Table.Briefing: Europe

Grüne kämpfen + Umweltpolitiker scheitern + Wissings KI-Pläne

Liebe Leserin, lieber Leser,

die geopolitischen Spannungen haben Europas Handelspolitik neues Leben eingehaucht. Aber zu einem Selbstläufer macht das die Verhandlungen noch lange nicht, wie das vorläufige Scheitern des Abkommens mit Australien unlängst demonstrierte. Die Handelsminister der 27 Mitgliedstaaten erwarten daher gespannt, was Kommissionsvize Valdis Dombrovskis ihnen heute von den laufenden Gesprächen mit den USA und mit den Mercosur-Staaten berichten wird.

Die Kommission verhandelt mit Washington seit Monaten verbissen über eine Vereinbarung, die die Drohung erneuter US-Einfuhrzölle auf Stahl und Aluminium und europäischer Gegenmaßnahmen aus der Welt schafft. Die Biden-Administration hat zwar angeboten, gegenüber dem Verbündeten weitere ein oder zwei Jahre auf die von Donald Trump verhängten Zölle zu verzichten. Die Europäer fordern aber, dass Washington die Mengen deutlich anhebt, die europäische Exporteure zollfrei einführen können. Bei den jetzigen Einfuhrquoten (für Fachleute: TRQs) müssten die Unternehmen einen dreistelligen Millionenbetrag an Zöllen im Jahr abführen, so ein europäischer Diplomat.

Eine andere Diplomatin bezweifelt aber, dass Biden dem vor der Präsidentschaftswahl im November 2024 zustimmen wird. Die Schutzzölle für die heimische Stahlindustrie sind populär, die Gewerkschaft USW etwa lehnt ihre Abschaffung entschieden ab. Die EU wiederum wehrt sich gegen Washingtons Drängen, ohne langwierige Untersuchung ihrerseits Zölle auf Stahl und Aluminium aus China zu verhängen. Können sich beide Seite nicht einigen, wofür aktuell vieles spricht, wird der jetzt geltende Waffenstillstand wohl über das Jahresende hinaus verlängert.

Mindestens ebenso schwierig sind die Verhandlungen mit den vier Mercosur-Staaten. Beide Seiten versuchen, in den nächsten vierzehn Tagen einen Deal zustande zu bekommen. Der Chefunterhändler der Kommission weilt dafür aktuell in Südamerika. Doch wirft die Wahl des Populisten Javier Milei zum neuen Präsidenten Argentiniens dort neue Fragen auf.

Und auch in Europa ist ein Abkommen alles andere als ein Selbstläufer: Am Wochenende beharrten die Delegierten auf dem Grünen-Parteitag darauf, gewährte Handelserleichterungen aussetzen zu können, sollten die Südamerikaner gegen die vereinbarten Standards im Umwelt- und Klimabereich verstoßen. Genau diese Form der Sanktionierung aber ist für Brasilien und Co eine rote Linie.

Ich wünsche Ihnen einen guten Start in die Woche!

Ihr
Till Hoppe
Bild von Till  Hoppe

Analyse

Green-Deal-Gesetze: Umweltausschuss stößt auf Widerstand

Der Ausschuss für Umwelt, Gesundheit und Lebensmittel (ENVI) im Europaparlament stößt in diesem Mandat wiederholt mit Berichten zu Gesetzgebungsvorhaben des Green Deals im Plenum auf Widerstand. Im ENVI mit Mehrheit angenommene Positionen wurden im Plenum auffallend häufig gravierend abgeändert. Anderen gesetzgebenden Ausschüssen wie dem Industrieausschuss (ITRE), dem Agrarausschuss (AGRI) oder dem Binnenmarktausschuss (IMCO) gelingt es häufiger, die nötigen Vorarbeiten zu leisten und damit für eine zügige Abstimmung im Plenum zu sorgen.

Bei diesen Gesetzgebungsvorhaben des Green Deal erlitt der ENVI Schiffbruch:

Der SUR-Bericht wurde substanziell im Plenum verändert, die Rücküberweisung in den Ausschuss scheiterte – und damit das ganze Vorhaben, zumindest in diesem Mandat. Bei den vier anderen Dossiers veränderte die Mehrheit im Plenum die ENVI-Position substanziell. Auch beim Renaturierungsgesetz gab es Probleme: In allen drei beteiligten Ausschüssen fand der Bericht keine Mehrheit.

Metsola erwog Zurückweisung in den Ausschuss

Am spektakulärsten lief die Abstimmung über die Pestizidverordnung. Am Mittwochmorgen zeichnete sich das Drama bereits ab. Mehrere Dutzend Änderungsanträge sollten im Plenum abgestimmt werden. Parlamentspräsidentin Roberta Metsola erwog nach Informationen von Table.Media, den Bericht von der Tagesordnung zu nehmen und zurück in den Ausschuss zu verweisen. Bei Berichten mit mehr als 50 Änderungsanträgen liegt dies im Ermessen der Präsidentin. Ein erfahrener Abgeordneter sagt: “Ein guter Berichterstatter sorgt dafür, dass es nicht mehr als zehn Änderungsanträge gibt.”

Metsola entschied sich dagegen. Wohl auch, weil die Christdemokratin nicht von Seiten der Grünen und S&D den Vorwurf der Parteilichkeit provozieren wollte. Absprachen von EVP, EKR sowie Teilen von Renew und S&D führten dazu, dass Änderungsanträge in den beiden zentralen Bereichen erfolgreich waren: Die Prozentzahl für die Pestizidreduktion sollte gegenüber dem Kommissionsvorschlag abgesenkt werden, die Reduktion später kommen und FFH-Gebiete ausgenommen werden aus den Schutzgebieten, in denen keine chemischen Pflanzenschutzmittel mehr erlaubt wären.

Grüne und Sozialdemokraten hofften noch auf die Rücküberweisung an den ENVI, damit Berichterstatterin Sarah Wiener bei Nachverhandlungen im Ausschuss oder später im Trilog noch etwas herausholen könne. Dem ENVI-Vorsitzenden Pascal Canfin gelang es aber offensichtlich nicht, die notwendigen Stimmen der Liberalen für die Rücküberweisung zu organisieren.

ENVI im Plenum häufig isoliert

Tiemo Wölken, S&D-Koordinator im ENVI, räumt Handlungsbedarf ein: “Wir müssen das Problem angehen, dass häufig die anderen Ausschüsse anders unterwegs sind als der ENVI.” Der Umweltausschuss müsse sich um Positionen bemühen, die eine Chance auf Mehrheiten hätten: “Ansonsten ist absehbar, dass die Züge im Plenum aufeinander losrasen.” Niemand könne ein Interesse daran haben, “bei zentralen Gesetzgebungsvorhaben Zufallsentscheidungen zu riskieren.”

Wölken warnt zudem vor den Folgen von knappen Entscheidungen für die Verhandlungen mit dem Rat: “Wenn sich der Berichterstatter nur auf ein schwaches Mandat aus dem Parlament stützen kann, hat er einen schweren Stand im Trilog.”

Peter Liese, der Koordinator der EVP-Fraktion, sieht es ähnlich: “Einige führende Mitglieder des ENVI haben nicht verinnerlicht, dass sie für sehr ambitionierte, sehr grüne und mit Verboten belegte Forderungen keine Mehrheiten im Plenum finden”.  Es sei auffallend, dass ENVI-Mitglieder die “reine Lehre” durchdrücken wollten: “Gerade jetzt zum Ende des Mandats treibt sie der Gedanke, dass das Haus bei den Europawahlen einen Rechtsruck erfahren könnte.” Sie wollten Tatsachen schaffen, würden aber verkennen, dass sie “damit den befürchteten Rechtsruck nur wahrscheinlicher machen”.

Die Hauptursache für die Probleme sieht Liese aber nicht im Parlament: “Der für den Green Deal zuständige Vize-Präsident Frans Timmermans hat reihenweise schlechte Gesetzgebungsvorschläge vorgelegt und trägt damit die Verantwortung für die Probleme.”

Friktionen zwischen AGRI und ENVI

Auffallend häufig stößt der ENVI bei den Gesetzgebungsvorhaben auf Widerstand im Plenum, die eine hohe Bedeutung für die Landwirtschaft haben. Es sind Dossiers, bei denen der Landwirtschaftsausschuss AGRI oft konträre Positionen vertritt, so wie bei SUR. Den Bauernverbänden war es gelungen, viele Abgeordnete zu überzeugen, dem Vernehmen nach selbst manchen deutschen Sozialdemokraten. Die Abstimmungen haben gezeigt, dass der AGRI eher Positionen einnimmt, für die es im Plenum Mehrheiten gibt.

Die Pestizidverordnung wird schon seit Jahrzehnten federführend Im ENVI behandelt. Doch bei anderen Vorschlägen, argwöhnen Agrarpolitiker, habe Timmermans schon mit den einführenden Bemerkungen dafür gesorgt, dass das Dossier im ENVI lande. Der Ausschuss ist schließlich bekannt für seine grünen Positionen, der AGRI hingegen für bauernnahe Positionen. Dies wird von AGRI-Vertretern etwa bei den Frühstücksrichtlinien moniert, bei der es im Grunde um Marketing von Lebensmitteln geht, der AGRI aber nur eine Stellungnahme abgeben darf, sowie beim Forstmonitoring-Gesetz, wo doch die Fachkompetenz für den Wald im AGRI liege.

Weber will ENVI-Kompetenzen stutzen

Die EVP setzt sich für einen Neuzuschnitt der Ausschüsse ein. Es wird damit gerechnet, dass EVP-Fraktionschef Manfred Weber mit Unterstützung von EKR, ID und Teilen von Renew im Februar einen Vorstoß unternehmen wird. Vor allem die Kompetenzen von ENVI könnten gestutzt werden. Umweltpolitiker Liese unterstützt die Idee: “Der ENVI hat zu viele Zuständigkeiten.” Er sei dafür, dass der Ausschuss sich auf die Umwelt- und Klimavorschläge beschränke. Daneben solle es einen Vollausschuss für Lebensmittelsicherheit und Gesundheit geben. Zudem sollte es bei dem bisherigen Agrarausschuss bleiben, so Liese.

Norbert Lins (CDU), der Vorsitzende des Agrarausschusses, möchte hingegen einen AGRI-FOOD-Ausschuss im nächsten Mandat bilden. Damit würde der Agrarausschuss die Zuständigkeiten für Lebensmittelsicherheit und Pflanzenschutz bekommen und vergleichbare Kompetenzen haben wie der Agrarministerrat. Wölken bremst: “Ich halte es für problematisch, Fakten zu schaffen. Wir sollten die Entscheidung dem nächsten Europaparlament überlassen.” Mitarbeit Lukas Scheid

  • Agrarpolitik
  • AGRI
  • ENVI
  • Europäisches Parlament
  • Europawahlen 2024
  • Green Deal
  • Klima & Umwelt
Translation missing.

Glaubenskämpfe beim Grünenparteitag

Terry Reintke, Spitzenkandidatin der Grünen für die Europawahl 2024.

Nach kontroverser Debatte wurde der Antrag der Grünen Jugend abgelehnt, keinen weiteren Asylrechtsrechtsverschärfungen zuzustimmen. Der Antrag sollte die grünen Ministerinnen und Minister verpflichten, in der Migrationsdebatte keine weiteren Zugeständnisse gegenüber Koalitionspartnern und Opposition zu machen. “Wer Rechten hinterherläuft, der gerät ins Stolpern”, warnte Katharina Stolle, die Vorsitzende der Grünen Jugend.

Robert Habeck widersprach vehement und erklärte den Antrag zu einem “Misstrauensvotum in Verkleidung”. Die eigentliche Botschaft sei: “Verlasst die Regierung!” Die Parteivorsitzende Ricarda Lang warnte vor der Konsequenz, “dass wir dann nicht mehr mit am Tisch sitzen”. Und Annalena Baerbock wies darauf hin: “Wir regieren, weil wir etwas verändern wollen.”

Es war die Kontroverse zwischen Regierungs-Grünen und Werte-Grünen, bei dem sich die Regierenden schlussendlich durchsetzten. Es war aber auch ein Zusammenprall der Generationen und der Parteiflügel, wie er sich auf diesem Parteitag mehrfach abspielte – wenn auch nicht so heftig wie beim Thema Migration.

Delegierte wollen Mercosur-Nachverhandlungen

Zwar nicht mit so viel Tamtam, aber durchaus folgenreich verlief die Abstimmung der Delegierten zum Mercosur-Freihandelsabkommen. Der Bundesvorstand hatte sich für das Abkommen ausgesprochen, das man ratifizieren wolle, wenn überprüfbare und einklagbare Verpflichtungen beim Umwelt-, Sozial- und Klimaschutz vereinbart werden. Die Europäer haben dies ihrerseits bereits in die Verhandlungen mit den vier Mercosur-Staaten eingebracht. Dem grünen Wirtschaftsminister Habeck hätte dies mehr Beinfreiheit verschafft.

Der Parteibasis gingen die Formulierungen offenbar nicht weit genug. 53 Prozent der Delegierten stimmten für einen Änderungsantrag, der weitere Nachverhandlungen fordert, in denen Sanktionen und die Aussetzung des Handelsabkommens festgeschrieben werden, sollten die Südamerikaner gegen die von der EU geforderten Standards verstoßen. Die Unterstützer sehen darin die einzige Chance, Soja, für den Regenwald abgeholzt wurde, auf europäischen Märkten zu verhindern.

Für die Gegner des Änderungsantrages stellt dies hingegen eine Bevormundung dar, die den Amazonas-Ländern vorschreibt, wie sie ihren Wald zu schützen haben. Die brasilianische Regierung etwa hat sich dies ausdrücklich verbeten.

Kritik kam umgehend aus der Opposition. Julia Klöckner, wirtschaftspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, erklärte: Statt den wirtschaftspolitischen Schulterschluss mit Partnern in dieser Welt zu suchen, “knallen die Grünen den Mercosur-Staaten die Tür vor der Nase zu”. Dies spiele vor allem autoritären Staaten wie China in die Hände, so Klöckner.

Europaliste mit wenig neuem Personal

Die Wahl für die Liste, mit der die Grünen bei der Europawahl 2024 antreten wollen, brachte nur wenige neue Gesichter hervor, dafür aber die bekannten Flügelkämpfe. Terry Reintkes erfolgreiche Kandidatur für den Spitzenplatz ohne Gegenkandidatin verlief noch reibungslos – am Sonntag wurde sie auch europäische Spitzenkandidatin. Doch schon dahinter sorgten Absprachen zwischen Flügeln und Landesverbänden für Ergebnisse.

Der linke Klimapolitiker Michael Bloss aus Baden-Württemberg unterlag dem Realo-Außenpolitiker Sergey Lagodinsky aus Berlin im Rennen um Platz 2. In der Folge gewann die Linke Anna Cavazzini trotz mäßiger Rede Platz 3 gegen eine überzeugende Hannah Neumann. In einem enorm knappen Votum setzte sich Agrar-Politiker Martin Häusling gegen Rasmus Andresen auf Platz 6 durch. Andresen wurde durchgereicht bis Platz 12, wo Niklas Nienaß Platz machte, um seinem Flügel-Kollegen und Gruppen-Chef eine größere Schmach zu ersparen.

Das hatte Folgen für die Verkehrspolitikerin Anna Deparnay-Grunenberg, die sich der Umweltexpertin Jutta Paulus auf Platz 9 geschlagen geben musste. Deparnay-Grunenberg wurde nach hinten durchgereicht, da sich auf Platz 11 bis 14 ausschließlich Kandidaten vom linken Flügel durchsetzten. Da vor ihr bereits zwei Baden-Württemberger platziert wurden, wurde es für die Stuttgarterin noch schwerer, denn der große Landesverband Bayern war bis Platz 15 noch überhaupt nicht vertreten. So ging Platz 16 an Andie Wörle, Deparnay-Grunenberg konnte sich mit letzter Kraft noch Platz 17 sichern.

15 Plätze aktuell realistisch

Geht man von derzeitigen Umfragen aus, sind 15 Plätze im nächsten EU-Parlament für die deutschen Grünen realistisch. Mit Anna Peters steht nur ein neues Gesicht auf einem dieser aussichtsreichen Listenplätze. Die 27-jährige Baden-Württembergerin und ehemalige Sprecherin der Grünen Jugend setzt sich gegen die Sinologin Janka Oertel vom Thinktank ECFR durch und hat auf Platz 13 sehr gute Chancen, ins EU-Parlament einzuziehen.

Von den bisherigen MEPs werden Henrike Hahn, Malte Gallée, Pierrette Herzberger-Fofana und Romeo Franz nicht mehr im Straßburger Parlament vertreten sein.

Die Liste:

  1. Terry Reintke
  2. Sergej Lagodinsky
  3. Anna Cavazzini
  4. Michael Bloss
  5. Hannah Neumann
  6. Martin Häusling
  7. Katrin Langensiepen
  8. Erik Marquardt
  9. Jutta Paulus
  10. Daniel Freund
  11. Alexandra Geese
  12. Rasmus Andresen
  13. Anna Peters
  14. Niklas Nienaß
  15. Viola von Cramon-Taubadel
  16. Andie Wörle
  17. Anna Deparnay-Grunenberg
  18. Jan-Denis Wulff
  19. Janina Singh
  20. Viviane Triems
  • Die Grünen
  • Die Grünen/Efa
  • ECFR
  • Europapolitik
  • Europawahlen 2024

“Innovationsfreundliche KI-Regulierung”

Der Streit zwischen Europäischem Parlament und den Mitgliedstaaten über die Behandlung von Basismodellen (Foundation Models) und Allzweck-KI (General Purpose AI – GPAI) hat das Potenzial, die Verhandlungen über den AI Act scheitern zu lassen. Dass er den Zeitplan sprengen könnte, ist jedenfalls wahrscheinlich. Einige Beteiligte denken inzwischen laut darüber nach, dass auch ein Abschluss unter belgischer Ratspräsidentschaft möglich sei. Dann wäre der geplante Trilog am 6. Dezember doch nicht der finale.

Auf einer KI-Konferenz am Freitag in Mainz sagte Bundesdigitalminister Volker Wissing, nachdem es jetzt auf G7-Ebene einen Code of Conduct gebe, “wäre es weniger dramatisch, wenn der AI Act jetzt scheitern würde. Aber ich will ihn ja nicht scheitern lassen.” Vielmehr arbeite er daran, “dass wir keinen Fehler machen beim Start der KI-Regulierung”.

Ein solcher Fehler wäre es in den Augen des Ministers, zum jetzigen Zeitpunkt eine Technologie umfassend zu regulieren, deren Innovationssprünge niemand heute antizipieren könne. Dann bestehe die Gefahr, dass die Technologie anderswo entwickelt würde und Europa erneut in ein Souveränitäts- und damit auch in ein Sicherheitsproblem hineinlaufe.

Deutschland will Vorschlag konkretisieren

Wie weit Rat und Parlament auseinanderliegen, wurde nicht zuletzt mit dem gemeinsamen Non-Paper deutlich, das Deutschland, Frankreich und Italien vorgelegt haben (Table.Media berichtete hier und hier). Deutschland will jetzt ein weiteres Papier vorlegen, um den gemeinsamen Vorschlag mit Frankreich und Italien zur Behandlung von Foundation Models zu konkretisieren.

“Wir wollen eine konkrete Formulierung vorschlagen, wie die regulierte Selbstregulierung durch Standardisierungsgremien erfolgen soll”, sagte Benjamin Brake, Abteilungsleiter für Digital- und Datenpolitik im BMDV, im Gespräch mit Table.Media.

In dem gemeinsamen Non-Paper hatten die drei Mitgliedstaaten vorgeschlagen, die Regulierung von “Systems” (gemeint sind Anwendungen) im AI Act zu belassen. Sie wollen aber, dass die “Models” (die Entwicklung der Basistechnologie) über eine “regulierte Selbstregulierung” (mandatory self-regulation through codes of conduct) erfolgen soll. Das klingt nach lockeren Zügeln.

DIN-Normen für KI

Dem widerspricht Wissing. Obwohl der Eindruck entstehen könne, dass man “die Sicherheitsbedenken zurückstellt, wenn man jetzt weniger reguliert. Aber das Gegenteil ist nach meiner Überzeugung der Fall“, sagte er. “Es dient unserer Sicherheit und unserer Souveränität, dass wir diese Technologie in Europa weiterentwickeln und sie auch selbst in der Hand halten.”

Brake erklärte dazu, die regulierte Selbstregulierung sei ein juristischer Begriff. “Und es geht keinesfalls darum, dass die Unternehmen hier ihre Regeln selbst schreiben.” Vielmehr solle dies durch Standardisierungsgremien erfolgen. “Wir wollen die Regulierung auf eine technische Ebene bringen, bei der sowohl große als auch kleine Unternehmen die Möglichkeit haben, mitzuwirken.” Die Bundesregierung spreche dazu unter anderem mit dem Deutschen Institut für Normung (DIN).

Steuerung über Standards ist weniger politisch aufgeladen

In jedem Falle lehnt die Bundesregierung den zweistufigen Ansatz des Parlaments (two-tier approach) ab, wonach wirkmächtige Modelle stärker kontrolliert werden sollen als andere. “Das ist eine Unterscheidung, die wir nicht treffen wollen – und die auch nicht zukunftssicher ist”, sagte Brake. Der Punkt sei, dass die Entwicklung der Technologie unabsehbar sei, weswegen ein harter Regulierungsrahmen ungeeignet erscheine. Eine Steuerung über Standards erlaube dagegen eine flexible Anpassung an die Entwicklung.

Unterdessen hat die Kommission einen neuen Vorschlag gemacht, in dem sie den zweistufigen Ansatz modifiziert und – noch ein neuer Begriff – nun von einem Code of Practice spricht. Die Mehrheit im Parlament will jedoch nach wie vor eine Regulierung der Modelle, die ein systemisches Risiko darstellen. Bei den Verhandlungen auf technischer Ebene am Freitag wurden die Diskussionen zu Foundation Models und GPAI auf Montag verschoben.

Deutschland, Estland, Lettland und Litauern bilden Innovationsklub

Wissing hat bereits weitere Mitstreiter für seinen Ansatz der “innovationsfreundlichen Regulierung” von Künstlicher Intelligenz gefunden. Zusammen mit den baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen hat er einen Innovationsklub mit dem Ziel gegründet, den “Digitalstandort Europa zu stärken”. Im Klub soll Deutschland seine Industriekompetenz und die baltischen Staaten ihren Vorsprung bei der Digitalisierung ihrer Verwaltung einbringen.

Aušrinė Armonaitė, Ministerin für Wirtschaft und Innovation Litauens, sagte, es sei wichtig, bei der Regulierung von KI agil zu bleiben. Ihr estnischer Kollege Tiit Riisalo ergänzte, man müsse eine bestimmte Art von Offenheit bewahren. Obwohl die Minister sich ausdrücklich nicht zu den Verhandlungen äußern wollten, gibt es demnach im Rat keine Mehrheit für eine umfassende Regulierung von Foundation Models. Ebenfalls bemerkenswert: Die drei baltischen Staaten betonten, wie wichtig es sei, dass Deutschland hier eine Führungsrolle übernehme.

Vorschläge für eine neue Digitalagenda ab 2024

Der noch junge Innovationsklub startete mit der Vorlage eines Neun-Punkte-Papiers, in dem die vier Länder ihre Forderungen an die künftige EU-Kommission formulieren. “Gemeinsam arbeiten wir darauf hin, dass die EU in der Digitalpolitik die richtigen Prioritäten setzt: Schnellere Entscheidungen, mehr Innovationsoffenheit und weniger Belastungen für Unternehmen”, sagte Wissing. Zu den Punkten gehören eine leistungsfähige Infrastruktur und Cybersicherheit. Mit dem Plan wollen die Länder die Verabschiedung einer neuen Digitalagenda ab 2024 unterstützen.

Estlands Minister betonte wie Wissing die Wichtigkeit, sich international über die Regulierung von KI abzustimmen. Er brachte noch einmal ein internationales Gremium für KI nach dem Vorbild des IPCC (International Panel on Climate Change) ins Spiel. Das wurde bereits auf dem AI Safety Summit in Bletchley Park diskutiert.

Mission KI und Sandkästen für Nutzer

Neben dem Innovationsklub stellte Wissing in Mainz auch ein Hebelprojekt der Digitalstrategie vor: Die nationale Initiative für Künstliche Intelligenz, die jetzt Mission KI heißt. Ziel des vom BMDV geförderten Projekts ist es, neben Standards, die international anschlussfähig sind, bessere Rahmenbedingungen für digitale Innovationen schaffen. Dazu soll Mission KI die Entwicklung von qualitätsvollen KI-Produkten unterstützen.

Mission KI tritt auch an, um den Zugang zu KI zu vereinfachen und den Transfer von Forschung zur Anwendung zu fördern. Dazu sollen zwei KI-Innovationszentren in Kaiserslautern und Berlin entstehen, in denen Unternehmen und Bürger KI-Anwendungen testen können. Auch in anderen EU-Ländern entstehen derzeit solche Reallabore (regulatory sandboxes), wie sie auch im AI Act vorgesehen sind.

  • Europäisches Parlament
  • Künstliche Intelligenz
  • Künstliche Intelligenz-Verordnung
  • Trilog
  • Volker Wissing
Translation missing.

News

Grid Action Plan: Mitgliedsstaaten sollen EU-Gelder stärker nutzen

EU-Gelder für den Ausbau der Energieverteilnetze sollen nach dem Willen der Kommission von den Mitgliedstaaten stärker genutzt werden. In der laufenden Haushaltsperiode 2021-27 hätten die Staaten erst 4,7 Milliarden Euro aus EU-Fördertöpfen bereitgestellt, kritisiert die Kommission im Entwurf ihres Grid Action Plans, der Table.Media vorliegt. Die endgültige Fassung soll kommenden Mittwoch vorgestellt werden.

Für Anfang nächsten Jahres kündigt die Kommission einen gezielten Austausch mit den Mitgliedstaaten an, um Fördermöglichkeiten bekannter zu machen – etwa aus der Regionalförderung und aus Kohäsionsmitteln. Bis Januar 2025 soll die Regulierungsagentur ACER außerdem Empfehlungen vorlegen, wie die nationalen Regulierungsbehörden Betriebskosten (OPEX) stärker in der Regulierung von Netzen berücksichtigen können. “Wir müssen einen Anstieg der Betriebskosten bei der Installation und dem Betrieb unserer Netze anerkennen, einschließlich der Kosten für die physische Sicherheit und die Cybersicherheit”, schreibt die Kommission.

Die investitionsfreundlichere Haltung der Kommission spiegelt sich auch in der stärkeren Anerkennung von vorausschauenden Netzinvestitionen, die schon durch die laufende Strommarktreform unterstützt werden soll. Für das erste Quartal 2025 kündigt die Kommission nun Leitlinien zur Anerkennung von vorausschauenden Investitionen an. “Die Wohlfahrtsverluste, die durch die Verzögerung der für den Anschluss erneuerbarer Energien und flexibler Nachfrage erforderlichen Netzausbauten entstehen, überwiegen häufig die zusätzlichen Anfangskosten für vorausschauende Investitionen”, heißt es im Netzaktionsplan. ber

  • Cybersicherheit
  • Digitalisierung
  • Energie
  • Strom

Rutte-Partei will keine Koalition mit Wilders

Geert Wilders, der rechtsradikale Wahlsieger in den Niederlanden, hat bei der Suche nach Koalitionspartnern einen Rückschlag erlitten. Die rechtsliberale Regierungspartei VVD des scheidenden Premiers Mark Rutte lehnte es am Freitag ab, nach 13 Jahren erneut an einer Regierung teilzunehmen. Damit ist es für Wilders fast unmöglich, eine stabile rechte Mehrheit zu finden. Er kann nur auf eine Minderheitsregierung zusteuern, die von der VVD unterstützt wird.

Wilders’ Anti-Islampartei PVV gewann bei der Wahl am Mittwoch 23,6 Prozent der Stimmen und damit 37 der 150 Parlamentssitze. Die VVD verlor zehn Mandate und kam auf 24 Sitze, einen Sitz weniger als das rot-grüne Bündnis von Frans Timmermans. Für eine Mehrheit sind mindestens drei Parteien nötig. Ab Montag soll nun ein Sondierer die Chancen für eine Koalition ausloten.

VVD-Chefin Dilan Yesilgöz begründete die Absage ihrer Partei mit den großen Verlusten bei der Wahl. “Der Wähler hat gesagt: VVD, setz eine Runde aus.” Sie sei aber bereit, eine “Koalition der Gewinner” möglich zu machen. “Konstruktive Vorschläge werden wir unterstützen.” Wilders reagierte enttäuscht, denn Yesilgöz hatte zunächst Gesprächsbereitschaft signalisiert. “Die Regierungsbildung kann nun vielleicht Monate dauern”, sagte der 60-Jährige.

Möglicher Partner Omtzigt hält sich bedeckt

Für Wilders gibt es nun noch einen wichtigen Partner: Der erst kürzlich gegründete Neue Soziale Vertrag (NSC) des früheren Christdemokraten Pieter Omtzigt, der auf Anhieb 20 Mandate gewann. Omtzigt hatte im Wahlkampf eine Koalition mit Wilders ausgeschlossen, doch in der Wahlnacht Gesprächsbereitschaft angedeutet: Jetzt müsse man “über seinen Schatten springen”.

Dieser Sprung müsste für Omtzigt allerdings riesig ausfallen. Beim großen Aufregerthema Migration könnten sich beide wohl schnell einigen. Auch der NSC will eine Quote bei der Zuwanderung. Doch es gibt prinzipielle Unterschiede. Omtzigt war angetreten mit dem Versprechen einer neuen Führungskultur, einer größeren Bedeutung für das Grundgesetz und den Rechtsstaat. Das lässt sich nur schwer vereinbaren mit der PVV, die Koran und Moscheen verbieten und Grenzen für Asylsuchende schließen will. Die PVV will zudem aus der EU austreten und den Klimaschutz beenden.

Wilders betonte in einem Post auf X, er werde seine Positionen “weiterhin mäßigen”, wenn es nötig sei. Er werde früher oder später “Ministerpräsident dieses schönen Landes sein”. dpa/tho

  • Europapolitik
  • Niederlande

Präsident will chancenloses PiS-Kabinett vereidigen

Trotz des Siegs der Opposition bei der Parlamentswahl in Polen will Präsident Andrzej Duda am Montag ein neues Kabinett des bisherigen Regierungschefs Mateusz Morawiecki vereidigen. Dieser Anlauf der nationalkonservativen PiS zur Regierungsbildung ist chancenlos und ein taktisches Manöver, um den Machtwechsel zu verzögern. Morawiecki muss innerhalb von 14 Tagen nach der Vereidigung die Vertrauensfrage im Parlament stellen. Dort hat er jedoch keine Mehrheit.

Bei der Wahl am 15. Oktober hatten drei proeuropäische Parteien unter Führung des ehemaligen EU-Ratspräsidenten Tusk eine deutliche Mehrheit von 248 der 460 Sitze errungen. Mittlerweile steht auch schon ein Koalitionsvertrag. Die PiS kam auf 194 Sitze und hat keinen Koalitionspartner.

Doch auch angesichts der Mehrheitsverhältnisse hatte Präsident Duda, der selbst aus den Reihen der PiS stammt, den PiS-Politiker Morawiecki am 13. November mit der Regierungsbildung beauftragt. Vertreter der Opposition werfen Duda vor, er wolle so die Wende über Wochen hinausziehen. dpa

  • Europapolitik
  • Polen

Presseschau

EU-Asyl-Pläne: Bundesweit Demonstrationen gegen Verschärfung von Regelungen DEUTSCHLANDFUNK
EU-Pläne gegen Drittländer, die Russland-Sanktionen umgehen – es gibt Widerstand BERLINER ZEITUNG
With antisemitism rising as the Israel-Hamas war rages, Europe’s Jews worry ABC NEWS
EU stellt 50 Millionen für Reparatur ukrainischer Häfen bereit: “Die Ukraine ernährt die Welt”: EU stellt 50 Millionen für Reparatur ukrainischer Häfen bereit RND
EU-Debatte zur Ukraine: Charles Michel sucht Einigung mit Ungarns Regierungschef SÜDDEUTSCHE
Annalena Baerbock: “Die Ukraine wird die EU in absehbarer Zeit verstärken” ZEIT
Streit über künftigen Ukraine-Kurs in der EU EURONEWS
Der Plan der EU für die Ukraine könnte leicht nach hinten losgehen MERKUR
Montenegro – “Unser Beitritt würde zeigen: Reformen lohnen sich” FAZ
OSZE-Treffen: Moskau will Showdown in Skopje SÜDDEUTSCHE
Kommentar: Die Zersplitterung der Parteienlandschaft ist eine Gefahr für die EU DER STANDARD
Bundesparteitag: Grünen-Streit zu Migration – EU-Wahlprogramm steht ZEIT
CSU kürt EVP-Chef Weber zum Europa-Spitzenkandidaten DEUTSCHLANDFUNK
Neues Gebäude für das EU-Parlament in Straßburg SWR
Strikteres Vorgehen trifft auch Deutsche – Seit Brexit: Deutlich mehr EU-Bürger an britischen Grenzen abgewiesen RND
Italien-Albanien-Deal: Geplante Migrantenlager landen vor Albaniens Verfassungsgericht DER STANDARD
EU-Canada summit: Israel-Hamas conflict, climate change high on the agenda GLOBALNEWS

Standpunkt

Die Weltklimakonferenz in Dubai muss liefern

Von Oliver Wieck
Oliver Wieck ist Generalsekretär von ICC Germany, der deutschen Vertretung der Internationalen Handelskammer.

In den vergangene Jahren und Jahrzehnten waren wir in Europa Wohlstand und Frieden gewohnt. Derzeit scheint beides in Gefahr. Der russische Angriff auf die Ukraine und die dramatischen Entwicklungen im Nahen Osten haben uns vor neue geopolitische und geoökonomische Herausforderungen gestellt. Kaum hat sich die Weltwirtschaft von den Folgen der Covid-Pandemie erholt, drohen ihr neue Risiken – seien es Lieferschwierigkeiten, Fachkräftemangel oder Energieengpässe. Kurzum: Nach 2022, dem Jahr der “Zeitenwende”, erweist sich also auch 2023 als ein Jahr der Krisen, und das nicht nur in Europa, sondern weltweit.

Mit diesen Entwicklungen im Rücken findet in einigen Tagen die Weltklimakonferenz in Dubai statt. Man könnte fast meinen, dies sei der schlechteste Zeitpunkt. Und dennoch ist die COP28 von entscheidender Bedeutung, denn die Klimakrise betrifft jeden von uns inzwischen fast täglich, und Lösungen zu finden, wird drängender denn je. Zudem findet die Konferenz genau auf halbem Weg zwischen dem Abschluss des Klimaabkommens von Paris im September 2016 und seiner Umsetzung bis 2030 statt. Für eine nüchterne Bestandsaufnahme und einen ambitionierten Fahrplan für die nächsten sieben Jahre gibt es kaum einen besseren Zeitpunkt.

Konkrete Maßnahmen erforderlich

Die globale Wirtschaft setzt sich bereits seit Jahren für schnellere Fortschritte bei der Anpassung an den Klimawandel und dessen Eindämmung ein. Durch Maßnahmen des Privatsektors allein wird das 1,5-Grad-Ziel jedoch nicht erreicht werden können. Stattdessen brauchen wir auf internationaler Ebene koordinierte Maßnahmen aller Regierungen, damit bestehende Hindernisse für innovative Klimalösungen beseitigt und die Rentabilität von Investitionen in eine Netto-Null-Zukunft verbessert werden.

Dafür kann und muss die Konferenz vor allem in drei zentralen Bereichen greifbare und praktische Ergebnisse liefern:

  1. Ein ambitionierter und vorausschauender globaler Masterplan muss die Bemühungen um den Klimaschutz in den verbleibenden Jahren dieses Jahrzehnts radikal verstärken und eine gerechte und verantwortungsvolle Energiewende weltweit beschleunigen. Dafür ist es unerlässlich, neben der Identifizierung der wichtigsten Handlungslücken auch wirksame Systeme zur Kohlenstoffbepreisung einzuführen sowie Lösungen und Technologien aufzuzeigen, die zu einer zügigeren Reduzierung von Emissionen beitragen können.
  2. Das langjährige Versprechen, 100 Milliarden US-Dollar an Klimafinanzierung für Entwicklungsländer zu mobilisieren, muss endlich umgesetzt werden. Gleichzeitig müssen wir auf der COP28 konkrete Weichen für die Klimafinanzierung nach 2025 stellen. Dazu gehört ein gemeinsamer Aktionsplan, der das globale Finanzsystem besser auf die Ziele des Pariser Klimaabkommens ausrichtet: Zum einen müssen die Rahmenbedingungen so gestaltet werden, dass die notwendigen privatwirtschaftlichen Investitionen tatsächlich getätigt werden können; zum anderen muss die Klimafinanzierung in den aufstrebenden Märkten nicht nur verfügbar, sondern auch bezahlbar sein. Dies ist gerade angesichts der aktuellen makroökonomischen Trends besonders wichtig.
  3. Wir brauchen einen funktionierenden grenzüberschreitenden Kohlenstoffmarkt. Auch wenn Artikel 6 des Pariser Klimaabkommens selbst keinen globalen CO₂-Preis vorsieht, so hat er doch das Potenzial, mit den richtigen Umsetzungsmechanismen einen kohärenteren multilateralen Ansatz für die CO₂-Bepreisung zu schaffen. Damit könnte die Grundlage für einen integrierten grenzüberschreitenden Kohlenstoffmarkt geschaffen werden, der in der Lage ist, Emissionsreduktionen zu den geringstmöglichen Kosten für Unternehmen und Verbraucher:innen zu erreichen.

Stillstand können wir uns nicht mehr leisten. Von der diesjährigen COP muss die klare Botschaft ausgehen, dass Regierungen und Privatwirtschaft in ihrem Engagement für den Klimaschutz vereint sind und ihn in einer Weise voranbringen werden, die für und mit der Wirtschaft funktioniert. Nur so kann das Pariser Abkommen bis 2030 Realität werden. Gleichzeitig würde eine erfolgreiche COP ein äußerst wichtiges Zeichen für den Multilateralismus setzen – gerade in diesen Zeiten wäre dies von enormer Bedeutung.

  • COP28
  • Klima & Umwelt
  • Klimaschutz

Europe.Table Redaktion

EUROPE.TABLE REDAKTION

Licenses:
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    die geopolitischen Spannungen haben Europas Handelspolitik neues Leben eingehaucht. Aber zu einem Selbstläufer macht das die Verhandlungen noch lange nicht, wie das vorläufige Scheitern des Abkommens mit Australien unlängst demonstrierte. Die Handelsminister der 27 Mitgliedstaaten erwarten daher gespannt, was Kommissionsvize Valdis Dombrovskis ihnen heute von den laufenden Gesprächen mit den USA und mit den Mercosur-Staaten berichten wird.

    Die Kommission verhandelt mit Washington seit Monaten verbissen über eine Vereinbarung, die die Drohung erneuter US-Einfuhrzölle auf Stahl und Aluminium und europäischer Gegenmaßnahmen aus der Welt schafft. Die Biden-Administration hat zwar angeboten, gegenüber dem Verbündeten weitere ein oder zwei Jahre auf die von Donald Trump verhängten Zölle zu verzichten. Die Europäer fordern aber, dass Washington die Mengen deutlich anhebt, die europäische Exporteure zollfrei einführen können. Bei den jetzigen Einfuhrquoten (für Fachleute: TRQs) müssten die Unternehmen einen dreistelligen Millionenbetrag an Zöllen im Jahr abführen, so ein europäischer Diplomat.

    Eine andere Diplomatin bezweifelt aber, dass Biden dem vor der Präsidentschaftswahl im November 2024 zustimmen wird. Die Schutzzölle für die heimische Stahlindustrie sind populär, die Gewerkschaft USW etwa lehnt ihre Abschaffung entschieden ab. Die EU wiederum wehrt sich gegen Washingtons Drängen, ohne langwierige Untersuchung ihrerseits Zölle auf Stahl und Aluminium aus China zu verhängen. Können sich beide Seite nicht einigen, wofür aktuell vieles spricht, wird der jetzt geltende Waffenstillstand wohl über das Jahresende hinaus verlängert.

    Mindestens ebenso schwierig sind die Verhandlungen mit den vier Mercosur-Staaten. Beide Seiten versuchen, in den nächsten vierzehn Tagen einen Deal zustande zu bekommen. Der Chefunterhändler der Kommission weilt dafür aktuell in Südamerika. Doch wirft die Wahl des Populisten Javier Milei zum neuen Präsidenten Argentiniens dort neue Fragen auf.

    Und auch in Europa ist ein Abkommen alles andere als ein Selbstläufer: Am Wochenende beharrten die Delegierten auf dem Grünen-Parteitag darauf, gewährte Handelserleichterungen aussetzen zu können, sollten die Südamerikaner gegen die vereinbarten Standards im Umwelt- und Klimabereich verstoßen. Genau diese Form der Sanktionierung aber ist für Brasilien und Co eine rote Linie.

    Ich wünsche Ihnen einen guten Start in die Woche!

    Ihr
    Till Hoppe
    Bild von Till  Hoppe

    Analyse

    Green-Deal-Gesetze: Umweltausschuss stößt auf Widerstand

    Der Ausschuss für Umwelt, Gesundheit und Lebensmittel (ENVI) im Europaparlament stößt in diesem Mandat wiederholt mit Berichten zu Gesetzgebungsvorhaben des Green Deals im Plenum auf Widerstand. Im ENVI mit Mehrheit angenommene Positionen wurden im Plenum auffallend häufig gravierend abgeändert. Anderen gesetzgebenden Ausschüssen wie dem Industrieausschuss (ITRE), dem Agrarausschuss (AGRI) oder dem Binnenmarktausschuss (IMCO) gelingt es häufiger, die nötigen Vorarbeiten zu leisten und damit für eine zügige Abstimmung im Plenum zu sorgen.

    Bei diesen Gesetzgebungsvorhaben des Green Deal erlitt der ENVI Schiffbruch:

    Der SUR-Bericht wurde substanziell im Plenum verändert, die Rücküberweisung in den Ausschuss scheiterte – und damit das ganze Vorhaben, zumindest in diesem Mandat. Bei den vier anderen Dossiers veränderte die Mehrheit im Plenum die ENVI-Position substanziell. Auch beim Renaturierungsgesetz gab es Probleme: In allen drei beteiligten Ausschüssen fand der Bericht keine Mehrheit.

    Metsola erwog Zurückweisung in den Ausschuss

    Am spektakulärsten lief die Abstimmung über die Pestizidverordnung. Am Mittwochmorgen zeichnete sich das Drama bereits ab. Mehrere Dutzend Änderungsanträge sollten im Plenum abgestimmt werden. Parlamentspräsidentin Roberta Metsola erwog nach Informationen von Table.Media, den Bericht von der Tagesordnung zu nehmen und zurück in den Ausschuss zu verweisen. Bei Berichten mit mehr als 50 Änderungsanträgen liegt dies im Ermessen der Präsidentin. Ein erfahrener Abgeordneter sagt: “Ein guter Berichterstatter sorgt dafür, dass es nicht mehr als zehn Änderungsanträge gibt.”

    Metsola entschied sich dagegen. Wohl auch, weil die Christdemokratin nicht von Seiten der Grünen und S&D den Vorwurf der Parteilichkeit provozieren wollte. Absprachen von EVP, EKR sowie Teilen von Renew und S&D führten dazu, dass Änderungsanträge in den beiden zentralen Bereichen erfolgreich waren: Die Prozentzahl für die Pestizidreduktion sollte gegenüber dem Kommissionsvorschlag abgesenkt werden, die Reduktion später kommen und FFH-Gebiete ausgenommen werden aus den Schutzgebieten, in denen keine chemischen Pflanzenschutzmittel mehr erlaubt wären.

    Grüne und Sozialdemokraten hofften noch auf die Rücküberweisung an den ENVI, damit Berichterstatterin Sarah Wiener bei Nachverhandlungen im Ausschuss oder später im Trilog noch etwas herausholen könne. Dem ENVI-Vorsitzenden Pascal Canfin gelang es aber offensichtlich nicht, die notwendigen Stimmen der Liberalen für die Rücküberweisung zu organisieren.

    ENVI im Plenum häufig isoliert

    Tiemo Wölken, S&D-Koordinator im ENVI, räumt Handlungsbedarf ein: “Wir müssen das Problem angehen, dass häufig die anderen Ausschüsse anders unterwegs sind als der ENVI.” Der Umweltausschuss müsse sich um Positionen bemühen, die eine Chance auf Mehrheiten hätten: “Ansonsten ist absehbar, dass die Züge im Plenum aufeinander losrasen.” Niemand könne ein Interesse daran haben, “bei zentralen Gesetzgebungsvorhaben Zufallsentscheidungen zu riskieren.”

    Wölken warnt zudem vor den Folgen von knappen Entscheidungen für die Verhandlungen mit dem Rat: “Wenn sich der Berichterstatter nur auf ein schwaches Mandat aus dem Parlament stützen kann, hat er einen schweren Stand im Trilog.”

    Peter Liese, der Koordinator der EVP-Fraktion, sieht es ähnlich: “Einige führende Mitglieder des ENVI haben nicht verinnerlicht, dass sie für sehr ambitionierte, sehr grüne und mit Verboten belegte Forderungen keine Mehrheiten im Plenum finden”.  Es sei auffallend, dass ENVI-Mitglieder die “reine Lehre” durchdrücken wollten: “Gerade jetzt zum Ende des Mandats treibt sie der Gedanke, dass das Haus bei den Europawahlen einen Rechtsruck erfahren könnte.” Sie wollten Tatsachen schaffen, würden aber verkennen, dass sie “damit den befürchteten Rechtsruck nur wahrscheinlicher machen”.

    Die Hauptursache für die Probleme sieht Liese aber nicht im Parlament: “Der für den Green Deal zuständige Vize-Präsident Frans Timmermans hat reihenweise schlechte Gesetzgebungsvorschläge vorgelegt und trägt damit die Verantwortung für die Probleme.”

    Friktionen zwischen AGRI und ENVI

    Auffallend häufig stößt der ENVI bei den Gesetzgebungsvorhaben auf Widerstand im Plenum, die eine hohe Bedeutung für die Landwirtschaft haben. Es sind Dossiers, bei denen der Landwirtschaftsausschuss AGRI oft konträre Positionen vertritt, so wie bei SUR. Den Bauernverbänden war es gelungen, viele Abgeordnete zu überzeugen, dem Vernehmen nach selbst manchen deutschen Sozialdemokraten. Die Abstimmungen haben gezeigt, dass der AGRI eher Positionen einnimmt, für die es im Plenum Mehrheiten gibt.

    Die Pestizidverordnung wird schon seit Jahrzehnten federführend Im ENVI behandelt. Doch bei anderen Vorschlägen, argwöhnen Agrarpolitiker, habe Timmermans schon mit den einführenden Bemerkungen dafür gesorgt, dass das Dossier im ENVI lande. Der Ausschuss ist schließlich bekannt für seine grünen Positionen, der AGRI hingegen für bauernnahe Positionen. Dies wird von AGRI-Vertretern etwa bei den Frühstücksrichtlinien moniert, bei der es im Grunde um Marketing von Lebensmitteln geht, der AGRI aber nur eine Stellungnahme abgeben darf, sowie beim Forstmonitoring-Gesetz, wo doch die Fachkompetenz für den Wald im AGRI liege.

    Weber will ENVI-Kompetenzen stutzen

    Die EVP setzt sich für einen Neuzuschnitt der Ausschüsse ein. Es wird damit gerechnet, dass EVP-Fraktionschef Manfred Weber mit Unterstützung von EKR, ID und Teilen von Renew im Februar einen Vorstoß unternehmen wird. Vor allem die Kompetenzen von ENVI könnten gestutzt werden. Umweltpolitiker Liese unterstützt die Idee: “Der ENVI hat zu viele Zuständigkeiten.” Er sei dafür, dass der Ausschuss sich auf die Umwelt- und Klimavorschläge beschränke. Daneben solle es einen Vollausschuss für Lebensmittelsicherheit und Gesundheit geben. Zudem sollte es bei dem bisherigen Agrarausschuss bleiben, so Liese.

    Norbert Lins (CDU), der Vorsitzende des Agrarausschusses, möchte hingegen einen AGRI-FOOD-Ausschuss im nächsten Mandat bilden. Damit würde der Agrarausschuss die Zuständigkeiten für Lebensmittelsicherheit und Pflanzenschutz bekommen und vergleichbare Kompetenzen haben wie der Agrarministerrat. Wölken bremst: “Ich halte es für problematisch, Fakten zu schaffen. Wir sollten die Entscheidung dem nächsten Europaparlament überlassen.” Mitarbeit Lukas Scheid

    • Agrarpolitik
    • AGRI
    • ENVI
    • Europäisches Parlament
    • Europawahlen 2024
    • Green Deal
    • Klima & Umwelt
    Translation missing.

    Glaubenskämpfe beim Grünenparteitag

    Terry Reintke, Spitzenkandidatin der Grünen für die Europawahl 2024.

    Nach kontroverser Debatte wurde der Antrag der Grünen Jugend abgelehnt, keinen weiteren Asylrechtsrechtsverschärfungen zuzustimmen. Der Antrag sollte die grünen Ministerinnen und Minister verpflichten, in der Migrationsdebatte keine weiteren Zugeständnisse gegenüber Koalitionspartnern und Opposition zu machen. “Wer Rechten hinterherläuft, der gerät ins Stolpern”, warnte Katharina Stolle, die Vorsitzende der Grünen Jugend.

    Robert Habeck widersprach vehement und erklärte den Antrag zu einem “Misstrauensvotum in Verkleidung”. Die eigentliche Botschaft sei: “Verlasst die Regierung!” Die Parteivorsitzende Ricarda Lang warnte vor der Konsequenz, “dass wir dann nicht mehr mit am Tisch sitzen”. Und Annalena Baerbock wies darauf hin: “Wir regieren, weil wir etwas verändern wollen.”

    Es war die Kontroverse zwischen Regierungs-Grünen und Werte-Grünen, bei dem sich die Regierenden schlussendlich durchsetzten. Es war aber auch ein Zusammenprall der Generationen und der Parteiflügel, wie er sich auf diesem Parteitag mehrfach abspielte – wenn auch nicht so heftig wie beim Thema Migration.

    Delegierte wollen Mercosur-Nachverhandlungen

    Zwar nicht mit so viel Tamtam, aber durchaus folgenreich verlief die Abstimmung der Delegierten zum Mercosur-Freihandelsabkommen. Der Bundesvorstand hatte sich für das Abkommen ausgesprochen, das man ratifizieren wolle, wenn überprüfbare und einklagbare Verpflichtungen beim Umwelt-, Sozial- und Klimaschutz vereinbart werden. Die Europäer haben dies ihrerseits bereits in die Verhandlungen mit den vier Mercosur-Staaten eingebracht. Dem grünen Wirtschaftsminister Habeck hätte dies mehr Beinfreiheit verschafft.

    Der Parteibasis gingen die Formulierungen offenbar nicht weit genug. 53 Prozent der Delegierten stimmten für einen Änderungsantrag, der weitere Nachverhandlungen fordert, in denen Sanktionen und die Aussetzung des Handelsabkommens festgeschrieben werden, sollten die Südamerikaner gegen die von der EU geforderten Standards verstoßen. Die Unterstützer sehen darin die einzige Chance, Soja, für den Regenwald abgeholzt wurde, auf europäischen Märkten zu verhindern.

    Für die Gegner des Änderungsantrages stellt dies hingegen eine Bevormundung dar, die den Amazonas-Ländern vorschreibt, wie sie ihren Wald zu schützen haben. Die brasilianische Regierung etwa hat sich dies ausdrücklich verbeten.

    Kritik kam umgehend aus der Opposition. Julia Klöckner, wirtschaftspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, erklärte: Statt den wirtschaftspolitischen Schulterschluss mit Partnern in dieser Welt zu suchen, “knallen die Grünen den Mercosur-Staaten die Tür vor der Nase zu”. Dies spiele vor allem autoritären Staaten wie China in die Hände, so Klöckner.

    Europaliste mit wenig neuem Personal

    Die Wahl für die Liste, mit der die Grünen bei der Europawahl 2024 antreten wollen, brachte nur wenige neue Gesichter hervor, dafür aber die bekannten Flügelkämpfe. Terry Reintkes erfolgreiche Kandidatur für den Spitzenplatz ohne Gegenkandidatin verlief noch reibungslos – am Sonntag wurde sie auch europäische Spitzenkandidatin. Doch schon dahinter sorgten Absprachen zwischen Flügeln und Landesverbänden für Ergebnisse.

    Der linke Klimapolitiker Michael Bloss aus Baden-Württemberg unterlag dem Realo-Außenpolitiker Sergey Lagodinsky aus Berlin im Rennen um Platz 2. In der Folge gewann die Linke Anna Cavazzini trotz mäßiger Rede Platz 3 gegen eine überzeugende Hannah Neumann. In einem enorm knappen Votum setzte sich Agrar-Politiker Martin Häusling gegen Rasmus Andresen auf Platz 6 durch. Andresen wurde durchgereicht bis Platz 12, wo Niklas Nienaß Platz machte, um seinem Flügel-Kollegen und Gruppen-Chef eine größere Schmach zu ersparen.

    Das hatte Folgen für die Verkehrspolitikerin Anna Deparnay-Grunenberg, die sich der Umweltexpertin Jutta Paulus auf Platz 9 geschlagen geben musste. Deparnay-Grunenberg wurde nach hinten durchgereicht, da sich auf Platz 11 bis 14 ausschließlich Kandidaten vom linken Flügel durchsetzten. Da vor ihr bereits zwei Baden-Württemberger platziert wurden, wurde es für die Stuttgarterin noch schwerer, denn der große Landesverband Bayern war bis Platz 15 noch überhaupt nicht vertreten. So ging Platz 16 an Andie Wörle, Deparnay-Grunenberg konnte sich mit letzter Kraft noch Platz 17 sichern.

    15 Plätze aktuell realistisch

    Geht man von derzeitigen Umfragen aus, sind 15 Plätze im nächsten EU-Parlament für die deutschen Grünen realistisch. Mit Anna Peters steht nur ein neues Gesicht auf einem dieser aussichtsreichen Listenplätze. Die 27-jährige Baden-Württembergerin und ehemalige Sprecherin der Grünen Jugend setzt sich gegen die Sinologin Janka Oertel vom Thinktank ECFR durch und hat auf Platz 13 sehr gute Chancen, ins EU-Parlament einzuziehen.

    Von den bisherigen MEPs werden Henrike Hahn, Malte Gallée, Pierrette Herzberger-Fofana und Romeo Franz nicht mehr im Straßburger Parlament vertreten sein.

    Die Liste:

    1. Terry Reintke
    2. Sergej Lagodinsky
    3. Anna Cavazzini
    4. Michael Bloss
    5. Hannah Neumann
    6. Martin Häusling
    7. Katrin Langensiepen
    8. Erik Marquardt
    9. Jutta Paulus
    10. Daniel Freund
    11. Alexandra Geese
    12. Rasmus Andresen
    13. Anna Peters
    14. Niklas Nienaß
    15. Viola von Cramon-Taubadel
    16. Andie Wörle
    17. Anna Deparnay-Grunenberg
    18. Jan-Denis Wulff
    19. Janina Singh
    20. Viviane Triems
    • Die Grünen
    • Die Grünen/Efa
    • ECFR
    • Europapolitik
    • Europawahlen 2024

    “Innovationsfreundliche KI-Regulierung”

    Der Streit zwischen Europäischem Parlament und den Mitgliedstaaten über die Behandlung von Basismodellen (Foundation Models) und Allzweck-KI (General Purpose AI – GPAI) hat das Potenzial, die Verhandlungen über den AI Act scheitern zu lassen. Dass er den Zeitplan sprengen könnte, ist jedenfalls wahrscheinlich. Einige Beteiligte denken inzwischen laut darüber nach, dass auch ein Abschluss unter belgischer Ratspräsidentschaft möglich sei. Dann wäre der geplante Trilog am 6. Dezember doch nicht der finale.

    Auf einer KI-Konferenz am Freitag in Mainz sagte Bundesdigitalminister Volker Wissing, nachdem es jetzt auf G7-Ebene einen Code of Conduct gebe, “wäre es weniger dramatisch, wenn der AI Act jetzt scheitern würde. Aber ich will ihn ja nicht scheitern lassen.” Vielmehr arbeite er daran, “dass wir keinen Fehler machen beim Start der KI-Regulierung”.

    Ein solcher Fehler wäre es in den Augen des Ministers, zum jetzigen Zeitpunkt eine Technologie umfassend zu regulieren, deren Innovationssprünge niemand heute antizipieren könne. Dann bestehe die Gefahr, dass die Technologie anderswo entwickelt würde und Europa erneut in ein Souveränitäts- und damit auch in ein Sicherheitsproblem hineinlaufe.

    Deutschland will Vorschlag konkretisieren

    Wie weit Rat und Parlament auseinanderliegen, wurde nicht zuletzt mit dem gemeinsamen Non-Paper deutlich, das Deutschland, Frankreich und Italien vorgelegt haben (Table.Media berichtete hier und hier). Deutschland will jetzt ein weiteres Papier vorlegen, um den gemeinsamen Vorschlag mit Frankreich und Italien zur Behandlung von Foundation Models zu konkretisieren.

    “Wir wollen eine konkrete Formulierung vorschlagen, wie die regulierte Selbstregulierung durch Standardisierungsgremien erfolgen soll”, sagte Benjamin Brake, Abteilungsleiter für Digital- und Datenpolitik im BMDV, im Gespräch mit Table.Media.

    In dem gemeinsamen Non-Paper hatten die drei Mitgliedstaaten vorgeschlagen, die Regulierung von “Systems” (gemeint sind Anwendungen) im AI Act zu belassen. Sie wollen aber, dass die “Models” (die Entwicklung der Basistechnologie) über eine “regulierte Selbstregulierung” (mandatory self-regulation through codes of conduct) erfolgen soll. Das klingt nach lockeren Zügeln.

    DIN-Normen für KI

    Dem widerspricht Wissing. Obwohl der Eindruck entstehen könne, dass man “die Sicherheitsbedenken zurückstellt, wenn man jetzt weniger reguliert. Aber das Gegenteil ist nach meiner Überzeugung der Fall“, sagte er. “Es dient unserer Sicherheit und unserer Souveränität, dass wir diese Technologie in Europa weiterentwickeln und sie auch selbst in der Hand halten.”

    Brake erklärte dazu, die regulierte Selbstregulierung sei ein juristischer Begriff. “Und es geht keinesfalls darum, dass die Unternehmen hier ihre Regeln selbst schreiben.” Vielmehr solle dies durch Standardisierungsgremien erfolgen. “Wir wollen die Regulierung auf eine technische Ebene bringen, bei der sowohl große als auch kleine Unternehmen die Möglichkeit haben, mitzuwirken.” Die Bundesregierung spreche dazu unter anderem mit dem Deutschen Institut für Normung (DIN).

    Steuerung über Standards ist weniger politisch aufgeladen

    In jedem Falle lehnt die Bundesregierung den zweistufigen Ansatz des Parlaments (two-tier approach) ab, wonach wirkmächtige Modelle stärker kontrolliert werden sollen als andere. “Das ist eine Unterscheidung, die wir nicht treffen wollen – und die auch nicht zukunftssicher ist”, sagte Brake. Der Punkt sei, dass die Entwicklung der Technologie unabsehbar sei, weswegen ein harter Regulierungsrahmen ungeeignet erscheine. Eine Steuerung über Standards erlaube dagegen eine flexible Anpassung an die Entwicklung.

    Unterdessen hat die Kommission einen neuen Vorschlag gemacht, in dem sie den zweistufigen Ansatz modifiziert und – noch ein neuer Begriff – nun von einem Code of Practice spricht. Die Mehrheit im Parlament will jedoch nach wie vor eine Regulierung der Modelle, die ein systemisches Risiko darstellen. Bei den Verhandlungen auf technischer Ebene am Freitag wurden die Diskussionen zu Foundation Models und GPAI auf Montag verschoben.

    Deutschland, Estland, Lettland und Litauern bilden Innovationsklub

    Wissing hat bereits weitere Mitstreiter für seinen Ansatz der “innovationsfreundlichen Regulierung” von Künstlicher Intelligenz gefunden. Zusammen mit den baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen hat er einen Innovationsklub mit dem Ziel gegründet, den “Digitalstandort Europa zu stärken”. Im Klub soll Deutschland seine Industriekompetenz und die baltischen Staaten ihren Vorsprung bei der Digitalisierung ihrer Verwaltung einbringen.

    Aušrinė Armonaitė, Ministerin für Wirtschaft und Innovation Litauens, sagte, es sei wichtig, bei der Regulierung von KI agil zu bleiben. Ihr estnischer Kollege Tiit Riisalo ergänzte, man müsse eine bestimmte Art von Offenheit bewahren. Obwohl die Minister sich ausdrücklich nicht zu den Verhandlungen äußern wollten, gibt es demnach im Rat keine Mehrheit für eine umfassende Regulierung von Foundation Models. Ebenfalls bemerkenswert: Die drei baltischen Staaten betonten, wie wichtig es sei, dass Deutschland hier eine Führungsrolle übernehme.

    Vorschläge für eine neue Digitalagenda ab 2024

    Der noch junge Innovationsklub startete mit der Vorlage eines Neun-Punkte-Papiers, in dem die vier Länder ihre Forderungen an die künftige EU-Kommission formulieren. “Gemeinsam arbeiten wir darauf hin, dass die EU in der Digitalpolitik die richtigen Prioritäten setzt: Schnellere Entscheidungen, mehr Innovationsoffenheit und weniger Belastungen für Unternehmen”, sagte Wissing. Zu den Punkten gehören eine leistungsfähige Infrastruktur und Cybersicherheit. Mit dem Plan wollen die Länder die Verabschiedung einer neuen Digitalagenda ab 2024 unterstützen.

    Estlands Minister betonte wie Wissing die Wichtigkeit, sich international über die Regulierung von KI abzustimmen. Er brachte noch einmal ein internationales Gremium für KI nach dem Vorbild des IPCC (International Panel on Climate Change) ins Spiel. Das wurde bereits auf dem AI Safety Summit in Bletchley Park diskutiert.

    Mission KI und Sandkästen für Nutzer

    Neben dem Innovationsklub stellte Wissing in Mainz auch ein Hebelprojekt der Digitalstrategie vor: Die nationale Initiative für Künstliche Intelligenz, die jetzt Mission KI heißt. Ziel des vom BMDV geförderten Projekts ist es, neben Standards, die international anschlussfähig sind, bessere Rahmenbedingungen für digitale Innovationen schaffen. Dazu soll Mission KI die Entwicklung von qualitätsvollen KI-Produkten unterstützen.

    Mission KI tritt auch an, um den Zugang zu KI zu vereinfachen und den Transfer von Forschung zur Anwendung zu fördern. Dazu sollen zwei KI-Innovationszentren in Kaiserslautern und Berlin entstehen, in denen Unternehmen und Bürger KI-Anwendungen testen können. Auch in anderen EU-Ländern entstehen derzeit solche Reallabore (regulatory sandboxes), wie sie auch im AI Act vorgesehen sind.

    • Europäisches Parlament
    • Künstliche Intelligenz
    • Künstliche Intelligenz-Verordnung
    • Trilog
    • Volker Wissing
    Translation missing.

    News

    Grid Action Plan: Mitgliedsstaaten sollen EU-Gelder stärker nutzen

    EU-Gelder für den Ausbau der Energieverteilnetze sollen nach dem Willen der Kommission von den Mitgliedstaaten stärker genutzt werden. In der laufenden Haushaltsperiode 2021-27 hätten die Staaten erst 4,7 Milliarden Euro aus EU-Fördertöpfen bereitgestellt, kritisiert die Kommission im Entwurf ihres Grid Action Plans, der Table.Media vorliegt. Die endgültige Fassung soll kommenden Mittwoch vorgestellt werden.

    Für Anfang nächsten Jahres kündigt die Kommission einen gezielten Austausch mit den Mitgliedstaaten an, um Fördermöglichkeiten bekannter zu machen – etwa aus der Regionalförderung und aus Kohäsionsmitteln. Bis Januar 2025 soll die Regulierungsagentur ACER außerdem Empfehlungen vorlegen, wie die nationalen Regulierungsbehörden Betriebskosten (OPEX) stärker in der Regulierung von Netzen berücksichtigen können. “Wir müssen einen Anstieg der Betriebskosten bei der Installation und dem Betrieb unserer Netze anerkennen, einschließlich der Kosten für die physische Sicherheit und die Cybersicherheit”, schreibt die Kommission.

    Die investitionsfreundlichere Haltung der Kommission spiegelt sich auch in der stärkeren Anerkennung von vorausschauenden Netzinvestitionen, die schon durch die laufende Strommarktreform unterstützt werden soll. Für das erste Quartal 2025 kündigt die Kommission nun Leitlinien zur Anerkennung von vorausschauenden Investitionen an. “Die Wohlfahrtsverluste, die durch die Verzögerung der für den Anschluss erneuerbarer Energien und flexibler Nachfrage erforderlichen Netzausbauten entstehen, überwiegen häufig die zusätzlichen Anfangskosten für vorausschauende Investitionen”, heißt es im Netzaktionsplan. ber

    • Cybersicherheit
    • Digitalisierung
    • Energie
    • Strom

    Rutte-Partei will keine Koalition mit Wilders

    Geert Wilders, der rechtsradikale Wahlsieger in den Niederlanden, hat bei der Suche nach Koalitionspartnern einen Rückschlag erlitten. Die rechtsliberale Regierungspartei VVD des scheidenden Premiers Mark Rutte lehnte es am Freitag ab, nach 13 Jahren erneut an einer Regierung teilzunehmen. Damit ist es für Wilders fast unmöglich, eine stabile rechte Mehrheit zu finden. Er kann nur auf eine Minderheitsregierung zusteuern, die von der VVD unterstützt wird.

    Wilders’ Anti-Islampartei PVV gewann bei der Wahl am Mittwoch 23,6 Prozent der Stimmen und damit 37 der 150 Parlamentssitze. Die VVD verlor zehn Mandate und kam auf 24 Sitze, einen Sitz weniger als das rot-grüne Bündnis von Frans Timmermans. Für eine Mehrheit sind mindestens drei Parteien nötig. Ab Montag soll nun ein Sondierer die Chancen für eine Koalition ausloten.

    VVD-Chefin Dilan Yesilgöz begründete die Absage ihrer Partei mit den großen Verlusten bei der Wahl. “Der Wähler hat gesagt: VVD, setz eine Runde aus.” Sie sei aber bereit, eine “Koalition der Gewinner” möglich zu machen. “Konstruktive Vorschläge werden wir unterstützen.” Wilders reagierte enttäuscht, denn Yesilgöz hatte zunächst Gesprächsbereitschaft signalisiert. “Die Regierungsbildung kann nun vielleicht Monate dauern”, sagte der 60-Jährige.

    Möglicher Partner Omtzigt hält sich bedeckt

    Für Wilders gibt es nun noch einen wichtigen Partner: Der erst kürzlich gegründete Neue Soziale Vertrag (NSC) des früheren Christdemokraten Pieter Omtzigt, der auf Anhieb 20 Mandate gewann. Omtzigt hatte im Wahlkampf eine Koalition mit Wilders ausgeschlossen, doch in der Wahlnacht Gesprächsbereitschaft angedeutet: Jetzt müsse man “über seinen Schatten springen”.

    Dieser Sprung müsste für Omtzigt allerdings riesig ausfallen. Beim großen Aufregerthema Migration könnten sich beide wohl schnell einigen. Auch der NSC will eine Quote bei der Zuwanderung. Doch es gibt prinzipielle Unterschiede. Omtzigt war angetreten mit dem Versprechen einer neuen Führungskultur, einer größeren Bedeutung für das Grundgesetz und den Rechtsstaat. Das lässt sich nur schwer vereinbaren mit der PVV, die Koran und Moscheen verbieten und Grenzen für Asylsuchende schließen will. Die PVV will zudem aus der EU austreten und den Klimaschutz beenden.

    Wilders betonte in einem Post auf X, er werde seine Positionen “weiterhin mäßigen”, wenn es nötig sei. Er werde früher oder später “Ministerpräsident dieses schönen Landes sein”. dpa/tho

    • Europapolitik
    • Niederlande

    Präsident will chancenloses PiS-Kabinett vereidigen

    Trotz des Siegs der Opposition bei der Parlamentswahl in Polen will Präsident Andrzej Duda am Montag ein neues Kabinett des bisherigen Regierungschefs Mateusz Morawiecki vereidigen. Dieser Anlauf der nationalkonservativen PiS zur Regierungsbildung ist chancenlos und ein taktisches Manöver, um den Machtwechsel zu verzögern. Morawiecki muss innerhalb von 14 Tagen nach der Vereidigung die Vertrauensfrage im Parlament stellen. Dort hat er jedoch keine Mehrheit.

    Bei der Wahl am 15. Oktober hatten drei proeuropäische Parteien unter Führung des ehemaligen EU-Ratspräsidenten Tusk eine deutliche Mehrheit von 248 der 460 Sitze errungen. Mittlerweile steht auch schon ein Koalitionsvertrag. Die PiS kam auf 194 Sitze und hat keinen Koalitionspartner.

    Doch auch angesichts der Mehrheitsverhältnisse hatte Präsident Duda, der selbst aus den Reihen der PiS stammt, den PiS-Politiker Morawiecki am 13. November mit der Regierungsbildung beauftragt. Vertreter der Opposition werfen Duda vor, er wolle so die Wende über Wochen hinausziehen. dpa

    • Europapolitik
    • Polen

    Presseschau

    EU-Asyl-Pläne: Bundesweit Demonstrationen gegen Verschärfung von Regelungen DEUTSCHLANDFUNK
    EU-Pläne gegen Drittländer, die Russland-Sanktionen umgehen – es gibt Widerstand BERLINER ZEITUNG
    With antisemitism rising as the Israel-Hamas war rages, Europe’s Jews worry ABC NEWS
    EU stellt 50 Millionen für Reparatur ukrainischer Häfen bereit: “Die Ukraine ernährt die Welt”: EU stellt 50 Millionen für Reparatur ukrainischer Häfen bereit RND
    EU-Debatte zur Ukraine: Charles Michel sucht Einigung mit Ungarns Regierungschef SÜDDEUTSCHE
    Annalena Baerbock: “Die Ukraine wird die EU in absehbarer Zeit verstärken” ZEIT
    Streit über künftigen Ukraine-Kurs in der EU EURONEWS
    Der Plan der EU für die Ukraine könnte leicht nach hinten losgehen MERKUR
    Montenegro – “Unser Beitritt würde zeigen: Reformen lohnen sich” FAZ
    OSZE-Treffen: Moskau will Showdown in Skopje SÜDDEUTSCHE
    Kommentar: Die Zersplitterung der Parteienlandschaft ist eine Gefahr für die EU DER STANDARD
    Bundesparteitag: Grünen-Streit zu Migration – EU-Wahlprogramm steht ZEIT
    CSU kürt EVP-Chef Weber zum Europa-Spitzenkandidaten DEUTSCHLANDFUNK
    Neues Gebäude für das EU-Parlament in Straßburg SWR
    Strikteres Vorgehen trifft auch Deutsche – Seit Brexit: Deutlich mehr EU-Bürger an britischen Grenzen abgewiesen RND
    Italien-Albanien-Deal: Geplante Migrantenlager landen vor Albaniens Verfassungsgericht DER STANDARD
    EU-Canada summit: Israel-Hamas conflict, climate change high on the agenda GLOBALNEWS

    Standpunkt

    Die Weltklimakonferenz in Dubai muss liefern

    Von Oliver Wieck
    Oliver Wieck ist Generalsekretär von ICC Germany, der deutschen Vertretung der Internationalen Handelskammer.

    In den vergangene Jahren und Jahrzehnten waren wir in Europa Wohlstand und Frieden gewohnt. Derzeit scheint beides in Gefahr. Der russische Angriff auf die Ukraine und die dramatischen Entwicklungen im Nahen Osten haben uns vor neue geopolitische und geoökonomische Herausforderungen gestellt. Kaum hat sich die Weltwirtschaft von den Folgen der Covid-Pandemie erholt, drohen ihr neue Risiken – seien es Lieferschwierigkeiten, Fachkräftemangel oder Energieengpässe. Kurzum: Nach 2022, dem Jahr der “Zeitenwende”, erweist sich also auch 2023 als ein Jahr der Krisen, und das nicht nur in Europa, sondern weltweit.

    Mit diesen Entwicklungen im Rücken findet in einigen Tagen die Weltklimakonferenz in Dubai statt. Man könnte fast meinen, dies sei der schlechteste Zeitpunkt. Und dennoch ist die COP28 von entscheidender Bedeutung, denn die Klimakrise betrifft jeden von uns inzwischen fast täglich, und Lösungen zu finden, wird drängender denn je. Zudem findet die Konferenz genau auf halbem Weg zwischen dem Abschluss des Klimaabkommens von Paris im September 2016 und seiner Umsetzung bis 2030 statt. Für eine nüchterne Bestandsaufnahme und einen ambitionierten Fahrplan für die nächsten sieben Jahre gibt es kaum einen besseren Zeitpunkt.

    Konkrete Maßnahmen erforderlich

    Die globale Wirtschaft setzt sich bereits seit Jahren für schnellere Fortschritte bei der Anpassung an den Klimawandel und dessen Eindämmung ein. Durch Maßnahmen des Privatsektors allein wird das 1,5-Grad-Ziel jedoch nicht erreicht werden können. Stattdessen brauchen wir auf internationaler Ebene koordinierte Maßnahmen aller Regierungen, damit bestehende Hindernisse für innovative Klimalösungen beseitigt und die Rentabilität von Investitionen in eine Netto-Null-Zukunft verbessert werden.

    Dafür kann und muss die Konferenz vor allem in drei zentralen Bereichen greifbare und praktische Ergebnisse liefern:

    1. Ein ambitionierter und vorausschauender globaler Masterplan muss die Bemühungen um den Klimaschutz in den verbleibenden Jahren dieses Jahrzehnts radikal verstärken und eine gerechte und verantwortungsvolle Energiewende weltweit beschleunigen. Dafür ist es unerlässlich, neben der Identifizierung der wichtigsten Handlungslücken auch wirksame Systeme zur Kohlenstoffbepreisung einzuführen sowie Lösungen und Technologien aufzuzeigen, die zu einer zügigeren Reduzierung von Emissionen beitragen können.
    2. Das langjährige Versprechen, 100 Milliarden US-Dollar an Klimafinanzierung für Entwicklungsländer zu mobilisieren, muss endlich umgesetzt werden. Gleichzeitig müssen wir auf der COP28 konkrete Weichen für die Klimafinanzierung nach 2025 stellen. Dazu gehört ein gemeinsamer Aktionsplan, der das globale Finanzsystem besser auf die Ziele des Pariser Klimaabkommens ausrichtet: Zum einen müssen die Rahmenbedingungen so gestaltet werden, dass die notwendigen privatwirtschaftlichen Investitionen tatsächlich getätigt werden können; zum anderen muss die Klimafinanzierung in den aufstrebenden Märkten nicht nur verfügbar, sondern auch bezahlbar sein. Dies ist gerade angesichts der aktuellen makroökonomischen Trends besonders wichtig.
    3. Wir brauchen einen funktionierenden grenzüberschreitenden Kohlenstoffmarkt. Auch wenn Artikel 6 des Pariser Klimaabkommens selbst keinen globalen CO₂-Preis vorsieht, so hat er doch das Potenzial, mit den richtigen Umsetzungsmechanismen einen kohärenteren multilateralen Ansatz für die CO₂-Bepreisung zu schaffen. Damit könnte die Grundlage für einen integrierten grenzüberschreitenden Kohlenstoffmarkt geschaffen werden, der in der Lage ist, Emissionsreduktionen zu den geringstmöglichen Kosten für Unternehmen und Verbraucher:innen zu erreichen.

    Stillstand können wir uns nicht mehr leisten. Von der diesjährigen COP muss die klare Botschaft ausgehen, dass Regierungen und Privatwirtschaft in ihrem Engagement für den Klimaschutz vereint sind und ihn in einer Weise voranbringen werden, die für und mit der Wirtschaft funktioniert. Nur so kann das Pariser Abkommen bis 2030 Realität werden. Gleichzeitig würde eine erfolgreiche COP ein äußerst wichtiges Zeichen für den Multilateralismus setzen – gerade in diesen Zeiten wäre dies von enormer Bedeutung.

    • COP28
    • Klima & Umwelt
    • Klimaschutz

    Europe.Table Redaktion

    EUROPE.TABLE REDAKTION

    Licenses:

      Jetzt kostenlos anmelden und sofort weiterlesen

      Keine Bankdaten. Keine automatische Verlängerung.

      Sie haben bereits das Table.Briefing Abonnement?

      Anmelden und weiterlesen