Table.Briefing: Europe

Kampf um niedrigere Energiepreise + Fraktionsbildung im EP

Liebe Leserin, lieber Leser,

die EU-Kommission wird heute die Verordnung veröffentlichen, in der sie die Einfuhrzölle für die einzelnen E-Autobauer beziffert. Es werde keine Überraschungen geben, heißt es in Brüssel, sprich: Die Zollsätze werden weitgehend dem entsprechen, was die Kommission den Herstellern am 12. Juni angekündigt hatte.

Für die Bundesregierung ist das eine vorhersehbare Enttäuschung. Im Namen offener Märkte hatte sie sich noch für eine Gesprächslösung eingesetzt. Damit wollte sie vor allem Handelsrisiken für die deutsche Industrie verringern.

Wirtschaftsminister Robert Habeck hatte in Peking mit großer Befriedigung reagiert, als China noch während seines Besuchs Verhandlungen mit Brüssel über die Zölle aufgenommen hatte. Damit war zumindest die Tür für eine einvernehmliche Lösung geöffnet. Doch die Gespräche zwischen Peking und Brüssel haben bislang kaum Bewegung gebracht. Peking hält seine Subventionen keineswegs für unfair, sondern für legitime Förderung einer entstehenden Industrie – und verweist umgekehrt auf hohe Subventionen in der EU für mehrere Branchen.

Die chinesische Seite fällt stattdessen in das übliche Muster zurück, die EU zu spalten, statt in der Sache zu argumentieren. Denn die Mitgliedstaaten entscheiden erst im November über die endgültige Höhe der Abgaben. Firmen, die E-Autos aus China importieren, müssen sie dementsprechend erst ab November abführen. Bis dahin gehen die Zahlungen noch auf Treuhandkonten. 

Ihr
Till Hoppe
Bild von Till  Hoppe

Analyse

Wie die Industrie für niedrigere Energiepreise kämpft

Die Strompreise in der EU werden laut einer neuen Studie im Auftrag des Industrieverbands Business Europe auch bei einem Erfolg der Energiewende noch deutlich höher bleiben als in anderen großen Volkswirtschaften. Ein schneller Ausbau CO₂-armer Energien an den günstigsten Standorten könne Strom in der EU zwar um 40 Prozent günstiger machen.

“Unsere neue Studie zeigt aber, dass die Energiepreise in Europa bis 2050 selbst im Falle einer forcierten EU-Energiepolitik um mindestens 50 Prozent höher sein werden als in den USA, China und Indien“, sagt der Generaldirektor von Business Europe, Markus J. Beyrer. Die niedrigsten Stromgestehungskosten erwartet die Studie für Indien.

Carbon-Leakage-Regulierung um Energiekosten erweitern

Das heute erscheinende Papier lag Table.Briefings vorab vor. Es lässt sich als Versuch lesen, der Debatte um einen staatlich subventionierten Industriestrompreis einen neuen Spin zu geben. Business Europe setzt auf der allgemein anerkannten Carbon-Leakage-Definition aus dem Emissionshandel auf und möchte den Begriff von den CO2– auf die Energiesystemkosten erweitern.

Zum einen fordert der Verband Änderungen am Grenzausgleichsmechanismus CBAM und eine längere Kompensation von CO₂-Kosten – insbesondere für die Stahl- und Düngemittelproduktion. Die Sektoren, die von Verlagerungen wegen hoher Energiepreise betroffen sind, könnten nach Angaben des Verbandes aber andere sein als jene, denen Abwanderung wegen hoher CO₂-Kosten droht.

Entlastung wegen Infrastruktur-Ausbau

Die EU müsse daher einen breiteren Begriff von Carbon Leakage verfolgen und auch Kostenbelastungen für Energie und Infrastruktur einbeziehen, fordert Business Europe. Als Antworten setzt der Verband vorzugsweise auf höhere EU-Förderung mit den Auktionen der Wasserstoffbank als Modell. Weitere Maßnahmen sollen den Mitgliedstaaten überlassen bleiben – beispielsweise Erleichterungen bei den Netzentgelten für stromkostenintensive Unternehmen, wie es sie in Deutschland schon lange gibt.

“Dies wird in den kommenden Jahren immer wichtiger werden, da die Investitionen in die Energie-Infrastrukturen zunehmen”, schreibt Business Europe. Auch das Kanzleramt hat die steigenden Netzentgelte als eins der wichtigsten wirtschaftspolitischen Themen für die nächsten Jahre identifiziert. Allein Deutschland habe Investitionen in die Netze in Höhe von 500 Milliarden Euro vor sich, sagte Tennet-COO Tim Meyerjürgens kürzlich im Interview mit Table.Briefings. Bezahlt werden Ermäßigungen für bestimmte Unternehmen allerdings von nicht begünstigten Betrieben und Haushaltskunden.

Strombinnenmarkt und Elektrifizierung senken Energiepreise

Die Studie zeigt auch die Kosten einer stockenden Energiewende auf. In einem verlangsamten Szenario pendeln sich die Strompreise langfristig bei 110 Euro pro Megawattstunde ein, auf dem ehrgeizigeren Pfad bei 65 Euro/MWh. Voraussetzungen sind:

  • mehr Übertragungskapazitäten zwischen den Mitgliedstaaten und ein gemeinsamer Strombinnenmarkt – entgegen aktueller Drohungen von Jordan Bardella vom Rassemblement National
  • Steigerung der Elektrifizierungsquote von heute 21 auf 56 Prozent und eine geringere Rolle von Wasserstoff
  • starker Ausbau der erneuerbaren Energien, vor allem an günstigen Standorten auf der iberischen Halbinsel und in Skandinavien
  • eine Vervielfachung von Flexibilitäten, um Flauten der Erneuerbaren auszugleichen. Für die kostengünstigste Option sollten die Kapazitäten von Batterien fünfmal so stark steigen wie die von Gas- bzw. Wasserstoff-Kraftwerken
  • ähnlich hohe Kapazitäten an Kernkraftwerken (99 GW) wie heute, was zwar die Strompreise stabilisiert, allerdings immense Subventionen wegen eines überalterten Kraftwerksparks erfordert

Aus Kostengründen macht sich Business Europe für eine stärkere Nutzung von kohlenstoffarmem – also im Wesentlichen blauem – Wasserstoff stark. Der aus Erdgas mit Kohlenstoffabscheidung (CCS) gewonnene Energieträger könnte laut PIK noch über 2040 hinaus günstiger sein als der durch Elektrolyse mit Ökostrom hergestellte grüne Wasserstoff.

Mehr blauer Wasserstoff und Novelle des Umweltplanungsrechts

Der Verband will deshalb eine “gezielte Evaluierung” der Industriequote für grünen Wasserstoff in der Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED). Die Gutachter empfehlen eine Novelle der RED, damit im Zähler der Quote nicht nur RFNBO, sondern auch kohlenstoffarmer Wasserstoff als Erfüllungsoption anerkannt wird.

In seinen Empfehlungen wendet sich Business Europe aber eher gegen ein “Aufblähen des Nenners”, der gegenwärtig alle Formen von Wasserstoff umfasse einschließlich kohlenstoffarmem Wasserstoff. Die zweitbeste Option aus Industriesicht wäre es also offenbar, blauen H2 nicht in den Zähler einzubeziehen, sondern aus dem Nenner herauszurechnen. Beides würde die absolute notwendige Menge für grünen Wasserstoff in der Industrie senken.

Was Naturschutzverbände außerdem nicht freuen dürfte: Trotz der jüngsten Beschleunigung von Genehmigungsverfahren fordert Business Europe weitere Eingriffe in das Umweltplanungsrecht, um den Umbau von Industrieanlagen für die Dekarbonisierung zu vereinfachen. Der Verband will eine entsprechende Novelle der Richtlinie für Strategische Umweltprüfungen (SUP) und eine zeitliche Begrenzung für Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP).

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Termine

05.07.-06.07.2024, Tutzing
D21, Seminar Demokratie im digitalen Zeitalter: Das Superwahljahr 2024
Die Initiative D21 geht der Frage nach, wie die Digitalisierung die Zukunft der Wahlen und damit unserer Demokratie prägt. INFOS & ANMELDUNG

08.07.2024 – 09:00-18:00 Uhr, Fiesole (Italien)
EUI, Conference 3rd Florence Rail Regulation Conference
The Florence School of Regulation (FSR) evaluates existing policies and analyses new proposals to accelerate the growth of the Railways Industry. INFOS & REGISTRATION

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News

Keine neue Fraktion um das BSW

Die Bildung einer neuen Fraktion im Europaparlament um das Bündnis Sahra Wagenknecht ist gescheitert. Dies räumte BSW-Spitzenkandidat Fabio De Masi am Mittwoch ein. Man sei einer neuen Fraktion zwischenzeitlich sehr nahe gekommen, habe aber nicht ausreichend Mitstreiter gefunden. Nun wolle man auch ohne Fraktion eng mit anderen Kritikern der Kommission unter Ursula von der Leyen zusammenarbeiten. “Von uns wird von der Leyen keine Stimme erhalten”, sagte De Masi. Ohne Fraktion werden die sechs BSW-Abgeordneten keinen Anspruch auf Ausschussvorsitze geltend machen können.

Das BSW hatte sich gemeinsam mit der italienischen Fünf-Sterne-Bewegung um eine neue Fraktion bemüht. Doch nun verhandelt die Bewegung mit der Linken-Fraktionsführung über ihren Beitritt. Für den heutigen Donnerstag ist ein Treffen geplant; die Entscheidung soll bis zum Abend fallen. Die Fünf-Sterne-Bewegung hat acht Abgeordnete im Europaparlament.

Martin Schirdewan bleibt Co-Fraktionschef der Linken

Die Fraktion der Linken wird voraussichtlich wieder von zwei Co-Vorsitzenden geleitet: Die bisherige Co-Vorsitzende Manon Aubry aus Frankreich soll das Amt in der gesamten Wahlperiode ausüben, wie im erweiterten Fraktionsvorstand beschlossen wurde. Ihr bisheriger Co-Vorsitzender Martin Schirdewan soll demnach sein Amt in der ersten Hälfte der Wahlperiode ausüben und nach zweieinhalb Jahren an Kostas Arvanitis von Syriza aus Griechenland abgeben. Die Linke-Fraktion hat 39 Mitglieder. Die Delegation der drei deutschen Abgeordneten wird geleitet von Özlem Alev Demirel.

Die Fraktionen sollen sich bis zum heutigen Donnerstag finden. Doch dabei handelt es sich um keine harte Frist: Wechsel sind im Grunde noch bis zur konstituierenden Sitzung am 16. Juli möglich. Um eine Fraktion im Europaparlament zu bilden, sind 23 Abgeordnete aus sieben Staaten erforderlich.

Rechtsaußen sortiert sich noch

Bei den Mitte-Fraktionen sind keine größeren Wechsel mehr abzusehen. Die liberale Renew-Fraktion wird noch zwei Abgeordnete aus Irland aufnehmen, zudem gibt es Gespräche mit einem Abgeordneten aus Zypern. Auch den Grünen werden sich womöglich noch einzelne fraktionslose Abgeordnete anschließen. Ob es dazu kommt, war bis Mittwochabend aber offen.

Die konservative EKR-Fraktion hat sich am Mittwoch konstituiert. Co-Fraktionschefs sind Nicola Procaccini von den Fratelli D’Italia sowie Joachim Brudziński von der polnischen PiS. Die Fratelli stellen mit 24 Abgeordneten die stärkste Delegation in der Fraktion. Die PiS bildet die zweitstärkste Delegation mit 20 Abgeordneten. Nun ist klar, dass die PiS in der Fraktion bleibt. Zuvor war darüber spekuliert worden, ob die PiS zusammen mit dem ungarischen Fidesz eine Fraktion bildet. Die EKR-Fraktion hat nunmehr 84 Mitglieder und ist damit die drittstärkste Fraktion. Zuletzt war Jaak Madison aus Estland der EKR beigetreten.

Orbán verhandelt mit Le Pen

Die meiste Bewegung gibt es noch in den nationalkonservativen und ganz rechten Lagern. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán will mit den “Patrioten für Europa” eine neue Fraktion gründen, denen sich neben der FPÖ und der Ano des tschechischen Milliardärs Andrej Babiš weitere Delegationen anschließen dürften. Absehbar ist der Beitritt der portugiesischen Chega-Abgeordneten sowie der Parlamentarier der Lega von Matteo Salvini.

Intensive Gespräche gibt es zudem zwischen Orbán und der Führung des Rassemblement National, Marine Le Pen und Jordan Bardella. Ob es zu einer Zusammenarbeit kommt, dürfte sich aber erst nach dem zweiten Wahlgang der französischen Parlamentswahl am Sonntag klären. Die ID-Fraktion, der das RN bislang angehört, hat ihre konstituierende Sitzung auf nächste Woche verschoben.

Die AfD wird hingegen definitiv nicht Teil der neuen Fraktion sein, wie Parteichefin Alice Weidel am Dienstag bestätigte. Orbán sind die deutschen Rechten zu radikal, er befürchtet zudem zusätzliche Konflikte mit der Bundesregierung. mgr, tho, luk, sas

  • BSW
  • Die Linke
  • EKR
  • Europaparlament
  • Grüne/EFA
  • Renew

S&D: Das sind die Forderungen für die kommenden fünf Jahre

Die Sozialdemokraten im Europaparlament erwägen die Forderung nach einer EU-weit harmonisierten Steuer auf Aktienrückkäufe von Unternehmen. Dieser Punkt findet sich in einem elfseitigen Entwurf der Kernforderungen der S&D-Fraktion für die nächste Legislatur vom Mittwoch, der Table.Briefings vorliegt. Bei ihrer Fraktionssitzung konnten sich die Sozialdemokraten dem Vernehmen nach noch nicht auf eine endgültige Fassung einigen, die Delegationschefs könnten sich aber zeitnah verständigen.

In der Steuerpolitik fordert der Entwurf außerdem eine effektive Mindestbesteuerung von Kapitalerträgen auf EU-Ebene, einen Rahmen für die systematische Besteuerung von Zufallsgewinnen und eine breit angelegte Finanztransaktionssteuer, die hoch genug angesetzt ist, um Spekulationen zu verhindern und spürbare Einnahmen zu erzielen.

Aktionsprogramm für sozialen Fortschritt und hochwertige Arbeit

Der erste Abschnitt des Dokuments ist allerdings einem Aktionsprogramm für sozialen Fortschritt und hochwertige Arbeit gewidmet. Unter dem Dach des Aktionsprogramms werden eine Reihe von Maßnahmen subsumiert – etwa, wie erwartet, eine neue Richtlinie zum Einsatz von künstlicher Intelligenz am Arbeitsplatz oder die Überarbeitung der Richtlinie zur öffentlichen Beschaffung. In der Beschaffungsrichtlinie sollen nach dem Willen der S&D soziale und ökologische Kriterien eine stärkere Rolle spielen – etwa die Tarifbindung.

Wie sich bereits abzeichnete, gehört auch bezahlbares Wohnen zum vorläufigen Forderungskatalog. Dort hat die EU zwar keine genuinen Kompetenzen, kann aber etwa über eine erleichterte Finanzierung durch die Europäische Investitionsbank (EIB) und weniger restriktive Auflagen für die staatliche Förderung Einfluss ausüben. Insgesamt solle ein “ständiger und zusätzlicher Fluss von Wohnungsbauinvestitionen in Höhe von mindestens 50 Milliarden Euro pro Jahr” durch die Maßnahmen gewährleistet werden.

Ebenfalls unter den Kernforderungen: eine europäische Anti-Armuts-Strategie. Dort wollen die Sozialisten und Sozialdemokraten in erster Linie eine Richtlinie zu Mindesteinkommen – gemeint ist kein Grundeinkommen, sondern eine Regelung zu Mindestabsicherungsniveaus im Falle von Erwerbslosigkeit, Krankheit oder Rente. Zuletzt hatte sich die EU auf dem Feld Soziales mit der Mindestlohndirektive vorgewagt.

Phase-out für fossile Subventionen

Im zweiten Kapitel zum Green Deal sprechen sich die Sozialdemokraten für ein Festhalten an den CO2-Standards für Autos aus sowie für ein Klimaziel von 90 bis 95 Prozent Treibhausgasminderung bis 2040. Transmissionsriemen für die ans Klimagesetz anschließende Energiegesetzgebung soll eine Novelle der Energiesicherheitsverordnung von 2014 werden.

Unter dem neuen Leitbegriff Energiesicherheit sollen dann die neuen energiepolitischen Ziele durchdekliniert werden: S&D will unter anderem eine europäische Fazilität für Energienetze und Speicher und einen verpflichtenden Phase-out aller Subventionen für fossile Energien – kombiniert mit einer stärkeren sozialen Flankierung wie einer Richtlinie mit berufsspezifischen Plänen für den Wandel der Arbeitswelt. ber/lei

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Initiativberichte: Parlamentsverwaltung schlägt Obergrenzen vor 

In der ersten Hälfte der Wahlperiode sollen Ausschüsse im Europaparlament bis zu sechs Initiativberichte gleichzeitig in Arbeit haben können. Ein Unterausschuss soll in den ersten zweieinhalb Jahren zusätzlich noch drei Initiativberichte gleichzeitig erarbeiten können. Diese Regelung schlägt die Parlamentsverwaltung vor. Der Vorschlag liegt Table.Briefings vor.

Sie setzt damit eine Forderung um, die die Reformkommission Parlament 2024 unter Roberta Metsola aufgestellt hat. In der zweiten Hälfte der Wahlperiode soll jeder Ausschuss drei Initiativberichte in Arbeit haben können – Unterausschüsse zusätzlich zwei. Die Abstimmung über einen Initiativbericht des Ausschusses soll frühestens drei Monate nach der Genehmigung des Initiativberichts erfolgen. Die Entscheidung, ob ein Ausschuss einen Initiativbericht erarbeiten kann, fällt die Konferenz der Präsidenten. mgr

  • Europaparlament

Reisen von Ausschüssen: Diese Regeln schlägt die Parlamentsverwaltung vor

Höchstens zweimal im Jahr soll ein Ausschuss, Unterausschuss oder eine Delegation im Europaparlament künftig in das gleiche Nicht-EU-Land reisen dürfen. Die Verwaltung des Europaparlaments hatte noch eine Reise pro Land außerhalb der EU und Ausschuss in ihrem Vorschlag für die neuen Durchführungsbestimmungen zu Dienstreisen vorgesehen, der Table.Briefings vorliegt.

Inzwischen zeichnet sich aber eine Obergrenze von zwei Reisen je Ausschuss und Reiseziel im Jahr ab. Ausgenommen von der Regel sollen Reisen zu internationalen Konferenzen und internationalen Organisationen sein. Auch Reisen in Beitrittskandidatenländer zählen nicht dazu.

Die neuen Durchführungsbestimmungen sollen von der Konferenz der Fraktionschefs bei der Sitzung am 11. Juli beschlossen werden. Sie waren von der Parlamentsverwaltung formuliert worden nach Vorgaben der Reformkommission namens “Parlament 2024” unter Roberta Metsola. Zuvor waren bereits die Vorschläge für die neuen Regeln für Triloge bekannt geworden.

Ausschussreisen sechs Monate vorher beantragen

Dienstreisen von Ausschüssen müssen sechs Monate im Voraus bei der Konferenz der Präsidenten beantragt werden. Wenn zwei Ausschüsse oder Delegationen in das gleiche Land reisen wollen, sollen diese gemeinsam auf Mission gehen. Diese Regel soll nicht gelten für den Handelsausschuss (INT). Es soll sichergestellt sein, dass der Handelsausschuss Reisen in kleiner Besetzung zu spezifischen Handelsfragen unternehmen kann.

Ad-hoc-Reisen, die nicht sechs Monate vorher genehmigt werden müssen, sind möglich, etwa bei besonderen unvorhergesehenen Ereignissen oder in Form von Erkundungsreisen von Berichterstattern.

Es soll je nach der Ausschussgröße Obergrenzen für die jährliche Teilnehmerzahl bei Reisen geben:

  • 60 Prozent der Mitglieder eines Ausschusses bei Ausschüssen mit weniger als 30 Mitgliedern
  • 55 Prozent der Mitglieder bei Ausschüssen mit 30 bis 50 Mitgliedern
  • 50 Prozent der Mitglieder bei Ausschüssen mit mehr als 50 Mitgliedern

Die Fraktionen sollen nach dem D’Hondt-System bei der Benennung der Teilnehmer zum Zuge kommen. Maximal zwölf Teilnehmer sollen mitreisen dürfen. Die zeitliche Obergrenze von Dienstreisen liegt bei drei Tagen – innerhalb der EU einschließlich An- und Anfahrt, außerhalb der EU kommen An- und Abfahrt zu den drei Tagen hinzu. mgr

  • Europaparlament
  • Roberta Metsola

Nato gelingt keine Einigung auf mehrjährige Ukraine-Hilfe

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg ist mit dem Vorhaben gescheitert, die Bündnisstaaten zu mehrjährigen Zusagen für Militärhilfen für die Ukraine zu bewegen. Die 32 Alliierten konnten sich im Vorfeld eines Gipfeltreffens in Washington lediglich darauf verständigen, innerhalb des nächsten Jahres Unterstützung im Umfang von mindestens 40 Milliarden Euro zu leisten, wie die Deutsche Presse-Agentur aus mehreren Delegationen erfuhr. 

Eine konkrete Vereinbarung zur Frage, wer wie viel beisteuert, konnte den Angaben zufolge ebenfalls nicht getroffen werden. Die Nato-Staaten halten demnach nur vage fest, dass das Bruttoinlandsprodukt eine Rolle spielen sollte.

Signal an Russlands Machthaber Putin

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hatte die Alliierten ursprünglich dazu aufgefordert, der Ukraine längerfristig Militärhilfen im Wert von jährlich mindestens 40 Milliarden Euro zu garantieren. Es gehe dabei auch darum, dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zu zeigen, dass er seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine nicht gewinnen werde, sagte er Ende Mai bei einem Treffen mit den Außenministern der 32 Nato-Staaten in Prag. Der Betrag von 40 Milliarden Euro würde in etwa der bisherigen jährlichen Unterstützung der Alliierten seit dem Beginn der russischen Invasion entsprechen.

Zur Frage, wie eine faire Lastenteilung gewährleistet werden könnte, sagte Stoltenberg damals, eine Option sei es, den Beitrag der einzelnen Mitgliedstaaten auf Grundlage von deren Bruttoinlandsprodukt zu berechnen. Demnach müssten die USA, Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Italien den mit Abstand größten Teil der jährlich 40 Milliarden Euro zahlen.

Stoltenbergs Wunsch war es gewesen, dass sich die 32 Nato-Staaten bis zum Gipfeltreffen in Washington in der nächsten Woche auf eine gemeinsame Position einigen. Eine Verständigung auf eine sehr ambitionierte Zusage hatte aber schon von Anfang an als unwahrscheinlich gegolten – unter anderem, weil Länder wie Frankreich und Italien bislang nur einen vergleichsweise geringen Anteil ihres Bruttoinlandsprodukts für die militärische Unterstützung der Ukraine ausgeben. dpa

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Experten: So gelingt der Markt-Hochlauf für nachhaltiges Kerosin

Um den Hochlauf von nachhaltigem Flugkerosin (Sustainable Aviation Fuel, SAF) zu beschleunigen, sollten die EU-Gesetzgeber die Herstellungs- und Lieferketten des Öko-Kraftstoffs neu organisieren. Das fordert das PtX-Lab Lausitz, ein Praxislabor für Kraftstoffe aus grünem Wasserstoff. Zwar gebe es mit Refuel-EU Aviation bereits ein Gesetz, das zum Angebot von SAF an EU-Flughäfen verpflichtet und so auch die Nachfrage erhöhen soll. Doch es fehle noch an Flexibilität für Airlines und Kraftstoffhersteller, CO₂-Einsparungen durch Herstellung und Verwendung von SAF zu beanspruchen.

Die Autoren des PtX Lab Lausitz fordern, ein sogenanntes “Book and Claim”-System (B&C) weitläufig einzuführen. Dabei kann eine Airline SAF bei einem Hersteller, wie zum Beispiel der neuen Anlage in Werlte, in Auftrag geben, muss sie aber nicht selbst verwenden, um den Eintrag für den Klimaschutz für sich zu beanspruchen. Die SAF werden anschließend in den Flughäfen bereitgestellt und dem fossilen Kerosin beigemischt. Wer den nachhaltigen Kraftstoff letztendlich verwendet, ist unerheblich. Der tatsächliche Verwender hat dementsprechend auch kein Anrecht, die CO₂-Einsparungen für sich zu beanspruchen.

Verknüpfung zum EU-ETS fehlt

Zwar enthalte Refuel-EU Aviation bereits B&C-Ansätze, die es Anbietern erlauben, die gesetzlich festgelegten SAF-Quoten zu erfüllen, indem der SAF-Anteil an der Gesamtmenge an Flugkraftstofflieferungen berücksichtigt wird. Allerdings fehlte noch die Verknüpfung dieses B&C-Prinzips mit dem europäischen Emissionshandel (ETS). Dafür müssten Airlines in der Lage sein, CO₂-Einsparungen durch SAF-Verwendung im ETS zu verbuchen, ohne dieses tanken zu müssen. Bisher sind Airlines nur bei der Verwendung von SAF von der Abgabe von Emissionszertifikaten im ETS befreit.

Darüber hinaus fordern die Autoren strenge Nachhaltigkeitskriterien für SAF, beispielsweise gemäß der EU-Erneuerbaren-Energien-Richtlinie (RED). Die Erfüllung der Kriterien sollte auch monetarisierbar sein, ohne dass weniger nachhaltige Kraftstoffe vollständig außen vor gelassen werden. So spricht sich das PtX-Lab Lausitz dafür aus, Anbietern, die beispielsweise nur eine 80-prozentige CO₂-Reduktion gegenüber fossilem Kerosin ermöglichen können, dennoch den Marktzugang zu gewähren. Jedoch würde dieser Anbieter nur 80 Prozent seiner Lieferung als SAF deklarieren können. luk

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Lufthansa: Das sind die Bedingungen der Kommission für die ITA-Übernahme

Die Lufthansa darf mit Zustimmung der EU-Kommission die italienische staatliche Fluglinie ITA Airways übernehmen und damit auf einem ihrer wichtigsten Märkte wachsen. Die EU-Wettbewerbsaufsicht gab am Mittwoch nach langen Verhandlungen grünes Licht für den Einstieg der Lufthansa bei der Alitalia-Nachfolgerin mit zunächst 41 Prozent. Der Airline gehe es derzeit zwar gut, doch ihr dauerhaftes Bestehen als eigenständige Fluglinie sei “höchst ungewiss”, hieß es von der Kommission. 

Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager betonte, es galt zu verhindern, dass in Zeiten steigender Ticketpreise die Passagiere am Ende mehr bezahlten oder weniger Angebot hätten. Von der Lufthansa und der Regierung in Rom angebotene Auflagen stellten den Wettbewerb auf allen relevanten Strecken sicher.

Die Lufthansa hatte mit der italienischen Regierung im Mai 2023 den Kauf der zunächst 41 Prozent an ITA für 325 Millionen Euro vereinbart. Zudem wurden Optionen für eine vollständige Übernahme später, frühestens ab 2025, festgelegt.

Lufthansa und ITA müssen Start- und Landerechte abgeben

Der Entscheidung der EU-Wettbewerbsbehörde war ein langes Tauziehen zwischen den Fachleuten der Kommission und der italienischen Regierung sowie der Lufthansa vorausgegangen. EU-Kommissarin Vestager hatte große Bedenken, der Zusammenschluss könnte für die Verbraucher von Nachteil sein wegen zu großer Marktmacht auf bestimmten Strecken in Europa und auf Langstreckenflügen nach Nordamerika.

Das soll jetzt durch Auflagen für Lufthansa und ITA vermieden werden – unter anderem durch die Abgabe von Start- und Landerechten am Flughafen Mailand für Direktflüge in Europa. Lufthansa und die italienische Regierung verpflichteten sich, ein oder zwei Konkurrenten die Mittel für ein Angebot von Direktflügen ab Mailand oder Rom zur Verfügung zu stellen. Auch für Transatlantikflüge müssen Lufthansa und ITA mit Rivalen kooperieren und Zubringerflüge zu Drehkreuzen von Wettbewerbern aufnehmen, damit diese Alternativen anbieten können.

ITA kann erst zur Lufthansa-Gruppe stoßen, wenn die EU-Kommission die Abnehmer von Slots und Routen oder die Kooperationspartner genehmigt hat. Für Europaflüge sind das die Billigflieger Easyjet aus Großbritannien und Volotea aus Spanien. Ein unabhängiger Aufseher soll die Umsetzung der Auflagen überwachen. Die EU will so verhindern, dass wie in früheren Fällen – etwa bei der Übernahme von Brussels Airlines durch die Lufthansa – Slots zwar freigegeben, von Rivalen aber mangels Wirtschaftlichkeit nicht genutzt werden. rtr

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  • Wettbewerb

Regierungsbildung in Sofia gescheitert

In Bulgarien ist nach der Neuwahl vom 9. Juni die Bildung einer prowestlichen Regierung gescheitert. Der vom Wahlsieger Gerb-SDS nominierte Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten, Rossen Scheljaskow, verfehlte bei einer Abstimmung im Parlament deutlich eine Mehrheit. 

Damit kam es nicht zu zwei weiteren Abstimmungen, nämlich über die Struktur und über die Zusammensetzung eines Minderheitskabinetts. Dieses sollte nach den Worten von Gerb-Chef Bojko Borissow Bulgarien auf die Einführung des Euro vorbereiten und den proukrainischen Kurs des EU- und Nato-Mitgliedstaates fortsetzen.

Es droht die siebte Parlamentswahl seit 2021

Staatschef Rumen Radew wird nun die zweitstärkste Fraktion der liberalen Bewegung für Rechte und Freiheiten mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragen.

Die bulgarische Verfassung sieht vor, dass insgesamt drei Regierungsaufträge vergeben werden können. Sollten alle drei scheitern, muss es eine weitere Parlamentswahl geben. Es wäre dann die siebte seit April 2021. Bis eine reguläre Regierung in Sofia steht, führt ein Übergangskabinett die Regierungsgeschäfte. dpa

  • Bulgarien
  • Wahl

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Personalie

Christof-Sebastian Klitz, Leiter der Konzernrepräsentanz von VW in Brüssel, ist nach über 20 Jahren als Cheflobbyist des Konzerns in Rente gegangen. Sebastian Schaffer übernimmt zunächst kommissarisch die Leitung des Büros mit sechs Mitarbeitern.

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Standpunkt

Wahlen in UK: Warum ein Labour-Sieg neue Chancen für die Beziehung zur EU bietet

Von Nicolai von Ondarza
Porträtfoto von Nicolai von Ondarza (SWP) vor grauem Hintergrund.
Nicolai von Ondarza ist Leiter der Forschungsgruppe EU/Europa bei der Stiftung Wissenschaft und Politik.

Zwar prognostizieren Umfragen einen deutlichen Sieg der Labour-Partei unter Keir Starmer. Doch selbst bei einem Regierungswechsel ist keine grundlegende Abkehr vom Brexit zu erwarten. Labour hat eine Rückkehr in den EU-Binnenmarkt oder die Zollunion bereits ausgeschlossen, ebenso wie jede Form der Zusammenarbeit, die eine Rückkehr zur Freizügigkeit oder eine dynamische Anpassung an EU-Regulierung erfordern.

Um potenzielle Wähler nicht zu verschrecken, hat die Partei im Wahlkampf das Thema Brexit fast vollständig ausgeklammert. Allerdings strebt Labour an, mit der EU technische Anpassungen wie ein neues Veterinärabkommen auszuhandeln, insbesondere aber eine neue geopolitische Partnerschaft in Form eines Sicherheitspakts zu schließen.

Kein strukturierter Dialog in der Außen- und Sicherheitspolitik

Die Außen- und Sicherheitspolitik bietet sich als Brücke zur vorsichtigen Wiederannäherung besonders an. Bereits unter der aktuellen konservativen Regierung von Rishi Sunak hat sich das Verhältnis zur EU entspannt. Das Windsor-Abkommen beendete den Streit um Nordirland, und der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine machte die Notwendigkeit einer engeren Abstimmung deutlich. Diese lief jedoch vornehmlich ad-hoc oder über die G7 oder mit den USA ab. Denn einen strukturierten Dialog in der Außen- und Sicherheitspolitik lehnte die bisherige konservative Regierung bisher ab.

Dabei liegt eine verstärkte Kooperation im beiderseitigen Interesse. Für die EU ist Großbritannien mit seinen diplomatischen wie militärischen Ressourcen und mit seiner leistungsfähigen Rüstungsindustrie ein wichtiger Partner – gerade angesichts Russlands Krieg gegen die Ukraine und möglicherweise einer Rückkehr Donald Trumps ins Weiße Haus. Für Labour wiederum wäre es ein Feld der Kooperation, das keine Übernahme von EU-Regulierung aus dem Binnenmarkt erfordert.

EU behandelt UK wie jeden anderen Drittstaat

In den meisten außen- und sicherheitspolitischen Fragen ist dabei kein abrupter Kurswechsel von der Tory- zu einer Labour-Regierung zu erwarten: Beide sehen in der Unterstützung der Ukraine eine Priorität, betonen die Bedeutung der USA als Verbündeten (auch unter Trump) und verfolgen einen vorsichtigen Kurs des De-Risking von China, der weitgehend dem europäischen Mainstream entspricht. Differenzen gibt es vor allem in der Klimapolitik, die Labour stärker in den Fokus rücken will, der Haltung zum Nahostkonflikt und der EU-UK-Beziehungen.

Um das Potenzial der Zusammenarbeit auszuschöpfen, ist auch mehr Flexibilität seitens der EU gefragt. Bisher bestehen die EU-Staaten darauf, das Vereinigte Königreich wie jeden anderen Drittstaat zu behandeln. Dies führt zum “Galileo-Problem”: Trotz oder gerade weil Großbritannien mit seinen Ressourcen in der Außen- und Sicherheitspolitik selbst bei nur informeller Beteiligung eine gewichtige Rolle spielt, bietet die EU ihm nur die sehr restriktiven Regeln für Drittstaaten wie Norwegen an. Dies wiederum ist für London, etwa bei der europäischen Munitionsbeschaffung, selbst unter einer potenziellen Labour-Regierung, nicht akzeptabel.

Ein eigenes Modell der Zusammenarbeit

Die Zusammenarbeit aus solch formellen Gründen zu verhindern, wird der neuen geostrategischen Lage Europas aber nicht gerecht. Vielmehr sollten die EU und das Vereinigte Königreich ein eigenes Modell der Zusammenarbeit entwickeln. Dieses sollte auf dem Prinzip der Partnerschaft, nicht der Re-Integration beruhen. Konkret könnte es drei Elemente umfassen:

  • regelmäßige strategische Konsultationen auf höchster politischer Ebene
  • gemischte Arbeitsgruppen zu spezifischen Themen wie Sanktionen
  • eine begrenzte Teilnahme Großbritanniens an ausgewählten EU-Gipfeln.

Rechtlich könnte eine solche Initiative an das bestehende Handels- und Kooperationsabkommen angedockt werden.

Die Zeit bis zur US-Wahl nutzen

Deutschland sollte bei der Umsetzung eine Schlüsselrolle spielen. Berlin hat ein starkes Eigeninteresse daran, London in die europäische Außen- und Sicherheitspolitik eng einzubinden. Zudem strebt Labour nach dem Vorbild der britisch-französischen “Lancaster-House-Verträge” auch eine Vertiefung der britisch-deutschen Verteidigungskooperation an. Dieses Angebot sollte von Berlin genutzt und von Beginn an in einen breiteren EU-UK-Sicherheitspakt eingebettet werden.

Die kommenden Monate bieten ein wichtiges Zeitfenster: Nach den britischen Wahlen, aber noch vor der heißen Phase des US-Wahlkampfes besteht die Chance, die Weichen für eine vertiefte Zusammenarbeit zu stellen. EU und Großbritannien sollten sie nutzen – zum Wohle der europäischen Sicherheit und des transatlantischen Bündnisses.

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Europe.Table Redaktion

EUROPE.TABLE REDAKTION

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    Liebe Leserin, lieber Leser,

    die EU-Kommission wird heute die Verordnung veröffentlichen, in der sie die Einfuhrzölle für die einzelnen E-Autobauer beziffert. Es werde keine Überraschungen geben, heißt es in Brüssel, sprich: Die Zollsätze werden weitgehend dem entsprechen, was die Kommission den Herstellern am 12. Juni angekündigt hatte.

    Für die Bundesregierung ist das eine vorhersehbare Enttäuschung. Im Namen offener Märkte hatte sie sich noch für eine Gesprächslösung eingesetzt. Damit wollte sie vor allem Handelsrisiken für die deutsche Industrie verringern.

    Wirtschaftsminister Robert Habeck hatte in Peking mit großer Befriedigung reagiert, als China noch während seines Besuchs Verhandlungen mit Brüssel über die Zölle aufgenommen hatte. Damit war zumindest die Tür für eine einvernehmliche Lösung geöffnet. Doch die Gespräche zwischen Peking und Brüssel haben bislang kaum Bewegung gebracht. Peking hält seine Subventionen keineswegs für unfair, sondern für legitime Förderung einer entstehenden Industrie – und verweist umgekehrt auf hohe Subventionen in der EU für mehrere Branchen.

    Die chinesische Seite fällt stattdessen in das übliche Muster zurück, die EU zu spalten, statt in der Sache zu argumentieren. Denn die Mitgliedstaaten entscheiden erst im November über die endgültige Höhe der Abgaben. Firmen, die E-Autos aus China importieren, müssen sie dementsprechend erst ab November abführen. Bis dahin gehen die Zahlungen noch auf Treuhandkonten. 

    Ihr
    Till Hoppe
    Bild von Till  Hoppe

    Analyse

    Wie die Industrie für niedrigere Energiepreise kämpft

    Die Strompreise in der EU werden laut einer neuen Studie im Auftrag des Industrieverbands Business Europe auch bei einem Erfolg der Energiewende noch deutlich höher bleiben als in anderen großen Volkswirtschaften. Ein schneller Ausbau CO₂-armer Energien an den günstigsten Standorten könne Strom in der EU zwar um 40 Prozent günstiger machen.

    “Unsere neue Studie zeigt aber, dass die Energiepreise in Europa bis 2050 selbst im Falle einer forcierten EU-Energiepolitik um mindestens 50 Prozent höher sein werden als in den USA, China und Indien“, sagt der Generaldirektor von Business Europe, Markus J. Beyrer. Die niedrigsten Stromgestehungskosten erwartet die Studie für Indien.

    Carbon-Leakage-Regulierung um Energiekosten erweitern

    Das heute erscheinende Papier lag Table.Briefings vorab vor. Es lässt sich als Versuch lesen, der Debatte um einen staatlich subventionierten Industriestrompreis einen neuen Spin zu geben. Business Europe setzt auf der allgemein anerkannten Carbon-Leakage-Definition aus dem Emissionshandel auf und möchte den Begriff von den CO2– auf die Energiesystemkosten erweitern.

    Zum einen fordert der Verband Änderungen am Grenzausgleichsmechanismus CBAM und eine längere Kompensation von CO₂-Kosten – insbesondere für die Stahl- und Düngemittelproduktion. Die Sektoren, die von Verlagerungen wegen hoher Energiepreise betroffen sind, könnten nach Angaben des Verbandes aber andere sein als jene, denen Abwanderung wegen hoher CO₂-Kosten droht.

    Entlastung wegen Infrastruktur-Ausbau

    Die EU müsse daher einen breiteren Begriff von Carbon Leakage verfolgen und auch Kostenbelastungen für Energie und Infrastruktur einbeziehen, fordert Business Europe. Als Antworten setzt der Verband vorzugsweise auf höhere EU-Förderung mit den Auktionen der Wasserstoffbank als Modell. Weitere Maßnahmen sollen den Mitgliedstaaten überlassen bleiben – beispielsweise Erleichterungen bei den Netzentgelten für stromkostenintensive Unternehmen, wie es sie in Deutschland schon lange gibt.

    “Dies wird in den kommenden Jahren immer wichtiger werden, da die Investitionen in die Energie-Infrastrukturen zunehmen”, schreibt Business Europe. Auch das Kanzleramt hat die steigenden Netzentgelte als eins der wichtigsten wirtschaftspolitischen Themen für die nächsten Jahre identifiziert. Allein Deutschland habe Investitionen in die Netze in Höhe von 500 Milliarden Euro vor sich, sagte Tennet-COO Tim Meyerjürgens kürzlich im Interview mit Table.Briefings. Bezahlt werden Ermäßigungen für bestimmte Unternehmen allerdings von nicht begünstigten Betrieben und Haushaltskunden.

    Strombinnenmarkt und Elektrifizierung senken Energiepreise

    Die Studie zeigt auch die Kosten einer stockenden Energiewende auf. In einem verlangsamten Szenario pendeln sich die Strompreise langfristig bei 110 Euro pro Megawattstunde ein, auf dem ehrgeizigeren Pfad bei 65 Euro/MWh. Voraussetzungen sind:

    • mehr Übertragungskapazitäten zwischen den Mitgliedstaaten und ein gemeinsamer Strombinnenmarkt – entgegen aktueller Drohungen von Jordan Bardella vom Rassemblement National
    • Steigerung der Elektrifizierungsquote von heute 21 auf 56 Prozent und eine geringere Rolle von Wasserstoff
    • starker Ausbau der erneuerbaren Energien, vor allem an günstigen Standorten auf der iberischen Halbinsel und in Skandinavien
    • eine Vervielfachung von Flexibilitäten, um Flauten der Erneuerbaren auszugleichen. Für die kostengünstigste Option sollten die Kapazitäten von Batterien fünfmal so stark steigen wie die von Gas- bzw. Wasserstoff-Kraftwerken
    • ähnlich hohe Kapazitäten an Kernkraftwerken (99 GW) wie heute, was zwar die Strompreise stabilisiert, allerdings immense Subventionen wegen eines überalterten Kraftwerksparks erfordert

    Aus Kostengründen macht sich Business Europe für eine stärkere Nutzung von kohlenstoffarmem – also im Wesentlichen blauem – Wasserstoff stark. Der aus Erdgas mit Kohlenstoffabscheidung (CCS) gewonnene Energieträger könnte laut PIK noch über 2040 hinaus günstiger sein als der durch Elektrolyse mit Ökostrom hergestellte grüne Wasserstoff.

    Mehr blauer Wasserstoff und Novelle des Umweltplanungsrechts

    Der Verband will deshalb eine “gezielte Evaluierung” der Industriequote für grünen Wasserstoff in der Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED). Die Gutachter empfehlen eine Novelle der RED, damit im Zähler der Quote nicht nur RFNBO, sondern auch kohlenstoffarmer Wasserstoff als Erfüllungsoption anerkannt wird.

    In seinen Empfehlungen wendet sich Business Europe aber eher gegen ein “Aufblähen des Nenners”, der gegenwärtig alle Formen von Wasserstoff umfasse einschließlich kohlenstoffarmem Wasserstoff. Die zweitbeste Option aus Industriesicht wäre es also offenbar, blauen H2 nicht in den Zähler einzubeziehen, sondern aus dem Nenner herauszurechnen. Beides würde die absolute notwendige Menge für grünen Wasserstoff in der Industrie senken.

    Was Naturschutzverbände außerdem nicht freuen dürfte: Trotz der jüngsten Beschleunigung von Genehmigungsverfahren fordert Business Europe weitere Eingriffe in das Umweltplanungsrecht, um den Umbau von Industrieanlagen für die Dekarbonisierung zu vereinfachen. Der Verband will eine entsprechende Novelle der Richtlinie für Strategische Umweltprüfungen (SUP) und eine zeitliche Begrenzung für Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP).

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    Termine

    05.07.-06.07.2024, Tutzing
    D21, Seminar Demokratie im digitalen Zeitalter: Das Superwahljahr 2024
    Die Initiative D21 geht der Frage nach, wie die Digitalisierung die Zukunft der Wahlen und damit unserer Demokratie prägt. INFOS & ANMELDUNG

    08.07.2024 – 09:00-18:00 Uhr, Fiesole (Italien)
    EUI, Conference 3rd Florence Rail Regulation Conference
    The Florence School of Regulation (FSR) evaluates existing policies and analyses new proposals to accelerate the growth of the Railways Industry. INFOS & REGISTRATION

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    News

    Keine neue Fraktion um das BSW

    Die Bildung einer neuen Fraktion im Europaparlament um das Bündnis Sahra Wagenknecht ist gescheitert. Dies räumte BSW-Spitzenkandidat Fabio De Masi am Mittwoch ein. Man sei einer neuen Fraktion zwischenzeitlich sehr nahe gekommen, habe aber nicht ausreichend Mitstreiter gefunden. Nun wolle man auch ohne Fraktion eng mit anderen Kritikern der Kommission unter Ursula von der Leyen zusammenarbeiten. “Von uns wird von der Leyen keine Stimme erhalten”, sagte De Masi. Ohne Fraktion werden die sechs BSW-Abgeordneten keinen Anspruch auf Ausschussvorsitze geltend machen können.

    Das BSW hatte sich gemeinsam mit der italienischen Fünf-Sterne-Bewegung um eine neue Fraktion bemüht. Doch nun verhandelt die Bewegung mit der Linken-Fraktionsführung über ihren Beitritt. Für den heutigen Donnerstag ist ein Treffen geplant; die Entscheidung soll bis zum Abend fallen. Die Fünf-Sterne-Bewegung hat acht Abgeordnete im Europaparlament.

    Martin Schirdewan bleibt Co-Fraktionschef der Linken

    Die Fraktion der Linken wird voraussichtlich wieder von zwei Co-Vorsitzenden geleitet: Die bisherige Co-Vorsitzende Manon Aubry aus Frankreich soll das Amt in der gesamten Wahlperiode ausüben, wie im erweiterten Fraktionsvorstand beschlossen wurde. Ihr bisheriger Co-Vorsitzender Martin Schirdewan soll demnach sein Amt in der ersten Hälfte der Wahlperiode ausüben und nach zweieinhalb Jahren an Kostas Arvanitis von Syriza aus Griechenland abgeben. Die Linke-Fraktion hat 39 Mitglieder. Die Delegation der drei deutschen Abgeordneten wird geleitet von Özlem Alev Demirel.

    Die Fraktionen sollen sich bis zum heutigen Donnerstag finden. Doch dabei handelt es sich um keine harte Frist: Wechsel sind im Grunde noch bis zur konstituierenden Sitzung am 16. Juli möglich. Um eine Fraktion im Europaparlament zu bilden, sind 23 Abgeordnete aus sieben Staaten erforderlich.

    Rechtsaußen sortiert sich noch

    Bei den Mitte-Fraktionen sind keine größeren Wechsel mehr abzusehen. Die liberale Renew-Fraktion wird noch zwei Abgeordnete aus Irland aufnehmen, zudem gibt es Gespräche mit einem Abgeordneten aus Zypern. Auch den Grünen werden sich womöglich noch einzelne fraktionslose Abgeordnete anschließen. Ob es dazu kommt, war bis Mittwochabend aber offen.

    Die konservative EKR-Fraktion hat sich am Mittwoch konstituiert. Co-Fraktionschefs sind Nicola Procaccini von den Fratelli D’Italia sowie Joachim Brudziński von der polnischen PiS. Die Fratelli stellen mit 24 Abgeordneten die stärkste Delegation in der Fraktion. Die PiS bildet die zweitstärkste Delegation mit 20 Abgeordneten. Nun ist klar, dass die PiS in der Fraktion bleibt. Zuvor war darüber spekuliert worden, ob die PiS zusammen mit dem ungarischen Fidesz eine Fraktion bildet. Die EKR-Fraktion hat nunmehr 84 Mitglieder und ist damit die drittstärkste Fraktion. Zuletzt war Jaak Madison aus Estland der EKR beigetreten.

    Orbán verhandelt mit Le Pen

    Die meiste Bewegung gibt es noch in den nationalkonservativen und ganz rechten Lagern. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán will mit den “Patrioten für Europa” eine neue Fraktion gründen, denen sich neben der FPÖ und der Ano des tschechischen Milliardärs Andrej Babiš weitere Delegationen anschließen dürften. Absehbar ist der Beitritt der portugiesischen Chega-Abgeordneten sowie der Parlamentarier der Lega von Matteo Salvini.

    Intensive Gespräche gibt es zudem zwischen Orbán und der Führung des Rassemblement National, Marine Le Pen und Jordan Bardella. Ob es zu einer Zusammenarbeit kommt, dürfte sich aber erst nach dem zweiten Wahlgang der französischen Parlamentswahl am Sonntag klären. Die ID-Fraktion, der das RN bislang angehört, hat ihre konstituierende Sitzung auf nächste Woche verschoben.

    Die AfD wird hingegen definitiv nicht Teil der neuen Fraktion sein, wie Parteichefin Alice Weidel am Dienstag bestätigte. Orbán sind die deutschen Rechten zu radikal, er befürchtet zudem zusätzliche Konflikte mit der Bundesregierung. mgr, tho, luk, sas

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    • Europaparlament
    • Grüne/EFA
    • Renew

    S&D: Das sind die Forderungen für die kommenden fünf Jahre

    Die Sozialdemokraten im Europaparlament erwägen die Forderung nach einer EU-weit harmonisierten Steuer auf Aktienrückkäufe von Unternehmen. Dieser Punkt findet sich in einem elfseitigen Entwurf der Kernforderungen der S&D-Fraktion für die nächste Legislatur vom Mittwoch, der Table.Briefings vorliegt. Bei ihrer Fraktionssitzung konnten sich die Sozialdemokraten dem Vernehmen nach noch nicht auf eine endgültige Fassung einigen, die Delegationschefs könnten sich aber zeitnah verständigen.

    In der Steuerpolitik fordert der Entwurf außerdem eine effektive Mindestbesteuerung von Kapitalerträgen auf EU-Ebene, einen Rahmen für die systematische Besteuerung von Zufallsgewinnen und eine breit angelegte Finanztransaktionssteuer, die hoch genug angesetzt ist, um Spekulationen zu verhindern und spürbare Einnahmen zu erzielen.

    Aktionsprogramm für sozialen Fortschritt und hochwertige Arbeit

    Der erste Abschnitt des Dokuments ist allerdings einem Aktionsprogramm für sozialen Fortschritt und hochwertige Arbeit gewidmet. Unter dem Dach des Aktionsprogramms werden eine Reihe von Maßnahmen subsumiert – etwa, wie erwartet, eine neue Richtlinie zum Einsatz von künstlicher Intelligenz am Arbeitsplatz oder die Überarbeitung der Richtlinie zur öffentlichen Beschaffung. In der Beschaffungsrichtlinie sollen nach dem Willen der S&D soziale und ökologische Kriterien eine stärkere Rolle spielen – etwa die Tarifbindung.

    Wie sich bereits abzeichnete, gehört auch bezahlbares Wohnen zum vorläufigen Forderungskatalog. Dort hat die EU zwar keine genuinen Kompetenzen, kann aber etwa über eine erleichterte Finanzierung durch die Europäische Investitionsbank (EIB) und weniger restriktive Auflagen für die staatliche Förderung Einfluss ausüben. Insgesamt solle ein “ständiger und zusätzlicher Fluss von Wohnungsbauinvestitionen in Höhe von mindestens 50 Milliarden Euro pro Jahr” durch die Maßnahmen gewährleistet werden.

    Ebenfalls unter den Kernforderungen: eine europäische Anti-Armuts-Strategie. Dort wollen die Sozialisten und Sozialdemokraten in erster Linie eine Richtlinie zu Mindesteinkommen – gemeint ist kein Grundeinkommen, sondern eine Regelung zu Mindestabsicherungsniveaus im Falle von Erwerbslosigkeit, Krankheit oder Rente. Zuletzt hatte sich die EU auf dem Feld Soziales mit der Mindestlohndirektive vorgewagt.

    Phase-out für fossile Subventionen

    Im zweiten Kapitel zum Green Deal sprechen sich die Sozialdemokraten für ein Festhalten an den CO2-Standards für Autos aus sowie für ein Klimaziel von 90 bis 95 Prozent Treibhausgasminderung bis 2040. Transmissionsriemen für die ans Klimagesetz anschließende Energiegesetzgebung soll eine Novelle der Energiesicherheitsverordnung von 2014 werden.

    Unter dem neuen Leitbegriff Energiesicherheit sollen dann die neuen energiepolitischen Ziele durchdekliniert werden: S&D will unter anderem eine europäische Fazilität für Energienetze und Speicher und einen verpflichtenden Phase-out aller Subventionen für fossile Energien – kombiniert mit einer stärkeren sozialen Flankierung wie einer Richtlinie mit berufsspezifischen Plänen für den Wandel der Arbeitswelt. ber/lei

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    Initiativberichte: Parlamentsverwaltung schlägt Obergrenzen vor 

    In der ersten Hälfte der Wahlperiode sollen Ausschüsse im Europaparlament bis zu sechs Initiativberichte gleichzeitig in Arbeit haben können. Ein Unterausschuss soll in den ersten zweieinhalb Jahren zusätzlich noch drei Initiativberichte gleichzeitig erarbeiten können. Diese Regelung schlägt die Parlamentsverwaltung vor. Der Vorschlag liegt Table.Briefings vor.

    Sie setzt damit eine Forderung um, die die Reformkommission Parlament 2024 unter Roberta Metsola aufgestellt hat. In der zweiten Hälfte der Wahlperiode soll jeder Ausschuss drei Initiativberichte in Arbeit haben können – Unterausschüsse zusätzlich zwei. Die Abstimmung über einen Initiativbericht des Ausschusses soll frühestens drei Monate nach der Genehmigung des Initiativberichts erfolgen. Die Entscheidung, ob ein Ausschuss einen Initiativbericht erarbeiten kann, fällt die Konferenz der Präsidenten. mgr

    • Europaparlament

    Reisen von Ausschüssen: Diese Regeln schlägt die Parlamentsverwaltung vor

    Höchstens zweimal im Jahr soll ein Ausschuss, Unterausschuss oder eine Delegation im Europaparlament künftig in das gleiche Nicht-EU-Land reisen dürfen. Die Verwaltung des Europaparlaments hatte noch eine Reise pro Land außerhalb der EU und Ausschuss in ihrem Vorschlag für die neuen Durchführungsbestimmungen zu Dienstreisen vorgesehen, der Table.Briefings vorliegt.

    Inzwischen zeichnet sich aber eine Obergrenze von zwei Reisen je Ausschuss und Reiseziel im Jahr ab. Ausgenommen von der Regel sollen Reisen zu internationalen Konferenzen und internationalen Organisationen sein. Auch Reisen in Beitrittskandidatenländer zählen nicht dazu.

    Die neuen Durchführungsbestimmungen sollen von der Konferenz der Fraktionschefs bei der Sitzung am 11. Juli beschlossen werden. Sie waren von der Parlamentsverwaltung formuliert worden nach Vorgaben der Reformkommission namens “Parlament 2024” unter Roberta Metsola. Zuvor waren bereits die Vorschläge für die neuen Regeln für Triloge bekannt geworden.

    Ausschussreisen sechs Monate vorher beantragen

    Dienstreisen von Ausschüssen müssen sechs Monate im Voraus bei der Konferenz der Präsidenten beantragt werden. Wenn zwei Ausschüsse oder Delegationen in das gleiche Land reisen wollen, sollen diese gemeinsam auf Mission gehen. Diese Regel soll nicht gelten für den Handelsausschuss (INT). Es soll sichergestellt sein, dass der Handelsausschuss Reisen in kleiner Besetzung zu spezifischen Handelsfragen unternehmen kann.

    Ad-hoc-Reisen, die nicht sechs Monate vorher genehmigt werden müssen, sind möglich, etwa bei besonderen unvorhergesehenen Ereignissen oder in Form von Erkundungsreisen von Berichterstattern.

    Es soll je nach der Ausschussgröße Obergrenzen für die jährliche Teilnehmerzahl bei Reisen geben:

    • 60 Prozent der Mitglieder eines Ausschusses bei Ausschüssen mit weniger als 30 Mitgliedern
    • 55 Prozent der Mitglieder bei Ausschüssen mit 30 bis 50 Mitgliedern
    • 50 Prozent der Mitglieder bei Ausschüssen mit mehr als 50 Mitgliedern

    Die Fraktionen sollen nach dem D’Hondt-System bei der Benennung der Teilnehmer zum Zuge kommen. Maximal zwölf Teilnehmer sollen mitreisen dürfen. Die zeitliche Obergrenze von Dienstreisen liegt bei drei Tagen – innerhalb der EU einschließlich An- und Anfahrt, außerhalb der EU kommen An- und Abfahrt zu den drei Tagen hinzu. mgr

    • Europaparlament
    • Roberta Metsola

    Nato gelingt keine Einigung auf mehrjährige Ukraine-Hilfe

    Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg ist mit dem Vorhaben gescheitert, die Bündnisstaaten zu mehrjährigen Zusagen für Militärhilfen für die Ukraine zu bewegen. Die 32 Alliierten konnten sich im Vorfeld eines Gipfeltreffens in Washington lediglich darauf verständigen, innerhalb des nächsten Jahres Unterstützung im Umfang von mindestens 40 Milliarden Euro zu leisten, wie die Deutsche Presse-Agentur aus mehreren Delegationen erfuhr. 

    Eine konkrete Vereinbarung zur Frage, wer wie viel beisteuert, konnte den Angaben zufolge ebenfalls nicht getroffen werden. Die Nato-Staaten halten demnach nur vage fest, dass das Bruttoinlandsprodukt eine Rolle spielen sollte.

    Signal an Russlands Machthaber Putin

    Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hatte die Alliierten ursprünglich dazu aufgefordert, der Ukraine längerfristig Militärhilfen im Wert von jährlich mindestens 40 Milliarden Euro zu garantieren. Es gehe dabei auch darum, dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zu zeigen, dass er seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine nicht gewinnen werde, sagte er Ende Mai bei einem Treffen mit den Außenministern der 32 Nato-Staaten in Prag. Der Betrag von 40 Milliarden Euro würde in etwa der bisherigen jährlichen Unterstützung der Alliierten seit dem Beginn der russischen Invasion entsprechen.

    Zur Frage, wie eine faire Lastenteilung gewährleistet werden könnte, sagte Stoltenberg damals, eine Option sei es, den Beitrag der einzelnen Mitgliedstaaten auf Grundlage von deren Bruttoinlandsprodukt zu berechnen. Demnach müssten die USA, Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Italien den mit Abstand größten Teil der jährlich 40 Milliarden Euro zahlen.

    Stoltenbergs Wunsch war es gewesen, dass sich die 32 Nato-Staaten bis zum Gipfeltreffen in Washington in der nächsten Woche auf eine gemeinsame Position einigen. Eine Verständigung auf eine sehr ambitionierte Zusage hatte aber schon von Anfang an als unwahrscheinlich gegolten – unter anderem, weil Länder wie Frankreich und Italien bislang nur einen vergleichsweise geringen Anteil ihres Bruttoinlandsprodukts für die militärische Unterstützung der Ukraine ausgeben. dpa

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    Experten: So gelingt der Markt-Hochlauf für nachhaltiges Kerosin

    Um den Hochlauf von nachhaltigem Flugkerosin (Sustainable Aviation Fuel, SAF) zu beschleunigen, sollten die EU-Gesetzgeber die Herstellungs- und Lieferketten des Öko-Kraftstoffs neu organisieren. Das fordert das PtX-Lab Lausitz, ein Praxislabor für Kraftstoffe aus grünem Wasserstoff. Zwar gebe es mit Refuel-EU Aviation bereits ein Gesetz, das zum Angebot von SAF an EU-Flughäfen verpflichtet und so auch die Nachfrage erhöhen soll. Doch es fehle noch an Flexibilität für Airlines und Kraftstoffhersteller, CO₂-Einsparungen durch Herstellung und Verwendung von SAF zu beanspruchen.

    Die Autoren des PtX Lab Lausitz fordern, ein sogenanntes “Book and Claim”-System (B&C) weitläufig einzuführen. Dabei kann eine Airline SAF bei einem Hersteller, wie zum Beispiel der neuen Anlage in Werlte, in Auftrag geben, muss sie aber nicht selbst verwenden, um den Eintrag für den Klimaschutz für sich zu beanspruchen. Die SAF werden anschließend in den Flughäfen bereitgestellt und dem fossilen Kerosin beigemischt. Wer den nachhaltigen Kraftstoff letztendlich verwendet, ist unerheblich. Der tatsächliche Verwender hat dementsprechend auch kein Anrecht, die CO₂-Einsparungen für sich zu beanspruchen.

    Verknüpfung zum EU-ETS fehlt

    Zwar enthalte Refuel-EU Aviation bereits B&C-Ansätze, die es Anbietern erlauben, die gesetzlich festgelegten SAF-Quoten zu erfüllen, indem der SAF-Anteil an der Gesamtmenge an Flugkraftstofflieferungen berücksichtigt wird. Allerdings fehlte noch die Verknüpfung dieses B&C-Prinzips mit dem europäischen Emissionshandel (ETS). Dafür müssten Airlines in der Lage sein, CO₂-Einsparungen durch SAF-Verwendung im ETS zu verbuchen, ohne dieses tanken zu müssen. Bisher sind Airlines nur bei der Verwendung von SAF von der Abgabe von Emissionszertifikaten im ETS befreit.

    Darüber hinaus fordern die Autoren strenge Nachhaltigkeitskriterien für SAF, beispielsweise gemäß der EU-Erneuerbaren-Energien-Richtlinie (RED). Die Erfüllung der Kriterien sollte auch monetarisierbar sein, ohne dass weniger nachhaltige Kraftstoffe vollständig außen vor gelassen werden. So spricht sich das PtX-Lab Lausitz dafür aus, Anbietern, die beispielsweise nur eine 80-prozentige CO₂-Reduktion gegenüber fossilem Kerosin ermöglichen können, dennoch den Marktzugang zu gewähren. Jedoch würde dieser Anbieter nur 80 Prozent seiner Lieferung als SAF deklarieren können. luk

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    Lufthansa: Das sind die Bedingungen der Kommission für die ITA-Übernahme

    Die Lufthansa darf mit Zustimmung der EU-Kommission die italienische staatliche Fluglinie ITA Airways übernehmen und damit auf einem ihrer wichtigsten Märkte wachsen. Die EU-Wettbewerbsaufsicht gab am Mittwoch nach langen Verhandlungen grünes Licht für den Einstieg der Lufthansa bei der Alitalia-Nachfolgerin mit zunächst 41 Prozent. Der Airline gehe es derzeit zwar gut, doch ihr dauerhaftes Bestehen als eigenständige Fluglinie sei “höchst ungewiss”, hieß es von der Kommission. 

    Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager betonte, es galt zu verhindern, dass in Zeiten steigender Ticketpreise die Passagiere am Ende mehr bezahlten oder weniger Angebot hätten. Von der Lufthansa und der Regierung in Rom angebotene Auflagen stellten den Wettbewerb auf allen relevanten Strecken sicher.

    Die Lufthansa hatte mit der italienischen Regierung im Mai 2023 den Kauf der zunächst 41 Prozent an ITA für 325 Millionen Euro vereinbart. Zudem wurden Optionen für eine vollständige Übernahme später, frühestens ab 2025, festgelegt.

    Lufthansa und ITA müssen Start- und Landerechte abgeben

    Der Entscheidung der EU-Wettbewerbsbehörde war ein langes Tauziehen zwischen den Fachleuten der Kommission und der italienischen Regierung sowie der Lufthansa vorausgegangen. EU-Kommissarin Vestager hatte große Bedenken, der Zusammenschluss könnte für die Verbraucher von Nachteil sein wegen zu großer Marktmacht auf bestimmten Strecken in Europa und auf Langstreckenflügen nach Nordamerika.

    Das soll jetzt durch Auflagen für Lufthansa und ITA vermieden werden – unter anderem durch die Abgabe von Start- und Landerechten am Flughafen Mailand für Direktflüge in Europa. Lufthansa und die italienische Regierung verpflichteten sich, ein oder zwei Konkurrenten die Mittel für ein Angebot von Direktflügen ab Mailand oder Rom zur Verfügung zu stellen. Auch für Transatlantikflüge müssen Lufthansa und ITA mit Rivalen kooperieren und Zubringerflüge zu Drehkreuzen von Wettbewerbern aufnehmen, damit diese Alternativen anbieten können.

    ITA kann erst zur Lufthansa-Gruppe stoßen, wenn die EU-Kommission die Abnehmer von Slots und Routen oder die Kooperationspartner genehmigt hat. Für Europaflüge sind das die Billigflieger Easyjet aus Großbritannien und Volotea aus Spanien. Ein unabhängiger Aufseher soll die Umsetzung der Auflagen überwachen. Die EU will so verhindern, dass wie in früheren Fällen – etwa bei der Übernahme von Brussels Airlines durch die Lufthansa – Slots zwar freigegeben, von Rivalen aber mangels Wirtschaftlichkeit nicht genutzt werden. rtr

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    Regierungsbildung in Sofia gescheitert

    In Bulgarien ist nach der Neuwahl vom 9. Juni die Bildung einer prowestlichen Regierung gescheitert. Der vom Wahlsieger Gerb-SDS nominierte Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten, Rossen Scheljaskow, verfehlte bei einer Abstimmung im Parlament deutlich eine Mehrheit. 

    Damit kam es nicht zu zwei weiteren Abstimmungen, nämlich über die Struktur und über die Zusammensetzung eines Minderheitskabinetts. Dieses sollte nach den Worten von Gerb-Chef Bojko Borissow Bulgarien auf die Einführung des Euro vorbereiten und den proukrainischen Kurs des EU- und Nato-Mitgliedstaates fortsetzen.

    Es droht die siebte Parlamentswahl seit 2021

    Staatschef Rumen Radew wird nun die zweitstärkste Fraktion der liberalen Bewegung für Rechte und Freiheiten mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragen.

    Die bulgarische Verfassung sieht vor, dass insgesamt drei Regierungsaufträge vergeben werden können. Sollten alle drei scheitern, muss es eine weitere Parlamentswahl geben. Es wäre dann die siebte seit April 2021. Bis eine reguläre Regierung in Sofia steht, führt ein Übergangskabinett die Regierungsgeschäfte. dpa

    • Bulgarien
    • Wahl

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    Lufthansa darf italienische Staatsairline Ita übernehmen SPIEGEL
    EU takes aim at China’s Temu and Shein with proposed import duty, FT reports REUTERS
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    Digitale Dekade: EU-Staaten weit entfernt vom Erreichen der Gigabit-Ziele HEISE
    Kaczynski bezeichnet Tusk als “Knecht der Deutschen” WELT
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    Personalie

    Christof-Sebastian Klitz, Leiter der Konzernrepräsentanz von VW in Brüssel, ist nach über 20 Jahren als Cheflobbyist des Konzerns in Rente gegangen. Sebastian Schaffer übernimmt zunächst kommissarisch die Leitung des Büros mit sechs Mitarbeitern.

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    Standpunkt

    Wahlen in UK: Warum ein Labour-Sieg neue Chancen für die Beziehung zur EU bietet

    Von Nicolai von Ondarza
    Porträtfoto von Nicolai von Ondarza (SWP) vor grauem Hintergrund.
    Nicolai von Ondarza ist Leiter der Forschungsgruppe EU/Europa bei der Stiftung Wissenschaft und Politik.

    Zwar prognostizieren Umfragen einen deutlichen Sieg der Labour-Partei unter Keir Starmer. Doch selbst bei einem Regierungswechsel ist keine grundlegende Abkehr vom Brexit zu erwarten. Labour hat eine Rückkehr in den EU-Binnenmarkt oder die Zollunion bereits ausgeschlossen, ebenso wie jede Form der Zusammenarbeit, die eine Rückkehr zur Freizügigkeit oder eine dynamische Anpassung an EU-Regulierung erfordern.

    Um potenzielle Wähler nicht zu verschrecken, hat die Partei im Wahlkampf das Thema Brexit fast vollständig ausgeklammert. Allerdings strebt Labour an, mit der EU technische Anpassungen wie ein neues Veterinärabkommen auszuhandeln, insbesondere aber eine neue geopolitische Partnerschaft in Form eines Sicherheitspakts zu schließen.

    Kein strukturierter Dialog in der Außen- und Sicherheitspolitik

    Die Außen- und Sicherheitspolitik bietet sich als Brücke zur vorsichtigen Wiederannäherung besonders an. Bereits unter der aktuellen konservativen Regierung von Rishi Sunak hat sich das Verhältnis zur EU entspannt. Das Windsor-Abkommen beendete den Streit um Nordirland, und der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine machte die Notwendigkeit einer engeren Abstimmung deutlich. Diese lief jedoch vornehmlich ad-hoc oder über die G7 oder mit den USA ab. Denn einen strukturierten Dialog in der Außen- und Sicherheitspolitik lehnte die bisherige konservative Regierung bisher ab.

    Dabei liegt eine verstärkte Kooperation im beiderseitigen Interesse. Für die EU ist Großbritannien mit seinen diplomatischen wie militärischen Ressourcen und mit seiner leistungsfähigen Rüstungsindustrie ein wichtiger Partner – gerade angesichts Russlands Krieg gegen die Ukraine und möglicherweise einer Rückkehr Donald Trumps ins Weiße Haus. Für Labour wiederum wäre es ein Feld der Kooperation, das keine Übernahme von EU-Regulierung aus dem Binnenmarkt erfordert.

    EU behandelt UK wie jeden anderen Drittstaat

    In den meisten außen- und sicherheitspolitischen Fragen ist dabei kein abrupter Kurswechsel von der Tory- zu einer Labour-Regierung zu erwarten: Beide sehen in der Unterstützung der Ukraine eine Priorität, betonen die Bedeutung der USA als Verbündeten (auch unter Trump) und verfolgen einen vorsichtigen Kurs des De-Risking von China, der weitgehend dem europäischen Mainstream entspricht. Differenzen gibt es vor allem in der Klimapolitik, die Labour stärker in den Fokus rücken will, der Haltung zum Nahostkonflikt und der EU-UK-Beziehungen.

    Um das Potenzial der Zusammenarbeit auszuschöpfen, ist auch mehr Flexibilität seitens der EU gefragt. Bisher bestehen die EU-Staaten darauf, das Vereinigte Königreich wie jeden anderen Drittstaat zu behandeln. Dies führt zum “Galileo-Problem”: Trotz oder gerade weil Großbritannien mit seinen Ressourcen in der Außen- und Sicherheitspolitik selbst bei nur informeller Beteiligung eine gewichtige Rolle spielt, bietet die EU ihm nur die sehr restriktiven Regeln für Drittstaaten wie Norwegen an. Dies wiederum ist für London, etwa bei der europäischen Munitionsbeschaffung, selbst unter einer potenziellen Labour-Regierung, nicht akzeptabel.

    Ein eigenes Modell der Zusammenarbeit

    Die Zusammenarbeit aus solch formellen Gründen zu verhindern, wird der neuen geostrategischen Lage Europas aber nicht gerecht. Vielmehr sollten die EU und das Vereinigte Königreich ein eigenes Modell der Zusammenarbeit entwickeln. Dieses sollte auf dem Prinzip der Partnerschaft, nicht der Re-Integration beruhen. Konkret könnte es drei Elemente umfassen:

    • regelmäßige strategische Konsultationen auf höchster politischer Ebene
    • gemischte Arbeitsgruppen zu spezifischen Themen wie Sanktionen
    • eine begrenzte Teilnahme Großbritanniens an ausgewählten EU-Gipfeln.

    Rechtlich könnte eine solche Initiative an das bestehende Handels- und Kooperationsabkommen angedockt werden.

    Die Zeit bis zur US-Wahl nutzen

    Deutschland sollte bei der Umsetzung eine Schlüsselrolle spielen. Berlin hat ein starkes Eigeninteresse daran, London in die europäische Außen- und Sicherheitspolitik eng einzubinden. Zudem strebt Labour nach dem Vorbild der britisch-französischen “Lancaster-House-Verträge” auch eine Vertiefung der britisch-deutschen Verteidigungskooperation an. Dieses Angebot sollte von Berlin genutzt und von Beginn an in einen breiteren EU-UK-Sicherheitspakt eingebettet werden.

    Die kommenden Monate bieten ein wichtiges Zeitfenster: Nach den britischen Wahlen, aber noch vor der heißen Phase des US-Wahlkampfes besteht die Chance, die Weichen für eine vertiefte Zusammenarbeit zu stellen. EU und Großbritannien sollten sie nutzen – zum Wohle der europäischen Sicherheit und des transatlantischen Bündnisses.

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