welch ein Tag. Die USA wählen den Disruptor-in-Chief Donald Trump zum Präsidenten, in Deutschland zerbricht die Koalition. Die Welt ist am 6. November 2024 ein Stück weiter aus den Fugen geraten, so scheint es.
Für die Europäische Union sind vorgezogene Neuwahlen im wichtigsten Mitgliedstaat (wahrscheinlich im März) aber nicht notwendigerweise eine schlechte Nachricht. Die Ampel-Koalition wäre in ihrer Zerstrittenheit kaum noch handlungsfähig gewesen. Als Leitwolf für die anderen EU-Staaten hat sich Kanzler Olaf Scholz in den drei Jahren seiner Amtszeit ohnehin nicht aufgedrängt.
Wirklich besorgniserregend ist der tiefere Grund für das Scheitern der Ampel: die fehlende Kompromissbereitschaft der drei vermeintlichen Partner. Weder die SPD noch die Grünen und schon gar nicht die FDP waren zuletzt willens und in der Lage, über den Tellerrand ihrer Glaubenssätze hinwegzublicken. Scholz warf Christian Lindner deshalb in einer bemerkenswerten Abrechnung am Abend vor, “verantwortungslos” zu handeln. Doch der FDP-Chef taugt nicht als alleiniger Sündenbock.
Wenn Parteien der demokratischen Mitte aber nicht mehr fähig sind zur konstruktiven Zusammenarbeit, vertiefen sie die Polarisierung der Gesellschaft und ebnen den Weg für Demokratieverächter. Die USA stehen hierfür als mahnendes Beispiel.
Herr Juncker, was bedeutet die Rückkehr von Donald Trump für Europa?
Trump hat eine Sicht auf Europa, die nicht ultrainformiert und teilweise verquer ist. Er denkt, dass die Europäische Union eine Erfindung der Europäer gegen die USA wäre, was nicht stimmt. Man muss das gemeinsam Erreichte immer wieder betonen und mit Fakten unterlegen, für die er mal empfänglich ist und mal nicht. Wenn man mit ihm ins Gespräch kommt, wird sein Interesse an Europa größer.
Trump kommt in seine zweite Amtszeit besser vorbereitet als in seine erste 2016. Erwarten Sie, dass er noch aggressiver vorgehen wird?
Er wurde 2016 Präsident, ohne die Erwartung ernsthaft gehegt zu haben. Ich gehe davon aus, dass er heute besser vorbereitet ist. Für die Europäische Union gilt es dort anzuknüpfen, wo wir ihn 2020 seinem Schicksal überlassen haben.
Was konkret raten Sie?
Wir müssen ihm jetzt auf Augenhöhe begegnen und deutlich machen, dass die Europäische Union nicht nur ein zusammengewürfelter Haufen von Mitgliedstaaten ist, sondern eine gefestigte europäische Einheit. Es war stets das Bemühen aller amerikanischen Präsidenten, wie auch der russischen und der chinesischen Präsidenten, die Europäische Union in ihre Bestandteile zu zerlegen über bilaterale Kontakte mit den Regierungen. Wir müssen deutlich machen, dass wir fähig sind, wenn es darauf ankommt, uniform unsere Ansichten vorzubringen.
Ist die Europäische Union hier überhaupt einig und handlungsfähig?
Es kommt darauf an, dass wir eine einheitliche Sicht auf unsere Beziehungen zu den Vereinigten Staaten erreichen. Das ist ein mühsamer Prozess. Aber wenn uns das misslingt, werden wir in unserem Verhältnis zu Amerika immer die Nummer zwei bleiben.
Wer kann dabei die Führungsrolle übernehmen? Deutschland und Frankreich sind durch Regierungskrisen gelähmt.
Es setzt voraus, dass man die fragmentierte politische Landschaft Deutschlands wieder zusammenfügt. Und dass die französische Politik zeigt, dass sie sich nicht in Einzelteile zerlegt, wenn es um die Vertretung kontinentaler Interessen geht. Es wäre auch gut, wenn das deutsch-französische Verhältnis enger und gestaltungsmächtiger würde, als es zurzeit den Anschein hat.
Nationalistische Kräfte wie Ungarns Premier Viktor Orbán fühlen sich beflügelt durch den Wahlsieg von Donald Trump. Glauben Sie, dass diese Kräfte stärker werden – und damit auch die Zentrifugalkräfte in der EU?
Ich würde nicht sagen, dass ich das nicht befürchte. Man muss denjenigen, die den gemeinsamen Pfad verlassen, eines deutlich machen: Sie allein zählen im Verhältnis zu den USA nur vermeintlich, trotz aller ausgetauschten Zärtlichkeiten. Und dass wir unsere Interessen nur erfolgreich vertreten können, wenn wir mit einer Stimme sprechen. Das gilt vor allem für Handelsfragen.
Sie haben als Kommissionspräsident mit Trump verhandelt, um hohe Zölle auf europäische Autos abzuwenden.
Ich habe es 2018 geschafft, mit Trump einen Deal zu schließen, der den amerikanischen Handelskrieg gegen Europa zu Ende gebracht oder zumindest unterbrochen hat. Wenn man dem amerikanischen Präsidenten deutlich macht, dass in Handelsfragen die Europäische Kommission exklusiv zuständig ist, dann gelingt es uns, die europäische Stimme gleichberechtigt zur Kenntnis zu bringen.
Aus Ihren Gesprächen mit Donald Trump: Wie kann man am besten mit seiner Unberechenbarkeit umgehen?
Erstens: Man muss ihn ernst nehmen. Er ist der gewählte Präsident der Amerikaner, der die Zustimmung weiter Kreise der amerikanischen Gesellschaft sein Eigen nennen kann. Zweitens muss man versuchen, sich in den Verhandlungen zu vergegenwärtigen, was seine innenpolitischen Probleme sind. “America first” heißt ja, dass die amerikanische Innenpolitik dominant ist. Man muss also genauestens herausfinden, was die Erwartungen der Amerikaner sind und wo ein Entgegenkommen der Europäer es ermöglicht, globalere Deals abzuschließen als anfangs gedacht. 2018 sorgte sich Trump vor allem um die Farmer, darauf sind wir eingegangen.
Hielten Sie es für klug, ihm auch jetzt wieder ein Handelspaket für höhere US-Exporte nach Europa anzubieten, ähnlich wie Sie es damals gemacht haben?
Das hängt von den konkreten Schritten ab, die Trump einleiten wird. Ich gehe davon aus, dass er immer noch Probleme hat mit dem bilateralen Handelsbilanzdefizit der USA. Man muss ihm erklären, dass es nicht nur den Warenaustausch gibt, sondern auch den Austausch von Finanzdienstleistungen. Beides zusammen betrachtet, bewegen sich die USA in einem Plus im Austausch mit Europa. Darauf muss man immer wieder insistieren. Er ist nicht taub, wenn man europäische Argumente rational präsentiert und gleichzeitig darauf aufmerksam macht, dass europäische Anliegen teilweise auch amerikanische Anliegen sind.
Europa bleibt angesichts der geopolitischen Lage kaum etwas anderes übrig, als sich mit Trump zu arrangieren. China und Russland haben eine Allianz geschmiedet, mit Joe Biden geht nun ein überzeugter Transatlantiker.
Wir müssen uns in das komplizierte Verhältnis China-USA so einbringen, dass die Eigenmächtigkeit der Europäischen Union nicht von den anderen kleingeschrieben wird. Aber die Lage ist konfus. Ich weiß aus meinen Gesprächen mit Trump, dass er immer schon ein enges Verhältnis mit Russland anstrebte.
Zu Anfang seines ersten Mandats im Weißen Haus hat er größte Hochachtung vor dem chinesischen Staatspräsidenten geäußert, den er als weisen Führer beschrieb. Das Verhältnis USA-China hat sich verdunkelt in den vergangenen Jahren. Wir müssen versuchen, das De-Risking von China so zu machen, dass wir in den Augen der Chinesen nicht als bedingungslose Alliierte der USA erscheinen. Und wir müssen in unseren Kontakten mit den Amerikanern deutlich machen, dass man China nicht ins Abseits der internationalen Beziehungen drängen kann.
Nach dem Wahlsieg von Donald Trump ringt die Europäische Union um ihre Handlungsfähigkeit. Bei einem Abendessen in Budapest am Vorabend des informellen EU-Gipfels werden die Staats- und Regierungschefs heute über mögliche Konsequenzen diskutieren, Diplomaten erwarten eine “sehr offene” Aussprache. Gleich am Mittwochmorgen hatte Kanzler Olaf Scholz mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron telefoniert. Man werde sich in Budapest “eng abstimmen und das auch in den kommenden Wochen fortsetzen”, sagte Scholz.
Die innereuropäischen Diskussionen werden alles andere als einfach. Die meisten Staats- und Regierungschefs in der EU hatten auf einen anderen Wahlausgang gesetzt. Die Reaktionen von Scholz oder Macron klangen wie Beschwörungsformeln. Deutschland und die Vereinigten Staaten seien in einer “über Jahrzehnte gewachsenen Partnerschaft – ja, Freundschaft – verbunden”, sagte Scholz. “Deshalb gilt: We are better off together!”
Ganz anders Viktor Orbán: Ungarns Ministerpräsident gratulierte dem ehemaligen und künftigen US-Präsidenten Trump zum “größten Comeback” in der amerikanischen Geschichte. Es sei eine “dringend nötiger Sieg für die Welt”. Orbán sieht sich im Wettlauf um die Gunst des Rückkehrers in der Pole-Position.
Der Ungar wird seinen Draht zu Trump für eigene Zwecke nutzen wollen, um sein Gewicht in Europa zu erhöhen. Das werden auch andere nationalistische und rechtsradikale Kräfte versuchen, die Trump ideologisch nahestehen. In den Niederlanden gratulierte Geert Wilders dem Wahlsieger in Großbuchstaben. AfD-Chefin Alice Weidel setzt darauf, dass Trumps Comeback ihrer Partei bei den nächsten Wahlen Rückenwind verschafft. Italiens rechte Regierungschefin Giorgia Meloni gratulierte Trump und verwies darauf, Italien und die USA hätten “ein strategisches Band, das jetzt sicherlich noch gestärkt wird”.
Die traditionellen Schwergewichte fallen hingegen als Leitfiguren aus: die Scholz-Regierung ist zerbrochen. Macron wird sich in seinem Werben für mehr “europäische Souveränität” zwar bestätigt sehen, doch der Präsident hat viel Autorität eingebüßt. Polens Ministerpräsident Donald Tusk wiederum wird durch die Abhängigkeit seines Landes vom Sicherheitsgaranten USA gebremst.
So dürften Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und dem neuen Ratspräsidenten António Costa eine Führungsaufgabe zufallen. Sie müssen versuchen, die EU-Staaten zusammenzuhalten, wo Trump versucht, sie über bilaterale Angebote zu spalten. Die Gefahr ist real, dass die Zentrifugalkräfte stärker werden.
In Brüssel sprechen sich die Diplomaten Mut zu. Man will die gemeinsamen Interessen betonen und sich bereit zum Dialog zeigen. 2016 sei man überrascht worden, habe es dann aber rasch geschafft, eine Arbeitsgrundlage zu finden. Diesmal wisse man zumindest, was zu erwarten sei.
Moritz Schularick hält das für eine Illusion. “Der große Unterschied ist: Trump ist jetzt vorbereitet, und wir sind es nicht”, warnte der Präsident des Kiel Institut für Weltwirtschaft bei einer Veranstaltung von Table.Briefings. Einiges deutet darauf hin, dass der Rückkehrer seine Agenda diesmal ungebremst verfolgt und noch weniger Rücksicht auf Verbündete nehmen wird. Selbst wenn ihm diese – wie Orbán oder Wilders – ideologisch nahestehen: Hohe Zölle etwa würden auch die ungarische und die niederländische Wirtschaft treffen.
CDU-Chef Friedrich Merz sieht Trump ebenfalls in einer stärkeren Ausgangsposition als 2016, zumal die Republikaner auch Senat und Repräsentantenhaus kontrollieren. Merz erwartet, dass die Europäer sich nun mit “einer neuen Phase starken Protektionismus und sehr hoher Zölle konfrontiert sehen”.
Die EU solle darauf nicht mit Abschottung der eigenen Märkte reagieren, fordert er bei einer Veranstaltung am Jacques Delors Centre der Berliner Hertie School. Vielmehr solle sie abgespeckte Freihandelsabkommen mit Staaten wie Indien oder Indonesien anstreben – und womöglich sogar mit China. Dafür müsse aber die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen gestärkt werden.
Um einen Handelskrieg abzuwenden, könnte von der Leyen Trump einen Deal anbieten, der die US-Exporte nach Europa erhöht. Auf diesem Wege war es ihrem Vorgänger Jean-Claude Juncker gelungen, den US-Präsidenten von hohen Zöllen auf europäische Autos abzubringen. (Lesen Sie dazu auch das Interview in dieser Ausgabe). Für den Fall, dass Trump das Angebot ausschlägt und wie angedroht auf breiter Front die Zölle erhöht, bereitet die Kommission Gegenmaßnahmen vor.
Noch größer könnten die Herausforderungen für die Europäer in der Sicherheitspolitik werden. Die europäischen Verbündeten haben zwar in den vergangenen Jahren mehr Verantwortung übernommen, wie Scholz betonte. Die höheren Verteidigungsetats sind aber noch immer viel zu gering, um auf den amerikanischen Schutzschirm verzichten zu können. Das Gleiche gilt für die Unterstützung der Ukraine, wo die USA nach wie vor die Hauptlast tragen, wenn es um Rüstungsgüter geht. Die sicherheitspolitische Abhängigkeit von den USA mache die EU wiederum “wirtschaftspolitisch total erpressbar”, sagt Schularick.
Es ist eher unwahrscheinlich, dass die Europäer die Kraft haben werden, die Lücke zu füllen, sollten die USA als Unterstützer der Ukraine ausfallen. Triumphiert Wladimir Putin in seinem Angriffskrieg gegen das Nachbarland, dann stellen sich für Europa ganz andere Fragen mit Blick auf die Sicherheit an der Ostflanke.
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius reiste am Mittwochabend nach Paris, um seinen französischen Kollegen Sébastien Lecornu zu treffen und ein Signal der deutsch-französischen Geschlossenheit zu senden. Das Treffen habe er seinem Amtskollegen am Mittwoch bei einem Telefonat “noch beim Frühstück” vorgeschlagen, sagte Pistorius. Der deutsche Verteidigungsminister kündigte an, innerhalb der nächsten zwei Wochen ein Treffen in Berlin mit den Verteidigungsministern Frankreichs, Polens, Großbritanniens und Italiens zu organisieren.
Von der Leyen will mit Andrius Kubilius zudem einen eigenen Verteidigungskommissar berufen, der vor allem das Hochfahren der Rüstungsproduktion unterstützen und die EU-Staaten anhalten soll, mehr Waffen gemeinsam zu beschaffen. Der Litauer sagte bei seiner Anhörung im EU-Parlament, es sei absehbar, dass die USA ihren Fokus auf die strategische Herausforderung durch China legten. Diese längerfristige Verschiebung mache eine eigenständige europäische Verteidigungsstrategie nötiger denn je. Kubilius verwies zudem auf Erkenntnisse der Nachrichtendienste, dass Russland bis Ende des Jahrzehnts EU und Nato auf die Probe stellen könnten.
Europa müsse mehr Geld für Verteidigung in die Hand nehmen, die Mittel besser einsetzen und diese möglichst auch in Europa ausgeben, betonte Kubilius. Das knappe Geld müsse man verwenden, um die europäische Rüstungsindustrie zu stärken. Im Kriegsfall sei es wichtig, dass die Rüstungsindustrie nicht zu weit weg von der Frontlinie produziere. Die EU-Staaten bräuchten zudem Waffen, deren Verwendung nicht an irgendwelche Bedingungen geknüpft sei. Kubilius bezifferte den Bedarf für die nächsten Jahre auf 500 Milliarden Euro.
Der Kandidat für den Posten des Kommissars für Gesundheit und Tierwohl, Olivér Várhelyi, hat eine ausgesprochene EU-Biografie. Mit seinem Lebenslauf geht er bei der Anhörung der Ausschüsse Agrar und Umwelt, AGRI und ENVI, offensiv um. Der 52-jährige Jurist, der nicht der Fidesz-Partei von Viktor Orbán angehört, führt in leicht US-amerikanisch gefärbtem Englisch in seinen einleitenden Worten ausführlich aus, was er alles schon in Brüssel gemacht hat: Er war unter anderem Referatsleiter in der Kommission, Ständiger Vertreter seines Landes bei der EU und die vergangenen fünf Jahren Erweiterungskommissar in der Von-der-Leyen-Kommission I.
Várhelyi war sichtlich bemüht, auf das Parlament zuzugehen. So antwortete er stets sachlich. Er entschuldigte sich zudem persönlich dafür, dass er im vergangenen Jahr im Europäischen Parlament in Straßburg die Abgeordneten als “Idioten” beschimpft hatte. Damit habe er niemanden persönlich gemeint. Der Ungar präsentierte fachlich überzeugend seine inhaltlichen Vorhaben in beiden großen Bereichen des Portfolios. Dabei macht er eine souveräne Figur und sagt nichts, was zu seinen Ungunsten ausgelegt werden könnte.
Dennoch wurde er nicht nominiert. In der Koordinatorenrunde verweigerten ihm Grüne, S&D und Liberale die Unterstützung. EKR und die beiden rechtsradikalen Fraktionen stimmten für ihn. Die EVP hatte keine Einwände gegen seinen Auftritt, wollte sich aber nicht den Fraktionen der Rechtsradikalen anschließen.
Orbán hatte gedroht, seinen Kandidaten zurückzuziehen, falls er in eine zweite mündliche Anhörung müsste. Die EVP setzte schließlich durch, dass Várhelyi neue schriftliche Fragen beantworten muss, die am Montag vorliegen müssen. Die Koordinatorenrunde soll am Montag dann über die Nominierung entscheiden, für die weiterhin eine Zweidrittel-Mehrheit nötig ist. Der Druck auf die Sozialisten sollte dann groß sein mitzustimmen, weil einen Tag später die Sozialistin Teresa Ribera als Exekutiv-Vizepräsidentin zur Anhörung kommt. Eine Zurückweisung Várhelyis könnte ihre Chancen auf die nötige Mehrheit deutlich verschlechtern.
Bevor die dreistündige Anhörung stattfand, war es zu einem Eklat gekommen. S&D, Renew und Grüne machten deutlich, dass Várhelyi – wie auch immer er sich später schlagen würde – ohnehin in eine zweite Anhörung müsse. Gegen die Ansage, dass er ungeachtet seiner Performance nachsitzen müsse, soll der Kandidat protestiert und gedroht haben, von der Bewerbung zurückzutreten.
Daraufhin kam es nach Informationen von Table.Briefings zu einer Krisensitzung der Fraktionschefs Manfred Weber (EVP), Iratxe Gárcia (S&D) und Válerie Hayer (Renew). Auch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen soll dabei gewesen sein. Offenbar gelang es, die Wogen zu glätten. Es wurde beschlossen, dass auch Várhelyi eine Chance bekommen solle, so wie alle anderen Kommissare.
Es gehe darum, die Gesundheit der Bürger zu verbessern, sagte Várhelyi. Seine Vorhaben:
In den anschließenden vier Fragerunden wurde deutlich, dass der Kandidat auf große Vorbehalte bei den Abgeordneten stößt. Vor allem die Abgeordneten des eher links aufgestellten ENVI unterstellten in ihren Fragen eine große politische Nähe zu Viktor Orbán. So rügte EVP-Koordinator Peter Liese, dass Ungarn den russischen Covid-Impfstoff Sputnik gespritzt hat. Der Kandidat ließ sich aber nicht aus der Ruhe bringen und betonte auch auf Nachfrage, dass die EU-Arzneimittelagentur EMA die einzig legitime Zulassungsbehörde sei. Dies würde auch im Fall einer neuen Pandemie so bleiben.
Der S&D-Koordinator Christophe Clergeau forderte ein Bekenntnis dazu, dass Transgeschlechtlichkeit nicht als Krankheit behandelt werden soll. Außerdem verlangte er von Várhelyi die Zusicherung, sich für einen EU-Plan für die legalisierte und entkriminalisierte Abtreibung einzusetzen. Auch auf Nachfrage blieb der Kandidat dabei, dass Abtreibung in die Kompetenz der Mitgliedstaaten falle.
Nach konkreten Maßnahmen gefragt, die er in den ersten hundert Tagen zur Verbesserung des Tierwohls realisieren wolle, nannte Várhelyi Tiertransporte und Käfighaltung. Er sprach dann einen aktuellen Fall von eklatanter Tierquälerei bei einem Viehtransport an der bulgarisch-türkischen Grenze an und sagte: “Zunächst einmal muss ich durchsetzen, dass die bestehenden Regeln für Tiertransporte auch eingehalten werden.”
Als die deutsche AfD-Abgeordnete Anja Arndt sich als Impfkritikerin outete und um Unterstützung für die Gegner von Covid-Impfungen bat, distanzierte er sich ausdrücklich. Daraufhin bekam er breiten Applaus. Er habe keinen Zweifel daran, dass die von der EMA zugelassenen Impfstoffe sicher seien.
Sie ließ sich auch von technischen Fragen nicht aus dem Konzept bringen: Maria Luís Albuquerque, ehemalige portugiesische Finanzministerin, langjährige Angestellte der Finanzverwaltung und zuletzt Bankerin, kennt sich in ihrer Materie aus. Das honorierten die Koordinatoren des Wirtschaftsausschusses (ECON) des EU-Parlaments, indem sie Albuquerque als Finanzmarktkommissarin bestätigten. Nur die Linksfraktion und die rechtsextreme ESN-Fraktion stimmten in der Abstimmung der Koordinatoren gegen Albuquerque, wie mehrere Parlamentsquellen bestätigen.
Albuquerque meisterte ihre Anhörung, ohne große Versprechen an das Parlament zu machen, die über den Inhalt ihres Mission Letters hinausgehen. Sie vermied es, bei den wichtigen Fraktionen anzuecken. Ausschussmitglied Markus Ferber (CSU) sagte, er sei “sehr zufrieden” mit dem, was die designierte Kommissarin in der dreistündigen Anhörung gesagt habe. Auch die grüne Koordinatorin Kira Marie Peter-Hansen und die liberale Koordinatorin Stéphanie Yon-Courtin äußerten sich positiv.
Albuquerques Positionen waren in praktisch allen Themen gemäßigt:
Von links und rechts gab es kritische Nachfragen zu Albuquerques beruflicher Vergangenheit. Kurz nach ihrer Amtszeit als portugiesische Finanzministerin wurde sie für einen in London ansässigen Asset Manager tätig, während sie weiterhin im portugiesischen Parlament saß. Bis vor kurzem war sie zudem bei der europäischen Filiale von Morgan Stanley aktiv.
Albuquerque versicherte den Parlamentariern, dass sie als Non-executive director nicht direkt mit den Entscheidungen des Tagesgeschäfts zu tun gehabt hätte. Stattdessen habe sie eine überwachende Rolle innerhalb der Unternehmen innegehabt. Es sei unter anderem darum gegangen, sicherzustellen, dass die geltenden Regulierungen eingehalten werden.
Jozef Síkela will als designierter EU-Kommissar für internationale Partnerschaften Brüssels Infrastrukturinitiative Global Gateway vorantreiben. Am Mittwoch wurde er für den Posten bestätigt. Bei der Anhörung im EU-Parlament wurde klar: Die EU hadert weiterhin mit der Definition der Initiative, die nach Selbstbeschreibung eine Alternative zu Chinas Belt and Road-Initiative (BRI) sein soll. Ist Global Gateway öffentliche Entwicklungshilfe, “Partnerschaft auf Augenhöhe” mit Investments – oder beides?
Bei Síkelas Hearing wurden alle Beschreibungen genannt. Die EU will einen “Team Europe”-Ansatz verfolgen – doch die Definition bleibt schwammig, beispielsweise hinsichtlich der Frage, wie viele Mittel aus welchen Quellen kommen und wer zuständig ist. Das hat es Global Gateway zuletzt nicht leicht gemacht, sich nach außen hin zu präsentieren. Der designierte EU-Kommissar möchte das ändern, unter anderem durch engeren Kontakt zu zivilgesellschaftlichen Organisationen in den Partnerländern. “Wir brauchen mehr Sichtbarkeit.”
Klar ist laut Síkela: Global Gateway muss dringend massive Mittel aus dem Privatbereich akquirieren. Der Banker will dazu enger mit den Entwicklungsbanken in den EU-Staaten und der Europäischen Investitionsbank (EIB) zusammenarbeiten. Auch in Marketing und Kommunikation sieht Síkela noch Arbeit, um Global Gateway von “Start-up zu Scale–up” zu bringen.
Der Tscheche umriss zum Einstieg sechs Punkte zur erfolgreichen Umsetzung von Global Gateway:
Síkela kritisierte bei seinem Hearing offen die BRI: “Unsere Partner brauchen mehr von Europa. In letzter Zeit haben sie jedoch mehr Aufmerksamkeit von durchsetzungsstarken Akteuren mit aggressiven Ansätzen erhalten, die wenig Entwicklung und wenige klare Vorteile bringen”, sagte der er in einer deutlichen Anspielung auf China. Die Volksrepublik leiste mit der BRI keine gute Arbeit, sagte Síkela: “In einigen Ländern herrscht große Enttäuschung über die chinesischen Aktivitäten”, sagte Síkela und nannte als Beispiel die Rechte indigener Völker in Bezug auf Landraub. “Ich habe einen starken Ruf nach mehr europäischer Präsenz erhalten.”
Vage blieb der Politiker bei den Themen Transparenz und Nachverfolgung. “Natürlich muss es eine Messbarkeit geben”, sagte Síkela. Er sei bereit, die Handlungsmöglichkeiten dafür zu diskutieren. Die EU-Parlamentarier kritisierten, dass die Kontrolle von Global Gateway und die damit zusammenhängende Nutzung von Steuergeldern bisher schwierig war – weil es keine Informationen gab. Síkela versprach in diesem Bereich Verbesserung. “Ich habe kein Problem mit Überwachung.”
“Ich hoffe sehr, dass wir Herrn Síkela heute davon überzeugen konnten, Global Gateway 2.0 voranzutreiben”, sagte der SPD-Europaabgeordnete Udo Bullmann zu Table.Briefings nach der Anhörung. “Er wird mit Global Gateway nur dann erfolgreich sein, wenn er sich in seiner Strategie an den UN-Nachhaltigkeitszielen orientiert und relevante Akteure, wie das Europäische Parlament als Haushaltsgesetzgeber, angemessen beteiligt.”
Den aktuellen Ansatz von Global Gateway sehe er kritisch, so Bullmann: “Nicht nur, weil wir unseren Partnerländern zu wenig Mitspracherecht gewähren, sondern auch, weil das Europäische Parlament und Organisationen der Zivilgesellschaft völlig unzureichend in die Bewertung der Ergebnisse einbezogen werden.”
11.11.2024 – 11:00-17:00 Uhr, Berlin
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Der BDI diskutiert, wie sich die Versorgung der deutschen Industrie mit Rohstoffen resilienter aufstellen lässt. INFOS & ANMELDUNG
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The German Council on Foreign Relations (DGAP) discusses the deep contestations of the Liberal Script in contemporary America. INFOS & REGISTRATION
11.11.2024 – 18:00-19:00 Uhr, Magdeburg/online
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11.11.2024 – 20:30-21:30 Uhr, online
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12.11.2024 – 15:00-17:00 Uhr, online
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Der BDI informiert über Herausforderungen und gibt Praxistipps bei der Umsetzung der Nachhaltigkeitsberichterstattung in Deutschland. INFOS & ANMELDUNG
Nach einem längeren Verhandlungsprozess wurde die zukünftige Umweltkommissarin Jessika Roswall (EVP) am Mittwoch im Europaparlament bestätigt. Die Zweidrittelmehrheit im Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (ENVI) kam durch die Stimmen der EVP, EKR, S&D, Renew und der Grünen zustande.
Roswall hatte am Dienstagabend vor dem Ausschuss eine schwache Vorstellung gegeben. Sogar in ihrer eigenen Parteienfamilie gab es daraufhin Zweifel an ihrer Eignung als Kommissarin für Umwelt, Wasserresilienz und Kreislaufwirtschaft.
Zeitgleich mit Roswall stimmten vier Ausschüsse (DEVE, FEMM, LIBE und ENVI) auch der Bewerbung von Hadja Lahbib zu. Die belgische Außenministerin wird künftig für die Bereiche Resilienz, Krisenmanagement und Gleichstellung zuständig sein.
Während die Vorbehalte gegenüber der konservativen Roswall bei den liberalen und linken Parteien am größten war, kam die Kritik an der Liberalen Lahbib vor allem aus der EVP. Vertreter von EVP und Renew zeigten sich nach den Abstimmungen aber zufrieden damit, dass ihre Kandidatinnen als Teil eines größeren Verhandlungspakets bestätigt wurden.
Tiemo Wölken, S&D-Koordinator im ENVI-Ausschuss, begründete die Zustimmung auch seiner Gruppe zu Roswall damit, dass durch Rückfragen bei ihr einige unklare Punkte aus der Anhörung aufgeklärt werden konnten. “Nach reiflicher Überlegung” seien sich die Sozialdemokraten “sicher, dass sie fähig ist, den Job zu machen”.
Jutta Paulus, die für die Grünen im ENVI-Ausschuss sitzt, sagte zu Table.Briefings, dass Roswall immerhin eine gute Zuhörerin sei, die sich offen für Anregungen zeige. Außerdem sei unklar gewesen, ob die schwedische Regierung, die gestützt wird von den rechtsextremen und EU-skeptischen Schwedendemokraten, eine bessere Ersatzkandidatin gestellt hätte.
Teil des Verhandlungspakets war auch die Aufgabenverteilung zwischen dem ENVI-Ausschuss und dem zukünftigen Vollausschuss für Öffentliche Gesundheit (SANT), der bislang ein Unterausschuss ist. EVP, Renew und S&D einigten sich darauf, dass ENVI die Zuständigkeit für alle Themen im Zusammenhang mit Umwelt und Gesundheit behält. Im Gegenzug bekommt SANT, wie aus einem Table.Briefings vorliegenden Dokument hervorgeht, die Zuständigkeiten etwa für Medikamente und Gesundheitsvorsorge. Das Plenum des Parlaments muss der Einigung noch zustimmen. av
Die EVP will es nicht beim reinen Aufschub der Verordnung für entwaldungsfreie Lieferketten (EUDR) belassen: Die deutsche Abgeordnete Christine Schneider hat im Namen der Fraktion eine Reihe von inhaltlichen Änderungsanträgen eingebracht. Die Christdemokraten hatten den Text immer wieder als zu bürokratisch kritisiert. Sie fordern nun, aus ihrer Sicht unnötige Belastungen für Unternehmen zu streichen. Schneider schlägt zudem vor, die Anwendung der Regeln um zwei Jahre auf den 30. Dezember 2026 zu verschieben, statt wie von der Kommission vorgeschlagen um ein Jahr.
Händler will die EVP von den Erfordernissen der EUDR ausnehmen. Die Regeln würden nur noch für diejenigen gelten, die Produkte erstmals auf den EU-Markt bringen, also Erzeuger und Importeure. So würden Bürokratie und Preiserhöhungen vermieden, heißt es zur Begründung.
Die EVP-Änderungsanträge sehen überdies Erleichterungen für Produkte aus Ländern mit “vernachlässigbarem” Entwaldungsrisiko vor. Bisher unterscheidet der Text nur zwischen hohem, mittleren und niedrigen Risiko. Erzeuger oder Importeure von Produkten aus Ländern dieser neuen Kategorie müssten nicht mehr aktiv sicherstellen, dass diese ohne Abholzung hergestellt wurden – sondern nur, dass die Gesetze des Herkunftslands eingehalten wurden.
Viele in der Verordnung vorgegebene Sorgfaltspflichten fielen für diese Erzeugnisse weg. Und die EU-Länder müssten Unternehmen, die solche Produkte auf den Markt bringen, weniger häufig kontrollieren.
Wegen der knappen Zeit vor dem eigentlichen Inkrafttreten der Verordnung am 30. Dezember hatte der Rat in seiner Verhandlungsposition den Kommissionsvorschlag ohne Änderungen übernommen. Votiert das Parlament bei der Abstimmung kommende Woche für die EVP-Anträge, würden, anders als bisher geplant, Trilogverhandlungen nötig. Viel Zeit bliebe Rat und Parlament nicht, sich auf eine wortgleiche Version zu einigen. Fraktionskreise zeigen sich trotzdem zuversichtlich, dass auch in diesem Fall alles rechtzeitig unter Dach und Fach wäre.
Die Grünen haben sich klar gegen inhaltliche Änderungen gestellt, auch vonseiten der S&D hat Berichterstatterin Delara Burkhardt für diesen Fall Widerstand angekündigt. Dem Vernehmen nach hatten die Sozialdemokraten erfolglos versucht, im Gegenzug für ihre Zustimmung zur EVP-Politikerin Jessika Roswall als Umweltkommissarin die EVP vom Einreichen der Anträge abzubringen.
Auch ohne die Fraktionen von S&D und Grünen wäre eine Mehrheit für die Änderungen möglich. Dafür wäre die EVP allerdings auf die Rechtsaußen-Fraktionen im Parlament angewiesen. jd
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat sich vorgenommen, die EU-Berichts- und Informationspflichten für Unternehmen um mindestens 25 Prozent zu senken – für Mittelständler sogar um 35 Prozent. In der Behörde werden derzeit mögliche Anwendungsfälle zusammengetragen, die in der neuen Legislaturperiode umgesetzt werden sollen. Federführend sein soll der designierte Wirtschaftskommissar Valdis Dombrovskis, der an diesem Donnerstag im Europaparlament angehört wird.
Wirtschaftsverbände füttern die Kommission nun mit konkreten Vorschlägen. Der VDMA hatte vergangene Woche bereits ein Papier mit Vereinfachungsansätzen präsentiert, am Mittwoch legte nun die DIHK mehr als 50 Einzelvorschläge vor. Gesetze wie die Corporate Sustainability Reporting Richtlinie (CSRD) oder die Verordnung über entwaldungsfreie Lieferketten (EUDR) sollten “dringend vereinfacht bzw. überarbeitet werden”, heißt es darin.
Zudem mahnt die DIHK an, die Prinzipien der Besseren Rechtsetzung konsequent anzuwenden. Das beginne bei einer Folgenabschätzung der Kommission für alle wirtschaftsrelevanten Gesetze, die auch KMU-Tests und Wettbewerbsfähigkeitschecks enthielten. Diese Folgenabschätzungen sollten überdies im weiteren Gesetzgebungsverfahren aktualisiert werden. Zudem sollten die Kommissare nicht einfach über die Bewertungen des Regulatory Scrutiny Boards hinweggehen können.
Aus Sicht des Verbandes könnten bereits mit kleineren Änderungen eine große Entlastung der Unternehmen erreicht werden. Einige Beispiele:
Die Musikverwertungsgesellschaft Gema hat ihre KI-Charta veröffentlicht, die ethische Grundsätze für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Kreativbranche formuliert. Sie fordert faire Bedingungen zum Schutz menschlicher Kreativität und betont die Bedeutung geistiger Eigentumsrechte sowie eine angemessene Vergütung für Inhalte, die Entwickler beim Training von KI-Modellen nutzen.
“Unser Selbstverständnis ist, dass die menschliche Kreativität im Mittelpunkt steht und dass die Nutzung von menschlich geschaffenen Musikwerken im Kontext von generativer Kl transparent behandelt und fair vergütet werden muss”, erläuterte Gema-Chef Tobias Holzmüller.
In zehn Prinzipien verlangt die Charta unter anderem eine faire Beteiligung an der Wertschöpfung, den Schutz der Persönlichkeitsrechte und die Wahrung kultureller Vielfalt. KI-Anbieter sollen transparent über ihre Datenquellen informieren, europäische Vorgaben beachten und ihre Technologien verantwortungsvoll einsetzen.
Besonderen Fokus legt die Gema auf den AI Act. Sie sieht darin einen wichtigen Schritt, um Machtasymmetrien zwischen großen Digitalkonzernen und kleineren Akteuren in der Kreativwirtschaft zu verringern. Die Charta soll den AI Act ergänzen und mahnt zu verantwortungsbewusster Nutzung generativer KI. vis
Die Kommission hat eine formelle Untersuchung gegen Corning eingeleitet. Sie prüft, ob der US-Hersteller seine marktbeherrschende Stellung auf dem Weltmarkt für eine spezielle Glasart missbraucht hat. Dabei handelt es sich um besonders bruchfestes Glas (Alkali-AS-Glas). Verwender setzen es hauptsächlich zum Schutz der Bildschirme von tragbaren elektronischen Geräten wie Mobiltelefonen ein. Corning vertreibt es unter dem Namen “Gorilla Glass”.
Die Kommission befürchtet, dass das Unternehmen den Wettbewerb durch den Abschluss wettbewerbswidriger exklusiver Liefervereinbarungen mit Mobiltelefonherstellern und mit Unternehmen, die Rohglas verarbeiten, verzerrt haben könnte. Ein starker Wettbewerb bei der Herstellung des Schutzglases sei entscheidend, um niedrige Preise und hochwertiges Glas zu gewährleisten, sagte Margrethe Vestager, die scheidende Exekutiv-Vizepräsidentin für Wettbewerbspolitik.
Folgende Klauseln untersucht die Kommission:
Zudem soll das Unternehmen in seinen Vereinbarungen mit Rohglas verarbeitenden Unternehmen ebenfalls exklusive Kaufverpflichtungen sowie Klauseln zum Verzicht auf Anfechtungen von Cornings Patenten abgeschlossen haben. vis
welch ein Tag. Die USA wählen den Disruptor-in-Chief Donald Trump zum Präsidenten, in Deutschland zerbricht die Koalition. Die Welt ist am 6. November 2024 ein Stück weiter aus den Fugen geraten, so scheint es.
Für die Europäische Union sind vorgezogene Neuwahlen im wichtigsten Mitgliedstaat (wahrscheinlich im März) aber nicht notwendigerweise eine schlechte Nachricht. Die Ampel-Koalition wäre in ihrer Zerstrittenheit kaum noch handlungsfähig gewesen. Als Leitwolf für die anderen EU-Staaten hat sich Kanzler Olaf Scholz in den drei Jahren seiner Amtszeit ohnehin nicht aufgedrängt.
Wirklich besorgniserregend ist der tiefere Grund für das Scheitern der Ampel: die fehlende Kompromissbereitschaft der drei vermeintlichen Partner. Weder die SPD noch die Grünen und schon gar nicht die FDP waren zuletzt willens und in der Lage, über den Tellerrand ihrer Glaubenssätze hinwegzublicken. Scholz warf Christian Lindner deshalb in einer bemerkenswerten Abrechnung am Abend vor, “verantwortungslos” zu handeln. Doch der FDP-Chef taugt nicht als alleiniger Sündenbock.
Wenn Parteien der demokratischen Mitte aber nicht mehr fähig sind zur konstruktiven Zusammenarbeit, vertiefen sie die Polarisierung der Gesellschaft und ebnen den Weg für Demokratieverächter. Die USA stehen hierfür als mahnendes Beispiel.
Herr Juncker, was bedeutet die Rückkehr von Donald Trump für Europa?
Trump hat eine Sicht auf Europa, die nicht ultrainformiert und teilweise verquer ist. Er denkt, dass die Europäische Union eine Erfindung der Europäer gegen die USA wäre, was nicht stimmt. Man muss das gemeinsam Erreichte immer wieder betonen und mit Fakten unterlegen, für die er mal empfänglich ist und mal nicht. Wenn man mit ihm ins Gespräch kommt, wird sein Interesse an Europa größer.
Trump kommt in seine zweite Amtszeit besser vorbereitet als in seine erste 2016. Erwarten Sie, dass er noch aggressiver vorgehen wird?
Er wurde 2016 Präsident, ohne die Erwartung ernsthaft gehegt zu haben. Ich gehe davon aus, dass er heute besser vorbereitet ist. Für die Europäische Union gilt es dort anzuknüpfen, wo wir ihn 2020 seinem Schicksal überlassen haben.
Was konkret raten Sie?
Wir müssen ihm jetzt auf Augenhöhe begegnen und deutlich machen, dass die Europäische Union nicht nur ein zusammengewürfelter Haufen von Mitgliedstaaten ist, sondern eine gefestigte europäische Einheit. Es war stets das Bemühen aller amerikanischen Präsidenten, wie auch der russischen und der chinesischen Präsidenten, die Europäische Union in ihre Bestandteile zu zerlegen über bilaterale Kontakte mit den Regierungen. Wir müssen deutlich machen, dass wir fähig sind, wenn es darauf ankommt, uniform unsere Ansichten vorzubringen.
Ist die Europäische Union hier überhaupt einig und handlungsfähig?
Es kommt darauf an, dass wir eine einheitliche Sicht auf unsere Beziehungen zu den Vereinigten Staaten erreichen. Das ist ein mühsamer Prozess. Aber wenn uns das misslingt, werden wir in unserem Verhältnis zu Amerika immer die Nummer zwei bleiben.
Wer kann dabei die Führungsrolle übernehmen? Deutschland und Frankreich sind durch Regierungskrisen gelähmt.
Es setzt voraus, dass man die fragmentierte politische Landschaft Deutschlands wieder zusammenfügt. Und dass die französische Politik zeigt, dass sie sich nicht in Einzelteile zerlegt, wenn es um die Vertretung kontinentaler Interessen geht. Es wäre auch gut, wenn das deutsch-französische Verhältnis enger und gestaltungsmächtiger würde, als es zurzeit den Anschein hat.
Nationalistische Kräfte wie Ungarns Premier Viktor Orbán fühlen sich beflügelt durch den Wahlsieg von Donald Trump. Glauben Sie, dass diese Kräfte stärker werden – und damit auch die Zentrifugalkräfte in der EU?
Ich würde nicht sagen, dass ich das nicht befürchte. Man muss denjenigen, die den gemeinsamen Pfad verlassen, eines deutlich machen: Sie allein zählen im Verhältnis zu den USA nur vermeintlich, trotz aller ausgetauschten Zärtlichkeiten. Und dass wir unsere Interessen nur erfolgreich vertreten können, wenn wir mit einer Stimme sprechen. Das gilt vor allem für Handelsfragen.
Sie haben als Kommissionspräsident mit Trump verhandelt, um hohe Zölle auf europäische Autos abzuwenden.
Ich habe es 2018 geschafft, mit Trump einen Deal zu schließen, der den amerikanischen Handelskrieg gegen Europa zu Ende gebracht oder zumindest unterbrochen hat. Wenn man dem amerikanischen Präsidenten deutlich macht, dass in Handelsfragen die Europäische Kommission exklusiv zuständig ist, dann gelingt es uns, die europäische Stimme gleichberechtigt zur Kenntnis zu bringen.
Aus Ihren Gesprächen mit Donald Trump: Wie kann man am besten mit seiner Unberechenbarkeit umgehen?
Erstens: Man muss ihn ernst nehmen. Er ist der gewählte Präsident der Amerikaner, der die Zustimmung weiter Kreise der amerikanischen Gesellschaft sein Eigen nennen kann. Zweitens muss man versuchen, sich in den Verhandlungen zu vergegenwärtigen, was seine innenpolitischen Probleme sind. “America first” heißt ja, dass die amerikanische Innenpolitik dominant ist. Man muss also genauestens herausfinden, was die Erwartungen der Amerikaner sind und wo ein Entgegenkommen der Europäer es ermöglicht, globalere Deals abzuschließen als anfangs gedacht. 2018 sorgte sich Trump vor allem um die Farmer, darauf sind wir eingegangen.
Hielten Sie es für klug, ihm auch jetzt wieder ein Handelspaket für höhere US-Exporte nach Europa anzubieten, ähnlich wie Sie es damals gemacht haben?
Das hängt von den konkreten Schritten ab, die Trump einleiten wird. Ich gehe davon aus, dass er immer noch Probleme hat mit dem bilateralen Handelsbilanzdefizit der USA. Man muss ihm erklären, dass es nicht nur den Warenaustausch gibt, sondern auch den Austausch von Finanzdienstleistungen. Beides zusammen betrachtet, bewegen sich die USA in einem Plus im Austausch mit Europa. Darauf muss man immer wieder insistieren. Er ist nicht taub, wenn man europäische Argumente rational präsentiert und gleichzeitig darauf aufmerksam macht, dass europäische Anliegen teilweise auch amerikanische Anliegen sind.
Europa bleibt angesichts der geopolitischen Lage kaum etwas anderes übrig, als sich mit Trump zu arrangieren. China und Russland haben eine Allianz geschmiedet, mit Joe Biden geht nun ein überzeugter Transatlantiker.
Wir müssen uns in das komplizierte Verhältnis China-USA so einbringen, dass die Eigenmächtigkeit der Europäischen Union nicht von den anderen kleingeschrieben wird. Aber die Lage ist konfus. Ich weiß aus meinen Gesprächen mit Trump, dass er immer schon ein enges Verhältnis mit Russland anstrebte.
Zu Anfang seines ersten Mandats im Weißen Haus hat er größte Hochachtung vor dem chinesischen Staatspräsidenten geäußert, den er als weisen Führer beschrieb. Das Verhältnis USA-China hat sich verdunkelt in den vergangenen Jahren. Wir müssen versuchen, das De-Risking von China so zu machen, dass wir in den Augen der Chinesen nicht als bedingungslose Alliierte der USA erscheinen. Und wir müssen in unseren Kontakten mit den Amerikanern deutlich machen, dass man China nicht ins Abseits der internationalen Beziehungen drängen kann.
Nach dem Wahlsieg von Donald Trump ringt die Europäische Union um ihre Handlungsfähigkeit. Bei einem Abendessen in Budapest am Vorabend des informellen EU-Gipfels werden die Staats- und Regierungschefs heute über mögliche Konsequenzen diskutieren, Diplomaten erwarten eine “sehr offene” Aussprache. Gleich am Mittwochmorgen hatte Kanzler Olaf Scholz mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron telefoniert. Man werde sich in Budapest “eng abstimmen und das auch in den kommenden Wochen fortsetzen”, sagte Scholz.
Die innereuropäischen Diskussionen werden alles andere als einfach. Die meisten Staats- und Regierungschefs in der EU hatten auf einen anderen Wahlausgang gesetzt. Die Reaktionen von Scholz oder Macron klangen wie Beschwörungsformeln. Deutschland und die Vereinigten Staaten seien in einer “über Jahrzehnte gewachsenen Partnerschaft – ja, Freundschaft – verbunden”, sagte Scholz. “Deshalb gilt: We are better off together!”
Ganz anders Viktor Orbán: Ungarns Ministerpräsident gratulierte dem ehemaligen und künftigen US-Präsidenten Trump zum “größten Comeback” in der amerikanischen Geschichte. Es sei eine “dringend nötiger Sieg für die Welt”. Orbán sieht sich im Wettlauf um die Gunst des Rückkehrers in der Pole-Position.
Der Ungar wird seinen Draht zu Trump für eigene Zwecke nutzen wollen, um sein Gewicht in Europa zu erhöhen. Das werden auch andere nationalistische und rechtsradikale Kräfte versuchen, die Trump ideologisch nahestehen. In den Niederlanden gratulierte Geert Wilders dem Wahlsieger in Großbuchstaben. AfD-Chefin Alice Weidel setzt darauf, dass Trumps Comeback ihrer Partei bei den nächsten Wahlen Rückenwind verschafft. Italiens rechte Regierungschefin Giorgia Meloni gratulierte Trump und verwies darauf, Italien und die USA hätten “ein strategisches Band, das jetzt sicherlich noch gestärkt wird”.
Die traditionellen Schwergewichte fallen hingegen als Leitfiguren aus: die Scholz-Regierung ist zerbrochen. Macron wird sich in seinem Werben für mehr “europäische Souveränität” zwar bestätigt sehen, doch der Präsident hat viel Autorität eingebüßt. Polens Ministerpräsident Donald Tusk wiederum wird durch die Abhängigkeit seines Landes vom Sicherheitsgaranten USA gebremst.
So dürften Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und dem neuen Ratspräsidenten António Costa eine Führungsaufgabe zufallen. Sie müssen versuchen, die EU-Staaten zusammenzuhalten, wo Trump versucht, sie über bilaterale Angebote zu spalten. Die Gefahr ist real, dass die Zentrifugalkräfte stärker werden.
In Brüssel sprechen sich die Diplomaten Mut zu. Man will die gemeinsamen Interessen betonen und sich bereit zum Dialog zeigen. 2016 sei man überrascht worden, habe es dann aber rasch geschafft, eine Arbeitsgrundlage zu finden. Diesmal wisse man zumindest, was zu erwarten sei.
Moritz Schularick hält das für eine Illusion. “Der große Unterschied ist: Trump ist jetzt vorbereitet, und wir sind es nicht”, warnte der Präsident des Kiel Institut für Weltwirtschaft bei einer Veranstaltung von Table.Briefings. Einiges deutet darauf hin, dass der Rückkehrer seine Agenda diesmal ungebremst verfolgt und noch weniger Rücksicht auf Verbündete nehmen wird. Selbst wenn ihm diese – wie Orbán oder Wilders – ideologisch nahestehen: Hohe Zölle etwa würden auch die ungarische und die niederländische Wirtschaft treffen.
CDU-Chef Friedrich Merz sieht Trump ebenfalls in einer stärkeren Ausgangsposition als 2016, zumal die Republikaner auch Senat und Repräsentantenhaus kontrollieren. Merz erwartet, dass die Europäer sich nun mit “einer neuen Phase starken Protektionismus und sehr hoher Zölle konfrontiert sehen”.
Die EU solle darauf nicht mit Abschottung der eigenen Märkte reagieren, fordert er bei einer Veranstaltung am Jacques Delors Centre der Berliner Hertie School. Vielmehr solle sie abgespeckte Freihandelsabkommen mit Staaten wie Indien oder Indonesien anstreben – und womöglich sogar mit China. Dafür müsse aber die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen gestärkt werden.
Um einen Handelskrieg abzuwenden, könnte von der Leyen Trump einen Deal anbieten, der die US-Exporte nach Europa erhöht. Auf diesem Wege war es ihrem Vorgänger Jean-Claude Juncker gelungen, den US-Präsidenten von hohen Zöllen auf europäische Autos abzubringen. (Lesen Sie dazu auch das Interview in dieser Ausgabe). Für den Fall, dass Trump das Angebot ausschlägt und wie angedroht auf breiter Front die Zölle erhöht, bereitet die Kommission Gegenmaßnahmen vor.
Noch größer könnten die Herausforderungen für die Europäer in der Sicherheitspolitik werden. Die europäischen Verbündeten haben zwar in den vergangenen Jahren mehr Verantwortung übernommen, wie Scholz betonte. Die höheren Verteidigungsetats sind aber noch immer viel zu gering, um auf den amerikanischen Schutzschirm verzichten zu können. Das Gleiche gilt für die Unterstützung der Ukraine, wo die USA nach wie vor die Hauptlast tragen, wenn es um Rüstungsgüter geht. Die sicherheitspolitische Abhängigkeit von den USA mache die EU wiederum “wirtschaftspolitisch total erpressbar”, sagt Schularick.
Es ist eher unwahrscheinlich, dass die Europäer die Kraft haben werden, die Lücke zu füllen, sollten die USA als Unterstützer der Ukraine ausfallen. Triumphiert Wladimir Putin in seinem Angriffskrieg gegen das Nachbarland, dann stellen sich für Europa ganz andere Fragen mit Blick auf die Sicherheit an der Ostflanke.
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius reiste am Mittwochabend nach Paris, um seinen französischen Kollegen Sébastien Lecornu zu treffen und ein Signal der deutsch-französischen Geschlossenheit zu senden. Das Treffen habe er seinem Amtskollegen am Mittwoch bei einem Telefonat “noch beim Frühstück” vorgeschlagen, sagte Pistorius. Der deutsche Verteidigungsminister kündigte an, innerhalb der nächsten zwei Wochen ein Treffen in Berlin mit den Verteidigungsministern Frankreichs, Polens, Großbritanniens und Italiens zu organisieren.
Von der Leyen will mit Andrius Kubilius zudem einen eigenen Verteidigungskommissar berufen, der vor allem das Hochfahren der Rüstungsproduktion unterstützen und die EU-Staaten anhalten soll, mehr Waffen gemeinsam zu beschaffen. Der Litauer sagte bei seiner Anhörung im EU-Parlament, es sei absehbar, dass die USA ihren Fokus auf die strategische Herausforderung durch China legten. Diese längerfristige Verschiebung mache eine eigenständige europäische Verteidigungsstrategie nötiger denn je. Kubilius verwies zudem auf Erkenntnisse der Nachrichtendienste, dass Russland bis Ende des Jahrzehnts EU und Nato auf die Probe stellen könnten.
Europa müsse mehr Geld für Verteidigung in die Hand nehmen, die Mittel besser einsetzen und diese möglichst auch in Europa ausgeben, betonte Kubilius. Das knappe Geld müsse man verwenden, um die europäische Rüstungsindustrie zu stärken. Im Kriegsfall sei es wichtig, dass die Rüstungsindustrie nicht zu weit weg von der Frontlinie produziere. Die EU-Staaten bräuchten zudem Waffen, deren Verwendung nicht an irgendwelche Bedingungen geknüpft sei. Kubilius bezifferte den Bedarf für die nächsten Jahre auf 500 Milliarden Euro.
Der Kandidat für den Posten des Kommissars für Gesundheit und Tierwohl, Olivér Várhelyi, hat eine ausgesprochene EU-Biografie. Mit seinem Lebenslauf geht er bei der Anhörung der Ausschüsse Agrar und Umwelt, AGRI und ENVI, offensiv um. Der 52-jährige Jurist, der nicht der Fidesz-Partei von Viktor Orbán angehört, führt in leicht US-amerikanisch gefärbtem Englisch in seinen einleitenden Worten ausführlich aus, was er alles schon in Brüssel gemacht hat: Er war unter anderem Referatsleiter in der Kommission, Ständiger Vertreter seines Landes bei der EU und die vergangenen fünf Jahren Erweiterungskommissar in der Von-der-Leyen-Kommission I.
Várhelyi war sichtlich bemüht, auf das Parlament zuzugehen. So antwortete er stets sachlich. Er entschuldigte sich zudem persönlich dafür, dass er im vergangenen Jahr im Europäischen Parlament in Straßburg die Abgeordneten als “Idioten” beschimpft hatte. Damit habe er niemanden persönlich gemeint. Der Ungar präsentierte fachlich überzeugend seine inhaltlichen Vorhaben in beiden großen Bereichen des Portfolios. Dabei macht er eine souveräne Figur und sagt nichts, was zu seinen Ungunsten ausgelegt werden könnte.
Dennoch wurde er nicht nominiert. In der Koordinatorenrunde verweigerten ihm Grüne, S&D und Liberale die Unterstützung. EKR und die beiden rechtsradikalen Fraktionen stimmten für ihn. Die EVP hatte keine Einwände gegen seinen Auftritt, wollte sich aber nicht den Fraktionen der Rechtsradikalen anschließen.
Orbán hatte gedroht, seinen Kandidaten zurückzuziehen, falls er in eine zweite mündliche Anhörung müsste. Die EVP setzte schließlich durch, dass Várhelyi neue schriftliche Fragen beantworten muss, die am Montag vorliegen müssen. Die Koordinatorenrunde soll am Montag dann über die Nominierung entscheiden, für die weiterhin eine Zweidrittel-Mehrheit nötig ist. Der Druck auf die Sozialisten sollte dann groß sein mitzustimmen, weil einen Tag später die Sozialistin Teresa Ribera als Exekutiv-Vizepräsidentin zur Anhörung kommt. Eine Zurückweisung Várhelyis könnte ihre Chancen auf die nötige Mehrheit deutlich verschlechtern.
Bevor die dreistündige Anhörung stattfand, war es zu einem Eklat gekommen. S&D, Renew und Grüne machten deutlich, dass Várhelyi – wie auch immer er sich später schlagen würde – ohnehin in eine zweite Anhörung müsse. Gegen die Ansage, dass er ungeachtet seiner Performance nachsitzen müsse, soll der Kandidat protestiert und gedroht haben, von der Bewerbung zurückzutreten.
Daraufhin kam es nach Informationen von Table.Briefings zu einer Krisensitzung der Fraktionschefs Manfred Weber (EVP), Iratxe Gárcia (S&D) und Válerie Hayer (Renew). Auch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen soll dabei gewesen sein. Offenbar gelang es, die Wogen zu glätten. Es wurde beschlossen, dass auch Várhelyi eine Chance bekommen solle, so wie alle anderen Kommissare.
Es gehe darum, die Gesundheit der Bürger zu verbessern, sagte Várhelyi. Seine Vorhaben:
In den anschließenden vier Fragerunden wurde deutlich, dass der Kandidat auf große Vorbehalte bei den Abgeordneten stößt. Vor allem die Abgeordneten des eher links aufgestellten ENVI unterstellten in ihren Fragen eine große politische Nähe zu Viktor Orbán. So rügte EVP-Koordinator Peter Liese, dass Ungarn den russischen Covid-Impfstoff Sputnik gespritzt hat. Der Kandidat ließ sich aber nicht aus der Ruhe bringen und betonte auch auf Nachfrage, dass die EU-Arzneimittelagentur EMA die einzig legitime Zulassungsbehörde sei. Dies würde auch im Fall einer neuen Pandemie so bleiben.
Der S&D-Koordinator Christophe Clergeau forderte ein Bekenntnis dazu, dass Transgeschlechtlichkeit nicht als Krankheit behandelt werden soll. Außerdem verlangte er von Várhelyi die Zusicherung, sich für einen EU-Plan für die legalisierte und entkriminalisierte Abtreibung einzusetzen. Auch auf Nachfrage blieb der Kandidat dabei, dass Abtreibung in die Kompetenz der Mitgliedstaaten falle.
Nach konkreten Maßnahmen gefragt, die er in den ersten hundert Tagen zur Verbesserung des Tierwohls realisieren wolle, nannte Várhelyi Tiertransporte und Käfighaltung. Er sprach dann einen aktuellen Fall von eklatanter Tierquälerei bei einem Viehtransport an der bulgarisch-türkischen Grenze an und sagte: “Zunächst einmal muss ich durchsetzen, dass die bestehenden Regeln für Tiertransporte auch eingehalten werden.”
Als die deutsche AfD-Abgeordnete Anja Arndt sich als Impfkritikerin outete und um Unterstützung für die Gegner von Covid-Impfungen bat, distanzierte er sich ausdrücklich. Daraufhin bekam er breiten Applaus. Er habe keinen Zweifel daran, dass die von der EMA zugelassenen Impfstoffe sicher seien.
Sie ließ sich auch von technischen Fragen nicht aus dem Konzept bringen: Maria Luís Albuquerque, ehemalige portugiesische Finanzministerin, langjährige Angestellte der Finanzverwaltung und zuletzt Bankerin, kennt sich in ihrer Materie aus. Das honorierten die Koordinatoren des Wirtschaftsausschusses (ECON) des EU-Parlaments, indem sie Albuquerque als Finanzmarktkommissarin bestätigten. Nur die Linksfraktion und die rechtsextreme ESN-Fraktion stimmten in der Abstimmung der Koordinatoren gegen Albuquerque, wie mehrere Parlamentsquellen bestätigen.
Albuquerque meisterte ihre Anhörung, ohne große Versprechen an das Parlament zu machen, die über den Inhalt ihres Mission Letters hinausgehen. Sie vermied es, bei den wichtigen Fraktionen anzuecken. Ausschussmitglied Markus Ferber (CSU) sagte, er sei “sehr zufrieden” mit dem, was die designierte Kommissarin in der dreistündigen Anhörung gesagt habe. Auch die grüne Koordinatorin Kira Marie Peter-Hansen und die liberale Koordinatorin Stéphanie Yon-Courtin äußerten sich positiv.
Albuquerques Positionen waren in praktisch allen Themen gemäßigt:
Von links und rechts gab es kritische Nachfragen zu Albuquerques beruflicher Vergangenheit. Kurz nach ihrer Amtszeit als portugiesische Finanzministerin wurde sie für einen in London ansässigen Asset Manager tätig, während sie weiterhin im portugiesischen Parlament saß. Bis vor kurzem war sie zudem bei der europäischen Filiale von Morgan Stanley aktiv.
Albuquerque versicherte den Parlamentariern, dass sie als Non-executive director nicht direkt mit den Entscheidungen des Tagesgeschäfts zu tun gehabt hätte. Stattdessen habe sie eine überwachende Rolle innerhalb der Unternehmen innegehabt. Es sei unter anderem darum gegangen, sicherzustellen, dass die geltenden Regulierungen eingehalten werden.
Jozef Síkela will als designierter EU-Kommissar für internationale Partnerschaften Brüssels Infrastrukturinitiative Global Gateway vorantreiben. Am Mittwoch wurde er für den Posten bestätigt. Bei der Anhörung im EU-Parlament wurde klar: Die EU hadert weiterhin mit der Definition der Initiative, die nach Selbstbeschreibung eine Alternative zu Chinas Belt and Road-Initiative (BRI) sein soll. Ist Global Gateway öffentliche Entwicklungshilfe, “Partnerschaft auf Augenhöhe” mit Investments – oder beides?
Bei Síkelas Hearing wurden alle Beschreibungen genannt. Die EU will einen “Team Europe”-Ansatz verfolgen – doch die Definition bleibt schwammig, beispielsweise hinsichtlich der Frage, wie viele Mittel aus welchen Quellen kommen und wer zuständig ist. Das hat es Global Gateway zuletzt nicht leicht gemacht, sich nach außen hin zu präsentieren. Der designierte EU-Kommissar möchte das ändern, unter anderem durch engeren Kontakt zu zivilgesellschaftlichen Organisationen in den Partnerländern. “Wir brauchen mehr Sichtbarkeit.”
Klar ist laut Síkela: Global Gateway muss dringend massive Mittel aus dem Privatbereich akquirieren. Der Banker will dazu enger mit den Entwicklungsbanken in den EU-Staaten und der Europäischen Investitionsbank (EIB) zusammenarbeiten. Auch in Marketing und Kommunikation sieht Síkela noch Arbeit, um Global Gateway von “Start-up zu Scale–up” zu bringen.
Der Tscheche umriss zum Einstieg sechs Punkte zur erfolgreichen Umsetzung von Global Gateway:
Síkela kritisierte bei seinem Hearing offen die BRI: “Unsere Partner brauchen mehr von Europa. In letzter Zeit haben sie jedoch mehr Aufmerksamkeit von durchsetzungsstarken Akteuren mit aggressiven Ansätzen erhalten, die wenig Entwicklung und wenige klare Vorteile bringen”, sagte der er in einer deutlichen Anspielung auf China. Die Volksrepublik leiste mit der BRI keine gute Arbeit, sagte Síkela: “In einigen Ländern herrscht große Enttäuschung über die chinesischen Aktivitäten”, sagte Síkela und nannte als Beispiel die Rechte indigener Völker in Bezug auf Landraub. “Ich habe einen starken Ruf nach mehr europäischer Präsenz erhalten.”
Vage blieb der Politiker bei den Themen Transparenz und Nachverfolgung. “Natürlich muss es eine Messbarkeit geben”, sagte Síkela. Er sei bereit, die Handlungsmöglichkeiten dafür zu diskutieren. Die EU-Parlamentarier kritisierten, dass die Kontrolle von Global Gateway und die damit zusammenhängende Nutzung von Steuergeldern bisher schwierig war – weil es keine Informationen gab. Síkela versprach in diesem Bereich Verbesserung. “Ich habe kein Problem mit Überwachung.”
“Ich hoffe sehr, dass wir Herrn Síkela heute davon überzeugen konnten, Global Gateway 2.0 voranzutreiben”, sagte der SPD-Europaabgeordnete Udo Bullmann zu Table.Briefings nach der Anhörung. “Er wird mit Global Gateway nur dann erfolgreich sein, wenn er sich in seiner Strategie an den UN-Nachhaltigkeitszielen orientiert und relevante Akteure, wie das Europäische Parlament als Haushaltsgesetzgeber, angemessen beteiligt.”
Den aktuellen Ansatz von Global Gateway sehe er kritisch, so Bullmann: “Nicht nur, weil wir unseren Partnerländern zu wenig Mitspracherecht gewähren, sondern auch, weil das Europäische Parlament und Organisationen der Zivilgesellschaft völlig unzureichend in die Bewertung der Ergebnisse einbezogen werden.”
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Nach einem längeren Verhandlungsprozess wurde die zukünftige Umweltkommissarin Jessika Roswall (EVP) am Mittwoch im Europaparlament bestätigt. Die Zweidrittelmehrheit im Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (ENVI) kam durch die Stimmen der EVP, EKR, S&D, Renew und der Grünen zustande.
Roswall hatte am Dienstagabend vor dem Ausschuss eine schwache Vorstellung gegeben. Sogar in ihrer eigenen Parteienfamilie gab es daraufhin Zweifel an ihrer Eignung als Kommissarin für Umwelt, Wasserresilienz und Kreislaufwirtschaft.
Zeitgleich mit Roswall stimmten vier Ausschüsse (DEVE, FEMM, LIBE und ENVI) auch der Bewerbung von Hadja Lahbib zu. Die belgische Außenministerin wird künftig für die Bereiche Resilienz, Krisenmanagement und Gleichstellung zuständig sein.
Während die Vorbehalte gegenüber der konservativen Roswall bei den liberalen und linken Parteien am größten war, kam die Kritik an der Liberalen Lahbib vor allem aus der EVP. Vertreter von EVP und Renew zeigten sich nach den Abstimmungen aber zufrieden damit, dass ihre Kandidatinnen als Teil eines größeren Verhandlungspakets bestätigt wurden.
Tiemo Wölken, S&D-Koordinator im ENVI-Ausschuss, begründete die Zustimmung auch seiner Gruppe zu Roswall damit, dass durch Rückfragen bei ihr einige unklare Punkte aus der Anhörung aufgeklärt werden konnten. “Nach reiflicher Überlegung” seien sich die Sozialdemokraten “sicher, dass sie fähig ist, den Job zu machen”.
Jutta Paulus, die für die Grünen im ENVI-Ausschuss sitzt, sagte zu Table.Briefings, dass Roswall immerhin eine gute Zuhörerin sei, die sich offen für Anregungen zeige. Außerdem sei unklar gewesen, ob die schwedische Regierung, die gestützt wird von den rechtsextremen und EU-skeptischen Schwedendemokraten, eine bessere Ersatzkandidatin gestellt hätte.
Teil des Verhandlungspakets war auch die Aufgabenverteilung zwischen dem ENVI-Ausschuss und dem zukünftigen Vollausschuss für Öffentliche Gesundheit (SANT), der bislang ein Unterausschuss ist. EVP, Renew und S&D einigten sich darauf, dass ENVI die Zuständigkeit für alle Themen im Zusammenhang mit Umwelt und Gesundheit behält. Im Gegenzug bekommt SANT, wie aus einem Table.Briefings vorliegenden Dokument hervorgeht, die Zuständigkeiten etwa für Medikamente und Gesundheitsvorsorge. Das Plenum des Parlaments muss der Einigung noch zustimmen. av
Die EVP will es nicht beim reinen Aufschub der Verordnung für entwaldungsfreie Lieferketten (EUDR) belassen: Die deutsche Abgeordnete Christine Schneider hat im Namen der Fraktion eine Reihe von inhaltlichen Änderungsanträgen eingebracht. Die Christdemokraten hatten den Text immer wieder als zu bürokratisch kritisiert. Sie fordern nun, aus ihrer Sicht unnötige Belastungen für Unternehmen zu streichen. Schneider schlägt zudem vor, die Anwendung der Regeln um zwei Jahre auf den 30. Dezember 2026 zu verschieben, statt wie von der Kommission vorgeschlagen um ein Jahr.
Händler will die EVP von den Erfordernissen der EUDR ausnehmen. Die Regeln würden nur noch für diejenigen gelten, die Produkte erstmals auf den EU-Markt bringen, also Erzeuger und Importeure. So würden Bürokratie und Preiserhöhungen vermieden, heißt es zur Begründung.
Die EVP-Änderungsanträge sehen überdies Erleichterungen für Produkte aus Ländern mit “vernachlässigbarem” Entwaldungsrisiko vor. Bisher unterscheidet der Text nur zwischen hohem, mittleren und niedrigen Risiko. Erzeuger oder Importeure von Produkten aus Ländern dieser neuen Kategorie müssten nicht mehr aktiv sicherstellen, dass diese ohne Abholzung hergestellt wurden – sondern nur, dass die Gesetze des Herkunftslands eingehalten wurden.
Viele in der Verordnung vorgegebene Sorgfaltspflichten fielen für diese Erzeugnisse weg. Und die EU-Länder müssten Unternehmen, die solche Produkte auf den Markt bringen, weniger häufig kontrollieren.
Wegen der knappen Zeit vor dem eigentlichen Inkrafttreten der Verordnung am 30. Dezember hatte der Rat in seiner Verhandlungsposition den Kommissionsvorschlag ohne Änderungen übernommen. Votiert das Parlament bei der Abstimmung kommende Woche für die EVP-Anträge, würden, anders als bisher geplant, Trilogverhandlungen nötig. Viel Zeit bliebe Rat und Parlament nicht, sich auf eine wortgleiche Version zu einigen. Fraktionskreise zeigen sich trotzdem zuversichtlich, dass auch in diesem Fall alles rechtzeitig unter Dach und Fach wäre.
Die Grünen haben sich klar gegen inhaltliche Änderungen gestellt, auch vonseiten der S&D hat Berichterstatterin Delara Burkhardt für diesen Fall Widerstand angekündigt. Dem Vernehmen nach hatten die Sozialdemokraten erfolglos versucht, im Gegenzug für ihre Zustimmung zur EVP-Politikerin Jessika Roswall als Umweltkommissarin die EVP vom Einreichen der Anträge abzubringen.
Auch ohne die Fraktionen von S&D und Grünen wäre eine Mehrheit für die Änderungen möglich. Dafür wäre die EVP allerdings auf die Rechtsaußen-Fraktionen im Parlament angewiesen. jd
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat sich vorgenommen, die EU-Berichts- und Informationspflichten für Unternehmen um mindestens 25 Prozent zu senken – für Mittelständler sogar um 35 Prozent. In der Behörde werden derzeit mögliche Anwendungsfälle zusammengetragen, die in der neuen Legislaturperiode umgesetzt werden sollen. Federführend sein soll der designierte Wirtschaftskommissar Valdis Dombrovskis, der an diesem Donnerstag im Europaparlament angehört wird.
Wirtschaftsverbände füttern die Kommission nun mit konkreten Vorschlägen. Der VDMA hatte vergangene Woche bereits ein Papier mit Vereinfachungsansätzen präsentiert, am Mittwoch legte nun die DIHK mehr als 50 Einzelvorschläge vor. Gesetze wie die Corporate Sustainability Reporting Richtlinie (CSRD) oder die Verordnung über entwaldungsfreie Lieferketten (EUDR) sollten “dringend vereinfacht bzw. überarbeitet werden”, heißt es darin.
Zudem mahnt die DIHK an, die Prinzipien der Besseren Rechtsetzung konsequent anzuwenden. Das beginne bei einer Folgenabschätzung der Kommission für alle wirtschaftsrelevanten Gesetze, die auch KMU-Tests und Wettbewerbsfähigkeitschecks enthielten. Diese Folgenabschätzungen sollten überdies im weiteren Gesetzgebungsverfahren aktualisiert werden. Zudem sollten die Kommissare nicht einfach über die Bewertungen des Regulatory Scrutiny Boards hinweggehen können.
Aus Sicht des Verbandes könnten bereits mit kleineren Änderungen eine große Entlastung der Unternehmen erreicht werden. Einige Beispiele:
Die Musikverwertungsgesellschaft Gema hat ihre KI-Charta veröffentlicht, die ethische Grundsätze für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Kreativbranche formuliert. Sie fordert faire Bedingungen zum Schutz menschlicher Kreativität und betont die Bedeutung geistiger Eigentumsrechte sowie eine angemessene Vergütung für Inhalte, die Entwickler beim Training von KI-Modellen nutzen.
“Unser Selbstverständnis ist, dass die menschliche Kreativität im Mittelpunkt steht und dass die Nutzung von menschlich geschaffenen Musikwerken im Kontext von generativer Kl transparent behandelt und fair vergütet werden muss”, erläuterte Gema-Chef Tobias Holzmüller.
In zehn Prinzipien verlangt die Charta unter anderem eine faire Beteiligung an der Wertschöpfung, den Schutz der Persönlichkeitsrechte und die Wahrung kultureller Vielfalt. KI-Anbieter sollen transparent über ihre Datenquellen informieren, europäische Vorgaben beachten und ihre Technologien verantwortungsvoll einsetzen.
Besonderen Fokus legt die Gema auf den AI Act. Sie sieht darin einen wichtigen Schritt, um Machtasymmetrien zwischen großen Digitalkonzernen und kleineren Akteuren in der Kreativwirtschaft zu verringern. Die Charta soll den AI Act ergänzen und mahnt zu verantwortungsbewusster Nutzung generativer KI. vis
Die Kommission hat eine formelle Untersuchung gegen Corning eingeleitet. Sie prüft, ob der US-Hersteller seine marktbeherrschende Stellung auf dem Weltmarkt für eine spezielle Glasart missbraucht hat. Dabei handelt es sich um besonders bruchfestes Glas (Alkali-AS-Glas). Verwender setzen es hauptsächlich zum Schutz der Bildschirme von tragbaren elektronischen Geräten wie Mobiltelefonen ein. Corning vertreibt es unter dem Namen “Gorilla Glass”.
Die Kommission befürchtet, dass das Unternehmen den Wettbewerb durch den Abschluss wettbewerbswidriger exklusiver Liefervereinbarungen mit Mobiltelefonherstellern und mit Unternehmen, die Rohglas verarbeiten, verzerrt haben könnte. Ein starker Wettbewerb bei der Herstellung des Schutzglases sei entscheidend, um niedrige Preise und hochwertiges Glas zu gewährleisten, sagte Margrethe Vestager, die scheidende Exekutiv-Vizepräsidentin für Wettbewerbspolitik.
Folgende Klauseln untersucht die Kommission:
Zudem soll das Unternehmen in seinen Vereinbarungen mit Rohglas verarbeitenden Unternehmen ebenfalls exklusive Kaufverpflichtungen sowie Klauseln zum Verzicht auf Anfechtungen von Cornings Patenten abgeschlossen haben. vis