorgt vor allem bei grünen Abgeordneten für Kritik. “Nicht sonderlich mutig”, nennt es Michael Bloss. Er kritisiert insbesondere, dass CCS auch zur Vermeidung von Emissionen fossiler Energieträger zum Einsatz kommen soll, anstatt nur in den schwer dekarbonisierbaren Industriesektoren.
Die Kommission verteidigt diese Pläne mit unvermeidbaren Restemissionen aus der Verbrennung von Öl in der Schifffahrt und Gas für Heiz- und Industriezwecke. Das eindeutige Ziel, das die EU noch bei der COP28 verfolgt hat, die Verbrennung Fossiler schnellstmöglich zu beenden, findet sich in dem nun vorgelegten Vorschlag also nur bedingt wieder. Etwa zehn Prozent der abgeschiedenen Emissionen sollen 2040 und sogar auch noch 2050 aus der Verbrennung Fossiler kommen, wenn man der Industrial Carbon Management Strategie der Kommission folgt.
Neben den bestehenden Instrumenten, mit denen die Kommission 55 Prozent CO₂-Reduktion bis 2030 erreichen will, sollen für das Klimaziel 2040 weitere dazu kommen. Darunter:
Allerdings hatte erst am Montag die Kommission Hilfen für die europäische Solarindustrie abgelehnt, die sich vor billigen Importen aus China fürchtet. Die Linie der Kommission zeigt also auch Widersprüche.
Darauf weist auch die Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch hin. Einerseits lobte sie, dass die Kommission den bisherigen Rechtsrahmen der EU-Klimapolitik weiterführen wolle. Auch zeige der Anspruch, den grünen Umbau sozialverträglich zu gestalten, dass man in Brüssel verstanden habe, dass “für eine Erfolgsgeschichte Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit zusammen gedacht werden müssen”, hieß es.
Lutz Weischer, Leiter des Berliner Germanwatch Büros, kritisiert “diesen konservativen Vorschlag” als “nur das absolute Minimum dessen, was nötig ist”. Auch fehle ein Enddatum für fossile Brennstoffe, das zeigen würde, “dass die EU die wegweisenden Beschlüsse des Weltklimagipfels von Dubai ernst nimmt.” Enttäuschend ambitionslos seien auch die Pläne für das internationale Engagement in der Klimapolitik.
Die Landwirtschaft könne ebenfalls eine wichtige Rolle spielen, heißt es zwar von der Kommission. Konkreter wird sie allerdings nicht. In einer vorherigen Version des Vorschlags war der Agrarsektor noch deutlich stärker in die Pflicht genommen worden und als einer der Schlüsselsektoren zur CO₂-Reduzierung bezeichnet worden. Im finalen Vorschlag ist davon keine Rede mehr. “Auf Druck der Industrie und der Lobbygruppen, die nicht die gesamte Landwirtschaft vertreten, hat die Kommission die Landwirtschaft aus dem Spiel gelassen”, klagt die Brüsseler Umwelt-NGO European Environmental Bureau (EEB).
Das 90-Prozent-Ziel selbst ist nur eine minimale Ambitionserhöhung. Mit der Fortsetzung der Maßnahmen des Fit-for-55-Pakets für 2030 würde Europa gemäß Kommissionsprognosen bereits eine Emissionsreduktion von 88 Prozent im Jahr 2040 erreichen. Ob die EU damit ihre Rolle als globaler Klimavorreiter behält, ist unklar.
Da es sich bei dem Vorschlag nicht um einen legislativen Vorschlag handelt, beginnt die Debatte nun eher auf informeller Ebene. Parlament und Mitgliedstaaten müssen keine eigenen Positionen erarbeiten, könnten sich aber trotzdem positionieren und tun dies auch bereits. Das entsprechende Gesetzespaket wird frühestens für Anfang 2025 erwartet – also zur Amtszeit der nächsten EU-Kommission. Ein Wahlkampfthema für die Europawahl im Juni ist damit gesetzt.
Als Fixstern, an dem sich alle Klimagesetze orientieren, hat der Grünen-Abgeordnete Michael Bloss die Mitteilung der EU-Kommission zum Klimaziel 2040 bezeichnet. Handfeste Gesetzentwürfe zu einzelnen Wirtschaftsbereichen werden zwar noch auf sich warten lassen, etwa die Erhöhung der Wind-, Solar- und Wasserstoffziele in der Erneuerbaren-Richtlinie. Doch welche Folgen eine Dekarbonisierung um 90 statt 55 Prozent für welche Sektoren hat, lässt sich aus dem am Dienstag vorgelegten Gesamtpaket schon gut ableiten.
Da ist etwa die umfangreiche Folgenabschätzung zum Vorschlag der Kommission. Ein Ziel von minus 90 Prozent Treibhausgasen liegt genau zwischen den Szenarien zwei und drei aus dem hunderte Seiten umfassenden Impact Assessment.
Deren Unterschiede liegen vor allem im stärkeren Gebrauch von synthetischen Kraft- und Brennstoffen (E-Fuels) und der Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid (CCS). Zum Carbon Management hat die Kommission am Dienstag auch eine eigene Strategie veröffentlicht, die vor allem für Industrie und Landwirtschaft Bedeutung hat – und nicht zuletzt für die bevorstehende Strategie der Bundesregierung zum gleichen Thema.
Bis 2030 müssen 7.300 Kilometer an CO₂-Transportleitungen und Schiffsrouten eingerichtet werden, wie aus dem EU-Papier hervorgeht. Bis 2050 soll das Netz auf 19.000 Kilometer anwachsen. Dafür hält die Kommission 16 Milliarden Euro an Investitionen für nötig. Eine ausführliche Darstellung eines möglichen CO₂-Transportnetzes enthält eine ebenfalls am Dienstag veröffentlichte Analyse des Joint Research Centre (JRC) der EU. In keinem Szenario sind darin CO₂-Speicher auf dem deutschen Festland nötig.
Ziel der Kommission ist ein europäischer Markt für Kohlendioxid. Besonders interessant für die vielen kleineren Industriebetriebe in Deutschland dürfte sein, dass die Kommission spezielle Lösungen für Anlagen abseits der industriellen Ballungsgebiete entwickeln will, um deren “Verhandlungsmacht gegenüber den Infrastrukturbetreibern zu stärken”, sodass auch sie an das Netz angeschlossen werden.
Schon 2024 will die Kommission mit den Arbeiten an mehreren Gesetzen beginnen: einem eigenen Regulierungspaket ähnlich dem Gasbinnenmarktpaket und einer Grundlage für die Netzplanung. Wenn möglich sollen auch vorhandene Gasleitungen und Speicher umgebaut werden – wobei grüne Gase wie Wasserstoff ausdrücklich Vorrang haben.
Ähnlich wie für Wasserstoff und Erdgas soll es bis Anfang 2026 außerdem eine neue Plattform geben, um Anbieter, Nutzer und Speicherbetreiber im künftigen CO₂-Markt zusammenzubringen. Gleichzeitig soll ein Investitionsatlas für Speicherprojekte vorliegen. Schon vor 2030 sollen die ersten Speicherkapazitäten verfügbar sein. Schon bis Juni dieses Jahres müssen die EU-Staaten eine Übersicht über Speichermöglichkeiten in ihren Nationalen Energie- und Klimaplänen (NECPs) vorlegen.
Die Kosten für die CO₂-Abscheidung schwanken nach einer Analyse der Kommission erheblich – pro Tonne sollen sie 13 bis 103 Euro betragen – ohne Transport und Speicherung. Der Preis für CO₂-Futures im Jahr 2030 liegt derzeit etwa bei 77 Euro, sodass sich ein Großteil der Projekte bereits rechnen könnte. Ab dem kommenden Jahrzehnt könne so ein Markt für Carbon Management mit einem Volumen von 45 bis 100 Milliarden Euro entstehen. Als Konsequenz will die Kommission im kommenden Jahr prüfen, ob die bisher übliche Projektförderung etwa für Zementhersteller durch eine marktbasierte Förderung abgelöst werden kann.
Eine Rolle spielen soll CCS auch im Energiesektor. Wie sich in Entwürfen bereits abgezeichnet hatte, hat die Kommission nicht mehr den Ehrgeiz, die Stromversorgung bis 2040 komplett frei von Erdgas zu machen. Stattdessen rechnet sie nur noch damit, dass Erneuerbare und Kernenergie gut 90 Prozent des Stroms erzeugen: “Die verbleibenden zehn Prozent werden durch negative Emissionen kompensiert oder mit kohlenstoffarmen Lösungen, einschließlich der Nutzung von Kohlenstoffabscheidung und -speicherung, ausgestattet.”
Noch vor einigen Jahren galt CCS für Gas- oder gar Kohlekraftwerke als politisch tot. Inzwischen hält sich sogar die Ampel diese Hintertür in ihrer Kraftwerksstrategie offen und hat die Entscheidung über diese Technologie auf ihre eigene Carbon-Management-Strategie vertagt.
Fahrt aufnehmen wird laut EU-Kommission die Elektromobilität. Bis 2040 werden Verbrenner nur noch 26 Prozent des Pkw-Bestands ausmachen, wie aus der Folgenabschätzung hervorgeht. Zehn Jahre später sollen es gar nur noch Restbestände von zwei Prozent sein. Entsprechend wird der Anteil von batterieelektrischen Autos 2040 bei 57 Prozent liegen, 2050 bei 79 Prozent.
Überraschenderweise könnten sich Hybridautos länger halten als gedacht, für 2040 rechnet die Kommission mit einem Anteil von elf Prozent am Bestand: “Dies deutet darauf hin, dass diese Technologie eine wichtige Rolle bei der Abkehr von fossilen Brennstoffen spielen wird. Im Jahr 2050 wird der Anteil der Plug-in-Hybride jedoch auf fünf Prozent sinken.”
Welche Rolle E-Fuels und Biokraftstoffe für die stark abnehmende Zahl von Verbrenner-Pkw spielen werden, geht aus der Folgenabschätzung nicht eindeutig hervor. Zwar soll der Verbrauch von E-Fuels gerade in den Klimapfaden mit hoher CO₂-Reduktion steil ansteigen. Allerdings fließt ein Großteil davon in den Schiffs- und Flugverkehr und in die Tanks von Lkw.
Für Pkw hat die Kommission am Dienstag keine genauen Zahlen veröffentlicht. Abschätzen lassen sie sich aber aus einem Balkendiagramm (Figure 68). Gut zehn Prozent des Energieverbrauchs von Pkw werden demnach 2040 durch E-Fuels gedeckt. Bis 2050 sinkt der Anteil aber deutlich, den Löwenanteil machen dann Strom für E-Autos und Wasserstoff für Brennstoffzellen-Fahrzeuge aus.
Mitgliedstaaten und Europaparlament haben sich politisch auf den Net-Zero Industry Act (NZIA) geeinigt. Das Gesetz soll Europas Antwort auf den US-amerikanischen Inflation Reduction Act sein und die Standortbedingungen für die Hersteller einer Reihe von klimafreundlichen Technologien verbessern. Damit werde die Regulierungsagenda des europäischen Green Deals erstmals um einen Business Case ergänzt, sagte der Berichterstatter des Europaparlaments, Christian Ehler (CDU). Rat und Parlament müssen die Einigung aber noch formell absegnen.
Der NZIA sieht einige Erleichterungen für Investoren vor, die Produktionskapazitäten für Netto-Null-Technologien aufbauen wollen:
Profitieren von diesen Vorteilen sollen europäische Hersteller in einer langen Liste von Sektoren, die fast durchgängig dem Vorschlag des Europaparlaments entspricht. Ehler setzte zudem durch, dass auch deren Zulieferer etwa in der Grundstoffindustrie oder im Maschinenbau aufgenommen werden. Auf der Liste finden sich neben unstrittigen Bereichen wie Solar, Wind und Wärmepumpen auch politisch sensible wie die Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid (CCS) sowie dessen Transport – und wie Nukleartechnologien. Allerdings können die Mitgliedsstaaten selbst entscheiden, ob sie auch Atomkraftprojekte fördern.
Daneben können die Mitgliedstaaten geplante Fabriken als “strategische Projekte” einstufen, wenn sie diese als besonders wichtig für Resilienz und Wettbewerbsfähigkeit einstufen. Dazu können auch Investitionen in die Dekarbonisierung von energieintensiven Industrien wie Stahl, Aluminium oder Zement zählen.
Anders als der US-Inflation Reduction Act ist das EU-Gegenstück nicht mit massiven Finanzmitteln unterlegt. Ehler wollte die Mitgliedstaaten dazu verpflichten, 20 Prozent ihrer nationalen Einnahmen aus dem europäischen Emissionshandelssystem (ETS) zur Förderung von Netto-Null-Projekten einzusetzen. Die Regierungen ließen sich aber nur darauf ein, dies in einem nicht rechtsverbindlichen Erwägungsgrund aufzunehmen. Dennoch eröffne man damit die Diskussion, wie die Mitgliedstaaten ihre ETS-Einnahmen nutzten, sagte Ehler.
Auch von der Aufstockung des EU-Finanzrahmens profitieren die grünen Industrien finanziell kaum. Die dafür eigentlich vorgesehene neue Investitionsplattform STEP sieht hierfür kaum frisches Geld vor. Vor allem Deutschland hatte darauf gepocht, statt zehn Milliarden Euro zusätzlich für Fonds wie InvestEU nur 1,5 Milliarden zur Verfügung zu stellen, und die sind für den Europäischen Verteidigungsfonds reserviert.
In der Windindustrie stößt der NZIA auch ohne frisches Geld auf Zustimmung. “Es mangelt weniger an Geld als an Tempo”, sagt Wolfram Axthelm, Geschäftsführer des Bundesverbandes Windenergie. Investoren stünden bereit, sie verzweifelten aber oft “an hyperkomplexen und überlangen Genehmigungsverfahren“. Eine zentrale Anlaufstelle sei gerade in Deutschland der Schlüssel, damit die Fristen auch eingehalten werden können.
Skeptischer bewertet Catrin Schiffer, Expertin beim Industrieverband BDI, das Gesetzesvorhaben. “Der NZIA hilft uns in Deutschland wenig, um die Projekte zu beschleunigen.” Die hiesigen Genehmigungsfristen lägen mit sechs beziehungsweise sieben Monaten deutlich unter den neuen EU-Vorgaben. Für Unternehmen gebe es auch bereits zentrale Anlaufstellen, die Bundesimmissionsschutzbehörden.
“Das Problem in Deutschland ist ein anderes: Die Fristen werden oft nicht eingehalten, weil die Verfahren mit Anforderungen überfrachtet wurden”, sagt Schiffer. Die Genehmigungsverfahren dauerten deshalb im Durchschnitt sechs Monate länger als im Bundesimmissionsschutzgesetz vorgesehen. Die Bundesregierung habe aber verstanden, dass hier Handlungsbedarf bestehe.
Knapp zwei Jahre nach der Präsentation ihres Vorschlags für eine Verordnung zur nachhaltigen Nutzung von Pflanzenschutzmitteln (SUR) zieht die EU-Kommission das Projekt zurück. Das kündigte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Dienstagmorgen vor dem Europäischen Parlament an. “Der Vorschlag hat polarisiert”, räumte die CDU-Politikerin ein. Das Parlament hatte bereits im November gegen die SUR gestimmt, auch im Rat “werden keine Fortschritte mehr erzielt”, so von der Leyen. Die belgische Ratspräsidentschaft hatte zuletzt jedoch – wenigstens offiziell – weiter an dem Thema gearbeitet und erfuhr dem Vernehmen nach vom Rückzug der Kommission selbst erst kurz vor der Ankündigung am Dienstagmorgen.
Das Ziel, “die Risiken der Verwendung chemischer Pflanzenschutzmittel zu verringern”, bleibe aber trotz allem bestehen, so von der Leyen. Die Kommission “könnte” zu einem späteren Zeitpunkt einen neuen, “weitaus ausgereifteren Vorschlag” vorlegen. Das heißt: Ein neuer Vorschlag wäre das Projekt der nächsten Kommission, möglicherweise wieder unter Führung von der Leyens, die allerdings noch nicht offiziell ihre Kandidatur verkündet hat. Der Vorschlag käme damit auch nach Abschluss des Strategiedialogs Landwirtschaft, den von der Leyen im Januar eröffnet hatte und der bis zum Sommer Empfehlungen vorlegen soll. Und einen “intensiveren Dialog” brauche es als Grundlage für einen neuen Vorschlag, ließ von der Leyen wissen.
Von der Leyens Rückzieher wirkt in diesem Kontext wie ein Schuldeingeständnis. Als “handwerklich schlecht” war der ursprüngliche Vorschlag immer wieder kritisiert worden, nicht nur vonseiten der Landwirtschaft und von der Leyens eigener Parteifamilie EVP, sondern auch vom grünen Bundesagrarminister Cem Özdemir. Punkte wie ein Totalverbot von Pestiziden in sensiblen Gebieten stießen fast einhellig auf Kritik, sogar die grüne Berichterstatterin des Parlaments, Sarah Wiener strich dieses aus ihrem Berichtsentwurf, der ansonsten deutlich ambitionierter war als der Kommissionsvorschlag. Viele Mitgliedstaaten und Verbände fühlten sich vor den Kopf gestoßen, entsprechend wenig guten Willen gab es im Laufe der Verhandlungen.
Die Absage an die SUR ist das jüngste einer Reihe von Zugeständnissen im Zuge der aktuellen Bauernproteste in vielen europäischen Ländern und zuletzt auch in Brüssel. In der vergangenen Woche hatte die Kommission bereits Lockerungen bei der GAP vorgeschlagen, zudem hatte von der Leyen einen Vorschlag zum Bürokratieabbau in der Landwirtschaft noch vor Ende des Monats versprochen. Druck auf Brüssel, zusätzliche Zugeständnisse zu machen, kommt vor allem aus Paris. Dort hat Premier Gabriel Attal Ende vergangener Woche angekündigt, dass auch der französische Plan zur Pestizidreduktion vorerst verschoben und noch einmal überarbeitet wird.
Der Rückzieher in Sachen SUR ist zwar ein deutliches Signal an die protestierenden Landwirte, dürfte in der Praxis aber wenig ändern. Denn mit der Ablehnung durch das Parlament, das gleichzeitig gegen die weitere Arbeit an dem Dossier stimmte, war das Vorhaben ohnehin in eine Sackgasse geraten und wäre, wenigstens in dieser Legislatur, wohl nicht mehr verabschiedet worden.
Die Kommission macht damit aber den Weg frei für die Vorbereitung eines neuen Vorschlags. Bis dieser einmal erarbeitet und verhandelt ist, dürften allerdings mehrere Jahre vergehen. Und eine Garantie dafür, dass die nächste Kommission dieses heikle Thema noch einmal angeht, gibt es nicht.
Scharfe Kritik am Rückzug des Vorschlags kommt von den europäischen Grünen. Deren Co-Vorsitzender Philipp Lambert bezeichnete den Schritt in einer Pressekonferenz als “absurd” er gehe “auf Kosten des Green Deal“. Lob gibt es aus der EVP. Peter Liese (CDU), der umweltpolitische Sprecher der EVP, dankte von der Leyen ausdrücklich. Ein “klarer Schnitt” sei das “richtige Zeichen” für die Landwirtschaft. Auch der FDP-Europaabgeordnete und Parlamentsvize Jan-Christoph Oetjen begrüßte das Aus des Gesetzesvorhabens. Reduktionsziele müssten nun “gemeinsam mit der Landwirtschaft entwickelt werden”.
Führende Hochschullehrer im Fahrzeug- und Motorenbau widersprechen in einer gemeinsamen Stellungnahme vehement Urteilen mehrerer deutscher Gerichte zum “Thermofenster” bei älteren Diesel-Pkw. Damit bestreiten sie, dass Besitzer von neun Millionen älteren Diesel-Pkw der Schadstoffnorm Euro 5 Anspruch auf Schadenersatz durch die Hersteller haben. In der Stellungnahme der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Kraftfahrzeug- und Motorentechnik (WKM), die am Mittwoch veröffentlicht wird und Table.Media vorliegt, heißt es: Die Rechtsprechung verstoße “in ihrer Konsequenz gegen naturwissenschaftliche und ingenieurtechnische Fakten” und führe letztendlich zu einer “Gefahr für Leib und Leben”. Die Stellungnahme wird unterstützt von 38 Professoren einschlägiger Lehrstühle und Institute aus Deutschland, Österreich und der Schweiz.
In zahlreichen Gerichtsprozessen geht es derzeit um die Frage, ob die Besitzer von rund neun Millionen Diesel-Pkw der Baujahre 2008 bis 2014 allein in Deutschland möglicherweise Schadenersatzansprüche gegen die Hersteller geltend machen können. Die Gerichte, unter anderem das Verwaltungsgericht Schleswig in einem Urteil im Januar, hatten argumentiert, dass es sich bei den “Thermofenstern” um eine unzulässige Abschalteinrichtung handele.
Thermofenster sind seit Jahren Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen. Sie sind von den illegalen Techniken zur Zykluserkennung zu unterscheiden, durch die später der Dieselskandal ausgelöst wurde. Thermofenster bedeutet, dass die Abgasreinigung heruntergeregelt oder ganz abgeschaltet wird, wenn die Außentemperatur unter bestimmte Werte fällt. Die Wissenschaftler schreiben: “Heutige Emissionstechnologien mit einer deutlich temperaturunabhängigeren Abgasreinigung sind das Ergebnis kontinuierlicher […] Entwicklungsarbeiten und waren im Zeitfenster der Euro-5-Entwicklung nicht vorhanden“.
Weiter heißt es in der Stellungnahme im Hinblick auf die ergangenen Urteile von VG Schleswig und weiteren Gerichten: “Wird die damals notwendige Temperaturabhängigkeit heute für unzulässig erklärt, bedeutet dies faktisch ein generelles nachträgliches und rückwirkendes Verbot einer ursprünglich akzeptierten Dieseltechnologie.”
Die Forscher warnen vor dramatischen Folgen, wenn es kein “Thermofenster” gäbe, also die Abgasreinigung nicht bei niedrigen Temperaturen heruntergeregelt oder ausgeschaltet würde: Das Abgasrückführventil drohe dann zu blockieren. “Für den Fahrer nicht vorhersehbar” erfolge “mindestens eines von folgenden Schadensszenarien: mangelhafte Lastaufnahme, komplettes Versagen der Lastaufnahme, kompletter unerwünschter Motorstillstand oder unkontrollierter Abbrand des Dieselrußpartikelfilters” bis hin zum Fahrzeugbrand.
Die Wissenschaftler weisen zudem darauf hin, dass die politischen Entscheidungsträger seinerzeit über die technischen Folgen der Euro 5- sowie der ersten Generation der Euro 6-Technologie informiert waren: “Politische Entscheidungsträger und an den Gesetzgebungsprozessen beteiligten Verantwortlichen auf nationaler und europäischer Ebene” hätten gewusst, dass mit der damaligen Technologie zwar niedrige CO₂-Flottengrenzwerte zu erzielen waren. Zugleich sei bekannt gewesen, dass dies einherging “mit im Realbetrieb deutlich höheren NOx-Emissionen” als im synthetischen NEFZ-Test.
Es sei zudem immer klar gewesen, dass “Thermofenster” notwendig waren: “Ebenfalls war die generelle Temperaturabhängigkeit der NOx-Emissionen und das Erfordernis der temperaturabhängigen AGR-Regelung bekannt.” mgr
Die Unterhändler von Europaparlament und Mitgliedstaaten haben sich am Dienstagabend auf Änderungen am mittelfristigen Finanzrahmen der EU (MFR) verständigt. Das Ergebnis orientiert sich stark an dem Kompromiss, den die Staats- und Regierungschefs im Europäischen Rat erzielt haben. Das Parlament hat deutlich höhere Zusatzausgaben gefordert, konnte sich aber nicht durchsetzen.
Bis zum Ende der Finanzperiode 2027 sind folgende Mehrausgaben vorgesehen:
Ein Teil der Mittel muss nicht von den Mitgliedstaaten aufgebracht werden, sondern wird aus anderen EU-Töpfen umgeleitet. Darauf hatte besonders die Bundesregierung gedrungen. Der Co-Berichterstatter des Europaparlaments, Johan Van Overtveldt (EKR), bedauerte, dass dafür auch das Forschungsprogramm Horizon Europe angezapft wurde. Dies könne “nicht der Weg sein, um Wachstum und Arbeitsplätze in unserem Teil der Welt zu sichern”.
Teilweise durchsetzen konnte sich das Parlament hingegen damit, EU-Programme wie Erasmus+ vor Kürzungen zu schützen, die durch steigende Zinskosten für das Investitionsprogramm Next Generation EU nötig werden könnten. Das gefundene Konstrukt könne aber “zu jährlichen zähen Verhandlungen und weiteren Kürzungen führen”, kritisierte der Grünen-Haushälter Rasmus Andresen. tho
Am Mittwoch stimmt das Plenum des Europäischen Parlaments über seine Verhandlungsposition zur vorgeschlagenen Lockerung des EU-Gentechnikrechts ab. Die Europäische Kommission hat unter anderem vorgeschlagen, die Regelungen für Genom-editierte Pflanzen, die so auch auf herkömmliche Weise hätten entstehen können, deutlich zu lockern. Am selben Tag will auch die belgische EU-Ratspräsidentschaft das Thema noch einmal mit den Botschaftern der Mitgliedstaaten diskutieren, wie ein Sprecher bestätigte.
Nachdem beim Agrarrat im Dezember der Versuch gescheitert war, eine Einigung unter den 27 Agrarministern herbeizuführen, liefen die Gespräche zu dem Dossier zuletzt auf Arbeitsebene. Indem sie das Thema nun noch einmal eine Ebene höher auf die Tagesordnung der Botschafter setzt, will die Präsidentschaft dem Sprecher zufolge neuen politischen Input zu Punkten einholen, die sich bei den Gesprächen der Fachleute zuletzt schwierig gestalteten.
Dabei geht es vor allem um die Frage der Patentierbarkeit von gentechnisch veränderten Pflanzen und Saatgut. Dem Vernehmen nach ist das Patentthema unter anderem für Warschau ein Knackpunkt. Polen gilt als Land, das seine ablehnende Haltung ändern und doch noch für den Gentechnik-Vorschlag stimmen könnte. Für eine Ratsmehrheit würde das – ceteris paribus – ausreichen. Bisher hat sich die neue Regierung unter Donald Tusk zu dem Thema noch nicht öffentlich geäußert. Wie sich das Land verhält, dürfte auch davon abhängen, welche Zugeständnisse Warschau angeboten werden.
Dass es bei dem Treffen schon zu einer Gesamteinigung kommt, schloss der Sprecher der belgischen Präsidentschaft nicht aus, zwingendes Ziel der Sitzung sei dies aber nicht. Aufseiten des Parlaments dagegen wird erwartet, dass das Plenum dem Vorschlag zustimmt. Wahrscheinlich ist auch, dass das Plenum in Kernpunkten nah an der Version des Textes bleibt, die der Umweltausschuss im Januar verabschiedet hatte. jd
Am Dienstagmorgen um 4:45 Uhr haben Rat und Parlament eine vorläufige politische Einigung über den Gigabit Infrastructure Act (GIA) erzielt. Das Gesetz ersetzt die Broadband Cost Reduction Directive (BCRD) von 2014 und zielt darauf ab, den Ausbau von Hochgeschwindigkeitsnetzen in der gesamten EU zu beschleunigen und zu vereinfachen.
Wichtige Aspekte des Gesetzes umfassen die Vereinfachung der Genehmigungsverfahren, die Reduzierung bürokratischer Hürden und die Einführung des Prinzips der “stillschweigenden Genehmigung”. Demnach gelten Infrastrukturprojekte automatisch als genehmigt, wenn sie nicht innerhalb von vier Monaten von den Behörden beschieden werden. Das Gesetz enthält auch Maßnahmen zur Förderung der Konnektivität in ländlichen und abgelegenen Gebieten sowie spezifische Bestimmungen zur Unterstützung der Nutzung bestehender physischer Infrastrukturen.
Rat und Parlament haben sich zudem über die Abschaffung der Gebühren für Auslandsgespräche und SMS innerhalb der EU geeinigt. Dies war nicht Teil des ursprünglichen Kommissionsvorschlags. Das Parlament fügte dies ein, weil die bestehenden Preisobergrenzen für Intra-EU-Anrufe in wenigen Monaten auslaufen. “Mit dieser Verordnung und der Abschaffung der Roaming-Gebühren werden Anrufe von und nach überall in Europa nahtlos an die Gebühren im Inland angeglichen”, stellte Berichterstatter Alin Mituța (Renew) fest. “Hier liefert die EU direkt an ihre Bürger.” Die Angleichung gilt ab 2029. In der Zwischenzeit gelten die derzeitigen Obergrenzen weiter.
Die Verhandlungen seien extrem zäh verlaufen, erklärte Niklas Nienaß, Schattenberichterstatter der Grünen im Industrieausschuss. Eine Beschleunigung des Breitbandausbaus werde mit dem GIA nur mittelmäßig erreicht. Die Mitgliedstaaten hätten lieber alles beim Alten belassen wollen, meinte er. Auch kämen die Maßnahmen wegen der langen Übergangsfrist von 18 Monaten nach seinem Inkrafttreten recht spät. Einige Bestimmungen gelten sogar erst zu einem noch späteren Zeitpunkt. Daher sagt Nienaß voraus: Das Ziel der digitalen Dekade erreiche die EU “eher über Satelliteninternet als über den Breitbandausbau”. vis
Das Europäische Parlament (EP) und der Rat haben sich am Montag auf Regeln für die Regulierung des ESG-Rating-Marktes geeinigt. Kern der Verordnung zur Transparenz und Integrität von ESG-Rating-Tätigkeiten ist, dass Anbieter von ESG-Ratings künftig unter der Aufsicht der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) stehen und Transparenzanforderungen erfüllen müssen. Wenn die Institutionen die Verordnung formal angenommen haben, gelten die neuen Regeln 18 Monate nach Inkrafttreten.
ESG-Rating-Anbieter sollen künftig separate Bewertungen für die Kategorien Umwelt, Soziales und Governance veröffentlichen, statt ein aggregiertes Rating für alle. Wenn sie doch nur eine übergreifende Bewertung nutzen, müssen sie laut Vereinbarung von EP und Rat Auskunft über die Gewichtung der einzelnen Faktoren sowie über die Methode zur Gewichtung geben. Zudem müssen die Anbieter darüber informieren, ob ein Rating für Umwelt das Pariser Klimaziel berücksichtigt. Bei Sozialem und Governance braucht es Angaben zur Berücksichtigung von internationalen Übereinkommen.
Zudem werden ESG-Rating-Anbieter verpflichtet, Angaben zur “Wesentlichkeit” zu machen – also ob das Rating nur Auswirkungen, etwa durch den Klimawandel, auf das Unternehmen berücksichtigt oder auch die Folgen der Geschäftstätigkeit für Umwelt, Soziales und Unternehmensführung. Für kleine Rating-Anbieter sieht die Verordnung Ausnahmen vor. Dazu gehört etwa, dass sie die ersten drei Jahre nach ihrer Gründung keine Aufsichtsgebühren an die ESMA zahlen müssen oder die Behörde sie in gut begründeten Fällen von bestimmten Anforderungen befreien kann.
Um Interessenkonflikte zu vermeiden, müssen ESG-Rating-Anbieter, die gleichzeitig Leistungen wie Beratung, Wirtschaftsprüfung oder Kreditrating anbieten, das Rating-Geschäft von den anderen Bereichen trennen. Andere Unternehmen sind mindestens verpflichtet, klare Maßnahmen zu ergreifen, die Interessenkonflikte verhindern.
Fachleute nehmen die Einigung größtenteils positiv auf. “Die politische Einigung begrüßen wir sehr, denn sie wird für deutlich mehr Qualität im bisher unregulierten Markt der ESG-Ratings sorgen”, sagt etwa Henrik Pontzen, Abteilungsleiter ESG im Portfoliomanagement bei Union Investment.
Für Silke Stremlau betrifft die wichtigste Neuerung die Transparenzanforderungen an ESG-Rating-Anbieter. “Damit kommt endlich mehr Licht in die Black-Box einiger Anbieter”, sagt die Vorsitzende des Sustainable-Finance-Beirats der Bundesregierung. Sie hätte es aber gut gefunden, wenn auch Anbieter von Ratings und Indizes eine juristische Trennung hätten vornehmen müssen. “Ich hoffe, dass die ESMA hier genügend Kontrollmöglichkeiten hat, um Interessenkonflikte aufzudecken”, ergänzt Stremlau.
Für Julia Haake, Vorsitzende der European Association of Sustainability Rating Agencies, ist die Regulierung ebenfalls ein Schritt in die richtige Richtung. “Allerdings sind wir immer noch besorgt, dass kleine und mittelgroße europäische Anbieter durch die Regulierung benachteiligt werden, weil es für sie schwieriger sein wird, die dadurch stark steigenden Kosten zu tragen, als für große Player”, sagt Haake, die auch Head of ESG Rating Agency bei Ethifinance ist. Sie habe “nicht den Eindruck, dass ein Level-Playing-Field geschaffen wird”.
Der belgische Ratsvorsitz und das Europäische Parlament haben sich am Dienstag auf ein erstes EU-Gesetz zur Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt geeinigt. Das neue Gesetz legt gemeinsame Mindeststandards bei einer Reihe von Straftatbeständen fest, etwa wie diese definiert werden und welche Strafen es geben muss. Dazu werden Regeln für den Umgang mit Betroffenen sexueller oder häuslicher Gewalt etabliert. Der vorläufige politische Kompromiss muss nun noch formal vom Parlament und Rat bestätigt werden.
Mit dem neuen Gesetz würden die folgenden Straftaten EU-weit unter Strafe gestellt:
Das neue Gesetz werde den Opfern dieser Straftaten auch den Zugang zur Justiz erleichtern, teilte der Rat mit. Mitgliedstaaten müssten beispielsweise dafür sorgen, dass Opfer von Gewalt gegen Frauen oder häuslicher Gewalt über leicht zugängliche und einfach zu nutzende Kanäle Anzeige erstatten können. Dazu sollen die Länder verpflichtet werden, spezielle Beratungsstellen etwa für vergewaltigte Frauen vorzuhalten.
Die schwedische linke Europaparlamentarierin Malin Björk bedauerte, dass es keine Einigung auf einen “Ja heißt Ja”-Paragrafen gegeben habe. Demnach hätte Sex nur dann als einvernehmlich gegolten, wenn beide Seiten dies zuvor explizit geäußert haben. “Dennoch ist die Richtlinie ein großer Schritt nach vorn. Zum ersten Mal, und nach zwei Jahrzehnten feministischen Kampfes, werden wir ein EU-Instrument haben, das geschlechtsspezifische Gewalt anspricht und verurteilt”, sagte Björk.
Marie-Colline Leroy, belgische Staatssekretärin für Geschlechtergleichstellung, betonte, dass die Richtlinie ein umfangreiches Kapitel zur Prävention enthalte, um gegen die zugrunde liegenden Muster von Zwang, Macht und Kontrolle vorzugehen. “Die Mitgliedstaaten senden eine klare Botschaft: Wir akzeptieren nicht länger, dass man als Frau stärker gefährdet ist als ein Mann”, sagte Leroy. lei
Die EU-Kommission hat am Dienstag strengere strafrechtliche Vorschriften zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der Ausbeutung von Kindern vorgeschlagen, darunter ein hartes Vorgehen gegen Livestreaming-Pornografie und die Einbeziehung von Missbrauchsmaterial in Deep Fakes oder anderes KI-generiertes Material.
Sowohl die deutlich gestiegene Präsenz von Kindern im Internet als auch die rasanten technologischen Entwicklungen hätten neue Möglichkeiten für Missbrauch geschaffen, erklärte die Kommission am Dienstag. Dies habe 2022 zur Meldung von 1,5 Millionen Fällen von sexuellem Kindesmissbrauch in der EU geführt. “Die Gefahr des Missbrauchs ist real und hat in der gesamten EU zugenommen”, erklärte die Kommission.
Die neuen Vorschriften würden die 2011 eingeführten Vorschriften anpassen und die Definition von Straftaten im Zusammenhang mit Kindesmissbrauch auf Livestreaming und KI-Inhalte ausweiten. Sie sehen auch eine längere Frist für die Anzeige von Missbrauch vor und gewähren den Opfern Anspruch auf finanzielle Entschädigung. Das Europäische Parlament und die Mitgliedsstaaten müssen dem Vorschlag zustimmen, bevor er in Kraft treten kann. rtr
Barbara Gessler leitet demnächst die Vertretung der EU-Kommission in Berlin. Das Regionalbüro in Bonn wird künftig geführt von Stefan Lock. In München kommt Wolfgang Bücherl zum Zuge. Diese Neuverpflichtungen hat die Kommission beschlossen. Die Vertretung der Kommission in Berlin sowie die beiden Regionalbüros hatten lange Zeit keine Leitungen.
Gessler war bisher Abteilungsleiterin in der Brüsseler Exekutivagentur für Bildung, Audiovisuelles und Kultur (EACEA). Sie hatte zu einem früheren Zeitpunkt bereits die Regionalvertretung in Bonn geleitet. Der Tag, an dem ihre Ernennung wirksam wird, steht laut Kommission noch nicht fest. Lock (Bonn) leitet bisher die Kooperation des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EEAS) für Äthiopien und Eritrea. Bücherl (München) kommt aus der Generaldirektion Gesundheit der Kommission (DG Sante) und war zuletzt abgeordnet an das bayerische Gesundheitsministerium. mgr
Catherine Martens wird Sprecherin der neuen Renew-Fraktionsvorsitzenden Valérie Hayer. Die Deutsch-Französin Martens hatte zuletzt in der Renew-Pressestelle gearbeitet. Zuvor war sie viele Jahre als Fernsehjournalistin bei der Deutschen Welle in Brüssel tätig. Ihr Vorgänger, Antoine Guéry, ist mit dem vorherigen Renew-Chef Stéphane Séjourné nach Paris gewechselt und ist dort dessen Sprecher in seinem neuen Amt als französischer Außenminister.
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