sicher ist Ihnen das bereits aufgefallen: Es gibt einen internationalen Wettbewerb zur Regulierung Künstlicher Intelligenz. Die Teilnehmer sind Regierungen oder internationale Organisationen. Das Ziel sind Regeln, die die Risiken dieser Technologie beherrschbar machen. Der Gewinn ist, von den Chancen zu profitieren, die sie uns bringen kann. So weit, so gut.
Niemand bestreitet, dass wir gute Regeln brauchen. Jedes Land hat das Recht, sich solche Regeln zu geben – und am besten stimmen wir diese auf internationaler Ebene ab. Jedenfalls mit den Staaten, die unsere Werte teilen.
Aber man darf sich schon fragen, ob es sinnvoll ist, wenn die G7, die G10, die OECD und die Unesco, der Europarat und die Europäische Union parallel an eigenen KI-Regelwerken oder Leitlinien arbeiten. Auch Großbritannien will sich mit einem eigenen Vorstoß einbringen, als Mittler zwischen allen Fronten.
Für kommende Woche hat der britische Premier Rishi Sunak zum zweitägigen “First Global AI Safety Summit” ins südenglische Bletchley Park geladen. Er sei überzeugt, dass nur Regierungen die Risiken der künstlichen Intelligenz in den Griff bekommen könnten, sagte Sunak gestern. Er hoffe, die Teilnehmer könnten sich dazu auf die Einrichtung eines international besetzten Gremiums einigen. Großbritannien seinerseits will selbst ein Institut für die Sicherheit künstlicher Intelligenz einrichten, das “neue Arten von KI untersuchen, bewerten und testen soll, damit wir verstehen, wozu jedes neue Modell fähig ist.”
Wir hoffen, dass die KI-Unternehmer, Politiker und Experten in Bletchley Park – da, wo einst die britischen Codeknacker im Zweiten Weltkriegs gearbeitet haben – auf überzeugende Lösungen kommen.
Zwei Kriege, viele Positionen und langer Streit: Beim Gipfeltreffen am Donnerstag in Brüssel sind die 27 Staats- und Regierungschefs der EU an die Grenzen der gemeinsamen Außenpolitik gestoßen. Während sie sich beim Ukraine-Krieg weitgehend geschlossen zeigten, war die Debatte über den Krieg in Israel und die humanitäre Katastrophe in Gaza von Uneinigkeit gekennzeichnet. Die Debatte zog sich bis in den späten Abend; Gipfelchef Charles Michel musste seinen Entwurf mehrfach nachbessern.
In der Ukraine-Politik setzen die 27 auf Kontinuität. Der Gipfel hat die politische, finanzielle und militärische Unterstützung des von Russland überfallenen Landes wie erwartet bekräftigt. Bundeskanzler Olaf Scholz betonte, Europa stehe “auf der Seite der Ukraine”. Litauens Präsident Gitanas Nauseda forderte, den Krieg in Osteuropa nicht zu vergessen: “Meine Botschaft heute ist, die Ukraine weiterhin zu unterstützen, auch wenn wir andere Krisenherde und geopolitische Gründe haben.”
Präsident Wolodymyr Selenskyj, der per Videokonferenz zugeschaltet war, forderte die EU auf, bald grünes Licht für Beitrittsverhandlungen zu geben. Die Ukraine habe die sieben von der EU-Kommission gestellten Bedingungen “praktisch umgesetzt”, sagte Selenskyj. Kiew wolle keine Ausnahmen von den vereinbarten Regeln. Er appellierte an die EU, sich nicht vom Krieg in Nahost ablenken zu lassen. Die Feinde der Freiheit” wollten ein “zweite Front” eröffnen; dies gelte es gemeinsam abzuwehren.
Für Irritationen sorgte Ungarns Regierungschef Viktor Orbán. Nachdem er wegen eines Handschlags mit Kremlchef Wladimir Putin in China kritisiert worden war, brüstete er sich mit seinem Draht zum Kreml. Ungarn sei das einzige EU-Land, das für einen Frieden zwischen Russland und der Ukraine eintrete. “Darauf sind wir stolz.” Luxemburgs scheidender Premier Xavier Bettel widersprach: “Gegenüber einem Land, das jeden Tag unter russischen Raketen leidet, ist das ein echter Stinkefinger”, sagte er.
Am meisten Zeit und Nerven kostete jedoch der Streit über die Nahost-Politik und die europäische Haltung zu Israel und Gaza. Deutschland und Österreich versuchten, Israel im Krieg gegen die Hamas den Rücken frei zu halten und Forderungen nach einer längeren Waffenruhe abzuwehren. Auch Ungarn und Tschechien betonten Israels Recht auf Selbstverteidigung. Spanien, Irland und Belgien sprachen sich dagegen für eine Waffenpause aus, die eine humanitäre Katastrophe in Gaza abwenden soll.
“Jetzt geht es darum, zu zeigen, dass wir Israel unterstützen”, sagte Kanzler Olaf Scholz bei seiner Ankunft in Brüssel. Es sei wichtig, dass die EU einen “klaren Standpunkt” vertrete. Mehr Hilfe für die Palästinenser mahnte dagegen der spanische Regierungschef und amtierende EU-Ratsvorsitzende Pedro Sánchez an. “Ich bin definitiv für eine humanitäre Pause”, sagte er. Dies sei das Minimum. Eigentlich sei sogar ein Waffenstillstand nötig, dem ein Friedensgipfel und eine Zwei-Staaten-Lösung folgen solle.
Ratspräsident Michel versuchte, es beiden Seiten recht zu machen. Er ging zunächst jedoch vor allem auf Deutschland zu und brachte vage Formulierungen wie “humanitäre Korridore” und “Pausen” ins Spiel. Nach Widerspruch von Spanien und Irland wurde der Entwurf um Passagen zum Schutz von Zivilisten und der Forderung nach einem “schnellen, sicheren und unbehinderten” Zugang für humanitäre Helfer in Gaza ergänzt. Dennoch zog sich die kontroverse Debatte bis zum Abendessen hin.
Danach gelang dann doch noch die Einigung. Der Gipfel verurteilt zuallererst den Terror-Angriff der Hamas und betont Israels Recht, sich zu verteidigen – “im Einklang mit internationalem Recht”. Danach äußert die EU “größte Besorgnis” wegen der sich verschlechternden humanitären Lage in Gaza. Den Bedürftigen müsse “mit allen nötigen Mitteln geholfen werden, einschließlich humanitärer Korridore und Pausen für humanitäre Zwecke”. Die Europäische Union werde eng mit den Partnern in der Region zusammenarbeiten, um Zivilisten zu schützen, Hilfe zu leisten und den Zugang zu Nahrung, Wasser, medizinischer Versorgung, Treibstoff und Unterkünften zu erleichtern, heißt es weiter. Dabei wolle man sicherstellen, dass diese Hilfe nicht von terroristischen Organisationen missbraucht werde.
Das Ergebnis entspricht weitgehend den deutschen Wünschen, die allerdings um scharfe Formulierungen zur humanitären Lage der Palästinenser ergänzt wurden. Konkrete Handlungsaufträge enthalten die Schlussfolgerungen nicht. Ob der Formelkompromiss hilft, das Bild der Uneinigkeit und Schwäche der letzten Wochen vergessen zu machen, ist offen. Die Bewährungsprobe dürfte schon bald kommen – wenn Israel die Bodenoffensive in Gaza startet.
Sehr zufrieden sei er, dass man sich auf eine Position des Parlaments zum CSA-Vorschlag der Kommission geeinigt habe, sagte Berichterstatter Javier Zarzalejos (EVP) bei einer Pressekonferenz mit den Schattenberichterstattern. “Wir haben versucht, einen umfassenden Ansatz für den Kampf gegen sexuellen Missbrauch online zu finden.” Die Parlamentsposition enthalte die richtige Balance zwischen effektiver Bekämpfung und dem Respekt für Grundrechte und zwischen Vorbeugung, Einhegung und Erkennung.
Kinder müssten konsequent vor sexualisierter Gewalt geschützt werden, betont Parlaments-Vizepräsidentin Katarina Barley (SPD) gegenüber Table.Media. “Es gibt viele effektive Maßnahmen, diese Vergehen strafrechtlich zu verfolgen und ihnen vorzubeugen. Ende-zu-Ende verschlüsselte Nachrichten auszulesen, das gehört nicht dazu.”
Tatsächlich kann man, obschon die Hülle dafür genutzt wurde, fast von einem Gegenvorschlag zum Kommissionsentwurf sprechen. Der All-Fraktionen-Vorschlag fokussiert im umstrittenen Artikel 49 wesentlich weniger auf technologische Maßnahmen, die potenzielle, neue Missbrauchsdarstellungen ausfindig machen sollen. Sondern stärker auf die Löschung bereits bekannten Materials anhand von sogenannten Hashwerten und Indikatoren, die in einer zentralen Datenbank beim geplanten “Zentrum für Kinderschutz”, so der Namensvorschlag des Parlaments, hinterlegt werden sollen. Für die Suche soll nur Software eingesetzt werden dürfen, die Vorgaben entspricht – das Zentrum soll eigene Detektionssoftware entwickeln lassen und diese dann Anbietern zur Verfügung stellen.
“Was auf dem Tisch liegt ist eine Ohrfeige für die Kommission“, formuliert Linkenpolitikerin Cornelia Ernst. “Das muss man so klar sagen, weil die Kommission nicht wirklich den Schutz von Kindern im Fokus hatte, sondern Massenüberwachung.” Dass der Kommissionsvorschlag nicht der richtige Weg sei, darin scheinen sich die Abgeordneten nach intensiven Debatten einig. Alles, was Massenüberwachung sei, sei nicht nur die rote Linie des Parlaments, formuliert Berichterstatter Javier Zarzalejos. Sondern eine der Europäischen Union. Niemand wolle diese Grenze überschreiten, die der Europäische Gerichtshof (EuGH) aufgezeigt habe.
Gestrichen wurde etwa jede Form von Client-Side-Scanning, einer Technik zum Umgehen wirksamer Ende-zu-Ende-Verschlüsselung. Im Parlamentstext heißt es etwa: “Nichts in dieser Verordnung soll verstanden werden als Verbot, Schwächung oder Unterminierung von Ende-zu-Ende-Verschlüsselung.” Jeder Schwächung von Verschlüsselungsalgorithmen, etwa durch Hintertüren, erteilten die Parlamentarier so eine klare Absage.
Statt auf mehr Überwachung setzen sie auf eine deutliche Stärkung des praktischen Opferschutzes – beginnend mit den Betreibern von Angeboten. “Die Gewinner dieser Einigung sind die Kinder”, sagt Patrick Breyer, Abgeordneter der Piratenpartei, Schattenberichterstatter für die Grünen und vor seinem Mandat Richter. Die problematischen Anteile seien bei der Parlamentsposition entfernt. Stattdessen seien Maßnahmen aufgenommen, die die Rechte schützen – etwa, dass Profile von Minderjährigen als Voreinstellung auf Privat gestellt sein müssen.
Aus der Pflicht wollen die Parlamentarier die Betreiber auch an anderer Stelle nicht lassen. Alle Anbieter müssten ihr Risiko prüfen und notwendige Schritte ergreifen. Die Parlamentsposition sieht eine Beschränkung auf Hostingdienste und öffentlich zugängliche Inhalte nummernunabhängiger interpersonaler Kommunikationsdienste vor. Zudem gibt es eine Ausnahme für Angebote, die kein substanzielles Problem aufweisen.
Nur jene Anbieter, die sich dem Vorgehen verweigerten, könnten von einem Gericht mit einer Prüfanordnung versehen werden – sie müssten dann selbst auf bereits bekannte Darstellungen sexuellen Missbrauchs prüfen. Grooming, die Anbahnung von Beziehungen zu Kindern, ist von solchen Anordnungen in der Vorstellung des Parlaments ausdrücklich ausgenommen und Textnachrichten seien nicht Gegenstand der vorgesehenen richterlichen Anordnungen. In drei Jahren soll die Kommission hier einen Bericht zur Wirksamkeit beim Grooming vorlegen.
Die Abgeordneten zeigten heute mit dem Finger in Richtung Rat, dessen Beratungen des Dossiers derzeit feststecken. Das Parlament hat vorgelegt und die Messlatte formuliert. Sehr zur Freude von Barley: “Der Verordnungsentwurf der EU-Kommission wäre aus meiner Sicht nicht mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs vereinbar.” Und weiter: “Der EuGH untersagt, anlasslos in den privaten Chats der Menschen zu schnüffeln und die Bevölkerung unter Generalverdacht zu stellen. Wir brauchen Präventivmaßnahmen und müssen mehr Mittel für effektive Strafverfolgung sicherstellen. Dies sollte der Rat bei seinen aktuellen Verhandlungen erkennen.”
Sieben Online-Plattformen haben ihre ersten Transparenzberichte nach dem Digital Services Act (DSA) vorgelegt. Amazon, LinkedIn, TikTok, Pinterest, Snapchat, Zalando und Bing waren damit schneller als verlangt. Die Berichte fallen in Form und Inhalt recht unterschiedlich aus. Amazons Transparenzbericht etwa umfasst 26 Seiten und mutet inklusive Fotos fast wie eine Marketingbroschüre an. Bing hat seine Informationen in Häppchen zum Ausklappen aufbereitet. Zalando hat sich mit acht Seiten kurzgefasst. Snapchat bietet eine Seite mit Links an, die in die Irre führten, als die Redaktion sie testete.
Die Kommission will im Laufe der Zeit die Berichte mehr und mehr standardisieren. Für die Format- und Inhaltsvorgaben muss allerdings erst der “Ausschuss für Digitale Dienste” mit den Behörden der Mitgliedstaaten gebildet werden. Sie können also frühestens im Februar 2024 beschlossen werden.
Der Abgabetermin für die insgesamt 19 am 25. April benannten sehr großen Online-Plattformen (VLOPs) und Online-Suchmaschinen (VLOSE) ist der 6. November. Die übrigen benannten Unternehmen haben also noch etwas Zeit.
Die Transparenzberichte sollen für Klarheit und Verlässlichkeit bei der Moderation von Inhalten sorgen und so die Nutzer vor illegalen Inhalten schützen und die Kontrolle erleichtern. Die VLOPS und VLOSE müssen diesen Bericht von nun an alle sechs Monate vorlegen.
Plattformen mit weniger als 45 Millionen Nutzern und Vermittlungsdienste werden ebenfalls jährliche Transparenzberichte veröffentlichen müssen, sobald der DSA ab Februar 2024 auch für sie gilt. Diese regulären Transparenzberichte haben nichts mit den Untersuchungen zu tun, die die Kommission anlässlich des Israel-Hamas-Konflikts bei einigen Unternehmen durchführt.
In den Transparenzberichten müssen die Unternehmen Auskunft darüber geben, wie sie die Inhalte auf ihren Plattformen moderieren. So müssen sie zum Beispiel berichten, wie viele Nutzer (und wenn vorhanden Trusted Flagger) sie haben, wie viele Inhalte sie auf eigene Initiative oder auf Anordnung von Behörden hin entfernt haben. Sie müssen angeben, wie hoch die Fehlerquote ihrer automatisierten Systeme zur Kontrolle von Inhalten ist. Die Berichte müssen auch Informationen über die Moderationsteams enthalten, einschließlich ihrer Qualifikationen und sprachlichen Kenntnisse.
Amazon, das gegen seine Benennung als VLOP geklagt hat, listet detailliert auf, wie oft die Plattform von Aufsichtsbehörden kontaktiert wurde: In der ersten Hälfte des Jahres 2023 waren es 1.081 Kontakte von Behörden der EU-Mitgliedstaaten. Im Durchschnitt habe es weniger als einen Tag gedauert, um eine Behörde über den Eingang der Beschwerde zu informieren – und zwei Tage, um das Problem zu lösen. Die meisten Beschwerden (754) kamen aus Deutschland.
Im gleichen Zeitraum gibt Amazon an, auf eigene Initiative 274 Millionen Mal Maßnahmen zur Inhaltsmoderation ergriffen zu haben, um Inhalte aus dem EU-Shop zu entfernen – sowie Maßnahmen, die sich auf Verstöße gegen die Richtlinien oder illegale Inhalten bezogen. Bei der Moderation der Inhalte setzt Amazon offenbar vor allem auf automatisierte Systeme. Zahlen, wie viele Mitarbeiter das Unternehmen in der Inhaltsmoderation in der EU beschäftigt und welche Sprachen diese beherrschen, nennt Amazon nicht.
TikToks Bericht fällt optisch weniger üppig aus als der von Amazon, umfasst aber auch 23 Seiten. Demnach entfernte TikTok allein im September 2023 knapp vier Millionen Inhalte und kategorisiert diese auch von Jugendschutz bis Gewalt und Horror. TikTok “schätzt”, mehr als 6.125 Moderatoren zu haben, die sich mit Inhalten in der EU befassen. Außer Gälisch und Maltesisch decke TikTok weitere 22 Sprachen der EU ab. Mit 869 deutschsprachigen Moderatoren ist der deutsche Sprachraum überproportional gut abgedeckt. Länder wie Estland oder Litauen, die stark russischer Propaganda ausgesetzt sind, sind mit jeweils sechs Moderatoren schwach besetzt, die die Sprache beherrschen.
Zalando, das sich ebenso wie Amazon juristisch gegen die Einstufung als VLOP wehrt, hat dies auch in seinem Bericht noch einmal deutlich zum Ausdruck gebracht. Zalando prüfe sehr sorgfältig, welche Inhalte es hochlade. Zur Veranschaulichung gibt Zalando bei der Zahl der gelöschten Inhalte null an.
30.10-31.10.2023
Informelle Ministertagung Tourismus
Themen: Der Weg zur sozialen Nachhaltigkeit des Tourismus in der EU. Infos
Für einen Moment gab es positive Anzeichen, doch am Abend ging das Treffen zwischen Serbiens Präsident Aleksandar Vučić und Albaniens Premier Albin Kurti ohne Einigung zu Ende: “Unglücklicherweise waren beide Seiten nicht bereit, unserem Vorschlag ohne Bedingungen zuzustimmen”, sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell. Der Spanier hatte die Kontrahenten kurzfristig zu dem Treffen am Rande des EU-Gipfels eingeladen. Bei den getrennten Gesprächen mit Kurti und danach Vučić in einem Brüsseler Hotel waren auch Bundeskanzler Olaf Scholz, Präsident Emmanuel Macron und Regierungschefin Giorgia Meloni dabei.
Die EU wollte damit angesichts des Ernstes der Lage im Norden des Kosovo gezielt Druck aufsetzen. Auf dem Tisch lag ein neuer Vorschlag für den sogenannten serbischen Gemeindeverband. Borrell sprach von “modernen und europäischen Regeln” für die Selbstverwaltung der serbischen Minderheit im Kosovo. Der einzige Weg der europäischen Integration führe für Serbien und Kosovo über die Normalisierung der Beziehungen, sagte der Chefdiplomat. Die getrennten Gespräche waren auf jeweils 20 Minuten angesetzt, innerhalb derer Vucic und Kurti ihre Zustimmung oder Ablehnung erklären sollten.
Beide verließen das Hotel anschließend ohne Kommentar, trafen sich aber wenig später für weitere Gespräche mit Borrells Sonderbeauftragten Miroslav Lajčák, was als positives Zeichen gewertet wurde. Am Abend dann betonte Albin Kurti in einer Presseerklärung, er sei bereit gewesen, den Vorschlag zum serbischen Gemeindeverband und auch alle früheren Vereinbarungen zur Normalisierung zu unterzeichnen. Präsident Vučić habe sich hingegen geweigert mit Kosovo ein Abkommen zu unterzeichnen und habe zudem einen Begleitbrief gefordert, in dem quasi alle Zugeständnisse an Kosovo in Frage gestellt würden.
Serbiens Präsident erklärte gleichzeitig gegenüber der Nachrichtenagentur Tanjug, er sei bereit, den Vorschlag zur Selbstverwaltung der serbischen Minderheit umzusetzen. Serbien könne aber nicht akzeptieren, dass Kosovo Mitglied der Uno werde. In den Vereinbarungen für eine Normalisierung ist allerdings vorgesehen, dass Serbien Kosovo auf dem Weg zur Mitgliedschaft in internationale Organisationen wie die Uno oder den Europarat keine Hindernisse in den Weg legt. Eine Anerkennung Kosovos komme für Serbien nicht in Frage, sagte Vučić. Die EU will nach dem erneuten Scheitern im Dialog zwischen Belgrad und Pristina nicht aufgeben. Er werde die Bemühungen hin zu einer Normalisierung fortsetzen, sagte Borrell. sti
Der Präsident der Afrikanischen Union, Azali Assoumani, hat mehr Partnerschaften zwischen der europäischen und der afrikanischen Industrie gefordert. Diese könnten bei der sozioökonomischen Entwicklung des Kontinents einen wichtigen Beitrag leisten, sagte Assoumani am Donnerstag bei der Abschlussveranstaltung des Global Gateway Forums in Brüssel. Die EU-Infrastruktur-Initiative soll als Alternative zu Chinas Neuer Seidenstraße gesehen werden. Das Gerüst von Global Gateway ist komplex, da es neben EU-Behörden und -Kreditinstitutionen auch nationale Banken und die Privatwirtschaft einschließt.
Assoumani lobte den “erneuerten Willen, Afrika in seinem neuen Streben nach nachhaltigem Wirtschaftswachstum zu begleiten” und sich der “sehr wichtigen Herausforderung” zu stellen, “die Finanzierung der Infrastruktur bewältigen zu können”. Er betonte dabei auch die digitale Kluft in Afrika: “Mehr als die Hälfte der afrikanischen Bevölkerung hat keinen Internetanschluss.”
Die EU-Kommission hatte im Rahmen des Forums dutzende Projektvorhaben bekannt gegeben. Nach einem schwierigen Start der Initiative muss die EU nun bei der Umsetzung der Vorhaben ihren glaubhaften Willen zeigen. “Es gibt einen Kampf der Angebote“, sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell. Es zähle nicht nur eine “nette Geschichte”, sondern wer am meisten anbietet. Bei dem zweitägigen Forum in Brüssel waren laut der EU-Kommissarin für internationale Partnerschaften, Jutta Urpilainen, rund 90 hochrangige Staatsvertreter anwesend.
Am Abschlusstag sprachen neben den EU-Beamten auch Vertreter der Mitgliedstaaten, darunter die Ministerpräsidenten Portugals, Belgiens und Luxemburg. Für Italien, den einzigen EU-Staat, der bisher noch offiziell Teil der Neuen Seidenstraße ist, sprach Außenminister und Vize-Ministerpräsident Antonio Tajani. Italien muss bis Ende des Jahres entscheiden, ob es den Vertrag mit China verlängern möchte. Alle Zeichen stehen auf einen Austritt der Italiener aus der Belt and Road Initiative, offiziell muss es aber im Parlament bestätigt werden. ari
Am Donnerstag hat der portugiesische Auto-Manager Carlos Tavares eine spektakuläre Kehrtwende hingelegt. Noch im Vorjahr warnte der Stellantis-Chef vor den Gefahren der chinesischen Industriepolitik und zog sich sukzessive aus diesem Markt zurück. Jetzt jedoch präsentiert der 65-Jährige einen 1,5 Milliarden Euro schweren Deal: Der Opel-Mutterkonzern kauft sich mit über 21 Prozent beim chinesischen E-Autohersteller Leapmotor ein und startet ein gemeinsames Joint Venture. “Die chinesische Offensive auf Europa ist bereits Realität. Wir wollen kein Zuschauer sein, sondern Anführer”, wird Tavares vom französischen Figaro zitiert.
Auf dem Automarkt vollzieht sich dieser Tage ein Paradigmenwechsel: Die chinesischen Marken, die bei Verbrenner-Motoren stets eine untergeordnete Rolle spielten, haben im Elektro-Segment die Pole-Position eingenommen – auch dank konsequenter Industriepolitik der chinesischen Regierung. Bereits jetzt fährt jedes zweite E-Auto im Reich der Mitte, die Dominanz von BYD, Nio und Li Auto auf dem heimischen Markt ist erdrückend. Und künftig dürften die Unternehmen auch in Europa ihren Siegeszug antreten.
Die Aufholjagd der deutschen Platzhirsche ist im Gange. Nach zunächst schmerzlichen Rückschlägen musste man einsehen, dass es allein nicht gelingt: Genau wie Stellantis hat sich Volkswagen bereits im Juli bei der chinesischen Konkurrenz eingekauft. Für rund 700 Millionen Dollar erwarben die Wolfsburger knapp fünf Prozent der Marke Xpeng. Von der Branche wurde der Deal als eine Art “Sputnik-Moment” interpretiert: Der einstige Marktführer in China droht nun auf das Abstellgleis zu geraten.
Am Donnerstag hat Deutschland-Finanzchef von Volkswagen, Arno Antlitz, weitere schwierige Jahre am chinesischen Markt prognostiziert. Volkswagen sei immer noch Marktführer bei Verbrenner-Autos in China. Bei Elektroautos haben aber inzwischen chinesische Anbieter wie BYD die Wolfsburger abgehängt. In den kommenden ein bis zwei Jahren sei zu erwarten, dass der Marktanteil bei Elektroautos weiter sinke. Danach erhofft er sich Besserung durch die Kooperation mit Xpeng. “Wir werden ab 2026 mit wettbewerbsfähigen Angeboten aufholen”, sagte Antlitz.
Der Wettbewerb im E-Auto-Markt ist hart, die chinesischen Anbieter verfügen über hochwertigere Entertainment-Systeme und leistungsstärkere Elektro-Batterien – und das bei niedrigeren Preisen. Die Wettbewerbsvorteile beruhen jedoch auch auf marktverzerrenden staatlichen Subventionen. Erst im September kündigte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen eine “Antisubventionsuntersuchung” an, die möglicherweise Strafzölle gegen chinesische Automarken zur Folge haben könnte. Als Begründung führte von der Leyen auch das Beispiel der Solarindustrie an – einer Branche, die zunächst von europäischen Firmen angeführt wurde, ehe chinesische Staatsunternehmen die Konkurrenz mithilfe illegaler Dumping-Preise verdrängten.
Inhaltlich ist die Kritik durchaus berechtigt. Doch von den deutschen Autobauern wird die Rhetorik aus Brüssel keineswegs begrüßt. Man fürchtet nämlich bereits die Vergeltungsmaßnahmen der chinesischen Regierung. Laut Volkswagen, Daimler und BMW sollten die Probleme besser gesichtswahrend und subtil gelöst werden, statt auf offenen Konfrontationskurs zu gehen. Zu sehr ist man vom chinesischen Markt abhängig, als dass man Peking vergraulen möchte.
Der aktuelle Deal von Stellantis mit Leapmotor legt außerdem schonungslos offen, dass Geschäfte im Reich der Mitte oftmals mit moralischen Dilemmata einhergehen. Denn Zhu Jiangming, Gründer von Leapmotor, hat sein Vermögen ursprünglich mit der Überwachungsfirma “Dahua Technology” erwirtschaftet. Diese steht auf der Sanktionsliste Washingtons, da sie dem chinesischen Staat maßgeblich bei der Unterdrückung der Uiguren in Xinjiang hilft. So hat Dahua unter anderem Kameras mit einer Gesichtserkennungssoftware entwickelt, die Personen nach ethnischer Zugehörigkeit identifizieren kann – und gezielt Uiguren und Tibeter von Han-Chinesen filtert. Fabian Kretschmer
Zur Klimakrise gehört eine weitere Krise, die politisch bisher kaum beachtet wird: die Wasserkrise. Als erste europäische Institution hat gestern der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) Pläne zu deren Bewältigung vorgestellt. Parallel dazu hat eine Koalition europäischer NGOs ein Positionspapier veröffentlicht, in dem sie ein neues EU-Gesetz zur Klima- und Wasserresilienz fordern.
Damit verbreiten sie den Aufruf für einen “Blue Deal” weiter, der im vergangenen September von der Europaabgeordneten Pernille Weiss (EPP) und Pietro de Lotto, Koordinator für einen europäischen Blue Deal beim Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA), initiiert wurde. Dieser Aufruf wird von 35 EU-Parlamentariern aller Parteien unterstützt.
EWSA-Präsident Oliver Röpke stellte gestern eine politische Erklärung mit einer Reihe von 15 Leitprinzipien und 21 konkreten Maßnahmen für einen Blue Deal vor. “Wasser ist DIE Priorität“, sagte Röpke. “Wir müssen aus den Fehlern lernen, die bei Klima, Energie und kritischen Rohstoffen gemacht wurden, und eine eigenständige Wasserstrategie verabschieden, die gleichberechtigt neben dem EU Green Deal steht.”
Auch wenn der “Blue Deal” Gegenstand der satirischen TV-Serie “Parlament” ist – die Folgen des Wassermangels messen sich in Euro. In einem gerade veröffentlichten Bericht schätzt der WWF den jährlichen wirtschaftlichen Wert von Wasser und Süßwasser-Ökosystemen in der Europäischen Union auf über elf Billionen Euro. “Das ist etwa das 2,5-fache des BIP von Deutschland”, erklärt Claire Baffert, Referentin für Wasserpolitik im Büro für Europapolitik des WWF, der das Positionspapier mit unterzeichnet hat.
Die NGOs stellen darin fest, dass sich die direkten wirtschaftlichen Vorteile, wie der Wasserverbrauch für Haushalte, Bewässerungslandwirtschaft und Industrie, in Europa auf mindestens fast eine Billion Euro pro Jahr belaufen. Er schätzt außerdem, dass der unsichtbare Nutzen – der die Wasserreinigung, die Verbesserung der Bodengesundheit, die Kohlenstoffspeicherung und den Schutz der Gemeinden vor Überschwemmungen und extremen Dürren umfasst – zehnmal so hoch ist, nämlich etwa zehn Billionen Euro pro Jahr.
Mangelnder Regen, weniger Wasser in den Flüssen, sinkende Pegel in den meisten Grundwasservorkommen: Das verfügbare erneuerbare Wasser in Europa nimmt ab, fasst der Bericht zusammen. Dies ist auf die Auswirkungen der globalen Erwärmung zurückzuführen, aber auch auf die steigende Wassernachfrage, insbesondere in der Landwirtschaft und der Industrie.
Mais voilà: Die Schädigung von Flüssen, Seen, Feuchtgebieten und Grundwasser “bedroht” diese Werte und “untergräbt” die Klima- und Naturmaßnahmen der EU sowie die Fortschritte bei der Erreichung der Ziele der Wasserrahmenrichtlinie, so Claire Baffert weiter. Und schon steht wieder das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur vor der Tür, da der nächste politische Trilog für den 7. November angesetzt ist. “Denn die Lösungen können nicht nur technisch sein, wir brauchen auch Lösungen, die auf der Natur basieren”, sagt die Wasserexpertin.
Frankreich stützt sich in seinem im März dieses Jahres vorgestellten “Wasserplan” jedoch vor allem auf technische Lösungen. Paris musste reagieren, da die wiederholten Dürreperioden zu teilweise gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Landwirten und anderen Wassernutzern (einschließlich Schwimmbadbesitzern und Golfspielern, die ihren Lieblingssport gerne auf einem funkelnd satten Green ausüben) geführt haben.
Die Verringerung der Wasserverbrauches ist die “einzige Lösung” angesichts des Klimawandels, betonte Antoine Pellion, Generalsekretär für ökologische Planung, bei einer Anhörung durch die Abgeordneten des Ausschusses für nachhaltige Entwicklung der Assemblée Nationale.
Auch in Brüssel hat das Thema Wasser gerade seinen politischen Einzug in die Agenda der Kommission gehalten: Unter den drei Initiativen im neuen Arbeitsprogramm, das letzte Woche vorgestellt wurde, befindet sich eine, die sich der Wasserresilienz widmet. Keine dieser Initiativen ist jedoch gesetzgeberischer Natur, was wenig überraschend ist: Ein Vorschlag für eine Richtlinie oder eine Verordnung hätte keine Chance, vor den Europawahlen im Juni 2024 angenommen zu werden.
sicher ist Ihnen das bereits aufgefallen: Es gibt einen internationalen Wettbewerb zur Regulierung Künstlicher Intelligenz. Die Teilnehmer sind Regierungen oder internationale Organisationen. Das Ziel sind Regeln, die die Risiken dieser Technologie beherrschbar machen. Der Gewinn ist, von den Chancen zu profitieren, die sie uns bringen kann. So weit, so gut.
Niemand bestreitet, dass wir gute Regeln brauchen. Jedes Land hat das Recht, sich solche Regeln zu geben – und am besten stimmen wir diese auf internationaler Ebene ab. Jedenfalls mit den Staaten, die unsere Werte teilen.
Aber man darf sich schon fragen, ob es sinnvoll ist, wenn die G7, die G10, die OECD und die Unesco, der Europarat und die Europäische Union parallel an eigenen KI-Regelwerken oder Leitlinien arbeiten. Auch Großbritannien will sich mit einem eigenen Vorstoß einbringen, als Mittler zwischen allen Fronten.
Für kommende Woche hat der britische Premier Rishi Sunak zum zweitägigen “First Global AI Safety Summit” ins südenglische Bletchley Park geladen. Er sei überzeugt, dass nur Regierungen die Risiken der künstlichen Intelligenz in den Griff bekommen könnten, sagte Sunak gestern. Er hoffe, die Teilnehmer könnten sich dazu auf die Einrichtung eines international besetzten Gremiums einigen. Großbritannien seinerseits will selbst ein Institut für die Sicherheit künstlicher Intelligenz einrichten, das “neue Arten von KI untersuchen, bewerten und testen soll, damit wir verstehen, wozu jedes neue Modell fähig ist.”
Wir hoffen, dass die KI-Unternehmer, Politiker und Experten in Bletchley Park – da, wo einst die britischen Codeknacker im Zweiten Weltkriegs gearbeitet haben – auf überzeugende Lösungen kommen.
Zwei Kriege, viele Positionen und langer Streit: Beim Gipfeltreffen am Donnerstag in Brüssel sind die 27 Staats- und Regierungschefs der EU an die Grenzen der gemeinsamen Außenpolitik gestoßen. Während sie sich beim Ukraine-Krieg weitgehend geschlossen zeigten, war die Debatte über den Krieg in Israel und die humanitäre Katastrophe in Gaza von Uneinigkeit gekennzeichnet. Die Debatte zog sich bis in den späten Abend; Gipfelchef Charles Michel musste seinen Entwurf mehrfach nachbessern.
In der Ukraine-Politik setzen die 27 auf Kontinuität. Der Gipfel hat die politische, finanzielle und militärische Unterstützung des von Russland überfallenen Landes wie erwartet bekräftigt. Bundeskanzler Olaf Scholz betonte, Europa stehe “auf der Seite der Ukraine”. Litauens Präsident Gitanas Nauseda forderte, den Krieg in Osteuropa nicht zu vergessen: “Meine Botschaft heute ist, die Ukraine weiterhin zu unterstützen, auch wenn wir andere Krisenherde und geopolitische Gründe haben.”
Präsident Wolodymyr Selenskyj, der per Videokonferenz zugeschaltet war, forderte die EU auf, bald grünes Licht für Beitrittsverhandlungen zu geben. Die Ukraine habe die sieben von der EU-Kommission gestellten Bedingungen “praktisch umgesetzt”, sagte Selenskyj. Kiew wolle keine Ausnahmen von den vereinbarten Regeln. Er appellierte an die EU, sich nicht vom Krieg in Nahost ablenken zu lassen. Die Feinde der Freiheit” wollten ein “zweite Front” eröffnen; dies gelte es gemeinsam abzuwehren.
Für Irritationen sorgte Ungarns Regierungschef Viktor Orbán. Nachdem er wegen eines Handschlags mit Kremlchef Wladimir Putin in China kritisiert worden war, brüstete er sich mit seinem Draht zum Kreml. Ungarn sei das einzige EU-Land, das für einen Frieden zwischen Russland und der Ukraine eintrete. “Darauf sind wir stolz.” Luxemburgs scheidender Premier Xavier Bettel widersprach: “Gegenüber einem Land, das jeden Tag unter russischen Raketen leidet, ist das ein echter Stinkefinger”, sagte er.
Am meisten Zeit und Nerven kostete jedoch der Streit über die Nahost-Politik und die europäische Haltung zu Israel und Gaza. Deutschland und Österreich versuchten, Israel im Krieg gegen die Hamas den Rücken frei zu halten und Forderungen nach einer längeren Waffenruhe abzuwehren. Auch Ungarn und Tschechien betonten Israels Recht auf Selbstverteidigung. Spanien, Irland und Belgien sprachen sich dagegen für eine Waffenpause aus, die eine humanitäre Katastrophe in Gaza abwenden soll.
“Jetzt geht es darum, zu zeigen, dass wir Israel unterstützen”, sagte Kanzler Olaf Scholz bei seiner Ankunft in Brüssel. Es sei wichtig, dass die EU einen “klaren Standpunkt” vertrete. Mehr Hilfe für die Palästinenser mahnte dagegen der spanische Regierungschef und amtierende EU-Ratsvorsitzende Pedro Sánchez an. “Ich bin definitiv für eine humanitäre Pause”, sagte er. Dies sei das Minimum. Eigentlich sei sogar ein Waffenstillstand nötig, dem ein Friedensgipfel und eine Zwei-Staaten-Lösung folgen solle.
Ratspräsident Michel versuchte, es beiden Seiten recht zu machen. Er ging zunächst jedoch vor allem auf Deutschland zu und brachte vage Formulierungen wie “humanitäre Korridore” und “Pausen” ins Spiel. Nach Widerspruch von Spanien und Irland wurde der Entwurf um Passagen zum Schutz von Zivilisten und der Forderung nach einem “schnellen, sicheren und unbehinderten” Zugang für humanitäre Helfer in Gaza ergänzt. Dennoch zog sich die kontroverse Debatte bis zum Abendessen hin.
Danach gelang dann doch noch die Einigung. Der Gipfel verurteilt zuallererst den Terror-Angriff der Hamas und betont Israels Recht, sich zu verteidigen – “im Einklang mit internationalem Recht”. Danach äußert die EU “größte Besorgnis” wegen der sich verschlechternden humanitären Lage in Gaza. Den Bedürftigen müsse “mit allen nötigen Mitteln geholfen werden, einschließlich humanitärer Korridore und Pausen für humanitäre Zwecke”. Die Europäische Union werde eng mit den Partnern in der Region zusammenarbeiten, um Zivilisten zu schützen, Hilfe zu leisten und den Zugang zu Nahrung, Wasser, medizinischer Versorgung, Treibstoff und Unterkünften zu erleichtern, heißt es weiter. Dabei wolle man sicherstellen, dass diese Hilfe nicht von terroristischen Organisationen missbraucht werde.
Das Ergebnis entspricht weitgehend den deutschen Wünschen, die allerdings um scharfe Formulierungen zur humanitären Lage der Palästinenser ergänzt wurden. Konkrete Handlungsaufträge enthalten die Schlussfolgerungen nicht. Ob der Formelkompromiss hilft, das Bild der Uneinigkeit und Schwäche der letzten Wochen vergessen zu machen, ist offen. Die Bewährungsprobe dürfte schon bald kommen – wenn Israel die Bodenoffensive in Gaza startet.
Sehr zufrieden sei er, dass man sich auf eine Position des Parlaments zum CSA-Vorschlag der Kommission geeinigt habe, sagte Berichterstatter Javier Zarzalejos (EVP) bei einer Pressekonferenz mit den Schattenberichterstattern. “Wir haben versucht, einen umfassenden Ansatz für den Kampf gegen sexuellen Missbrauch online zu finden.” Die Parlamentsposition enthalte die richtige Balance zwischen effektiver Bekämpfung und dem Respekt für Grundrechte und zwischen Vorbeugung, Einhegung und Erkennung.
Kinder müssten konsequent vor sexualisierter Gewalt geschützt werden, betont Parlaments-Vizepräsidentin Katarina Barley (SPD) gegenüber Table.Media. “Es gibt viele effektive Maßnahmen, diese Vergehen strafrechtlich zu verfolgen und ihnen vorzubeugen. Ende-zu-Ende verschlüsselte Nachrichten auszulesen, das gehört nicht dazu.”
Tatsächlich kann man, obschon die Hülle dafür genutzt wurde, fast von einem Gegenvorschlag zum Kommissionsentwurf sprechen. Der All-Fraktionen-Vorschlag fokussiert im umstrittenen Artikel 49 wesentlich weniger auf technologische Maßnahmen, die potenzielle, neue Missbrauchsdarstellungen ausfindig machen sollen. Sondern stärker auf die Löschung bereits bekannten Materials anhand von sogenannten Hashwerten und Indikatoren, die in einer zentralen Datenbank beim geplanten “Zentrum für Kinderschutz”, so der Namensvorschlag des Parlaments, hinterlegt werden sollen. Für die Suche soll nur Software eingesetzt werden dürfen, die Vorgaben entspricht – das Zentrum soll eigene Detektionssoftware entwickeln lassen und diese dann Anbietern zur Verfügung stellen.
“Was auf dem Tisch liegt ist eine Ohrfeige für die Kommission“, formuliert Linkenpolitikerin Cornelia Ernst. “Das muss man so klar sagen, weil die Kommission nicht wirklich den Schutz von Kindern im Fokus hatte, sondern Massenüberwachung.” Dass der Kommissionsvorschlag nicht der richtige Weg sei, darin scheinen sich die Abgeordneten nach intensiven Debatten einig. Alles, was Massenüberwachung sei, sei nicht nur die rote Linie des Parlaments, formuliert Berichterstatter Javier Zarzalejos. Sondern eine der Europäischen Union. Niemand wolle diese Grenze überschreiten, die der Europäische Gerichtshof (EuGH) aufgezeigt habe.
Gestrichen wurde etwa jede Form von Client-Side-Scanning, einer Technik zum Umgehen wirksamer Ende-zu-Ende-Verschlüsselung. Im Parlamentstext heißt es etwa: “Nichts in dieser Verordnung soll verstanden werden als Verbot, Schwächung oder Unterminierung von Ende-zu-Ende-Verschlüsselung.” Jeder Schwächung von Verschlüsselungsalgorithmen, etwa durch Hintertüren, erteilten die Parlamentarier so eine klare Absage.
Statt auf mehr Überwachung setzen sie auf eine deutliche Stärkung des praktischen Opferschutzes – beginnend mit den Betreibern von Angeboten. “Die Gewinner dieser Einigung sind die Kinder”, sagt Patrick Breyer, Abgeordneter der Piratenpartei, Schattenberichterstatter für die Grünen und vor seinem Mandat Richter. Die problematischen Anteile seien bei der Parlamentsposition entfernt. Stattdessen seien Maßnahmen aufgenommen, die die Rechte schützen – etwa, dass Profile von Minderjährigen als Voreinstellung auf Privat gestellt sein müssen.
Aus der Pflicht wollen die Parlamentarier die Betreiber auch an anderer Stelle nicht lassen. Alle Anbieter müssten ihr Risiko prüfen und notwendige Schritte ergreifen. Die Parlamentsposition sieht eine Beschränkung auf Hostingdienste und öffentlich zugängliche Inhalte nummernunabhängiger interpersonaler Kommunikationsdienste vor. Zudem gibt es eine Ausnahme für Angebote, die kein substanzielles Problem aufweisen.
Nur jene Anbieter, die sich dem Vorgehen verweigerten, könnten von einem Gericht mit einer Prüfanordnung versehen werden – sie müssten dann selbst auf bereits bekannte Darstellungen sexuellen Missbrauchs prüfen. Grooming, die Anbahnung von Beziehungen zu Kindern, ist von solchen Anordnungen in der Vorstellung des Parlaments ausdrücklich ausgenommen und Textnachrichten seien nicht Gegenstand der vorgesehenen richterlichen Anordnungen. In drei Jahren soll die Kommission hier einen Bericht zur Wirksamkeit beim Grooming vorlegen.
Die Abgeordneten zeigten heute mit dem Finger in Richtung Rat, dessen Beratungen des Dossiers derzeit feststecken. Das Parlament hat vorgelegt und die Messlatte formuliert. Sehr zur Freude von Barley: “Der Verordnungsentwurf der EU-Kommission wäre aus meiner Sicht nicht mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs vereinbar.” Und weiter: “Der EuGH untersagt, anlasslos in den privaten Chats der Menschen zu schnüffeln und die Bevölkerung unter Generalverdacht zu stellen. Wir brauchen Präventivmaßnahmen und müssen mehr Mittel für effektive Strafverfolgung sicherstellen. Dies sollte der Rat bei seinen aktuellen Verhandlungen erkennen.”
Sieben Online-Plattformen haben ihre ersten Transparenzberichte nach dem Digital Services Act (DSA) vorgelegt. Amazon, LinkedIn, TikTok, Pinterest, Snapchat, Zalando und Bing waren damit schneller als verlangt. Die Berichte fallen in Form und Inhalt recht unterschiedlich aus. Amazons Transparenzbericht etwa umfasst 26 Seiten und mutet inklusive Fotos fast wie eine Marketingbroschüre an. Bing hat seine Informationen in Häppchen zum Ausklappen aufbereitet. Zalando hat sich mit acht Seiten kurzgefasst. Snapchat bietet eine Seite mit Links an, die in die Irre führten, als die Redaktion sie testete.
Die Kommission will im Laufe der Zeit die Berichte mehr und mehr standardisieren. Für die Format- und Inhaltsvorgaben muss allerdings erst der “Ausschuss für Digitale Dienste” mit den Behörden der Mitgliedstaaten gebildet werden. Sie können also frühestens im Februar 2024 beschlossen werden.
Der Abgabetermin für die insgesamt 19 am 25. April benannten sehr großen Online-Plattformen (VLOPs) und Online-Suchmaschinen (VLOSE) ist der 6. November. Die übrigen benannten Unternehmen haben also noch etwas Zeit.
Die Transparenzberichte sollen für Klarheit und Verlässlichkeit bei der Moderation von Inhalten sorgen und so die Nutzer vor illegalen Inhalten schützen und die Kontrolle erleichtern. Die VLOPS und VLOSE müssen diesen Bericht von nun an alle sechs Monate vorlegen.
Plattformen mit weniger als 45 Millionen Nutzern und Vermittlungsdienste werden ebenfalls jährliche Transparenzberichte veröffentlichen müssen, sobald der DSA ab Februar 2024 auch für sie gilt. Diese regulären Transparenzberichte haben nichts mit den Untersuchungen zu tun, die die Kommission anlässlich des Israel-Hamas-Konflikts bei einigen Unternehmen durchführt.
In den Transparenzberichten müssen die Unternehmen Auskunft darüber geben, wie sie die Inhalte auf ihren Plattformen moderieren. So müssen sie zum Beispiel berichten, wie viele Nutzer (und wenn vorhanden Trusted Flagger) sie haben, wie viele Inhalte sie auf eigene Initiative oder auf Anordnung von Behörden hin entfernt haben. Sie müssen angeben, wie hoch die Fehlerquote ihrer automatisierten Systeme zur Kontrolle von Inhalten ist. Die Berichte müssen auch Informationen über die Moderationsteams enthalten, einschließlich ihrer Qualifikationen und sprachlichen Kenntnisse.
Amazon, das gegen seine Benennung als VLOP geklagt hat, listet detailliert auf, wie oft die Plattform von Aufsichtsbehörden kontaktiert wurde: In der ersten Hälfte des Jahres 2023 waren es 1.081 Kontakte von Behörden der EU-Mitgliedstaaten. Im Durchschnitt habe es weniger als einen Tag gedauert, um eine Behörde über den Eingang der Beschwerde zu informieren – und zwei Tage, um das Problem zu lösen. Die meisten Beschwerden (754) kamen aus Deutschland.
Im gleichen Zeitraum gibt Amazon an, auf eigene Initiative 274 Millionen Mal Maßnahmen zur Inhaltsmoderation ergriffen zu haben, um Inhalte aus dem EU-Shop zu entfernen – sowie Maßnahmen, die sich auf Verstöße gegen die Richtlinien oder illegale Inhalten bezogen. Bei der Moderation der Inhalte setzt Amazon offenbar vor allem auf automatisierte Systeme. Zahlen, wie viele Mitarbeiter das Unternehmen in der Inhaltsmoderation in der EU beschäftigt und welche Sprachen diese beherrschen, nennt Amazon nicht.
TikToks Bericht fällt optisch weniger üppig aus als der von Amazon, umfasst aber auch 23 Seiten. Demnach entfernte TikTok allein im September 2023 knapp vier Millionen Inhalte und kategorisiert diese auch von Jugendschutz bis Gewalt und Horror. TikTok “schätzt”, mehr als 6.125 Moderatoren zu haben, die sich mit Inhalten in der EU befassen. Außer Gälisch und Maltesisch decke TikTok weitere 22 Sprachen der EU ab. Mit 869 deutschsprachigen Moderatoren ist der deutsche Sprachraum überproportional gut abgedeckt. Länder wie Estland oder Litauen, die stark russischer Propaganda ausgesetzt sind, sind mit jeweils sechs Moderatoren schwach besetzt, die die Sprache beherrschen.
Zalando, das sich ebenso wie Amazon juristisch gegen die Einstufung als VLOP wehrt, hat dies auch in seinem Bericht noch einmal deutlich zum Ausdruck gebracht. Zalando prüfe sehr sorgfältig, welche Inhalte es hochlade. Zur Veranschaulichung gibt Zalando bei der Zahl der gelöschten Inhalte null an.
30.10-31.10.2023
Informelle Ministertagung Tourismus
Themen: Der Weg zur sozialen Nachhaltigkeit des Tourismus in der EU. Infos
Für einen Moment gab es positive Anzeichen, doch am Abend ging das Treffen zwischen Serbiens Präsident Aleksandar Vučić und Albaniens Premier Albin Kurti ohne Einigung zu Ende: “Unglücklicherweise waren beide Seiten nicht bereit, unserem Vorschlag ohne Bedingungen zuzustimmen”, sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell. Der Spanier hatte die Kontrahenten kurzfristig zu dem Treffen am Rande des EU-Gipfels eingeladen. Bei den getrennten Gesprächen mit Kurti und danach Vučić in einem Brüsseler Hotel waren auch Bundeskanzler Olaf Scholz, Präsident Emmanuel Macron und Regierungschefin Giorgia Meloni dabei.
Die EU wollte damit angesichts des Ernstes der Lage im Norden des Kosovo gezielt Druck aufsetzen. Auf dem Tisch lag ein neuer Vorschlag für den sogenannten serbischen Gemeindeverband. Borrell sprach von “modernen und europäischen Regeln” für die Selbstverwaltung der serbischen Minderheit im Kosovo. Der einzige Weg der europäischen Integration führe für Serbien und Kosovo über die Normalisierung der Beziehungen, sagte der Chefdiplomat. Die getrennten Gespräche waren auf jeweils 20 Minuten angesetzt, innerhalb derer Vucic und Kurti ihre Zustimmung oder Ablehnung erklären sollten.
Beide verließen das Hotel anschließend ohne Kommentar, trafen sich aber wenig später für weitere Gespräche mit Borrells Sonderbeauftragten Miroslav Lajčák, was als positives Zeichen gewertet wurde. Am Abend dann betonte Albin Kurti in einer Presseerklärung, er sei bereit gewesen, den Vorschlag zum serbischen Gemeindeverband und auch alle früheren Vereinbarungen zur Normalisierung zu unterzeichnen. Präsident Vučić habe sich hingegen geweigert mit Kosovo ein Abkommen zu unterzeichnen und habe zudem einen Begleitbrief gefordert, in dem quasi alle Zugeständnisse an Kosovo in Frage gestellt würden.
Serbiens Präsident erklärte gleichzeitig gegenüber der Nachrichtenagentur Tanjug, er sei bereit, den Vorschlag zur Selbstverwaltung der serbischen Minderheit umzusetzen. Serbien könne aber nicht akzeptieren, dass Kosovo Mitglied der Uno werde. In den Vereinbarungen für eine Normalisierung ist allerdings vorgesehen, dass Serbien Kosovo auf dem Weg zur Mitgliedschaft in internationale Organisationen wie die Uno oder den Europarat keine Hindernisse in den Weg legt. Eine Anerkennung Kosovos komme für Serbien nicht in Frage, sagte Vučić. Die EU will nach dem erneuten Scheitern im Dialog zwischen Belgrad und Pristina nicht aufgeben. Er werde die Bemühungen hin zu einer Normalisierung fortsetzen, sagte Borrell. sti
Der Präsident der Afrikanischen Union, Azali Assoumani, hat mehr Partnerschaften zwischen der europäischen und der afrikanischen Industrie gefordert. Diese könnten bei der sozioökonomischen Entwicklung des Kontinents einen wichtigen Beitrag leisten, sagte Assoumani am Donnerstag bei der Abschlussveranstaltung des Global Gateway Forums in Brüssel. Die EU-Infrastruktur-Initiative soll als Alternative zu Chinas Neuer Seidenstraße gesehen werden. Das Gerüst von Global Gateway ist komplex, da es neben EU-Behörden und -Kreditinstitutionen auch nationale Banken und die Privatwirtschaft einschließt.
Assoumani lobte den “erneuerten Willen, Afrika in seinem neuen Streben nach nachhaltigem Wirtschaftswachstum zu begleiten” und sich der “sehr wichtigen Herausforderung” zu stellen, “die Finanzierung der Infrastruktur bewältigen zu können”. Er betonte dabei auch die digitale Kluft in Afrika: “Mehr als die Hälfte der afrikanischen Bevölkerung hat keinen Internetanschluss.”
Die EU-Kommission hatte im Rahmen des Forums dutzende Projektvorhaben bekannt gegeben. Nach einem schwierigen Start der Initiative muss die EU nun bei der Umsetzung der Vorhaben ihren glaubhaften Willen zeigen. “Es gibt einen Kampf der Angebote“, sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell. Es zähle nicht nur eine “nette Geschichte”, sondern wer am meisten anbietet. Bei dem zweitägigen Forum in Brüssel waren laut der EU-Kommissarin für internationale Partnerschaften, Jutta Urpilainen, rund 90 hochrangige Staatsvertreter anwesend.
Am Abschlusstag sprachen neben den EU-Beamten auch Vertreter der Mitgliedstaaten, darunter die Ministerpräsidenten Portugals, Belgiens und Luxemburg. Für Italien, den einzigen EU-Staat, der bisher noch offiziell Teil der Neuen Seidenstraße ist, sprach Außenminister und Vize-Ministerpräsident Antonio Tajani. Italien muss bis Ende des Jahres entscheiden, ob es den Vertrag mit China verlängern möchte. Alle Zeichen stehen auf einen Austritt der Italiener aus der Belt and Road Initiative, offiziell muss es aber im Parlament bestätigt werden. ari
Am Donnerstag hat der portugiesische Auto-Manager Carlos Tavares eine spektakuläre Kehrtwende hingelegt. Noch im Vorjahr warnte der Stellantis-Chef vor den Gefahren der chinesischen Industriepolitik und zog sich sukzessive aus diesem Markt zurück. Jetzt jedoch präsentiert der 65-Jährige einen 1,5 Milliarden Euro schweren Deal: Der Opel-Mutterkonzern kauft sich mit über 21 Prozent beim chinesischen E-Autohersteller Leapmotor ein und startet ein gemeinsames Joint Venture. “Die chinesische Offensive auf Europa ist bereits Realität. Wir wollen kein Zuschauer sein, sondern Anführer”, wird Tavares vom französischen Figaro zitiert.
Auf dem Automarkt vollzieht sich dieser Tage ein Paradigmenwechsel: Die chinesischen Marken, die bei Verbrenner-Motoren stets eine untergeordnete Rolle spielten, haben im Elektro-Segment die Pole-Position eingenommen – auch dank konsequenter Industriepolitik der chinesischen Regierung. Bereits jetzt fährt jedes zweite E-Auto im Reich der Mitte, die Dominanz von BYD, Nio und Li Auto auf dem heimischen Markt ist erdrückend. Und künftig dürften die Unternehmen auch in Europa ihren Siegeszug antreten.
Die Aufholjagd der deutschen Platzhirsche ist im Gange. Nach zunächst schmerzlichen Rückschlägen musste man einsehen, dass es allein nicht gelingt: Genau wie Stellantis hat sich Volkswagen bereits im Juli bei der chinesischen Konkurrenz eingekauft. Für rund 700 Millionen Dollar erwarben die Wolfsburger knapp fünf Prozent der Marke Xpeng. Von der Branche wurde der Deal als eine Art “Sputnik-Moment” interpretiert: Der einstige Marktführer in China droht nun auf das Abstellgleis zu geraten.
Am Donnerstag hat Deutschland-Finanzchef von Volkswagen, Arno Antlitz, weitere schwierige Jahre am chinesischen Markt prognostiziert. Volkswagen sei immer noch Marktführer bei Verbrenner-Autos in China. Bei Elektroautos haben aber inzwischen chinesische Anbieter wie BYD die Wolfsburger abgehängt. In den kommenden ein bis zwei Jahren sei zu erwarten, dass der Marktanteil bei Elektroautos weiter sinke. Danach erhofft er sich Besserung durch die Kooperation mit Xpeng. “Wir werden ab 2026 mit wettbewerbsfähigen Angeboten aufholen”, sagte Antlitz.
Der Wettbewerb im E-Auto-Markt ist hart, die chinesischen Anbieter verfügen über hochwertigere Entertainment-Systeme und leistungsstärkere Elektro-Batterien – und das bei niedrigeren Preisen. Die Wettbewerbsvorteile beruhen jedoch auch auf marktverzerrenden staatlichen Subventionen. Erst im September kündigte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen eine “Antisubventionsuntersuchung” an, die möglicherweise Strafzölle gegen chinesische Automarken zur Folge haben könnte. Als Begründung führte von der Leyen auch das Beispiel der Solarindustrie an – einer Branche, die zunächst von europäischen Firmen angeführt wurde, ehe chinesische Staatsunternehmen die Konkurrenz mithilfe illegaler Dumping-Preise verdrängten.
Inhaltlich ist die Kritik durchaus berechtigt. Doch von den deutschen Autobauern wird die Rhetorik aus Brüssel keineswegs begrüßt. Man fürchtet nämlich bereits die Vergeltungsmaßnahmen der chinesischen Regierung. Laut Volkswagen, Daimler und BMW sollten die Probleme besser gesichtswahrend und subtil gelöst werden, statt auf offenen Konfrontationskurs zu gehen. Zu sehr ist man vom chinesischen Markt abhängig, als dass man Peking vergraulen möchte.
Der aktuelle Deal von Stellantis mit Leapmotor legt außerdem schonungslos offen, dass Geschäfte im Reich der Mitte oftmals mit moralischen Dilemmata einhergehen. Denn Zhu Jiangming, Gründer von Leapmotor, hat sein Vermögen ursprünglich mit der Überwachungsfirma “Dahua Technology” erwirtschaftet. Diese steht auf der Sanktionsliste Washingtons, da sie dem chinesischen Staat maßgeblich bei der Unterdrückung der Uiguren in Xinjiang hilft. So hat Dahua unter anderem Kameras mit einer Gesichtserkennungssoftware entwickelt, die Personen nach ethnischer Zugehörigkeit identifizieren kann – und gezielt Uiguren und Tibeter von Han-Chinesen filtert. Fabian Kretschmer
Zur Klimakrise gehört eine weitere Krise, die politisch bisher kaum beachtet wird: die Wasserkrise. Als erste europäische Institution hat gestern der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) Pläne zu deren Bewältigung vorgestellt. Parallel dazu hat eine Koalition europäischer NGOs ein Positionspapier veröffentlicht, in dem sie ein neues EU-Gesetz zur Klima- und Wasserresilienz fordern.
Damit verbreiten sie den Aufruf für einen “Blue Deal” weiter, der im vergangenen September von der Europaabgeordneten Pernille Weiss (EPP) und Pietro de Lotto, Koordinator für einen europäischen Blue Deal beim Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA), initiiert wurde. Dieser Aufruf wird von 35 EU-Parlamentariern aller Parteien unterstützt.
EWSA-Präsident Oliver Röpke stellte gestern eine politische Erklärung mit einer Reihe von 15 Leitprinzipien und 21 konkreten Maßnahmen für einen Blue Deal vor. “Wasser ist DIE Priorität“, sagte Röpke. “Wir müssen aus den Fehlern lernen, die bei Klima, Energie und kritischen Rohstoffen gemacht wurden, und eine eigenständige Wasserstrategie verabschieden, die gleichberechtigt neben dem EU Green Deal steht.”
Auch wenn der “Blue Deal” Gegenstand der satirischen TV-Serie “Parlament” ist – die Folgen des Wassermangels messen sich in Euro. In einem gerade veröffentlichten Bericht schätzt der WWF den jährlichen wirtschaftlichen Wert von Wasser und Süßwasser-Ökosystemen in der Europäischen Union auf über elf Billionen Euro. “Das ist etwa das 2,5-fache des BIP von Deutschland”, erklärt Claire Baffert, Referentin für Wasserpolitik im Büro für Europapolitik des WWF, der das Positionspapier mit unterzeichnet hat.
Die NGOs stellen darin fest, dass sich die direkten wirtschaftlichen Vorteile, wie der Wasserverbrauch für Haushalte, Bewässerungslandwirtschaft und Industrie, in Europa auf mindestens fast eine Billion Euro pro Jahr belaufen. Er schätzt außerdem, dass der unsichtbare Nutzen – der die Wasserreinigung, die Verbesserung der Bodengesundheit, die Kohlenstoffspeicherung und den Schutz der Gemeinden vor Überschwemmungen und extremen Dürren umfasst – zehnmal so hoch ist, nämlich etwa zehn Billionen Euro pro Jahr.
Mangelnder Regen, weniger Wasser in den Flüssen, sinkende Pegel in den meisten Grundwasservorkommen: Das verfügbare erneuerbare Wasser in Europa nimmt ab, fasst der Bericht zusammen. Dies ist auf die Auswirkungen der globalen Erwärmung zurückzuführen, aber auch auf die steigende Wassernachfrage, insbesondere in der Landwirtschaft und der Industrie.
Mais voilà: Die Schädigung von Flüssen, Seen, Feuchtgebieten und Grundwasser “bedroht” diese Werte und “untergräbt” die Klima- und Naturmaßnahmen der EU sowie die Fortschritte bei der Erreichung der Ziele der Wasserrahmenrichtlinie, so Claire Baffert weiter. Und schon steht wieder das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur vor der Tür, da der nächste politische Trilog für den 7. November angesetzt ist. “Denn die Lösungen können nicht nur technisch sein, wir brauchen auch Lösungen, die auf der Natur basieren”, sagt die Wasserexpertin.
Frankreich stützt sich in seinem im März dieses Jahres vorgestellten “Wasserplan” jedoch vor allem auf technische Lösungen. Paris musste reagieren, da die wiederholten Dürreperioden zu teilweise gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Landwirten und anderen Wassernutzern (einschließlich Schwimmbadbesitzern und Golfspielern, die ihren Lieblingssport gerne auf einem funkelnd satten Green ausüben) geführt haben.
Die Verringerung der Wasserverbrauches ist die “einzige Lösung” angesichts des Klimawandels, betonte Antoine Pellion, Generalsekretär für ökologische Planung, bei einer Anhörung durch die Abgeordneten des Ausschusses für nachhaltige Entwicklung der Assemblée Nationale.
Auch in Brüssel hat das Thema Wasser gerade seinen politischen Einzug in die Agenda der Kommission gehalten: Unter den drei Initiativen im neuen Arbeitsprogramm, das letzte Woche vorgestellt wurde, befindet sich eine, die sich der Wasserresilienz widmet. Keine dieser Initiativen ist jedoch gesetzgeberischer Natur, was wenig überraschend ist: Ein Vorschlag für eine Richtlinie oder eine Verordnung hätte keine Chance, vor den Europawahlen im Juni 2024 angenommen zu werden.