Europa hat gewählt, und der gestrige Abend hat aus meiner Sicht eine Reihe von Erkenntnissen gebracht:
Wie bewerten Sie den Wahlausgang? Bei einer Veranstaltung ab 8:30 Uhr werden wir die Ergebnisse und Erkenntnisse der Wahlnacht diskutieren, mit Spitzenvertretern der Parteien und führenden Experten. Für die Online-Übertragung können Sie sich auch in letzter Minute noch anmelden – und zwar hier.
Laut der Sitzprojektion des Europaparlaments erzielen EVP, S&D und Renew, die drei Fraktionen der informellen Von-der-Leyen-Koalition, bei der Europawahl 407 der 720 Sitze. Sie hätten demnach in der zehnten Wahlperiode weiter eine Mehrheit. Um eine Wiederwahl von Ursula von der Leyen zu sichern, könnten sie aber die Unterstützung der Grünen suchen.
Wahlsieger ist die EVP mit Spitzenkandidatin Ursula von der Leyen. Sie kommt nach der letzten Sitzprojektion um 1.20 Uhr auf 189 Sitze. Damit gewinnt die Fraktion 13 Sitze dazu. Bisher kam sie auf 176 Abgeordnete. EVP-Partei- und Fraktionschef Manfred Weber leitet aus dem Wahlsieg den Anspruch ab, dass das Europaparlament von der Leyen für eine zweite Amtszeit zur Kommissionspräsidentin wählt. “Wir laden S&D und Renew ein, mit uns wieder eine proeuropäische Allianz im Parlament zu bilden, um Ursula von der Leyen erneut als Kommissionspräsidentin zu unterstützen.”
Ursula von der Leyen trat gegen Mitternacht im Europaparlament auf und sagte: “Die bisherige Plattform der Zusammenarbeit zwischen EVP, S&D und Renew hat sich bewährt. Wir werden morgen das Gespräch mit Sozialisten und Liberalen suchen, um die Zusammenarbeit fortzusetzen.” Ob man in einem zweiten Schritt auch mit den Grünen verhandele, müsse man sehen.
Am Dienstag treffen sich erstmals die Fraktionschefs, um Konsequenzen aus dem Wahlergebnis zu beraten und den Termin für die Wahl der Kommissionspräsidentin festzulegen. Montag, 17. Juni, treffen sich die Staats- und Regierungschefs, um über das Personalpaket zu verhandeln. Der Rat hat das Vorschlagsrecht für den Posten, das Europaparlament stimmt ab.
Weber forderte den Rat auf, ebenfalls von der Leyen zu unterstützen: “Wir erwarten, dass in beiden Kammern der Ausgang der Europawahl respektiert wird und von der Leyen die Unterstützung bekommt.” Der erste Schritt müsse nun sein, dass “Bundeskanzler Olaf Scholz Ursula von der Leyen in der Runde der Staats- und Regierungschefs vorschlägt”. Als zweiten Schritt erwarte er, dass Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sich der Forderung anschließe.
Die S&D-Fraktion bleibt auf dem zweiten Platz und kommt nach der Projektion auf 135 Sitze. Sie verliert mit ihrem Spitzenkandidaten Nicolas Schmit vier Sitze gegenüber der letzten Wahlperiode. Schmit räumte seine Wahlniederlage ein und gratulierte der EVP und Ursula von der Leyen. “Ich bin zuversichtlich, dass es bei den bisherigen Partnern die Bereitschaft gibt, zusammenzuarbeiten und für Lösungen zu kämpfen.”
Pedro Marques, S&D-Vize-Fraktionschef, signalisierte Unterstützung für von der Leyen: “Wir Sozialdemokraten respektieren das Spitzenkandidatenprinzip.” Die Sozialisten stünden bereit, wieder eine proeuropäische Mehrheit im Europaparlament zu bilden. Allerdings nur, wenn die rechten Fraktionen nicht eingebunden werden: “Keine Koalition mit EKR, keine Koalition mit ID.” Marques zeigt Sympathien dafür, die Grünen in die informelle Koalition einzubeziehen: “Um für die Wahlperiode eine stabile Mehrheit zu bilden, sollten wir eine weitere Fraktion an den Verhandlungstisch bitten.”
Renew verliert kräftig, bleibt aber nach jetzigem Stand drittstärkste Fraktion. Die Liberalen unter der Führung von Valérie Hayer kommen nur noch auf 83 Sitze und verloren damit 19 Abgeordnete. Hayer signalisierte, dass Renew weiter an der Bildung einer informellen Koalition interessiert sind: “Die Ergebnisse zeigen, dass eine proeuropäische Mehrheit im Europäischen Parlament ohne uns nicht möglich ist.”
Noch am Wahlabend hat EVP-Chef Weber Kontakt zu Sozialisten und Liberalen aufgenommen, um eine Mehrheit für die Wahl von der Leyens zu organisieren, die am 18. Juli in Straßburg stattfinden könnte.
Sollten sich Christdemokraten, Sozialisten und Liberale wieder auf eine informelle Zusammenarbeit verständigen, würden sie mit 407 Sitzen 46 Sitze mehr haben, als für die Wahl der Kommissionspräsidentin oder eines Kommissionspräsidenten benötigt werden. Rechnerisch würden sie ohne die Unterstützung der Grünen auskommen. Allerdings muss in allen drei Fraktionen mit Abweichlern gerechnet werden. Deswegen könnten die Parteien der bisherigen Von-der-Leyen-Koalition die Unterstützung der Grünen suchen.
Neben den Liberalen sind die Grünen der zweite Verlierer des Wahlabends. Die Grünen, die bislang die viertstärkste Fraktion stellten, fallen hinter die konservative EKR und die rechtsradikale ID-Fraktion zurück. 19 Sitze haben sie verloren und kommen nur noch auf 53 Abgeordnete. Bas Eickhout, einer der beiden Spitzenkandidaten der Grünen, zeigte sich gesprächsbereit im Hinblick auf Absprachen mit EVP, S&D und Renew: “Ob wir Ursula von der Leyen unterstützen, lässt sich noch nicht sagen. Wir sind bereit, mit den anderen Fraktionen darüber zu verhandeln.”
EKR kann um drei Mandate zulegen und kommt nun auf 72 Sitze. ID gewinnt neun Mandate hinzu und kommt auf 58 Sitze. Die Fraktion der Linken verliert zwei Sitze und kommt nunmehr auf 35 Sitze. 45 Abgeordnete werden keiner Fraktion zugeordnet. Bisher waren es 49. Darüber hinaus wurden 50 Abgeordnete neu ins Parlament gewählt, die ebenfalls keiner Fraktion zugeordnet werden.
Die Wahlbeteiligung ist nach vorläufigem Stand leicht gestiegen auf 51 Prozent. Insgesamt waren 360 Millionen Europäer wahlberechtigt.
Politischer Donnerschlag in Frankreich: Noch nie hat eine rechtsextreme Partei bei einer Wahl ein so hohes Ergebnis erzielt: Der Rassemblement National (RN) geht mit 31,5 Prozent der Stimmen als großer Sieger aus den Europawahlen hervor. Das sind acht Prozentpunkte mehr als 2019.
Der RN lag damit weit vor dem liberalen Bündnis Besoin d’Europe von Präsident Emmanuel Macron, das knapp über 14,5 Prozent der Stimmen erhielt. Es gab also keinen Aufschwung an den Wahlurnen, wie es sich die Präsidentenpartei erhofft hatte, die im Vergleich zu 2019 sechs Prozentpunkte verliert. Das Wahlergebnis ist auch vor dem Hintergrund der steigenden Wahlbeteiligung zu lesen: Die Zahl derer, die der Wahl fernblieben, wird voraussichtlich bei unter 50 Prozent liegen – in den Jahren zuvor war die Zahl der Enthaltungen höher.
Macron sah sich nun zu einem radikalen politischen Schritt veranlasst: Er kündigte die Auflösung der Nationalversammlung und damit die Ausrufung von Neuwahlen an. Sein Amt ist davon jedoch nicht berührt, er selbst bleibt Frankreichs Staatsoberhaupt. Der erste Wahlgang findet am 30. Juni statt, der zweite am 7. Juli. “Ich kann also am Ende dieses Tages nicht so tun, als wäre nichts geschehen“, sagte Macron.
“Zu dieser Situation kommt ein Fieber hinzu, das in den letzten Jahren die öffentliche und parlamentarische Debatte in unserem Land ergriffen hat.” Er wolle den Menschen in Frankreich “die Entscheidung über unsere parlamentarische Zukunft durch Abstimmung zurückzugeben”.
Marine Le Pen reagierte prompt: “Wir sind bereit, die Macht auszuüben, wenn die Franzosen uns ihr Vertrauen schenken”, sagte die RN-Fraktionsvorsitzende in der Nationalversammlung.
Der S&D-Europaabgeordnete Raphaël Glucksmann kritisierte die Entscheidung des Präsidenten. Damit komme Macron den Forderungen des RN-Vorsitzenden Jordan Bardella nach. Er betreibe ein äußerst gefährliches Spiel mit der Demokratie und den Institutionen, sagte Glucksmann. Er zeigte sich kämpferisch: “Die Machtübernahme durch den Rassemblement National ist alles andere als unaufhaltsam.”
Die vom Europaparlamentarier Glucksmann angeführte Liste Parti socialiste/Place publique landete nach einem dynamischen Wahlkampf mit 14 Prozent der Stimmen auf dem dritten Platz, nicht weit hinter Besoin d’Europe. Die Sozialisten hatten seit dem Ende der fünfjährigen Amtszeit von Macrons Vorgänger François Hollande an Zustimmung verloren, bei den Europawahlen 2019 kam die Partei auf nur etwas über 6 Prozent der Stimmen. Nun hat das Bündnis sich einen Platz vor allen anderen linken Parteien erkämpft.
Die linksextreme Partei La France Insoumise (LFI), angeführt von der Europaabgeordneten Manon Aubry, erreichte 10,1 Prozent, ein besseres Ergebnis als 2019 (6,3 Prozent). Die konservative Partei Les Républicains, angeführt von dem Europaabgeordneten François-Xavier Bellamy, kam auf 7,2 Prozent. Vor fünf Jahren hatte er noch 8,5 Prozent erreicht.
Die französischen Grünen (EELV), die 2019 für eine Überraschung gesorgt hatten, schafften gerade so den Einzug ins Parlament mit 5,5 Prozent der Stimmen. 2019 hatte die Partei mit über 13 Prozent den dritten Platz erreicht. Wie auch die deutschen Grünen erleben die französischen Grünen eine schwere Niederlage. Dies ist auch deswegen ein schmerzhaftes Ergebnis, weil der politische Einfluss der Grünen im Europäischen Parlament auf den beiden Delegationen aus Deutschland und Frankreich beruht.
Fast 49 Millionen Franzosen waren aufgerufen, an die Wahlurnen zu gehen, um ihre 81 der insgesamt 720 Europaabgeordneten des neuen Europäischen Parlaments zu wählen.
Bei der föderalen Parlamentswahl, die gleichzeitig mit der Europawahl stattfand, hat die regierende “Vivaldi”-Koalition um den liberalen flämischen Premierminister Alexander De Croo wie erwartet ihre Mehrheit verloren.
De Croo kündigte daraufhin seinen Rücktritt an, den er bereits am Montag vollziehen will. In einer emotionalen Rede gratulierte er den flämischen Wahlsiegern – der separatistischen N-VA, der rechtsextremen Vlaams Belang und der sozialdemokratischen Partei Vooruit.
De Croos liberale Partei, Open VLD, kam nach Auszählung fast aller Stimmen in Flandern nur noch auf rund acht Prozent der Stimmen. Demgegenüber liegen die N-VA bei 26 und Vlaams Belang bei 22 Prozent. Das offizielle Endergebnis kann davon allerdings noch leicht abweichen.
“Freunde, wir haben diese Wahl gewonnen”, sagte N-VA-Chef Bart De Wever. Er könnte nun mit der Regierungsbildung beauftragt werden. Die wird allerdings sehr schwierig, denn in der französischsprachigen Wallonie und in Brüssel liegen die Liberalen vorn. ebo
Europa hat gewählt, und der gestrige Abend hat aus meiner Sicht eine Reihe von Erkenntnissen gebracht:
Wie bewerten Sie den Wahlausgang? Bei einer Veranstaltung ab 8:30 Uhr werden wir die Ergebnisse und Erkenntnisse der Wahlnacht diskutieren, mit Spitzenvertretern der Parteien und führenden Experten. Für die Online-Übertragung können Sie sich auch in letzter Minute noch anmelden – und zwar hier.
Laut der Sitzprojektion des Europaparlaments erzielen EVP, S&D und Renew, die drei Fraktionen der informellen Von-der-Leyen-Koalition, bei der Europawahl 407 der 720 Sitze. Sie hätten demnach in der zehnten Wahlperiode weiter eine Mehrheit. Um eine Wiederwahl von Ursula von der Leyen zu sichern, könnten sie aber die Unterstützung der Grünen suchen.
Wahlsieger ist die EVP mit Spitzenkandidatin Ursula von der Leyen. Sie kommt nach der letzten Sitzprojektion um 1.20 Uhr auf 189 Sitze. Damit gewinnt die Fraktion 13 Sitze dazu. Bisher kam sie auf 176 Abgeordnete. EVP-Partei- und Fraktionschef Manfred Weber leitet aus dem Wahlsieg den Anspruch ab, dass das Europaparlament von der Leyen für eine zweite Amtszeit zur Kommissionspräsidentin wählt. “Wir laden S&D und Renew ein, mit uns wieder eine proeuropäische Allianz im Parlament zu bilden, um Ursula von der Leyen erneut als Kommissionspräsidentin zu unterstützen.”
Ursula von der Leyen trat gegen Mitternacht im Europaparlament auf und sagte: “Die bisherige Plattform der Zusammenarbeit zwischen EVP, S&D und Renew hat sich bewährt. Wir werden morgen das Gespräch mit Sozialisten und Liberalen suchen, um die Zusammenarbeit fortzusetzen.” Ob man in einem zweiten Schritt auch mit den Grünen verhandele, müsse man sehen.
Am Dienstag treffen sich erstmals die Fraktionschefs, um Konsequenzen aus dem Wahlergebnis zu beraten und den Termin für die Wahl der Kommissionspräsidentin festzulegen. Montag, 17. Juni, treffen sich die Staats- und Regierungschefs, um über das Personalpaket zu verhandeln. Der Rat hat das Vorschlagsrecht für den Posten, das Europaparlament stimmt ab.
Weber forderte den Rat auf, ebenfalls von der Leyen zu unterstützen: “Wir erwarten, dass in beiden Kammern der Ausgang der Europawahl respektiert wird und von der Leyen die Unterstützung bekommt.” Der erste Schritt müsse nun sein, dass “Bundeskanzler Olaf Scholz Ursula von der Leyen in der Runde der Staats- und Regierungschefs vorschlägt”. Als zweiten Schritt erwarte er, dass Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sich der Forderung anschließe.
Die S&D-Fraktion bleibt auf dem zweiten Platz und kommt nach der Projektion auf 135 Sitze. Sie verliert mit ihrem Spitzenkandidaten Nicolas Schmit vier Sitze gegenüber der letzten Wahlperiode. Schmit räumte seine Wahlniederlage ein und gratulierte der EVP und Ursula von der Leyen. “Ich bin zuversichtlich, dass es bei den bisherigen Partnern die Bereitschaft gibt, zusammenzuarbeiten und für Lösungen zu kämpfen.”
Pedro Marques, S&D-Vize-Fraktionschef, signalisierte Unterstützung für von der Leyen: “Wir Sozialdemokraten respektieren das Spitzenkandidatenprinzip.” Die Sozialisten stünden bereit, wieder eine proeuropäische Mehrheit im Europaparlament zu bilden. Allerdings nur, wenn die rechten Fraktionen nicht eingebunden werden: “Keine Koalition mit EKR, keine Koalition mit ID.” Marques zeigt Sympathien dafür, die Grünen in die informelle Koalition einzubeziehen: “Um für die Wahlperiode eine stabile Mehrheit zu bilden, sollten wir eine weitere Fraktion an den Verhandlungstisch bitten.”
Renew verliert kräftig, bleibt aber nach jetzigem Stand drittstärkste Fraktion. Die Liberalen unter der Führung von Valérie Hayer kommen nur noch auf 83 Sitze und verloren damit 19 Abgeordnete. Hayer signalisierte, dass Renew weiter an der Bildung einer informellen Koalition interessiert sind: “Die Ergebnisse zeigen, dass eine proeuropäische Mehrheit im Europäischen Parlament ohne uns nicht möglich ist.”
Noch am Wahlabend hat EVP-Chef Weber Kontakt zu Sozialisten und Liberalen aufgenommen, um eine Mehrheit für die Wahl von der Leyens zu organisieren, die am 18. Juli in Straßburg stattfinden könnte.
Sollten sich Christdemokraten, Sozialisten und Liberale wieder auf eine informelle Zusammenarbeit verständigen, würden sie mit 407 Sitzen 46 Sitze mehr haben, als für die Wahl der Kommissionspräsidentin oder eines Kommissionspräsidenten benötigt werden. Rechnerisch würden sie ohne die Unterstützung der Grünen auskommen. Allerdings muss in allen drei Fraktionen mit Abweichlern gerechnet werden. Deswegen könnten die Parteien der bisherigen Von-der-Leyen-Koalition die Unterstützung der Grünen suchen.
Neben den Liberalen sind die Grünen der zweite Verlierer des Wahlabends. Die Grünen, die bislang die viertstärkste Fraktion stellten, fallen hinter die konservative EKR und die rechtsradikale ID-Fraktion zurück. 19 Sitze haben sie verloren und kommen nur noch auf 53 Abgeordnete. Bas Eickhout, einer der beiden Spitzenkandidaten der Grünen, zeigte sich gesprächsbereit im Hinblick auf Absprachen mit EVP, S&D und Renew: “Ob wir Ursula von der Leyen unterstützen, lässt sich noch nicht sagen. Wir sind bereit, mit den anderen Fraktionen darüber zu verhandeln.”
EKR kann um drei Mandate zulegen und kommt nun auf 72 Sitze. ID gewinnt neun Mandate hinzu und kommt auf 58 Sitze. Die Fraktion der Linken verliert zwei Sitze und kommt nunmehr auf 35 Sitze. 45 Abgeordnete werden keiner Fraktion zugeordnet. Bisher waren es 49. Darüber hinaus wurden 50 Abgeordnete neu ins Parlament gewählt, die ebenfalls keiner Fraktion zugeordnet werden.
Die Wahlbeteiligung ist nach vorläufigem Stand leicht gestiegen auf 51 Prozent. Insgesamt waren 360 Millionen Europäer wahlberechtigt.
Politischer Donnerschlag in Frankreich: Noch nie hat eine rechtsextreme Partei bei einer Wahl ein so hohes Ergebnis erzielt: Der Rassemblement National (RN) geht mit 31,5 Prozent der Stimmen als großer Sieger aus den Europawahlen hervor. Das sind acht Prozentpunkte mehr als 2019.
Der RN lag damit weit vor dem liberalen Bündnis Besoin d’Europe von Präsident Emmanuel Macron, das knapp über 14,5 Prozent der Stimmen erhielt. Es gab also keinen Aufschwung an den Wahlurnen, wie es sich die Präsidentenpartei erhofft hatte, die im Vergleich zu 2019 sechs Prozentpunkte verliert. Das Wahlergebnis ist auch vor dem Hintergrund der steigenden Wahlbeteiligung zu lesen: Die Zahl derer, die der Wahl fernblieben, wird voraussichtlich bei unter 50 Prozent liegen – in den Jahren zuvor war die Zahl der Enthaltungen höher.
Macron sah sich nun zu einem radikalen politischen Schritt veranlasst: Er kündigte die Auflösung der Nationalversammlung und damit die Ausrufung von Neuwahlen an. Sein Amt ist davon jedoch nicht berührt, er selbst bleibt Frankreichs Staatsoberhaupt. Der erste Wahlgang findet am 30. Juni statt, der zweite am 7. Juli. “Ich kann also am Ende dieses Tages nicht so tun, als wäre nichts geschehen“, sagte Macron.
“Zu dieser Situation kommt ein Fieber hinzu, das in den letzten Jahren die öffentliche und parlamentarische Debatte in unserem Land ergriffen hat.” Er wolle den Menschen in Frankreich “die Entscheidung über unsere parlamentarische Zukunft durch Abstimmung zurückzugeben”.
Marine Le Pen reagierte prompt: “Wir sind bereit, die Macht auszuüben, wenn die Franzosen uns ihr Vertrauen schenken”, sagte die RN-Fraktionsvorsitzende in der Nationalversammlung.
Der S&D-Europaabgeordnete Raphaël Glucksmann kritisierte die Entscheidung des Präsidenten. Damit komme Macron den Forderungen des RN-Vorsitzenden Jordan Bardella nach. Er betreibe ein äußerst gefährliches Spiel mit der Demokratie und den Institutionen, sagte Glucksmann. Er zeigte sich kämpferisch: “Die Machtübernahme durch den Rassemblement National ist alles andere als unaufhaltsam.”
Die vom Europaparlamentarier Glucksmann angeführte Liste Parti socialiste/Place publique landete nach einem dynamischen Wahlkampf mit 14 Prozent der Stimmen auf dem dritten Platz, nicht weit hinter Besoin d’Europe. Die Sozialisten hatten seit dem Ende der fünfjährigen Amtszeit von Macrons Vorgänger François Hollande an Zustimmung verloren, bei den Europawahlen 2019 kam die Partei auf nur etwas über 6 Prozent der Stimmen. Nun hat das Bündnis sich einen Platz vor allen anderen linken Parteien erkämpft.
Die linksextreme Partei La France Insoumise (LFI), angeführt von der Europaabgeordneten Manon Aubry, erreichte 10,1 Prozent, ein besseres Ergebnis als 2019 (6,3 Prozent). Die konservative Partei Les Républicains, angeführt von dem Europaabgeordneten François-Xavier Bellamy, kam auf 7,2 Prozent. Vor fünf Jahren hatte er noch 8,5 Prozent erreicht.
Die französischen Grünen (EELV), die 2019 für eine Überraschung gesorgt hatten, schafften gerade so den Einzug ins Parlament mit 5,5 Prozent der Stimmen. 2019 hatte die Partei mit über 13 Prozent den dritten Platz erreicht. Wie auch die deutschen Grünen erleben die französischen Grünen eine schwere Niederlage. Dies ist auch deswegen ein schmerzhaftes Ergebnis, weil der politische Einfluss der Grünen im Europäischen Parlament auf den beiden Delegationen aus Deutschland und Frankreich beruht.
Fast 49 Millionen Franzosen waren aufgerufen, an die Wahlurnen zu gehen, um ihre 81 der insgesamt 720 Europaabgeordneten des neuen Europäischen Parlaments zu wählen.
Bei der föderalen Parlamentswahl, die gleichzeitig mit der Europawahl stattfand, hat die regierende “Vivaldi”-Koalition um den liberalen flämischen Premierminister Alexander De Croo wie erwartet ihre Mehrheit verloren.
De Croo kündigte daraufhin seinen Rücktritt an, den er bereits am Montag vollziehen will. In einer emotionalen Rede gratulierte er den flämischen Wahlsiegern – der separatistischen N-VA, der rechtsextremen Vlaams Belang und der sozialdemokratischen Partei Vooruit.
De Croos liberale Partei, Open VLD, kam nach Auszählung fast aller Stimmen in Flandern nur noch auf rund acht Prozent der Stimmen. Demgegenüber liegen die N-VA bei 26 und Vlaams Belang bei 22 Prozent. Das offizielle Endergebnis kann davon allerdings noch leicht abweichen.
“Freunde, wir haben diese Wahl gewonnen”, sagte N-VA-Chef Bart De Wever. Er könnte nun mit der Regierungsbildung beauftragt werden. Die wird allerdings sehr schwierig, denn in der französischsprachigen Wallonie und in Brüssel liegen die Liberalen vorn. ebo