Table.Briefing: Europe

Fiskalregeln + EU-Pensionsfonds + Krumme Gurken

Liebe Leserin, lieber Leser,

Deutschland ist in Europa zuletzt immer wieder damit aufgefallen, entweder keinen klaren Standpunkt zu beziehen oder sich erst zu äußern, wenn es eigentlich bereits zu spät ist. Das hat für viel Ärger in Brüssel gesorgt. Beim Stabilitäts- und Wachstumspakt ist Deutschlands Haltung dagegen immer schon recht deutlich gewesen. Doch das bedeutet nicht, dass alle anderen dem folgen. Die Bundesregierung hat noch einmal interveniert, weil sie die deutschen Positionen nicht ausreichend berücksichtigt sieht, analysiert mein Kollege Till Hoppe.

Als wenig verlässlich erweist sich ein Altersvorsorgesystem der EU, das Parlamentarier absichern sollte, die bis zu einer Reform des Abgeordnetenstatuts keine Pensionen von ihren Nationalstaaten erhalten haben. Dafür hatte die EU einen Pensionsfonds aufgelegt, dem nun das Geld ausgeht, wie Markus Grabitz berichtet.

Auf seinen Ständigen Vertreter in Brüssel konnte sich Deutschland dagegen immer verlassen. Und wird es auch weiterhin können. EU-Botschafter Michael Clauß bleibt noch ein weiteres Jahr im Amt, wie das Auswärtige Amt Table.Media bestätigt hat.

Kommen Sie gut in die Woche,

Ihre
Corinna Visser
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Analyse

Fiskalregeln: Kommission geht nur wenig auf Berlin zu

Die EU-Kommission scheint bereit, der Bundesregierung bei der geplanten Reform der EU-Fiskalregeln ein Stück weit entgegenzukommen. So wird in der Brüsseler Behörde diskutiert, den eigenen Ansatz einzeln mit den Mitgliedstaaten ausgehandelter Schuldenabbaupfade mit einheitlichen Benchmarks zu flankieren, wie Berlin es fordert. Allerdings müsse man dabei berücksichtigen, dass es im Rat eine Mehrheit für den Kommissionsansatz gebe, heißt es in Brüssel.

Zuvor hatte die Bundesregierung auf hoher politischer Ebene in Brüssel interveniert. Ein von der Kommission in Umlauf gebrachter Entwurf der neuen Regeln habe die deutschen Positionen nicht ausreichend berücksichtigt, heißt es in Berliner Regierungskreisen.

Kommission will neuen Ansatz

Die Kommission will die einheitlichen Regeln das Stabilitäts- und Wachstumspakets durch einen neuen Rahmen ersetzen, der den unterschiedlichen Gegebenheiten in den einzelnen Ländern stärker Rechnung trägt. So will die Behörde jeweils eine langfristige Schuldentragfähigkeitsanalyse erstellen und auf der Grundlage mit der einzelnen Regierung über den Schuldenabbau verhandeln.

Derzeit arbeitet die Kommission unter Hochdruck daran, diesen Ansatz in einen Gesetzentwurf zu gießen. Dieser wird voraussichtlich am Mittwoch vorgestellt, die endgültige Entscheidung darüber fällt aber erst am heutigen Montag.

Berlin fordert Leitplanken

Die Bundesregierung hatte Anfang April ein zwischen SPD, Grünen und FDP abgestimmtes Positionspapier nach Brüssel geschickt. Darin akzeptiert Berlin grundsätzlich den Ansatz der Kommission, bilateral mit den Mitgliedstaaten Pfade für den Schuldenabbau auszuhandeln. Allerdings pocht die Koalition darauf, dass dies innerhalb fester Leitplanken geschieht:

  • Quantitative Benchmarks: Berlin schlägt eine Ausgabenregel vor, um die Haushaltsdefizite zu begrenzen. Demnach sollen die Primärausgaben hoch verschuldeter Staaten um mindestens einen Prozentpunkt unter dem Potenzialwachstum ihrer Wirtschaft liegen.
  • Ein Sicherheitsnetz: Die Ausgaberegel garantiert nicht immer eine sinkende Schuldenlast. Daher sollen hoch verschuldete Länder ihren Schuldenstand um mindestens einen Prozentpunkt pro Jahr reduzieren müssen, andere Länder mit mehr als 60 Prozent Staatsverschuldung um mindestens 0,5 Prozentpunkte.

Kritik an mangelnder Durchsetzung der Regeln

Mit diesen festen Vorgaben will die Koalition sicherstellen, dass die Kommission in ihren Verhandlungen mit den Regierungen über die Schuldenabbaupfade nicht zu nachgiebig ist. Schließlich sei die hohe Verschuldung in einigen Mitgliedstaaten ein reales Problem, heißt es in Berlin. Daneben pocht die Bundesregierung darauf, dass die Durchsetzung der Regeln klarer im Kommissionsvorschlag geregelt wird als dies in dem Entwurf der Fall war.

Unterstützung bekommt sie vom wirtschaftspolitischen Sprecher der EVP im Europaparlament, Markus Ferber (CSU): “Der Bundesfinanzminister muss in Brüssel hart bleiben und auf strikte quantitative Kriterien pochen.” Der Stabilitäts- und Wachstumspakt habe vor allem ein Problem mit seiner mangelhaften Durchsetzung, “und das hat die Kommission ganz maßgeblich selbst zu verantworten”, meint Ferber.

Begrenztes Verständnis für deutsche Position

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Vizepräsident Valdis Dombrovskis erkennen durchaus an, dass die Bundesregierung mit ihrer Forderung nach Benchmarks einen Punkt habe. Anders interpretierte Aussagen von Dombrovskis in einem Interview sorgten vergangene Woche für Irritationen in Berlin, die aber ausgeräumt wurden.

Die Forderungen im deutschen Positionspapier gehen aber auch diesem Lager zu weit: Sie liefen im Kern darauf hinaus, die bisherigen, wenig wirksamen Regeln des Stabilitätspaktes fortzuschreiben, heißt es in Brüssel. Die Sorge in der Kommission sei, “dass der präferierte Ansatz mit länderspezifischen Schuldentragfähigkeitsanalysen durch numerische Benchmarks und Safeguards de facto ausgehebelt würde”, erklärt Nils Redeker, stellvertretender Direktor des Jacques Delors Centre in Berlin.

Nur wenig Verbündete im Rat

Die Bundesregierung tut sich bislang schwer, politische Verbündete für ihr Anliegen zu finden. Die traditionelle Allianz stabilitätsorientierter Staaten bröckelt. Österreich und Luxemburg seien auf der gleichen Linie, heißt es in Berlin, auch in Polen und im Baltikum finde man grundsätzlich Unterstützung.

Mit Schweden fällt aber ein traditionell “frugales” Land momentan aus, da sich Stockholm als amtierende Ratspräsidentschaft zurücknehmen muss. Finnland wiederum ist mit der Regierungsbildung beschäftigt.

Die traditionell auf scharfe Schuldenregeln pochenden Niederländer wiederum tragen die deutschen Forderungen nur teilweise mit, ebenso wie Irland. Den Haag versteht sich in der Frage als Brückenbauer zwischen Berlin und Paris, das die geforderten Benchmarks strikt ablehnt. Den Haag hat jüngst ein eigenes Non-Paper eingebracht, das mögliche Kompromisslinien zeichnen soll. Darin stellt sich Den Haag ausdrücklich hinter den länderspezifischen Ansatz der Kommission, plädiert aber für gewisse “Mindestanforderungen” an die bilateral vereinbarten Schuldenabbaupfade, wie es in dem Papier heißt.

Berlin in der Defensive

In Berlin wird eingeräumt, dass sich Deutschland in der Diskussion in der Defensive befindet. Die Bundesregierung ist mangels Unterstützung bereits abgerückt von ihrer Fundamentalopposition gegen den Ansatz der Kommission, den einzelnen Ländern auf Grundlage einer Schuldentragfähigkeitsanalyse Sparvorgaben zu machen. Man habe sich in dem Positionspapier auch auf eine Ausgabenregel eingelassen – das sei schon ein großes Zugeständnis, heißt es in Berlin.

Überdies wolle man nur festschreiben, was Kommission oder die Regierung in Paris erklärtermaßen selbst anstrebten. Finanzminister Bruno Le Maire hatte am Donnerstag das Ziel ausgegeben, die französische Schuldenlast von 111,6 Prozent des BIP Ende 2022 bis 2027 auf 108,3 Prozent zu reduzieren. Das entspreche im Wesentlichen den Parametern im deutschen Vorschlag, heißt es in der Koalition.

Sucht Lindner den Konflikt?

Die Kommission muss nun abwägen: Ignoriert sie die Position der Bundesregierung in ihren Vorschlägen weitgehend, dürfte Berlin auf stur schalten, sagt Redeker. “Finanzminister Lindner könnte sich so öffentlich als Hüter solider Staatsfinanzen in Europa profilieren.” Ein EU-Diplomat warnt bereit, Deutschland dürfe sich nicht erneut in der EU isolieren.

Wenn die Kommission hingegen die deutschen Forderungen nach numerischen Benchmarks und Safeguards aufgreift, würden harte Verhandlungen über deren konkrete Höhe folgen, erwartet der Ökonom. Denn diese seien entscheidend für die Sparvorgaben an die Mitgliedstaaten.

In jedem Fall dränge die Zeit, sagt Redeker, “denn das neue Regelwerk muss eigentlich bis Jahresende stehen“.

  • Christian Lindner
  • Europapolitik

Rentenfonds des Parlaments geht das Geld aus

Das Europaparlament prüft drei Optionen für sein zusätzliches Altersvorsorgesystem, das von der Pleite bedroht ist. Das Vorsorgesystem auf Basis eines Kapitalfonds nimmt seit 2009 keine Mitglieder mehr auf. Ansprüche an Zahlungen aus dem System haben noch rund 1000 Personen. Dabei handelt es sich um ehemalige Europaabgeordnete und deren Hinterbliebene. Die Zahlungsverpflichtungen erstrecken sich voraussichtlich bis in die 2080er Jahre.

Im Fonds befinden sich noch rund 50 Millionen Euro. Aus dem Fonds fließen jährlich etwa 20 Millionen Euro ab. Dem Fonds droht die Zahlungsunfähigkeit innerhalb der kommenden zwei Jahre. Es heißt, dass sich die versicherungsmathematischen Ansprüche auf rund 300 Millionen Euro belaufen. Das Defizit beträgt also etwa 250 Millionen Euro. Die höchsten jährlichen Zahlungsverpflichtungen werden mit 27 Millionen Euro im Jahr 2027 erwartet.

Der Rentenfonds stammt aus dem Jahr 1989

Es handelt sich um einen freiwilligen Rentenfonds, der 1989 aufgelegt wurde. Bis zur Reform des Abgeordnetenstatuts im Jahr 2009 haben Europaabgeordnete ihre Diäten über die nationalen Parlamente bezogen. Auch die Altersvorsorge lief über die Nationalstaaten. In einigen Mitgliedstaaten gab es keine Altersvorsorge für Abgeordnete.

Vor allem diese Abgeordnete machten bis 2009 von dem Angebot Gebrauch und zahlten einen Teil ihrer Diäten in den Fonds ein. Die Abgeordneten leisteten einen Eigenbeitrag und bekamen einen Zuschuss vom Europaparlament. Der Fonds wurde 2009 geschlossen.

Das freiwillige Altersvorsorgesystem hat über Jahre hohe Verluste eingefahren. In der Finanzkrise und in der Niedrigzinsphase hat die Finanzkraft zusätzlich gelitten. Die sich abzeichnende Pleite ist seit langem bekannt. Doch bislang haben die jeweiligen Präsidenten des Europaparlaments wenig getan, um die Insolvenz abzuwenden.

In der Vergangenheit waren die Ansprüche an den Fonds bereits einmal gekürzt worden. Dagegen hatten Anspruchsberechtigte geklagt. Der EuGH hat diese Klagen aber abgewiesen. Die Kürzungen ändern aber nichts an der prekären Lage des Systems.

Drei Optionen sind auf dem Tisch

Parlamentspräsidentin Roberta Metsola stellt sich der drohenden Pleite. Auf ihre Initiative hin hat das Präsidium drei Optionen diskutiert.

  • Keine Maßnahmen ergreifen und den Fonds pleitegehen lassen. Viele ehemalige Abgeordnete und deren Hinterbliebene würden dann keine Zahlungen mehr bekommen. Dabei ist unklar, ob dieser Weg vor Gericht Bestand hätte.
  • Abwicklung des Fonds, indem die vorhandenen Mittel an die Anspruchsberechtigten ausgezahlt werden.
  • Überführung des Fonds in den EU-Haushalt: Das Parlament springt finanziell für das Defizit ein, behält sich vor, Kürzungen der Ansprüche vorzunehmen.

Eine Entscheidung ist noch nicht gefallen. Dem Vernehmen nach könnte es bei der kommenden Sitzung des Präsidiums eine zweite Orientierungsdebatte geben.

2009 mussten sich die Abgeordneten entscheiden

Im Juli 2009 trat das Abgeordnetenstatut in Kraft. Seitdem bekommen alle Europaabgeordneten die gleichen Dienstbezüge, derzeit 9.808,67 Euro monatlich vor Steuern und Abgaben. Auch die Altersvorsorge ist gleich: Ab dem 63. Lebensjahr gibt es einen Anspruch auf Pension: Für jedes volle Jahr als Abgeordneter werden 3,5 Prozent der Dienstbezüge als Anspruch erworben. Der Anspruch beläuft sich höchstens auf 70 Prozent.

2009 mussten sich alle Abgeordneten, die schon vorher Mitglieder des Europaparlaments waren, entscheiden, ob sie im alten System bleiben und Diäten, Altersbezüge und Übergangsgelder aus dem nationalen System beziehen, oder ob sie in das einheitliche europäische System wechseln. Zwei Abgeordnete aus Deutschland, die noch heute dem Parlament angehören, haben sich damals entschieden, nicht ins europäische System zu wechseln. Dem Vernehmen nach ist kein amtierender deutscher Abgeordneter von der drohenden Pleite des Altersvorsorgesystems betroffen.

  • EU-Haushalt
  • Europäisches Parlament

Chinas Botschafter verärgert die baltischen Staaten

Fällt immer wieder durch radikale Äußerungen auf: Lu Shaye, Chinas Botschafter in Frankreich.

Frankreich, die Ukraine und die baltischen Staaten haben sich bestürzt über Äußerungen des chinesischen Botschafters in Paris gezeigt. Lu Shaye hatte in einem Fernsehinterview die Souveränität ehemaliger Sowjetstaaten wie der Ukraine und der baltischen Länder infrage gestellt. Die französische Regierung bekundete am Sonntag ihre “volle Solidarität” mit allen betroffenen Staaten, die “nach Jahrzehnten der Unterdrückung” ihre Unabhängigkeit erlangt hätten.

China müsse klären, ob die Äußerungen Lus die offizielle Position widerspiegelten oder nicht. “Was die Ukraine betrifft, so wurde sie 1991 innerhalb ihrer Grenzen, einschließlich der Krim, von der gesamten internationalen Gemeinschaft, einschließlich China, international anerkannt”, sagte ein Sprecher des französischen Außenministeriums.

EU-Außenminister sollen darüber beraten

Die Aussagen des chinesischen Botschafters sollen auch im Rat der EU-Außenminister am heutigen Montag angesprochen werden, erklärte Lettlands Außenminister Edgars Rinkēvičs. Er erwarte “eine starke und einheitliche Reaktion der EU”, schrieb Rinkēvičs auf Twitter.

Sein estnischer Amtskollege Margus Tsahkna kritisierte, es handele sich um “eine Fehlinterpretation der Geschichte“. Lus Aussagen seien inakzeptabel, schrieb der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell auf Twitter. Die EU könne nur annehmen, dass diese nicht die offizielle Politik Chinas darstellten.

Lu: Ehemalige Sowjet-Länder haben keinen souveränen Status

In einem am Freitag vom französischen Fernsehsender LCI ausgestrahlten Interview hatte Lu erklärt, dass die Krim historisch gesehen zu Russland gehöre und der Ukraine vom ehemaligen sowjetischen Staats- und Parteichef Nikita Chruschtschow angeboten worden sei.

Auf die Frage, ob die Krim zur Ukraine gehöre, sagte der Diplomat, es hänge alles davon ab, wie man dieses Problem betrachte. Einer Intervention des Moderators, dass die von Russland seit 2014 besetzte Schwarzmeer-Halbinsel völkerrechtlich ein Teil der Ukraine sei, entgegnete Lu: “Diese Länder der ehemaligen Sowjetunion haben keinen tatsächlichen Status im internationalen Recht, weil es kein internationales Abkommen gibt, das ihren souveränen Status festschreibt.”

Zunächst keine Reaktion Pekings auf Lu-Aussagen

Das chinesische Außenministerium reagierte zunächst nicht auf die Äußerungen des Diplomaten. Der chinesische Topdiplomat gilt als einer der extremsten “Wolf Warrior”. Bisher hielt sich Peking stets zurück, zu viel Unterstützung für das Gebaren des Botschafters zu zeigen – öffentlich Einhalt wurde Lu aber auch nicht geboten.

Die drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen sowie die Ukraine reagierten in der gleichen Weise wie Frankreich. “Es ist seltsam, eine absurde Version der ,Geschichte der Krim’ von einem Vertreter eines Landes zu hören, das seine tausendjährige Geschichte sehr genau kennt”, schrieb Mychajlo Podoljak, ein hochrangiger Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, auf Twitter. “Wenn Sie ein wichtiger politischer Akteur sein wollen, sollten Sie nicht die Propaganda russischer Außenseiter nachplappern.”

Baltische EU-Länder bestellen chinesische Botschafter ein

Die baltischen Staaten sind seit Jahren Mitglieder der EU und der Nato – sie reagierten bereits formal. Wegen der “völlig inakzeptablen” Bemerkungen habe er für Montag den Geschäftsträger der chinesischen Botschaft in Riga einbestellt, teilte Lettlands Außenminister Rinkēvičs am Samstagabend auf Twitter mit. Dieser Schritt sei mit Litauen und Estland abgestimmt. “Wir erwarten von chinesischer Seite eine Erklärung und eine vollständige Rücknahme dieser Aussage”, stellte Rinkēvičs klar.

Litauens Außenminister Gabrielius Landsbergis schrieb auf Twitter über einen Mitschnitt des Interviews:  “Sollte sich immer noch jemand fragen, warum die baltischen Staaten China nicht vertrauen, ,Frieden in der Ukraine zu vermitteln‘ – hier ist ein chinesischer Botschafter, der argumentiert, dass die Krim russisch ist und die Grenzen unserer Länder keine rechtliche Grundlage haben.”

  • Balkan
  • China
  • Europapolitik

News

Deutscher EU-Botschafter Clauß verlängert

Michael Clauß bleibt ein weiteres Jahr deutscher EU-Botschafter in Brüssel. Darauf hat sich die Ampel-Koalition nach Informationen von Table.Media verständigt. Das Auswärtige Amt bestätigte dies auf Anfrage. Clauß ist bereits seit 2018 Ständiger Vertreter der Bundesrepublik bei der EU und wäre damit eigentlich reif für einen Standortwechsel gewesen. Doch die Bundesregierung zieht es vor, den Brüssel-erfahrenen und parteiübergreifend geschätzten Diplomaten auf der wichtigen Position zu belassen.

Auch Clauß scheint trotz der hohen Arbeitsbelastung und wiederkehrender Abstimmungsschwierigkeiten innerhalb der Ampel-Koalition weiter Freude an der Arbeit im Ausschuss der Ständigen Vertreter zu haben. Der 61-Jährige arbeitete in seiner Laufbahn im Auswärtigen Amt überwiegend zu europapolitischen Themen, bevor er 2013 für fünf Jahre Botschafter in China wurde.

Die Bundesregierung sorgt damit an einer zentralen Stelle der deutschen Europapolitik für personelle Kontinuität. An anderer Stelle gibt es hingegen Wechsel: Heiko Thoms löste kürzlich Carsten Pillath als Europa-Staatssekretär im Bundesfinanzministerium ab; im Auswärtigen Amt übernimmt im Sommer Thomas Bagger von Andreas Michaelis den Posten des Staatssekretärs, der in der europapolitischen Koordinierung in Berlin eine wichtige Rolle spielt. tho

  • Europapolitik

Kommission legt 11. Sanktionspaket gegen Russland vor

Die Kommission hat die Botschafter der Mitgliedstaaten über das Wochenende zu ihren Plänen für das 11. Sanktionspaket gegen Russland informiert. Der Fokus werde darauf gelegt, Lücken im bisherigen Sanktionsregime zu schließen und Umgehung zu verhindern, sagten Diplomaten.

Der neue EU-Sanktionskoordinator David O´Sullivan reist derzeit durch Zentralasien und hat auch schon die Türkei besucht. Die Botschafter sollen am Mittwoch erstmals im Ausschuss der Ständigen Vertreter über das 11. Sanktionspaket sprechen. In dem neuen Paket sollen Personen neu gelistet werden, die an der Deportation von Kindern aus der Ukraine beteiligt sind.

Wohl keine Einigung zu Nuklearsanktionen

Die Frage der Nuklearsanktionen werde sicher auf den Tisch kommen, aber werde am Ende nicht Teil des Pakets sein. Deutschland hat in einem Non-Paper vorgeschlagen, den Import von russischem Uran, Brennstäben und andere Nukleartechnologie aus Russland zu verbieten. Einige Mitgliedstaaten seien jedoch noch immer abhängig von Rosatom und seien deshalb gegen Nuklearsanktionen, sagte ein Diplomat. Die Zeit der großen neuen sektoriellen Sanktionen sei vorbei, da es jetzt “weh tue”.

Die Frage der russischen Diamanten, wo hauptsächlich Belgien von einem Handelsverbot betroffen wäre, wird derzeit auf der Ebene der G7-Staaten diskutiert. Belgien ist nicht grundsätzlich gegen ein Importverbot, will aber international die Nachverfolgung sicherstellen, damit russische Diamanten nicht auf dem Umweg über Indien oder andere Drittstaaten in den Verkauf kommen. Zypern wiederum wehrt sich gegen den Vorschlag, russischen Staatsbürgern den Erwerb von Immobilien in der EU zu verbieten.

Auch die EU-Außenminister diskutieren Strafmaßnahmen

Die neuen Strafmaßnahmen dürften auch beim Treffen der EU-Außenminister heute in Luxemburg erstmals ein Thema sein. Im Fokus dürften dort unter anderem die Lage im Sudan und die Evakuierung von EU-Bürgerinnen und Bürgern stehen. Außenministerin Annalena Baerbock werde wegen der aktuellen Lage nicht nach Luxemburg reisen und sich durch Botschafter Michael Clauß vertreten lassen, hieß es dazu am Sonntagabend.

Überschattet wird das Treffen durch die Mühen der EU, ihren Beschluss zur Munitionsbeschaffung für die Ukraine konkret umzusetzen. Frankreich drängt darauf, dass nur dann EU-Mittel für den gemeinsamen Einkauf verwendet werden dürfen, wenn alle Bestandteile auch aus der EU sowie Norwegen stammen. sti

  • Sanktionen

Polen: EuGH halbiert tägliche Zwangsgelder

In der Auseinandersetzung um die umstrittene Justizreform in Polen hat der Vizepräsident des Europäischen Gerichtshofs das Zwangsgeld halbiert. Statt einer Million Euro muss Polen nur noch 500.000 Euro täglich bezahlen. Das teilte das Gericht am Freitag in Luxemburg mit.

Polen hatte im März die vollständige Aussetzung der Zwangsgelder beantragt, nachdem es im vergangenen Jahr die beanstandeten Regelungen zur Unabhängigkeit der Justiz geändert hatte. Das Zwangsgeld hatte der EuGH im September 2019 wegen Verstößen gegen das Unionsrecht gegen Polen verhängt.

Die Maßnahmen Polens reichen noch nicht aus

Mit dem Antrag auf vollständige Aufhebung der Zwangsgeldzahlungen konnte sich Polen nicht durchsetzen. Der aus Dänemark stammende EuGH-Vizepräsident Lary Bay Larsen ließ mitteilen, “dass die von Polen erlassenen Maßnahmen nicht ausreichen, um die Durchführung aller in dem Beschluss vom 14. Juli 2021 getroffenen einstweiligen Anordnungen sicherzustellen”.

So habe Polen nicht nachweisen können, dass etwa Richter ausreichend vor Strafverfahren und Verhaftungen geschützt seien. Auch bei Disziplinarverfahren sei Polen teilweise den Nachweis schuldig geblieben, die beanstandeten Probleme ausgeräumt zu haben. Die Abschaffung der umstrittenen Disziplinarkammer würdigte Bay Larsen jedoch, was unter anderem zur Herabsetzung der Zwangsgelder führte.

Nachdem im Dezember 2022 die Schlussanträge gestellt wurden, will der EuGH nun am 05. Juni sein Urteil bekanntgeben. Das Verfahren zur Rechtsstaatlichkeit ist unabhängig von weiteren Rechtsstreitigkeiten über mögliche Unionsverstöße der Republik Polen. fst

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  • Polen
  • Rechtsstaatlichkeit

Borrell fordert Militärpräsenz der EU in der Taiwanstraße

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell plädiert für Patrouillenfahrten europäischer Kriegsschiffe in der Taiwanstraße. In einem Gastbeitrag in der französischen Sonntagszeitung Journal du Dimanche schrieb Borrell, Europa müsse beim Thema Taiwan, “das uns wirtschaftlich, kommerziell und technologisch betrifft, sehr präsent sein”.

Die EU erkenne zwar klar die Ein-China-Politik Pekings an, sie dürfe aber auf keinen Fall an Bedingungen geknüpft sein oder mit Gewalt durchgesetzt werden, führt der Chefdiplomat der EU weiter aus. “Deshalb fordere ich die europäischen Marinen auf, in der Taiwanstraße zu patrouillieren, um Europas Engagement für die Freiheit der Schifffahrt in diesem absolut entscheidenden Bereich unter Beweis zu stellen.”

Auch zu Pekings ausbleibender Kritik an der russischen Invasion in der Ukraine äußerte sich Borrell in seinem Gastbeitrag. Man habe China immer wieder gesagt, dass es nicht in seinem Interesse sei, Russland zu unterstützen, erklärte Borrell, “zumal sie mit ihrer Unterstützung nur die Polarisierung des internationalen Systems verstärken, die sie angeblich bekämpfen wollen.” fpe

  • China
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Brasilien hofft auf Abschluss des Mercosur-Abkommens in diesem Jahr

Brasilien hofft, das Mercosur Handelsabkommen mit der Europäischen Union noch in diesem Jahr abschließen zu können. Das sagte ein Regierungsbeamter am Sonntag in Lissabon. Das würde den Weg für einen wachsenden Handel zwischen den beiden Regionen freimachen.

Die EU und der Mercosur-Block aus Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay schlossen die Verhandlungen bereits 2019 ab. Seitdem liegt das Abkommen auf Eis, denn einige EU-Staaten befürchten, dass der Freihandel zur Abholzung des Regenwaldes beitragen könnte. Vor allem in Frankreich, Österreich und den Niederlanden ist es heftig umstritten. Brasiliens Präsident Luiz Inacio Lula da Silva hat versprochen, die Klimapolitik seines Landes zu überarbeiten.

Portugal ist Verbündeter in den Gesprächen

In einer Rede in Lissabon sagte Marcio Elias Rosa, ein hochrangiger Sekretär im brasilianischen Ministerium für Entwicklung und Industrie, die Verhandlungen mit der EU seien im Gange und die Länder diskutierten die
die von der EU auferlegten sozial-ökologischen Anforderungen. “Die Anzeichen sind sehr positiv”, sagte Elias Rosa. “Es fehlen noch Details, aber ich glaube, dass wir den Deal abschließen werden und das Abkommen wird gut sein.”

Elias Rosa sagte, alle Mercosur-Staaten arbeiteten mit dem gleichen Ziel, das Abkommen abzuschließen, aber sie müssten sich noch über einige der Anforderungen einigen. “Brasilien erfüllt bereits die sozial-ökologischen
Anforderungen
in Bezug auf die Arbeitsgesetzgebung”, sagte Elias Rosa. “Es ist notwendig, dass auch andere Länder zustimmen, aber wir sind sehr nah dran.” Portugal und Spanien seien Verbündete Brasiliens in den Gesprächen. rtr

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Parlament will Kompetenzstreitigkeiten schneller lösen

Die Arbeitsgruppe des Europäischen Parlaments zur Geschäftsordnung hat in der vergangenen Woche einen Entwurf zur Änderung der internen Regeln des Parlaments vorgelegt, um Kompetenzstreitigkeiten schneller beizulegen. Ziel ist es, monatelange Verzögerungen bei der Bearbeitung von Gesetzesentwürfen zu vermeiden, weil es keine Einigung über die Zuweisung zu den Ausschüssen gibt.

Das Dokument, das Contexte vorliegt, schränkt die Fristen des Verfahrens ein. Die parlamentarischen Ausschüsse haben demnach zwei Wochen Zeit, um die Zuweisung eines Dossiers anzufechten. Die Konferenz der Ausschussvorsitzenden muss nach zwei Sitzungen einen Kompromissvorschlag machen und die Konferenz der Präsidenten hat sechs Wochen Zeit, um diesen Vorschlag zu bestätigen oder abzulehnen.

Doch auch hierzu gibt es noch keine Einigung: Bernd Lange (S&D), Vorsitzender der Konferenz der Ausschussvorsitzenden, argumentiert in einem Schreiben an den Ausschussvorsitzenden für konstitutionelle Fragen (AFCO), Salvatore de Meo, dass die Einführung verbindlicher Fristen kontraproduktiv sei. Sie könne Entscheidungen beschleunigen, die möglicherweise mehr Zeit benötigten.

Der Entwurf zur Änderung der Geschäftsordnung wird am 26. April im AFCO diskutiert und dann vor dem Sommer im Plenum angenommen. vis

Neue Regeln für krumme Gurken

Die EU-Kommission will die Vorschriften für den Verkauf von unansehnlichem Obst und Gemüse lockern. So könnten Erzeuger Produkte mit äußerlichen Mängeln künftig direkt vor Ort verkaufen – ohne die Vermarktungsnormen einhalten zu müssen. Damit will die EU den Verbrauchern die Möglichkeit geben, solches Obst und Gemüse zu erschwinglichen Preisen zu erwerben und die Lebensmittelverschwendung reduzieren.

Am Freitag hat die Kommission einige Überarbeitungen an den geltenden Vermarktungsnormen für Obst und Gemüse, Fruchtsäfte und Konfitüren, Honig, Geflügel und Eier vorgeschlagen. Sie sollen es den Verbrauchern leichter machen, fundierte Entscheidungen für eine gesündere Ernährung zu treffen.

Die Vorschläge betreffen:

  • die Ursprungskennzeichnung von Honig und anderen Lebensmitteln
  • Lebensmittelverschwendung und Verpackungsabfälle
  • die Kennzeichnung von Lebensmittelspenden
  • den Zuckergehalt von Fruchtsäften
  • den Mindestfruchtgehalt von Marmeladen
  • die Kennzeichnung von Eiern

Die Vorschläge für frisches Obst und Gemüse, Eier und Geflügel hat die Kommission in Form von delegierten Rechtsakten und Durchführungsrechtsakten vorgelegt. Die Texte stehen der Öffentlichkeit einen Monat lang für Rückmeldungen zur Verfügung. Die Vorschläge zu Konfitüren, Marmeladen, Fruchtsäften und Honig sind Gegenstand von Richtlinien, die das ordentliche Gesetzgebungsverfahren durchlaufen. vis

  • Agrarpolitik
  • Lebensmittel

Presseschau

Polen will in zwei Jahren stärkste Armee Europas haben STUTTGARTER-ZEITUNG
Russland spioniert ungeniert mit Antennen im Berliner Regierungsviertel – und in ganz Europa MERKUR
Spanien: Panzer-Lieferung in nächsten Tagen ZDF
Aktivisten fordern Sanktionen: Ex-Frau von russischem Vize-Minister genießt Luxus in Europa T-ONLINE
Gastbeitrag von Ukraines Außenminister Dmytro Kuleba: “Russland hat auch den Frieden in Europa und die Stabilität in der Welt gestohlen” WELT
Macron will mit China Friedensgipfel zum Ukraine-Krieg organisieren FOCUS
EU-Abgeordneter Reinhard Bütikofer: “Europa tickt in der China-Frage überwiegend anders als Macron” IDOWA
Borrell fordert Patrouillen europäischer Kriegsschiffe in Taiwanstraße ZEIT
Strack-Zimmermann für europäische Armee und EU-Kommissar für Sicherheit TAH
Spanische Flugzeuge sollen Europäer aus dem Sudan holen ZEIT
Evakuierung von Deutschen begonnen: Baerbock reist wegen Lage im Sudan nicht zu EU-Treffen RND
Strebt Ursula von der Leyen zweite Amtszeit an? FRAENKISCHERTAG
Durchzogene erste Bilanz des neuen Sexualstrafrechts in Spanien SRF
Antibabypille in Italien künftig kostenlos HANDELSBLATT
Umweltplan der EU-Kommission: Bauern befürchten Landnahme TAGESSPIEGEL
Verkauf vor Ort: EU will neue Regeln für hässliches Gemüse SPIEGEL
Europa hat LNG im Überfluss – doch das könnte sich bald ändern CAPITAL
EU-Wiederaufbaufonds: Kein Geld für italienische Stadien RAINEWS
Pragmatikerin im Ausland, ultrarechts daheim: Die zwei Gesichter der Giorgia Meloni HANDELSBLATT
EU-Abgeordnete: ChatGPT & Co. sollen besonders streng reguliert werden HEISE
UN-Cybercrime-Konvention: EU streitet mit China und Russland über Datenschutz HEISE
Jagd auf Dissidenten: Peking betreibt Dutzende von illegalen Polizeiwachen in Europa NZZ

Standpunkt

IRA: Wie man die europäische Industrie retten kann

Von André Loesekrug-Pietri
André Loesekrug-Pietri ist Vorsitzender der Joint European Disruptive Initiative (JEDI), der europäischen Initiative für Sprunginnovationen.

Der von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Net-Zero Industry Act zielt darauf ab, die Treibhausgasemissionen im Industriesektor bis 2050 auf Null zu reduzieren. Bis 2030 sollen  mindestens 40 Prozent der EU-Nachfrage nach sauberen Technologien in Europa selbst  gedeckt werden. Die Regulierung wird die Mitgliedstaaten verpflichten, nationale Pläne zur Dekarbonisierung der Industrie zu entwickeln. Sie wird auch die Entwicklung von Technologien zur  Carbon Capture and Storage (CCUS) unterstützen, indem sie das Ziel setzt, bis 2030 jährlich 50 Millionen Tonnen CO₂ zu speichern.     

Diese Regelung soll eine Antwort auf den amerikanischen Inflation Reduction Act (IRA) sein und ist Teil des europäischen Green Deals, der darauf abzielt, die EU bis 2050 klimaneutral zu machen. Leider lässt sich aus der europäischen Strategie  keine klare Vision herauslesen und, noch schlimmer, ihre Fristen und ihre Ausführung sind wenig glaubwürdig. 

Die Ziele wurden festgelegt, ohne dass eine wissenschaftliche Bewertung der Erreichbarkeit mit neuen Technologien vorgenommen wurde. Politische Leitlinien sind wichtig, aber sie müssen auf Fakten  basieren.    

Massive technologische Offensive fehlt 

Die Ziele sind entweder unklar (was soll etwa “saubere Technologien aus heimischer Produktion” konkret bedeuten?), unrealistisch (beim derzeitigen Stand der Technik wissen nur wenige Industriezweige, wie sie Netto-Null-Emissionen erreichen sollen) oder nicht ehrgeizig genug (das Gesamtziel für CCUS entspricht nur 1,5 Prozent der Gesamtemissionen der EU).

Es gibt auch kein Umsetzungskonzept (“Execution is everything”) und es fehlt eine massive wissenschaftliche und technologische Offensive, die darauf abzielt, neue bahnbrechende Technologien zu entwickeln, aber auch die Reifung und Kostenreduzierung bestehender sauberer Technologien zu beschleunigen. Das Beispiel des grünen Wasserstoffs, der derzeit drei- bis viermal mehr kostet als CO₂-emittierender grauer Wasserstoff, zeigt, dass die ,Grünen Zusatzkosten’ nicht frontal angegangen werden.

IRA mit einfachem Plan 

Im Gegensatz dazu hat der IRA einen sehr einfachen Ausführungsplan: die “grüne Prämie” für kohlenstoffreduzierende Technologien und Investitionen zu senken – unter der Bedingung, dass sie in den Vereinigten Staaten realisiert werden.

Der IRA hat eine klare protektionistische Komponente, aber soll als Beschleunigung der Energiewende gefeiert werden. Dies ist dem Green Deal bisher nicht gelungen, wobei man dazu sagen muss, dass die genauen  Daten fehlen, um ihn abschließend zu bewerten. Es zeigt sich aber schon jetzt das übliche Problem der EU-Politik, sich auf Investitionspläne zu konzentrieren, anstatt auf eine präzise und unabhängige Ergebnisbewertung. 

Sowohl die europäischen als auch die US-amerikanischen Pläne bleiben dennoch weit von einer echten innovativen Industriepolitik entfernt. Bei JEDI – der Joint European Disruptive Initiative  – argumentieren wir, dass sie von drei Säulen getragen werden muss:   

  • einer sehr ehrgeizigen, aber glaubwürdigen Vision, die durch verschiedene Antizipationsszenarien je nach Technologie und industriellen Skalierungsoptionen gestützt werden muss. 
  • einem Förderprogramm, das gesellschaftlich und strategisch missionsorientiert sein muss, und nicht technologie- oder branchenspezifisch. Das letztere würde zu Protektionismus, einer Logik des “Pick the Winner” und notorisch schlechten öffentlichen Direktinvestitionen führen. 
  • einer strategischen Nutzung des öffentlichen Beschaffungswesens, die mit den Regeln des internationalen Handels vereinbar bleibt, aber klare Klima- und Dekarbonisierungsziele vorgibt. Dazu müssen die technologischen Kompetenzen der öffentlichen Beschaffer gestärkt, der Prozess zur Anpassung an immer kürzere Innovationszyklen massiv agiler gestaltet und der Fokus auf die realen Auswirkungen auf Bürger und Gesellschaft gelegt werden.    

Wir brauchen einen radikalen Wandel in der Arbeitsweise der EU, damit Europa auch im 21. Jahrhundert relevant bleibt. 

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  • Öffentliche Beschaffung
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Europe.Table Redaktion

EUROPE.TABLE REDAKTION

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    Als wenig verlässlich erweist sich ein Altersvorsorgesystem der EU, das Parlamentarier absichern sollte, die bis zu einer Reform des Abgeordnetenstatuts keine Pensionen von ihren Nationalstaaten erhalten haben. Dafür hatte die EU einen Pensionsfonds aufgelegt, dem nun das Geld ausgeht, wie Markus Grabitz berichtet.

    Auf seinen Ständigen Vertreter in Brüssel konnte sich Deutschland dagegen immer verlassen. Und wird es auch weiterhin können. EU-Botschafter Michael Clauß bleibt noch ein weiteres Jahr im Amt, wie das Auswärtige Amt Table.Media bestätigt hat.

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    Die EU-Kommission scheint bereit, der Bundesregierung bei der geplanten Reform der EU-Fiskalregeln ein Stück weit entgegenzukommen. So wird in der Brüsseler Behörde diskutiert, den eigenen Ansatz einzeln mit den Mitgliedstaaten ausgehandelter Schuldenabbaupfade mit einheitlichen Benchmarks zu flankieren, wie Berlin es fordert. Allerdings müsse man dabei berücksichtigen, dass es im Rat eine Mehrheit für den Kommissionsansatz gebe, heißt es in Brüssel.

    Zuvor hatte die Bundesregierung auf hoher politischer Ebene in Brüssel interveniert. Ein von der Kommission in Umlauf gebrachter Entwurf der neuen Regeln habe die deutschen Positionen nicht ausreichend berücksichtigt, heißt es in Berliner Regierungskreisen.

    Kommission will neuen Ansatz

    Die Kommission will die einheitlichen Regeln das Stabilitäts- und Wachstumspakets durch einen neuen Rahmen ersetzen, der den unterschiedlichen Gegebenheiten in den einzelnen Ländern stärker Rechnung trägt. So will die Behörde jeweils eine langfristige Schuldentragfähigkeitsanalyse erstellen und auf der Grundlage mit der einzelnen Regierung über den Schuldenabbau verhandeln.

    Derzeit arbeitet die Kommission unter Hochdruck daran, diesen Ansatz in einen Gesetzentwurf zu gießen. Dieser wird voraussichtlich am Mittwoch vorgestellt, die endgültige Entscheidung darüber fällt aber erst am heutigen Montag.

    Berlin fordert Leitplanken

    Die Bundesregierung hatte Anfang April ein zwischen SPD, Grünen und FDP abgestimmtes Positionspapier nach Brüssel geschickt. Darin akzeptiert Berlin grundsätzlich den Ansatz der Kommission, bilateral mit den Mitgliedstaaten Pfade für den Schuldenabbau auszuhandeln. Allerdings pocht die Koalition darauf, dass dies innerhalb fester Leitplanken geschieht:

    • Quantitative Benchmarks: Berlin schlägt eine Ausgabenregel vor, um die Haushaltsdefizite zu begrenzen. Demnach sollen die Primärausgaben hoch verschuldeter Staaten um mindestens einen Prozentpunkt unter dem Potenzialwachstum ihrer Wirtschaft liegen.
    • Ein Sicherheitsnetz: Die Ausgaberegel garantiert nicht immer eine sinkende Schuldenlast. Daher sollen hoch verschuldete Länder ihren Schuldenstand um mindestens einen Prozentpunkt pro Jahr reduzieren müssen, andere Länder mit mehr als 60 Prozent Staatsverschuldung um mindestens 0,5 Prozentpunkte.

    Kritik an mangelnder Durchsetzung der Regeln

    Mit diesen festen Vorgaben will die Koalition sicherstellen, dass die Kommission in ihren Verhandlungen mit den Regierungen über die Schuldenabbaupfade nicht zu nachgiebig ist. Schließlich sei die hohe Verschuldung in einigen Mitgliedstaaten ein reales Problem, heißt es in Berlin. Daneben pocht die Bundesregierung darauf, dass die Durchsetzung der Regeln klarer im Kommissionsvorschlag geregelt wird als dies in dem Entwurf der Fall war.

    Unterstützung bekommt sie vom wirtschaftspolitischen Sprecher der EVP im Europaparlament, Markus Ferber (CSU): “Der Bundesfinanzminister muss in Brüssel hart bleiben und auf strikte quantitative Kriterien pochen.” Der Stabilitäts- und Wachstumspakt habe vor allem ein Problem mit seiner mangelhaften Durchsetzung, “und das hat die Kommission ganz maßgeblich selbst zu verantworten”, meint Ferber.

    Begrenztes Verständnis für deutsche Position

    Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Vizepräsident Valdis Dombrovskis erkennen durchaus an, dass die Bundesregierung mit ihrer Forderung nach Benchmarks einen Punkt habe. Anders interpretierte Aussagen von Dombrovskis in einem Interview sorgten vergangene Woche für Irritationen in Berlin, die aber ausgeräumt wurden.

    Die Forderungen im deutschen Positionspapier gehen aber auch diesem Lager zu weit: Sie liefen im Kern darauf hinaus, die bisherigen, wenig wirksamen Regeln des Stabilitätspaktes fortzuschreiben, heißt es in Brüssel. Die Sorge in der Kommission sei, “dass der präferierte Ansatz mit länderspezifischen Schuldentragfähigkeitsanalysen durch numerische Benchmarks und Safeguards de facto ausgehebelt würde”, erklärt Nils Redeker, stellvertretender Direktor des Jacques Delors Centre in Berlin.

    Nur wenig Verbündete im Rat

    Die Bundesregierung tut sich bislang schwer, politische Verbündete für ihr Anliegen zu finden. Die traditionelle Allianz stabilitätsorientierter Staaten bröckelt. Österreich und Luxemburg seien auf der gleichen Linie, heißt es in Berlin, auch in Polen und im Baltikum finde man grundsätzlich Unterstützung.

    Mit Schweden fällt aber ein traditionell “frugales” Land momentan aus, da sich Stockholm als amtierende Ratspräsidentschaft zurücknehmen muss. Finnland wiederum ist mit der Regierungsbildung beschäftigt.

    Die traditionell auf scharfe Schuldenregeln pochenden Niederländer wiederum tragen die deutschen Forderungen nur teilweise mit, ebenso wie Irland. Den Haag versteht sich in der Frage als Brückenbauer zwischen Berlin und Paris, das die geforderten Benchmarks strikt ablehnt. Den Haag hat jüngst ein eigenes Non-Paper eingebracht, das mögliche Kompromisslinien zeichnen soll. Darin stellt sich Den Haag ausdrücklich hinter den länderspezifischen Ansatz der Kommission, plädiert aber für gewisse “Mindestanforderungen” an die bilateral vereinbarten Schuldenabbaupfade, wie es in dem Papier heißt.

    Berlin in der Defensive

    In Berlin wird eingeräumt, dass sich Deutschland in der Diskussion in der Defensive befindet. Die Bundesregierung ist mangels Unterstützung bereits abgerückt von ihrer Fundamentalopposition gegen den Ansatz der Kommission, den einzelnen Ländern auf Grundlage einer Schuldentragfähigkeitsanalyse Sparvorgaben zu machen. Man habe sich in dem Positionspapier auch auf eine Ausgabenregel eingelassen – das sei schon ein großes Zugeständnis, heißt es in Berlin.

    Überdies wolle man nur festschreiben, was Kommission oder die Regierung in Paris erklärtermaßen selbst anstrebten. Finanzminister Bruno Le Maire hatte am Donnerstag das Ziel ausgegeben, die französische Schuldenlast von 111,6 Prozent des BIP Ende 2022 bis 2027 auf 108,3 Prozent zu reduzieren. Das entspreche im Wesentlichen den Parametern im deutschen Vorschlag, heißt es in der Koalition.

    Sucht Lindner den Konflikt?

    Die Kommission muss nun abwägen: Ignoriert sie die Position der Bundesregierung in ihren Vorschlägen weitgehend, dürfte Berlin auf stur schalten, sagt Redeker. “Finanzminister Lindner könnte sich so öffentlich als Hüter solider Staatsfinanzen in Europa profilieren.” Ein EU-Diplomat warnt bereit, Deutschland dürfe sich nicht erneut in der EU isolieren.

    Wenn die Kommission hingegen die deutschen Forderungen nach numerischen Benchmarks und Safeguards aufgreift, würden harte Verhandlungen über deren konkrete Höhe folgen, erwartet der Ökonom. Denn diese seien entscheidend für die Sparvorgaben an die Mitgliedstaaten.

    In jedem Fall dränge die Zeit, sagt Redeker, “denn das neue Regelwerk muss eigentlich bis Jahresende stehen“.

    • Christian Lindner
    • Europapolitik

    Rentenfonds des Parlaments geht das Geld aus

    Das Europaparlament prüft drei Optionen für sein zusätzliches Altersvorsorgesystem, das von der Pleite bedroht ist. Das Vorsorgesystem auf Basis eines Kapitalfonds nimmt seit 2009 keine Mitglieder mehr auf. Ansprüche an Zahlungen aus dem System haben noch rund 1000 Personen. Dabei handelt es sich um ehemalige Europaabgeordnete und deren Hinterbliebene. Die Zahlungsverpflichtungen erstrecken sich voraussichtlich bis in die 2080er Jahre.

    Im Fonds befinden sich noch rund 50 Millionen Euro. Aus dem Fonds fließen jährlich etwa 20 Millionen Euro ab. Dem Fonds droht die Zahlungsunfähigkeit innerhalb der kommenden zwei Jahre. Es heißt, dass sich die versicherungsmathematischen Ansprüche auf rund 300 Millionen Euro belaufen. Das Defizit beträgt also etwa 250 Millionen Euro. Die höchsten jährlichen Zahlungsverpflichtungen werden mit 27 Millionen Euro im Jahr 2027 erwartet.

    Der Rentenfonds stammt aus dem Jahr 1989

    Es handelt sich um einen freiwilligen Rentenfonds, der 1989 aufgelegt wurde. Bis zur Reform des Abgeordnetenstatuts im Jahr 2009 haben Europaabgeordnete ihre Diäten über die nationalen Parlamente bezogen. Auch die Altersvorsorge lief über die Nationalstaaten. In einigen Mitgliedstaaten gab es keine Altersvorsorge für Abgeordnete.

    Vor allem diese Abgeordnete machten bis 2009 von dem Angebot Gebrauch und zahlten einen Teil ihrer Diäten in den Fonds ein. Die Abgeordneten leisteten einen Eigenbeitrag und bekamen einen Zuschuss vom Europaparlament. Der Fonds wurde 2009 geschlossen.

    Das freiwillige Altersvorsorgesystem hat über Jahre hohe Verluste eingefahren. In der Finanzkrise und in der Niedrigzinsphase hat die Finanzkraft zusätzlich gelitten. Die sich abzeichnende Pleite ist seit langem bekannt. Doch bislang haben die jeweiligen Präsidenten des Europaparlaments wenig getan, um die Insolvenz abzuwenden.

    In der Vergangenheit waren die Ansprüche an den Fonds bereits einmal gekürzt worden. Dagegen hatten Anspruchsberechtigte geklagt. Der EuGH hat diese Klagen aber abgewiesen. Die Kürzungen ändern aber nichts an der prekären Lage des Systems.

    Drei Optionen sind auf dem Tisch

    Parlamentspräsidentin Roberta Metsola stellt sich der drohenden Pleite. Auf ihre Initiative hin hat das Präsidium drei Optionen diskutiert.

    • Keine Maßnahmen ergreifen und den Fonds pleitegehen lassen. Viele ehemalige Abgeordnete und deren Hinterbliebene würden dann keine Zahlungen mehr bekommen. Dabei ist unklar, ob dieser Weg vor Gericht Bestand hätte.
    • Abwicklung des Fonds, indem die vorhandenen Mittel an die Anspruchsberechtigten ausgezahlt werden.
    • Überführung des Fonds in den EU-Haushalt: Das Parlament springt finanziell für das Defizit ein, behält sich vor, Kürzungen der Ansprüche vorzunehmen.

    Eine Entscheidung ist noch nicht gefallen. Dem Vernehmen nach könnte es bei der kommenden Sitzung des Präsidiums eine zweite Orientierungsdebatte geben.

    2009 mussten sich die Abgeordneten entscheiden

    Im Juli 2009 trat das Abgeordnetenstatut in Kraft. Seitdem bekommen alle Europaabgeordneten die gleichen Dienstbezüge, derzeit 9.808,67 Euro monatlich vor Steuern und Abgaben. Auch die Altersvorsorge ist gleich: Ab dem 63. Lebensjahr gibt es einen Anspruch auf Pension: Für jedes volle Jahr als Abgeordneter werden 3,5 Prozent der Dienstbezüge als Anspruch erworben. Der Anspruch beläuft sich höchstens auf 70 Prozent.

    2009 mussten sich alle Abgeordneten, die schon vorher Mitglieder des Europaparlaments waren, entscheiden, ob sie im alten System bleiben und Diäten, Altersbezüge und Übergangsgelder aus dem nationalen System beziehen, oder ob sie in das einheitliche europäische System wechseln. Zwei Abgeordnete aus Deutschland, die noch heute dem Parlament angehören, haben sich damals entschieden, nicht ins europäische System zu wechseln. Dem Vernehmen nach ist kein amtierender deutscher Abgeordneter von der drohenden Pleite des Altersvorsorgesystems betroffen.

    • EU-Haushalt
    • Europäisches Parlament

    Chinas Botschafter verärgert die baltischen Staaten

    Fällt immer wieder durch radikale Äußerungen auf: Lu Shaye, Chinas Botschafter in Frankreich.

    Frankreich, die Ukraine und die baltischen Staaten haben sich bestürzt über Äußerungen des chinesischen Botschafters in Paris gezeigt. Lu Shaye hatte in einem Fernsehinterview die Souveränität ehemaliger Sowjetstaaten wie der Ukraine und der baltischen Länder infrage gestellt. Die französische Regierung bekundete am Sonntag ihre “volle Solidarität” mit allen betroffenen Staaten, die “nach Jahrzehnten der Unterdrückung” ihre Unabhängigkeit erlangt hätten.

    China müsse klären, ob die Äußerungen Lus die offizielle Position widerspiegelten oder nicht. “Was die Ukraine betrifft, so wurde sie 1991 innerhalb ihrer Grenzen, einschließlich der Krim, von der gesamten internationalen Gemeinschaft, einschließlich China, international anerkannt”, sagte ein Sprecher des französischen Außenministeriums.

    EU-Außenminister sollen darüber beraten

    Die Aussagen des chinesischen Botschafters sollen auch im Rat der EU-Außenminister am heutigen Montag angesprochen werden, erklärte Lettlands Außenminister Edgars Rinkēvičs. Er erwarte “eine starke und einheitliche Reaktion der EU”, schrieb Rinkēvičs auf Twitter.

    Sein estnischer Amtskollege Margus Tsahkna kritisierte, es handele sich um “eine Fehlinterpretation der Geschichte“. Lus Aussagen seien inakzeptabel, schrieb der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell auf Twitter. Die EU könne nur annehmen, dass diese nicht die offizielle Politik Chinas darstellten.

    Lu: Ehemalige Sowjet-Länder haben keinen souveränen Status

    In einem am Freitag vom französischen Fernsehsender LCI ausgestrahlten Interview hatte Lu erklärt, dass die Krim historisch gesehen zu Russland gehöre und der Ukraine vom ehemaligen sowjetischen Staats- und Parteichef Nikita Chruschtschow angeboten worden sei.

    Auf die Frage, ob die Krim zur Ukraine gehöre, sagte der Diplomat, es hänge alles davon ab, wie man dieses Problem betrachte. Einer Intervention des Moderators, dass die von Russland seit 2014 besetzte Schwarzmeer-Halbinsel völkerrechtlich ein Teil der Ukraine sei, entgegnete Lu: “Diese Länder der ehemaligen Sowjetunion haben keinen tatsächlichen Status im internationalen Recht, weil es kein internationales Abkommen gibt, das ihren souveränen Status festschreibt.”

    Zunächst keine Reaktion Pekings auf Lu-Aussagen

    Das chinesische Außenministerium reagierte zunächst nicht auf die Äußerungen des Diplomaten. Der chinesische Topdiplomat gilt als einer der extremsten “Wolf Warrior”. Bisher hielt sich Peking stets zurück, zu viel Unterstützung für das Gebaren des Botschafters zu zeigen – öffentlich Einhalt wurde Lu aber auch nicht geboten.

    Die drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen sowie die Ukraine reagierten in der gleichen Weise wie Frankreich. “Es ist seltsam, eine absurde Version der ,Geschichte der Krim’ von einem Vertreter eines Landes zu hören, das seine tausendjährige Geschichte sehr genau kennt”, schrieb Mychajlo Podoljak, ein hochrangiger Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, auf Twitter. “Wenn Sie ein wichtiger politischer Akteur sein wollen, sollten Sie nicht die Propaganda russischer Außenseiter nachplappern.”

    Baltische EU-Länder bestellen chinesische Botschafter ein

    Die baltischen Staaten sind seit Jahren Mitglieder der EU und der Nato – sie reagierten bereits formal. Wegen der “völlig inakzeptablen” Bemerkungen habe er für Montag den Geschäftsträger der chinesischen Botschaft in Riga einbestellt, teilte Lettlands Außenminister Rinkēvičs am Samstagabend auf Twitter mit. Dieser Schritt sei mit Litauen und Estland abgestimmt. “Wir erwarten von chinesischer Seite eine Erklärung und eine vollständige Rücknahme dieser Aussage”, stellte Rinkēvičs klar.

    Litauens Außenminister Gabrielius Landsbergis schrieb auf Twitter über einen Mitschnitt des Interviews:  “Sollte sich immer noch jemand fragen, warum die baltischen Staaten China nicht vertrauen, ,Frieden in der Ukraine zu vermitteln‘ – hier ist ein chinesischer Botschafter, der argumentiert, dass die Krim russisch ist und die Grenzen unserer Länder keine rechtliche Grundlage haben.”

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    News

    Deutscher EU-Botschafter Clauß verlängert

    Michael Clauß bleibt ein weiteres Jahr deutscher EU-Botschafter in Brüssel. Darauf hat sich die Ampel-Koalition nach Informationen von Table.Media verständigt. Das Auswärtige Amt bestätigte dies auf Anfrage. Clauß ist bereits seit 2018 Ständiger Vertreter der Bundesrepublik bei der EU und wäre damit eigentlich reif für einen Standortwechsel gewesen. Doch die Bundesregierung zieht es vor, den Brüssel-erfahrenen und parteiübergreifend geschätzten Diplomaten auf der wichtigen Position zu belassen.

    Auch Clauß scheint trotz der hohen Arbeitsbelastung und wiederkehrender Abstimmungsschwierigkeiten innerhalb der Ampel-Koalition weiter Freude an der Arbeit im Ausschuss der Ständigen Vertreter zu haben. Der 61-Jährige arbeitete in seiner Laufbahn im Auswärtigen Amt überwiegend zu europapolitischen Themen, bevor er 2013 für fünf Jahre Botschafter in China wurde.

    Die Bundesregierung sorgt damit an einer zentralen Stelle der deutschen Europapolitik für personelle Kontinuität. An anderer Stelle gibt es hingegen Wechsel: Heiko Thoms löste kürzlich Carsten Pillath als Europa-Staatssekretär im Bundesfinanzministerium ab; im Auswärtigen Amt übernimmt im Sommer Thomas Bagger von Andreas Michaelis den Posten des Staatssekretärs, der in der europapolitischen Koordinierung in Berlin eine wichtige Rolle spielt. tho

    • Europapolitik

    Kommission legt 11. Sanktionspaket gegen Russland vor

    Die Kommission hat die Botschafter der Mitgliedstaaten über das Wochenende zu ihren Plänen für das 11. Sanktionspaket gegen Russland informiert. Der Fokus werde darauf gelegt, Lücken im bisherigen Sanktionsregime zu schließen und Umgehung zu verhindern, sagten Diplomaten.

    Der neue EU-Sanktionskoordinator David O´Sullivan reist derzeit durch Zentralasien und hat auch schon die Türkei besucht. Die Botschafter sollen am Mittwoch erstmals im Ausschuss der Ständigen Vertreter über das 11. Sanktionspaket sprechen. In dem neuen Paket sollen Personen neu gelistet werden, die an der Deportation von Kindern aus der Ukraine beteiligt sind.

    Wohl keine Einigung zu Nuklearsanktionen

    Die Frage der Nuklearsanktionen werde sicher auf den Tisch kommen, aber werde am Ende nicht Teil des Pakets sein. Deutschland hat in einem Non-Paper vorgeschlagen, den Import von russischem Uran, Brennstäben und andere Nukleartechnologie aus Russland zu verbieten. Einige Mitgliedstaaten seien jedoch noch immer abhängig von Rosatom und seien deshalb gegen Nuklearsanktionen, sagte ein Diplomat. Die Zeit der großen neuen sektoriellen Sanktionen sei vorbei, da es jetzt “weh tue”.

    Die Frage der russischen Diamanten, wo hauptsächlich Belgien von einem Handelsverbot betroffen wäre, wird derzeit auf der Ebene der G7-Staaten diskutiert. Belgien ist nicht grundsätzlich gegen ein Importverbot, will aber international die Nachverfolgung sicherstellen, damit russische Diamanten nicht auf dem Umweg über Indien oder andere Drittstaaten in den Verkauf kommen. Zypern wiederum wehrt sich gegen den Vorschlag, russischen Staatsbürgern den Erwerb von Immobilien in der EU zu verbieten.

    Auch die EU-Außenminister diskutieren Strafmaßnahmen

    Die neuen Strafmaßnahmen dürften auch beim Treffen der EU-Außenminister heute in Luxemburg erstmals ein Thema sein. Im Fokus dürften dort unter anderem die Lage im Sudan und die Evakuierung von EU-Bürgerinnen und Bürgern stehen. Außenministerin Annalena Baerbock werde wegen der aktuellen Lage nicht nach Luxemburg reisen und sich durch Botschafter Michael Clauß vertreten lassen, hieß es dazu am Sonntagabend.

    Überschattet wird das Treffen durch die Mühen der EU, ihren Beschluss zur Munitionsbeschaffung für die Ukraine konkret umzusetzen. Frankreich drängt darauf, dass nur dann EU-Mittel für den gemeinsamen Einkauf verwendet werden dürfen, wenn alle Bestandteile auch aus der EU sowie Norwegen stammen. sti

    • Sanktionen

    Polen: EuGH halbiert tägliche Zwangsgelder

    In der Auseinandersetzung um die umstrittene Justizreform in Polen hat der Vizepräsident des Europäischen Gerichtshofs das Zwangsgeld halbiert. Statt einer Million Euro muss Polen nur noch 500.000 Euro täglich bezahlen. Das teilte das Gericht am Freitag in Luxemburg mit.

    Polen hatte im März die vollständige Aussetzung der Zwangsgelder beantragt, nachdem es im vergangenen Jahr die beanstandeten Regelungen zur Unabhängigkeit der Justiz geändert hatte. Das Zwangsgeld hatte der EuGH im September 2019 wegen Verstößen gegen das Unionsrecht gegen Polen verhängt.

    Die Maßnahmen Polens reichen noch nicht aus

    Mit dem Antrag auf vollständige Aufhebung der Zwangsgeldzahlungen konnte sich Polen nicht durchsetzen. Der aus Dänemark stammende EuGH-Vizepräsident Lary Bay Larsen ließ mitteilen, “dass die von Polen erlassenen Maßnahmen nicht ausreichen, um die Durchführung aller in dem Beschluss vom 14. Juli 2021 getroffenen einstweiligen Anordnungen sicherzustellen”.

    So habe Polen nicht nachweisen können, dass etwa Richter ausreichend vor Strafverfahren und Verhaftungen geschützt seien. Auch bei Disziplinarverfahren sei Polen teilweise den Nachweis schuldig geblieben, die beanstandeten Probleme ausgeräumt zu haben. Die Abschaffung der umstrittenen Disziplinarkammer würdigte Bay Larsen jedoch, was unter anderem zur Herabsetzung der Zwangsgelder führte.

    Nachdem im Dezember 2022 die Schlussanträge gestellt wurden, will der EuGH nun am 05. Juni sein Urteil bekanntgeben. Das Verfahren zur Rechtsstaatlichkeit ist unabhängig von weiteren Rechtsstreitigkeiten über mögliche Unionsverstöße der Republik Polen. fst

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    • Polen
    • Rechtsstaatlichkeit

    Borrell fordert Militärpräsenz der EU in der Taiwanstraße

    Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell plädiert für Patrouillenfahrten europäischer Kriegsschiffe in der Taiwanstraße. In einem Gastbeitrag in der französischen Sonntagszeitung Journal du Dimanche schrieb Borrell, Europa müsse beim Thema Taiwan, “das uns wirtschaftlich, kommerziell und technologisch betrifft, sehr präsent sein”.

    Die EU erkenne zwar klar die Ein-China-Politik Pekings an, sie dürfe aber auf keinen Fall an Bedingungen geknüpft sein oder mit Gewalt durchgesetzt werden, führt der Chefdiplomat der EU weiter aus. “Deshalb fordere ich die europäischen Marinen auf, in der Taiwanstraße zu patrouillieren, um Europas Engagement für die Freiheit der Schifffahrt in diesem absolut entscheidenden Bereich unter Beweis zu stellen.”

    Auch zu Pekings ausbleibender Kritik an der russischen Invasion in der Ukraine äußerte sich Borrell in seinem Gastbeitrag. Man habe China immer wieder gesagt, dass es nicht in seinem Interesse sei, Russland zu unterstützen, erklärte Borrell, “zumal sie mit ihrer Unterstützung nur die Polarisierung des internationalen Systems verstärken, die sie angeblich bekämpfen wollen.” fpe

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    Brasilien hofft auf Abschluss des Mercosur-Abkommens in diesem Jahr

    Brasilien hofft, das Mercosur Handelsabkommen mit der Europäischen Union noch in diesem Jahr abschließen zu können. Das sagte ein Regierungsbeamter am Sonntag in Lissabon. Das würde den Weg für einen wachsenden Handel zwischen den beiden Regionen freimachen.

    Die EU und der Mercosur-Block aus Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay schlossen die Verhandlungen bereits 2019 ab. Seitdem liegt das Abkommen auf Eis, denn einige EU-Staaten befürchten, dass der Freihandel zur Abholzung des Regenwaldes beitragen könnte. Vor allem in Frankreich, Österreich und den Niederlanden ist es heftig umstritten. Brasiliens Präsident Luiz Inacio Lula da Silva hat versprochen, die Klimapolitik seines Landes zu überarbeiten.

    Portugal ist Verbündeter in den Gesprächen

    In einer Rede in Lissabon sagte Marcio Elias Rosa, ein hochrangiger Sekretär im brasilianischen Ministerium für Entwicklung und Industrie, die Verhandlungen mit der EU seien im Gange und die Länder diskutierten die
    die von der EU auferlegten sozial-ökologischen Anforderungen. “Die Anzeichen sind sehr positiv”, sagte Elias Rosa. “Es fehlen noch Details, aber ich glaube, dass wir den Deal abschließen werden und das Abkommen wird gut sein.”

    Elias Rosa sagte, alle Mercosur-Staaten arbeiteten mit dem gleichen Ziel, das Abkommen abzuschließen, aber sie müssten sich noch über einige der Anforderungen einigen. “Brasilien erfüllt bereits die sozial-ökologischen
    Anforderungen
    in Bezug auf die Arbeitsgesetzgebung”, sagte Elias Rosa. “Es ist notwendig, dass auch andere Länder zustimmen, aber wir sind sehr nah dran.” Portugal und Spanien seien Verbündete Brasiliens in den Gesprächen. rtr

    • Brasilien
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    • Mercosur

    Parlament will Kompetenzstreitigkeiten schneller lösen

    Die Arbeitsgruppe des Europäischen Parlaments zur Geschäftsordnung hat in der vergangenen Woche einen Entwurf zur Änderung der internen Regeln des Parlaments vorgelegt, um Kompetenzstreitigkeiten schneller beizulegen. Ziel ist es, monatelange Verzögerungen bei der Bearbeitung von Gesetzesentwürfen zu vermeiden, weil es keine Einigung über die Zuweisung zu den Ausschüssen gibt.

    Das Dokument, das Contexte vorliegt, schränkt die Fristen des Verfahrens ein. Die parlamentarischen Ausschüsse haben demnach zwei Wochen Zeit, um die Zuweisung eines Dossiers anzufechten. Die Konferenz der Ausschussvorsitzenden muss nach zwei Sitzungen einen Kompromissvorschlag machen und die Konferenz der Präsidenten hat sechs Wochen Zeit, um diesen Vorschlag zu bestätigen oder abzulehnen.

    Doch auch hierzu gibt es noch keine Einigung: Bernd Lange (S&D), Vorsitzender der Konferenz der Ausschussvorsitzenden, argumentiert in einem Schreiben an den Ausschussvorsitzenden für konstitutionelle Fragen (AFCO), Salvatore de Meo, dass die Einführung verbindlicher Fristen kontraproduktiv sei. Sie könne Entscheidungen beschleunigen, die möglicherweise mehr Zeit benötigten.

    Der Entwurf zur Änderung der Geschäftsordnung wird am 26. April im AFCO diskutiert und dann vor dem Sommer im Plenum angenommen. vis

    Neue Regeln für krumme Gurken

    Die EU-Kommission will die Vorschriften für den Verkauf von unansehnlichem Obst und Gemüse lockern. So könnten Erzeuger Produkte mit äußerlichen Mängeln künftig direkt vor Ort verkaufen – ohne die Vermarktungsnormen einhalten zu müssen. Damit will die EU den Verbrauchern die Möglichkeit geben, solches Obst und Gemüse zu erschwinglichen Preisen zu erwerben und die Lebensmittelverschwendung reduzieren.

    Am Freitag hat die Kommission einige Überarbeitungen an den geltenden Vermarktungsnormen für Obst und Gemüse, Fruchtsäfte und Konfitüren, Honig, Geflügel und Eier vorgeschlagen. Sie sollen es den Verbrauchern leichter machen, fundierte Entscheidungen für eine gesündere Ernährung zu treffen.

    Die Vorschläge betreffen:

    • die Ursprungskennzeichnung von Honig und anderen Lebensmitteln
    • Lebensmittelverschwendung und Verpackungsabfälle
    • die Kennzeichnung von Lebensmittelspenden
    • den Zuckergehalt von Fruchtsäften
    • den Mindestfruchtgehalt von Marmeladen
    • die Kennzeichnung von Eiern

    Die Vorschläge für frisches Obst und Gemüse, Eier und Geflügel hat die Kommission in Form von delegierten Rechtsakten und Durchführungsrechtsakten vorgelegt. Die Texte stehen der Öffentlichkeit einen Monat lang für Rückmeldungen zur Verfügung. Die Vorschläge zu Konfitüren, Marmeladen, Fruchtsäften und Honig sind Gegenstand von Richtlinien, die das ordentliche Gesetzgebungsverfahren durchlaufen. vis

    • Agrarpolitik
    • Lebensmittel

    Presseschau

    Polen will in zwei Jahren stärkste Armee Europas haben STUTTGARTER-ZEITUNG
    Russland spioniert ungeniert mit Antennen im Berliner Regierungsviertel – und in ganz Europa MERKUR
    Spanien: Panzer-Lieferung in nächsten Tagen ZDF
    Aktivisten fordern Sanktionen: Ex-Frau von russischem Vize-Minister genießt Luxus in Europa T-ONLINE
    Gastbeitrag von Ukraines Außenminister Dmytro Kuleba: “Russland hat auch den Frieden in Europa und die Stabilität in der Welt gestohlen” WELT
    Macron will mit China Friedensgipfel zum Ukraine-Krieg organisieren FOCUS
    EU-Abgeordneter Reinhard Bütikofer: “Europa tickt in der China-Frage überwiegend anders als Macron” IDOWA
    Borrell fordert Patrouillen europäischer Kriegsschiffe in Taiwanstraße ZEIT
    Strack-Zimmermann für europäische Armee und EU-Kommissar für Sicherheit TAH
    Spanische Flugzeuge sollen Europäer aus dem Sudan holen ZEIT
    Evakuierung von Deutschen begonnen: Baerbock reist wegen Lage im Sudan nicht zu EU-Treffen RND
    Strebt Ursula von der Leyen zweite Amtszeit an? FRAENKISCHERTAG
    Durchzogene erste Bilanz des neuen Sexualstrafrechts in Spanien SRF
    Antibabypille in Italien künftig kostenlos HANDELSBLATT
    Umweltplan der EU-Kommission: Bauern befürchten Landnahme TAGESSPIEGEL
    Verkauf vor Ort: EU will neue Regeln für hässliches Gemüse SPIEGEL
    Europa hat LNG im Überfluss – doch das könnte sich bald ändern CAPITAL
    EU-Wiederaufbaufonds: Kein Geld für italienische Stadien RAINEWS
    Pragmatikerin im Ausland, ultrarechts daheim: Die zwei Gesichter der Giorgia Meloni HANDELSBLATT
    EU-Abgeordnete: ChatGPT & Co. sollen besonders streng reguliert werden HEISE
    UN-Cybercrime-Konvention: EU streitet mit China und Russland über Datenschutz HEISE
    Jagd auf Dissidenten: Peking betreibt Dutzende von illegalen Polizeiwachen in Europa NZZ

    Standpunkt

    IRA: Wie man die europäische Industrie retten kann

    Von André Loesekrug-Pietri
    André Loesekrug-Pietri ist Vorsitzender der Joint European Disruptive Initiative (JEDI), der europäischen Initiative für Sprunginnovationen.

    Der von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Net-Zero Industry Act zielt darauf ab, die Treibhausgasemissionen im Industriesektor bis 2050 auf Null zu reduzieren. Bis 2030 sollen  mindestens 40 Prozent der EU-Nachfrage nach sauberen Technologien in Europa selbst  gedeckt werden. Die Regulierung wird die Mitgliedstaaten verpflichten, nationale Pläne zur Dekarbonisierung der Industrie zu entwickeln. Sie wird auch die Entwicklung von Technologien zur  Carbon Capture and Storage (CCUS) unterstützen, indem sie das Ziel setzt, bis 2030 jährlich 50 Millionen Tonnen CO₂ zu speichern.     

    Diese Regelung soll eine Antwort auf den amerikanischen Inflation Reduction Act (IRA) sein und ist Teil des europäischen Green Deals, der darauf abzielt, die EU bis 2050 klimaneutral zu machen. Leider lässt sich aus der europäischen Strategie  keine klare Vision herauslesen und, noch schlimmer, ihre Fristen und ihre Ausführung sind wenig glaubwürdig. 

    Die Ziele wurden festgelegt, ohne dass eine wissenschaftliche Bewertung der Erreichbarkeit mit neuen Technologien vorgenommen wurde. Politische Leitlinien sind wichtig, aber sie müssen auf Fakten  basieren.    

    Massive technologische Offensive fehlt 

    Die Ziele sind entweder unklar (was soll etwa “saubere Technologien aus heimischer Produktion” konkret bedeuten?), unrealistisch (beim derzeitigen Stand der Technik wissen nur wenige Industriezweige, wie sie Netto-Null-Emissionen erreichen sollen) oder nicht ehrgeizig genug (das Gesamtziel für CCUS entspricht nur 1,5 Prozent der Gesamtemissionen der EU).

    Es gibt auch kein Umsetzungskonzept (“Execution is everything”) und es fehlt eine massive wissenschaftliche und technologische Offensive, die darauf abzielt, neue bahnbrechende Technologien zu entwickeln, aber auch die Reifung und Kostenreduzierung bestehender sauberer Technologien zu beschleunigen. Das Beispiel des grünen Wasserstoffs, der derzeit drei- bis viermal mehr kostet als CO₂-emittierender grauer Wasserstoff, zeigt, dass die ,Grünen Zusatzkosten’ nicht frontal angegangen werden.

    IRA mit einfachem Plan 

    Im Gegensatz dazu hat der IRA einen sehr einfachen Ausführungsplan: die “grüne Prämie” für kohlenstoffreduzierende Technologien und Investitionen zu senken – unter der Bedingung, dass sie in den Vereinigten Staaten realisiert werden.

    Der IRA hat eine klare protektionistische Komponente, aber soll als Beschleunigung der Energiewende gefeiert werden. Dies ist dem Green Deal bisher nicht gelungen, wobei man dazu sagen muss, dass die genauen  Daten fehlen, um ihn abschließend zu bewerten. Es zeigt sich aber schon jetzt das übliche Problem der EU-Politik, sich auf Investitionspläne zu konzentrieren, anstatt auf eine präzise und unabhängige Ergebnisbewertung. 

    Sowohl die europäischen als auch die US-amerikanischen Pläne bleiben dennoch weit von einer echten innovativen Industriepolitik entfernt. Bei JEDI – der Joint European Disruptive Initiative  – argumentieren wir, dass sie von drei Säulen getragen werden muss:   

    • einer sehr ehrgeizigen, aber glaubwürdigen Vision, die durch verschiedene Antizipationsszenarien je nach Technologie und industriellen Skalierungsoptionen gestützt werden muss. 
    • einem Förderprogramm, das gesellschaftlich und strategisch missionsorientiert sein muss, und nicht technologie- oder branchenspezifisch. Das letztere würde zu Protektionismus, einer Logik des “Pick the Winner” und notorisch schlechten öffentlichen Direktinvestitionen führen. 
    • einer strategischen Nutzung des öffentlichen Beschaffungswesens, die mit den Regeln des internationalen Handels vereinbar bleibt, aber klare Klima- und Dekarbonisierungsziele vorgibt. Dazu müssen die technologischen Kompetenzen der öffentlichen Beschaffer gestärkt, der Prozess zur Anpassung an immer kürzere Innovationszyklen massiv agiler gestaltet und der Fokus auf die realen Auswirkungen auf Bürger und Gesellschaft gelegt werden.    

    Wir brauchen einen radikalen Wandel in der Arbeitsweise der EU, damit Europa auch im 21. Jahrhundert relevant bleibt. 

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