das Jahr 2023 war ein anstrengendes. Die Regierenden in Europa mussten immer neue Probleme und Konflikte bewältigen, die Polykrise brachte sie vielerorts an die Belastungsgrenze. Eine wachsende Zahl von Bürgern zweifelt inzwischen an der Tatkraft ihrer demokratisch gewählten Repräsentanten und wendet sich autoritären Parteien und Politikern zu. Bis zur Europawahl im Juni wird die proeuropäische Mitte möglichst viele Wählerinnen und Wähler überzeugen müssen, sich nicht den Sirenengesängen vom rechten und linken Rand hinzugeben. Sonst wird der Gestaltungsspielraum noch enger.
In dieser letzten Ausgabe des Europe.Table für 2023 analysieren wir noch einmal die großen Linien des zu Ende gehenden Jahres, und Europas Antworten darauf. Es war geprägt von den Kriegen in der Ukraine und in Gaza, den Ausläufern der Energiekrise und der wachsenden Sorge um die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie. Zugleich haben Chat GPT und Co auch Nicht-Nerds wie mir vor Augen geführt, wozu künstliche Intelligenz bereits fähig ist.
In der Weihnachtswoche halten wir Sie über das aktuelle Geschehen auf dem Laufenden, und zwar mithilfe von 100Headlines, dem aktuellen News-Überblick für die Table.Media-Community. Ab dem 2. Januar finden Sie den Europe.Table wieder wie gewohnt in Ihrem Postfach. Dann werden wir in einer Reihe von Artikeln analysieren, welche Trends wir für das kommende Jahr erwarten.
Bis dahin wünsche ich Ihnen erholsame Feiertage und ein frohes Weihnachtsfest.
Seit bald zwei Jahren tobt der Krieg in der Ukraine, und den europäischen Regierungen scheint zunehmend mulmig zu Mute zu werden: Die ukrainische Sommeroffensive hat nicht den erhofften Erfolg gebracht, Russlands Kriegsmaschinerie läuft auf Hochtouren, und selbst geschätzt 300.000 getötete oder verwundete Soldaten erträgt die russische Gesellschaft weitgehend geräuschlos.
Europas Rüstungsindustrie hingegen verharrt im Normalmodus, die EU wird wohl nicht wie versprochen eine Million Artilleriegeschosse an die Ukraine liefern. Nun könnten auch noch die USA als wichtigster Unterstützer Kiews ausfallen, wenn die Republikaner im Kongress weiter die Haushaltsmittel blockieren. Anders als zu Beginn des Gazakrieges halten die EU-Staats- und Regierungschefs die Reihen bislang aber weitgehend geschlossen, mit Ausnahme des ungarischen Querulanten Viktor Orbán. Mitte Dezember rangen sie sich durch, Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine aufzunehmen. Die finanzielle Hilfe soll bei einem Sondergipfel am 1. Februar beschlossen werden.
Angespannt bleibt das Verhältnis zu Peking. Anfang Dezember fand der erste persönliche EU-China-Gipfel seit Ende der Coronapandemie statt. Peking versuchte, mit kleinen Zugeständnissen die Kritik an Ungleichgewichten im Handel zu besänftigen. Aber die Sorge ist groß, dass Staatschef Xi Jinping versuchen wird, Taiwan notfalls militärisch anzugliedern. tho
Aufbruch und Krisenmanagement – das Treffen der Energieminister kurz vor Weihnachten stand für die Stimmung im Jahr 2023. Mehrere bilaterale Abkommen sollten die Erneuerbaren, den Netzausbau und den Abschied von den Fossilen voranbringen. Doch die Minister verlängerten auch die Notverordnungen aus der Energiekrise, die eigentlich zum Jahresende auslaufen sollten. Noch immer grassiert die Furcht vor Preissprüngen, aber das anhaltende Notregime passt auch zum neuen Dirigismus in der Wirtschafts- und Energiepolitik.
Als größte Errungenschaft gilt in Deutschland die Planungsbeschleunigung für erneuerbare Energien – erst in der Notverordnung und dauerhaft in der RED III. Doch ob der Verzicht auf einen einzelnen Genehmigungsschritt tatsächlich zur erhofften Beschleunigung führt, ist für Naturschützer noch nicht ausgemacht. “Die Reformen bringen nicht viel Rechtsklarheit, und Umweltverträglichkeitsprüfungen waren noch nie ein Problem”, sagt Nabu-Jurist Raphael Weyland. “Manche Betreiber sagen uns, sie werden trotzdem eine UVP machen, um auf der sicheren Seite zu sein.”
Die meisten Auseinandersetzungen gab es neben der Gebäuderichtlinie (EPBD) um die Strommarktreform. Während erstere klimapolitisch kaputtverhandelt wurde, ist der Streit um billigen französischen Industriestrom nicht wirklich gelöst. Die Bundesregierung konnte lediglich einen polittaktischen Absatz in die Ratsposition hineinverhandeln, der die Generaldirektion Wettbewerb quasi unter Beobachtung stellt, damit sie ihrer Rolle auch wirklich nachkommt. Doch rein rechtlich ist das nichts anderes als der Status quo.
Der vielleicht noch größere Gewinn für Frankreich: Ministerin Agnès Pannier-Runacher nutzte die Verhandlungen, um eine Nuklear-Allianz mit zehn anderen Mitgliedstaaten zu schmieden. Deren Sperrminorität kann sich Frankreich in Zukunft bei vielen anderen Verhandlungen zunutze machen – wie es sich schon bei den Energiezielen für 2040 abzeichnet. ber
Es waren drei Buchstaben, die vor einem Jahr eine Art Panik in Brüssel auslösten: IRA. Der US-Inflation Reduction Act schürte auf dem Höhepunkt der Energiekrise in Europa die Angst vor einem Exodus der Industrie. So weit ist es im abgelaufenen Jahr nicht gekommen, aber die hohen Tax Credits locken doch etliche Clean–Tech-Investoren nach Amerika.
Die Investitionen in saubere Technologien sind stark gestiegen, allein im dritten Quartal flossen laut Rhodium Group 64 Milliarden Dollar. Es gibt bis heute keine belastbaren Zahlen, wie viele der Unternehmen im Gegenzug auf Investitionen in Europa verzichtet haben, dafür viel anekdotische Evidenz. Die Auswirkungen ließen sich angesichts langer Investitionszyklen erst mittelfristig beurteilen, urteilte die EU-Kommission im Herbst, man bleibe “höchst wachsam”.
Als Antwort auf den IRA legte die Behörde den Green Deal Industrial Plan vor, mit dem Net-Zero Industry Act als Kernstück. Der NZIA soll die Genehmigungsverfahren etwa für neue Windkraftprojekte verkürzen, ist aber im Gegensatz zum IRA nicht mit Milliardensummen an öffentlicher Förderung unterlegt. Das Gesetz werde daher “nicht ausreichen, um einen großen Schritt nach vorne zu machen”, urteilt Jannik Jansen, Fellow am Jacques Delors Centre der Hertie School. tho
2023 war das Jahr, in dem sich beim Kernprojekt dieser Legislatur erste Risse auftaten, die sich später sogar zu Gräben vergrößerten. Waren sich die großen Fraktionen im EU-Parlament bei den Gesetzesvorhaben des Green Deal zuvor im Grundsatz einig, zerbrach der Konsens in diesem Jahr mehrfach. Meist im Zentrum des Geschehens: Manfred Weber.
Der EVP-Chef forderte im Mai ein Gesetzesmoratorium, um zusätzliche Belastungen für Landwirte und Lebensmittelindustrie zu verhindern. Zuvor hatte die Kommission das dritte Gesetzespaket vorgelegt – bestehend unter anderem aus strengeren Regeln für die Pestizidreduktion und die Wiederherstellung der Natur. Beide Gesetze gefährdeten laut Weber und seiner Fraktion die Wettbewerbsfähigkeit des Sektors und sollten nach ihrem Dafürhalten zurückgezogen werden. Die Pestizide-Verordnung beerdigte die EVP schließlich im Plenum. Beim Renaturierungsgesetz musste sie hingegen im Trilog an den Verhandlungstisch zurückkehren.
Grüne, Sozialdemokraten und einige Liberale sehen in der EVP-Position einen Rechtsruck des Parlaments und eine fundamentale Ablehnung von Umwelt- und Klimaschutz. Sie befürchten, es könnte nach der anstehenden Europawahl im Juni 2024 noch schwieriger werden, progressive Klimapolitik zu betreiben, wenn das Parlament spürbar nach rechts rücken sollte. luk
Ähnlich konfrontativ und ideologisch liefen die Diskussionen zum Verbrenner-Aus ab – allerdings mit anderen Protagonisten. Auf der einen Seite Volker Wissing, FDP-Verkehrsminister und bekennender E-Fuel-Fan. Auf der anderen Seite Frans Timmermans, damals noch Alleinherrscher über die europäische Klimapolitik und energischer Gegner von E-Fuels in Pkw.
Wissing verlangte einen Kommissionsvorschlag, wie Verbrennerfahrzeuge auch nach 2035 noch zugelassen werden können, wenn sie ausschließlich mit E-Fuels betankt und somit CO₂-neutral betrieben werden könnten. Und weil dieser Vorschlag zum Zeitpunkt der Abstimmung im Rat über die Revision der Pkw-Flottengrenzwertenoch nicht vorlag, legte Wissing in letzter Minute sein Veto ein.
Wochenlang stritten sich Timmermans und Wissing, wer wann einen Vorschlag vorlegt. Sie einigten sich schließlich und die Kommission erarbeitete einen delegierten Rechtsakt. Dieser droht nun jedoch an einer fehlenden Einigung unter den Mitgliedstaaten zu scheitern – und damit auch eine Lösung für E-Fuel-Pkw. luk
Streitträchtig war auch die Frage, ob und wie Unternehmen über ihre Nachhaltigkeitsbemühungen berichten sollen. Gleich mehrere Gesetzesvorhaben sehen umfangreiche Berichtspflichten vor: die grüne Taxonomie, die Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) und die Offenlegungsverordnung für nachhaltige Finanzen (SFDR). Auch das EU-Sorgfaltspflichtengesetz, über das sich die EU-Institutionen im Dezember geeinigt haben, sieht Berichtspflichten vor – allerdings nur für Unternehmen, die nicht schon nach der CSRD berichten.
Die Industrie ging auf die Barrikaden, denn sie fürchtet wegen des bürokratischen Mehraufwands um die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Europas. Auch der Verwaltung fehlen Kapazitäten für die Umsetzung und Kontrolle der neuen Gesetzesvorhaben. Diese Sorgen sind längst in der Politik angekommen: Im Mai forderte der französische Präsident Emmanuel Macron eine “Regulierungspause” von der EU, um die Industrie nicht zu überlasten. Auch die Bundesregierung versprach Maßnahmen zum Bürokratieabbau und verkündete, sich gemeinsam mit Frankreich auch auf EU-Ebene dafür einzusetzen.
Auf der anderen Seite fordern Befürworter der Gesetzesvorhaben wirksame Maßnahmen gegen die negativen Auswirkungen von Wirtschaftsaktivitäten. Unternehmen sollen Verantwortung für ihr Wirtschaften und ihre globalen Lieferketten übernehmen, also Umwelt- und Menschenrechtsstandards einhalten. Dies gelinge am besten, wenn Unternehmen verpflichtet seien, diese Informationen offenzulegen. leo
Künstliche Intelligenz wird die Wirtschaft grundlegend verändern. Europa hat sich vorgenommen, mit dem AI Act eine Basis für diese mächtige Technologie zu legen, die im Einklang mit europäischen Werten steht. Nach einem dreitägigen Verhandlungsmarathon schlossen Rat, Parlament und Kommission am 8. Dezember einen politischen Deal.
Die wichtigsten Punkte: Es bleibt bei einer anwendungsorientierten Regulierung mit einem risikobasierten Ansatz, wonach einige Praktiken wie Social Scoring und Predictive Policing verboten sind. Auch biometrische Echtzeiterkennung im öffentlichen Raum ist verboten, es gibt aber Ausnahmen für die Strafverfolgung unter strengen Voraussetzungen. Ansonsten werden nur Hochrisikosysteme reguliert. General Purpose AI (GPAI) unterliegt Mindestregeln. Nur für GPAI-Modelle, die systemische Risiken bergen, gelten hohe Anforderungen.
Trotz der politischen Einigung ist der Weg ist noch weit, bis Mitgliedstaaten und Parlament den AI Act final angenommen haben. Die Details handeln die Trilog-Parteien noch auf technischer Ebene aus. Nach aktuellen Planungen wollen sie diese Arbeit bis Anfang Februar abschließen. Aus verhandlungsnahen Kreisen ist zu hören, dass BMWK und BMDV verschiedener Ansicht sind, ob sie dem Trilog-Ergebnis zustimmen wollen oder nicht. vis
In der Wirtschaft kaum weniger umstritten als der AI Act war ein weiteres Digitalgesetz, der Data Act. Sein Ziel: harmonisierte Vorschriften für den fairen Zugang zu und die Nutzung von Daten von vernetzten Geräten zu schaffen. Es geht also um nicht weniger als um die Errichtung eines europäischen Binnenmarkts für Daten. Dieser bildet auch eine wichtige Basis für die Entwicklung Künstlicher Intelligenz.
Im November haben Parlament und Rat den Data Act angenommen. Nach der Veröffentlichung im Amtsblatt der EU läuft eine Übergangsfrist von 20 Monaten. Dann gilt die Verordnung europaweit. Sie etabliert ein Eigentumsrecht im digitalen Raum, schafft mehr Wettbewerb und ermöglicht neue Geschäftsmodelle. Während sich die Nutzer von Geräten und Maschinen mit einer Gruppe von Unternehmen darauf freuen, endlich Zugang zu den von ihren Produkten erzeugten Daten zu erhalten, bangt eine andere Gruppe um die Wahrung ihrer Geschäftsgeheimnisse. Diese waren auch das umstrittenste Thema aus deutscher Sicht.
Unternehmensverbände kritisieren, dass viele Regelungen des Gesetzes immer noch nicht eindeutig oder widersprüchlich seien. Dies gilt insbesondere dort, wo nicht ganz klar ist, ob es sich nun um personenbezogene Daten handelt oder nicht. Auch bräuchten Unternehmen einen Vorlauf, um sich ausreichend vorzubereiten. Tatsächlich wissen gerade viele kleine und mittelständische Unternehmen wohl noch nicht, dass sie künftig nicht nur Zugang zu Daten erhalten können, sondern selbst als Hüter großer Datenschätze diese künftig auf Verlangen auch teilen müssen. vis
In vielen europäischen Ländern drängen nationalistische und rechtsradikale Parteien an die Macht, in Polen wurde die nationalkonservative PiS gerade nach achtjähriger Herrschaft abgewählt. Der Sieg der demokratischen Opposition hat ein Gesicht: Donald Tusk. Dem 66-jährigen früheren Präsidenten des Europäischen Rates gelang der Streich, obwohl die PiS ungehemmt das Staatsfernsehen und andere Institutionen für ihre Zwecke instrumentalisierte.
Tusk gelang es, die apolitischen Gruppen der Bevölkerung zu mobilisieren. Er präsentierte sich als Kämpfer für die Demokratie, für die bürgerlichen Freiheiten und den Rechtsstaat – und als Gegner des absoluten Abtreibungsverbots der PiS. Bei jungen und weiblichen Wählern in größeren Städten kam das gut an.
Der neue-alte Ministerpräsident will nun aus Fehlern seiner ersten Amtszeit lernen: Sein liberaler Wirtschaftskurs sorgte für Wachstum, verursachte aber auch soziale Spannungen. Nach der Amtseinführung versprach er nun, einen offenen Dialog mit der Bevölkerung zu führen und mehr Empathie zu zeigen. ryb
Margrethe Vestager ist seit Kurzem zurück auf ihrem alten Posten als Wettbewerbskommissarin – wenn auch unfreiwillig. Die Dänin hatte sich darum beworben, Präsidentin der Europäischen Investitionsbank zu werden, zog aber den Kürzeren gegen Spaniens Wirtschaftsministerin Nadia Calviño. Nach Kanzler Olaf Scholz schlug sich in letzter Minute auch Emmanuel Macron auf die Seite Calviños, obwohl Frankreichs Staatspräsident dem gleichen politischen liberalen Lager angehört wie Vestager.
Es war der passende Abschluss eines gebrauchten Jahres für die 55-Jährige. Die europäischen Gerichte kassierten mehrere ihrer Entscheidungen, zuletzt zur Steuervermeidung von Amazon, die ihr als Wettbewerbshüterin zu internationaler Prominenz verholfen hatten. In der Kommission rieb sie sich in vielen Machtkämpfen mit Binnenmarktkommissar Thierry Breton auf. Dessen interventionistischer Ansatz passt besser in den Zeitgeist als Vestagers marktwirtschaftliche Prinzipien.
Kommissionschefin Ursula von der Leyen ließ ihren Vizepräsidenten zudem wenig Raum, sich zu profilieren. Frans Timmermans entschloss sich im Sommer zum Absprung in die niederländische Politik, wenngleich mit mäßigem Erfolg bei den Parlamentswahlen. Vestager muss sich nun nach neuen Aufgaben umschauen: Ihre Partei in Dänemark ist derzeit nicht an der Regierung beteiligt, die liberale Politikerin hat daher wenig Aussichten auf eine weitere Amtszeit als Kommissarin. tho
Europa hat einen weiteren Supercomputer: Am Donnerstag weihte das Hochleistungsrechenzentrum Barcelona den Supercomputer Mare Nostrum 5 ein. Die Maschine zählt gegenwärtig zu den zehn leistungsstärksten Hochleistungsrechnern der Welt. Ab März 2024 wird der Supercomputer für Nutzer aus Wissenschaft und Industrie zugänglich sein.
Mare Nostrum 5 kann 314 Billiarden Rechenoperationen pro Sekunde (314 Petaflops) durchführen. Außerdem ist er der umweltfreundlichste Supercomputer in Europa, weil er äußerst energieeffizient ist und mit nachhaltiger Energie betrieben wird, wie die Kommission mitteilte. Mit seiner Abwärme heizt er das Gebäude, in dem er steht.
Der Supercomputer ist für die Lösung komplexer wissenschaftlicher Probleme konzipiert. Darüber hinaus wird Mare Nostrum 5 andere strategische Maßnahmen wie die EU-Initiative Destination Earth zur Entwicklung eines hochpräzisen digitalen Modells der gesamten Erde und die Initiative European Virtual Human Twin (virtueller menschlicher Zwilling) unterstützen, die die Kommission zeitgleich initiierte.
Auch Entwickler von künstlicher Intelligenz (KI) sollen die Maschine nutzen. Der Hochleistungsrechner werde den Anforderungen neu entstehender KI-Plattformen gerecht und könne die Leistungsfähigkeit großer europäischer KI-Sprachmodelle steigern, teilte die Kommission mit. Wie von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen angekündigt, wird Mare Nostrum 5 auch europäischen KI-Start-ups zur Verfügung stehen, sodass sie damit ihre Modelle trainieren können.
Mare Nostrum 5 ist die größte Investition, die Europa jemals in eine wissenschaftliche Infrastruktur in Spanien getätigt hat. Die Gesamtkosten belaufen sich auf 202 Millionen Euro, von denen 151,4 Millionen Euro auf die Anschaffung der Maschine entfallen.
Sie wird je zur Hälfte von der europäischen Supercomputing-Initiative European High Performance Computing Joint Undertaking (EuroHPC JU) über die EU-Fazilität Connecting Europe und das Forschungs- und Innovationsprogramm Horizon 2020 sowie von den beteiligten Staaten Spanien, Türkei und Portugal finanziert.
Noch leistungsstärker werden die beiden Exascale-Supercomputer Jupiter im Forschungszentrum Jülich und Jules Verne im Großrechenzentrum in Bruyères-le-Châtel sein, die 2024 in Deutschland und Frankreich in Betrieb genommen werden.
Die italienische Abgeordnetenkammer hat die von den Euro-Staaten seit Jahren geplante Reform des Euro-Rettungsfonds ESM am Donnerstag mit großer Mehrheit abgelehnt. Im Parlament von Rom stimmten 184 Abgeordnete dagegen, die meisten davon aus dem rechten Regierungslager.
Für die Änderungen, auf die sich die Finanzminister der Euro-Staaten bereits vor drei Jahren geeinigt hatten, sprachen sich 72 Parlamentarier aus. 44 enthielten sich der Stimme. In Italien ist seit Oktober vergangenen Jahres unter Ministerpräsidentin Giorgia Meloni eine Koalition aus drei Rechtsparteien an der Regierung.
Die Euro-Staaten hatten sich bereits 2020 auf die Reform des ESM-Vertrags geeinigt. Damit die Änderungen in Kraft treten können, muss der Vertrag jedoch von den nationalen Parlamenten aller 19 Mitglieder ratifiziert werden. In allen anderen Ländern ist dies längst geschehen. Durch das Nein aus Italien ist das Vorhaben nun jedoch blockiert.
Ziel der Reform ist es einerseits, vorsorgliche Kreditlinien für Staaten in Wirtschafts- und Finanzkrisen zu erleichtern. Zugleich soll es eine Rückversicherung für die Bankenabwicklung geben. Dieser gemeinsame “Backstop” soll das Bankensystem Europas stärken und vor Finanzkrisen absichern.
Der ESM ist ein Fonds, aus dem Länder mit dem Euro als Währung im Krisenfall Kredite erhalten können, um ihre Zahlungsfähigkeit zu sichern. Er war 2012 gestartet worden. dpa
Nicht nur Artillerie und Drohnen fehlen der ukrainischen Armee, es gibt auch personelle Probleme: Die Debatte über eine Mobilmachung von bis zu 500.000 zusätzlichen Soldaten, sowie die Überlegungen, im Ausland lebende ukrainische Männer für den Fronteinsatz heranzuziehen, zeigen, unter welchem Druck die Armeeführung steht. Diskussionen über nicht ausreichende Rotationen werden in der Ukraine seit Kriegsbeginn geführt, umfangreiche Reformen für Personalgewinnung sind bereits in Arbeit.
In Deutschland zählte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zum Ende November genau 197.072 ukrainische Männer im Alter zwischen 25 und 60 Jahren, EU-weit sind es Hunderttausende mehr. In dieser gesetzlich festgelegten Altersspanne können die Männer eingezogen werden. Das heißt: derzeit eigentlich in der Altersspanne 27 bis 60 Jahren. Die untere Altersgrenze soll zwar nach einem vom Parlament im März 2023 verabschiedeten Gesetz auf 25 Jahre sinken, um die Reserve auszubauen. Doch Präsident Wolodymyr Selenskyj hat das Gesetz noch nicht unterzeichnet.
Jetzt plant das ukrainische Verteidigungsministerium, die im Ausland lebenden Ukrainer zum Einsatz “einzuladen”, wie Minister Rustem Umjerow es in einem Interview mit der “Bild”-Zeitung ausgedrückt hat. Selbst über Konsequenzen für diejenigen, die der “Einladung” nicht folgen, werde nachgedacht. Unklar ist, ob diese Pläne Selenskyj mitgetragen werden, er hatte sich eher zurückhaltend zu der Forderung des Militärs nach einer neuen, umfangreichen Mobilmachung geäußert.
Sollte Kiew tatsächlich mit Nachdruck ukrainische Männer aus der EU zur Rückkehr und für den Kriegsdienst gewinnen wollen, wird das absehbar zu diplomatischen Problemen führen. Deutschland hat erst vor einem Monat die Sonderregelung für die ukrainischen Geflüchteten bis März 2025 verlängert. Von den bis Anfang Dezember registrierten 1,26 Millionen ukrainischen Flüchtlingen haben 1,03 Millionen den Schutzstatus.
Seit Kriegsbeginn engagieren sich zudem Menschenrechtsgruppen wie Connection und Amnesty International für Asylschutz von Männern aus Russland, Belarus und Ukraine, die nicht am Krieg teilnehmen wollen. Doch bisher ist Verweigerung des Kriegsdienstes nur in Ausnahmefällen Grund für eine Asylgewährung. vf
das Jahr 2023 war ein anstrengendes. Die Regierenden in Europa mussten immer neue Probleme und Konflikte bewältigen, die Polykrise brachte sie vielerorts an die Belastungsgrenze. Eine wachsende Zahl von Bürgern zweifelt inzwischen an der Tatkraft ihrer demokratisch gewählten Repräsentanten und wendet sich autoritären Parteien und Politikern zu. Bis zur Europawahl im Juni wird die proeuropäische Mitte möglichst viele Wählerinnen und Wähler überzeugen müssen, sich nicht den Sirenengesängen vom rechten und linken Rand hinzugeben. Sonst wird der Gestaltungsspielraum noch enger.
In dieser letzten Ausgabe des Europe.Table für 2023 analysieren wir noch einmal die großen Linien des zu Ende gehenden Jahres, und Europas Antworten darauf. Es war geprägt von den Kriegen in der Ukraine und in Gaza, den Ausläufern der Energiekrise und der wachsenden Sorge um die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie. Zugleich haben Chat GPT und Co auch Nicht-Nerds wie mir vor Augen geführt, wozu künstliche Intelligenz bereits fähig ist.
In der Weihnachtswoche halten wir Sie über das aktuelle Geschehen auf dem Laufenden, und zwar mithilfe von 100Headlines, dem aktuellen News-Überblick für die Table.Media-Community. Ab dem 2. Januar finden Sie den Europe.Table wieder wie gewohnt in Ihrem Postfach. Dann werden wir in einer Reihe von Artikeln analysieren, welche Trends wir für das kommende Jahr erwarten.
Bis dahin wünsche ich Ihnen erholsame Feiertage und ein frohes Weihnachtsfest.
Seit bald zwei Jahren tobt der Krieg in der Ukraine, und den europäischen Regierungen scheint zunehmend mulmig zu Mute zu werden: Die ukrainische Sommeroffensive hat nicht den erhofften Erfolg gebracht, Russlands Kriegsmaschinerie läuft auf Hochtouren, und selbst geschätzt 300.000 getötete oder verwundete Soldaten erträgt die russische Gesellschaft weitgehend geräuschlos.
Europas Rüstungsindustrie hingegen verharrt im Normalmodus, die EU wird wohl nicht wie versprochen eine Million Artilleriegeschosse an die Ukraine liefern. Nun könnten auch noch die USA als wichtigster Unterstützer Kiews ausfallen, wenn die Republikaner im Kongress weiter die Haushaltsmittel blockieren. Anders als zu Beginn des Gazakrieges halten die EU-Staats- und Regierungschefs die Reihen bislang aber weitgehend geschlossen, mit Ausnahme des ungarischen Querulanten Viktor Orbán. Mitte Dezember rangen sie sich durch, Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine aufzunehmen. Die finanzielle Hilfe soll bei einem Sondergipfel am 1. Februar beschlossen werden.
Angespannt bleibt das Verhältnis zu Peking. Anfang Dezember fand der erste persönliche EU-China-Gipfel seit Ende der Coronapandemie statt. Peking versuchte, mit kleinen Zugeständnissen die Kritik an Ungleichgewichten im Handel zu besänftigen. Aber die Sorge ist groß, dass Staatschef Xi Jinping versuchen wird, Taiwan notfalls militärisch anzugliedern. tho
Aufbruch und Krisenmanagement – das Treffen der Energieminister kurz vor Weihnachten stand für die Stimmung im Jahr 2023. Mehrere bilaterale Abkommen sollten die Erneuerbaren, den Netzausbau und den Abschied von den Fossilen voranbringen. Doch die Minister verlängerten auch die Notverordnungen aus der Energiekrise, die eigentlich zum Jahresende auslaufen sollten. Noch immer grassiert die Furcht vor Preissprüngen, aber das anhaltende Notregime passt auch zum neuen Dirigismus in der Wirtschafts- und Energiepolitik.
Als größte Errungenschaft gilt in Deutschland die Planungsbeschleunigung für erneuerbare Energien – erst in der Notverordnung und dauerhaft in der RED III. Doch ob der Verzicht auf einen einzelnen Genehmigungsschritt tatsächlich zur erhofften Beschleunigung führt, ist für Naturschützer noch nicht ausgemacht. “Die Reformen bringen nicht viel Rechtsklarheit, und Umweltverträglichkeitsprüfungen waren noch nie ein Problem”, sagt Nabu-Jurist Raphael Weyland. “Manche Betreiber sagen uns, sie werden trotzdem eine UVP machen, um auf der sicheren Seite zu sein.”
Die meisten Auseinandersetzungen gab es neben der Gebäuderichtlinie (EPBD) um die Strommarktreform. Während erstere klimapolitisch kaputtverhandelt wurde, ist der Streit um billigen französischen Industriestrom nicht wirklich gelöst. Die Bundesregierung konnte lediglich einen polittaktischen Absatz in die Ratsposition hineinverhandeln, der die Generaldirektion Wettbewerb quasi unter Beobachtung stellt, damit sie ihrer Rolle auch wirklich nachkommt. Doch rein rechtlich ist das nichts anderes als der Status quo.
Der vielleicht noch größere Gewinn für Frankreich: Ministerin Agnès Pannier-Runacher nutzte die Verhandlungen, um eine Nuklear-Allianz mit zehn anderen Mitgliedstaaten zu schmieden. Deren Sperrminorität kann sich Frankreich in Zukunft bei vielen anderen Verhandlungen zunutze machen – wie es sich schon bei den Energiezielen für 2040 abzeichnet. ber
Es waren drei Buchstaben, die vor einem Jahr eine Art Panik in Brüssel auslösten: IRA. Der US-Inflation Reduction Act schürte auf dem Höhepunkt der Energiekrise in Europa die Angst vor einem Exodus der Industrie. So weit ist es im abgelaufenen Jahr nicht gekommen, aber die hohen Tax Credits locken doch etliche Clean–Tech-Investoren nach Amerika.
Die Investitionen in saubere Technologien sind stark gestiegen, allein im dritten Quartal flossen laut Rhodium Group 64 Milliarden Dollar. Es gibt bis heute keine belastbaren Zahlen, wie viele der Unternehmen im Gegenzug auf Investitionen in Europa verzichtet haben, dafür viel anekdotische Evidenz. Die Auswirkungen ließen sich angesichts langer Investitionszyklen erst mittelfristig beurteilen, urteilte die EU-Kommission im Herbst, man bleibe “höchst wachsam”.
Als Antwort auf den IRA legte die Behörde den Green Deal Industrial Plan vor, mit dem Net-Zero Industry Act als Kernstück. Der NZIA soll die Genehmigungsverfahren etwa für neue Windkraftprojekte verkürzen, ist aber im Gegensatz zum IRA nicht mit Milliardensummen an öffentlicher Förderung unterlegt. Das Gesetz werde daher “nicht ausreichen, um einen großen Schritt nach vorne zu machen”, urteilt Jannik Jansen, Fellow am Jacques Delors Centre der Hertie School. tho
2023 war das Jahr, in dem sich beim Kernprojekt dieser Legislatur erste Risse auftaten, die sich später sogar zu Gräben vergrößerten. Waren sich die großen Fraktionen im EU-Parlament bei den Gesetzesvorhaben des Green Deal zuvor im Grundsatz einig, zerbrach der Konsens in diesem Jahr mehrfach. Meist im Zentrum des Geschehens: Manfred Weber.
Der EVP-Chef forderte im Mai ein Gesetzesmoratorium, um zusätzliche Belastungen für Landwirte und Lebensmittelindustrie zu verhindern. Zuvor hatte die Kommission das dritte Gesetzespaket vorgelegt – bestehend unter anderem aus strengeren Regeln für die Pestizidreduktion und die Wiederherstellung der Natur. Beide Gesetze gefährdeten laut Weber und seiner Fraktion die Wettbewerbsfähigkeit des Sektors und sollten nach ihrem Dafürhalten zurückgezogen werden. Die Pestizide-Verordnung beerdigte die EVP schließlich im Plenum. Beim Renaturierungsgesetz musste sie hingegen im Trilog an den Verhandlungstisch zurückkehren.
Grüne, Sozialdemokraten und einige Liberale sehen in der EVP-Position einen Rechtsruck des Parlaments und eine fundamentale Ablehnung von Umwelt- und Klimaschutz. Sie befürchten, es könnte nach der anstehenden Europawahl im Juni 2024 noch schwieriger werden, progressive Klimapolitik zu betreiben, wenn das Parlament spürbar nach rechts rücken sollte. luk
Ähnlich konfrontativ und ideologisch liefen die Diskussionen zum Verbrenner-Aus ab – allerdings mit anderen Protagonisten. Auf der einen Seite Volker Wissing, FDP-Verkehrsminister und bekennender E-Fuel-Fan. Auf der anderen Seite Frans Timmermans, damals noch Alleinherrscher über die europäische Klimapolitik und energischer Gegner von E-Fuels in Pkw.
Wissing verlangte einen Kommissionsvorschlag, wie Verbrennerfahrzeuge auch nach 2035 noch zugelassen werden können, wenn sie ausschließlich mit E-Fuels betankt und somit CO₂-neutral betrieben werden könnten. Und weil dieser Vorschlag zum Zeitpunkt der Abstimmung im Rat über die Revision der Pkw-Flottengrenzwertenoch nicht vorlag, legte Wissing in letzter Minute sein Veto ein.
Wochenlang stritten sich Timmermans und Wissing, wer wann einen Vorschlag vorlegt. Sie einigten sich schließlich und die Kommission erarbeitete einen delegierten Rechtsakt. Dieser droht nun jedoch an einer fehlenden Einigung unter den Mitgliedstaaten zu scheitern – und damit auch eine Lösung für E-Fuel-Pkw. luk
Streitträchtig war auch die Frage, ob und wie Unternehmen über ihre Nachhaltigkeitsbemühungen berichten sollen. Gleich mehrere Gesetzesvorhaben sehen umfangreiche Berichtspflichten vor: die grüne Taxonomie, die Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) und die Offenlegungsverordnung für nachhaltige Finanzen (SFDR). Auch das EU-Sorgfaltspflichtengesetz, über das sich die EU-Institutionen im Dezember geeinigt haben, sieht Berichtspflichten vor – allerdings nur für Unternehmen, die nicht schon nach der CSRD berichten.
Die Industrie ging auf die Barrikaden, denn sie fürchtet wegen des bürokratischen Mehraufwands um die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Europas. Auch der Verwaltung fehlen Kapazitäten für die Umsetzung und Kontrolle der neuen Gesetzesvorhaben. Diese Sorgen sind längst in der Politik angekommen: Im Mai forderte der französische Präsident Emmanuel Macron eine “Regulierungspause” von der EU, um die Industrie nicht zu überlasten. Auch die Bundesregierung versprach Maßnahmen zum Bürokratieabbau und verkündete, sich gemeinsam mit Frankreich auch auf EU-Ebene dafür einzusetzen.
Auf der anderen Seite fordern Befürworter der Gesetzesvorhaben wirksame Maßnahmen gegen die negativen Auswirkungen von Wirtschaftsaktivitäten. Unternehmen sollen Verantwortung für ihr Wirtschaften und ihre globalen Lieferketten übernehmen, also Umwelt- und Menschenrechtsstandards einhalten. Dies gelinge am besten, wenn Unternehmen verpflichtet seien, diese Informationen offenzulegen. leo
Künstliche Intelligenz wird die Wirtschaft grundlegend verändern. Europa hat sich vorgenommen, mit dem AI Act eine Basis für diese mächtige Technologie zu legen, die im Einklang mit europäischen Werten steht. Nach einem dreitägigen Verhandlungsmarathon schlossen Rat, Parlament und Kommission am 8. Dezember einen politischen Deal.
Die wichtigsten Punkte: Es bleibt bei einer anwendungsorientierten Regulierung mit einem risikobasierten Ansatz, wonach einige Praktiken wie Social Scoring und Predictive Policing verboten sind. Auch biometrische Echtzeiterkennung im öffentlichen Raum ist verboten, es gibt aber Ausnahmen für die Strafverfolgung unter strengen Voraussetzungen. Ansonsten werden nur Hochrisikosysteme reguliert. General Purpose AI (GPAI) unterliegt Mindestregeln. Nur für GPAI-Modelle, die systemische Risiken bergen, gelten hohe Anforderungen.
Trotz der politischen Einigung ist der Weg ist noch weit, bis Mitgliedstaaten und Parlament den AI Act final angenommen haben. Die Details handeln die Trilog-Parteien noch auf technischer Ebene aus. Nach aktuellen Planungen wollen sie diese Arbeit bis Anfang Februar abschließen. Aus verhandlungsnahen Kreisen ist zu hören, dass BMWK und BMDV verschiedener Ansicht sind, ob sie dem Trilog-Ergebnis zustimmen wollen oder nicht. vis
In der Wirtschaft kaum weniger umstritten als der AI Act war ein weiteres Digitalgesetz, der Data Act. Sein Ziel: harmonisierte Vorschriften für den fairen Zugang zu und die Nutzung von Daten von vernetzten Geräten zu schaffen. Es geht also um nicht weniger als um die Errichtung eines europäischen Binnenmarkts für Daten. Dieser bildet auch eine wichtige Basis für die Entwicklung Künstlicher Intelligenz.
Im November haben Parlament und Rat den Data Act angenommen. Nach der Veröffentlichung im Amtsblatt der EU läuft eine Übergangsfrist von 20 Monaten. Dann gilt die Verordnung europaweit. Sie etabliert ein Eigentumsrecht im digitalen Raum, schafft mehr Wettbewerb und ermöglicht neue Geschäftsmodelle. Während sich die Nutzer von Geräten und Maschinen mit einer Gruppe von Unternehmen darauf freuen, endlich Zugang zu den von ihren Produkten erzeugten Daten zu erhalten, bangt eine andere Gruppe um die Wahrung ihrer Geschäftsgeheimnisse. Diese waren auch das umstrittenste Thema aus deutscher Sicht.
Unternehmensverbände kritisieren, dass viele Regelungen des Gesetzes immer noch nicht eindeutig oder widersprüchlich seien. Dies gilt insbesondere dort, wo nicht ganz klar ist, ob es sich nun um personenbezogene Daten handelt oder nicht. Auch bräuchten Unternehmen einen Vorlauf, um sich ausreichend vorzubereiten. Tatsächlich wissen gerade viele kleine und mittelständische Unternehmen wohl noch nicht, dass sie künftig nicht nur Zugang zu Daten erhalten können, sondern selbst als Hüter großer Datenschätze diese künftig auf Verlangen auch teilen müssen. vis
In vielen europäischen Ländern drängen nationalistische und rechtsradikale Parteien an die Macht, in Polen wurde die nationalkonservative PiS gerade nach achtjähriger Herrschaft abgewählt. Der Sieg der demokratischen Opposition hat ein Gesicht: Donald Tusk. Dem 66-jährigen früheren Präsidenten des Europäischen Rates gelang der Streich, obwohl die PiS ungehemmt das Staatsfernsehen und andere Institutionen für ihre Zwecke instrumentalisierte.
Tusk gelang es, die apolitischen Gruppen der Bevölkerung zu mobilisieren. Er präsentierte sich als Kämpfer für die Demokratie, für die bürgerlichen Freiheiten und den Rechtsstaat – und als Gegner des absoluten Abtreibungsverbots der PiS. Bei jungen und weiblichen Wählern in größeren Städten kam das gut an.
Der neue-alte Ministerpräsident will nun aus Fehlern seiner ersten Amtszeit lernen: Sein liberaler Wirtschaftskurs sorgte für Wachstum, verursachte aber auch soziale Spannungen. Nach der Amtseinführung versprach er nun, einen offenen Dialog mit der Bevölkerung zu führen und mehr Empathie zu zeigen. ryb
Margrethe Vestager ist seit Kurzem zurück auf ihrem alten Posten als Wettbewerbskommissarin – wenn auch unfreiwillig. Die Dänin hatte sich darum beworben, Präsidentin der Europäischen Investitionsbank zu werden, zog aber den Kürzeren gegen Spaniens Wirtschaftsministerin Nadia Calviño. Nach Kanzler Olaf Scholz schlug sich in letzter Minute auch Emmanuel Macron auf die Seite Calviños, obwohl Frankreichs Staatspräsident dem gleichen politischen liberalen Lager angehört wie Vestager.
Es war der passende Abschluss eines gebrauchten Jahres für die 55-Jährige. Die europäischen Gerichte kassierten mehrere ihrer Entscheidungen, zuletzt zur Steuervermeidung von Amazon, die ihr als Wettbewerbshüterin zu internationaler Prominenz verholfen hatten. In der Kommission rieb sie sich in vielen Machtkämpfen mit Binnenmarktkommissar Thierry Breton auf. Dessen interventionistischer Ansatz passt besser in den Zeitgeist als Vestagers marktwirtschaftliche Prinzipien.
Kommissionschefin Ursula von der Leyen ließ ihren Vizepräsidenten zudem wenig Raum, sich zu profilieren. Frans Timmermans entschloss sich im Sommer zum Absprung in die niederländische Politik, wenngleich mit mäßigem Erfolg bei den Parlamentswahlen. Vestager muss sich nun nach neuen Aufgaben umschauen: Ihre Partei in Dänemark ist derzeit nicht an der Regierung beteiligt, die liberale Politikerin hat daher wenig Aussichten auf eine weitere Amtszeit als Kommissarin. tho
Europa hat einen weiteren Supercomputer: Am Donnerstag weihte das Hochleistungsrechenzentrum Barcelona den Supercomputer Mare Nostrum 5 ein. Die Maschine zählt gegenwärtig zu den zehn leistungsstärksten Hochleistungsrechnern der Welt. Ab März 2024 wird der Supercomputer für Nutzer aus Wissenschaft und Industrie zugänglich sein.
Mare Nostrum 5 kann 314 Billiarden Rechenoperationen pro Sekunde (314 Petaflops) durchführen. Außerdem ist er der umweltfreundlichste Supercomputer in Europa, weil er äußerst energieeffizient ist und mit nachhaltiger Energie betrieben wird, wie die Kommission mitteilte. Mit seiner Abwärme heizt er das Gebäude, in dem er steht.
Der Supercomputer ist für die Lösung komplexer wissenschaftlicher Probleme konzipiert. Darüber hinaus wird Mare Nostrum 5 andere strategische Maßnahmen wie die EU-Initiative Destination Earth zur Entwicklung eines hochpräzisen digitalen Modells der gesamten Erde und die Initiative European Virtual Human Twin (virtueller menschlicher Zwilling) unterstützen, die die Kommission zeitgleich initiierte.
Auch Entwickler von künstlicher Intelligenz (KI) sollen die Maschine nutzen. Der Hochleistungsrechner werde den Anforderungen neu entstehender KI-Plattformen gerecht und könne die Leistungsfähigkeit großer europäischer KI-Sprachmodelle steigern, teilte die Kommission mit. Wie von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen angekündigt, wird Mare Nostrum 5 auch europäischen KI-Start-ups zur Verfügung stehen, sodass sie damit ihre Modelle trainieren können.
Mare Nostrum 5 ist die größte Investition, die Europa jemals in eine wissenschaftliche Infrastruktur in Spanien getätigt hat. Die Gesamtkosten belaufen sich auf 202 Millionen Euro, von denen 151,4 Millionen Euro auf die Anschaffung der Maschine entfallen.
Sie wird je zur Hälfte von der europäischen Supercomputing-Initiative European High Performance Computing Joint Undertaking (EuroHPC JU) über die EU-Fazilität Connecting Europe und das Forschungs- und Innovationsprogramm Horizon 2020 sowie von den beteiligten Staaten Spanien, Türkei und Portugal finanziert.
Noch leistungsstärker werden die beiden Exascale-Supercomputer Jupiter im Forschungszentrum Jülich und Jules Verne im Großrechenzentrum in Bruyères-le-Châtel sein, die 2024 in Deutschland und Frankreich in Betrieb genommen werden.
Die italienische Abgeordnetenkammer hat die von den Euro-Staaten seit Jahren geplante Reform des Euro-Rettungsfonds ESM am Donnerstag mit großer Mehrheit abgelehnt. Im Parlament von Rom stimmten 184 Abgeordnete dagegen, die meisten davon aus dem rechten Regierungslager.
Für die Änderungen, auf die sich die Finanzminister der Euro-Staaten bereits vor drei Jahren geeinigt hatten, sprachen sich 72 Parlamentarier aus. 44 enthielten sich der Stimme. In Italien ist seit Oktober vergangenen Jahres unter Ministerpräsidentin Giorgia Meloni eine Koalition aus drei Rechtsparteien an der Regierung.
Die Euro-Staaten hatten sich bereits 2020 auf die Reform des ESM-Vertrags geeinigt. Damit die Änderungen in Kraft treten können, muss der Vertrag jedoch von den nationalen Parlamenten aller 19 Mitglieder ratifiziert werden. In allen anderen Ländern ist dies längst geschehen. Durch das Nein aus Italien ist das Vorhaben nun jedoch blockiert.
Ziel der Reform ist es einerseits, vorsorgliche Kreditlinien für Staaten in Wirtschafts- und Finanzkrisen zu erleichtern. Zugleich soll es eine Rückversicherung für die Bankenabwicklung geben. Dieser gemeinsame “Backstop” soll das Bankensystem Europas stärken und vor Finanzkrisen absichern.
Der ESM ist ein Fonds, aus dem Länder mit dem Euro als Währung im Krisenfall Kredite erhalten können, um ihre Zahlungsfähigkeit zu sichern. Er war 2012 gestartet worden. dpa
Nicht nur Artillerie und Drohnen fehlen der ukrainischen Armee, es gibt auch personelle Probleme: Die Debatte über eine Mobilmachung von bis zu 500.000 zusätzlichen Soldaten, sowie die Überlegungen, im Ausland lebende ukrainische Männer für den Fronteinsatz heranzuziehen, zeigen, unter welchem Druck die Armeeführung steht. Diskussionen über nicht ausreichende Rotationen werden in der Ukraine seit Kriegsbeginn geführt, umfangreiche Reformen für Personalgewinnung sind bereits in Arbeit.
In Deutschland zählte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zum Ende November genau 197.072 ukrainische Männer im Alter zwischen 25 und 60 Jahren, EU-weit sind es Hunderttausende mehr. In dieser gesetzlich festgelegten Altersspanne können die Männer eingezogen werden. Das heißt: derzeit eigentlich in der Altersspanne 27 bis 60 Jahren. Die untere Altersgrenze soll zwar nach einem vom Parlament im März 2023 verabschiedeten Gesetz auf 25 Jahre sinken, um die Reserve auszubauen. Doch Präsident Wolodymyr Selenskyj hat das Gesetz noch nicht unterzeichnet.
Jetzt plant das ukrainische Verteidigungsministerium, die im Ausland lebenden Ukrainer zum Einsatz “einzuladen”, wie Minister Rustem Umjerow es in einem Interview mit der “Bild”-Zeitung ausgedrückt hat. Selbst über Konsequenzen für diejenigen, die der “Einladung” nicht folgen, werde nachgedacht. Unklar ist, ob diese Pläne Selenskyj mitgetragen werden, er hatte sich eher zurückhaltend zu der Forderung des Militärs nach einer neuen, umfangreichen Mobilmachung geäußert.
Sollte Kiew tatsächlich mit Nachdruck ukrainische Männer aus der EU zur Rückkehr und für den Kriegsdienst gewinnen wollen, wird das absehbar zu diplomatischen Problemen führen. Deutschland hat erst vor einem Monat die Sonderregelung für die ukrainischen Geflüchteten bis März 2025 verlängert. Von den bis Anfang Dezember registrierten 1,26 Millionen ukrainischen Flüchtlingen haben 1,03 Millionen den Schutzstatus.
Seit Kriegsbeginn engagieren sich zudem Menschenrechtsgruppen wie Connection und Amnesty International für Asylschutz von Männern aus Russland, Belarus und Ukraine, die nicht am Krieg teilnehmen wollen. Doch bisher ist Verweigerung des Kriegsdienstes nur in Ausnahmefällen Grund für eine Asylgewährung. vf