Table.Briefing: Europe

Grüne stellen Bedingungen + Blinder Fleck im Klimaziel 2040 + Ukrainische Kandidatin fürs EP

Liebe Leserin, lieber Leser,

knapp ein Monat ist vergangen, seitdem Olaf Scholz Glückwünsche an Gabriel Attal übermittelt hat anlässlich seiner Ernennung zum französischen Premierminister. Heute Abend wird der 34-Jährige nun zu seinem Antrittsbesuch in Berlin erwartet.

Im Kanzleramt werden sich die beiden “über die ganze Bandbreite der bilateralen, europäischen und internationalen Themen sowie Fragen der Wirtschaftspolitik unterhalten”, kündigte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Freitag an.

Zuletzt hatten sich Deutschland und Frankreich in wichtigen Fragen wieder angenähert, so bei der Reform der EU-Schuldenregeln. Als Geste für einen besseren Draht mit Berlin war zuletzt auch Emmanuel Macrons Trauerrede für Wolfgang Schäuble interpretiert worden, die er vor dem Bundestag in Teilen auf Deutsch hielt.

Unter Beobachtung stehen wird das Treffen aber wegen Scholz’ jüngsten Forderungen an die europäischen Partner, ihre Unterstützung für die Ukraine ebenfalls zu erhöhen. Paris gab zu verstehen, dass man den französischen Beitrag für ausreichend halte.

Vielleicht wird Scholz ja heute Abend eine Geste zeigen, auf die Beobachter nach dem Auftritt von Macron vergeblich gewartet hatten: einige Worte auf Französisch.

Ihr
Manuel Berkel
Bild von Manuel  Berkel

Analyse

Europawahl: Grüne stellen Bedingungen für Unterstützung von der Leyens

Terry Reintke und Bas Eickhout feiern in Lyon ihre Wahl zum Spitzen-Duo der europäischen Grünen für die Europawahlen.
Terry Reintke und Bas Eickhout feiern in Lyon ihre Wahl zum Spitzen-Duo der europäischen Grünen für die Europawahlen.

Wenn Grüne aufhören, den Green Deal zu verteidigen, macht es keiner mehr. Mit diesem Mantra schwor sich am Wochenende die Europäische Grüne Partei (EGP) in Lyon auf den Wahlkampf für die Europawahl 2024 ein. Zu ihren Spitzenkandidaten wählten die 368 Delegierten aus fast allen EU-Ländern darum auch erfahrenes Personal: Terry Reintke und Bas Eickhout werden im Europawahlkampf die Gesichter der europäischen Grünen sein.

Reintke, als Grünen-Fraktionsvorsitzende im EU-Parlament und deutsche grüne Spitzenkandidatin, wird in ihrem Wahlkampf vor allem im bevölkerungsreichsten und grünen Kernland Deutschland auf Stimmenfang gehen. Der Niederländer Eickhout, einer der profiliertesten Umweltpolitiker Brüssels und bereits EGP-Spitzenkandidat 2019, konzentriert sich vermehrt auf den internationalen Wahlkampf.

Green Deal: Verteidigung statt Angriff

In Lyon wurde einmal mehr deutlich, dieser Wahlkampf wird – anders als noch 2019 – jedoch kaum aus frischen Akzenten bestehen. Bei der letzten Europawahl hatte Klima- und Umweltpolitik durch gesellschaftliche Bewegungen wie Fridays for Future Hochkonjunktur, was sich im Wahlergebnis der Grünen niederschlug. Eine weitere Folge des gesellschaftlichen Drucks war der Green Deal von Ursula von der Leyen.

Der Druck kommt mittlerweile aus anderen Ecken. Landwirte, Industrie sowie Sozialverbände fordern entweder explizit weniger strenge Regeln oder warnen vor sozialen und ökonomischen Folgen weiterer EU-Regulierung. Zuspruch für diese Zweifel kommt vor allem von Christdemokraten, die zuletzt teilweise erfolgreich Green-Deal-Gesetze zu verhindern versuchten. Klima- und vor allem Umweltpolitik hat an gesellschaftlicher Akzeptanz verloren, so auch die Politik der Grünen.

Für die Partei, die wie keine andere für Klima- und Umweltschutz steht, heißt die Losung für den Wahlkampf daher: Den Green Deal zu verteidigen und das Erreichte nicht wieder zurückzudrehen, so wie es die EVP beim Verbrenner-Aus beispielsweise gerne hätte. “Die EVP hat die politische Entscheidung getroffen, einen Zickzack-Kurs zu fahren”, beklagt Spitzenkandidatin Reintke im Gespräch mit Table.Media. Sie sei fünf Jahre in die eine Richtung gegangen und will jetzt zentrale Dinge wieder zurücknehmen und in die andere Richtung gehen. “Das ist wirtschaftspolitischer Unfug”, so Reintke.

Der Preis für die Unterstützung von der Leyens

Das Problem ist, dass sich die Grünen mit genau dieser EVP arrangieren muss, wenn sie den Green Deal 2.0 aktiv mitgestalten möchte. Denn die EVP wird aller Voraussicht nach mit Ursula von der Leyen auch die nächste Kommissionspräsidentin stellen. Doch man sei zu Verhandlungen bereit, betont Reintke, aber setze auch klare Linien.

Dass die Grünen diesmal für eine Kommissionspräsidentin von der Leyen stimmen und Teil der sie stützenden Mehrheit werden, ist also nicht ausgeschlossen – für manche in der Partei gilt es sogar als einzige Möglichkeit, um den Green Deal überhaupt zu retten. Doch die Unterstützung hat einen Preis: Keine Zusammenarbeit mit politischen Kräften rechts der EVP – sprich mit der rechtsnationalen ID oder der konservativen EKR.

Nach der Wahl werde man am Verhandlungstisch schauen, was man durchsetzen kann und was gegen rote Linien geht. “Wenn wir nichts bekommen, werden wir auch kein Teil einer Mehrheit sein”, stellt Reintke klar. Aber wenn es in die richtige Richtung gehe und man zentrale Fragen vorantreiben könne, sei man bereit, Teil einer Mehrheit zu sein.

Langfristige Vision für Landwirte

Auch bei der Agrarpolitik stellen die Grünen Bedingungen. “Wenn der Green Deal 2.0 keinen Plan für die Landwirtschaft vorsieht, dann wird’s problematisch”, sagt Eickhout. Er fordert eine langfristige Vision für die Landwirtschaft entsprechend der Farm-to-Fork-Strategie.

Dass die gesellschaftliche Stimmung gegen neue Agrarregulierung geht, sieht er dabei nicht als Widerspruch zu den grünen Forderungen. “Wir müssen Teile des Agrarsektors überzeugen – ich mache mir keine Illusion, dass alle mitmachen werden – aber der Teil, der sich ändern will, muss erkennen, dass die Grünen ein Verbündeter für sie sind.”

Eickhout wehrt sich gegen den Eindruck, dass die Christdemokraten die Interessen der Landwirte vertreten und beklagt, sie würden nur so tun, als ob die Agrarwende stattfinden müsse, trauten sich aber nicht, den Wandel anzugehen. “Wenn von der Leyen sagt, sie redet mit Landwirten, spricht sie mit Copa Cogeca.” Das seien nicht die Landwirte, sondern die Chemie- und Düngemittelindustrie, sagt Eickhout.

Die jungen Landwirte und deren Interessensvertretung seien nicht gegen die Ökologisierung. “Sie sehen ein, dass sich die Dinge ändern müssen, aber sie haben das Problem, dass Veränderung unberechenbar ist.” Die Strategie im Wahlkampf müsse darin bestehen, sich mit denen zu verbünden, die wollen, dass sich etwas verändert.

Hofreiter: Souveränität als Wahlkampfthema

Anton Hofreiter, Vorsitzender des Europaausschusses im Bundestag, fordert zudem, die europäische Souveränität in den Vordergrund für die Europawahl zu stellen. “Wir müssen einen Wahlkampf machen, der die Selbstbehauptung Europas ins Zentrum rückt: gegen Angriffe der Faschisten von innen und der autoritären und diktatorischen Regime wie Russland und China von außen.”

In ihrem Wahlprogramm, welches am Sonntag in Lyon abgestimmt wurde, fordern die Grünen:

  • eine aktive und gemeinsame EU-Politik gegenüber China
  • weiterhin finanzielle und militärische Unterstützung für die Ukraine
  • eine Europäische Sicherheitsunion
  • einen Green Social Deal mit 100 Prozent Erneuerbaren und ein klimaneutrales Europa bis 2040
  • ein gentechnik- und pestizidfreies Ernährungssystem
  • massive Erhöhung der Investitionen in den Schienenverkehr
  • ein gerechtes Steuersystem, das Arbeitnehmer und Kleinunternehmen entlastet und Umweltverschmutzer, multinationale Unternehmen und Superreiche ihren gerechten Anteil zahlen lässt
  • ein erweiterungsfähiges Europa

Änderungsanträge für das Programm aus dem Bundesvorstand der deutschen Grünen hatten zwischenzeitlich Fragen aufgeworfen und sorgten auch für Empörung grüner Klimapolitiker. Statt einem klimaneutralen Europa schon im Jahr 2040, wie es die EGP vorgeschlagen hatte, wollte der Bundesvorstand dieses Ziel fünf Jahre nach hinten verschieben. Durchsetzen konnten sie sich damit nicht. Die Mehrheit der Delegierten in Lyon stimmte für die ambitionierteren Ziele.

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Diese versteckten Kohlelasten sind Teil von Europas neuem Klimaziel

Wenn die Kommission am Dienstag ihren Vorschlag für ein neues Klimaziel verkündet, wird ausgerechnet die Zukunft Europas wohl keine Erwähnung finden. Bis 2040 sollen die Mitgliedstaaten voraussichtlich 90 Prozent ihrer Treibhausgase einsparen. Alle Mitgliedstaaten?

Zehn Länder im Osten und Südosten des Kontinents möchten den EU27 beitreten und zumindest die Länder des Westbalkans haben gute Chancen, dieses Ereignis in den 2030ern feiern zu können. Doch indirekt räumt die Kommission selbst ein, dass sie die Bewerberländer nicht am wichtigsten Vorhaben ihrer künftigen Klimapolitik beteiligt hat.

Ein Kommissionsbeamter verweist auf die öffentliche Konsultation, welche die Behörde im vergangenen Jahr durchgeführt hat: “Von den Beitrittskandidaten sind keine Positionspapiere eingegangen.” Auch in den Treffen mit Interessengruppen sei die Frage der Erweiterung nicht angesprochen worden. Damit macht sich die Kommission allerdings einen sehr schlanken Fuß.

CAN: Die EU verschließt die Augen vor dem Big Picture

An den Konsultationen der Kommission beteiligen sich für gewöhnlich Bürger der Mitgliedstaaten, Wissenschaftler und vor allem NGOs und Wirtschaftsverbände. Sie sind nicht das Format für Regierungsverhandlungen.

“Die EU verschließt trotz einiger Bemühungen im Detail die Augen vor dem Big Picture”, beklagt Eleonora Allena vom Climate Action Network. “Sie verpasst die Chance, den Westbalkan in die Festlegung der Klimaziele für 2040 einzubeziehen.” Sogar in einem schon eingeübten Format für die Zusammenarbeit mit den östlichen Nachbarn wurden die Ziele bisher nicht verhandelt.

Energy Community arbeitet noch an Umsetzung der 2030-Ziele

“Die Kommission und die Mitgliedstaaten hätten auch damit beginnen können, die Beitrittsländer im Rahmen der Energy Community zu konsultieren – so wie bei den Zielen für 2030″, sagt Jörg Mühlenhoff von der Böll-Stiftung. Leider sei auch dieser Schritt noch nicht erfolgt.

Die Energy Community soll den Nachbarn der Europäischen Union dabei helfen, ihre Energie- und Klimagesetze zu übernehmen. Alle EU-Bewerberländer sind dort Vertragsparteien – bis auf die Türkei, die Beobachterstatus hat. Die Energy Community erklärt die ausgebliebene Beteiligung am Rahmen für 2040 mit dem aktuellen Fit-for-55-Paket für 2030: “Unser Hauptaugenmerk liegt derzeit auf der praktischen Umsetzung dieses Ziels.”

Ambitionen höher als in Mitgliedstaaten

Auf dem Papier wollen die Vertragsparteien ihre Emissionen bis 2030 sogar stärker mindern als die EU – nach Angaben der Energy Community um 60,9 Prozent. “Unsere Analyse hat aber gezeigt, dass die Westbalkanstaaten weit davon entfernt sind, auch nur ihre Ziele für 2030 zu erreichen”, sagt Allena.

Schon im vergangenen Juni hatte Climate Action Network gefordert, dass die Erweiterung bei der Festlegung des Klimaziels berücksichtigt werden müsse. Zum gemeinsamen Problem wird mit dem Beitritt der hohe Anteil an fossiler Energie in vielen künftigen EU-Staaten.

Kohleverbrauch würde durch Beitritt um fast die Hälfte steigen

“Ihre starke Abhängigkeit von Kohlekraftwerken könnte es besonders Serbien sowie Bosnien und Herzegowina schwer machen, ihre Emissionen bis 2040 um 90 Prozent zu reduzieren”, sagt Mühlenhoff. Noch um ein Vielfaches größer als auf dem Westbalkan ist der Kohleverbrauch nach Zahlen der Internationalen Energieagentur (IEA) in der Ukraine und vor allem in der Türkei. Träten alle zehn Bewerberländer der EU bei, würde der Kohleverbrauch der Staatengemeinschaft nach dem Stand von 2021 um rund 46 Prozent steigen.

Falls diese Länder ihre Energieversorgung nicht auf die EU-Ziele ausrichten, drohen ihnen bei einem Beitritt hohe Kosten durch den Emissionshandel. Für die Kommission und die EU-Staaten bedeutet dies, dass sie die Bewerberländer besser unterstützen müssen – materiell und auch personell.

Behörden auf dem Westbalkan sehen sich überfordert

“Die moldawischen Behörden profitieren bereits von der schrittweise zunehmenden EU-Unterstützung in der Energie- und Klimagesetzgebung”, erklärt ein Sprecher der Delegation von Moldau in Brüssel. “Sie zählen aber bei der Umsetzung auf zusätzliche technische und fachliche Hilfe der EU.” Eine Überforderung der Regierungsapparate in den Westbalkanstaaten sieht auch Lea Fanku, Mitarbeiterin der albanischen Delegation in einem Gastbeitrag für das European Council on Foreign Relations.

Finanziell halten NGOs den üblichen Topf für Beitrittskandidaten – das Instrument für Heranführungshilfe (IPA) – nicht für ausreichend. Das Thema müsse bei den Verhandlungen zum nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen berücksichtigt werden, sagt Allena. Schon jetzt könne die EU den Just Transition Fund, die Aufbau- und Resilienzfazilität sowie REPowerEU für die Bewerber öffnen, heißt es bei der Böll-Stiftung.

Böll-Stiftung warnt vor Gegenreaktion

“Es ist wichtig, jetzt zu handeln, denn es könnte zu einer Gegenreaktion der nationalen Regierungen kommen”, warnt Mühlenhoff. “Einzelne Bewerberländer könnten an ihren fossilen Energieunternehmen festhalten, möglicherweise unterstützt von Energiekonzernen aus China und Russland.”

Bisher hat die Kommission aber auch ihre Gründe, warum sie die Finanzhilfen nicht noch stärker ausweitet. Die jüngsten Zusagen aus dem neuen Wachstumsplan für den Westbalkan seien stärker als bislang von Fortschritten bei der Rechtsstaatlichkeit abhängig, schreibt Fanku.

Gerade die großen EU-Bewerberländer haben jüngst allerdings zukunftsweisende Schritte angekündigt. Die Türkei will 2026 einen Emissionshandel einführen, berichtet Germany Trade & Invest. Ende Januar hat die ukrainische Regierung eine Pilotphase ihres Zertifikatehandels schon für 2025 zugesagt. Selbst während des Krieges könne man die Industrie in die Lage versetzen, zu verstehen, wie dieser Markt funktioniert, sagte Umweltminister Ruslan Strilets.

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Indopazifik-Gipfel: Unterschiedliche Positionen sorgen für Zwist – Kritik an Baerbocks Abwesenheit

Die unterschiedlichen Positionen zu den Kriegen in der Ukraine und im Nahen Osten haben den EU-Indopazifik-Gipfel dominiert. Vertreter von Staaten des Globalen Südens warfen der Europäischen Union bei den Treffen Doppelmoral hinsichtlich der Kriege in der Ukraine und Gaza vor. Für ein gemeinsames Statement mit den Asean-Staaten wurde um den Wortlaut gerungen. Der Gipfel zeigte: Das Vorhaben der EU, sich in der Indopazifik-Region als Gegengewicht zu China zu positionieren, wird unter den aktuellen geopolitischen Bedingungen schwerer als vielleicht gedacht.

In der gemeinsamen Erklärung, die am Freitag nach der Gesprächsrunde zwischen europäischen Ministern und ihren Amtskollegen aus dem südostasiatischen Asean-Block veröffentlicht wurde, las sich das deutlich heraus: “Wir haben vereinbart, alle Angriffe auf Zivilisten zu verurteilen und wir haben die Forderung einiger von uns nach einem dauerhaften Waffenstillstand zur Kenntnis genommen“, heißt es in dem gemeinsamen Statement in Bezug auf den Gaza-Krieg. Und weiter: “Wir haben die sofortige und bedingungslose Freilassung aller Geiseln, insbesondere von Frauen, Kindern, Kranken und Alten gefordert. In diesem Zusammenhang haben einige von uns die Bedeutung der Freilassung aus willkürlicher Inhaftierung betont.”

Sabry: Glaubwürdigkeit des Westens steht auf dem Spiel

Auch zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine wurde die Unstimmigkeit zwischen EU und Asean in der Erklärung klar: “Die meisten Mitglieder haben den Krieg in der Ukraine aufs Schärfste verurteilt. (…) Es gab andere Ansichten und unterschiedliche Einschätzungen der Lage und der Sanktionen”, hieß es in dem gemeinsam erarbeiteten Text.

Mehrere Minister aus Ländern des Globalen Südens erhoben direkte Vorwürfe gegen die Europäische Union wegen ihrer unterschiedlichen Politik in Bezug auf die Ukraine und Gaza. Sehr direkt formulierte das der sri-lankische Außenminister Ali Sabry vor Medienvertretern in Brüssel. Er sehe eine “Doppelmoral in Bezug auf den Nahen Osten und die Notlage der Ukrainer”. “Die Glaubwürdigkeit der westlichen Welt steht auf dem Spiel, wenn man sie nicht alle gleich behandelt”, sagte Sabry.

Forderung nach mehr Druck auf Israel

Die indonesische Außenministerin Retno Marsudi forderte die EU-Minister außerdem auf, mehr Druck auf Israel auszuüben, um die Militäreinsätze in Gaza einzudämmen. “Kein Staat steht über dem Gesetz”, betonte Marsudi in ihrer Eröffnungsrede und appellierte an die europäischen Länder, ihre Unterstützung für das Palästinenserflüchtlingshilfswerk UNRWA und die Arbeit in Gaza nicht einzustellen. “Bitte hören Sie auf Ihr Herz und tun Sie das Richtige, stoppen Sie die Gräueltaten in Gaza, in Palästina”, forderte sie und unterstrich, dass “die Übereinstimmung von Werten und Handlungen die Aufrichtigkeit der moralischen Grundlagen widerspiegelt. Sie zeigt, wer wir tatsächlich sind.”

Finnlands Außenministerin Elina Valtonen wies die Vorwürfe zurück: “Es handelt sich nicht um eine Doppelmoral. Wir sind entschieden gegen jegliche Angriffe auf Zivilisten”, sagte Valtonen. “Wir haben den Hamas-Angriff sehr, sehr direkt verurteilt. Wir erkennen auch an, dass Israel zwar das Recht hat, sich und seine Zivilisten zu schützen, dies aber auch im Einklang mit dem Völkerrecht und dem humanitären Recht tun muss.” Valtonen hatte am Rande der Veranstaltung auch mit Marsudi über das Thema gesprochen.

Die EU selbst tut sich seit Oktober schwer, eine einheitliche Position zum Krieg in Gaza zu finden. Eine wachsende Zahl von EU-Mitgliedstaaten fordert einen sofortigen und dauerhaften Waffenstillstand, während andere auf Israels Recht auf Vergeltung und Eliminierung der Terrorgruppe Hamas bestehen. Auch innerhalb der EU-Kommission gibt es dazu unterschiedliche Ansichten. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell warnte: “Unsere Position im Konflikt in Gaza könnte sicherlich unsere Beziehungen zu vielen Menschen in der Welt gefährden.”

Und das könnte China in die Karten spielen. Peking hat den Nahen Osten als wichtigen Baustein seiner geopolitischen Strategie entdeckt. Mit einer Mischung aus diplomatischem Geschick, neutral erscheinender Zurückhaltung und einem Schuss Anti-Amerikanismus versucht Peking, in der Region an Einfluss zu gewinnen. Um bei arabischen und muslimischen Regierungen zu punkten, nimmt China eine klare Haltung zugunsten der Palästinenser ein und positioniert sich damit als Anführer des Globalen Südens.

Im gemeinsamen Statement der EU- und Asean-Vertreter gibt es jedoch auch Übereinstimmung zu Themen – die Peking eher missfallen wird. Für das Südchinesische Meer bekräftigen beide Seiten “die Bedeutung der Wahrung und Förderung von Frieden, Sicherheit, Stabilität und Freiheit der Schifffahrt” und betonten eine Einhaltung des UN-Seerechtsübereinkommens. Bei allen Aktivitäten im Südchinesischen Meer solle “Selbstbeherrschung” geübt werden. Die EU und Asean begrüßten außerdem die Erarbeitung eines Verhaltenskodex für das Südchinesische Meer.

Baerbock und Séjourné fehlen

“Die Europäische Union hat viel zu bieten; wir sind ein transparenter und verlässlicher Partner”, sagte Borrell zu Beginn. Er betonte die gemeinsamen Verpflichtungen, enger zusammenzuarbeiten, um den Klimawandel zu bekämpfen, den Handel zu stärken, Technologie zu entwickeln und in Infrastruktur zu investieren. Rund 70 Delegationen waren angereist. 20 der EU-Außenminister nahmen teil, mehr als im vergangenen Jahr. Aus der Indopazifik-Region waren Medienberichten zufolge 25 Minister anwesend.

Kritik gab es jedoch am – erneuten – Fehlen der Schwergewichte: Bundesaußenministerin Annalena Baerbock schickte Staatsminister Tobias Lindner nach Brüssel. Baerbock hatte im vergangenen Jahr nicht teilgenommen. Frankreichs neuer Außenminister Stéphane Séjourné fehlte beim dritten Indopazifik-Ministertreffen ebenfalls. Auch der Italiener Antonio Tajani übersprang den indopazifischen Teil und nahm nur an der Nachmittagssitzung mit den Asean-Ländern teil. Die japanische Außenministerin Yōko Kamikawa, die Australierin Penny Wong, der Inder Subrahmanyam Jaishankar und der neue südkoreanische Außenminister Cho Tae-yul ließen das Treffen alle aus. Weder China noch die USA waren in diesem Jahr eingeladen.

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Ukrainische Kandidatin fürs EU-Parlament vorgeschlagen

Die lettischen Liberalen haben eine gebürtige Ukrainerin zu ihrer Spitzenkandidatin für die Wahlen zum Europaparlament aufgestellt. Falls Ivanna Volochiy gewählt wird, wäre sie demnach die erste Ukrainerin im Europäischen Parlament. Ihr Hauptziel sei der Beitritt der Ukraine zur EU und zur Nato.

Nominiert hat Volochiy die lettische Partei Kustiba Par! Volochiy stammt aus Iwano-Frankiwsk im Westen der Ukraine. Sie hat Politikwissenschaften in Kiew und Maastricht studiert und arbeitet seit über 17 Jahren für europäische Institutionen in Brüssel und Kiew. Derzeit ist sie für die Renew-Fraktion im EP als Community Managerin tätig.

Laut ihrer Partei Kustiba Par! strebt sie einen EU-Beitritt der Ukraine innerhalb der kommenden zehn Jahre an. Gegründet wurde die Partei erst 2017, von 2018 bis 2022 war sie in der lettischen Regierung vertreten. Derzeit stellt sie keine Abgeordneten im EU-Parlament. ber/tho

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Peter Liese führt Liste der NRW-CDU an

Peter Liese (CDU) will im Europawahlkampf den Erhalt von Arbeitsplätzen in den Vordergrund stellen.

Die CDU in Nordrhein-Westfalen hat am Samstag ihre Landesliste für die Europawahl beschlossen. Spitzenkandidat ist der EU-Abgeordnete Peter Liese. “Wir befinden uns in einer Rezession und an vielen Stellen gibt es Kurzarbeit. Viele Menschen sorgen sich um ihren Arbeitsplatz und ihren Wohlstand. Für diese Menschen müssen wir Politik machen”, sagte Liese laut einer Mitteilung.

Auf den Plätzen zwei bis sieben folgen:

  • Sabine Verheyen
  • Dennis Radtke
  • Verena Mertens
  • Axel Voss
  • Stefan Berger
  • Miriam Viehmann

Der langjährige Abgeordnete Markus Pieper wurde nicht auf die Liste gewählt, weil er Beauftragter der EU-Kommission für die Belange kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) wird. ber

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AI Act: Die Lobbyarbeit geht weiter

Die Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten haben am Freitag die im Dezember erzielte politische Einigung zum AI Act einstimmig angenommen. Allerdings haben sie der Kommission noch einige Aufgaben mit auf den Weg gegeben. Die Lobbyarbeit ist damit noch nicht beendet, da das Parlament ebenfalls noch zustimmen muss. Zudem muss die Kommission kurzfristig zentrale Praxisfragen klären, für die unter anderem Deutschland und Frankreich Aufträge erteilt haben. Hier stehen also weitere Entscheidungen an.

Kommission geht auf Deutschland und Frankreich zu

In einer Erklärung hat die Kommission mitgeteilt, wie sie den AI Act umsetzen und mit den Mitgliedstaaten zusammenarbeiten will. In diese Erklärung ist unter anderem die deutsche Forderung eingegangen, Doppelbelastungen zu vermeiden. Dazu gehört es unter anderem, das Verhältnis zu anderen Produktregulierungsrechtsakten wie etwa der Medizinprodukteverordnung sowie Rechtsfragen bei der Weiterentwicklung von KI-Modellen (Fine-Tuning) zu klären.

Frankreich hatte ein besonderes Augenmerk auf die Urheberrechtsfragen und das Thema KI-Modelle mit allgemeinem Verwendungszweck (GPAI) gelegt. Es will seinen heimischen Unternehmen wie Mistral AI nicht zu viele Belastungen auferlegen. Paris hat zudem bereits angekündigt, sich aktiv in die Arbeit des AI Office einzubringen.

Österreich und Slowakei geben Erklärungen zu Protokoll

Österreich, das vor allem Bedenken hinsichtlich des Daten- und Verbraucherschutzes hatte, hat ebenso eine eigene Erklärung zu Protokoll gegeben wie die Slowakei. Wien bringt dabei eine grundsätzliche Kritik an, die den Anwendungsbereich des Gesetzes betrifft, nämlich die Entscheidung, “die Zulässigkeit sowie die Grenzen von Strafverfolgungspraktiken in einem Marktregulierungsinstrument” zu regeln.

Die Slowakei fordert die Kommission auf, bei der Entwicklung von Leitlinien und anderen Instrumenten im Rahmen des AI Acts die Definition des Begriffs KI-System weiter zu klären. Der genaue Anwendungsbereich des Gesetzes sei “ein Schlüssel für ein erfolgreiches und berechenbares KI-Ökosystem in der EU”. Ebenso wie Deutschland wünschen sie sich eine enge Abstimmung mit internationalen Organisationen wie der OECD, um Rechtssicherheit zu gewährleisten.

Kritische Stimmen aus den Parlamentsfraktionen

Die nächsten Schritte: Zunächst müssen die zuständigen Ausschüsse (am 13. Februar) und das Plenum des Parlaments (voraussichtlich Ende März/Anfang April) sowie eine Ratsformation dem Gesetz noch formell zustimmen. Äußerungen aus den Fraktionen lassen erwarten, dass die Zustimmung des Parlaments kein Selbstläufer wird.

Sind die letzten Hürden genommen, tritt der AI Act am 20. Tag nach Veröffentlichung im EU-Amtsblatt in Kraft. Ab dann läuft eine 24-monatige Übergangsfrist. Einige Vorschriften sind aber auch schon früher anwendbar. So greifen die Verbote bereits nach sechs Monaten, die Vorschriften zu KI-Modellen mit allgemeinem Verwendungszweck gelten nach zwölf Monaten.

Die Kommission hat bis dahin einiges zu tun: Sie muss rund 20 delegierte Rechtsakte oder Durchführungsrechtsakte sowie Leitlinien erlassen. Das AI Office hat sie bereits eingerichtet. vis

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  • Künstliche Intelligenz
  • Künstliche Intelligenz-Verordnung

Recht auf Reparatur: Was Hersteller leisten müssen

Rat und EU-Parlament haben sich auf die Richtlinie zum Recht auf Reparatur geeinigt. Das Ziel des Entwurfs wird aufrechterhalten, die Möglichkeiten zur Reparatur von Produkten innerhalb der gesetzlichen Gewährleistung und darüber hinaus zu verbessern. Das Trilogergebnis sieht jedoch Änderungen in Bezug auf den Anwendungsbereich, die Verpflichtung zur Reparatur, den Inhalt des Informationsformulars und die Online-Plattform vor.

Die EU-Kommission hatte den Gesetzentwurf im März 2023 vorgestellt. Parlament und Rat haben seitdem in enormem Tempo daran gearbeitet, um die Richtlinie noch vor Ende der Legislaturperiode zu verabschieden. Der Berichterstatter im Parlament, René Repasi (SPD), sagte nach dem Trilog: “Mit der heutigen Einigung sind wir der Einführung eines Verbraucherrechts auf Reparatur näher gekommen.” In Zukunft werde es einfacher und billiger sein, Produkte reparieren zu lassen, anstatt neue, teure Produkte zu kaufen.

Reparaturangebote auch nach Ablauf der Garantie

Der verhandelte Gesetzestext hält das Recht von Verbraucherinnen und Verbrauchern aufrecht, im Falle eines defekten Produkts zwischen Reparatur und Ersatz auszuwählen. Hersteller sind allerdings verpflichtet, auch nach Ablauf der gesetzlichen Garantie für bestimmte Produkte Reparaturen anzubieten und auf ihrer Website über Ersatzteile zu informieren. Dazu zählen Geräte, für die nach EU-Recht Reparaturanforderungen gelten: unter anderem Waschmaschinen, Geschirrspüler, Kühlschränke, Fernseher, Staubsauger, Tablets und Smartphones. Über die Ökodesign-Verordnung kann die Kommission weitere Produkte auf die Liste setzen.

Verbraucher müssen über diese Reparaturpflicht informiert werden und kostenlosen Online-Zugang zu vorläufigen Reparaturpreisen haben. Während einer Reparatur muss es Verbraucherinnen und Verbrauchern ermöglicht werden, sich ein Ersatzgerät auszuleihen. Nach der Reparatur wird die gesetzliche Garantie um ein zusätzliches Jahr verlängert.

Mitgliedstaaten sollen finanzielle Anreize für Reparatur schaffen

Darüber hinaus enthält das Ergebnis der Verhandlungen folgende Vorgaben:

  • Das Parlament hatte sich für finanzielle Anreize für Reparaturen eingesetzt. Laut der Einigung soll jeder Mitgliedstaat mindestens eine Maßnahme zur Förderung von Reparaturen einführen. Dies könnten zum Beispiel Reparaturgutscheine und -fonds, Informationskampagnen, Reparaturkurse, Unterstützung für gemeinschaftlich betriebene Reparaturwerkstätten oder eine Senkung des Mehrwertsteuersatzes für Reparaturdienstleistungen sein.
  • Eine europäische Online-Plattform soll eingerichtet werden. Über diese können die Verbraucher in allen EU-Ländern lokale Reparaturwerkstätten, Verkäufer von aufgearbeiteten Waren, Käufer von defekten Artikeln oder Reparaturinitiativen wie Reparatur-Cafés finden.
  • Hersteller müssen Ersatzteile und Werkzeuge zu einem angemessenen Preis zur Verfügung stellen. Sie dürfen keine Vertragsklauseln, Hardware- oder Softwaretechniken verwenden, um Reparaturen zu behindern.

“Nächste EU-Kommission muss Arbeit am Ökodesign fortsetzen”

Die europäische Right-to-Repair-Kampagne, ein Zusammenschluss von NGOs, bezeichnete die Einigung als einen “Schritt in die richtige Richtung für bezahlbare Reparaturen”. Sie kritisierte jedoch den schmalen Anwendungsbereich: In der nächsten Legislaturperiode müsse die Gesetzgebung mehr Produktkategorien abdecken. “Die nächste EU-Kommission muss den Staffelstab übernehmen und die Arbeit am Ökodesign fortsetzen, um Regeln für die Reparierbarkeit von mehr Produkten sicherzustellen”, erklärte Cristina Ganapini, die Koordinatorin der Kampagne. Währenddessen sei es wichtig, dass die nationalen Regierungen Reparaturfonds einrichten.

Das Ergebnis der Verhandlungen muss nun noch formal vom Parlament und vom Rat angenommen werden. leo

  • Recht auf Reparatur

Nordirland bekommt katholische Regierungschefin

Michelle O’Neil, Chefin der katholischen Partei Sinn Fein, ist neue First Minister in Belfast.

Die frühere Bürgerkriegsregion Nordirland hat erstmals eine Regierungschefin, die das britische Gebiet gerne mit dem EU-Mitglied Irland vereinigen würde. Michelle O’Neill von der Partei Sinn Fein übernahm am Samstag in Belfast als neue First Minister – als erste Katholikin in der 103-jährigen Geschichte des Landesteils. Sinn Fein wertete das historische Ereignis als Schritt hin zu einer irischen Wiedervereinigung.

O’Neill muss mit der DUP zusammen regieren, die für die politische Union mit Großbritannien eintritt. Für das Amt der Vize-Regierungschefin wurde Emma Little-Pengelly nominiert, eine Vertraute von DUP-Parteichef Jeffrey Donaldson.

Im Interview mit dem britischen TV-Sender Sky News machte O’Neill deutlich, dass sie die Position der britischen Regierung nicht teile, die ein Referendum über die Einigungsfrage noch Jahrzehnte entfernt sieht. Ihre Wahl zeige, dass sich die Situation auf der irischen Insel wandle.

Zollkontrollen mit Großbritannien bleiben weitgehend erhalten

Mit der Amtsübernahme von O’Neill endete die politische Krise in Nordirland zwei Jahre nach dem Bruch der vorigen Regierung. Sinn Fein hatte bei der folgenden Regionalwahl im Mai 2022 erstmals die meisten Stimmen erhalten. Die DUP verweigerte aber die Kooperation und forderte ein Ende aller Zollkontrollen zwischen Nordirland und dem Rest des Vereinigten Königreichs, auf die sich die britische Zentralregierung und die EU nach dem Brexit geeinigt hatten.

Erst vor wenigen Tagen stimmte die DUP nach Verhandlungen mit London einem neuen Dokument zu. Die innerbritischen Kontrollen sollen auf ein Minimum reduziert werden. Doch Experten nennen diese Einigung symbolisch. Die Zeitung “Belfast Telegraph” kommentierte, die DUP habe ihr Ziel verfehlt und verkaufe ihre Niederlage als Sieg. dpa

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Presseschau

Nato-Beitritt: Ungarn stellt Schweden neue Bedingung ZEIT
Bürgerbefragung: Paris stimmt für dreimal höhere SUV-Parkgebühren TAGESSCHAU
Euro ersetzt Serbischen Dinar: Serben im Nordkosovo erbost EURONEWS
EU-Länder stimmen Regulierung von künstlicher Intelligenz zu ZEIT
Mittelstand stärken: Markus Pieper wird KMU-Beauftragter der EU HANDWERKSBLATT
Nordirland hat wieder eine Regierung: Erstmals Nationalistin und Sinn-Féin-Politikerin Michelle O’Neill an der Spitze TAZ
Klimaproteste in den Niederlanden – tausend Festnahmen nach Autobahnblockade in Den Haag SPIEGEL
Gegen Gewinnmargen der Supermärkte: Bauernproteste erreichen die Schweiz – Traktoren fahren in Genf und im Baselbiet vor TAGESANZEIGER
Keine Visa – Ist Litauen Opfer einer chinesischen Machtprobe mit der EU? FAZ
Finnland erlebt Großstreik gegen Reformen im Arbeitsmarkt SÜDDEUTSCHE
Tschechien plant Bestellung von vier neuen Atomreaktoren FAZ
Großbritannien erlebt Morddrohungen gegen britischen Tory. Mike Freer gibt auf TAZ

Heads

Helen Winter – Von Bonn über Berlin nach Brüssel

Helen Winter ist Stellvertretende EU-Botschafterin Deutschlands in Brüssel.

Berliner Politiker fliegen für gewöhnlich nach Brüssel. Helen Winter dagegen reiste für ihre ersten dienstlichen Termine mit dem “Beamtenbulli” an. “In Bonn hat man sich damals immer morgens um sechs getroffen. Mit dem Auto wurde man dann nach Brüssel reingefahren und abends wieder zurück.”

In der ehemaligen Bundeshauptstadt hatte die Volkswirtin wenige Jahre nach der Wende als Referentin im Wirtschaftsministerium angefangen. Ihre Themen: Bildungspolitik und europäische Mittelstandspolitik. “Wir haben damals zum Beispiel um die Definition von KMU gerungen”, erzählt Winter. Die Kommission sprach 1996 tatsächlich zum ersten Mal eine Empfehlung aus, um etwa Wettbewerbsverzerrungen bei der Förderung von Mittelständlern zu vermeiden.

Spezialgebiet internationaler Handel

Die Themen aus ihren Bonner Anfängen beschäftigen die 59-jährige Beamtin noch immer. Im August 2022 wechselte sie aus dem Kanzleramt an der Spree in die Ständige Vertretung nach Brüssel. Als Botschafterin für den AStV I, wo die Stellvertretenden Ständigen Vertreter Themen von Agrarpolitik und Bildung bis hin zu Klima und Wettbewerb verhandeln.

Gut aufgehoben wäre Helen Winter auch im Coreper II – dem Ausschuss, den Botschafter Michael Clauß betreut. Denn ihr Spezialgebiet ist internationaler Handel. Ihre Doktorarbeit schrieb die Volkswirtin in Tübingen über Interdependenzen zwischen Industriepolitik und Handelspolitik der Europäischen Gemeinschaft. “Das war zu einer Zeit, als man das Wort Industriepolitik nicht in den Mund nahm”, erinnert sich Winter. Doch die Schlagworte von damals haben gewisse Ähnlichkeiten mit den Debatten von heute.

Frühe Antidumping-Politik gegen Waren aus Asien

Antidumping, Antisubventionsinstrumente – sucht Europa heute nach dem richtigen Umgang mit China, hieß der neue Herausforderer in den 80er-Jahren Japan. Damals gelang es Europa noch, freiwillige Exportselbstbeschränkungen für billigere Unterhaltungselektronik aus Japan und Südkorea durchzusetzen. Diese Zeiten sind für Brüssel vorbei.

Noch internationaler wurde es für Winter in Deutschlands Vertretung bei den Vereinten Nationen in New York. Zuständig war sie dort für den Wirtschafts- und Sozialrat der VN. Wieder zurück in Deutschland wechselte sie zwischen Wirtschaftsministerium und Kanzleramt hin und her. Fast durchgängig mit dem Schwerpunkt Außenhandel: WTO, OECD, IWF – die großen Sujets der internationalen Wirtschafts- und Finanzpolitik.

Im Kanzleramt leitete Winter unter Angela Merkel den Sherpa-Stab für die Treffen der G8 und G20 und die Gruppe für nationale und internationale Wirtschaftspolitik. Eine ihrer Zuständigkeiten waren schon 2014 Sanktionen gegen Russland nach der Besetzung der Krim. Anfang 2022 sollte sie diese Aufgabe unter dem neuen Kanzler Olaf Scholz wieder für mehrere Monate beanspruchen.

Beschlüsse für einige Dossiers vielleicht erst nach der Wahl

In Brüssel folgte dann eine Sondersitzung der Energieminister auf die nächste. Dass der Gaspreis wieder deutlich gesunken ist, sieht Winter auch als politischen Erfolg. Bis zu den Europawahlen gilt es für die Mitarbeiter der Ständigen Vertretung nun noch, im Rat die letzten Gesetze der Legislatur abzuschließen. Winter will aber nicht ausschließen, dass einige Dossiers so weit vorbereitet werden, dass sie das nächste Europaparlament in einer seiner ersten Sitzungswochen verabschieden kann.

Ein Durchatmen im Sommerloch weiß Helen Winter nach zwölf Jahren im Kanzleramt immer noch zu schätzen, so wie das Leben in Brüssel insgesamt – ob auf dem Tennisplatz, im Kajakclub oder im täglichen Geschäft. “Brüssel ist gelebte Vielfalt, allein die Sprachenvielfalt ist faszinierend”, sagt Winter. Ihr Mann konnte sie nach Belgien begleiten, er lehrt als Gastprofessor für englische Literatur an der Vrije Universiteit. Die Beamtin sagt: “Wir machen hier unser eigenes Erasmus.” Manuel Berkel

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Europe.Table Redaktion

EUROPE.TABLE REDAKTION

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    Liebe Leserin, lieber Leser,

    knapp ein Monat ist vergangen, seitdem Olaf Scholz Glückwünsche an Gabriel Attal übermittelt hat anlässlich seiner Ernennung zum französischen Premierminister. Heute Abend wird der 34-Jährige nun zu seinem Antrittsbesuch in Berlin erwartet.

    Im Kanzleramt werden sich die beiden “über die ganze Bandbreite der bilateralen, europäischen und internationalen Themen sowie Fragen der Wirtschaftspolitik unterhalten”, kündigte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Freitag an.

    Zuletzt hatten sich Deutschland und Frankreich in wichtigen Fragen wieder angenähert, so bei der Reform der EU-Schuldenregeln. Als Geste für einen besseren Draht mit Berlin war zuletzt auch Emmanuel Macrons Trauerrede für Wolfgang Schäuble interpretiert worden, die er vor dem Bundestag in Teilen auf Deutsch hielt.

    Unter Beobachtung stehen wird das Treffen aber wegen Scholz’ jüngsten Forderungen an die europäischen Partner, ihre Unterstützung für die Ukraine ebenfalls zu erhöhen. Paris gab zu verstehen, dass man den französischen Beitrag für ausreichend halte.

    Vielleicht wird Scholz ja heute Abend eine Geste zeigen, auf die Beobachter nach dem Auftritt von Macron vergeblich gewartet hatten: einige Worte auf Französisch.

    Ihr
    Manuel Berkel
    Bild von Manuel  Berkel

    Analyse

    Europawahl: Grüne stellen Bedingungen für Unterstützung von der Leyens

    Terry Reintke und Bas Eickhout feiern in Lyon ihre Wahl zum Spitzen-Duo der europäischen Grünen für die Europawahlen.
    Terry Reintke und Bas Eickhout feiern in Lyon ihre Wahl zum Spitzen-Duo der europäischen Grünen für die Europawahlen.

    Wenn Grüne aufhören, den Green Deal zu verteidigen, macht es keiner mehr. Mit diesem Mantra schwor sich am Wochenende die Europäische Grüne Partei (EGP) in Lyon auf den Wahlkampf für die Europawahl 2024 ein. Zu ihren Spitzenkandidaten wählten die 368 Delegierten aus fast allen EU-Ländern darum auch erfahrenes Personal: Terry Reintke und Bas Eickhout werden im Europawahlkampf die Gesichter der europäischen Grünen sein.

    Reintke, als Grünen-Fraktionsvorsitzende im EU-Parlament und deutsche grüne Spitzenkandidatin, wird in ihrem Wahlkampf vor allem im bevölkerungsreichsten und grünen Kernland Deutschland auf Stimmenfang gehen. Der Niederländer Eickhout, einer der profiliertesten Umweltpolitiker Brüssels und bereits EGP-Spitzenkandidat 2019, konzentriert sich vermehrt auf den internationalen Wahlkampf.

    Green Deal: Verteidigung statt Angriff

    In Lyon wurde einmal mehr deutlich, dieser Wahlkampf wird – anders als noch 2019 – jedoch kaum aus frischen Akzenten bestehen. Bei der letzten Europawahl hatte Klima- und Umweltpolitik durch gesellschaftliche Bewegungen wie Fridays for Future Hochkonjunktur, was sich im Wahlergebnis der Grünen niederschlug. Eine weitere Folge des gesellschaftlichen Drucks war der Green Deal von Ursula von der Leyen.

    Der Druck kommt mittlerweile aus anderen Ecken. Landwirte, Industrie sowie Sozialverbände fordern entweder explizit weniger strenge Regeln oder warnen vor sozialen und ökonomischen Folgen weiterer EU-Regulierung. Zuspruch für diese Zweifel kommt vor allem von Christdemokraten, die zuletzt teilweise erfolgreich Green-Deal-Gesetze zu verhindern versuchten. Klima- und vor allem Umweltpolitik hat an gesellschaftlicher Akzeptanz verloren, so auch die Politik der Grünen.

    Für die Partei, die wie keine andere für Klima- und Umweltschutz steht, heißt die Losung für den Wahlkampf daher: Den Green Deal zu verteidigen und das Erreichte nicht wieder zurückzudrehen, so wie es die EVP beim Verbrenner-Aus beispielsweise gerne hätte. “Die EVP hat die politische Entscheidung getroffen, einen Zickzack-Kurs zu fahren”, beklagt Spitzenkandidatin Reintke im Gespräch mit Table.Media. Sie sei fünf Jahre in die eine Richtung gegangen und will jetzt zentrale Dinge wieder zurücknehmen und in die andere Richtung gehen. “Das ist wirtschaftspolitischer Unfug”, so Reintke.

    Der Preis für die Unterstützung von der Leyens

    Das Problem ist, dass sich die Grünen mit genau dieser EVP arrangieren muss, wenn sie den Green Deal 2.0 aktiv mitgestalten möchte. Denn die EVP wird aller Voraussicht nach mit Ursula von der Leyen auch die nächste Kommissionspräsidentin stellen. Doch man sei zu Verhandlungen bereit, betont Reintke, aber setze auch klare Linien.

    Dass die Grünen diesmal für eine Kommissionspräsidentin von der Leyen stimmen und Teil der sie stützenden Mehrheit werden, ist also nicht ausgeschlossen – für manche in der Partei gilt es sogar als einzige Möglichkeit, um den Green Deal überhaupt zu retten. Doch die Unterstützung hat einen Preis: Keine Zusammenarbeit mit politischen Kräften rechts der EVP – sprich mit der rechtsnationalen ID oder der konservativen EKR.

    Nach der Wahl werde man am Verhandlungstisch schauen, was man durchsetzen kann und was gegen rote Linien geht. “Wenn wir nichts bekommen, werden wir auch kein Teil einer Mehrheit sein”, stellt Reintke klar. Aber wenn es in die richtige Richtung gehe und man zentrale Fragen vorantreiben könne, sei man bereit, Teil einer Mehrheit zu sein.

    Langfristige Vision für Landwirte

    Auch bei der Agrarpolitik stellen die Grünen Bedingungen. “Wenn der Green Deal 2.0 keinen Plan für die Landwirtschaft vorsieht, dann wird’s problematisch”, sagt Eickhout. Er fordert eine langfristige Vision für die Landwirtschaft entsprechend der Farm-to-Fork-Strategie.

    Dass die gesellschaftliche Stimmung gegen neue Agrarregulierung geht, sieht er dabei nicht als Widerspruch zu den grünen Forderungen. “Wir müssen Teile des Agrarsektors überzeugen – ich mache mir keine Illusion, dass alle mitmachen werden – aber der Teil, der sich ändern will, muss erkennen, dass die Grünen ein Verbündeter für sie sind.”

    Eickhout wehrt sich gegen den Eindruck, dass die Christdemokraten die Interessen der Landwirte vertreten und beklagt, sie würden nur so tun, als ob die Agrarwende stattfinden müsse, trauten sich aber nicht, den Wandel anzugehen. “Wenn von der Leyen sagt, sie redet mit Landwirten, spricht sie mit Copa Cogeca.” Das seien nicht die Landwirte, sondern die Chemie- und Düngemittelindustrie, sagt Eickhout.

    Die jungen Landwirte und deren Interessensvertretung seien nicht gegen die Ökologisierung. “Sie sehen ein, dass sich die Dinge ändern müssen, aber sie haben das Problem, dass Veränderung unberechenbar ist.” Die Strategie im Wahlkampf müsse darin bestehen, sich mit denen zu verbünden, die wollen, dass sich etwas verändert.

    Hofreiter: Souveränität als Wahlkampfthema

    Anton Hofreiter, Vorsitzender des Europaausschusses im Bundestag, fordert zudem, die europäische Souveränität in den Vordergrund für die Europawahl zu stellen. “Wir müssen einen Wahlkampf machen, der die Selbstbehauptung Europas ins Zentrum rückt: gegen Angriffe der Faschisten von innen und der autoritären und diktatorischen Regime wie Russland und China von außen.”

    In ihrem Wahlprogramm, welches am Sonntag in Lyon abgestimmt wurde, fordern die Grünen:

    • eine aktive und gemeinsame EU-Politik gegenüber China
    • weiterhin finanzielle und militärische Unterstützung für die Ukraine
    • eine Europäische Sicherheitsunion
    • einen Green Social Deal mit 100 Prozent Erneuerbaren und ein klimaneutrales Europa bis 2040
    • ein gentechnik- und pestizidfreies Ernährungssystem
    • massive Erhöhung der Investitionen in den Schienenverkehr
    • ein gerechtes Steuersystem, das Arbeitnehmer und Kleinunternehmen entlastet und Umweltverschmutzer, multinationale Unternehmen und Superreiche ihren gerechten Anteil zahlen lässt
    • ein erweiterungsfähiges Europa

    Änderungsanträge für das Programm aus dem Bundesvorstand der deutschen Grünen hatten zwischenzeitlich Fragen aufgeworfen und sorgten auch für Empörung grüner Klimapolitiker. Statt einem klimaneutralen Europa schon im Jahr 2040, wie es die EGP vorgeschlagen hatte, wollte der Bundesvorstand dieses Ziel fünf Jahre nach hinten verschieben. Durchsetzen konnten sie sich damit nicht. Die Mehrheit der Delegierten in Lyon stimmte für die ambitionierteren Ziele.

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    Diese versteckten Kohlelasten sind Teil von Europas neuem Klimaziel

    Wenn die Kommission am Dienstag ihren Vorschlag für ein neues Klimaziel verkündet, wird ausgerechnet die Zukunft Europas wohl keine Erwähnung finden. Bis 2040 sollen die Mitgliedstaaten voraussichtlich 90 Prozent ihrer Treibhausgase einsparen. Alle Mitgliedstaaten?

    Zehn Länder im Osten und Südosten des Kontinents möchten den EU27 beitreten und zumindest die Länder des Westbalkans haben gute Chancen, dieses Ereignis in den 2030ern feiern zu können. Doch indirekt räumt die Kommission selbst ein, dass sie die Bewerberländer nicht am wichtigsten Vorhaben ihrer künftigen Klimapolitik beteiligt hat.

    Ein Kommissionsbeamter verweist auf die öffentliche Konsultation, welche die Behörde im vergangenen Jahr durchgeführt hat: “Von den Beitrittskandidaten sind keine Positionspapiere eingegangen.” Auch in den Treffen mit Interessengruppen sei die Frage der Erweiterung nicht angesprochen worden. Damit macht sich die Kommission allerdings einen sehr schlanken Fuß.

    CAN: Die EU verschließt die Augen vor dem Big Picture

    An den Konsultationen der Kommission beteiligen sich für gewöhnlich Bürger der Mitgliedstaaten, Wissenschaftler und vor allem NGOs und Wirtschaftsverbände. Sie sind nicht das Format für Regierungsverhandlungen.

    “Die EU verschließt trotz einiger Bemühungen im Detail die Augen vor dem Big Picture”, beklagt Eleonora Allena vom Climate Action Network. “Sie verpasst die Chance, den Westbalkan in die Festlegung der Klimaziele für 2040 einzubeziehen.” Sogar in einem schon eingeübten Format für die Zusammenarbeit mit den östlichen Nachbarn wurden die Ziele bisher nicht verhandelt.

    Energy Community arbeitet noch an Umsetzung der 2030-Ziele

    “Die Kommission und die Mitgliedstaaten hätten auch damit beginnen können, die Beitrittsländer im Rahmen der Energy Community zu konsultieren – so wie bei den Zielen für 2030″, sagt Jörg Mühlenhoff von der Böll-Stiftung. Leider sei auch dieser Schritt noch nicht erfolgt.

    Die Energy Community soll den Nachbarn der Europäischen Union dabei helfen, ihre Energie- und Klimagesetze zu übernehmen. Alle EU-Bewerberländer sind dort Vertragsparteien – bis auf die Türkei, die Beobachterstatus hat. Die Energy Community erklärt die ausgebliebene Beteiligung am Rahmen für 2040 mit dem aktuellen Fit-for-55-Paket für 2030: “Unser Hauptaugenmerk liegt derzeit auf der praktischen Umsetzung dieses Ziels.”

    Ambitionen höher als in Mitgliedstaaten

    Auf dem Papier wollen die Vertragsparteien ihre Emissionen bis 2030 sogar stärker mindern als die EU – nach Angaben der Energy Community um 60,9 Prozent. “Unsere Analyse hat aber gezeigt, dass die Westbalkanstaaten weit davon entfernt sind, auch nur ihre Ziele für 2030 zu erreichen”, sagt Allena.

    Schon im vergangenen Juni hatte Climate Action Network gefordert, dass die Erweiterung bei der Festlegung des Klimaziels berücksichtigt werden müsse. Zum gemeinsamen Problem wird mit dem Beitritt der hohe Anteil an fossiler Energie in vielen künftigen EU-Staaten.

    Kohleverbrauch würde durch Beitritt um fast die Hälfte steigen

    “Ihre starke Abhängigkeit von Kohlekraftwerken könnte es besonders Serbien sowie Bosnien und Herzegowina schwer machen, ihre Emissionen bis 2040 um 90 Prozent zu reduzieren”, sagt Mühlenhoff. Noch um ein Vielfaches größer als auf dem Westbalkan ist der Kohleverbrauch nach Zahlen der Internationalen Energieagentur (IEA) in der Ukraine und vor allem in der Türkei. Träten alle zehn Bewerberländer der EU bei, würde der Kohleverbrauch der Staatengemeinschaft nach dem Stand von 2021 um rund 46 Prozent steigen.

    Falls diese Länder ihre Energieversorgung nicht auf die EU-Ziele ausrichten, drohen ihnen bei einem Beitritt hohe Kosten durch den Emissionshandel. Für die Kommission und die EU-Staaten bedeutet dies, dass sie die Bewerberländer besser unterstützen müssen – materiell und auch personell.

    Behörden auf dem Westbalkan sehen sich überfordert

    “Die moldawischen Behörden profitieren bereits von der schrittweise zunehmenden EU-Unterstützung in der Energie- und Klimagesetzgebung”, erklärt ein Sprecher der Delegation von Moldau in Brüssel. “Sie zählen aber bei der Umsetzung auf zusätzliche technische und fachliche Hilfe der EU.” Eine Überforderung der Regierungsapparate in den Westbalkanstaaten sieht auch Lea Fanku, Mitarbeiterin der albanischen Delegation in einem Gastbeitrag für das European Council on Foreign Relations.

    Finanziell halten NGOs den üblichen Topf für Beitrittskandidaten – das Instrument für Heranführungshilfe (IPA) – nicht für ausreichend. Das Thema müsse bei den Verhandlungen zum nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen berücksichtigt werden, sagt Allena. Schon jetzt könne die EU den Just Transition Fund, die Aufbau- und Resilienzfazilität sowie REPowerEU für die Bewerber öffnen, heißt es bei der Böll-Stiftung.

    Böll-Stiftung warnt vor Gegenreaktion

    “Es ist wichtig, jetzt zu handeln, denn es könnte zu einer Gegenreaktion der nationalen Regierungen kommen”, warnt Mühlenhoff. “Einzelne Bewerberländer könnten an ihren fossilen Energieunternehmen festhalten, möglicherweise unterstützt von Energiekonzernen aus China und Russland.”

    Bisher hat die Kommission aber auch ihre Gründe, warum sie die Finanzhilfen nicht noch stärker ausweitet. Die jüngsten Zusagen aus dem neuen Wachstumsplan für den Westbalkan seien stärker als bislang von Fortschritten bei der Rechtsstaatlichkeit abhängig, schreibt Fanku.

    Gerade die großen EU-Bewerberländer haben jüngst allerdings zukunftsweisende Schritte angekündigt. Die Türkei will 2026 einen Emissionshandel einführen, berichtet Germany Trade & Invest. Ende Januar hat die ukrainische Regierung eine Pilotphase ihres Zertifikatehandels schon für 2025 zugesagt. Selbst während des Krieges könne man die Industrie in die Lage versetzen, zu verstehen, wie dieser Markt funktioniert, sagte Umweltminister Ruslan Strilets.

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    Indopazifik-Gipfel: Unterschiedliche Positionen sorgen für Zwist – Kritik an Baerbocks Abwesenheit

    Die unterschiedlichen Positionen zu den Kriegen in der Ukraine und im Nahen Osten haben den EU-Indopazifik-Gipfel dominiert. Vertreter von Staaten des Globalen Südens warfen der Europäischen Union bei den Treffen Doppelmoral hinsichtlich der Kriege in der Ukraine und Gaza vor. Für ein gemeinsames Statement mit den Asean-Staaten wurde um den Wortlaut gerungen. Der Gipfel zeigte: Das Vorhaben der EU, sich in der Indopazifik-Region als Gegengewicht zu China zu positionieren, wird unter den aktuellen geopolitischen Bedingungen schwerer als vielleicht gedacht.

    In der gemeinsamen Erklärung, die am Freitag nach der Gesprächsrunde zwischen europäischen Ministern und ihren Amtskollegen aus dem südostasiatischen Asean-Block veröffentlicht wurde, las sich das deutlich heraus: “Wir haben vereinbart, alle Angriffe auf Zivilisten zu verurteilen und wir haben die Forderung einiger von uns nach einem dauerhaften Waffenstillstand zur Kenntnis genommen“, heißt es in dem gemeinsamen Statement in Bezug auf den Gaza-Krieg. Und weiter: “Wir haben die sofortige und bedingungslose Freilassung aller Geiseln, insbesondere von Frauen, Kindern, Kranken und Alten gefordert. In diesem Zusammenhang haben einige von uns die Bedeutung der Freilassung aus willkürlicher Inhaftierung betont.”

    Sabry: Glaubwürdigkeit des Westens steht auf dem Spiel

    Auch zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine wurde die Unstimmigkeit zwischen EU und Asean in der Erklärung klar: “Die meisten Mitglieder haben den Krieg in der Ukraine aufs Schärfste verurteilt. (…) Es gab andere Ansichten und unterschiedliche Einschätzungen der Lage und der Sanktionen”, hieß es in dem gemeinsam erarbeiteten Text.

    Mehrere Minister aus Ländern des Globalen Südens erhoben direkte Vorwürfe gegen die Europäische Union wegen ihrer unterschiedlichen Politik in Bezug auf die Ukraine und Gaza. Sehr direkt formulierte das der sri-lankische Außenminister Ali Sabry vor Medienvertretern in Brüssel. Er sehe eine “Doppelmoral in Bezug auf den Nahen Osten und die Notlage der Ukrainer”. “Die Glaubwürdigkeit der westlichen Welt steht auf dem Spiel, wenn man sie nicht alle gleich behandelt”, sagte Sabry.

    Forderung nach mehr Druck auf Israel

    Die indonesische Außenministerin Retno Marsudi forderte die EU-Minister außerdem auf, mehr Druck auf Israel auszuüben, um die Militäreinsätze in Gaza einzudämmen. “Kein Staat steht über dem Gesetz”, betonte Marsudi in ihrer Eröffnungsrede und appellierte an die europäischen Länder, ihre Unterstützung für das Palästinenserflüchtlingshilfswerk UNRWA und die Arbeit in Gaza nicht einzustellen. “Bitte hören Sie auf Ihr Herz und tun Sie das Richtige, stoppen Sie die Gräueltaten in Gaza, in Palästina”, forderte sie und unterstrich, dass “die Übereinstimmung von Werten und Handlungen die Aufrichtigkeit der moralischen Grundlagen widerspiegelt. Sie zeigt, wer wir tatsächlich sind.”

    Finnlands Außenministerin Elina Valtonen wies die Vorwürfe zurück: “Es handelt sich nicht um eine Doppelmoral. Wir sind entschieden gegen jegliche Angriffe auf Zivilisten”, sagte Valtonen. “Wir haben den Hamas-Angriff sehr, sehr direkt verurteilt. Wir erkennen auch an, dass Israel zwar das Recht hat, sich und seine Zivilisten zu schützen, dies aber auch im Einklang mit dem Völkerrecht und dem humanitären Recht tun muss.” Valtonen hatte am Rande der Veranstaltung auch mit Marsudi über das Thema gesprochen.

    Die EU selbst tut sich seit Oktober schwer, eine einheitliche Position zum Krieg in Gaza zu finden. Eine wachsende Zahl von EU-Mitgliedstaaten fordert einen sofortigen und dauerhaften Waffenstillstand, während andere auf Israels Recht auf Vergeltung und Eliminierung der Terrorgruppe Hamas bestehen. Auch innerhalb der EU-Kommission gibt es dazu unterschiedliche Ansichten. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell warnte: “Unsere Position im Konflikt in Gaza könnte sicherlich unsere Beziehungen zu vielen Menschen in der Welt gefährden.”

    Und das könnte China in die Karten spielen. Peking hat den Nahen Osten als wichtigen Baustein seiner geopolitischen Strategie entdeckt. Mit einer Mischung aus diplomatischem Geschick, neutral erscheinender Zurückhaltung und einem Schuss Anti-Amerikanismus versucht Peking, in der Region an Einfluss zu gewinnen. Um bei arabischen und muslimischen Regierungen zu punkten, nimmt China eine klare Haltung zugunsten der Palästinenser ein und positioniert sich damit als Anführer des Globalen Südens.

    Im gemeinsamen Statement der EU- und Asean-Vertreter gibt es jedoch auch Übereinstimmung zu Themen – die Peking eher missfallen wird. Für das Südchinesische Meer bekräftigen beide Seiten “die Bedeutung der Wahrung und Förderung von Frieden, Sicherheit, Stabilität und Freiheit der Schifffahrt” und betonten eine Einhaltung des UN-Seerechtsübereinkommens. Bei allen Aktivitäten im Südchinesischen Meer solle “Selbstbeherrschung” geübt werden. Die EU und Asean begrüßten außerdem die Erarbeitung eines Verhaltenskodex für das Südchinesische Meer.

    Baerbock und Séjourné fehlen

    “Die Europäische Union hat viel zu bieten; wir sind ein transparenter und verlässlicher Partner”, sagte Borrell zu Beginn. Er betonte die gemeinsamen Verpflichtungen, enger zusammenzuarbeiten, um den Klimawandel zu bekämpfen, den Handel zu stärken, Technologie zu entwickeln und in Infrastruktur zu investieren. Rund 70 Delegationen waren angereist. 20 der EU-Außenminister nahmen teil, mehr als im vergangenen Jahr. Aus der Indopazifik-Region waren Medienberichten zufolge 25 Minister anwesend.

    Kritik gab es jedoch am – erneuten – Fehlen der Schwergewichte: Bundesaußenministerin Annalena Baerbock schickte Staatsminister Tobias Lindner nach Brüssel. Baerbock hatte im vergangenen Jahr nicht teilgenommen. Frankreichs neuer Außenminister Stéphane Séjourné fehlte beim dritten Indopazifik-Ministertreffen ebenfalls. Auch der Italiener Antonio Tajani übersprang den indopazifischen Teil und nahm nur an der Nachmittagssitzung mit den Asean-Ländern teil. Die japanische Außenministerin Yōko Kamikawa, die Australierin Penny Wong, der Inder Subrahmanyam Jaishankar und der neue südkoreanische Außenminister Cho Tae-yul ließen das Treffen alle aus. Weder China noch die USA waren in diesem Jahr eingeladen.

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    Ukrainische Kandidatin fürs EU-Parlament vorgeschlagen

    Die lettischen Liberalen haben eine gebürtige Ukrainerin zu ihrer Spitzenkandidatin für die Wahlen zum Europaparlament aufgestellt. Falls Ivanna Volochiy gewählt wird, wäre sie demnach die erste Ukrainerin im Europäischen Parlament. Ihr Hauptziel sei der Beitritt der Ukraine zur EU und zur Nato.

    Nominiert hat Volochiy die lettische Partei Kustiba Par! Volochiy stammt aus Iwano-Frankiwsk im Westen der Ukraine. Sie hat Politikwissenschaften in Kiew und Maastricht studiert und arbeitet seit über 17 Jahren für europäische Institutionen in Brüssel und Kiew. Derzeit ist sie für die Renew-Fraktion im EP als Community Managerin tätig.

    Laut ihrer Partei Kustiba Par! strebt sie einen EU-Beitritt der Ukraine innerhalb der kommenden zehn Jahre an. Gegründet wurde die Partei erst 2017, von 2018 bis 2022 war sie in der lettischen Regierung vertreten. Derzeit stellt sie keine Abgeordneten im EU-Parlament. ber/tho

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    Peter Liese führt Liste der NRW-CDU an

    Peter Liese (CDU) will im Europawahlkampf den Erhalt von Arbeitsplätzen in den Vordergrund stellen.

    Die CDU in Nordrhein-Westfalen hat am Samstag ihre Landesliste für die Europawahl beschlossen. Spitzenkandidat ist der EU-Abgeordnete Peter Liese. “Wir befinden uns in einer Rezession und an vielen Stellen gibt es Kurzarbeit. Viele Menschen sorgen sich um ihren Arbeitsplatz und ihren Wohlstand. Für diese Menschen müssen wir Politik machen”, sagte Liese laut einer Mitteilung.

    Auf den Plätzen zwei bis sieben folgen:

    • Sabine Verheyen
    • Dennis Radtke
    • Verena Mertens
    • Axel Voss
    • Stefan Berger
    • Miriam Viehmann

    Der langjährige Abgeordnete Markus Pieper wurde nicht auf die Liste gewählt, weil er Beauftragter der EU-Kommission für die Belange kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) wird. ber

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    AI Act: Die Lobbyarbeit geht weiter

    Die Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten haben am Freitag die im Dezember erzielte politische Einigung zum AI Act einstimmig angenommen. Allerdings haben sie der Kommission noch einige Aufgaben mit auf den Weg gegeben. Die Lobbyarbeit ist damit noch nicht beendet, da das Parlament ebenfalls noch zustimmen muss. Zudem muss die Kommission kurzfristig zentrale Praxisfragen klären, für die unter anderem Deutschland und Frankreich Aufträge erteilt haben. Hier stehen also weitere Entscheidungen an.

    Kommission geht auf Deutschland und Frankreich zu

    In einer Erklärung hat die Kommission mitgeteilt, wie sie den AI Act umsetzen und mit den Mitgliedstaaten zusammenarbeiten will. In diese Erklärung ist unter anderem die deutsche Forderung eingegangen, Doppelbelastungen zu vermeiden. Dazu gehört es unter anderem, das Verhältnis zu anderen Produktregulierungsrechtsakten wie etwa der Medizinprodukteverordnung sowie Rechtsfragen bei der Weiterentwicklung von KI-Modellen (Fine-Tuning) zu klären.

    Frankreich hatte ein besonderes Augenmerk auf die Urheberrechtsfragen und das Thema KI-Modelle mit allgemeinem Verwendungszweck (GPAI) gelegt. Es will seinen heimischen Unternehmen wie Mistral AI nicht zu viele Belastungen auferlegen. Paris hat zudem bereits angekündigt, sich aktiv in die Arbeit des AI Office einzubringen.

    Österreich und Slowakei geben Erklärungen zu Protokoll

    Österreich, das vor allem Bedenken hinsichtlich des Daten- und Verbraucherschutzes hatte, hat ebenso eine eigene Erklärung zu Protokoll gegeben wie die Slowakei. Wien bringt dabei eine grundsätzliche Kritik an, die den Anwendungsbereich des Gesetzes betrifft, nämlich die Entscheidung, “die Zulässigkeit sowie die Grenzen von Strafverfolgungspraktiken in einem Marktregulierungsinstrument” zu regeln.

    Die Slowakei fordert die Kommission auf, bei der Entwicklung von Leitlinien und anderen Instrumenten im Rahmen des AI Acts die Definition des Begriffs KI-System weiter zu klären. Der genaue Anwendungsbereich des Gesetzes sei “ein Schlüssel für ein erfolgreiches und berechenbares KI-Ökosystem in der EU”. Ebenso wie Deutschland wünschen sie sich eine enge Abstimmung mit internationalen Organisationen wie der OECD, um Rechtssicherheit zu gewährleisten.

    Kritische Stimmen aus den Parlamentsfraktionen

    Die nächsten Schritte: Zunächst müssen die zuständigen Ausschüsse (am 13. Februar) und das Plenum des Parlaments (voraussichtlich Ende März/Anfang April) sowie eine Ratsformation dem Gesetz noch formell zustimmen. Äußerungen aus den Fraktionen lassen erwarten, dass die Zustimmung des Parlaments kein Selbstläufer wird.

    Sind die letzten Hürden genommen, tritt der AI Act am 20. Tag nach Veröffentlichung im EU-Amtsblatt in Kraft. Ab dann läuft eine 24-monatige Übergangsfrist. Einige Vorschriften sind aber auch schon früher anwendbar. So greifen die Verbote bereits nach sechs Monaten, die Vorschriften zu KI-Modellen mit allgemeinem Verwendungszweck gelten nach zwölf Monaten.

    Die Kommission hat bis dahin einiges zu tun: Sie muss rund 20 delegierte Rechtsakte oder Durchführungsrechtsakte sowie Leitlinien erlassen. Das AI Office hat sie bereits eingerichtet. vis

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    • Künstliche Intelligenz-Verordnung

    Recht auf Reparatur: Was Hersteller leisten müssen

    Rat und EU-Parlament haben sich auf die Richtlinie zum Recht auf Reparatur geeinigt. Das Ziel des Entwurfs wird aufrechterhalten, die Möglichkeiten zur Reparatur von Produkten innerhalb der gesetzlichen Gewährleistung und darüber hinaus zu verbessern. Das Trilogergebnis sieht jedoch Änderungen in Bezug auf den Anwendungsbereich, die Verpflichtung zur Reparatur, den Inhalt des Informationsformulars und die Online-Plattform vor.

    Die EU-Kommission hatte den Gesetzentwurf im März 2023 vorgestellt. Parlament und Rat haben seitdem in enormem Tempo daran gearbeitet, um die Richtlinie noch vor Ende der Legislaturperiode zu verabschieden. Der Berichterstatter im Parlament, René Repasi (SPD), sagte nach dem Trilog: “Mit der heutigen Einigung sind wir der Einführung eines Verbraucherrechts auf Reparatur näher gekommen.” In Zukunft werde es einfacher und billiger sein, Produkte reparieren zu lassen, anstatt neue, teure Produkte zu kaufen.

    Reparaturangebote auch nach Ablauf der Garantie

    Der verhandelte Gesetzestext hält das Recht von Verbraucherinnen und Verbrauchern aufrecht, im Falle eines defekten Produkts zwischen Reparatur und Ersatz auszuwählen. Hersteller sind allerdings verpflichtet, auch nach Ablauf der gesetzlichen Garantie für bestimmte Produkte Reparaturen anzubieten und auf ihrer Website über Ersatzteile zu informieren. Dazu zählen Geräte, für die nach EU-Recht Reparaturanforderungen gelten: unter anderem Waschmaschinen, Geschirrspüler, Kühlschränke, Fernseher, Staubsauger, Tablets und Smartphones. Über die Ökodesign-Verordnung kann die Kommission weitere Produkte auf die Liste setzen.

    Verbraucher müssen über diese Reparaturpflicht informiert werden und kostenlosen Online-Zugang zu vorläufigen Reparaturpreisen haben. Während einer Reparatur muss es Verbraucherinnen und Verbrauchern ermöglicht werden, sich ein Ersatzgerät auszuleihen. Nach der Reparatur wird die gesetzliche Garantie um ein zusätzliches Jahr verlängert.

    Mitgliedstaaten sollen finanzielle Anreize für Reparatur schaffen

    Darüber hinaus enthält das Ergebnis der Verhandlungen folgende Vorgaben:

    • Das Parlament hatte sich für finanzielle Anreize für Reparaturen eingesetzt. Laut der Einigung soll jeder Mitgliedstaat mindestens eine Maßnahme zur Förderung von Reparaturen einführen. Dies könnten zum Beispiel Reparaturgutscheine und -fonds, Informationskampagnen, Reparaturkurse, Unterstützung für gemeinschaftlich betriebene Reparaturwerkstätten oder eine Senkung des Mehrwertsteuersatzes für Reparaturdienstleistungen sein.
    • Eine europäische Online-Plattform soll eingerichtet werden. Über diese können die Verbraucher in allen EU-Ländern lokale Reparaturwerkstätten, Verkäufer von aufgearbeiteten Waren, Käufer von defekten Artikeln oder Reparaturinitiativen wie Reparatur-Cafés finden.
    • Hersteller müssen Ersatzteile und Werkzeuge zu einem angemessenen Preis zur Verfügung stellen. Sie dürfen keine Vertragsklauseln, Hardware- oder Softwaretechniken verwenden, um Reparaturen zu behindern.

    “Nächste EU-Kommission muss Arbeit am Ökodesign fortsetzen”

    Die europäische Right-to-Repair-Kampagne, ein Zusammenschluss von NGOs, bezeichnete die Einigung als einen “Schritt in die richtige Richtung für bezahlbare Reparaturen”. Sie kritisierte jedoch den schmalen Anwendungsbereich: In der nächsten Legislaturperiode müsse die Gesetzgebung mehr Produktkategorien abdecken. “Die nächste EU-Kommission muss den Staffelstab übernehmen und die Arbeit am Ökodesign fortsetzen, um Regeln für die Reparierbarkeit von mehr Produkten sicherzustellen”, erklärte Cristina Ganapini, die Koordinatorin der Kampagne. Währenddessen sei es wichtig, dass die nationalen Regierungen Reparaturfonds einrichten.

    Das Ergebnis der Verhandlungen muss nun noch formal vom Parlament und vom Rat angenommen werden. leo

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    Nordirland bekommt katholische Regierungschefin

    Michelle O’Neil, Chefin der katholischen Partei Sinn Fein, ist neue First Minister in Belfast.

    Die frühere Bürgerkriegsregion Nordirland hat erstmals eine Regierungschefin, die das britische Gebiet gerne mit dem EU-Mitglied Irland vereinigen würde. Michelle O’Neill von der Partei Sinn Fein übernahm am Samstag in Belfast als neue First Minister – als erste Katholikin in der 103-jährigen Geschichte des Landesteils. Sinn Fein wertete das historische Ereignis als Schritt hin zu einer irischen Wiedervereinigung.

    O’Neill muss mit der DUP zusammen regieren, die für die politische Union mit Großbritannien eintritt. Für das Amt der Vize-Regierungschefin wurde Emma Little-Pengelly nominiert, eine Vertraute von DUP-Parteichef Jeffrey Donaldson.

    Im Interview mit dem britischen TV-Sender Sky News machte O’Neill deutlich, dass sie die Position der britischen Regierung nicht teile, die ein Referendum über die Einigungsfrage noch Jahrzehnte entfernt sieht. Ihre Wahl zeige, dass sich die Situation auf der irischen Insel wandle.

    Zollkontrollen mit Großbritannien bleiben weitgehend erhalten

    Mit der Amtsübernahme von O’Neill endete die politische Krise in Nordirland zwei Jahre nach dem Bruch der vorigen Regierung. Sinn Fein hatte bei der folgenden Regionalwahl im Mai 2022 erstmals die meisten Stimmen erhalten. Die DUP verweigerte aber die Kooperation und forderte ein Ende aller Zollkontrollen zwischen Nordirland und dem Rest des Vereinigten Königreichs, auf die sich die britische Zentralregierung und die EU nach dem Brexit geeinigt hatten.

    Erst vor wenigen Tagen stimmte die DUP nach Verhandlungen mit London einem neuen Dokument zu. Die innerbritischen Kontrollen sollen auf ein Minimum reduziert werden. Doch Experten nennen diese Einigung symbolisch. Die Zeitung “Belfast Telegraph” kommentierte, die DUP habe ihr Ziel verfehlt und verkaufe ihre Niederlage als Sieg. dpa

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    Presseschau

    Nato-Beitritt: Ungarn stellt Schweden neue Bedingung ZEIT
    Bürgerbefragung: Paris stimmt für dreimal höhere SUV-Parkgebühren TAGESSCHAU
    Euro ersetzt Serbischen Dinar: Serben im Nordkosovo erbost EURONEWS
    EU-Länder stimmen Regulierung von künstlicher Intelligenz zu ZEIT
    Mittelstand stärken: Markus Pieper wird KMU-Beauftragter der EU HANDWERKSBLATT
    Nordirland hat wieder eine Regierung: Erstmals Nationalistin und Sinn-Féin-Politikerin Michelle O’Neill an der Spitze TAZ
    Klimaproteste in den Niederlanden – tausend Festnahmen nach Autobahnblockade in Den Haag SPIEGEL
    Gegen Gewinnmargen der Supermärkte: Bauernproteste erreichen die Schweiz – Traktoren fahren in Genf und im Baselbiet vor TAGESANZEIGER
    Keine Visa – Ist Litauen Opfer einer chinesischen Machtprobe mit der EU? FAZ
    Finnland erlebt Großstreik gegen Reformen im Arbeitsmarkt SÜDDEUTSCHE
    Tschechien plant Bestellung von vier neuen Atomreaktoren FAZ
    Großbritannien erlebt Morddrohungen gegen britischen Tory. Mike Freer gibt auf TAZ

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    Helen Winter – Von Bonn über Berlin nach Brüssel

    Helen Winter ist Stellvertretende EU-Botschafterin Deutschlands in Brüssel.

    Berliner Politiker fliegen für gewöhnlich nach Brüssel. Helen Winter dagegen reiste für ihre ersten dienstlichen Termine mit dem “Beamtenbulli” an. “In Bonn hat man sich damals immer morgens um sechs getroffen. Mit dem Auto wurde man dann nach Brüssel reingefahren und abends wieder zurück.”

    In der ehemaligen Bundeshauptstadt hatte die Volkswirtin wenige Jahre nach der Wende als Referentin im Wirtschaftsministerium angefangen. Ihre Themen: Bildungspolitik und europäische Mittelstandspolitik. “Wir haben damals zum Beispiel um die Definition von KMU gerungen”, erzählt Winter. Die Kommission sprach 1996 tatsächlich zum ersten Mal eine Empfehlung aus, um etwa Wettbewerbsverzerrungen bei der Förderung von Mittelständlern zu vermeiden.

    Spezialgebiet internationaler Handel

    Die Themen aus ihren Bonner Anfängen beschäftigen die 59-jährige Beamtin noch immer. Im August 2022 wechselte sie aus dem Kanzleramt an der Spree in die Ständige Vertretung nach Brüssel. Als Botschafterin für den AStV I, wo die Stellvertretenden Ständigen Vertreter Themen von Agrarpolitik und Bildung bis hin zu Klima und Wettbewerb verhandeln.

    Gut aufgehoben wäre Helen Winter auch im Coreper II – dem Ausschuss, den Botschafter Michael Clauß betreut. Denn ihr Spezialgebiet ist internationaler Handel. Ihre Doktorarbeit schrieb die Volkswirtin in Tübingen über Interdependenzen zwischen Industriepolitik und Handelspolitik der Europäischen Gemeinschaft. “Das war zu einer Zeit, als man das Wort Industriepolitik nicht in den Mund nahm”, erinnert sich Winter. Doch die Schlagworte von damals haben gewisse Ähnlichkeiten mit den Debatten von heute.

    Frühe Antidumping-Politik gegen Waren aus Asien

    Antidumping, Antisubventionsinstrumente – sucht Europa heute nach dem richtigen Umgang mit China, hieß der neue Herausforderer in den 80er-Jahren Japan. Damals gelang es Europa noch, freiwillige Exportselbstbeschränkungen für billigere Unterhaltungselektronik aus Japan und Südkorea durchzusetzen. Diese Zeiten sind für Brüssel vorbei.

    Noch internationaler wurde es für Winter in Deutschlands Vertretung bei den Vereinten Nationen in New York. Zuständig war sie dort für den Wirtschafts- und Sozialrat der VN. Wieder zurück in Deutschland wechselte sie zwischen Wirtschaftsministerium und Kanzleramt hin und her. Fast durchgängig mit dem Schwerpunkt Außenhandel: WTO, OECD, IWF – die großen Sujets der internationalen Wirtschafts- und Finanzpolitik.

    Im Kanzleramt leitete Winter unter Angela Merkel den Sherpa-Stab für die Treffen der G8 und G20 und die Gruppe für nationale und internationale Wirtschaftspolitik. Eine ihrer Zuständigkeiten waren schon 2014 Sanktionen gegen Russland nach der Besetzung der Krim. Anfang 2022 sollte sie diese Aufgabe unter dem neuen Kanzler Olaf Scholz wieder für mehrere Monate beanspruchen.

    Beschlüsse für einige Dossiers vielleicht erst nach der Wahl

    In Brüssel folgte dann eine Sondersitzung der Energieminister auf die nächste. Dass der Gaspreis wieder deutlich gesunken ist, sieht Winter auch als politischen Erfolg. Bis zu den Europawahlen gilt es für die Mitarbeiter der Ständigen Vertretung nun noch, im Rat die letzten Gesetze der Legislatur abzuschließen. Winter will aber nicht ausschließen, dass einige Dossiers so weit vorbereitet werden, dass sie das nächste Europaparlament in einer seiner ersten Sitzungswochen verabschieden kann.

    Ein Durchatmen im Sommerloch weiß Helen Winter nach zwölf Jahren im Kanzleramt immer noch zu schätzen, so wie das Leben in Brüssel insgesamt – ob auf dem Tennisplatz, im Kajakclub oder im täglichen Geschäft. “Brüssel ist gelebte Vielfalt, allein die Sprachenvielfalt ist faszinierend”, sagt Winter. Ihr Mann konnte sie nach Belgien begleiten, er lehrt als Gastprofessor für englische Literatur an der Vrije Universiteit. Die Beamtin sagt: “Wir machen hier unser eigenes Erasmus.” Manuel Berkel

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