am Sonntag werden in Sachsen und Thüringen die Landtage neu gewählt, die Ergebnisse haben das Zeug, die politische Landschaft in Deutschland zu erschüttern. Bewahrheiten sich die Umfragen, könnte die AfD in beiden Bundesländern mit rund 30 Prozent stärkste Kraft werden (in Sachsen stemmt sich CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer noch dagegen). Zählt man das Ergebnis des Bündnis Sahra Wagenknecht hinzu, könnten die beiden systemkritischen Parteien rund die Hälfte der Stimmen erhalten.
Dieses Szenario hatte schon vor dem vergangenen Wochenende Unruhe im politischen Berlin ausgelöst; der mutmaßlich islamistische Terrorangriff in Solingen hat die Sorgen zur Panik gesteigert. Das absehbar desaströse Abschneiden von SPD, Grünen und FDP dürfte zudem die Fliehkräfte in der Koalition noch weiter verstärken. Ob die Ampel noch die Kraft aufbringt, bis zum Bundestagswahltermin in einem Jahr zusammenzubleiben, wird fraglicher.
Selbst wenn die Koalition durchhält: Viel zusammengehen dürfte in der Bundesregierung nicht mehr. Für die Handlungsfähigkeit der EU verheißt das nichts Gutes, zumal Präsident Emmanuel Macron in Paris ebenfalls ein heilloses Durcheinander angerichtet hat.
Ursula von der Leyen bleibt zunächst wenig anderes übrig, als die Geschehnisse aus der Ferne zu beobachten. Sollte die AfD tatsächlich an einer Landesregierung beteiligt werden (was die anderen Parteien zu verhindern suchen werden), müsste sich die Kommissionspräsidentin womöglich ihren Werkzeugkasten zum Schutz von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit genauer ansehen.
Laut einer neuen Analyse des Jacques Delors Centre an der Berliner Hertie School könnte sie dort durchaus fündig werden: Instrumente wie der Konditionalitätsmechanismus oder die Schutzbestimmungen der EU-Strukturfonds könnten auch auf regionaler Ebene angewandt werden, schreibt die Autorin Luise Quaritsch. “Sollte in Thüringen also eine rechtsextreme Landesregierung gegen die Grundwerte der Union verstoßen, könnte sie einen ernsthaften Konflikt mit der Kommission und Milliarden an EU-Fördergeldern riskieren.”
Bleibt zu hoffen, dass es nicht so weit kommt.
Was Angebotsschocks mit der europäischen Wirtschaft anstellen können, erlebt Europa aktuell. 2022 schnellten zuerst die Energie- und dann die Lebensmittelpreise in die Höhe. Als die Preise sich nicht schnell genug normalisierten, sah sich die EZB gezwungen, ihre Zinsen zu erhöhen und damit die Nachfrage zu senken. Sie fürchtete, sonst ihre Glaubwürdigkeit zu verlieren.
Die Inflation hat sich seither wieder normalisiert, aber zum Preis einer schwachen Wirtschaftsentwicklung und erhöhtem Druck auf die Haushalte der EU-Mitgliedstaaten. Angesichts der geopolitischen Spannungen können auch weitere Angebotsschocks nicht ausgeschlossen werden.
“Wir hatten eine 30 bis 40 Jahre andauernde wirtschaftliche Stabilität durch die Öffnung des Handels, die Einbindung Chinas in die Wertketten und das geopolitisch insgesamt ruhige Klima”, sagt Jens van ‘t Klooster über die Zeit, die spätestens 2022 zu Ende ging. In dieser Phase habe man die Preispolitik mangels Notwendigkeit immer mehr vernachlässigt, sagt der Assistenzprofessor für politische Ökonomie der Universität Amsterdam. Staaten hätten ihren Werkzeugkasten immer mehr vereinfacht, sodass man heute eigentlich nur noch den Leitzins der Zentralbank als Hebel gegen Inflation habe.
Mit diesen begrenzten Möglichkeiten sind die Zentralbanken nun in eine Zeit getreten, in der wieder mehr Angebotsschocks drohen – nicht nur durch Kriege, sondern auch durch den Klimawandel. Eine Studie des Internationalen Währungsfonds schätzt, dass der Klimawandel die Inflation um 0,1 bis 0,4 Prozentpunkte erhöhen wird. Forscher der EZB und des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung sind pessimistischer: In ihrer Studie errechnen sie eine zusätzliche Inflation von 0,3 bis 1,2 Prozentpunkten pro Jahr – unter anderem durch den Effekt des Klimawandels auf Lebensmittelpreise.
David Barmes, Policy Fellow beim Grantham Forschungsinstitut für Klima und Umwelt an der London School of Economics, fürchtet, dass die Zahlen aus diesen Studien das Risiko noch unterschätzen. “Es ist sehr schwierig, diese Zahlen zu projizieren, denn es hängt von so vielen Variablen ab”, sagt er zu Table.Briefings.
Barmes’ Albtraum-Szenario: immer neue Angebotsschocks, in denen sich die Zentralbank zu wiederholten Zinssteigerungen gezwungen sieht, welche die Wirtschaft in die Depression drücken und gleichzeitig Investitionen in Klimaschutz und Klimaanpassung erschweren.
Diese Gefahr sieht auch Achim Wambach, Wirtschaftsprofessor an der Universität Mannheim und Präsident des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). “Deshalb spricht einiges dafür, den Kampf gegen den Klimawandel noch stärker voranzutreiben”, sagt er Table.Briefings.
Aber er warnt: “Auch Maßnahmen gegen den Klimawandel können inflationstreibend sein.” So werde die Erweiterung des EU-Emissionshandels, die für 2027 geplant ist, die Energiepreise stark anheben, was ebenfalls einen Inflationsschock auslösen könne.
Wambach nimmt die Regierungen in die Pflicht. Sie “müssen sich wieder bewusst werden, dass ihr Handeln Auswirkungen auf die Inflation hat”, sagt der ZEW-Präsident.
Was die Rolle der Zentralbank beim Klimaschutz angeht, bleibt Wambach zurückhaltend. “Die EZB muss sich klar auf ihr Preisstabilitätsmandat konzentrieren. Das Risiko ist hoch, dass sie sonst ihre Glaubwürdigkeit verliert”, sagt er. Wenn die Preissteigerungen drohen, die Inflationserwartungen in die Höhe zu treiben, müsse die EZB den Zinshammer anwenden, auch wenn der Grund ein Angebotsschock sei.
Jens van ‘t Klooster hingegen findet, dass Zinserhöhungen im aktuellen Kontext ein schlechtes Instrument darstellen. Statt das Angebot zu fördern, drücken sie die Nachfrage und treffen dabei vor allem Investitionen statt Konsumausgaben. Und weil erneuerbare Energien tendenziell höhere Anfangsinvestitionen benötigen, trifft es den Ausbau erneuerbarer Energien überproportional stark.
Der niederländische Ökonom erinnert daran, dass EZB-Zinserhöhungen bisher immer mit gestiegenen Ölpreisen in Verbindung standen. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn Energiekosten haben von allen Preiskomponenten den stärksten Einfluss auf die Inflation in Europa. “Aus einer Preisstabilitätsperspektive ist die Abkehr von fossiler Energie ein no-brainer”, sagt van ‘t Klooster deshalb.
Er schlägt vor, dass die EZB Klimaschutzmaßnahmen von Zinserhöhungen verschonen soll. Das sei nichts Neues. “Sektor-spezifische Ausnahmen von Zinserhöhungen haben eine lange Geschichte”, sagt der Ökonom und verweist auf die Bundesbank, die Exportkredite bis 1996 von Zinserhöhungen verschont hatte – zu wichtig war der Außenhandel für die deutsche Wirtschaft.
Aber neben der EZB sieht van ‘t Klooster auch die Regierungen und die europäischen Institutionen in der Pflicht. Im Auftrag des Europäischen Parlaments hat er zusammen mit der deutschen Wirtschaftsprofessorin Isabella Weber in einer Studie skizziert, wie eine europäische Preispolitik funktionieren könnte. Wichtig sei ein sektorieller Ansatz, der sich auf jene Produkte und Sektoren fokussiert, bei denen ein Angebotsschock den größten Effekt auf die Gesamtinflation hat. Weber hatte in einer separaten Studie die Sektoren Energie, Wohnen, Großhandel und Lebensmittel identifiziert.
In jedem Sektor müsse dann spezifisch analysiert werden, wie die Resilienz vor Angebotsschocks verbessert werden könnte. Je nachdem können dann Subventionen zur Ausweitung der Produktionskapazitäten, Preiskontrollen, größere Pflichtlager oder andere Maßnahmen zum Zug kommen.
Die Voraussetzung für alle diese Maßnahmen ist jedoch eine bessere Datenlage. Weber und van ‘t Klooster fordern die EU-Kommission und die EZB deshalb auf, detailliertere Daten zu erheben, die einen besseren Einblick in die inflationsrelevanten Wertschöpfungsketten erlauben. Nur mit einer genauen Kenntnis der spezifischen Verhältnisse in jedem Sektor könnten die richtigen Maßnahmen identifiziert werden.
Ähnliche Forderungen nach einer besseren Datenlage und mehr technischem Know-how innerhalb der europäischen und nationalen Verwaltungen kommen auch von Wirtschaftssicherheitsexperten. Erste Schritte in diese Richtung hat die EU mit dem Chips Act zum Beispiel schon in der Halbleiterindustrie unternommen sowie sektorübergreifend im Internal Market Emergency and Resilience Act (IMERA).
Bei Letzterem wurden die Kompetenzen, die sich die EU-Kommission gerne gegeben hätte, um Daten zu erheben sowie Produktion anzuordnen und Pflichtlager anzulegen, von den Mitgliedstaaten stark begrenzt. Das System, das Weber und van ‘t Klooster vorschlagen, dürfte also auf deutlichen Widerstand treffen.
Nach den USA verdoppelt jetzt auch Kanada die Preise chinesischer E-Autos bei der Einfuhr. Premier Justin Trudeaus Begründung lautet: China exportiere bewusst billige Produkte aus Überkapazitäten der Fabriken des Landes. Der Schritt ist Teil eines weltweiten Trends, chinesische Importe außen vor zu halten. Und das wiederum zwingt chinesische Unternehmen zur Verlagerung von Investitionen vom eigenen Land in die Zielmärkte.
Die chinesische Regierung reagierte am Mittwoch wie erwartet verärgert und drohte Konsequenzen an. Die Botschaft in Ottawa nannte den Schritt “protektionistisch”. Es handele sich um einen Verstoß gegen die Regeln der Welthandelsorganisation WTO. Der Schritt untergrabe die Handelskooperation zwischen den beiden Ländern.
Auslöser der Entscheidung auf einem Kabinettstreffen, an dem auch US-Sicherheitsberater Jake Sullivan teilgenommen haben soll: Der Import chinesischer E-Autos nach Kanada hat sich binnen Jahresfrist knapp verfünffacht. Die meiste Aufmerksamkeit fiel jedoch zunächst auf Tesla. Denn die Zölle treffen auch die Autos der US-Marke, die in Shanghai hergestellt werden und laufen damit der Strategie von Firmengründer Elon Musk zuwider, dort in einem großen Werk Autos zum China-Preis herzustellen und weltweit zu verkaufen.
Ein Sprecher der kanadischen Regierung forderte denn auch gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters unverhohlen, dass Tesla den kanadischen Markt eben von Nordamerika aus – sprich: aus den USA – beliefern solle. Dann fielen keine Zölle an. Die Zielrichtung ist klar: Der Absatz soll dem Arbeitsmarkt des eigenen Wirtschaftsraums dienen, Kanada will keine Resterampe für die enormen Kapazitäten der chinesischen Volkswirtschaft sein.
Chinas Handelsüberschuss stieg im Juni auf ein Rekordhoch von 99 Milliarden US-Dollar, was derzeit alle anderen Volkswirtschaften nervös macht. Schließlich ist des einen Überschuss des anderen Defizit. Der chinesische Exporterfolg wird günstigen Preisen infolge hoher Subventionen zugeschrieben.
Kanada ist mit 1,6 Millionen verkauften Pkw 2023 ein substanzieller Markt für die Autoindustrie. Allerdings ist er deutlich kleiner als beispielsweise der deutsche mit 2,8 Millionen verkauften Autos. Wichtiger ist: Der kanadische Schritt ist Teil eines weltweiten Trends. Die EU erhebt bekanntlich ab Oktober ebenfalls Zölle auf chinesische E-Autos, und viele weitere Volkswirtschaften verschließen sich. Nicht nur Autos sind betroffen: Indonesien erhebt Zölle von bis zu 200 Prozent auf Textilien aus China, Malaysia wehrt sich gegen Direktimporte durch Shopping-Plattformen.
Im Vergleich zu den pauschalen Zöllen in Höhe von 100 Prozent, die USA und Kanada verhängt haben, wirken die EU-Zölle differenziert. Sie rangieren zwischen 17 und 36,3 Prozent und wurden auf Basis einer Untersuchung der Subventionen berechnet, die einzelne Hersteller erhalten haben. Damit wirken die Zölle der EU wesentlich weniger politisch als die der Nordamerikaner. China wirft dennoch auch Brüssel Willkür vor. Die Staatsmedien unterstellen der EU, den USA blind in einen Handelskonflikt zu folgen.
Trotz des chinesischen Widerstands zeigen sich bereits Effekte der Zölle. Sie gehen in die Richtung, die sich die EU wünscht. Der Elektrofahrzeughersteller Xpeng erwägt den Bau einer Fabrik in Europa. Das sagte Firmenchef He Xiaopeng dem Nachrichtendienst Bloomberg. Auch die Einrichtung von eigenen Rechenzentren in der EU komme infrage.
Andere chinesische Marken verfolgen ähnliche Pläne. BYD baut eine Fabrik in Ungarn, Geely geht in die Slowakei, Chery produziert bereits in Spanien. Chinas Investitionen in Fabriken im europäischen Wirtschaftsraum wachsen dadurch substanziell.
Mit örtlicher Produktion entzieht man sich Einfuhrzöllen. Deshalb hatte Toyota ab den früher 1980er-Jahren begonnen, Werke zunächst in den USA und dann in Europa zu errichten. Da sich die japanischen Firmen als Wirtschaftsinländer etablierten, stießen sie von da an nicht mehr auf Vorbehalte. Sie gelten heute als gute Arbeitgeber.
Auch ein Manöver der Türkei war erfolgreich: Ankara hat erst hohe Zölle gegen chinesische Elektroautos angekündigt, den Plan dann aber zurückgezogen. Denn der Anbieter BYD hat eine hohe Investition in der Türkei angekündigt.
Umweltschützer haben die Europäische Kommission wegen ihrer Emissionsvorschriften für das Jahr 2030 vor dem Europäischen Gericht verklagt. Sie streben eine Entscheidung des zweithöchsten Gerichts der EU an, die die Kommission zwingen würde, ihre Klimaambitionen zu verstärken. Das teilten die NGOs Climate Action Network Europe (CAN Europe) und Global Legal Action Network (GLAN) am Dienstag mit.
In der Klage geht es um die nationalen Ziele zur Treibhausgassenkung in der Effort Sharing Regulation (ESR) – auch Lastenteilung genannt. Sie umfasst die Sektoren Verkehr, Landwirtschaft, Gebäude, Abfall und Teile der Industrie, die nicht im europäischen Emissionshandel erfasst sind, und gibt nationale Reduktionsziele bis zum Jahr 2030 vor.
Die NGOs sind der Auffassung, dass die Grenzwerte nicht ausreichen, um Europas Treibhausgasemissionen schnell genug zu reduzieren und die Pariser Klimaziele einzuhalten. Man habe dargelegt, dass die EU-Ziele nicht wissenschaftsbasiert seien, sagte ein Anwalt der NGOs. Wohlhabende Staaten und große historische Verschmutzer wie die EU sollten schneller handeln, fordern die Organisationen.
Laut einem Schreiben des Gerichts an die Anwälte der Kläger, das Reuters vorliegt, hat das Gericht den Fall als vorrangig eingestuft. Das könnte bedeuten, dass er im Jahr 2025 verhandelt wird. Die Klage wurde ursprünglich im Februar eingereicht, aber damals nicht veröffentlicht. In einer schriftlichen Verteidigung, die dem Gericht im Juli vorgelegt wurde und von Reuters eingesehen werden konnte, bat die Kommission das Gericht, die Klage als unzulässig abzuweisen. luk/rtr
Neu angekündigte Produktionsstätten für Eisen und Stahl, insbesondere in Europa, sind immer häufiger auf klimaschonende Verfahren ausgerichtet. In Asien, vorwiegend in Indien, werden allerdings neue CO₂-intensive Hochöfen errichtet. Dies geht aus der Studie “Pedal to the Metal 2024” des Global Energy Monitors (GEM) hervor.
Die größten Fortschritte gibt es demnach im Bereich Stahlrecycling: 93 Prozent der im vergangenen Jahr neu angekündigten Produktionskapazitäten im Stahlbereich sind Elektrolichtbogenöfen, in denen Stahlschrott erneuert wird. Wenn die Entwicklung verlaufe wie angekündigt, so die Autoren, rücke damit das Ziel der Internationalen Energieagentur (IEA) in greifbare Nähe: Die IEA gibt vor, dass 37 Prozent der globalen Stahlproduktion in 2030 mit diesen strombetriebenen Öfen hergestellt werden soll. Der tatsächliche Bau dieser Anlagen hat aber zu einem großen Teil noch nicht begonnen.
Ebenfalls auf dem Vormarsch ist die Direktreduktion von Eisenerz (DRI). Global basieren 36 Prozent der neu angekündigten Werke auf der DRI-Technik. In diesen Anlagen kann potenziell CO₂-armer Neustahl hergestellt werden, sofern zur Eliminierung der Sauerstoffatome im Eisenerz “grüner” Wasserstoff genutzt wird. Die in Europa gegenwärtig geplanten Neustahl-Anlagen sind laut GEM alle DRI-basiert, doch auch hier sind viele Projekte noch nicht im Bau.
Die mengenmäßig führenden Länder im Stahlbereich, China und Indien, widersetzen sich dem Trend allerdings. China plant den Neubau von kohlebasierten Hochöfen mit einer Kapazität von 128 Millionen Tonnen Eisen pro Jahr (36 Prozent der neuen Hochofen-Projekte weltweit). Dort verlaufen die Projektierung und der Bau neuer Hochöfen jedoch inzwischen langsamer als die Stilllegung älterer Hochöfen.
Indien hingegen plant einen massiven Ausbau: Neue Hochofen-Kapazitäten im Umfang von 122 Millionen Tonnen Eisen pro Jahr (34 Prozent globaler Anteil) sind mittels dieser emissionsintensiven Technologie geplant. Laut GEM drohen Lock-in-Effekte: Die Investitionen in neue Hochöfen könnten eine Dekarbonisierung der Eisen- und Stahlindustrie politisch und wirtschaftlich erschweren. av
Unter welchen Bedingungen dürfen Mitgliedstaaten die Luftfahrt finanziell unterstützen? Das regeln aktuell die Leitlinien für staatliche Beihilfen für Flughäfen und Luftverkehrsgesellschaften. Die EU-Kommission will diese Vorgaben nun überarbeiten, wie sie am gestrigen Dienstag mitteilte. Es gehe unter anderem darum, die mittlerweile zehn Jahre alten Leitlinien an die Ziele des Green Deal anzupassen, hieß es in einem Sondierungsaufruf der Kommission.
Ein politisch heikler Teil betrifft die öffentliche Unterstützung regionaler Flughäfen. Ursprünglich hätte diese Unterstützung 2024 auslaufen sollen, doch in der Pandemie wurde die Frist um drei weitere Jahre bis 2027 verlängert. Die Kommission vermutet, dass einige Regionalflughäfen wohl auch nach dieser Frist unprofitabel bleiben werden. “Es stellt sich die Frage, ob eine längerfristige Lösung nötig ist, und wenn ja, welche”, schreibt die Brüsseler Behörde.
Sechs Wochen lang, bis spätestens 8. Oktober, nimmt die Kommission Anmerkungen entgegen. Anschließend wird noch eine öffentliche Konsultation stattfinden. Erst danach wird die Kommission eine Anpassung der Leitlinien vorschlagen. jaa
In Frankreich lehnen Sozialisten und Grüne weitere Gespräche mit Präsident Emmanuel Macron über eine Regierungsbildung ab und rufen ihre Anhänger stattdessen zu Massenprotesten auf. Sie reagierten damit auf die Absage Macrons an eine geplante Minderheitsregierung des Linksbündnisses. Macron hatte gesagt, eine solche Regierung würde schnell wieder durch ein Misstrauensvotum im Parlament gestürzt. Er als Präsident werde daher nicht den Weg für einen Ministerpräsidenten der Linken ebnen. Frankreich brauche eine stabile Regierung. Er wollte noch am Dienstag weitere Gespräche mit den Parteispitzen führen.
Nach der Wahl vor rund sieben Wochen gestaltet sich die Bildung einer Regierung schwierig. Macrons Bündnis verlor dort seine Mehrheit. Am stärksten schnitt das Linksbündnis Nouveau Front Populaire (NFP) ab, Macrons Block und die Rechtsextremen um Marine Le Pen folgten knapp dahinter. Eine Koalition unter ihnen kam jedoch bislang nicht zustande.
“Diese Wahl wird uns gestohlen”, klagte die Chefin der Grünen, Marine Tondelier, im lokalen Radio nach Macrons Absage. “Wir werden keine weiteren Gespräche mit einem Präsidenten führen, der sowieso nicht zuhört… und davon besessen ist, die Kontrolle zu behalten.” Olivier Faure, Chef der Sozialisten, sagte im Fernsehsender France 2, er werde sich nicht mehr an einer “Parodie der Demokratie” beteiligen. La France Insoumise, eine weit links stehende Gruppe im Bündnis NFP, rief die Anhänger für den 7. September zu Demonstrationen auf.
Die französische Verfassung gibt dem Staatsoberhaupt die Freiheit, für das Amt des Ministerpräsidenten zu ernennen, wen er möchte. Jedoch muss diese Person in der Lage sein, Misstrauensvoten der Opposition im Parlament zu überstehen. Die neue Regierung wird unabhängig von ihrer Zusammensetzung vor schwierigen Aufgaben stehen, allen voran die Aufstellung eines Haushalts für 2025. Wegen einer hohen Neuverschuldung steht Frankreich unter Druck der Europäischen Kommission und der Anleihemärkte. rtr
Vielleicht geht Ihnen das auch manchmal so: Sie wollen einfach nur kurz schauen, was es Neues auf Instagram, Facebook oder X gibt – und schon verlieren Sie sich in dem endlosen Angebot. Sie betrachten fasziniert ein die Straße überquerendes Faultier, dann ein furchterregendes Tiefseemonster und gelangen weiter zu niedlichen Katzenfotos.
Oder sie verfolgen politische Diskussionen vom Hölzchen bis zum Stöckchen – und erliegen dem “Rabbit-Hole-Effekt“, wie es die Europäische Kommission nennt. Social-Media-Plattformen sind so designt, dass Nutzer sich darin verlieren wie in einem Kaninchenbau – und süchtig werden, etwa so wie beim Zucker.
Weltweit beträgt die durchschnittliche Nutzung von Social Media erstaunliche zweieinhalb Stunden pro Tag. Das Centrum für Europäische Politik (cep) hat die Folgen untersucht und dafür insgesamt rund 40 internationale Studien in einer Meta-Analyse ausgewertet. Ergebnis: Social-Media-Plattformen machen tatsächlich süchtig. Die gute Nachricht aber ist: Die psychischen Schäden seien gering, sagt das cep. Ein bisschen Zucker im Kaffee – oder ein paar Minuten auf Instagram – schadeten nicht. Doch wenn aus einem Stück Kuchen ganze Torten werden, spürt man die Folgen.
Zucker lässt den Blutzuckerspiegel in die Höhe schnellen, nur um ihn dann ins Bodenlose sinken zu lassen. Ähnlich verhält es sich mit sozialen Medien: Sie können kurzfristig glücklich machen, aber die langfristigen Auswirkungen können ziemlich bitter sein. Die Studie offenbart: Viele Nutzer fühlen sich nach exzessivem Konsum sozialer Medien ausgelaugt, ähnlich wie nach einem Zuckerschock.
Das Traurige daran ist, dass etwa ein Drittel der Nutzer weniger Zeit in sozialen Medien verbringen will, es aber nicht schafft. Die Studie schlägt vor, dass wir ein bisschen mehr “digitale Diät” halten sollten. Wie bei einer gesunden Ernährung könnte dies durch klare Warnhinweise und das Reduzieren verlockender Elemente auf Plattformen erreicht werden. Vielleicht sollte der digitale “Zuckergehalt” von sozialen Medien besser reguliert werden, um den Nutzern zu helfen, nicht in eine süße, aber schädliche Abhängigkeit zu geraten.
Mit Blick auf eine mögliche Anpassung der EU-Regulierung schlägt cep-Digitalexperte Matthias Kullas vor, dass bestimmte Gestaltungselemente eingeschränkt werden. Dazu zählten etwa Push-Benachrichtigungen sowie die Möglichkeit, zeitlich unbegrenzt scrollen oder streamen zu können. Auch ein Verbot suchterzeugender Algorithmen sei möglich.
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat bereits angekündigt, dass die Kommission in diesem Mandat gegen das süchtig machende Design bei Social-Media-Plattformen vorgehen will. Erste Schritte hat sie bereits unternommen, und zwar gegen Meta und Tiktok. Das wird unser Leben wohl nicht weniger süß machen – niedliche Tiere gibt es nämlich auch abseits der sozialen Medien. Corinna Visser
am Sonntag werden in Sachsen und Thüringen die Landtage neu gewählt, die Ergebnisse haben das Zeug, die politische Landschaft in Deutschland zu erschüttern. Bewahrheiten sich die Umfragen, könnte die AfD in beiden Bundesländern mit rund 30 Prozent stärkste Kraft werden (in Sachsen stemmt sich CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer noch dagegen). Zählt man das Ergebnis des Bündnis Sahra Wagenknecht hinzu, könnten die beiden systemkritischen Parteien rund die Hälfte der Stimmen erhalten.
Dieses Szenario hatte schon vor dem vergangenen Wochenende Unruhe im politischen Berlin ausgelöst; der mutmaßlich islamistische Terrorangriff in Solingen hat die Sorgen zur Panik gesteigert. Das absehbar desaströse Abschneiden von SPD, Grünen und FDP dürfte zudem die Fliehkräfte in der Koalition noch weiter verstärken. Ob die Ampel noch die Kraft aufbringt, bis zum Bundestagswahltermin in einem Jahr zusammenzubleiben, wird fraglicher.
Selbst wenn die Koalition durchhält: Viel zusammengehen dürfte in der Bundesregierung nicht mehr. Für die Handlungsfähigkeit der EU verheißt das nichts Gutes, zumal Präsident Emmanuel Macron in Paris ebenfalls ein heilloses Durcheinander angerichtet hat.
Ursula von der Leyen bleibt zunächst wenig anderes übrig, als die Geschehnisse aus der Ferne zu beobachten. Sollte die AfD tatsächlich an einer Landesregierung beteiligt werden (was die anderen Parteien zu verhindern suchen werden), müsste sich die Kommissionspräsidentin womöglich ihren Werkzeugkasten zum Schutz von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit genauer ansehen.
Laut einer neuen Analyse des Jacques Delors Centre an der Berliner Hertie School könnte sie dort durchaus fündig werden: Instrumente wie der Konditionalitätsmechanismus oder die Schutzbestimmungen der EU-Strukturfonds könnten auch auf regionaler Ebene angewandt werden, schreibt die Autorin Luise Quaritsch. “Sollte in Thüringen also eine rechtsextreme Landesregierung gegen die Grundwerte der Union verstoßen, könnte sie einen ernsthaften Konflikt mit der Kommission und Milliarden an EU-Fördergeldern riskieren.”
Bleibt zu hoffen, dass es nicht so weit kommt.
Was Angebotsschocks mit der europäischen Wirtschaft anstellen können, erlebt Europa aktuell. 2022 schnellten zuerst die Energie- und dann die Lebensmittelpreise in die Höhe. Als die Preise sich nicht schnell genug normalisierten, sah sich die EZB gezwungen, ihre Zinsen zu erhöhen und damit die Nachfrage zu senken. Sie fürchtete, sonst ihre Glaubwürdigkeit zu verlieren.
Die Inflation hat sich seither wieder normalisiert, aber zum Preis einer schwachen Wirtschaftsentwicklung und erhöhtem Druck auf die Haushalte der EU-Mitgliedstaaten. Angesichts der geopolitischen Spannungen können auch weitere Angebotsschocks nicht ausgeschlossen werden.
“Wir hatten eine 30 bis 40 Jahre andauernde wirtschaftliche Stabilität durch die Öffnung des Handels, die Einbindung Chinas in die Wertketten und das geopolitisch insgesamt ruhige Klima”, sagt Jens van ‘t Klooster über die Zeit, die spätestens 2022 zu Ende ging. In dieser Phase habe man die Preispolitik mangels Notwendigkeit immer mehr vernachlässigt, sagt der Assistenzprofessor für politische Ökonomie der Universität Amsterdam. Staaten hätten ihren Werkzeugkasten immer mehr vereinfacht, sodass man heute eigentlich nur noch den Leitzins der Zentralbank als Hebel gegen Inflation habe.
Mit diesen begrenzten Möglichkeiten sind die Zentralbanken nun in eine Zeit getreten, in der wieder mehr Angebotsschocks drohen – nicht nur durch Kriege, sondern auch durch den Klimawandel. Eine Studie des Internationalen Währungsfonds schätzt, dass der Klimawandel die Inflation um 0,1 bis 0,4 Prozentpunkte erhöhen wird. Forscher der EZB und des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung sind pessimistischer: In ihrer Studie errechnen sie eine zusätzliche Inflation von 0,3 bis 1,2 Prozentpunkten pro Jahr – unter anderem durch den Effekt des Klimawandels auf Lebensmittelpreise.
David Barmes, Policy Fellow beim Grantham Forschungsinstitut für Klima und Umwelt an der London School of Economics, fürchtet, dass die Zahlen aus diesen Studien das Risiko noch unterschätzen. “Es ist sehr schwierig, diese Zahlen zu projizieren, denn es hängt von so vielen Variablen ab”, sagt er zu Table.Briefings.
Barmes’ Albtraum-Szenario: immer neue Angebotsschocks, in denen sich die Zentralbank zu wiederholten Zinssteigerungen gezwungen sieht, welche die Wirtschaft in die Depression drücken und gleichzeitig Investitionen in Klimaschutz und Klimaanpassung erschweren.
Diese Gefahr sieht auch Achim Wambach, Wirtschaftsprofessor an der Universität Mannheim und Präsident des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). “Deshalb spricht einiges dafür, den Kampf gegen den Klimawandel noch stärker voranzutreiben”, sagt er Table.Briefings.
Aber er warnt: “Auch Maßnahmen gegen den Klimawandel können inflationstreibend sein.” So werde die Erweiterung des EU-Emissionshandels, die für 2027 geplant ist, die Energiepreise stark anheben, was ebenfalls einen Inflationsschock auslösen könne.
Wambach nimmt die Regierungen in die Pflicht. Sie “müssen sich wieder bewusst werden, dass ihr Handeln Auswirkungen auf die Inflation hat”, sagt der ZEW-Präsident.
Was die Rolle der Zentralbank beim Klimaschutz angeht, bleibt Wambach zurückhaltend. “Die EZB muss sich klar auf ihr Preisstabilitätsmandat konzentrieren. Das Risiko ist hoch, dass sie sonst ihre Glaubwürdigkeit verliert”, sagt er. Wenn die Preissteigerungen drohen, die Inflationserwartungen in die Höhe zu treiben, müsse die EZB den Zinshammer anwenden, auch wenn der Grund ein Angebotsschock sei.
Jens van ‘t Klooster hingegen findet, dass Zinserhöhungen im aktuellen Kontext ein schlechtes Instrument darstellen. Statt das Angebot zu fördern, drücken sie die Nachfrage und treffen dabei vor allem Investitionen statt Konsumausgaben. Und weil erneuerbare Energien tendenziell höhere Anfangsinvestitionen benötigen, trifft es den Ausbau erneuerbarer Energien überproportional stark.
Der niederländische Ökonom erinnert daran, dass EZB-Zinserhöhungen bisher immer mit gestiegenen Ölpreisen in Verbindung standen. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn Energiekosten haben von allen Preiskomponenten den stärksten Einfluss auf die Inflation in Europa. “Aus einer Preisstabilitätsperspektive ist die Abkehr von fossiler Energie ein no-brainer”, sagt van ‘t Klooster deshalb.
Er schlägt vor, dass die EZB Klimaschutzmaßnahmen von Zinserhöhungen verschonen soll. Das sei nichts Neues. “Sektor-spezifische Ausnahmen von Zinserhöhungen haben eine lange Geschichte”, sagt der Ökonom und verweist auf die Bundesbank, die Exportkredite bis 1996 von Zinserhöhungen verschont hatte – zu wichtig war der Außenhandel für die deutsche Wirtschaft.
Aber neben der EZB sieht van ‘t Klooster auch die Regierungen und die europäischen Institutionen in der Pflicht. Im Auftrag des Europäischen Parlaments hat er zusammen mit der deutschen Wirtschaftsprofessorin Isabella Weber in einer Studie skizziert, wie eine europäische Preispolitik funktionieren könnte. Wichtig sei ein sektorieller Ansatz, der sich auf jene Produkte und Sektoren fokussiert, bei denen ein Angebotsschock den größten Effekt auf die Gesamtinflation hat. Weber hatte in einer separaten Studie die Sektoren Energie, Wohnen, Großhandel und Lebensmittel identifiziert.
In jedem Sektor müsse dann spezifisch analysiert werden, wie die Resilienz vor Angebotsschocks verbessert werden könnte. Je nachdem können dann Subventionen zur Ausweitung der Produktionskapazitäten, Preiskontrollen, größere Pflichtlager oder andere Maßnahmen zum Zug kommen.
Die Voraussetzung für alle diese Maßnahmen ist jedoch eine bessere Datenlage. Weber und van ‘t Klooster fordern die EU-Kommission und die EZB deshalb auf, detailliertere Daten zu erheben, die einen besseren Einblick in die inflationsrelevanten Wertschöpfungsketten erlauben. Nur mit einer genauen Kenntnis der spezifischen Verhältnisse in jedem Sektor könnten die richtigen Maßnahmen identifiziert werden.
Ähnliche Forderungen nach einer besseren Datenlage und mehr technischem Know-how innerhalb der europäischen und nationalen Verwaltungen kommen auch von Wirtschaftssicherheitsexperten. Erste Schritte in diese Richtung hat die EU mit dem Chips Act zum Beispiel schon in der Halbleiterindustrie unternommen sowie sektorübergreifend im Internal Market Emergency and Resilience Act (IMERA).
Bei Letzterem wurden die Kompetenzen, die sich die EU-Kommission gerne gegeben hätte, um Daten zu erheben sowie Produktion anzuordnen und Pflichtlager anzulegen, von den Mitgliedstaaten stark begrenzt. Das System, das Weber und van ‘t Klooster vorschlagen, dürfte also auf deutlichen Widerstand treffen.
Nach den USA verdoppelt jetzt auch Kanada die Preise chinesischer E-Autos bei der Einfuhr. Premier Justin Trudeaus Begründung lautet: China exportiere bewusst billige Produkte aus Überkapazitäten der Fabriken des Landes. Der Schritt ist Teil eines weltweiten Trends, chinesische Importe außen vor zu halten. Und das wiederum zwingt chinesische Unternehmen zur Verlagerung von Investitionen vom eigenen Land in die Zielmärkte.
Die chinesische Regierung reagierte am Mittwoch wie erwartet verärgert und drohte Konsequenzen an. Die Botschaft in Ottawa nannte den Schritt “protektionistisch”. Es handele sich um einen Verstoß gegen die Regeln der Welthandelsorganisation WTO. Der Schritt untergrabe die Handelskooperation zwischen den beiden Ländern.
Auslöser der Entscheidung auf einem Kabinettstreffen, an dem auch US-Sicherheitsberater Jake Sullivan teilgenommen haben soll: Der Import chinesischer E-Autos nach Kanada hat sich binnen Jahresfrist knapp verfünffacht. Die meiste Aufmerksamkeit fiel jedoch zunächst auf Tesla. Denn die Zölle treffen auch die Autos der US-Marke, die in Shanghai hergestellt werden und laufen damit der Strategie von Firmengründer Elon Musk zuwider, dort in einem großen Werk Autos zum China-Preis herzustellen und weltweit zu verkaufen.
Ein Sprecher der kanadischen Regierung forderte denn auch gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters unverhohlen, dass Tesla den kanadischen Markt eben von Nordamerika aus – sprich: aus den USA – beliefern solle. Dann fielen keine Zölle an. Die Zielrichtung ist klar: Der Absatz soll dem Arbeitsmarkt des eigenen Wirtschaftsraums dienen, Kanada will keine Resterampe für die enormen Kapazitäten der chinesischen Volkswirtschaft sein.
Chinas Handelsüberschuss stieg im Juni auf ein Rekordhoch von 99 Milliarden US-Dollar, was derzeit alle anderen Volkswirtschaften nervös macht. Schließlich ist des einen Überschuss des anderen Defizit. Der chinesische Exporterfolg wird günstigen Preisen infolge hoher Subventionen zugeschrieben.
Kanada ist mit 1,6 Millionen verkauften Pkw 2023 ein substanzieller Markt für die Autoindustrie. Allerdings ist er deutlich kleiner als beispielsweise der deutsche mit 2,8 Millionen verkauften Autos. Wichtiger ist: Der kanadische Schritt ist Teil eines weltweiten Trends. Die EU erhebt bekanntlich ab Oktober ebenfalls Zölle auf chinesische E-Autos, und viele weitere Volkswirtschaften verschließen sich. Nicht nur Autos sind betroffen: Indonesien erhebt Zölle von bis zu 200 Prozent auf Textilien aus China, Malaysia wehrt sich gegen Direktimporte durch Shopping-Plattformen.
Im Vergleich zu den pauschalen Zöllen in Höhe von 100 Prozent, die USA und Kanada verhängt haben, wirken die EU-Zölle differenziert. Sie rangieren zwischen 17 und 36,3 Prozent und wurden auf Basis einer Untersuchung der Subventionen berechnet, die einzelne Hersteller erhalten haben. Damit wirken die Zölle der EU wesentlich weniger politisch als die der Nordamerikaner. China wirft dennoch auch Brüssel Willkür vor. Die Staatsmedien unterstellen der EU, den USA blind in einen Handelskonflikt zu folgen.
Trotz des chinesischen Widerstands zeigen sich bereits Effekte der Zölle. Sie gehen in die Richtung, die sich die EU wünscht. Der Elektrofahrzeughersteller Xpeng erwägt den Bau einer Fabrik in Europa. Das sagte Firmenchef He Xiaopeng dem Nachrichtendienst Bloomberg. Auch die Einrichtung von eigenen Rechenzentren in der EU komme infrage.
Andere chinesische Marken verfolgen ähnliche Pläne. BYD baut eine Fabrik in Ungarn, Geely geht in die Slowakei, Chery produziert bereits in Spanien. Chinas Investitionen in Fabriken im europäischen Wirtschaftsraum wachsen dadurch substanziell.
Mit örtlicher Produktion entzieht man sich Einfuhrzöllen. Deshalb hatte Toyota ab den früher 1980er-Jahren begonnen, Werke zunächst in den USA und dann in Europa zu errichten. Da sich die japanischen Firmen als Wirtschaftsinländer etablierten, stießen sie von da an nicht mehr auf Vorbehalte. Sie gelten heute als gute Arbeitgeber.
Auch ein Manöver der Türkei war erfolgreich: Ankara hat erst hohe Zölle gegen chinesische Elektroautos angekündigt, den Plan dann aber zurückgezogen. Denn der Anbieter BYD hat eine hohe Investition in der Türkei angekündigt.
Umweltschützer haben die Europäische Kommission wegen ihrer Emissionsvorschriften für das Jahr 2030 vor dem Europäischen Gericht verklagt. Sie streben eine Entscheidung des zweithöchsten Gerichts der EU an, die die Kommission zwingen würde, ihre Klimaambitionen zu verstärken. Das teilten die NGOs Climate Action Network Europe (CAN Europe) und Global Legal Action Network (GLAN) am Dienstag mit.
In der Klage geht es um die nationalen Ziele zur Treibhausgassenkung in der Effort Sharing Regulation (ESR) – auch Lastenteilung genannt. Sie umfasst die Sektoren Verkehr, Landwirtschaft, Gebäude, Abfall und Teile der Industrie, die nicht im europäischen Emissionshandel erfasst sind, und gibt nationale Reduktionsziele bis zum Jahr 2030 vor.
Die NGOs sind der Auffassung, dass die Grenzwerte nicht ausreichen, um Europas Treibhausgasemissionen schnell genug zu reduzieren und die Pariser Klimaziele einzuhalten. Man habe dargelegt, dass die EU-Ziele nicht wissenschaftsbasiert seien, sagte ein Anwalt der NGOs. Wohlhabende Staaten und große historische Verschmutzer wie die EU sollten schneller handeln, fordern die Organisationen.
Laut einem Schreiben des Gerichts an die Anwälte der Kläger, das Reuters vorliegt, hat das Gericht den Fall als vorrangig eingestuft. Das könnte bedeuten, dass er im Jahr 2025 verhandelt wird. Die Klage wurde ursprünglich im Februar eingereicht, aber damals nicht veröffentlicht. In einer schriftlichen Verteidigung, die dem Gericht im Juli vorgelegt wurde und von Reuters eingesehen werden konnte, bat die Kommission das Gericht, die Klage als unzulässig abzuweisen. luk/rtr
Neu angekündigte Produktionsstätten für Eisen und Stahl, insbesondere in Europa, sind immer häufiger auf klimaschonende Verfahren ausgerichtet. In Asien, vorwiegend in Indien, werden allerdings neue CO₂-intensive Hochöfen errichtet. Dies geht aus der Studie “Pedal to the Metal 2024” des Global Energy Monitors (GEM) hervor.
Die größten Fortschritte gibt es demnach im Bereich Stahlrecycling: 93 Prozent der im vergangenen Jahr neu angekündigten Produktionskapazitäten im Stahlbereich sind Elektrolichtbogenöfen, in denen Stahlschrott erneuert wird. Wenn die Entwicklung verlaufe wie angekündigt, so die Autoren, rücke damit das Ziel der Internationalen Energieagentur (IEA) in greifbare Nähe: Die IEA gibt vor, dass 37 Prozent der globalen Stahlproduktion in 2030 mit diesen strombetriebenen Öfen hergestellt werden soll. Der tatsächliche Bau dieser Anlagen hat aber zu einem großen Teil noch nicht begonnen.
Ebenfalls auf dem Vormarsch ist die Direktreduktion von Eisenerz (DRI). Global basieren 36 Prozent der neu angekündigten Werke auf der DRI-Technik. In diesen Anlagen kann potenziell CO₂-armer Neustahl hergestellt werden, sofern zur Eliminierung der Sauerstoffatome im Eisenerz “grüner” Wasserstoff genutzt wird. Die in Europa gegenwärtig geplanten Neustahl-Anlagen sind laut GEM alle DRI-basiert, doch auch hier sind viele Projekte noch nicht im Bau.
Die mengenmäßig führenden Länder im Stahlbereich, China und Indien, widersetzen sich dem Trend allerdings. China plant den Neubau von kohlebasierten Hochöfen mit einer Kapazität von 128 Millionen Tonnen Eisen pro Jahr (36 Prozent der neuen Hochofen-Projekte weltweit). Dort verlaufen die Projektierung und der Bau neuer Hochöfen jedoch inzwischen langsamer als die Stilllegung älterer Hochöfen.
Indien hingegen plant einen massiven Ausbau: Neue Hochofen-Kapazitäten im Umfang von 122 Millionen Tonnen Eisen pro Jahr (34 Prozent globaler Anteil) sind mittels dieser emissionsintensiven Technologie geplant. Laut GEM drohen Lock-in-Effekte: Die Investitionen in neue Hochöfen könnten eine Dekarbonisierung der Eisen- und Stahlindustrie politisch und wirtschaftlich erschweren. av
Unter welchen Bedingungen dürfen Mitgliedstaaten die Luftfahrt finanziell unterstützen? Das regeln aktuell die Leitlinien für staatliche Beihilfen für Flughäfen und Luftverkehrsgesellschaften. Die EU-Kommission will diese Vorgaben nun überarbeiten, wie sie am gestrigen Dienstag mitteilte. Es gehe unter anderem darum, die mittlerweile zehn Jahre alten Leitlinien an die Ziele des Green Deal anzupassen, hieß es in einem Sondierungsaufruf der Kommission.
Ein politisch heikler Teil betrifft die öffentliche Unterstützung regionaler Flughäfen. Ursprünglich hätte diese Unterstützung 2024 auslaufen sollen, doch in der Pandemie wurde die Frist um drei weitere Jahre bis 2027 verlängert. Die Kommission vermutet, dass einige Regionalflughäfen wohl auch nach dieser Frist unprofitabel bleiben werden. “Es stellt sich die Frage, ob eine längerfristige Lösung nötig ist, und wenn ja, welche”, schreibt die Brüsseler Behörde.
Sechs Wochen lang, bis spätestens 8. Oktober, nimmt die Kommission Anmerkungen entgegen. Anschließend wird noch eine öffentliche Konsultation stattfinden. Erst danach wird die Kommission eine Anpassung der Leitlinien vorschlagen. jaa
In Frankreich lehnen Sozialisten und Grüne weitere Gespräche mit Präsident Emmanuel Macron über eine Regierungsbildung ab und rufen ihre Anhänger stattdessen zu Massenprotesten auf. Sie reagierten damit auf die Absage Macrons an eine geplante Minderheitsregierung des Linksbündnisses. Macron hatte gesagt, eine solche Regierung würde schnell wieder durch ein Misstrauensvotum im Parlament gestürzt. Er als Präsident werde daher nicht den Weg für einen Ministerpräsidenten der Linken ebnen. Frankreich brauche eine stabile Regierung. Er wollte noch am Dienstag weitere Gespräche mit den Parteispitzen führen.
Nach der Wahl vor rund sieben Wochen gestaltet sich die Bildung einer Regierung schwierig. Macrons Bündnis verlor dort seine Mehrheit. Am stärksten schnitt das Linksbündnis Nouveau Front Populaire (NFP) ab, Macrons Block und die Rechtsextremen um Marine Le Pen folgten knapp dahinter. Eine Koalition unter ihnen kam jedoch bislang nicht zustande.
“Diese Wahl wird uns gestohlen”, klagte die Chefin der Grünen, Marine Tondelier, im lokalen Radio nach Macrons Absage. “Wir werden keine weiteren Gespräche mit einem Präsidenten führen, der sowieso nicht zuhört… und davon besessen ist, die Kontrolle zu behalten.” Olivier Faure, Chef der Sozialisten, sagte im Fernsehsender France 2, er werde sich nicht mehr an einer “Parodie der Demokratie” beteiligen. La France Insoumise, eine weit links stehende Gruppe im Bündnis NFP, rief die Anhänger für den 7. September zu Demonstrationen auf.
Die französische Verfassung gibt dem Staatsoberhaupt die Freiheit, für das Amt des Ministerpräsidenten zu ernennen, wen er möchte. Jedoch muss diese Person in der Lage sein, Misstrauensvoten der Opposition im Parlament zu überstehen. Die neue Regierung wird unabhängig von ihrer Zusammensetzung vor schwierigen Aufgaben stehen, allen voran die Aufstellung eines Haushalts für 2025. Wegen einer hohen Neuverschuldung steht Frankreich unter Druck der Europäischen Kommission und der Anleihemärkte. rtr
Vielleicht geht Ihnen das auch manchmal so: Sie wollen einfach nur kurz schauen, was es Neues auf Instagram, Facebook oder X gibt – und schon verlieren Sie sich in dem endlosen Angebot. Sie betrachten fasziniert ein die Straße überquerendes Faultier, dann ein furchterregendes Tiefseemonster und gelangen weiter zu niedlichen Katzenfotos.
Oder sie verfolgen politische Diskussionen vom Hölzchen bis zum Stöckchen – und erliegen dem “Rabbit-Hole-Effekt“, wie es die Europäische Kommission nennt. Social-Media-Plattformen sind so designt, dass Nutzer sich darin verlieren wie in einem Kaninchenbau – und süchtig werden, etwa so wie beim Zucker.
Weltweit beträgt die durchschnittliche Nutzung von Social Media erstaunliche zweieinhalb Stunden pro Tag. Das Centrum für Europäische Politik (cep) hat die Folgen untersucht und dafür insgesamt rund 40 internationale Studien in einer Meta-Analyse ausgewertet. Ergebnis: Social-Media-Plattformen machen tatsächlich süchtig. Die gute Nachricht aber ist: Die psychischen Schäden seien gering, sagt das cep. Ein bisschen Zucker im Kaffee – oder ein paar Minuten auf Instagram – schadeten nicht. Doch wenn aus einem Stück Kuchen ganze Torten werden, spürt man die Folgen.
Zucker lässt den Blutzuckerspiegel in die Höhe schnellen, nur um ihn dann ins Bodenlose sinken zu lassen. Ähnlich verhält es sich mit sozialen Medien: Sie können kurzfristig glücklich machen, aber die langfristigen Auswirkungen können ziemlich bitter sein. Die Studie offenbart: Viele Nutzer fühlen sich nach exzessivem Konsum sozialer Medien ausgelaugt, ähnlich wie nach einem Zuckerschock.
Das Traurige daran ist, dass etwa ein Drittel der Nutzer weniger Zeit in sozialen Medien verbringen will, es aber nicht schafft. Die Studie schlägt vor, dass wir ein bisschen mehr “digitale Diät” halten sollten. Wie bei einer gesunden Ernährung könnte dies durch klare Warnhinweise und das Reduzieren verlockender Elemente auf Plattformen erreicht werden. Vielleicht sollte der digitale “Zuckergehalt” von sozialen Medien besser reguliert werden, um den Nutzern zu helfen, nicht in eine süße, aber schädliche Abhängigkeit zu geraten.
Mit Blick auf eine mögliche Anpassung der EU-Regulierung schlägt cep-Digitalexperte Matthias Kullas vor, dass bestimmte Gestaltungselemente eingeschränkt werden. Dazu zählten etwa Push-Benachrichtigungen sowie die Möglichkeit, zeitlich unbegrenzt scrollen oder streamen zu können. Auch ein Verbot suchterzeugender Algorithmen sei möglich.
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat bereits angekündigt, dass die Kommission in diesem Mandat gegen das süchtig machende Design bei Social-Media-Plattformen vorgehen will. Erste Schritte hat sie bereits unternommen, und zwar gegen Meta und Tiktok. Das wird unser Leben wohl nicht weniger süß machen – niedliche Tiere gibt es nämlich auch abseits der sozialen Medien. Corinna Visser