heute treffen sich die europäischen Industrie- und Wirtschaftsminister für die Sitzung des Wettbewerbsfähigkeitsrats (COMPET) in Brüssel. Der erste Punkt auf der Agenda ist die Verordnung zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr. Da eine EU-Richtlinie aus 2011 nicht den gewünschten Effekt hatte, schlug die EU-Kommission im vergangenen September stattdessen eine direkt anwendbare Verordnung vor. Sie sollte im geschäftlichen Verkehr eine Zahlungsfrist von maximal dreißig Tagen zum Standard machen und automatische Strafzinsen bei Zahlungsverzug einführen.
Der Vorschlag war Teil des KMU-Entlastungspakets, denn er soll vor allem kleine Unternehmen stützen, deren Cashflow oft durch das träge Zahlverhalten von Großunternehmen beeinträchtigt wird. Doch viele Mitgliedstaatsregierungen können dem Vorschlag nichts abgewinnen. Sie fürchten Rechtsunsicherheit durch die direkte Rechtsanwendung der Verordnung. Zudem ist für viele unklar, ob die Verordnung den KMU wirklich helfen würde, denn die meisten sind nicht nur Gläubiger, sondern auch Schuldner. Die Ratsdebatte wird per Livestream übertragen.
Nicht übertragen wird der Austausch der Minister über den Binnenmarkt- und Wettbewerbsfähigkeitsbericht der EU-Kommission. Die belgische Ratspräsidentschaft erhofft sich eine Diskussion zu den Erfolgsindikatoren eines integrierten Binnenmarkts und dazu, wie die EU eine Industriepolitik verfolgen kann, die nicht zu einem Subventionswettlauf und zur Fragmentierung des Binnenmarkts führt. Speziell Minister aus kleineren und mittelgroßen Staaten kritisierten die gelockerten EU-Beihilferegeln für ihren marktverzerrenden Effekt.
Ein weiterer Punkt auf der Tagesordnung wird eine Aussprache zum EU-Lieferkettengesetz sein. Die belgische Ratspräsidentschaft hat das Gesetz noch nicht aufgegeben: Mit einem neuen Kompromissvorschlag versucht sie, auf Einwände der Mitgliedstaaten einzugehen, um doch noch eine Einigung zu erzielen. Der Vorschlag würde das Gesetz unter anderem in seinem Anwendungsbereich deutlich eingrenzen.
Die christdemokratische Parteienfamilie EVP will einen strengeren Kurs in der Asylgesetzgebung. Asylverfahren sollen in Drittstaaten stattfinden. Dafür sollen mit weiteren Nicht-EU-Ländern Migrationsabkommen geschlossen werden. So soll sichergestellt werden, dass “Asylsuchende Schutz in einer zivilisierten und sicheren Art und Weise” bekommen. Dies steht in dem Manifesto, mit dem die EVP in den Europawahlkampf zieht. Es wurde beim Kongress der EVP mit 800 Delegierten in Bukarest mit großer Mehrheit beschlossen.
Die EVP stehe zur Genfer Flüchtlingskonvention und zur Europäischen Menschenrechtskonvention. Beide Konventionen sähen aber nicht vor, dass Schutzsuchende das Recht hätten, sich frei das Land auszusuchen, das ihnen Schutz gewähre.
Nachdem das System der Drittländer erfolgreich umgesetzt sei, wolle sich die EVP dann für ein Quoten-System einsetzen. “Wir schlagen vor, eine Quote von schutzbedürftigen Personen in die EU aufzunehmen, und zwar im Rahmen jährlicher humanitärer Kontingente für gefährdete Personen.” Die Forderung von festen Quoten für Flüchtlinge, die aus humanitären Gründen zugelassen werden, ist neu.
Entgegen ursprünglicher Planungen macht das Manifesto Abstriche bei der Forderung, das Einstimmigkeitsprinzip bei Abstimmungen im Rat aufzugeben. Nach Kritik von osteuropäischen Mitgliedstaaten ist nun nur noch von der “Abkehr vom Einstimmigkeitsprinzip bei Sanktionen gegen totalitäre Regime und zur Verteidigung des Binnenmarktes” die Rede.
Die Forderung von CDU und CSU, das Verbrenner-Aus 2035 wieder zu kippen, findet sich nicht im Manifesto. Die EVP spricht sich stattdessen nur noch für Technologieneutralität aus. Es gehe darum, “alternative Treibstoffe, Wasserstofftechnologien und neue Antriebe für Fahrzeuge, Flugzeuge und Schiffe zu entwickeln”. Wie zu hören war, hat die schwedische Mitgliedspartei diese Änderung durchgesetzt.
Die österreichische Delegation hat sich bei der Abstimmung über das Manifesto enthalten. Die ÖVP stellte 23 Delegierte. Die Partei und Bundeskanzler Karl Nehammer wollen die Forderung nicht mittragen, Rumänien und Bulgarien volle Aufnahme im Schengen-Raum zu gewähren. Auch die österreichische EVP-Mitgliedspartei fordert eine Abkehr vom Verbrenner-Aus.
Ursprünglich sollte der EVP-Kongress in Österreich stattfinden, wie zu hören ist. Doch die ÖVP habe das Angebot von Manfred Weber (CSU), EVP-Partei- und Fraktionschef, abgelehnt. Daraufhin ist die EVP mit der Parteiveranstaltung zum Auftakt der Wahlkampagne nach Rumänien gegangen, wo in diesem Jahr Präsidentschafts- und Parlamentswahlen stattfinden.
Bei dem zweitägigen Kongress soll am Donnerstag Ursula von der Leyen zur Spitzenkandidatin der EVP gewählt werden. Die sozialistische Parteienfamilie hatte ihren Spitzenkandidaten, Nicolas Schmit, lediglich akklamiert. Von der Leyen muss sich dagegen einer Wahl stellen. 2018 wählte die EVP bei einem Kongress in Helsinki Manfred Weber mit knapp 79 Prozent der Delegierten zum damaligen Spitzenkandidaten. Weber hatte einen Gegenkandidaten, Alexander Stubb, der heutige Präsident Finnlands. Ursula von der Leyen wird keinen Gegenkandidaten haben. Daher wird erwartet, dass sie mindestens eine Zustimmung von 80 Prozent erreicht.
Gegenwind hat die französische Delegation der Républicains angekündigt. Die Partei, die früher den Regierungschef in Frankreich stellte, hat aber massiv an Stärke eingebüßt. In Bukarest stellt sie nur noch 23 Delegierte. CDU und CSU kommen zusammen auf 85 Delegierte. Auch 13 von 19 slowenischen Delegierten haben sich bereits festgelegt und wollen nicht für von der Leyen stimmen. Wie viele von den Delegierten am Ende in geheimer Wahl für die Kandidatin stimmen, wird man am heutigen Donnerstag gegen Mittag wissen.
Hinter den Kulissen wurde bei dem Kongress, zu dem auch Parteichef Friedrich Merz (CDU), Jens Spahn sowie der Generalsekretär der NRW-CDU, Paul Ziemiak, angereist sind, auch die personelle Aufstellung der Christdemokraten nach der Wahl diskutiert. Vier Topjobs sind zu vergeben: Die EVP dürfte wieder stärkste Kraft im Europaparlament werden und hat damit gute Chancen, Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin durchzusetzen. Die Parteienfamilie wird zudem fordern, dass Parlamentspräsidentin Roberta Metsola die ersten zweieinhalb Jahre der Wahlperiode weiter machen kann.
Die anderen beiden Top-Jobs, Ratspräsident und Außenbeauftragte/Kommissar für Verteidigung, dürften von der sozialistischen Parteienfamilie SPE und von den Liberalen eingefordert werden, wenn diese von der Leyen als Kommissionspräsidentin unterstützen.
Die EVP könnte allerdings Anspruch erheben, auch den Ratspräsidenten zu besetzen. Man hört das Argument, dass die EVP im Rat Einfluss gewonnen hat: Bereits jetzt werden 15 von 27 Mitgliedstaaten von EVP-Mitgliedsparteien regiert. Rumäniens Präsident Klaus Iohannis werden Ambitionen nachgesagt.
Dazu passt, was am Rande des Kongresses zu hören war: Iohannis will die in diesem Jahr anstehenden Präsidentschaftswahlen in seinem Land früher, und zwar schon im September durchführen. Dann wäre die Entscheidung in Rumänien gefallen, wenn im Dezember der Nachfolger von Ratspräsident Charles Michel startet.
Der Co-Fraktionschef der EKR-Fraktion im Europaparlament, Nicola Procaccini, lehnt das Spritzenkandidaten-Prinzip ab. Im Gespräch mit Table.Briefings sagte Nicola Procaccini (Fratelli d’Italia), der als Vertrauter von Giorgia Meloni gilt: “Es liegt nicht in der Kompetenz des Europaparlaments, den oder die Kommissionspräsidentin auszusuchen. Das ist Sache des Rates.” Es wäre ein “Überdehnen” der europäischen Verträge, wenn das Parlament für sich dieses Recht beanspruche.
“Das Parlament wählt den oder die Kommissionspräsidentin, sucht ihn aber nicht aus.” Ob die europäische konservative Parteienfamilie EKR, die von der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni geführt wird, noch einen Spitzenkandidaten für die Wahl nominiere, könne er nicht sagen.
Die EKR-Fraktion im Europaparlament hat aktuell 68 Abgeordnete. Laut der Sitzprojektion von Manuel Müller könnte sie nach der Europawahl auf 78 Sitze zulegen. Fidesz, die bislang fraktionslose ungarische Delegation, hat angekündigt, dazustoßen zu wollen. Zudem ist Nicolas Bay, der einzige EU-Abgeordnete von Reconquête aus Frankreich, der EKR-Fraktion beigetreten. Reconquête wird von den Rechtspopulisten Éric Zemmour und Marion Maréchal geführt.
Mit 25 Abgeordneten stellt die polnische ehemalige Regierungspartei PIS in der EKR-Fraktion die meisten Abgeordneten sowie den Co-Fraktionschef Ryszard Antoni Legutko. Die Fratelli d’Italia (Brüder Italiens) haben derzeit zehn Abgeordnete im Europaparlament und stellen mit Procaccini den zweiten Co-Vorsitzenden.
Procaccini setzt darauf, “dass es nach der Europawahl eine Verschiebung nach rechts im Europaparlament geben wird”. Die Meinungsumfragen deuteten darauf hin, dass die Kräfte rechts von der christdemokratischen EVP-Fraktion gestärkt werden. “Im Idealfall bekommen wir im Europaparlament eine Konstellation, in der Christdemokraten mit EKR und ID zusammen eine Mehrheit haben und Abstimmungen für sich entscheiden können.” Zudem würden immer mehr Mitgliedstaaten konservativ regiert. “Es zeichnet sich also ab, dass wir auch eine Kommission bekommen, die politisch ihren Schwerpunkt Mitte-Rechts hat.”
Procaccini erinnert daran, dass Fidesz- und PIS-Abgeordnete Ursula von der Leyen 2019 gewählt hätten. “Allerdings gibt es bei ihnen und auch bei vielen anderen Abgeordneten der EKR große Unzufriedenheit mit von der Leyen, weil der Green Deal eher Mitte-Links-Positionen vertreten hat.”
Aus Reihen der PIS hatte es Rufe gegeben, die Abgeordneten des rechtsextremen Rassemblement National (RS) von Marine Le Pen in die EKR-Fraktion aufzunehmen. Procaccini bremst die Erwartungen: “Ich sehe nicht, dass die Abgeordneten des Rassemblement in der EKR-Fraktion aufgenommen werden. Es gibt in dieser Hinsicht keine Überlegungen.” Allenfalls bestehe eine künftige Zusammenarbeit darin, gelegentlich gemeinsam abzustimmen: “Warum auch nicht?” Procaccini grenzt die EKR ab: “Für meine Fraktion ist wichtig, dass wir eindeutig prowestlich sind. Wir sind gegen Wladimir Putin und für die Ukraine.”
Ursula von der Leyen hatte kürzlich bei ihrer Vorstellung als EVP-Spitzenkandidatin Bedingungen für die Zusammenarbeit der EVP im Parlament mit Abgeordneten aus anderen Fraktionen gestellt: “Es ist mir wichtig, mit pro-europäischen, pro-Nato, pro-ukrainischen Gruppen zusammenzuarbeiten, die unsere demokratischen Werte klar unterstützen.”
“Die Abgeordneten der Fratelli haben Ursula von der Leyen 2019 nicht gewählt”, sagt Procaccini. Wenn von der Leyen im Juli oder September in Straßburg antrete für eine zweite Amtszeit, “wird vorher in den nationalen Delegationen abgewogen, ob wir sie unterstützen”. Letztlich hänge es von der Agenda der Kommission für die nächsten fünf Jahre ab.
Procaccini formuliert die Prioritäten für die italienische Delegation in der EKR-Fraktion: “Wir wollen, dass die illegale Migration bekämpft wird, die Kommission muss gegen die Menschenhändler vorgehen.” Gleichzeitig müsse es Regeln für die legale Zuwanderung geben. “Jedes Mitgliedsland braucht reguläre Zuwanderung.”
“Zum anderen muss der Binnenmarkt stärker geschützt werden gegen Dumping aus Nicht-EU-Ländern”. Der EKR sei “Souveränität der EU in Energie-Fragen wichtig.” Die EU dürfe nie wieder abhängig von Energieimporten werden wie in der Vergangenheit. “Wir respektieren, dass die EU sich dem Klimaschutz verschrieben hat. Wir fordern aber Technologieoffenheit.” Die Mitgliedstaaten sollten selbst die Instrumente wählen können, um die Klimaziele zu erreichen.
“Außerdem wollen wir Arbeitnehmer und Selbstständige schützen, für die die Natur die berufliche Existenz bedeutet.” In den vergangenen fünf Jahren seien “Landwirte und Fischer von der Kommission regelrecht feindselig behandelt worden”. Dabei seien sie die Verbündeten der Umwelt. “Es ist die verrückte Ideologie der Linken, dass die Umwelt gegen die Menschen geschützt werden muss.” Es gehe nicht darum, die grüne Transformation abzuschaffen, vielmehr müssten die Regeln angepasst werden.
Die CO₂-Flottengrenzwerte und das Verbrenner-Aus im Jahr 2035 seien nicht realistisch. “Italien setzt sich massiv dafür ein, dass Autos mit Verbrennerantrieb auch nach 2035 mit Biokraftstoffen fahren können.”
Im Bereich der Verteidigungspolitik setze er sich stark für eine gemeinsame Beschaffung durch die Mitgliedstaaten ein. “Nicht zuletzt die Nato braucht ein wehrfähigeres Europa.” Donald Trump habe recht, dass die Europäer mehr Geld für ihre Verteidigung ausgeben müssten. “Meine Partei spricht sich auch für eine gemeinsame Armee der EU aus.” Die Parteienfamilie EKR sei überzeugt davon: “Im nächsten Mandat soll die EU sich beschränken. Weniger tun, das aber dann umso besser – das muss unsere Devise für die nächsten fünf Jahre sein.”
Procaccini hält es für nicht vorstellbar, dass die Fratelli sich nach den Wahlen der christdemokratischen EVP-Fraktion anschließen: “Einen Übertritt der Fratelli-Abgeordneten zur EVP schließe ich definitiv aus. Wir sind überzeugt, dass unser Platz in der EKR ist. Vielmehr geht es darum, die konservative Kraft im Europaparlament zu stärken.”
Herr Dmytrasevych, die EU entscheidet aktuell darüber, den Freihandel mit der Ukraine zu verlängern. Wie wichtig ist das für Ihr Land?
70 Prozent der Exporte und Deviseneinnahmen der Ukraine entfallen auf Agrarexporte. Wir nutzen diese Mittel zur Verteidigung gegen Russland. Es ist entscheidend, die Handelsmaßnahmen zu verlängern – sie ermöglichen es unseren Landwirten, weiter ihre Arbeit zu machen.
Der Vorschlag sieht Schutzmaßnahmen für Zucker, Geflügel und Eier vor. Ein guter Kompromiss?
Wir haben dem zugestimmt. Aber um ehrlich zu sein, bin ich nicht glücklich darüber. Sehen wir uns die Produkte an: Bei Zucker ist die Ukraine nicht der größte Exporteur in die EU.
Ukrainische Zuckerimporte haben sich nach Angaben der EU-Kommission seit der Liberalisierung verzehnfacht.
Sie sind gestiegen, aber wir sind weiterhin nicht der größte Exporteur – das ist Brasilien. Unsere Ausfuhren machen weniger als drei Prozent des EU-Binnenverbrauchs aus. Bei Geflügel sind es weniger als zwei, bei Eiern weniger als ein Prozent. Die Auswirkungen auf den EU-Markt können nicht so groß sein.
Zudem bleiben die Preise für diese Produkte in der EU hoch. Wenn sich unsere Einfuhren auf den EU-Markt auswirken würden, müssten die Preise sinken – das sind sie nicht, teils sind sie sogar gestiegen.
Was halten Sie von der Forderung des EU-Agrarausschusses, Schutzmaßnahmen auf Getreide und Honig auszuweiten?
Das ist inakzeptabel. Die Kommission hob im vergangenen Herbst die Getreide-Exportbeschränkungen in die Anrainerstaaten auf. Sie kam zu dem Ergebnis, dass die Einfuhren keine nennenswerten Auswirkungen auf den Markt haben. Es gibt also keine Grundlage für Schutzmaßnahmen für Getreide.
Außerdem will der Ausschuss zollfreie Exportmengen für Zucker, Eier, Huhn, Getreide und Honig auf das Niveau der Jahre 2021 und 2022 senken, statt es bei 2022 und 2023 zu belassen. In diesem Zeitraum aber war unser Handel durch Kontingente eingeschränkt, die Vogelgrippe grassierte, ganz Europa unterlag Covid-Beschränkungen. 2022 begann Russland seine Aggression, in den ersten Monaten konnten wir kaum exportieren.
Wie ist die Lage der ukrainischen Landwirte jetzt?
25 Prozent unserer Anbauflächen sind besetzt, vermint oder anderweitig kontaminiert. Die Kyiv School of Economics schätzt die landwirtschaftlichen Verluste bis dato auf 80 Milliarden US-Dollar. Es gibt ständige Raketen- und Drohnenangriffe auf unsere Hafen- und Agrarinfrastruktur. Unsere Landwirte kämpfen an der Front, den Höfen fehlen Arbeitskräfte. Betriebsmittelpreise für Treibstoff, Dünger oder Pflanzenschutzmittel sind hoch.
All das ist sehr hart. Wir haben Verständnis für die Situation der Landwirte in der EU. Aber die Lage unserer Landwirte in der Ukraine ist viel schwieriger.
Wie lange wird es dauern, die Felder zu entminen?
Das weiß leider niemand. In unseren Wäldern finden wir immer noch Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg. Und Russlands lächerlicher Angriffskrieg ist seitdem der größte Krieg in Europa. Es kann also Jahrzehnte dauern.
Haben Erzeuger in der EU recht damit, dass ukrainische Produkte wegen niedrigerer Standards billiger sind?
Wir hören häufig Argumente über die angeblich geringere Qualität unserer Produkte, aber das hat nichts mit der Realität zu tun. Seit der Unterzeichnung des EU-Assoziierungsabkommens in 2014 arbeiten wir an der Umsetzung der Standards. Wir können keine Produkte in die EU exportieren, wenn sie nicht alle Qualitätsregeln erfüllen.
Es stimmt, dass es in der EU mehr Umweltregeln gibt. Aber: Landwirte in der EU müssen zum Beispiel vier Prozent ihrer Flächen brach liegen lassen. Die Ukraine kann wegen des Krieges ein Viertel ihres Landes nicht bewirtschaften. Zudem erhalten Betriebe in der EU im Gegenzug Subventionen in Milliardenhöhe. Unsere Landwirte haben keine solche Unterstützung.
Um der EU beizutreten, muss die Ukraine europäisches Recht umsetzen. Werden die ukrainischen Landwirte die Umweltauflagen akzeptieren?
Im Jahr 2021 erhielten unsere Landwirte 100 Millionen US-Dollar an staatlicher Unterstützung. Betriebe in EU-Ländern bekommen Milliardenbeträge aus der GAP und anderen EU-Fonds. Wenn unsere Landwirte im Gegenzug für die Umsetzung des Green Deal solche Summen erhalten können, sehe ich nicht, warum sie dazu Nein sagen sollten.
Der riesige Agrarsektor der Ukraine könnte fast das gesamte GAP-Budget auffressen. Was schlagen Sie vor?
Die nächste GAP-Reform sollte darauf vorbereiten, die Ukraine aufzunehmen. Zum Beispiel durch mehr Umverteilung von großen zu kleinen Betrieben. 80 Prozent der GAP-Mittel gehen an 20 Prozent der Betriebe. Gleichen wir das aus, können wir sicherstellen, dass das Geld an Höfe geht, die es wirklich brauchen. Sehr große Betriebe sind oft ohnehin wirtschaftlich. Gleichzeitig würde Platz für die Aufnahme der Ukraine geschaffen.
Viele Landwirte in der EU lehnen den Beitritt der Ukraine ab. Sie befürchten, vom Markt verdrängt zu werden. Wie wollen Sie sie überzeugen?
Wir hatten diese Woche ein sehr gutes Treffen mit dem EU-Bauernverband Copa Cogeca. Wir haben versucht, deutlich zu machen, dass diese Ängste unbegründet sind. Solche Mythen werden sicherlich auch von russischer Propaganda geschürt. Wir sollten nicht vergessen, dass wir schon vor der Invasion mit der EU Agrarprodukte gehandelt haben. Deutschland ist traditionell Zielland für ukrainische Sojabohnen und Raps.
Wir verstehen, dass Landwirte in der EU, der Ukraine oder anderswo, konservativ sind: Wenn sich Dinge ändern, kommen Ängste auf. Aber wir müssen faktenbasiert miteinander sprechen – nur so entkräften wir Mythen.
Sie glauben nicht, dass der Beitritt der Ukraine große Auswirkungen auf die EU-Agrarmärkte haben wird?
Ein Drittel unserer Agrarexporte geht nach China. Auch nach dem Beitritt werden wir diese Märkte in Asien oder Afrika haben – warum sollten wir sie verlieren? Es gibt keinen Grund, alles in die EU zu exportieren. Wir können gemeinsam in Drittländer exportieren.
Innerhalb der EU können wir Einfuhren aus Russland oder Belarus durch ukrainische ersetzen. Während der Dürren der vergangene zwei Jahre in Südeuropa haben wir mit unserem Getreide zum Marktausgleich beigetragen. Das zeigt, dass wir als Partner und faire Konkurrenten zusammenarbeiten sollten, statt uns wie Feinde oder Protektionisten zu verhalten.
11.03.2024 – 13:00-14:15 Uhr, Berlin/online
DGAP, Buchvorstellung Zwei Jahre “Zeitenwende”: Konsequenzen für Deutschland und Europa
Anlässlich der Veröffentlichung des Buchs “Krisenzeit: Sicherheit, Wirtschaft, Zusammenhalt – Was Deutschland jetzt tun muss” diskutieren die Autorin und der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) über die Zukunft der deutschen und europäischen Sicherheits-, Energie- und Wirtschaftspolitik und bewerten die Umsetzung der sicherheitspolitischen Zeitenwende. INFOS & ANMELDUNG
11.03.2024 – 16:00-17:30 Uhr, online
ERCST, Roundtable Future of the EU ETS – Carbon removals
The European Roundtable on Climate Change and Sustainable Transition (ERCST) will discuss the role of negative emissions and carbon removal technologies in the existing EU Emission Trading System and provide and outlook on what governance framework would be needed to if they were to be included. INFO & REGISTRATION
11.03.2024 – 19:00-22:00 Uhr, Berlin
FES, Diskussion DenkArt – Europa
Bei der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) spricht unter anderem der Stiftungsvorsitzende Martin Schulz darüber, wie die EU angesichts aktueller Herausforderungen wie Rechtspopulismus, Sicherheit und Klimawandel handlungsfähig bleiben kann. INFOS
11.03.2024 – 19:00-20:15, Berlin/online
DGAP, Podiumsdiskussion Das deutsche Wachstumsmodell auf dem Prüfstand: Debatte über die Zukunft des Industriestandorts Europa
Die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) lädt Gäste aus der Wirtschaft, Politik und Wissenschaft ein, um Fragen rund um die geoökonomischen Herausforderungen der kommenden Jahre in Europa zu diskutieren und zu erörtern, wie eine ausgewogene Betrachtung von Wirtschaftswachstum, Umweltzielen und Wettbewerbsfähigkeit aussehen kann. INFOS & ANMELDUNG
12.03.2024 – 11:00 Uhr, online
EBD, Vortrag De-Briefing EZB-Rat
Die Europäische Bewegung Deutschland (EBD) veranstaltet ein De-Briefing zum Treffen des Rates der Europäischen Zentralbank (EZB), bei dem Vertreter der EZB Bericht erstatten. INFOS
12.03.2024 – 14:30-16:30 Uhr, online
Eurogas, Workshop EU Methane Regulation – How operators and stakeholders along the value chain can implement it
As part of a new workshop series on the EU Methane Regulation, this event will focus on leak detection and repair, featuring speeches, presentations and Q&A sessions on different thematic aspects. INFO & REGISTRATION
12.03.2024 – 18:00-19:30 Uhr, Berlin
RBB/Hertie School, Podiumsdiskussion RBB Forum: Europa hat die Wahl – Neustart oder weiter so?
Die Podiumsdiskussion in gemeinsamer Organisation vom Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) und der Hertie School beschäftigt sich mit diversen Fragen rund um die Europawahl und die Zukunft europäischer Politik, insbesondere aus Perspektive der Bürgerinnen und Bürger. INFOS & ANMELDUNG
Die belgische Ratspräsidentschaft schlägt vor, das EU-Lieferkettengesetz (CSDDD) deutlich abzuschwächen. Das geht aus einem neuen Kompromissvorschlag hervor, der Table.Briefings vorliegt. Nachdem auf der Ebene der stellvertretenden EU-Botschafter (AStV I) in der vergangenen Woche bereits zum zweiten Mal keine qualifizierte Mehrheit für die Richtlinie zustande gekommen war, will Belgien mit dem Vorschlag auf Einwände der Mitgliedstaaten eingehen und so doch noch eine Einigung zu erzielen.
Doch Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) bleibt weiterhin deutlich in seiner Ablehnung: Auch der neue Vorschlag sei nicht ausreichend, um die Bedenken auszuräumen, teilte eine Sprecherin seines Ministeriums mit.
Der Vorschlag würde viele Bestandteile des Gesetzes deutlich verändern:
Mit dem Vorschlag geht der Ratsvorsitz auch auf wesentliche Kritikpunkte der FDP ein, die eine Zustimmung der Bundesregierung verhindert hatte: In einem Beschluss hatte das Präsidium den großen Anwendungsbereich, die Einstufung des Bausektors als Risikosektor, die Verpflichtung zur Umsetzung eines Klimaplans samt finanzieller Anreize sowie die Verantwortung der Unternehmen für die nachgelagerte Lieferkette und indirekte Geschäftspartner als Argumente für ihre Ablehnung genannt.
Doch das reicht offenbar nicht, um Bundesjustizminister Buschmann umzustimmen. Sein Ministerium ließ das Bundesministerium für Arbeit und Soziales am Mittwochabend wissen, dass es seine Bedenken nicht ausgeräumt sehe. Eine Sprecherin sagte der Deutschen Presse-Agentur: “Damit bleibt es dabei: Deutschland wird dem derzeitigen Entwurf der EU-Lieferkettenrichtlinie nicht zustimmen.”
Das Regelungswerk sei nach wie vor “zu bürokratisch und birgt weiterhin unüberschaubare Haftungsrisiken”. Anstatt an dem alten Text Änderungen vorzunehmen, wäre es aus Sicht von Buschmann besser, nach der Europawahl im Juni “mit einer frisch ernannten Kommission einen bürokratiearmen, schlanken Entwurf” auf den Weg zu bringen.
Ein Sprecher der Ratspräsidentschaft dementierte Medienberichte, laut denen der AStV I in seiner Sitzung am Freitag über das Gesetz abstimmen würde. Noch sei dies nicht geplant; das Thema könne aber noch auf die Tagesordnung gesetzt werden. leo/dpa
Vor fast genau einem Jahr lag der europäische CO₂-Preis mit über 100 Euro je Tonne auf einem Rekordhoch. Bis Ende Februar war er auf rund 53 Euro gesunken – das ist fast eine Halbierung. Anfang März pendelte er um die 60 Euro, was immer noch einem Minus von rund 40 Prozent entspricht. Grundsätzliche Ursachen des Preisverfalls sind die generelle Volatilität des europäischen Emissionshandels (ETS) und fehlende Schutzmaßnahmen für schnell steigende oder sinkende Preise. Darüber hinaus tragen der sinkende Gaspreis und die dadurch günstiger werdende fossile Verstromung zum niedrigen CO₂-Preis bei.
Auch wenn der niedrige Preis an sich laut Experten zunächst kein Problem darstellt, haben die starken Schwankungen Folgen für die europäische Energiewende. “Es ist ein entmutigendes Signal für Unternehmen, die sonst in kohlenstoffarme Technologien investieren würden“, sagt Emil Dimanchev, Klimapolitik-Forscher an der Naturwissenschaftlichen Universität Trondheim. Ein instabiler Markt sorge dafür, dass die Wirtschaftlichkeit von erneuerbaren Energien, Wasserstoff oder Carbon Removals neu bewertet werden müsse.
“Unternehmen, die in eine kohlenstoffarme Technologie investieren wollen, müssen damit rechnen, dass ihre künftigen Einnahmen sehr viel volatiler und unsicherer werden”, so der Forscher zu Table.Briefings. Das erhöhe die Kapitalkosten. Für die Unternehmen werde es “schwieriger, eine Bank aufzusuchen und einen Kredit zu erhalten oder sich Anleihen zu sichern”.
Es sei jedoch ein interessanter Moment für den europäischen Emissionshandel, denn nun würde sich zeigen, ob die Marktstabilitätsreserve (MSR) des ETS funktioniere oder nicht, sagt Dimanchev. “Es ist ein Test, ob die Marktstabilitätsreserve für Händler überzeugend genug ist, dass der Preis wieder steigt, da sie wissen, dass die MSR den Markt an etwaige Veränderungen auf der Nachfrageseite anpassen wird.”
Der niedrige CO₂-Preis dürfte auch Auswirkungen auf den deutschen Klima- und Transformationsfonds haben, aus dem unter anderem die meisten Klimaschutzprogramme der Bundesregierung finanziert werden. Die Mittel des Fonds stammen aus den Einnahmen aus dem deutschen und EU-Emissionshandel. Er ist schon jetzt unterfinanziert. luk/mkr/ae
Die Europäische Union leitet erste Schritte für eine mögliche rückwirkende Erhebung von Importzöllen auf chinesische E-Fahrzeuge ein. Der EU-Kommission würden ausreichende Hinweise auf staatliche Subventionen für die chinesischen Elektro-Fahrzeuge vorliegen, hieß es in einem am Dienstag veröffentlichten Dokument der Brüsseler Behörde. Deswegen sei geplant, mit der Erfassung dieser Importe durch den Zoll zu beginnen. So könnten die jetzt registrierten Einfuhren nachträglich mit Zöllen belegt werden, sollten chinesische Hersteller wegen der Zuschüsse einen Wettbewerbsvorteil haben.
Die Kommission untersucht seit Oktober die chinesischen Subventionspraktiken. Vom Resultat hängt die Entscheidung ab, ob Zölle zum Schutz der EU-Hersteller erhoben werden. Die Untersuchung soll bis November dieses Jahres abgeschlossen werden. Die EU könnte allerdings bereits im Juli vorläufige Zölle einführen.
Nach EU-Angaben sind die Importe seit Bekanntgabe der Untersuchung im Vorjahresvergleich um 14 Prozent gestiegen. Die EU-Hersteller könnten schwere Nachteile und Schäden erleiden, wenn die Einfuhren aus China bis zum Abschluss der Untersuchung weiter steigen, warnte die Kommission.
Die chinesische Handelskammer in der EU äußerte sich enttäuscht und erklärte, dass der Anstieg der Importe die steigende Nachfrage nach Elektro-Fahrzeugen in Europa widerspiegele und “das Engagement chinesischer Automobilunternehmen für die Förderung des europäischen Marktes unterstreicht”. ari
In den Streit um eine Reform der Europäischen Friedensfazilität ist Bewegung gekommen. Die Positionen hätten sich angenähert, teilte die belgische Ratspräsidentschaft nach einer Sitzung der Ständigen Vertreter am Mittwoch in Brüssel mit. Die Chancen stünden gut, dass es bis zum EU-Gipfel Ende März zu einer Lösung kommt, sodass weitere 5 Milliarden Euro für Waffenkäufe für die Ukraine zur Verfügung stehen. “Wir streben eine solide Vereinbarung vor dem Gipfel an”, sagte ein Sprecher.
Bei der Reform geht es um mehrere Fragen, die Hauptkontrahenten sind Deutschland und Frankreich. Die Bundesregierung hatte Ende 2023 eine Aufstockung der EFF blockiert, um die Beschlussregeln zu ändern und die Anrechnung bilateraler Hilfen an die Ukraine zu ermöglichen. Mit einer Waffenhilfe an die Ukraine im Wert von 7 Milliarden Euro will Berlin im laufenden Jahr mehr leisten als die meisten anderen EU-Staaten. Würde dies voll angerechnet, müsste Deutschland in den EFF gar nichts mehr einzahlen.
Das Prinzip, dass bilaterale Hilfen angerechnet werden, werde im Kreise der 27 nicht mehr infrage gestellt, sagte ein Diplomat. Allerdings seien noch technische Details bei der Berechnung offen. Offenbar sträuben sich einige EU-Staaten gegen die Möglichkeit, dass die EFF im laufenden Jahr kein Geld mehr aus Berlin erhalten könnte. Widerstand gibt es aber auch gegen die französische Forderung, aus dem EFF finanzierte Waffen müssten grundsätzlich auf dem europäischen Markt beschafft werden.
Hier seien die Positionen verhärtet, hieß es in Brüssel. Allerdings hat Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron zuletzt eine gewisse Flexibilität erkennen lassen. Bei einem Besuch in Prag zeigte er sich am Dienstag bereit, Artillerie-Munition für die Ukraine auch außerhalb Europas zu kaufen. Dies hatte Tschechien vorgeschlagen. Auch Deutschland will sich an der Initiative beteiligen, wie Regierungssprecher Steffen Hebestreit ankündigte.
“Die Bundesregierung befindet sich gerade schon in sehr intensiven Gesprächen mit der tschechischen Regierung, und es geht um die 155-Millimeter-Artillerie-Munition.” Deutschland werde sich mit einem dreistelligen Millionenbetrag engagieren, sagte Hebestreit, ohne den genauen Betrag zu nennen. ebo/rtr
Unterhändler des Europaparlaments und der EU-Länder verständigten sich am frühen Mittwochmorgen in Brüssel auf neue EU-Vorschriften, um Flugrouten zu optimieren, Flugverspätungen zu verringern und CO₂-Emissionen zu reduzieren, wie beide Institutionen mitteilten.
Die Reform zielt darauf ab, die Organisation des europäischen Luftraums zu verbessern, Kosten zu senken und die Umwelt zu schonen, hieß es in einer Mitteilung des Parlaments. Die neuen Vorschriften müssen noch von den EU-Ländern und dem Europaparlament angenommen werden, in den meisten Fällen ist das Formsache.
Mit der Reform soll unter anderem geprüft werden, inwiefern Fluggesellschaften und Privatjet-Anbieter etwa durch Gebühren dazu gebracht werden können, die Route zu wählen, auf der am wenigsten Kraftstoff verbraucht wird. Zudem soll es auch Anreize für alternative, sauberere Antriebstechnologien geben. Außerdem sollen verbindliche Umwelt- und Klimaziele ausgeweitet werden.
Der Einigung vorausgegangen waren jahrelange Verhandlungen. Die derzeit gültigen Regeln für den einheitlichen europäischen Luftraum stammen aus dem Jahr 2009. Die gemeinsame EU-Linie verfolgt das Ziel, die zunehmende Anzahl von Flügen und damit einhegende Verspätungen besser zu koordinieren und die Zersplitterung durch nationale Landesgrenzen und Interessen aufzulösen. Die Kommission hatte 2013 eine Überarbeitung vorgeschlagen, die 2014 vom Parlament angenommen wurde, aber zunächst an den EU-Ländern scheiterte.
Der europäische Himmel sei bis heute immer noch ein “Flickenteppich nationaler Regelungen” und jeder Flug im Schnitt 49 Kilometer länger als die Luftlinien-Distanz, sagte der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber. Die Einigung sei daher ein wichtiger Schritt, um die Luftfahrt klimafreundlicher zu machen und Flugrouten so kurz wie möglich zu planen. dpa
Politischer Einfluss fällt nicht immer auf: Für das Fachmagazin “Politik & Kommunikation” gehört Pierre Gröning zu den einflussreichsten Deutschen in Brüssel. Der 41-Jährige ist Geschäftsführer im Brüsseler Europabüro des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI) und vertritt in dieser Funktion die Interessen von rund 1.900 deutschen Chemie- und Pharmaunternehmen oder mehr als 90 Prozent der inländischen Chemie.
Die zurückliegenden Monate waren für seine Branche nicht einfach, die Chemieindustrie steckt in der Krise. Die hohen Energiepreise, Regulierung und Bürokratie belasten die Unternehmen. Grönings Bewertung des gerade erst beschlossenen Strompreispakets kommt deshalb nicht überraschend: “Das ist ein Schritt in die richtige Richtung – aber eben nur ein Anfang.” Noch weiß er aber nicht, ob die geplanten Neuerungen nach dem Karlsruher Urteil noch finanziert werden können.
Der geborene Erlanger ist mit mehreren europäischen Kulturen aufgewachsen: “Als Deutsch-Franzose, der mit einer Italienerin verheiratet ist, hatte ich noch nie eine rein deutsche Sichtweise auf die EU“, sagt er. Gröning nennt das “ein europäisches Profil im Blut haben”. Nach der Schule entscheidet Gröning sich für ein deutsch-französisches Doppeldiplom mit einem Europa-Schwerpunkt: Er studiert Politikwissenschaften in Lille und Münster. Nach einem Master in International Relations am Europakolleg in Brügge und schrieb er eine Doktorarbeit über die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Indien.
Gröning betont, dass das kontinuierliche “Hereinholen von Informationen” zu seinem Arbeitsalltag gehöre. Doch für den Interessenvertreter geht es nicht nur darum, was in der europäischen Gesetzgebungsarbeit Neues passiert, sondern auch wo und wann. “Internes Lobbying” nimmt ebenfalls einen wichtigen Platz ein: “Nachdem wir herausgefunden haben, was passiert, müssen wir im Verband dazu eine gemeinsame Haltung finden.” Sobald diese Haltung gefunden worden sei, so Gröning, gelte für sein Team dann aber das Motto “rein in den politischen Betrieb”.
Was die langfristige Wettbewerbsfähigkeit der EU anbelangt, ist Gröning skeptisch. Das hat auch mit der großen volkswirtschaftlichen Relevanz der energieintensiven Branchen zu tun. Dort gebe es im Moment “ein großes Problem mit den Energiepreisen und den Energiemengen“, sagt der Interessenvertreter. Der Green Deal macht die Situation für Gröning nicht einfacher: “Hier wird über ein kleinteiliges Regelwerk versucht, eine Transformation herbeizudreschen.” Woran fehlt es ihm in diesem komplexen Szenario? “Ich vermisse den Glauben an die Innovationen, die aus der Mitte der Unternehmen kommen könnten.” Gabriele Voßkühler
heute treffen sich die europäischen Industrie- und Wirtschaftsminister für die Sitzung des Wettbewerbsfähigkeitsrats (COMPET) in Brüssel. Der erste Punkt auf der Agenda ist die Verordnung zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr. Da eine EU-Richtlinie aus 2011 nicht den gewünschten Effekt hatte, schlug die EU-Kommission im vergangenen September stattdessen eine direkt anwendbare Verordnung vor. Sie sollte im geschäftlichen Verkehr eine Zahlungsfrist von maximal dreißig Tagen zum Standard machen und automatische Strafzinsen bei Zahlungsverzug einführen.
Der Vorschlag war Teil des KMU-Entlastungspakets, denn er soll vor allem kleine Unternehmen stützen, deren Cashflow oft durch das träge Zahlverhalten von Großunternehmen beeinträchtigt wird. Doch viele Mitgliedstaatsregierungen können dem Vorschlag nichts abgewinnen. Sie fürchten Rechtsunsicherheit durch die direkte Rechtsanwendung der Verordnung. Zudem ist für viele unklar, ob die Verordnung den KMU wirklich helfen würde, denn die meisten sind nicht nur Gläubiger, sondern auch Schuldner. Die Ratsdebatte wird per Livestream übertragen.
Nicht übertragen wird der Austausch der Minister über den Binnenmarkt- und Wettbewerbsfähigkeitsbericht der EU-Kommission. Die belgische Ratspräsidentschaft erhofft sich eine Diskussion zu den Erfolgsindikatoren eines integrierten Binnenmarkts und dazu, wie die EU eine Industriepolitik verfolgen kann, die nicht zu einem Subventionswettlauf und zur Fragmentierung des Binnenmarkts führt. Speziell Minister aus kleineren und mittelgroßen Staaten kritisierten die gelockerten EU-Beihilferegeln für ihren marktverzerrenden Effekt.
Ein weiterer Punkt auf der Tagesordnung wird eine Aussprache zum EU-Lieferkettengesetz sein. Die belgische Ratspräsidentschaft hat das Gesetz noch nicht aufgegeben: Mit einem neuen Kompromissvorschlag versucht sie, auf Einwände der Mitgliedstaaten einzugehen, um doch noch eine Einigung zu erzielen. Der Vorschlag würde das Gesetz unter anderem in seinem Anwendungsbereich deutlich eingrenzen.
Die christdemokratische Parteienfamilie EVP will einen strengeren Kurs in der Asylgesetzgebung. Asylverfahren sollen in Drittstaaten stattfinden. Dafür sollen mit weiteren Nicht-EU-Ländern Migrationsabkommen geschlossen werden. So soll sichergestellt werden, dass “Asylsuchende Schutz in einer zivilisierten und sicheren Art und Weise” bekommen. Dies steht in dem Manifesto, mit dem die EVP in den Europawahlkampf zieht. Es wurde beim Kongress der EVP mit 800 Delegierten in Bukarest mit großer Mehrheit beschlossen.
Die EVP stehe zur Genfer Flüchtlingskonvention und zur Europäischen Menschenrechtskonvention. Beide Konventionen sähen aber nicht vor, dass Schutzsuchende das Recht hätten, sich frei das Land auszusuchen, das ihnen Schutz gewähre.
Nachdem das System der Drittländer erfolgreich umgesetzt sei, wolle sich die EVP dann für ein Quoten-System einsetzen. “Wir schlagen vor, eine Quote von schutzbedürftigen Personen in die EU aufzunehmen, und zwar im Rahmen jährlicher humanitärer Kontingente für gefährdete Personen.” Die Forderung von festen Quoten für Flüchtlinge, die aus humanitären Gründen zugelassen werden, ist neu.
Entgegen ursprünglicher Planungen macht das Manifesto Abstriche bei der Forderung, das Einstimmigkeitsprinzip bei Abstimmungen im Rat aufzugeben. Nach Kritik von osteuropäischen Mitgliedstaaten ist nun nur noch von der “Abkehr vom Einstimmigkeitsprinzip bei Sanktionen gegen totalitäre Regime und zur Verteidigung des Binnenmarktes” die Rede.
Die Forderung von CDU und CSU, das Verbrenner-Aus 2035 wieder zu kippen, findet sich nicht im Manifesto. Die EVP spricht sich stattdessen nur noch für Technologieneutralität aus. Es gehe darum, “alternative Treibstoffe, Wasserstofftechnologien und neue Antriebe für Fahrzeuge, Flugzeuge und Schiffe zu entwickeln”. Wie zu hören war, hat die schwedische Mitgliedspartei diese Änderung durchgesetzt.
Die österreichische Delegation hat sich bei der Abstimmung über das Manifesto enthalten. Die ÖVP stellte 23 Delegierte. Die Partei und Bundeskanzler Karl Nehammer wollen die Forderung nicht mittragen, Rumänien und Bulgarien volle Aufnahme im Schengen-Raum zu gewähren. Auch die österreichische EVP-Mitgliedspartei fordert eine Abkehr vom Verbrenner-Aus.
Ursprünglich sollte der EVP-Kongress in Österreich stattfinden, wie zu hören ist. Doch die ÖVP habe das Angebot von Manfred Weber (CSU), EVP-Partei- und Fraktionschef, abgelehnt. Daraufhin ist die EVP mit der Parteiveranstaltung zum Auftakt der Wahlkampagne nach Rumänien gegangen, wo in diesem Jahr Präsidentschafts- und Parlamentswahlen stattfinden.
Bei dem zweitägigen Kongress soll am Donnerstag Ursula von der Leyen zur Spitzenkandidatin der EVP gewählt werden. Die sozialistische Parteienfamilie hatte ihren Spitzenkandidaten, Nicolas Schmit, lediglich akklamiert. Von der Leyen muss sich dagegen einer Wahl stellen. 2018 wählte die EVP bei einem Kongress in Helsinki Manfred Weber mit knapp 79 Prozent der Delegierten zum damaligen Spitzenkandidaten. Weber hatte einen Gegenkandidaten, Alexander Stubb, der heutige Präsident Finnlands. Ursula von der Leyen wird keinen Gegenkandidaten haben. Daher wird erwartet, dass sie mindestens eine Zustimmung von 80 Prozent erreicht.
Gegenwind hat die französische Delegation der Républicains angekündigt. Die Partei, die früher den Regierungschef in Frankreich stellte, hat aber massiv an Stärke eingebüßt. In Bukarest stellt sie nur noch 23 Delegierte. CDU und CSU kommen zusammen auf 85 Delegierte. Auch 13 von 19 slowenischen Delegierten haben sich bereits festgelegt und wollen nicht für von der Leyen stimmen. Wie viele von den Delegierten am Ende in geheimer Wahl für die Kandidatin stimmen, wird man am heutigen Donnerstag gegen Mittag wissen.
Hinter den Kulissen wurde bei dem Kongress, zu dem auch Parteichef Friedrich Merz (CDU), Jens Spahn sowie der Generalsekretär der NRW-CDU, Paul Ziemiak, angereist sind, auch die personelle Aufstellung der Christdemokraten nach der Wahl diskutiert. Vier Topjobs sind zu vergeben: Die EVP dürfte wieder stärkste Kraft im Europaparlament werden und hat damit gute Chancen, Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin durchzusetzen. Die Parteienfamilie wird zudem fordern, dass Parlamentspräsidentin Roberta Metsola die ersten zweieinhalb Jahre der Wahlperiode weiter machen kann.
Die anderen beiden Top-Jobs, Ratspräsident und Außenbeauftragte/Kommissar für Verteidigung, dürften von der sozialistischen Parteienfamilie SPE und von den Liberalen eingefordert werden, wenn diese von der Leyen als Kommissionspräsidentin unterstützen.
Die EVP könnte allerdings Anspruch erheben, auch den Ratspräsidenten zu besetzen. Man hört das Argument, dass die EVP im Rat Einfluss gewonnen hat: Bereits jetzt werden 15 von 27 Mitgliedstaaten von EVP-Mitgliedsparteien regiert. Rumäniens Präsident Klaus Iohannis werden Ambitionen nachgesagt.
Dazu passt, was am Rande des Kongresses zu hören war: Iohannis will die in diesem Jahr anstehenden Präsidentschaftswahlen in seinem Land früher, und zwar schon im September durchführen. Dann wäre die Entscheidung in Rumänien gefallen, wenn im Dezember der Nachfolger von Ratspräsident Charles Michel startet.
Der Co-Fraktionschef der EKR-Fraktion im Europaparlament, Nicola Procaccini, lehnt das Spritzenkandidaten-Prinzip ab. Im Gespräch mit Table.Briefings sagte Nicola Procaccini (Fratelli d’Italia), der als Vertrauter von Giorgia Meloni gilt: “Es liegt nicht in der Kompetenz des Europaparlaments, den oder die Kommissionspräsidentin auszusuchen. Das ist Sache des Rates.” Es wäre ein “Überdehnen” der europäischen Verträge, wenn das Parlament für sich dieses Recht beanspruche.
“Das Parlament wählt den oder die Kommissionspräsidentin, sucht ihn aber nicht aus.” Ob die europäische konservative Parteienfamilie EKR, die von der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni geführt wird, noch einen Spitzenkandidaten für die Wahl nominiere, könne er nicht sagen.
Die EKR-Fraktion im Europaparlament hat aktuell 68 Abgeordnete. Laut der Sitzprojektion von Manuel Müller könnte sie nach der Europawahl auf 78 Sitze zulegen. Fidesz, die bislang fraktionslose ungarische Delegation, hat angekündigt, dazustoßen zu wollen. Zudem ist Nicolas Bay, der einzige EU-Abgeordnete von Reconquête aus Frankreich, der EKR-Fraktion beigetreten. Reconquête wird von den Rechtspopulisten Éric Zemmour und Marion Maréchal geführt.
Mit 25 Abgeordneten stellt die polnische ehemalige Regierungspartei PIS in der EKR-Fraktion die meisten Abgeordneten sowie den Co-Fraktionschef Ryszard Antoni Legutko. Die Fratelli d’Italia (Brüder Italiens) haben derzeit zehn Abgeordnete im Europaparlament und stellen mit Procaccini den zweiten Co-Vorsitzenden.
Procaccini setzt darauf, “dass es nach der Europawahl eine Verschiebung nach rechts im Europaparlament geben wird”. Die Meinungsumfragen deuteten darauf hin, dass die Kräfte rechts von der christdemokratischen EVP-Fraktion gestärkt werden. “Im Idealfall bekommen wir im Europaparlament eine Konstellation, in der Christdemokraten mit EKR und ID zusammen eine Mehrheit haben und Abstimmungen für sich entscheiden können.” Zudem würden immer mehr Mitgliedstaaten konservativ regiert. “Es zeichnet sich also ab, dass wir auch eine Kommission bekommen, die politisch ihren Schwerpunkt Mitte-Rechts hat.”
Procaccini erinnert daran, dass Fidesz- und PIS-Abgeordnete Ursula von der Leyen 2019 gewählt hätten. “Allerdings gibt es bei ihnen und auch bei vielen anderen Abgeordneten der EKR große Unzufriedenheit mit von der Leyen, weil der Green Deal eher Mitte-Links-Positionen vertreten hat.”
Aus Reihen der PIS hatte es Rufe gegeben, die Abgeordneten des rechtsextremen Rassemblement National (RS) von Marine Le Pen in die EKR-Fraktion aufzunehmen. Procaccini bremst die Erwartungen: “Ich sehe nicht, dass die Abgeordneten des Rassemblement in der EKR-Fraktion aufgenommen werden. Es gibt in dieser Hinsicht keine Überlegungen.” Allenfalls bestehe eine künftige Zusammenarbeit darin, gelegentlich gemeinsam abzustimmen: “Warum auch nicht?” Procaccini grenzt die EKR ab: “Für meine Fraktion ist wichtig, dass wir eindeutig prowestlich sind. Wir sind gegen Wladimir Putin und für die Ukraine.”
Ursula von der Leyen hatte kürzlich bei ihrer Vorstellung als EVP-Spitzenkandidatin Bedingungen für die Zusammenarbeit der EVP im Parlament mit Abgeordneten aus anderen Fraktionen gestellt: “Es ist mir wichtig, mit pro-europäischen, pro-Nato, pro-ukrainischen Gruppen zusammenzuarbeiten, die unsere demokratischen Werte klar unterstützen.”
“Die Abgeordneten der Fratelli haben Ursula von der Leyen 2019 nicht gewählt”, sagt Procaccini. Wenn von der Leyen im Juli oder September in Straßburg antrete für eine zweite Amtszeit, “wird vorher in den nationalen Delegationen abgewogen, ob wir sie unterstützen”. Letztlich hänge es von der Agenda der Kommission für die nächsten fünf Jahre ab.
Procaccini formuliert die Prioritäten für die italienische Delegation in der EKR-Fraktion: “Wir wollen, dass die illegale Migration bekämpft wird, die Kommission muss gegen die Menschenhändler vorgehen.” Gleichzeitig müsse es Regeln für die legale Zuwanderung geben. “Jedes Mitgliedsland braucht reguläre Zuwanderung.”
“Zum anderen muss der Binnenmarkt stärker geschützt werden gegen Dumping aus Nicht-EU-Ländern”. Der EKR sei “Souveränität der EU in Energie-Fragen wichtig.” Die EU dürfe nie wieder abhängig von Energieimporten werden wie in der Vergangenheit. “Wir respektieren, dass die EU sich dem Klimaschutz verschrieben hat. Wir fordern aber Technologieoffenheit.” Die Mitgliedstaaten sollten selbst die Instrumente wählen können, um die Klimaziele zu erreichen.
“Außerdem wollen wir Arbeitnehmer und Selbstständige schützen, für die die Natur die berufliche Existenz bedeutet.” In den vergangenen fünf Jahren seien “Landwirte und Fischer von der Kommission regelrecht feindselig behandelt worden”. Dabei seien sie die Verbündeten der Umwelt. “Es ist die verrückte Ideologie der Linken, dass die Umwelt gegen die Menschen geschützt werden muss.” Es gehe nicht darum, die grüne Transformation abzuschaffen, vielmehr müssten die Regeln angepasst werden.
Die CO₂-Flottengrenzwerte und das Verbrenner-Aus im Jahr 2035 seien nicht realistisch. “Italien setzt sich massiv dafür ein, dass Autos mit Verbrennerantrieb auch nach 2035 mit Biokraftstoffen fahren können.”
Im Bereich der Verteidigungspolitik setze er sich stark für eine gemeinsame Beschaffung durch die Mitgliedstaaten ein. “Nicht zuletzt die Nato braucht ein wehrfähigeres Europa.” Donald Trump habe recht, dass die Europäer mehr Geld für ihre Verteidigung ausgeben müssten. “Meine Partei spricht sich auch für eine gemeinsame Armee der EU aus.” Die Parteienfamilie EKR sei überzeugt davon: “Im nächsten Mandat soll die EU sich beschränken. Weniger tun, das aber dann umso besser – das muss unsere Devise für die nächsten fünf Jahre sein.”
Procaccini hält es für nicht vorstellbar, dass die Fratelli sich nach den Wahlen der christdemokratischen EVP-Fraktion anschließen: “Einen Übertritt der Fratelli-Abgeordneten zur EVP schließe ich definitiv aus. Wir sind überzeugt, dass unser Platz in der EKR ist. Vielmehr geht es darum, die konservative Kraft im Europaparlament zu stärken.”
Herr Dmytrasevych, die EU entscheidet aktuell darüber, den Freihandel mit der Ukraine zu verlängern. Wie wichtig ist das für Ihr Land?
70 Prozent der Exporte und Deviseneinnahmen der Ukraine entfallen auf Agrarexporte. Wir nutzen diese Mittel zur Verteidigung gegen Russland. Es ist entscheidend, die Handelsmaßnahmen zu verlängern – sie ermöglichen es unseren Landwirten, weiter ihre Arbeit zu machen.
Der Vorschlag sieht Schutzmaßnahmen für Zucker, Geflügel und Eier vor. Ein guter Kompromiss?
Wir haben dem zugestimmt. Aber um ehrlich zu sein, bin ich nicht glücklich darüber. Sehen wir uns die Produkte an: Bei Zucker ist die Ukraine nicht der größte Exporteur in die EU.
Ukrainische Zuckerimporte haben sich nach Angaben der EU-Kommission seit der Liberalisierung verzehnfacht.
Sie sind gestiegen, aber wir sind weiterhin nicht der größte Exporteur – das ist Brasilien. Unsere Ausfuhren machen weniger als drei Prozent des EU-Binnenverbrauchs aus. Bei Geflügel sind es weniger als zwei, bei Eiern weniger als ein Prozent. Die Auswirkungen auf den EU-Markt können nicht so groß sein.
Zudem bleiben die Preise für diese Produkte in der EU hoch. Wenn sich unsere Einfuhren auf den EU-Markt auswirken würden, müssten die Preise sinken – das sind sie nicht, teils sind sie sogar gestiegen.
Was halten Sie von der Forderung des EU-Agrarausschusses, Schutzmaßnahmen auf Getreide und Honig auszuweiten?
Das ist inakzeptabel. Die Kommission hob im vergangenen Herbst die Getreide-Exportbeschränkungen in die Anrainerstaaten auf. Sie kam zu dem Ergebnis, dass die Einfuhren keine nennenswerten Auswirkungen auf den Markt haben. Es gibt also keine Grundlage für Schutzmaßnahmen für Getreide.
Außerdem will der Ausschuss zollfreie Exportmengen für Zucker, Eier, Huhn, Getreide und Honig auf das Niveau der Jahre 2021 und 2022 senken, statt es bei 2022 und 2023 zu belassen. In diesem Zeitraum aber war unser Handel durch Kontingente eingeschränkt, die Vogelgrippe grassierte, ganz Europa unterlag Covid-Beschränkungen. 2022 begann Russland seine Aggression, in den ersten Monaten konnten wir kaum exportieren.
Wie ist die Lage der ukrainischen Landwirte jetzt?
25 Prozent unserer Anbauflächen sind besetzt, vermint oder anderweitig kontaminiert. Die Kyiv School of Economics schätzt die landwirtschaftlichen Verluste bis dato auf 80 Milliarden US-Dollar. Es gibt ständige Raketen- und Drohnenangriffe auf unsere Hafen- und Agrarinfrastruktur. Unsere Landwirte kämpfen an der Front, den Höfen fehlen Arbeitskräfte. Betriebsmittelpreise für Treibstoff, Dünger oder Pflanzenschutzmittel sind hoch.
All das ist sehr hart. Wir haben Verständnis für die Situation der Landwirte in der EU. Aber die Lage unserer Landwirte in der Ukraine ist viel schwieriger.
Wie lange wird es dauern, die Felder zu entminen?
Das weiß leider niemand. In unseren Wäldern finden wir immer noch Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg. Und Russlands lächerlicher Angriffskrieg ist seitdem der größte Krieg in Europa. Es kann also Jahrzehnte dauern.
Haben Erzeuger in der EU recht damit, dass ukrainische Produkte wegen niedrigerer Standards billiger sind?
Wir hören häufig Argumente über die angeblich geringere Qualität unserer Produkte, aber das hat nichts mit der Realität zu tun. Seit der Unterzeichnung des EU-Assoziierungsabkommens in 2014 arbeiten wir an der Umsetzung der Standards. Wir können keine Produkte in die EU exportieren, wenn sie nicht alle Qualitätsregeln erfüllen.
Es stimmt, dass es in der EU mehr Umweltregeln gibt. Aber: Landwirte in der EU müssen zum Beispiel vier Prozent ihrer Flächen brach liegen lassen. Die Ukraine kann wegen des Krieges ein Viertel ihres Landes nicht bewirtschaften. Zudem erhalten Betriebe in der EU im Gegenzug Subventionen in Milliardenhöhe. Unsere Landwirte haben keine solche Unterstützung.
Um der EU beizutreten, muss die Ukraine europäisches Recht umsetzen. Werden die ukrainischen Landwirte die Umweltauflagen akzeptieren?
Im Jahr 2021 erhielten unsere Landwirte 100 Millionen US-Dollar an staatlicher Unterstützung. Betriebe in EU-Ländern bekommen Milliardenbeträge aus der GAP und anderen EU-Fonds. Wenn unsere Landwirte im Gegenzug für die Umsetzung des Green Deal solche Summen erhalten können, sehe ich nicht, warum sie dazu Nein sagen sollten.
Der riesige Agrarsektor der Ukraine könnte fast das gesamte GAP-Budget auffressen. Was schlagen Sie vor?
Die nächste GAP-Reform sollte darauf vorbereiten, die Ukraine aufzunehmen. Zum Beispiel durch mehr Umverteilung von großen zu kleinen Betrieben. 80 Prozent der GAP-Mittel gehen an 20 Prozent der Betriebe. Gleichen wir das aus, können wir sicherstellen, dass das Geld an Höfe geht, die es wirklich brauchen. Sehr große Betriebe sind oft ohnehin wirtschaftlich. Gleichzeitig würde Platz für die Aufnahme der Ukraine geschaffen.
Viele Landwirte in der EU lehnen den Beitritt der Ukraine ab. Sie befürchten, vom Markt verdrängt zu werden. Wie wollen Sie sie überzeugen?
Wir hatten diese Woche ein sehr gutes Treffen mit dem EU-Bauernverband Copa Cogeca. Wir haben versucht, deutlich zu machen, dass diese Ängste unbegründet sind. Solche Mythen werden sicherlich auch von russischer Propaganda geschürt. Wir sollten nicht vergessen, dass wir schon vor der Invasion mit der EU Agrarprodukte gehandelt haben. Deutschland ist traditionell Zielland für ukrainische Sojabohnen und Raps.
Wir verstehen, dass Landwirte in der EU, der Ukraine oder anderswo, konservativ sind: Wenn sich Dinge ändern, kommen Ängste auf. Aber wir müssen faktenbasiert miteinander sprechen – nur so entkräften wir Mythen.
Sie glauben nicht, dass der Beitritt der Ukraine große Auswirkungen auf die EU-Agrarmärkte haben wird?
Ein Drittel unserer Agrarexporte geht nach China. Auch nach dem Beitritt werden wir diese Märkte in Asien oder Afrika haben – warum sollten wir sie verlieren? Es gibt keinen Grund, alles in die EU zu exportieren. Wir können gemeinsam in Drittländer exportieren.
Innerhalb der EU können wir Einfuhren aus Russland oder Belarus durch ukrainische ersetzen. Während der Dürren der vergangene zwei Jahre in Südeuropa haben wir mit unserem Getreide zum Marktausgleich beigetragen. Das zeigt, dass wir als Partner und faire Konkurrenten zusammenarbeiten sollten, statt uns wie Feinde oder Protektionisten zu verhalten.
11.03.2024 – 13:00-14:15 Uhr, Berlin/online
DGAP, Buchvorstellung Zwei Jahre “Zeitenwende”: Konsequenzen für Deutschland und Europa
Anlässlich der Veröffentlichung des Buchs “Krisenzeit: Sicherheit, Wirtschaft, Zusammenhalt – Was Deutschland jetzt tun muss” diskutieren die Autorin und der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) über die Zukunft der deutschen und europäischen Sicherheits-, Energie- und Wirtschaftspolitik und bewerten die Umsetzung der sicherheitspolitischen Zeitenwende. INFOS & ANMELDUNG
11.03.2024 – 16:00-17:30 Uhr, online
ERCST, Roundtable Future of the EU ETS – Carbon removals
The European Roundtable on Climate Change and Sustainable Transition (ERCST) will discuss the role of negative emissions and carbon removal technologies in the existing EU Emission Trading System and provide and outlook on what governance framework would be needed to if they were to be included. INFO & REGISTRATION
11.03.2024 – 19:00-22:00 Uhr, Berlin
FES, Diskussion DenkArt – Europa
Bei der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) spricht unter anderem der Stiftungsvorsitzende Martin Schulz darüber, wie die EU angesichts aktueller Herausforderungen wie Rechtspopulismus, Sicherheit und Klimawandel handlungsfähig bleiben kann. INFOS
11.03.2024 – 19:00-20:15, Berlin/online
DGAP, Podiumsdiskussion Das deutsche Wachstumsmodell auf dem Prüfstand: Debatte über die Zukunft des Industriestandorts Europa
Die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) lädt Gäste aus der Wirtschaft, Politik und Wissenschaft ein, um Fragen rund um die geoökonomischen Herausforderungen der kommenden Jahre in Europa zu diskutieren und zu erörtern, wie eine ausgewogene Betrachtung von Wirtschaftswachstum, Umweltzielen und Wettbewerbsfähigkeit aussehen kann. INFOS & ANMELDUNG
12.03.2024 – 11:00 Uhr, online
EBD, Vortrag De-Briefing EZB-Rat
Die Europäische Bewegung Deutschland (EBD) veranstaltet ein De-Briefing zum Treffen des Rates der Europäischen Zentralbank (EZB), bei dem Vertreter der EZB Bericht erstatten. INFOS
12.03.2024 – 14:30-16:30 Uhr, online
Eurogas, Workshop EU Methane Regulation – How operators and stakeholders along the value chain can implement it
As part of a new workshop series on the EU Methane Regulation, this event will focus on leak detection and repair, featuring speeches, presentations and Q&A sessions on different thematic aspects. INFO & REGISTRATION
12.03.2024 – 18:00-19:30 Uhr, Berlin
RBB/Hertie School, Podiumsdiskussion RBB Forum: Europa hat die Wahl – Neustart oder weiter so?
Die Podiumsdiskussion in gemeinsamer Organisation vom Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) und der Hertie School beschäftigt sich mit diversen Fragen rund um die Europawahl und die Zukunft europäischer Politik, insbesondere aus Perspektive der Bürgerinnen und Bürger. INFOS & ANMELDUNG
Die belgische Ratspräsidentschaft schlägt vor, das EU-Lieferkettengesetz (CSDDD) deutlich abzuschwächen. Das geht aus einem neuen Kompromissvorschlag hervor, der Table.Briefings vorliegt. Nachdem auf der Ebene der stellvertretenden EU-Botschafter (AStV I) in der vergangenen Woche bereits zum zweiten Mal keine qualifizierte Mehrheit für die Richtlinie zustande gekommen war, will Belgien mit dem Vorschlag auf Einwände der Mitgliedstaaten eingehen und so doch noch eine Einigung zu erzielen.
Doch Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) bleibt weiterhin deutlich in seiner Ablehnung: Auch der neue Vorschlag sei nicht ausreichend, um die Bedenken auszuräumen, teilte eine Sprecherin seines Ministeriums mit.
Der Vorschlag würde viele Bestandteile des Gesetzes deutlich verändern:
Mit dem Vorschlag geht der Ratsvorsitz auch auf wesentliche Kritikpunkte der FDP ein, die eine Zustimmung der Bundesregierung verhindert hatte: In einem Beschluss hatte das Präsidium den großen Anwendungsbereich, die Einstufung des Bausektors als Risikosektor, die Verpflichtung zur Umsetzung eines Klimaplans samt finanzieller Anreize sowie die Verantwortung der Unternehmen für die nachgelagerte Lieferkette und indirekte Geschäftspartner als Argumente für ihre Ablehnung genannt.
Doch das reicht offenbar nicht, um Bundesjustizminister Buschmann umzustimmen. Sein Ministerium ließ das Bundesministerium für Arbeit und Soziales am Mittwochabend wissen, dass es seine Bedenken nicht ausgeräumt sehe. Eine Sprecherin sagte der Deutschen Presse-Agentur: “Damit bleibt es dabei: Deutschland wird dem derzeitigen Entwurf der EU-Lieferkettenrichtlinie nicht zustimmen.”
Das Regelungswerk sei nach wie vor “zu bürokratisch und birgt weiterhin unüberschaubare Haftungsrisiken”. Anstatt an dem alten Text Änderungen vorzunehmen, wäre es aus Sicht von Buschmann besser, nach der Europawahl im Juni “mit einer frisch ernannten Kommission einen bürokratiearmen, schlanken Entwurf” auf den Weg zu bringen.
Ein Sprecher der Ratspräsidentschaft dementierte Medienberichte, laut denen der AStV I in seiner Sitzung am Freitag über das Gesetz abstimmen würde. Noch sei dies nicht geplant; das Thema könne aber noch auf die Tagesordnung gesetzt werden. leo/dpa
Vor fast genau einem Jahr lag der europäische CO₂-Preis mit über 100 Euro je Tonne auf einem Rekordhoch. Bis Ende Februar war er auf rund 53 Euro gesunken – das ist fast eine Halbierung. Anfang März pendelte er um die 60 Euro, was immer noch einem Minus von rund 40 Prozent entspricht. Grundsätzliche Ursachen des Preisverfalls sind die generelle Volatilität des europäischen Emissionshandels (ETS) und fehlende Schutzmaßnahmen für schnell steigende oder sinkende Preise. Darüber hinaus tragen der sinkende Gaspreis und die dadurch günstiger werdende fossile Verstromung zum niedrigen CO₂-Preis bei.
Auch wenn der niedrige Preis an sich laut Experten zunächst kein Problem darstellt, haben die starken Schwankungen Folgen für die europäische Energiewende. “Es ist ein entmutigendes Signal für Unternehmen, die sonst in kohlenstoffarme Technologien investieren würden“, sagt Emil Dimanchev, Klimapolitik-Forscher an der Naturwissenschaftlichen Universität Trondheim. Ein instabiler Markt sorge dafür, dass die Wirtschaftlichkeit von erneuerbaren Energien, Wasserstoff oder Carbon Removals neu bewertet werden müsse.
“Unternehmen, die in eine kohlenstoffarme Technologie investieren wollen, müssen damit rechnen, dass ihre künftigen Einnahmen sehr viel volatiler und unsicherer werden”, so der Forscher zu Table.Briefings. Das erhöhe die Kapitalkosten. Für die Unternehmen werde es “schwieriger, eine Bank aufzusuchen und einen Kredit zu erhalten oder sich Anleihen zu sichern”.
Es sei jedoch ein interessanter Moment für den europäischen Emissionshandel, denn nun würde sich zeigen, ob die Marktstabilitätsreserve (MSR) des ETS funktioniere oder nicht, sagt Dimanchev. “Es ist ein Test, ob die Marktstabilitätsreserve für Händler überzeugend genug ist, dass der Preis wieder steigt, da sie wissen, dass die MSR den Markt an etwaige Veränderungen auf der Nachfrageseite anpassen wird.”
Der niedrige CO₂-Preis dürfte auch Auswirkungen auf den deutschen Klima- und Transformationsfonds haben, aus dem unter anderem die meisten Klimaschutzprogramme der Bundesregierung finanziert werden. Die Mittel des Fonds stammen aus den Einnahmen aus dem deutschen und EU-Emissionshandel. Er ist schon jetzt unterfinanziert. luk/mkr/ae
Die Europäische Union leitet erste Schritte für eine mögliche rückwirkende Erhebung von Importzöllen auf chinesische E-Fahrzeuge ein. Der EU-Kommission würden ausreichende Hinweise auf staatliche Subventionen für die chinesischen Elektro-Fahrzeuge vorliegen, hieß es in einem am Dienstag veröffentlichten Dokument der Brüsseler Behörde. Deswegen sei geplant, mit der Erfassung dieser Importe durch den Zoll zu beginnen. So könnten die jetzt registrierten Einfuhren nachträglich mit Zöllen belegt werden, sollten chinesische Hersteller wegen der Zuschüsse einen Wettbewerbsvorteil haben.
Die Kommission untersucht seit Oktober die chinesischen Subventionspraktiken. Vom Resultat hängt die Entscheidung ab, ob Zölle zum Schutz der EU-Hersteller erhoben werden. Die Untersuchung soll bis November dieses Jahres abgeschlossen werden. Die EU könnte allerdings bereits im Juli vorläufige Zölle einführen.
Nach EU-Angaben sind die Importe seit Bekanntgabe der Untersuchung im Vorjahresvergleich um 14 Prozent gestiegen. Die EU-Hersteller könnten schwere Nachteile und Schäden erleiden, wenn die Einfuhren aus China bis zum Abschluss der Untersuchung weiter steigen, warnte die Kommission.
Die chinesische Handelskammer in der EU äußerte sich enttäuscht und erklärte, dass der Anstieg der Importe die steigende Nachfrage nach Elektro-Fahrzeugen in Europa widerspiegele und “das Engagement chinesischer Automobilunternehmen für die Förderung des europäischen Marktes unterstreicht”. ari
In den Streit um eine Reform der Europäischen Friedensfazilität ist Bewegung gekommen. Die Positionen hätten sich angenähert, teilte die belgische Ratspräsidentschaft nach einer Sitzung der Ständigen Vertreter am Mittwoch in Brüssel mit. Die Chancen stünden gut, dass es bis zum EU-Gipfel Ende März zu einer Lösung kommt, sodass weitere 5 Milliarden Euro für Waffenkäufe für die Ukraine zur Verfügung stehen. “Wir streben eine solide Vereinbarung vor dem Gipfel an”, sagte ein Sprecher.
Bei der Reform geht es um mehrere Fragen, die Hauptkontrahenten sind Deutschland und Frankreich. Die Bundesregierung hatte Ende 2023 eine Aufstockung der EFF blockiert, um die Beschlussregeln zu ändern und die Anrechnung bilateraler Hilfen an die Ukraine zu ermöglichen. Mit einer Waffenhilfe an die Ukraine im Wert von 7 Milliarden Euro will Berlin im laufenden Jahr mehr leisten als die meisten anderen EU-Staaten. Würde dies voll angerechnet, müsste Deutschland in den EFF gar nichts mehr einzahlen.
Das Prinzip, dass bilaterale Hilfen angerechnet werden, werde im Kreise der 27 nicht mehr infrage gestellt, sagte ein Diplomat. Allerdings seien noch technische Details bei der Berechnung offen. Offenbar sträuben sich einige EU-Staaten gegen die Möglichkeit, dass die EFF im laufenden Jahr kein Geld mehr aus Berlin erhalten könnte. Widerstand gibt es aber auch gegen die französische Forderung, aus dem EFF finanzierte Waffen müssten grundsätzlich auf dem europäischen Markt beschafft werden.
Hier seien die Positionen verhärtet, hieß es in Brüssel. Allerdings hat Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron zuletzt eine gewisse Flexibilität erkennen lassen. Bei einem Besuch in Prag zeigte er sich am Dienstag bereit, Artillerie-Munition für die Ukraine auch außerhalb Europas zu kaufen. Dies hatte Tschechien vorgeschlagen. Auch Deutschland will sich an der Initiative beteiligen, wie Regierungssprecher Steffen Hebestreit ankündigte.
“Die Bundesregierung befindet sich gerade schon in sehr intensiven Gesprächen mit der tschechischen Regierung, und es geht um die 155-Millimeter-Artillerie-Munition.” Deutschland werde sich mit einem dreistelligen Millionenbetrag engagieren, sagte Hebestreit, ohne den genauen Betrag zu nennen. ebo/rtr
Unterhändler des Europaparlaments und der EU-Länder verständigten sich am frühen Mittwochmorgen in Brüssel auf neue EU-Vorschriften, um Flugrouten zu optimieren, Flugverspätungen zu verringern und CO₂-Emissionen zu reduzieren, wie beide Institutionen mitteilten.
Die Reform zielt darauf ab, die Organisation des europäischen Luftraums zu verbessern, Kosten zu senken und die Umwelt zu schonen, hieß es in einer Mitteilung des Parlaments. Die neuen Vorschriften müssen noch von den EU-Ländern und dem Europaparlament angenommen werden, in den meisten Fällen ist das Formsache.
Mit der Reform soll unter anderem geprüft werden, inwiefern Fluggesellschaften und Privatjet-Anbieter etwa durch Gebühren dazu gebracht werden können, die Route zu wählen, auf der am wenigsten Kraftstoff verbraucht wird. Zudem soll es auch Anreize für alternative, sauberere Antriebstechnologien geben. Außerdem sollen verbindliche Umwelt- und Klimaziele ausgeweitet werden.
Der Einigung vorausgegangen waren jahrelange Verhandlungen. Die derzeit gültigen Regeln für den einheitlichen europäischen Luftraum stammen aus dem Jahr 2009. Die gemeinsame EU-Linie verfolgt das Ziel, die zunehmende Anzahl von Flügen und damit einhegende Verspätungen besser zu koordinieren und die Zersplitterung durch nationale Landesgrenzen und Interessen aufzulösen. Die Kommission hatte 2013 eine Überarbeitung vorgeschlagen, die 2014 vom Parlament angenommen wurde, aber zunächst an den EU-Ländern scheiterte.
Der europäische Himmel sei bis heute immer noch ein “Flickenteppich nationaler Regelungen” und jeder Flug im Schnitt 49 Kilometer länger als die Luftlinien-Distanz, sagte der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber. Die Einigung sei daher ein wichtiger Schritt, um die Luftfahrt klimafreundlicher zu machen und Flugrouten so kurz wie möglich zu planen. dpa
Politischer Einfluss fällt nicht immer auf: Für das Fachmagazin “Politik & Kommunikation” gehört Pierre Gröning zu den einflussreichsten Deutschen in Brüssel. Der 41-Jährige ist Geschäftsführer im Brüsseler Europabüro des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI) und vertritt in dieser Funktion die Interessen von rund 1.900 deutschen Chemie- und Pharmaunternehmen oder mehr als 90 Prozent der inländischen Chemie.
Die zurückliegenden Monate waren für seine Branche nicht einfach, die Chemieindustrie steckt in der Krise. Die hohen Energiepreise, Regulierung und Bürokratie belasten die Unternehmen. Grönings Bewertung des gerade erst beschlossenen Strompreispakets kommt deshalb nicht überraschend: “Das ist ein Schritt in die richtige Richtung – aber eben nur ein Anfang.” Noch weiß er aber nicht, ob die geplanten Neuerungen nach dem Karlsruher Urteil noch finanziert werden können.
Der geborene Erlanger ist mit mehreren europäischen Kulturen aufgewachsen: “Als Deutsch-Franzose, der mit einer Italienerin verheiratet ist, hatte ich noch nie eine rein deutsche Sichtweise auf die EU“, sagt er. Gröning nennt das “ein europäisches Profil im Blut haben”. Nach der Schule entscheidet Gröning sich für ein deutsch-französisches Doppeldiplom mit einem Europa-Schwerpunkt: Er studiert Politikwissenschaften in Lille und Münster. Nach einem Master in International Relations am Europakolleg in Brügge und schrieb er eine Doktorarbeit über die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Indien.
Gröning betont, dass das kontinuierliche “Hereinholen von Informationen” zu seinem Arbeitsalltag gehöre. Doch für den Interessenvertreter geht es nicht nur darum, was in der europäischen Gesetzgebungsarbeit Neues passiert, sondern auch wo und wann. “Internes Lobbying” nimmt ebenfalls einen wichtigen Platz ein: “Nachdem wir herausgefunden haben, was passiert, müssen wir im Verband dazu eine gemeinsame Haltung finden.” Sobald diese Haltung gefunden worden sei, so Gröning, gelte für sein Team dann aber das Motto “rein in den politischen Betrieb”.
Was die langfristige Wettbewerbsfähigkeit der EU anbelangt, ist Gröning skeptisch. Das hat auch mit der großen volkswirtschaftlichen Relevanz der energieintensiven Branchen zu tun. Dort gebe es im Moment “ein großes Problem mit den Energiepreisen und den Energiemengen“, sagt der Interessenvertreter. Der Green Deal macht die Situation für Gröning nicht einfacher: “Hier wird über ein kleinteiliges Regelwerk versucht, eine Transformation herbeizudreschen.” Woran fehlt es ihm in diesem komplexen Szenario? “Ich vermisse den Glauben an die Innovationen, die aus der Mitte der Unternehmen kommen könnten.” Gabriele Voßkühler