Table.Briefing: Europe

EU-Reform + Pestizide + Sorgfaltspflichtengesetz

Liebe Leserin, lieber Leser,

heute stimmen die Europaabgeordneten gegen Mittag über einen Text ab, mit dem sie ihre Position zur Reduzierung von Pestiziden festlegen. Es ist einer der umstrittensten der sechs Texte zum Green Deal, die diese Woche auf dem Programm der Plenarsitzung stehen.

Dieser Text – im Brüsseler Jargon unter SUR bekannt – wurde seinerzeit vom ehemaligen EU-Klimakommissar und Green-Deal-Chef, Frans Timmermans, verteidigt. Er argumentierte, dass ein gesunder Boden eine bessere Absorption von Treibhausgasemissionen ermöglicht. Inzwischen hat er die europäische politische Bühne für die nationale Arena verlassen. Und wie es der Zufall will, sind auch die niederländischen Wähler heute an die Urnen gerufen – und stimmen für oder gegen das, was Timmermans vertritt. Wie die Abstimmung über den Einsatz von Pestiziden im Europäischen Parlament ist der Ausgang der nationalen Wahl ungewiss.

Die Verbindung zwischen diesen beiden Abstimmungen ist die zunehmende politische Bedeutung der Landwirte, die mit der homerischen Schlacht um den Text zur Wiederherstellung der Natur begonnen hat. In den kommenden Monaten vor den Europawahlen dürfte sich dieser Trend weiter festigen.

Ob SUR heute angenommen wird, das ist für Beobachter noch unklar. Denn auch innerhalb der einzelnen Fraktionen gibt es dazu kein einheitliches Bild. Obwohl die politische Debatte um den Text zur Reduzierung des Pestizideinsatzes nicht so heftig war wie jene zur Wiederherstellung der Natur, birgt das Thema Pestizidreduzierung Sprengstoff. Wie beispielsweise bei der Definition von empfindlichen ökologischen Gebieten.

Anders als es bei der Renaturierung der Fall war, hat die EVP dieses Mal aber nicht versucht, den Text zu versenken, erklärt man auf den Korridoren des Parlaments in Straßburg. Dies liegt daran, dass der neue Vorschlag mit einem anderen Text verknüpft ist, der ebenfalls verhandelt wird: dem über neue Genomtechniken, bekannt unter dem Kürzel NGT (für “New Genomic Techniques”), der von den Konservativen positiv gesehen wird. Mit anderen Worten: Ein Ja zur Reduzierung von Pestiziden, insbesondere seitens der Konservativen, würde die Türen für diese neuen Technologien noch weiter öffnen.

Wenn das Parlament mit Ja stimmt, muss anschließend der Rat noch die allgemeine Ausrichtung annehmen. Das wird voraussichtlich am 11. Dezember der Fall sein. Erst dann können die Trilogverhandlungen beginnen. Es muss also schnell gehen, damit die Verhandlungen vor dem Ende des Mandats abgeschlossen werden können. Dies setzt politischen Willen voraus. Eine besondere Herausforderung angesichts der bevorstehenden Europawahlen.

Eine angenehme Lektüre wünsche ich Ihnen.

Ihre
Claire Stam
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Analyse

Parlament und Rat streiten über EU-Reform

Die Debatte über eine künftige EU-Reform nimmt Fahrt auf. Zwei Wochen nach der Empfehlung der EU-Kommission, Beitrittsgespräche mit der Ukraine und Moldau aufzunehmen, will das Europaparlament heute in Straßburg einen großen Aufschlag machen und einen Reformkonvent fordern. Die Mitgliedsstaaten lehnen einen solchen Konvent mehrheitlich ab. Und stellen dagegen die Handlungsfähigkeit ins Zentrum.

Einig ist man sich bisher nur darin, dass die EU an Haupt und Gliedern reformiert werden soll. Es gehe darum, die Union “fit for 35” zu machen, also auf bis zu 35 Mitglieder vorzubereiten, heißt es im Umfeld von EU-Ratspräsident Charles Michel. Ohne tiefgreifende Änderungen beim Stimmrecht, beim Gemeinschaftsbudget oder bei der Agrarpolitik drohe der erweiterten EU nicht nur akuter Geldmangel, sondern auch Handlungsunfähigkeit.

Belgien will “Roadmap” für EU-Reform erarbeiten

Doch wie könnten diese Änderungen aussehen, und wie sollen sie auf den Weg gebracht werden? Eine Antwort soll die kommende belgische EU-Ratspräsidentschaft geben. Das Land übernimmt zum 1. Januar den Ratsvorsitz. Man wolle eine “Roadmap” für die EU-Reform erarbeiten, sagte der Ständige Vertreter Belgiens bei der EU, Botschafter Willem van de Voorde, bei einer Veranstaltung der Europa-Union in Brüssel. Bis Ende Juni 2024 soll zudem ein Rahmenprogramm für die nächste EU-Kommission stehen.

Hinter den Kulissen haben bereits intensive Beratungen begonnen. So empfing Michel die Staats- und Regierungschefs aus Deutschland, Belgien, Österreich, Ungarn, Griechenland, Zypern und Litauen am 13. November zu Gesprächen im Berliner Kanzleramt, um über die Weiterentwicklung der EU zu beraten. Auch beim letzten Allgemeinen Rat in Brüssel stand die Reform auf der Tagesordnung.

Die Europaminister diskutierten über Vorschläge einer deutsch-französischen Expertengruppe, aber auch über die geplante belgische “Roadmap”. “Wir brauchen eine Roadmap für Reformen. EU-Erweiterung und EU-Reformen müssen Hand in Hand gehen”, erklärte die deutsche Europa-Staatsministerin Anna Lührmann (Grüne). Im Mittelpunkt müsse die Handlungsfähigkeit stehen, betonte sie.

Staaten reden über Kohäsions- und Agrarpolitik

Neben den Dauerbrennern Rechtsstaat und “QMV” (“Qualified Majority Voting”, also Abschaffung des Vetorechts) diskutiert der Rat über die Frage, wie das Gemeinschaftsbudget auf bis zu 35 Mitgliedsländer eingestellt werden könnte. Auch die Zukunft der Kohäsions- und der Agrarpolitik ist ein Thema. Als Grundlage der Beratungen dient die Erklärung von Granada. Darin hatten sich die 27 Anfang Oktober zur Erweiterung bekannt.

“Die Erweiterung ist eine geostrategische Investition in Frieden, Sicherheit, Stabilität und Wohlstand”, erklärten die Staats- und Regierungschefs. Allerdings müssten sowohl die EU als auch die künftigen Mitgliedstaaten bereit sein. Die beitrittswilligen Länder sollten ihre Reformanstrengungen verstärken. Parallel dazu müsse die Union für die notwendigen internen Grundlagen und Reformen sorgen.

Von einer Vertiefung der EU war in Granada ebenso wenig die Rede wie von ihrer Demokratisierung oder mehr Bürgerbeteiligung. Die 2022 abgeschlossene Konferenz zur Zukunft der EU und ihre auf Bürgerpanels erarbeiteten 49 Reformvorschläge wurden nicht einmal erwähnt. Dies ruft nun das Europaparlament auf den Plan.

Parlament will wohl Reformkonvent

Die Abgeordneten wollen am Mittwoch in einer Resolution einen Konvent zur Änderung der EU-Verträge fordern. Grundlage ist ein Bericht des Verfassungsausschusses, an dem vier Deutsche mitgearbeitet haben: Sven Simon (CDU), Gabriele Bischoff (SPD), Daniel Freund (Grüne) und Helmut Scholz (Linke). “Der Parlamentsbericht ist als formelle Aufforderung an den Rat gedacht, einen Reformkonvent und Vertragsänderungen einzuleiten“, sagte CDU-Experte Simon Table.Media. Dies sei nach Artikel 48 des EU-Vertrags nicht nur möglich, sondern auch geboten.

Simon äußerte sich kritisch zum Vorgehen der Bundesregierung. Es sei ein “nicht nachvollziehbarer Fehler”, dass sich die Ampel bei ihren Reformplänen vor allem auf ein deutsch-französisches Expertenpapier stütze. Die darin enthaltenen Empfehlungen blieben weit hinter den Erfordernissen zurück. Es gehe nicht nur um die Handlungsfähigkeit der Union, sondern auch um die Stärkung des Europaparlaments und der Demokratie.

“Regierung” statt Kommission

“Wir wollen das Spitzenkandidaten-Prinzip bekräftigen und die Fehler von 2019 vermeiden. Der Kommissionspräsident soll daher in Zukunft auf Vorschlag des Parlaments gewählt werden“, sagte Simon. “Der oder die Kandidatin muss sich dabei auf eine Mehrheit der Abgeordneten stützen. Das Verfahren wollen wir vor der Wahl in einer interinstitutionellen Vereinbarung mit dem Rat festschreiben.”

Ähnlich äußerte sich der Grünen-Abgeordnete Freund. Die Kommission solle stärker vom Parlament und damit von den Wählerinnen und Wählern gewählt werden und “Regierung” heißen. Statt 27 Kommissaren solle es künftig nur noch 14 geben, die die Präsidentin dem Parlament vorschlage. “Wir stehen vor einem historischen Schritt für Europa. Vertragsänderungen werden die europäische Demokratie stärker und widerstandsfähiger machen”, so Freund.

Das Parlament fordert zudem ein Initiativrecht für EU-Gesetze und die Möglichkeit, über das nächste Sieben-Jahres-Budget als gleichberechtigter Gesetzgeber mitzubestimmen. Außerdem spricht es sich –  wie der Rat – für eine Ausweitung der Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit aus. Dies ist jedoch bisher die einzige große Gemeinsamkeit zwischen den Institutionen. Über alle anderen Fragen der EU-Reform droht Streit.

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EU-Sorgfaltspflichtengesetz: Langsame Annäherung

Kaum ein Gesetzgebungsverfahren wird derzeit mit solcher Spannung beobachtet wie das europäische Sorgfaltspflichtengesetz (Corporate Sustainability Due Diligence Directive, kurz: CSDDD). Am heutigen Mittwoch findet der nächste politische Trilog statt, das hochrangige Treffen der Verhandler aus EU-Parlament, Rat und Kommission. Nach den Terminen im Juni, Juli und September ist es der vierte Trilog. Eine finale Einigung wird allerdings nicht erwartet, bei zu vielen Themen liegen die Positionen noch zu weit auseinander.

Die EU-Kommission hatte im Februar 2022 den Entwurf für das entsprechende Gesetz vorgestellt. Dieser enthält umwelt- und menschenrechtsbezogene Sorgfaltspflichten und verpflichtet große Unternehmen, Klimaübergangspläne zu erstellen. Als Vorbilder dienen das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG), das seit dem 1. Januar 2023 in Kraft ist und das französische “loi de vigilance” aus dem Jahr 2017.

Einigung über Anwendungsbereich wahrscheinlich

Beim heutigen Trilog könnten sich die Verhandler laut Informationen von Table.Media über den Anwendungsbereich einigen, der wohl dem Vorschlag der Kommission sehr nah bleiben würde. Nach dem Entwurf soll dieser Anwendungsbereich EU- und ausländische Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten und mehr als 150 Millionen Euro Nettoumsatz jährlich umfassen. Für Unternehmen in Risikosektoren (unter anderem der Textil-, Landwirtschafts- und Rohstoffsektor) soll die Richtlinie schon ab 250 Beschäftigten und mehr als 40 Millionen Euro Nettoumsatz jährlich gelten.

Dies bedeutet eine starke Ausweitung gegenüber dem deutschen und dem französischen Gesetz, die für Unternehmen ab 3.000 beziehungsweise 5.000 Angestellten gelten. In Deutschland werden ab 2024 Unternehmen ab 1.000 Angestellten unter das Gesetz fallen. Auf viele andere Mitgliedstaaten hat dies kaum Auswirkungen, da die dort ansässigen Unternehmen kleiner sind.

Nach Angaben einer Quelle im Parlament soll Artikel 25 aus dem Kommissionsentwurf, der eine zusätzliche Sorgfaltspflicht der Mitglieder der Unternehmensleitung vorsieht, beim heutigen Trilog gestrichen werden. Darüber hinaus steht auch die Definition der Sorgfaltspflichten und den Annexen, sowie die Bestimmungen zu einer möglichen Vertragsbeendigung mit den Partnern im Falle negativer Auswirkungen (Artikel 7 und 8) auf der Agenda. Auch über die Definition der Wertschöpfungskette soll gesprochen werden; von Parlamentsseite wird hier jedoch keine Einigung erwartet.

Keine Lösung für Finanzsektor, Klimapläne und Haftung erwartet

Für gleich eine ganze Reihe an Themen wird zunächst keine Lösung erwartet, einige davon werden vermutlich heute gar nicht angesprochen. Die spanische Ratspräsidentschaft will laut einem internen Kompromissvorschlag Lösungen finden, die “praxistauglich sind, Rechtssicherheit gewährleisten und keine übermäßigen Kosten für Unternehmen und Verwaltungen verursachen”.

Dazu gehört unter anderem die noch ungeklärte Frage, ob der Finanzsektor in den Anwendungsbereich einbezogen wird. Während das Parlament und die Kommission entsprechende Sorgfaltspflichten für Finanzinstitute fordern, hält der Rat dagegen. Auf Druck von Frankreich hatten die Mitgliedstaaten bereits in ihrer Allgemeinen Ausrichtung eine Sonderrolle für den Finanzsektor beschlossen. Demnach sollte es jedem Mitgliedstaat selbst überlassen werden, ob Finanzdienstleistungen unter das Gesetz fallen oder nicht.  Das Parlament fordert, die Sorgfaltspflichten auf den nachgelagerten Teil der Wertschöpfungskette von Finanzunternehmen anzuwenden und die Hauptmärkte des Finanzsektors (Investitionen, Banken, Versicherungen) einzubeziehen.

Die Ratspräsidentschaft schlägt nun vor, aufgrund “des empfindlichen Gleichgewichts, das im Rat in dieser Frage erreicht wurde, und der Schwierigkeiten, einen Kompromiss mit dem Standpunkt des Parlaments zu finden”, den Finanzsektor zunächst komplett aus dem Anwendungsbereich auszuschließen und die Ausweitung auf diesen auf eine spätere Phase zu verschieben. Dafür soll dem Gesetzestext eine Überprüfungsklausel hinzugefügt werden; Rat, Parlament und Kommission sollen eine interinstitutionelle politische Erklärung vereinbaren.

EZB unterstützt Sorgfaltspflichten für Finanzsektor

Entgegen dem Standpunkt seiner Parlamentskollegen äußerte Axel Voss (EVP), Schattenberichterstatter für die CSDDD im EU-Parlament, im Gespräch mit Table.Media Verständnis für diese Ausnahme. “Man kann den generellen Ansatz des Lieferkettengesetzes nicht eins zu eins auf den Finanzsektor übertragen, das würde zu großer Unsicherheit führen. Deshalb bräuchte dieser Sektor eigentlich speziellere Vorschriften.”

Die Europäische Zentralbank (EZB) wiederum unterstützt die Einbeziehung des Sektors. Damit das private Finanzwesen den grünen Wandel in der Realwirtschaft wirksam unterstützen könne, sei eine sektorübergreifend einheitliche Regulierung entscheidend, sagte Frank Elderson, Mitglied des EZB-Direktoriums, vergangene Woche auf einer Konferenz. Den Finanzsektor in den Anwendungsbereich der CSDDD einzuschließen, könne dazu beitragen, dass Banken und andere Finanzinstitute “systematisch Nachhaltigkeitsaspekte in ihre Entscheidungsfindung und ihr Risikomanagement integrieren”. Darüber hinaus entstünde so mehr Sicherheit in Bezug auf die Verpflichtungen und Prozessrisiken des Sektors.

In der Zivilgesellschaft stößt die Ratsposition auf scharfe Kritik: “Banken und Investoren haben einen Freifahrtschein, um von Menschenrechts- und Umweltschäden zu profitieren“, sagte Aurélie Skrobik, Referentin für Unternehmensverantwortung bei der Menschenrechtsorganisation Global Witness. “Der Missbrauch wird Teil des Geschäftsmodells der Banken bleiben, wenn die EU sich nicht auf ein starkes Gesetz einigt, das den Finanzsektor zwingt, sauberer zu werden.”

Klimapläne: Spanien schlägt Mittelverpflichtung vor

Auch die Definition von Umweltauswirkungen im Gesetzestext bleibt ein strittiges Thema. Während das Parlament eine Orientierung an konkreten Kategorien wie Klimaauswirkungen, Biodiversität oder Luft- und Wasserverschmutzung fordert, sind die Vorschläge von Kommission und Rat hier eingeschränkter: Unternehmen sollen Auswirkungen nur ermitteln und gegen sie vorgehen, wenn sie gegen internationale Abkommen verstoßen. Die Ratspräsidentschaft schlägt als Kompromiss die Aufnahme weiterer Abkommen vor.

Umwelt-NGOs befürchten, dass selbst ehrgeizige Sorgfaltspflichten aus ökologischer Sicht ihre Wirkung verfehlen, wenn Rat und Kommission sich durchsetzen und die Unternehmen nur begrenzt Umweltauswirkungen feststellen müssen. Denn die internationalen Umweltabkommen seien ein sehr fragmentierter Bereich des internationalen Rechts, erklärt Ceren Yildiz vom BUND. “Viele Fragen der Umweltzerstörung bleiben vollkommen unberührt. Es gibt zum Beispiel keinen globalen Pakt über den Schutz von Wäldern; das Plastikabkommen wird derzeit erst verhandelt.”

Bundesregierung gegen Umweltkategorien

Als Vorbild für den Ansatz von Rat und Kommission diente das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG), das für den Nachweis von Umweltauswirkungen auf internationale Verträge wie das Stockholmer und das Baseler Übereinkommen, die den Einsatz von Schadstoffen bzw. die Ausfuhr von Abfällen einschränken, verweist. Klimaauswirkungen werden gar nicht genannt. Im Rat hat sich die Bundesregierung zwar dafür eingesetzt, weitere Umweltübereinkommen in die Definition aufzunehmen und diese dadurch auszuweiten – allerdings lehnt sie die sogenannten Umweltkategorien, die das EU-Parlament vorschlägt, ab, und hat sich auch gegen eine Umsetzungspflicht für die Klimapläne der Unternehmen ausgesprochen (Artikel 15).

Die spanische Ratspräsidentschaft bietet nun allerdings ein Entgegenkommen an und schlägt eine Mittelverpflichtung vor, mit genauen Vorgaben zum Inhalt der Klimapläne sowie einer Verknüpfung mit der Vergütung des Unternehmensvorstands. Dadurch soll ein stärkerer Anreiz für die Umsetzung des Plans geschaffen werden.

LkSG: Bundesministerien diskutieren vereinfachte Berichtspflichten

Für die Berichte nach dem deutschen LkSG diskutieren das Bundeswirtschafts- und das Bundesarbeitsministerium währenddessen eine Vereinfachung: Unternehmen sollen laut der Nachrichtenagentur Reuters mehr Zeit für ihre Berichte erhalten. Table.Media hatte am Montag zunächst die Meldung von Reuters veröffentlicht, dass es schon eine Einigung gegeben hätte, Reuters hatte dies am späten Montagabend jedoch korrigiert. Das Bundesjustizministerium erarbeite zurzeit einen Referentenentwurf auf Fachebene; entsprechende Rechtsänderungen würden gemeinsam mit dem BMWK und dem BMAS erörtert, berichtete Reuters am späten Montagabend. Eine Abstimmung in der Bundesregierung zu diesen Vorschlägen habe bisher noch nicht begonnen.

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Was die Wasserstoffquoten für Industrie und Verkehr bedeuten

Die Existenz vieler Wirtschaftsbereiche in Europa hängt am Zugang zu günstigem grünen Wasserstoff. Feste Quoten für Industrie und Verkehr legt die überarbeitete Erneuerbare-Energie-Richtlinie (RED III) fest, die am Montag in Kraft getreten ist. Welche Verpflichtungen sich daraus ergeben, ob sie mit der Nationalen Wasserstoffstrategie der Bundesregierung vereinbar sind, und ob noch grüner Wasserstoff für weitere Einsatzzwecke übrig bleibt, lesen Sie in diesem Überblick.

Europäische Quoten für 2030 aus der RED III für grünen Wasserstoff und seine Derivate (im EU-Jargon “flüssige oder gasförmige erneuerbare Kraftstoffe für den Verkehr nicht biogenen Ursprungs” oder kurz RFNBO):

  • Industrie: 42 Prozent für energetische und nichtenergetische Zwecke, zum Beispiel in der Chemie-, Düngemittel- und Stahlindustrie. Schon 2035 steigt die Quote auf 60 Prozent.
  • Verkehr: Ein Prozent für alle Transportmittel insgesamt. Da die RED allerdings erlaubt, RFNBO für den Gesamtverkehr mit dem Doppelten ihres Energiegehalts anzurechnen, liegt die Quote laut dem Kraftstoffverband en2x effektiv nur bei 0,5 Prozent.

Unklare Vorgaben für den Flugverkehr

Für einzelne Verkehrsträger gelten 2030 gesonderte Anteile für E-Fuels:

  • Seeverkehr: Für EU-Staaten mit Seehäfen gilt laut RED III ein Sollwert von 1,2 Prozent RFNBO. Auch hier gilt aber ein höherer Anrechnungsfaktor von 1,5. Effektiv liegt die Quote also nur bei 0,8 Prozent.
  • Luftverkehr: Nach der neuen Verordnung ReFuelEU Aviation gilt im Mittel der Jahre 2030/31 eine verpflichtende Quote für “synthetische Flugkraftstoffe” von 1,2 Prozent – bis 2050 steigt sie auf 35 Prozent. Zusammen mit “Biokraftstoffen für die Luftfahrt” gelten noch höhere Anteile für “nachhaltige Flugkraftstoffe” (SAF) – 2050 zum Beispiel 70 Prozent. Die RED III setzt aber auch für RFNBO im Luftverkehr einen Faktor von 1,5 an. Die Quote für 2030/31 betrüge demnach ebenfalls 0,8 Prozent. Inwiefern der Faktor aus der RED aber auch für ReFuelEU Aviation gilt, sei unklar, erklärt Burkhard Hoffmann von der Stiftung Umweltenergierecht.
  • Autoverkehr: Die EU-Flottengrenzwerte für Lkw werden noch verhandelt, Quoten für Lastkraftwagen gelten allerdings als unwahrscheinlich. Für Pkw wurden in der jüngsten Novelle der Flottengrenzwerte keine verpflichtenden E-Fuel-Anteile beschlossen. Da Autos aktuell aber fast fünfmal so viele Kraftstoffe verbrauchen wie Flugzeuge und Schiffe zusammen, werden Pkw und Lkw wohl doch E-Fuels verfahren müssen, um die Quote für den Verkehr insgesamt zu erreichen. Sinken würde der Druck, wenn der Anteil von Elektroautos bis 2030 rasend schnell stiege.

Frontier Economics legt erste Schätzung vor

Was diese EU-Vorgaben für Deutschland in absoluten Mengen bedeuten, dafür gibt es noch erstaunlich wenige Zahlen. Der BDI kann auf Anfrage nicht sagen, wie viele Tonnen grünen Wasserstoff die Industrie bis 2030 braucht, um die Vorgabe der Erneuerbaren-Richtlinie zu erfüllen. Im Frühjahr will der Thinktank Agora Industrie eine Studie vorlegen, die Antworten liefert. Eine erste Schätzung hat kürzlich Frontier Economics im Auftrag von Eon präsentiert.

Die Industrie benötige für die EU-Quote 23 Terawattstunden grünen Wasserstoff und der Verkehrssektor sechs bis neun Terawattstunden, je nachdem, ob sie mit Wasserstoff oder Derivaten erfüllt werden. Allerdings gibt Frontier auf Nachfrage an, im Verkehrssektor mit der Quote von einem Prozent gerechnet zu haben. Die doppelte Anrechenbarkeit wurde also offenbar außer Acht gelassen.

Nationale Wasserstoffstrategie lässt auch blauen Wasserstoff zu

Durch die Ziele der Nationalen Wasserstoffstrategie wären die EU-Vorgaben auf den ersten Blick gedeckt. In ihrer neuen Nationalen Wasserstoffstrategie gibt sich die Bundesregierung für 2030 ein Ziel von 95 bis 130 Terawattstunden Wasserstoff. Neben dem bisherigen Verbrauch von 55 Terawattstunden kalkulierte sie mit einem zusätzlichen Bedarf von 40 bis 75 Terawattstunden. Sicher ist die Erfüllung der europäischen Vorgaben dadurch aber noch nicht.

Zum einen will sich die Bundesregierung auch kohlenstoffarmen Wasserstoff aus Erdgas auf ihre Ziele anrechnen lassen, was die RED III nicht zulässt. Zum anderen ist fraglich, ob die nationalen Ziele wirklich erreicht werden.

KTF-Urteil erschwert die Finanzierung

“In Summe halten wir die H2-Ziele für sehr ambitioniert, aber grundsätzlich realisierbar”, sagt Johanna Reichenbach von Frontier Economics. Inwieweit aber noch signifikante Fördermittel aus dem Bundeshaushalt bereitgestellt werden können, sei nach dem jüngsten Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klima- und Transformationsfondsgesetz “sehr offen”. “Insofern ist die Zielerreichung für den Moment sicher weniger wahrscheinlich geworden“, sagt Reichenbach.

Auf europäischer Ebene machten Anfang der Woche mehrere Unternehmen Druck, damit die EU zusätzliche Fördermittel für die Wasserstoffwirtschaft bereitstellt. Existierende Fonds reichten nicht aus, um den Mangel an privaten Investitionen auszugleichen, schrieben unter anderem die Chefs der deutschen Firmen Sunfire, BayWa r.e. und Enapter in einer gemeinsamen Erklärung.

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte dagegen am Montag zunächst keine neuen Finanzmittel an, sondern die zweite Ausschreibung der Europäischen Wasserstoffbank, die im Frühjahr startet. Im brasilianischen Bundesstaat Piaui solle außerdem durch EU-Mittel mit zehn Gigawatt eine der weltgrößten Erzeugungsanlagen für grünen Wasserstoff und Ammoniak entstehen, die an einem Terminal auf der kroatischen Insel Krk anlanden sollen. Zum Vergleich: Zehn Gigawatt entspricht dem Ziel der Bundesregierung für die gesamte Leistung inländischer Elektrolyseure im Jahr 2030.

Nationale Umsetzung soll Streitpunkte regeln

Was die deutsche Wirtschaft aber mindestens ebenso sehr umtreibt wie die Finanzierungsfrage, ist die Umsetzung der RED III in nationales Recht. Dies werde in den kommenden Monaten ein Schwerpunkt der Verbandsarbeit, heißt es beim BDI. Strittig sind gleich mehrere Punkte:

  • Theoretisch könnte die Bundesregierung höhere Wasserstoffquoten für Industrie und Verkehr vorschreiben als die EU.
  • Für Raffinerien wird es auch von nationalen Detailregelungen abhängen, ob der eingespeiste grüne Wasserstoff bei der Herstellung von fossilen Kraftstoffen auf die Quote für den Verkehr oder für die (Chemie-)Industrie angerechnet wird.
  • Die Kriterien für grünen Wasserstoff aus den Delegierten Rechtsakten der EU dürfen nach Ansicht des BDI nicht verschärft werden. Die Stiftung Umweltenergierecht sieht laut einer aktuellen Studie außerdem zahlreiche Rechtsunsicherheiten durch den Rechtsakt selbst.

Umgesetzt werden die nationalen Regelungen durch Novellen des Immissionsschutzrechts. Die Novelle des Bundesimmissionsschutzgesetzes (BImSchG) will die Bundesregierung dem Vernehmen nach Anfang nächsten Jahres anpacken. Die Kriterien für grünen Wasserstoff aus dem Delegierten Rechtsakt werden in der 37. BImSchV umgesetzt, zu der es bereits Entwürfe, aber noch keinen Beschluss gibt.

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News

Europaparlament für E-Fuels bei Lkw

Das Europaparlament hat in seiner Position zu den CO₂-Flottengrenzwerten von schweren Nutzfahrzeugen ein Fenster für CO₂-neutrale Kraftstoffe geöffnet. Zum einen will sich das Parlament in den Verhandlungen mit dem Rat für eine Formulierung im Rechtstext einsetzen, die eine Definition von CO₂-neutralen Kraftstoffen vornimmt. Zum anderen will das Parlament die Kommission verpflichten, ein Jahr nach Veröffentlichung des Rechtsaktes eine Methodik zur Registrierung von Fahrzeugen vorzulegen, die ausschließlich mit CO₂-neutralen Kraftstoffen betrieben werden.

Diese beiden Änderungen gegenüber dem Beschluss des Umweltausschusses (ENVI) setzten Abgeordnete von Christdemokraten, Konservativen und Teilen von Liberalen durch. Sie beschlossen zudem als Position des Parlaments eine schwächeres 2035-Ziel bei den CO₂-Flottengrenzwerten. Der ENVI wollte, dass die CO₂-Flottengrenzwerte 2035 um 70 Prozent niedriger ausfallen als 2019. Das Plenum hat nun den Wert von 65 Prozent beschlossen. Die Ziele für 2030 von minus 40 Prozent und 2040 von minus 90 Prozent wurden beibehalten.

Ein sogenannter Carboncorrection Factor, der die Anrechenbarkeit von klimaneutralen Kraftstoffen auf die CO₂-Flottenregulierung gebracht hätte, scheiterte bei der Abstimmung im Plenum. Das Parlament will sich aber im Trilog dafür stark machen, dass der Wasserstoffverbrennungsmotor akzeptiert wird. mgr

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NZIA: EU-Parlament bereit für den Trilog

Die Verhandlungen zwischen den EU-Institutionen über den Rechtsakt zur Förderung klimafreundlicher Industrien werden voraussichtlich am 17. Dezember beginnen. Das Europaparlament beschloss am Dienstag wie erwartet seine Position zum Net-Zero Industry Act (NZIA). Die Mitgliedstaaten wiederum wollen ihre eigenen Forderungen beim Wettbewerbsfähigkeitsrat am 7. Dezember festzurren. Anschließend kann der Trilog beginnen, der rechtzeitig vor der Europawahl im Juni abgeschlossen werden soll.

Die Abgeordneten stimmten gestern im Plenum ohne Änderungen dem Kompromiss zu, den Berichterstatter Christian Ehler (CDU) im Industrieausschuss ausgehandelt hatte. Wichtigste Änderung zum ursprünglichen Vorschlag der EU-Kommission und zugleich absehbar Hauptstreitpunkt im Trilog: die deutliche Ausweitung der Technologiesektoren, die von den Fördermaßnahmen profitieren sollen. Dazu zählen neben unstrittigen Bereichen wie Solar, Wind oder Wärmepumpen auch “Kernspaltungs- und Fusionsenergietechnologien”. Der Grünen-Abgeordnete Michael Bloss kritisierte: “Der Schritt in die Vergangenheit weicht den Green Deal auf.” tho

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CO₂-Entnahmen: Parlament beschließt Position

Das EU-Parlament hat mit 448 Stimmen dafür, 65 dagegen und 114 Enthaltungen den Bericht für einen EU-Zertifizierungsrahmen für technologischen und natürlichen CO₂-Abbau angenommen. Der Gesetzesrahmen soll CO₂-Entnahmen zum Erreichen der Klimaziele fördern, Vertrauen bei der Industrie erhöhen und Greenwashing verhindern.

Während die EU-Kommission in ihrem Vorschlag noch allgemein von “Carbon Removals” sprach, will das Parlament eine differenzierte Betrachtung der unterschiedlichen Möglichkeiten der CO₂-Entnahmen. Direkte Emissionsreduktionen sollen gegenüber dem CO₂-Abbau Vorrang haben. Nur die dauerhafte geologische Speicherung von atmosphärischem oder biogenem CO₂ für mehrere Jahrhunderte (CCS) oder dauerhaft gebundene Kohlenstoffmineralisierung sollten als permanente CO₂-Entnahme betrachtet werden.

Kohlenstoffbindungen oder CO₂-Reduktionen im Zusammenhang mit der Umstellung der Landbewirtschaftung oder Tierfütterung, die der Atmosphäre für mindestens fünf Jahren CO₂ entziehen, gelten als Carbon Farming und somit nicht als permanent entfernte CO₂-Mengen. CO₂-Speicherung in Produkten (CCU), beispielsweise in Holz oder Baumaterialien, soll nur zertifiziert werden, wenn das CO₂ mindestens fünf Jahrzehnte lang gespeichert wird. Die Mitgliedstaaten haben ihre Position ebenfalls bereits gefunden. Die Trilog-Verhandlungen sollen noch im November starten. luk

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Recht auf Reparatur: Parlament bereit für Verhandlungen

Das EU-Parlament in Straßburg hat gestern in Straßburg sein Verhandlungsmandat zu einem verstärkten “Recht auf Reparatur” angenommen. Die Richtlinie soll einen nachhaltigen Konsum stärken, indem die Reparatur fehlerhafter Waren vereinfacht, Abfall reduziert und die Reparaturbranche gefördert wird.

Der Entwurf von Berichterstatter René Repasi (S&D) schärft den Vorschlag der EU-Kommission. Er will Verkäufer während der gesetzlichen Garantiezeit verpflichten, zu reparieren anstatt zu ersetzen, wenn eine Reparatur gleich viel oder weniger kostet – es sei denn, die Reparatur ist nicht machbar oder für den Verbraucher ungünstig. Die Abgeordneten schlagen zudem vor, die gesetzliche Garantiezeit um ein Jahr ab dem Zeitpunkt der Reparatur zu verlängern.

Erstes Trilog-Treffen für Anfang Dezember geplant

“Die Leute wollen die Lebensdauer ihrer Geräte verlängern, aber das ist oft zu kostspielig oder schwierig. Nun reagieren wir auf diese Forderungen”, erklärte Repasi. Verbraucherinnen und Verbraucher sollen das Recht erhalten, für Geräte wie Waschmaschinen, Staubsauger und Smartphones sowie für Fahrräder auch nach Ablauf der Garantiezeit eine Reparatur zu verlangen. Damit Reparieren attraktiver wird als Ersetzen, sollen Hersteller für die Dauer der Reparatur Leihgeräte zur Verfügung stellen. Kann ein Produkt nicht mehr repariert werden, könnte stattdessen ein bereits repariertes Produkt angeboten werden.

Online-Plattformen sollen eine Übersicht über Reparaturbetriebe und Verkäufer überholter Waren in der Nähe bieten. Die Abgeordneten schlagen außerdem vor, über nationale Reparaturfonds Gutscheine und andere finanzielle Anreize bereitzustellen, um Reparaturen erschwinglicher und attraktiver zu machen.

Der Rat wird seine Verhandlungsposition voraussichtlich am heutigen Mittwoch festlegen. Danach können die Verhandlungen mit dem Parlament beginnen. Ein erstes Treffen ist für den 7. Dezember geplant. leo

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Bundeshaushalt: Kommission beobachtet Situation

Die EU-Kommission hält sich zurück mit Einschätzungen zur Haushaltskrise in Deutschland, ausgelöst durch das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts. “Wir beobachten die Situation und stehen in Kontakt mit den deutschen Behörden”, sagte Vizepräsident Valdis Dombrovskis am Dienstag. Man werde erst mehr zu den Folgen des Urteils sagen können, wenn die Bundesregierung sich äußere, wie sie auf das entstandene Haushaltsloch reagieren wolle.

Die Karlsruher Richter hatten am Mittwoch entschieden, dass die Übertragung nicht genutzter Corona-Kredite auf den Klima- und Transformationsfonds (KTF) in Höhe von 60 Milliarden Euro verfassungswidrig war. Das Bundesfinanzministerium stellte daraufhin am Montag und Dienstag alle Ausgaben in diesem Jahr aus dem KTF und dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) unter Genehmigungsvorbehalt. Auch weite Teile des Bundeshaushalts 2023 sind von der Haushaltssperre betroffen. Kanzler Olaf Scholz, Vizekanzler Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner verhandeln nun fieberhaft über Auswege aus der Krise.

Festhalten an Milliardensubventionen

Scholz zeigte sich zuversichtlich, dass die geplanten zehn Milliarden Euro an Subventionen für den Bau einer Chipfabrik von Intel in Magdeburg weiter fließen können. “Wir wollen die Modernisierung unserer Volkswirtschaft weiter vorantreiben und da gehören Halbleiter und die Halbleiterindustrie dazu“, sagte der SPD-Politiker auf dem Digital-Gipfel in Jena.

Die Kommission legte am Dienstag ihre Einschätzungen zu den Budgetentwürfen der 27 Mitgliedstaaten im Rahmen des Europäischen Semesters vor. Die Folgen des Urteils aus Karlsruhe für den Bundeshaushalt sind darin aber noch nicht berücksichtigt. tho

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Ukraine-Beitritt: Michel erwartet “schwierigen” EU-Gipfel

EU-Ratspräsident Charles Michel und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj haben Hoffnungen auf einen raschen EU-Beitritt der Ukraine gedämpft. Michel sagte, er rechnet mit einem “schwierigen” EU-Gipfel im nächsten Monat, bei dem es um die Aufnahme formeller Beitrittsgespräche mit der Ukraine gehen wird. Ein Dissens unter den EU-Staaten in dieser Frage würde ein Fragezeichen hinter weitere finanzielle Hilfen für sein Land und die Sanktionen gegen Russland setzen, warnte Selenskyj. Michel äußerte sich verhalten optimistisch. Er bezeichnete die Reform-Fortschritte der Ukraine als “bemerkenswert” und betonte, er werde alles tun, um die 27 EU-Staaten zur Zustimmung zu bewegen.

Das ukrainische Parlament stimmte am Dienstag mehreren wichtigen Gesetzentwürfen zur Korruptionsbekämpfung vorläufig zu, die von Brüssel empfohlen worden waren. Zu den Maßnahmen gehören die Aufstockung des Personals des Nationalen Antikorruptionsbüros der Ukraine und die Stärkung der Sicherheitsvorkehrungen für den Antikorruptionsstaatsanwalt. Eine zentrale Herausforderung für den EU-Beitritt der Ukraine sind die Fortschritte bei der Korruptionsbekämpfung.

Deutschland sagt weitere Militärhilfen zu

Unabhängig von Michel war am Dienstag auch der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) nach Kiew gekommen. Er sagte der Ukraine bei seinem Besuch weitere Militärhilfen in Höhe von 1,3 Milliarden Euro zu. Darin enthalten sei ein neues Iris-T-System für die Flugabwehr, 20.000 Schuss Artillerie-Munition und Anti-Panzer-Minen, kündigte Pistorius an. 

Michel und Pistorius besuchten Kiew anlässlich des zehnten Jahrestages des Beginns der Maidan-Proteste, in deren Folge der damalige prorussische Präsident Wiktor Janukowytsch abtreten musste und das Land auf einen prowestlichen Kurs einschwenkte. rtr

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Keine Hinweise auf Missbrauch von EU-Hilfe durch Hamas

Eine Überprüfung von EU-Entwicklungshilfe für die Palästinenser hat nach Angaben der EU-Kommission bisher keine Anzeichen für einen Missbrauch durch die Terrororganisation Hamas ergeben. “Bislang wurden keine Hinweise darauf gefunden, dass Gelder zweckentfremdet wurden”, teilte die Kommission am Dienstag mit. Nach Angaben der Behörde wurden Verträge mit Nichtregierungsorganisationen und der Palästinensischen Autonomiebehörde überprüft. Humanitäre Hilfe war von der Überprüfung ausgeschlossen. Darunter fallen in der Regel Not- und Soforthilfen, wie etwa Lieferungen von Medikamenten und Nahrung.

Nach dem Hamas-Angriff auf Israel am 7. Oktober hatte die Kommission angekündigt, Hilfen zu überprüfen. Dabei hatte der zuständige EU-Kommissar Olivér Várhelyi zunächst eine Kontrolle der EU-Entwicklungshilfen für die Palästinenser angekündigt und mitgeteilt, alle Zahlungen würden sofort ausgesetzt. Später hieß es dann, es sei zwar tatsächlich vereinbart worden, keine Gelder auszuzahlen, bis eine Überprüfung der Hilfen abgeschlossen sei. Es hätten aber auch keine Zahlungen angestanden.

Infrastukturprojekte nicht durchführbar

Es ging darum, ob Gelder von der islamistischen Hamas abgezweigt oder zur Aufstachelung zu Gewalt und Hass verwendet wurden. Nach Angaben der Kommission wurde bei knapp neun von zehn Verträgen nichts gefunden. In den übrigen Fällen forderte sie zusätzliche Informationen von den Partnerorganisationen vor Ort an.

Sieben Programme im Wert von rund 75 Millionen Euro seien derzeit nicht durchführbar. “Dabei handelt es sich im Wesentlichen um die Infrastruktur im Gazastreifen, wo weitere Investitionen in der derzeitigen Situation einfach nicht möglich sind”, sagte ein hochrangiger Kommissionsbeamter. Das Geld soll umgewidmet werden. Die Kommission betonte, dass es aufgrund der Überprüfung zu keinen Verzögerungen bei den Zahlungen kam. dpa

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Presseschau

Bericht der EU-Kommission: Schärfere Auflagen für Palästinenser-Hilfen geplant TAGESSPIEGEL
EU-Ratspräsident in Kiew – Michel: Entscheidung über Aufnahme von Beitrittsgesprächen wird schwierig DEUTSCHLANDFUNK
Selenskyj: EU-Beitrittsverhandlungen wären Motivation ORF
EU-Parlament für “Recht auf Reparatur” ZFK
EU-Parlament will CO2-Ausstoß von Bussen und Lastwagen senken ZFK
Lagarde: Inflationsgefahr noch nicht überstanden DEUTSCHLANDFUNK
EU-Parlament stimmt über Anti-China-Gesetz ab EURACTIV
Die EU-Defizitverfahren kommen 2024 zurück FAZ
Streit um EU-Milliardenhilfe: Brüssel und Polen kommen sich näher TAGESSCHAU
EU-Pflanzenschutzverordnung: Hitzige Debatte im Parlament AGRAR HEUTE
Entscheidung heute – Landwirte laufen Sturm: Muss der Pestizideinsatz in der EU bald halbiert werden? RND
NGOs fechten Wiederzulassung von Glyphosat vor EU-Gericht an DER STANDARD
Australian farmers back EU decision to extend approval of controversial herbicide glyphosate THE GUARDIAN
Warum das EU-Chile-Abkommen Mustern neo-kolonialer Ausbeutung folgt FR
Orbán provoziert EU mit antisemitischem Plakat – mit Soros und von der Leyen T-ONLINE
Lula will EU-Mercosur-Abkommen noch in diesem Jahr abschließen RP-ONLINE
EU-Wettbewerbshüter durchsuchen erneut Büros von Delivery Hero HANDELSBLATT
KI-Gesetz: EU-Abgeordnete diskutieren KI-Kontrollgremien EURACTIV
EU-Versicherungsaufsicht fordert mehr Befugnisse HANDELSBLATT
Impfstoffentwickler: EU-Patentamt erklärt Moderna-Patent für nichtig HANDELSBLATT
Elektroautos überholen erstmals Diesel bei Neuzulassungen in EU FUTUREZONE
Huawei warns EU “cannot succeed alone” after network bans EURACTIV

Standpunkt

Schwächen im ESG-Reporting: Kontrolle ist besser

Von Michael Goldhaber, Stéphane Brabant und Daniel Schönfelder
Michael Goldhaber ist Senior Research Scholar an der NYU, Stéphane Brabant ist Rechtsanwalt in Paris, Daniel Schönfelder ist für das Responsible Contracting Project tätig.

Die EU steht kurz vor einem historischen politischen Erfolg. Sie könnte im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte globale Standards setzen, wie dies die USA 1977 mit dem Foreign Corrupt Practices Act bei der Korruptionsbekämpfung taten. Notwendig ist dafür aber, dass die EU ihre ambitionierten Entwürfe für ein EU-Lieferkettengesetz (Corporate Due Diligence Directive, CSDDD) auf der Zielgrade nicht erheblich verwässert. Lobbyisten haben bereits sowohl den Entwurf der Kommission als auch den Entwurf des Rats abgeschwächt. Außerdem gibt es noch weitergehende Änderungswünsche der Lobby für den vorgeschlagenen regulatorischen Rahmens für Menschenrechtsschutz in Lieferketten.

US-Regierung drängt auf Ausnahmen für eigene Unternehmen

So drängt US-Finanzministerin Janet Yellen die EU, Unternehmen mit Hauptsitz außerhalb der Gemeinschaft von den Pflichten auszunehmen. Zudem fordert der Vorsitzende des International Sustainability Standards Board, Emmanuel Faber, Europa auf, das verwandte Gesetz zur Berichterstattung über die Nachhaltigkeit so einzuschränken, dass die Unternehmen nicht mehr alle Risiken für Mensch und Umwelt melden müssen. Wenn sich Yellen und Faber durchsetzen sollten, wären die Folgen fatal, denn das EU-System für Wirtschaft und Menschenrechte würde nur die Anteilseigner selbst schützen und US-Firmen, die in Europa Geschäfte machen, einen Freifahrtschein geben.

Die vor einem Jahr verabschiedete EU-Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen zwingt alle in Europa tätigen Firmen – darunter etwa 4000 mit Hauptsitz außerhalb der EU – dazu, öffentlich über alle wesentlichen Nachhaltigkeitsrisiken zu berichten. Zu Fabers Bestürzung hat Europa einen neuen Ansatz der “doppelten Wesentlichkeit” eingeführt. Demnach müssen Unternehmen über jedes Nachhaltigkeitsrisiko berichten, das entweder für die Anteilseigner des Unternehmens oder für die Menschen und den Planeten von Bedeutung ist. Faber bevorzugt dagegen den alten Ansatz der “finanziellen Wesentlichkeit”. Demnach müssen Unternehmen Nachhaltigkeitsrisiken nur melden, wenn sie den finanziellen Wert des Unternehmens für seine Anteilseigner gefährden.

Alte Methode verhindert Wirksamkeit von ESG-Investitionen

Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass genau dies Fortschritte durch ESG behindert. Das belegt ein neuer Bericht des NYU Stern Center for Business and Human Rights zur Wirkungsweise der finanziellen Wesentlichkeit. Demnach behindert eine Vorgehensweise nach der alten Methode, dass das System von Investitionen auf der Grundlage von Umwelt-, Sozial- und Governance-Kriterien (ESG)  Wirkung entfaltet.

Denn die meisten aktuellen ESG-Rahmenwerke bewerten, wie Umwelt- oder Sozialrisiken den Unternehmen schaden können, und nicht, wie Unternehmen der Welt schaden können. Das ist kontraproduktiv, denn Unternehmen schaden oft der Umwelt oder der Gesellschaft, ohne gleichzeitig ihren Anteilseignern zu schaden. So können Unternehmen sich umweltschädigend verhalten, wenn es profitabel ist – und wenn die rechtlichen oder reputationsbezogenen Konsequenzen nicht vorhanden oder überschaubar sind. Unmoral im Geschäftsleben kann gewinnbringend, legal und skandalfrei sein. Manches Fehlverhalten ist sogar so profitabel, dass es für ein Unternehmen finanziell rational sein kann, Skandale und rechtliche Sanktionen in Kauf zu nehmen. Unternehmen, die sich schädlich verhalten, können versuchen, sich vor der Rechenschaftspflicht zu schützen, indem sie Lobbyarbeit betreiben und Prozesse führen, um das Regelwerk zu schwächen, in Länder mit geringer Regulierung abwandern oder Aufgaben auslagern, bei denen es zu Arbeits- und Menschenrechtsverletzungen kommen kann.

Berichterstattung von Unternehmen ist unzureichend für nachhaltige Entwicklung

Daher kann die Kopplung von ESG an die finanzielle Wesentlichkeit Unternehmen belohnen, die sich vor den rechtlichen Konsequenzen drücken. Auch ihre Reputation muss nicht zwingend leiden: Wo Medien und die Zivilgesellschaft schwach sind, kommen Skandale selten ans Licht. Und selbst wenn Skandale ans Tageslicht kommen, wissen viele Kunden und Arbeitnehmer nichts von ethischen Fragen oder interessieren sich nicht dafür. Ein Bedarf an neuen regulatorischen Mechanismen wie dem EU-Lieferkettengesetz entsteht, wenn die Unternehmen nicht durch den bestehenden rechtlichen oder marktwirtschaftlichen Druck diszipliniert werden, über die Kosten, die sie Mensch und Umwelt auferlegen, Rechenschaft abzulegen.

Unternehmensberichterstattung alleine ist noch kein derartiger Rechenschaftsmechanismus. Die Theorie hinter der Nachhaltigkeitsberichterstattung besteht darin, Investoren mit den Daten auszustatten, die sie benötigen, um Unternehmen zu disziplinieren. Bedauerlicherweise kommt der NYU-Bericht zu dem Schluss, dass viele ESG-Fonds in ihrer Rolle als wirksame Kontrolleure versagen. ESG-Ratings sind sogar so inkohärent, dass die Unternehmen nicht wissen, welches Verhalten sie fördern oder verhindern. Einige führende US-amerikanische ESG-Fonds sind praktisch nicht von Marktindizes zu unterscheiden und enthalten große Anteile problematischer Aktien. Damit die ESG-Investoren tatsächlich wirksam werden könnten, schlägt der NYU-Bericht einige Reformen vor.

Diese wichtige Regulierung kann derzeit nur die EU vollbringen

Weil die meisten ESG-Investoren versagen, wenn es darum geht, freiwillig Nachhaltigkeitsdaten sinnvoll zu nutzen, braucht es einen verpflichtenden Ansatz im Bereich ESG. Das EU-Lieferkettengesetz würde die Unternehmen dazu zwingen, einen riesigen Schritt über die letztjährige Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung hinauszugehen: Sie müssten nicht nur über Umwelt- und Sozialrisiken berichten, sondern sie auch in ihrer globalen Wertschöpfungskette durch effektive Maßnahmen adressieren. Ein starkes Lieferkettengesetz würde die Unternehmen also gewissermaßen dazu zwingen, Nachhaltigkeitsdaten endlich sinnvoll zu nutzen. Das hätte revolutionäres Potenzial für die Verbesserung der natürlichen und sozialen Lebensgrundlagen – wenn es richtig gemacht wird.

Das Gesetz muss global anwendbar sein, weil der Schutzbedarf in den Wertschöpfungsketten global ist. Wird das Gesetz nicht auch auf Unternehmen angewendet, die Waren oder Dienstleistungen in die EU liefern, entstände für Unternehmen ein Anreiz, ihren Hauptsitz in ein Land mit schwacher Regulierung zu verlegen. Das würde nicht nur der Sache an sich, sondern Europa auch noch ökonomisch schaden.

Diese wichtige Regulierungsaufgabe fällt Europa zu, da die USA in diesem Bereich höchstens eine lückenhafte Unternehmensberichterstattung vorschreiben werden und hoffen, dass ESG-Investoren ihre Arbeit tun. Die EU ist der einzige Player, der im Jahr 2023 einen globalen Menschenrechtsschutz in Wertschöpfungsketten durchsetzen kann, so wie die USA im Jahr 1977 der einzige Akteur waren, der eine globale Korruptionsbekämpfung durchsetzen konnte.

Race to the Top in Gang setzen

Wie damals bei der Korruptionsbekämpfung könnte eine jetzige EU-Lieferkettenregulierung einen sich selbst verstärkenden, positiven Kreislauf schaffen. Ein wirksames EU-Lieferkettengesetz würde für globale Unternehmen einen Anreiz darstellen, hohe ESG-Standards einzuhalten, um den Zugang zum EU-Markt zu erhalten. Gleichzeitig könnte sie andere Länder unter Druck setzen, ähnliche Vorschriften einzuführen, um für multinationale Unternehmen attraktiv zu bleiben, die sich an europäische Regelwerke halten müssen. Der “Brüssel Effekt” des Marktortsprinzips würde einen erheblichen Anreiz für Unternehmen und Staaten weltweit darstellen, Menschenrechte und Umwelt stärker zu schützen, um den Anschluss an einen der größten Binnenmärkte der Welt nicht zu verlieren. Ähnliches ist bei der EU-Regulierung im digitalen Bereich zu beobachten. So könnte Brüssel ein “Race to the Top” in Gang setzen, was zu einer gerechteren Weltwirtschaft führen könnte. Diese Chance sollte sich die EU nicht entgehen lassen.

Michael Goldhaber ist Senior Research Scholar am NYU Stern Center for Business and Human Rights und Autor des Berichts “Making ESG Real: A Return to Values-Driven Investing.

Stéphane Brabant ist Rechtsanwalt in Paris und Senior Partner bei Trinity International AARPI in Paris, spezialisiert auf Unternehmen und Menschenrechte.

Daniel Schönfelder ist als European Legal Advisor für das Responsible Contracting Project tätig und wirkt als Jurist in einem Großkonzern an der Umsetzung des deutschen Lieferkettengesetzes mit.

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  • Lieferkettengesetz

Europe.Table Redaktion

EUROPE.TABLE REDAKTION

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    Liebe Leserin, lieber Leser,

    heute stimmen die Europaabgeordneten gegen Mittag über einen Text ab, mit dem sie ihre Position zur Reduzierung von Pestiziden festlegen. Es ist einer der umstrittensten der sechs Texte zum Green Deal, die diese Woche auf dem Programm der Plenarsitzung stehen.

    Dieser Text – im Brüsseler Jargon unter SUR bekannt – wurde seinerzeit vom ehemaligen EU-Klimakommissar und Green-Deal-Chef, Frans Timmermans, verteidigt. Er argumentierte, dass ein gesunder Boden eine bessere Absorption von Treibhausgasemissionen ermöglicht. Inzwischen hat er die europäische politische Bühne für die nationale Arena verlassen. Und wie es der Zufall will, sind auch die niederländischen Wähler heute an die Urnen gerufen – und stimmen für oder gegen das, was Timmermans vertritt. Wie die Abstimmung über den Einsatz von Pestiziden im Europäischen Parlament ist der Ausgang der nationalen Wahl ungewiss.

    Die Verbindung zwischen diesen beiden Abstimmungen ist die zunehmende politische Bedeutung der Landwirte, die mit der homerischen Schlacht um den Text zur Wiederherstellung der Natur begonnen hat. In den kommenden Monaten vor den Europawahlen dürfte sich dieser Trend weiter festigen.

    Ob SUR heute angenommen wird, das ist für Beobachter noch unklar. Denn auch innerhalb der einzelnen Fraktionen gibt es dazu kein einheitliches Bild. Obwohl die politische Debatte um den Text zur Reduzierung des Pestizideinsatzes nicht so heftig war wie jene zur Wiederherstellung der Natur, birgt das Thema Pestizidreduzierung Sprengstoff. Wie beispielsweise bei der Definition von empfindlichen ökologischen Gebieten.

    Anders als es bei der Renaturierung der Fall war, hat die EVP dieses Mal aber nicht versucht, den Text zu versenken, erklärt man auf den Korridoren des Parlaments in Straßburg. Dies liegt daran, dass der neue Vorschlag mit einem anderen Text verknüpft ist, der ebenfalls verhandelt wird: dem über neue Genomtechniken, bekannt unter dem Kürzel NGT (für “New Genomic Techniques”), der von den Konservativen positiv gesehen wird. Mit anderen Worten: Ein Ja zur Reduzierung von Pestiziden, insbesondere seitens der Konservativen, würde die Türen für diese neuen Technologien noch weiter öffnen.

    Wenn das Parlament mit Ja stimmt, muss anschließend der Rat noch die allgemeine Ausrichtung annehmen. Das wird voraussichtlich am 11. Dezember der Fall sein. Erst dann können die Trilogverhandlungen beginnen. Es muss also schnell gehen, damit die Verhandlungen vor dem Ende des Mandats abgeschlossen werden können. Dies setzt politischen Willen voraus. Eine besondere Herausforderung angesichts der bevorstehenden Europawahlen.

    Eine angenehme Lektüre wünsche ich Ihnen.

    Ihre
    Claire Stam
    Bild von Claire  Stam
    • Europäisches Parlament
    • Landwirtschaft
    • Pestizidreduktion

    Analyse

    Parlament und Rat streiten über EU-Reform

    Die Debatte über eine künftige EU-Reform nimmt Fahrt auf. Zwei Wochen nach der Empfehlung der EU-Kommission, Beitrittsgespräche mit der Ukraine und Moldau aufzunehmen, will das Europaparlament heute in Straßburg einen großen Aufschlag machen und einen Reformkonvent fordern. Die Mitgliedsstaaten lehnen einen solchen Konvent mehrheitlich ab. Und stellen dagegen die Handlungsfähigkeit ins Zentrum.

    Einig ist man sich bisher nur darin, dass die EU an Haupt und Gliedern reformiert werden soll. Es gehe darum, die Union “fit for 35” zu machen, also auf bis zu 35 Mitglieder vorzubereiten, heißt es im Umfeld von EU-Ratspräsident Charles Michel. Ohne tiefgreifende Änderungen beim Stimmrecht, beim Gemeinschaftsbudget oder bei der Agrarpolitik drohe der erweiterten EU nicht nur akuter Geldmangel, sondern auch Handlungsunfähigkeit.

    Belgien will “Roadmap” für EU-Reform erarbeiten

    Doch wie könnten diese Änderungen aussehen, und wie sollen sie auf den Weg gebracht werden? Eine Antwort soll die kommende belgische EU-Ratspräsidentschaft geben. Das Land übernimmt zum 1. Januar den Ratsvorsitz. Man wolle eine “Roadmap” für die EU-Reform erarbeiten, sagte der Ständige Vertreter Belgiens bei der EU, Botschafter Willem van de Voorde, bei einer Veranstaltung der Europa-Union in Brüssel. Bis Ende Juni 2024 soll zudem ein Rahmenprogramm für die nächste EU-Kommission stehen.

    Hinter den Kulissen haben bereits intensive Beratungen begonnen. So empfing Michel die Staats- und Regierungschefs aus Deutschland, Belgien, Österreich, Ungarn, Griechenland, Zypern und Litauen am 13. November zu Gesprächen im Berliner Kanzleramt, um über die Weiterentwicklung der EU zu beraten. Auch beim letzten Allgemeinen Rat in Brüssel stand die Reform auf der Tagesordnung.

    Die Europaminister diskutierten über Vorschläge einer deutsch-französischen Expertengruppe, aber auch über die geplante belgische “Roadmap”. “Wir brauchen eine Roadmap für Reformen. EU-Erweiterung und EU-Reformen müssen Hand in Hand gehen”, erklärte die deutsche Europa-Staatsministerin Anna Lührmann (Grüne). Im Mittelpunkt müsse die Handlungsfähigkeit stehen, betonte sie.

    Staaten reden über Kohäsions- und Agrarpolitik

    Neben den Dauerbrennern Rechtsstaat und “QMV” (“Qualified Majority Voting”, also Abschaffung des Vetorechts) diskutiert der Rat über die Frage, wie das Gemeinschaftsbudget auf bis zu 35 Mitgliedsländer eingestellt werden könnte. Auch die Zukunft der Kohäsions- und der Agrarpolitik ist ein Thema. Als Grundlage der Beratungen dient die Erklärung von Granada. Darin hatten sich die 27 Anfang Oktober zur Erweiterung bekannt.

    “Die Erweiterung ist eine geostrategische Investition in Frieden, Sicherheit, Stabilität und Wohlstand”, erklärten die Staats- und Regierungschefs. Allerdings müssten sowohl die EU als auch die künftigen Mitgliedstaaten bereit sein. Die beitrittswilligen Länder sollten ihre Reformanstrengungen verstärken. Parallel dazu müsse die Union für die notwendigen internen Grundlagen und Reformen sorgen.

    Von einer Vertiefung der EU war in Granada ebenso wenig die Rede wie von ihrer Demokratisierung oder mehr Bürgerbeteiligung. Die 2022 abgeschlossene Konferenz zur Zukunft der EU und ihre auf Bürgerpanels erarbeiteten 49 Reformvorschläge wurden nicht einmal erwähnt. Dies ruft nun das Europaparlament auf den Plan.

    Parlament will wohl Reformkonvent

    Die Abgeordneten wollen am Mittwoch in einer Resolution einen Konvent zur Änderung der EU-Verträge fordern. Grundlage ist ein Bericht des Verfassungsausschusses, an dem vier Deutsche mitgearbeitet haben: Sven Simon (CDU), Gabriele Bischoff (SPD), Daniel Freund (Grüne) und Helmut Scholz (Linke). “Der Parlamentsbericht ist als formelle Aufforderung an den Rat gedacht, einen Reformkonvent und Vertragsänderungen einzuleiten“, sagte CDU-Experte Simon Table.Media. Dies sei nach Artikel 48 des EU-Vertrags nicht nur möglich, sondern auch geboten.

    Simon äußerte sich kritisch zum Vorgehen der Bundesregierung. Es sei ein “nicht nachvollziehbarer Fehler”, dass sich die Ampel bei ihren Reformplänen vor allem auf ein deutsch-französisches Expertenpapier stütze. Die darin enthaltenen Empfehlungen blieben weit hinter den Erfordernissen zurück. Es gehe nicht nur um die Handlungsfähigkeit der Union, sondern auch um die Stärkung des Europaparlaments und der Demokratie.

    “Regierung” statt Kommission

    “Wir wollen das Spitzenkandidaten-Prinzip bekräftigen und die Fehler von 2019 vermeiden. Der Kommissionspräsident soll daher in Zukunft auf Vorschlag des Parlaments gewählt werden“, sagte Simon. “Der oder die Kandidatin muss sich dabei auf eine Mehrheit der Abgeordneten stützen. Das Verfahren wollen wir vor der Wahl in einer interinstitutionellen Vereinbarung mit dem Rat festschreiben.”

    Ähnlich äußerte sich der Grünen-Abgeordnete Freund. Die Kommission solle stärker vom Parlament und damit von den Wählerinnen und Wählern gewählt werden und “Regierung” heißen. Statt 27 Kommissaren solle es künftig nur noch 14 geben, die die Präsidentin dem Parlament vorschlage. “Wir stehen vor einem historischen Schritt für Europa. Vertragsänderungen werden die europäische Demokratie stärker und widerstandsfähiger machen”, so Freund.

    Das Parlament fordert zudem ein Initiativrecht für EU-Gesetze und die Möglichkeit, über das nächste Sieben-Jahres-Budget als gleichberechtigter Gesetzgeber mitzubestimmen. Außerdem spricht es sich –  wie der Rat – für eine Ausweitung der Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit aus. Dies ist jedoch bisher die einzige große Gemeinsamkeit zwischen den Institutionen. Über alle anderen Fragen der EU-Reform droht Streit.

    • Demokratie
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    • Europäisches Parlament
    • Europawahlen 2024
    Translation missing.

    EU-Sorgfaltspflichtengesetz: Langsame Annäherung

    Kaum ein Gesetzgebungsverfahren wird derzeit mit solcher Spannung beobachtet wie das europäische Sorgfaltspflichtengesetz (Corporate Sustainability Due Diligence Directive, kurz: CSDDD). Am heutigen Mittwoch findet der nächste politische Trilog statt, das hochrangige Treffen der Verhandler aus EU-Parlament, Rat und Kommission. Nach den Terminen im Juni, Juli und September ist es der vierte Trilog. Eine finale Einigung wird allerdings nicht erwartet, bei zu vielen Themen liegen die Positionen noch zu weit auseinander.

    Die EU-Kommission hatte im Februar 2022 den Entwurf für das entsprechende Gesetz vorgestellt. Dieser enthält umwelt- und menschenrechtsbezogene Sorgfaltspflichten und verpflichtet große Unternehmen, Klimaübergangspläne zu erstellen. Als Vorbilder dienen das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG), das seit dem 1. Januar 2023 in Kraft ist und das französische “loi de vigilance” aus dem Jahr 2017.

    Einigung über Anwendungsbereich wahrscheinlich

    Beim heutigen Trilog könnten sich die Verhandler laut Informationen von Table.Media über den Anwendungsbereich einigen, der wohl dem Vorschlag der Kommission sehr nah bleiben würde. Nach dem Entwurf soll dieser Anwendungsbereich EU- und ausländische Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten und mehr als 150 Millionen Euro Nettoumsatz jährlich umfassen. Für Unternehmen in Risikosektoren (unter anderem der Textil-, Landwirtschafts- und Rohstoffsektor) soll die Richtlinie schon ab 250 Beschäftigten und mehr als 40 Millionen Euro Nettoumsatz jährlich gelten.

    Dies bedeutet eine starke Ausweitung gegenüber dem deutschen und dem französischen Gesetz, die für Unternehmen ab 3.000 beziehungsweise 5.000 Angestellten gelten. In Deutschland werden ab 2024 Unternehmen ab 1.000 Angestellten unter das Gesetz fallen. Auf viele andere Mitgliedstaaten hat dies kaum Auswirkungen, da die dort ansässigen Unternehmen kleiner sind.

    Nach Angaben einer Quelle im Parlament soll Artikel 25 aus dem Kommissionsentwurf, der eine zusätzliche Sorgfaltspflicht der Mitglieder der Unternehmensleitung vorsieht, beim heutigen Trilog gestrichen werden. Darüber hinaus steht auch die Definition der Sorgfaltspflichten und den Annexen, sowie die Bestimmungen zu einer möglichen Vertragsbeendigung mit den Partnern im Falle negativer Auswirkungen (Artikel 7 und 8) auf der Agenda. Auch über die Definition der Wertschöpfungskette soll gesprochen werden; von Parlamentsseite wird hier jedoch keine Einigung erwartet.

    Keine Lösung für Finanzsektor, Klimapläne und Haftung erwartet

    Für gleich eine ganze Reihe an Themen wird zunächst keine Lösung erwartet, einige davon werden vermutlich heute gar nicht angesprochen. Die spanische Ratspräsidentschaft will laut einem internen Kompromissvorschlag Lösungen finden, die “praxistauglich sind, Rechtssicherheit gewährleisten und keine übermäßigen Kosten für Unternehmen und Verwaltungen verursachen”.

    Dazu gehört unter anderem die noch ungeklärte Frage, ob der Finanzsektor in den Anwendungsbereich einbezogen wird. Während das Parlament und die Kommission entsprechende Sorgfaltspflichten für Finanzinstitute fordern, hält der Rat dagegen. Auf Druck von Frankreich hatten die Mitgliedstaaten bereits in ihrer Allgemeinen Ausrichtung eine Sonderrolle für den Finanzsektor beschlossen. Demnach sollte es jedem Mitgliedstaat selbst überlassen werden, ob Finanzdienstleistungen unter das Gesetz fallen oder nicht.  Das Parlament fordert, die Sorgfaltspflichten auf den nachgelagerten Teil der Wertschöpfungskette von Finanzunternehmen anzuwenden und die Hauptmärkte des Finanzsektors (Investitionen, Banken, Versicherungen) einzubeziehen.

    Die Ratspräsidentschaft schlägt nun vor, aufgrund “des empfindlichen Gleichgewichts, das im Rat in dieser Frage erreicht wurde, und der Schwierigkeiten, einen Kompromiss mit dem Standpunkt des Parlaments zu finden”, den Finanzsektor zunächst komplett aus dem Anwendungsbereich auszuschließen und die Ausweitung auf diesen auf eine spätere Phase zu verschieben. Dafür soll dem Gesetzestext eine Überprüfungsklausel hinzugefügt werden; Rat, Parlament und Kommission sollen eine interinstitutionelle politische Erklärung vereinbaren.

    EZB unterstützt Sorgfaltspflichten für Finanzsektor

    Entgegen dem Standpunkt seiner Parlamentskollegen äußerte Axel Voss (EVP), Schattenberichterstatter für die CSDDD im EU-Parlament, im Gespräch mit Table.Media Verständnis für diese Ausnahme. “Man kann den generellen Ansatz des Lieferkettengesetzes nicht eins zu eins auf den Finanzsektor übertragen, das würde zu großer Unsicherheit führen. Deshalb bräuchte dieser Sektor eigentlich speziellere Vorschriften.”

    Die Europäische Zentralbank (EZB) wiederum unterstützt die Einbeziehung des Sektors. Damit das private Finanzwesen den grünen Wandel in der Realwirtschaft wirksam unterstützen könne, sei eine sektorübergreifend einheitliche Regulierung entscheidend, sagte Frank Elderson, Mitglied des EZB-Direktoriums, vergangene Woche auf einer Konferenz. Den Finanzsektor in den Anwendungsbereich der CSDDD einzuschließen, könne dazu beitragen, dass Banken und andere Finanzinstitute “systematisch Nachhaltigkeitsaspekte in ihre Entscheidungsfindung und ihr Risikomanagement integrieren”. Darüber hinaus entstünde so mehr Sicherheit in Bezug auf die Verpflichtungen und Prozessrisiken des Sektors.

    In der Zivilgesellschaft stößt die Ratsposition auf scharfe Kritik: “Banken und Investoren haben einen Freifahrtschein, um von Menschenrechts- und Umweltschäden zu profitieren“, sagte Aurélie Skrobik, Referentin für Unternehmensverantwortung bei der Menschenrechtsorganisation Global Witness. “Der Missbrauch wird Teil des Geschäftsmodells der Banken bleiben, wenn die EU sich nicht auf ein starkes Gesetz einigt, das den Finanzsektor zwingt, sauberer zu werden.”

    Klimapläne: Spanien schlägt Mittelverpflichtung vor

    Auch die Definition von Umweltauswirkungen im Gesetzestext bleibt ein strittiges Thema. Während das Parlament eine Orientierung an konkreten Kategorien wie Klimaauswirkungen, Biodiversität oder Luft- und Wasserverschmutzung fordert, sind die Vorschläge von Kommission und Rat hier eingeschränkter: Unternehmen sollen Auswirkungen nur ermitteln und gegen sie vorgehen, wenn sie gegen internationale Abkommen verstoßen. Die Ratspräsidentschaft schlägt als Kompromiss die Aufnahme weiterer Abkommen vor.

    Umwelt-NGOs befürchten, dass selbst ehrgeizige Sorgfaltspflichten aus ökologischer Sicht ihre Wirkung verfehlen, wenn Rat und Kommission sich durchsetzen und die Unternehmen nur begrenzt Umweltauswirkungen feststellen müssen. Denn die internationalen Umweltabkommen seien ein sehr fragmentierter Bereich des internationalen Rechts, erklärt Ceren Yildiz vom BUND. “Viele Fragen der Umweltzerstörung bleiben vollkommen unberührt. Es gibt zum Beispiel keinen globalen Pakt über den Schutz von Wäldern; das Plastikabkommen wird derzeit erst verhandelt.”

    Bundesregierung gegen Umweltkategorien

    Als Vorbild für den Ansatz von Rat und Kommission diente das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG), das für den Nachweis von Umweltauswirkungen auf internationale Verträge wie das Stockholmer und das Baseler Übereinkommen, die den Einsatz von Schadstoffen bzw. die Ausfuhr von Abfällen einschränken, verweist. Klimaauswirkungen werden gar nicht genannt. Im Rat hat sich die Bundesregierung zwar dafür eingesetzt, weitere Umweltübereinkommen in die Definition aufzunehmen und diese dadurch auszuweiten – allerdings lehnt sie die sogenannten Umweltkategorien, die das EU-Parlament vorschlägt, ab, und hat sich auch gegen eine Umsetzungspflicht für die Klimapläne der Unternehmen ausgesprochen (Artikel 15).

    Die spanische Ratspräsidentschaft bietet nun allerdings ein Entgegenkommen an und schlägt eine Mittelverpflichtung vor, mit genauen Vorgaben zum Inhalt der Klimapläne sowie einer Verknüpfung mit der Vergütung des Unternehmensvorstands. Dadurch soll ein stärkerer Anreiz für die Umsetzung des Plans geschaffen werden.

    LkSG: Bundesministerien diskutieren vereinfachte Berichtspflichten

    Für die Berichte nach dem deutschen LkSG diskutieren das Bundeswirtschafts- und das Bundesarbeitsministerium währenddessen eine Vereinfachung: Unternehmen sollen laut der Nachrichtenagentur Reuters mehr Zeit für ihre Berichte erhalten. Table.Media hatte am Montag zunächst die Meldung von Reuters veröffentlicht, dass es schon eine Einigung gegeben hätte, Reuters hatte dies am späten Montagabend jedoch korrigiert. Das Bundesjustizministerium erarbeite zurzeit einen Referentenentwurf auf Fachebene; entsprechende Rechtsänderungen würden gemeinsam mit dem BMWK und dem BMAS erörtert, berichtete Reuters am späten Montagabend. Eine Abstimmung in der Bundesregierung zu diesen Vorschlägen habe bisher noch nicht begonnen.

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    Was die Wasserstoffquoten für Industrie und Verkehr bedeuten

    Die Existenz vieler Wirtschaftsbereiche in Europa hängt am Zugang zu günstigem grünen Wasserstoff. Feste Quoten für Industrie und Verkehr legt die überarbeitete Erneuerbare-Energie-Richtlinie (RED III) fest, die am Montag in Kraft getreten ist. Welche Verpflichtungen sich daraus ergeben, ob sie mit der Nationalen Wasserstoffstrategie der Bundesregierung vereinbar sind, und ob noch grüner Wasserstoff für weitere Einsatzzwecke übrig bleibt, lesen Sie in diesem Überblick.

    Europäische Quoten für 2030 aus der RED III für grünen Wasserstoff und seine Derivate (im EU-Jargon “flüssige oder gasförmige erneuerbare Kraftstoffe für den Verkehr nicht biogenen Ursprungs” oder kurz RFNBO):

    • Industrie: 42 Prozent für energetische und nichtenergetische Zwecke, zum Beispiel in der Chemie-, Düngemittel- und Stahlindustrie. Schon 2035 steigt die Quote auf 60 Prozent.
    • Verkehr: Ein Prozent für alle Transportmittel insgesamt. Da die RED allerdings erlaubt, RFNBO für den Gesamtverkehr mit dem Doppelten ihres Energiegehalts anzurechnen, liegt die Quote laut dem Kraftstoffverband en2x effektiv nur bei 0,5 Prozent.

    Unklare Vorgaben für den Flugverkehr

    Für einzelne Verkehrsträger gelten 2030 gesonderte Anteile für E-Fuels:

    • Seeverkehr: Für EU-Staaten mit Seehäfen gilt laut RED III ein Sollwert von 1,2 Prozent RFNBO. Auch hier gilt aber ein höherer Anrechnungsfaktor von 1,5. Effektiv liegt die Quote also nur bei 0,8 Prozent.
    • Luftverkehr: Nach der neuen Verordnung ReFuelEU Aviation gilt im Mittel der Jahre 2030/31 eine verpflichtende Quote für “synthetische Flugkraftstoffe” von 1,2 Prozent – bis 2050 steigt sie auf 35 Prozent. Zusammen mit “Biokraftstoffen für die Luftfahrt” gelten noch höhere Anteile für “nachhaltige Flugkraftstoffe” (SAF) – 2050 zum Beispiel 70 Prozent. Die RED III setzt aber auch für RFNBO im Luftverkehr einen Faktor von 1,5 an. Die Quote für 2030/31 betrüge demnach ebenfalls 0,8 Prozent. Inwiefern der Faktor aus der RED aber auch für ReFuelEU Aviation gilt, sei unklar, erklärt Burkhard Hoffmann von der Stiftung Umweltenergierecht.
    • Autoverkehr: Die EU-Flottengrenzwerte für Lkw werden noch verhandelt, Quoten für Lastkraftwagen gelten allerdings als unwahrscheinlich. Für Pkw wurden in der jüngsten Novelle der Flottengrenzwerte keine verpflichtenden E-Fuel-Anteile beschlossen. Da Autos aktuell aber fast fünfmal so viele Kraftstoffe verbrauchen wie Flugzeuge und Schiffe zusammen, werden Pkw und Lkw wohl doch E-Fuels verfahren müssen, um die Quote für den Verkehr insgesamt zu erreichen. Sinken würde der Druck, wenn der Anteil von Elektroautos bis 2030 rasend schnell stiege.

    Frontier Economics legt erste Schätzung vor

    Was diese EU-Vorgaben für Deutschland in absoluten Mengen bedeuten, dafür gibt es noch erstaunlich wenige Zahlen. Der BDI kann auf Anfrage nicht sagen, wie viele Tonnen grünen Wasserstoff die Industrie bis 2030 braucht, um die Vorgabe der Erneuerbaren-Richtlinie zu erfüllen. Im Frühjahr will der Thinktank Agora Industrie eine Studie vorlegen, die Antworten liefert. Eine erste Schätzung hat kürzlich Frontier Economics im Auftrag von Eon präsentiert.

    Die Industrie benötige für die EU-Quote 23 Terawattstunden grünen Wasserstoff und der Verkehrssektor sechs bis neun Terawattstunden, je nachdem, ob sie mit Wasserstoff oder Derivaten erfüllt werden. Allerdings gibt Frontier auf Nachfrage an, im Verkehrssektor mit der Quote von einem Prozent gerechnet zu haben. Die doppelte Anrechenbarkeit wurde also offenbar außer Acht gelassen.

    Nationale Wasserstoffstrategie lässt auch blauen Wasserstoff zu

    Durch die Ziele der Nationalen Wasserstoffstrategie wären die EU-Vorgaben auf den ersten Blick gedeckt. In ihrer neuen Nationalen Wasserstoffstrategie gibt sich die Bundesregierung für 2030 ein Ziel von 95 bis 130 Terawattstunden Wasserstoff. Neben dem bisherigen Verbrauch von 55 Terawattstunden kalkulierte sie mit einem zusätzlichen Bedarf von 40 bis 75 Terawattstunden. Sicher ist die Erfüllung der europäischen Vorgaben dadurch aber noch nicht.

    Zum einen will sich die Bundesregierung auch kohlenstoffarmen Wasserstoff aus Erdgas auf ihre Ziele anrechnen lassen, was die RED III nicht zulässt. Zum anderen ist fraglich, ob die nationalen Ziele wirklich erreicht werden.

    KTF-Urteil erschwert die Finanzierung

    “In Summe halten wir die H2-Ziele für sehr ambitioniert, aber grundsätzlich realisierbar”, sagt Johanna Reichenbach von Frontier Economics. Inwieweit aber noch signifikante Fördermittel aus dem Bundeshaushalt bereitgestellt werden können, sei nach dem jüngsten Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klima- und Transformationsfondsgesetz “sehr offen”. “Insofern ist die Zielerreichung für den Moment sicher weniger wahrscheinlich geworden“, sagt Reichenbach.

    Auf europäischer Ebene machten Anfang der Woche mehrere Unternehmen Druck, damit die EU zusätzliche Fördermittel für die Wasserstoffwirtschaft bereitstellt. Existierende Fonds reichten nicht aus, um den Mangel an privaten Investitionen auszugleichen, schrieben unter anderem die Chefs der deutschen Firmen Sunfire, BayWa r.e. und Enapter in einer gemeinsamen Erklärung.

    Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte dagegen am Montag zunächst keine neuen Finanzmittel an, sondern die zweite Ausschreibung der Europäischen Wasserstoffbank, die im Frühjahr startet. Im brasilianischen Bundesstaat Piaui solle außerdem durch EU-Mittel mit zehn Gigawatt eine der weltgrößten Erzeugungsanlagen für grünen Wasserstoff und Ammoniak entstehen, die an einem Terminal auf der kroatischen Insel Krk anlanden sollen. Zum Vergleich: Zehn Gigawatt entspricht dem Ziel der Bundesregierung für die gesamte Leistung inländischer Elektrolyseure im Jahr 2030.

    Nationale Umsetzung soll Streitpunkte regeln

    Was die deutsche Wirtschaft aber mindestens ebenso sehr umtreibt wie die Finanzierungsfrage, ist die Umsetzung der RED III in nationales Recht. Dies werde in den kommenden Monaten ein Schwerpunkt der Verbandsarbeit, heißt es beim BDI. Strittig sind gleich mehrere Punkte:

    • Theoretisch könnte die Bundesregierung höhere Wasserstoffquoten für Industrie und Verkehr vorschreiben als die EU.
    • Für Raffinerien wird es auch von nationalen Detailregelungen abhängen, ob der eingespeiste grüne Wasserstoff bei der Herstellung von fossilen Kraftstoffen auf die Quote für den Verkehr oder für die (Chemie-)Industrie angerechnet wird.
    • Die Kriterien für grünen Wasserstoff aus den Delegierten Rechtsakten der EU dürfen nach Ansicht des BDI nicht verschärft werden. Die Stiftung Umweltenergierecht sieht laut einer aktuellen Studie außerdem zahlreiche Rechtsunsicherheiten durch den Rechtsakt selbst.

    Umgesetzt werden die nationalen Regelungen durch Novellen des Immissionsschutzrechts. Die Novelle des Bundesimmissionsschutzgesetzes (BImSchG) will die Bundesregierung dem Vernehmen nach Anfang nächsten Jahres anpacken. Die Kriterien für grünen Wasserstoff aus dem Delegierten Rechtsakt werden in der 37. BImSchV umgesetzt, zu der es bereits Entwürfe, aber noch keinen Beschluss gibt.

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    Europaparlament für E-Fuels bei Lkw

    Das Europaparlament hat in seiner Position zu den CO₂-Flottengrenzwerten von schweren Nutzfahrzeugen ein Fenster für CO₂-neutrale Kraftstoffe geöffnet. Zum einen will sich das Parlament in den Verhandlungen mit dem Rat für eine Formulierung im Rechtstext einsetzen, die eine Definition von CO₂-neutralen Kraftstoffen vornimmt. Zum anderen will das Parlament die Kommission verpflichten, ein Jahr nach Veröffentlichung des Rechtsaktes eine Methodik zur Registrierung von Fahrzeugen vorzulegen, die ausschließlich mit CO₂-neutralen Kraftstoffen betrieben werden.

    Diese beiden Änderungen gegenüber dem Beschluss des Umweltausschusses (ENVI) setzten Abgeordnete von Christdemokraten, Konservativen und Teilen von Liberalen durch. Sie beschlossen zudem als Position des Parlaments eine schwächeres 2035-Ziel bei den CO₂-Flottengrenzwerten. Der ENVI wollte, dass die CO₂-Flottengrenzwerte 2035 um 70 Prozent niedriger ausfallen als 2019. Das Plenum hat nun den Wert von 65 Prozent beschlossen. Die Ziele für 2030 von minus 40 Prozent und 2040 von minus 90 Prozent wurden beibehalten.

    Ein sogenannter Carboncorrection Factor, der die Anrechenbarkeit von klimaneutralen Kraftstoffen auf die CO₂-Flottenregulierung gebracht hätte, scheiterte bei der Abstimmung im Plenum. Das Parlament will sich aber im Trilog dafür stark machen, dass der Wasserstoffverbrennungsmotor akzeptiert wird. mgr

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    NZIA: EU-Parlament bereit für den Trilog

    Die Verhandlungen zwischen den EU-Institutionen über den Rechtsakt zur Förderung klimafreundlicher Industrien werden voraussichtlich am 17. Dezember beginnen. Das Europaparlament beschloss am Dienstag wie erwartet seine Position zum Net-Zero Industry Act (NZIA). Die Mitgliedstaaten wiederum wollen ihre eigenen Forderungen beim Wettbewerbsfähigkeitsrat am 7. Dezember festzurren. Anschließend kann der Trilog beginnen, der rechtzeitig vor der Europawahl im Juni abgeschlossen werden soll.

    Die Abgeordneten stimmten gestern im Plenum ohne Änderungen dem Kompromiss zu, den Berichterstatter Christian Ehler (CDU) im Industrieausschuss ausgehandelt hatte. Wichtigste Änderung zum ursprünglichen Vorschlag der EU-Kommission und zugleich absehbar Hauptstreitpunkt im Trilog: die deutliche Ausweitung der Technologiesektoren, die von den Fördermaßnahmen profitieren sollen. Dazu zählen neben unstrittigen Bereichen wie Solar, Wind oder Wärmepumpen auch “Kernspaltungs- und Fusionsenergietechnologien”. Der Grünen-Abgeordnete Michael Bloss kritisierte: “Der Schritt in die Vergangenheit weicht den Green Deal auf.” tho

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    CO₂-Entnahmen: Parlament beschließt Position

    Das EU-Parlament hat mit 448 Stimmen dafür, 65 dagegen und 114 Enthaltungen den Bericht für einen EU-Zertifizierungsrahmen für technologischen und natürlichen CO₂-Abbau angenommen. Der Gesetzesrahmen soll CO₂-Entnahmen zum Erreichen der Klimaziele fördern, Vertrauen bei der Industrie erhöhen und Greenwashing verhindern.

    Während die EU-Kommission in ihrem Vorschlag noch allgemein von “Carbon Removals” sprach, will das Parlament eine differenzierte Betrachtung der unterschiedlichen Möglichkeiten der CO₂-Entnahmen. Direkte Emissionsreduktionen sollen gegenüber dem CO₂-Abbau Vorrang haben. Nur die dauerhafte geologische Speicherung von atmosphärischem oder biogenem CO₂ für mehrere Jahrhunderte (CCS) oder dauerhaft gebundene Kohlenstoffmineralisierung sollten als permanente CO₂-Entnahme betrachtet werden.

    Kohlenstoffbindungen oder CO₂-Reduktionen im Zusammenhang mit der Umstellung der Landbewirtschaftung oder Tierfütterung, die der Atmosphäre für mindestens fünf Jahren CO₂ entziehen, gelten als Carbon Farming und somit nicht als permanent entfernte CO₂-Mengen. CO₂-Speicherung in Produkten (CCU), beispielsweise in Holz oder Baumaterialien, soll nur zertifiziert werden, wenn das CO₂ mindestens fünf Jahrzehnte lang gespeichert wird. Die Mitgliedstaaten haben ihre Position ebenfalls bereits gefunden. Die Trilog-Verhandlungen sollen noch im November starten. luk

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    Recht auf Reparatur: Parlament bereit für Verhandlungen

    Das EU-Parlament in Straßburg hat gestern in Straßburg sein Verhandlungsmandat zu einem verstärkten “Recht auf Reparatur” angenommen. Die Richtlinie soll einen nachhaltigen Konsum stärken, indem die Reparatur fehlerhafter Waren vereinfacht, Abfall reduziert und die Reparaturbranche gefördert wird.

    Der Entwurf von Berichterstatter René Repasi (S&D) schärft den Vorschlag der EU-Kommission. Er will Verkäufer während der gesetzlichen Garantiezeit verpflichten, zu reparieren anstatt zu ersetzen, wenn eine Reparatur gleich viel oder weniger kostet – es sei denn, die Reparatur ist nicht machbar oder für den Verbraucher ungünstig. Die Abgeordneten schlagen zudem vor, die gesetzliche Garantiezeit um ein Jahr ab dem Zeitpunkt der Reparatur zu verlängern.

    Erstes Trilog-Treffen für Anfang Dezember geplant

    “Die Leute wollen die Lebensdauer ihrer Geräte verlängern, aber das ist oft zu kostspielig oder schwierig. Nun reagieren wir auf diese Forderungen”, erklärte Repasi. Verbraucherinnen und Verbraucher sollen das Recht erhalten, für Geräte wie Waschmaschinen, Staubsauger und Smartphones sowie für Fahrräder auch nach Ablauf der Garantiezeit eine Reparatur zu verlangen. Damit Reparieren attraktiver wird als Ersetzen, sollen Hersteller für die Dauer der Reparatur Leihgeräte zur Verfügung stellen. Kann ein Produkt nicht mehr repariert werden, könnte stattdessen ein bereits repariertes Produkt angeboten werden.

    Online-Plattformen sollen eine Übersicht über Reparaturbetriebe und Verkäufer überholter Waren in der Nähe bieten. Die Abgeordneten schlagen außerdem vor, über nationale Reparaturfonds Gutscheine und andere finanzielle Anreize bereitzustellen, um Reparaturen erschwinglicher und attraktiver zu machen.

    Der Rat wird seine Verhandlungsposition voraussichtlich am heutigen Mittwoch festlegen. Danach können die Verhandlungen mit dem Parlament beginnen. Ein erstes Treffen ist für den 7. Dezember geplant. leo

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    Bundeshaushalt: Kommission beobachtet Situation

    Die EU-Kommission hält sich zurück mit Einschätzungen zur Haushaltskrise in Deutschland, ausgelöst durch das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts. “Wir beobachten die Situation und stehen in Kontakt mit den deutschen Behörden”, sagte Vizepräsident Valdis Dombrovskis am Dienstag. Man werde erst mehr zu den Folgen des Urteils sagen können, wenn die Bundesregierung sich äußere, wie sie auf das entstandene Haushaltsloch reagieren wolle.

    Die Karlsruher Richter hatten am Mittwoch entschieden, dass die Übertragung nicht genutzter Corona-Kredite auf den Klima- und Transformationsfonds (KTF) in Höhe von 60 Milliarden Euro verfassungswidrig war. Das Bundesfinanzministerium stellte daraufhin am Montag und Dienstag alle Ausgaben in diesem Jahr aus dem KTF und dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) unter Genehmigungsvorbehalt. Auch weite Teile des Bundeshaushalts 2023 sind von der Haushaltssperre betroffen. Kanzler Olaf Scholz, Vizekanzler Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner verhandeln nun fieberhaft über Auswege aus der Krise.

    Festhalten an Milliardensubventionen

    Scholz zeigte sich zuversichtlich, dass die geplanten zehn Milliarden Euro an Subventionen für den Bau einer Chipfabrik von Intel in Magdeburg weiter fließen können. “Wir wollen die Modernisierung unserer Volkswirtschaft weiter vorantreiben und da gehören Halbleiter und die Halbleiterindustrie dazu“, sagte der SPD-Politiker auf dem Digital-Gipfel in Jena.

    Die Kommission legte am Dienstag ihre Einschätzungen zu den Budgetentwürfen der 27 Mitgliedstaaten im Rahmen des Europäischen Semesters vor. Die Folgen des Urteils aus Karlsruhe für den Bundeshaushalt sind darin aber noch nicht berücksichtigt. tho

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    Ukraine-Beitritt: Michel erwartet “schwierigen” EU-Gipfel

    EU-Ratspräsident Charles Michel und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj haben Hoffnungen auf einen raschen EU-Beitritt der Ukraine gedämpft. Michel sagte, er rechnet mit einem “schwierigen” EU-Gipfel im nächsten Monat, bei dem es um die Aufnahme formeller Beitrittsgespräche mit der Ukraine gehen wird. Ein Dissens unter den EU-Staaten in dieser Frage würde ein Fragezeichen hinter weitere finanzielle Hilfen für sein Land und die Sanktionen gegen Russland setzen, warnte Selenskyj. Michel äußerte sich verhalten optimistisch. Er bezeichnete die Reform-Fortschritte der Ukraine als “bemerkenswert” und betonte, er werde alles tun, um die 27 EU-Staaten zur Zustimmung zu bewegen.

    Das ukrainische Parlament stimmte am Dienstag mehreren wichtigen Gesetzentwürfen zur Korruptionsbekämpfung vorläufig zu, die von Brüssel empfohlen worden waren. Zu den Maßnahmen gehören die Aufstockung des Personals des Nationalen Antikorruptionsbüros der Ukraine und die Stärkung der Sicherheitsvorkehrungen für den Antikorruptionsstaatsanwalt. Eine zentrale Herausforderung für den EU-Beitritt der Ukraine sind die Fortschritte bei der Korruptionsbekämpfung.

    Deutschland sagt weitere Militärhilfen zu

    Unabhängig von Michel war am Dienstag auch der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) nach Kiew gekommen. Er sagte der Ukraine bei seinem Besuch weitere Militärhilfen in Höhe von 1,3 Milliarden Euro zu. Darin enthalten sei ein neues Iris-T-System für die Flugabwehr, 20.000 Schuss Artillerie-Munition und Anti-Panzer-Minen, kündigte Pistorius an. 

    Michel und Pistorius besuchten Kiew anlässlich des zehnten Jahrestages des Beginns der Maidan-Proteste, in deren Folge der damalige prorussische Präsident Wiktor Janukowytsch abtreten musste und das Land auf einen prowestlichen Kurs einschwenkte. rtr

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    Keine Hinweise auf Missbrauch von EU-Hilfe durch Hamas

    Eine Überprüfung von EU-Entwicklungshilfe für die Palästinenser hat nach Angaben der EU-Kommission bisher keine Anzeichen für einen Missbrauch durch die Terrororganisation Hamas ergeben. “Bislang wurden keine Hinweise darauf gefunden, dass Gelder zweckentfremdet wurden”, teilte die Kommission am Dienstag mit. Nach Angaben der Behörde wurden Verträge mit Nichtregierungsorganisationen und der Palästinensischen Autonomiebehörde überprüft. Humanitäre Hilfe war von der Überprüfung ausgeschlossen. Darunter fallen in der Regel Not- und Soforthilfen, wie etwa Lieferungen von Medikamenten und Nahrung.

    Nach dem Hamas-Angriff auf Israel am 7. Oktober hatte die Kommission angekündigt, Hilfen zu überprüfen. Dabei hatte der zuständige EU-Kommissar Olivér Várhelyi zunächst eine Kontrolle der EU-Entwicklungshilfen für die Palästinenser angekündigt und mitgeteilt, alle Zahlungen würden sofort ausgesetzt. Später hieß es dann, es sei zwar tatsächlich vereinbart worden, keine Gelder auszuzahlen, bis eine Überprüfung der Hilfen abgeschlossen sei. Es hätten aber auch keine Zahlungen angestanden.

    Infrastukturprojekte nicht durchführbar

    Es ging darum, ob Gelder von der islamistischen Hamas abgezweigt oder zur Aufstachelung zu Gewalt und Hass verwendet wurden. Nach Angaben der Kommission wurde bei knapp neun von zehn Verträgen nichts gefunden. In den übrigen Fällen forderte sie zusätzliche Informationen von den Partnerorganisationen vor Ort an.

    Sieben Programme im Wert von rund 75 Millionen Euro seien derzeit nicht durchführbar. “Dabei handelt es sich im Wesentlichen um die Infrastruktur im Gazastreifen, wo weitere Investitionen in der derzeitigen Situation einfach nicht möglich sind”, sagte ein hochrangiger Kommissionsbeamter. Das Geld soll umgewidmet werden. Die Kommission betonte, dass es aufgrund der Überprüfung zu keinen Verzögerungen bei den Zahlungen kam. dpa

    • Europäische Kommission

    Presseschau

    Bericht der EU-Kommission: Schärfere Auflagen für Palästinenser-Hilfen geplant TAGESSPIEGEL
    EU-Ratspräsident in Kiew – Michel: Entscheidung über Aufnahme von Beitrittsgesprächen wird schwierig DEUTSCHLANDFUNK
    Selenskyj: EU-Beitrittsverhandlungen wären Motivation ORF
    EU-Parlament für “Recht auf Reparatur” ZFK
    EU-Parlament will CO2-Ausstoß von Bussen und Lastwagen senken ZFK
    Lagarde: Inflationsgefahr noch nicht überstanden DEUTSCHLANDFUNK
    EU-Parlament stimmt über Anti-China-Gesetz ab EURACTIV
    Die EU-Defizitverfahren kommen 2024 zurück FAZ
    Streit um EU-Milliardenhilfe: Brüssel und Polen kommen sich näher TAGESSCHAU
    EU-Pflanzenschutzverordnung: Hitzige Debatte im Parlament AGRAR HEUTE
    Entscheidung heute – Landwirte laufen Sturm: Muss der Pestizideinsatz in der EU bald halbiert werden? RND
    NGOs fechten Wiederzulassung von Glyphosat vor EU-Gericht an DER STANDARD
    Australian farmers back EU decision to extend approval of controversial herbicide glyphosate THE GUARDIAN
    Warum das EU-Chile-Abkommen Mustern neo-kolonialer Ausbeutung folgt FR
    Orbán provoziert EU mit antisemitischem Plakat – mit Soros und von der Leyen T-ONLINE
    Lula will EU-Mercosur-Abkommen noch in diesem Jahr abschließen RP-ONLINE
    EU-Wettbewerbshüter durchsuchen erneut Büros von Delivery Hero HANDELSBLATT
    KI-Gesetz: EU-Abgeordnete diskutieren KI-Kontrollgremien EURACTIV
    EU-Versicherungsaufsicht fordert mehr Befugnisse HANDELSBLATT
    Impfstoffentwickler: EU-Patentamt erklärt Moderna-Patent für nichtig HANDELSBLATT
    Elektroautos überholen erstmals Diesel bei Neuzulassungen in EU FUTUREZONE
    Huawei warns EU “cannot succeed alone” after network bans EURACTIV

    Standpunkt

    Schwächen im ESG-Reporting: Kontrolle ist besser

    Von Michael Goldhaber, Stéphane Brabant und Daniel Schönfelder
    Michael Goldhaber ist Senior Research Scholar an der NYU, Stéphane Brabant ist Rechtsanwalt in Paris, Daniel Schönfelder ist für das Responsible Contracting Project tätig.

    Die EU steht kurz vor einem historischen politischen Erfolg. Sie könnte im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte globale Standards setzen, wie dies die USA 1977 mit dem Foreign Corrupt Practices Act bei der Korruptionsbekämpfung taten. Notwendig ist dafür aber, dass die EU ihre ambitionierten Entwürfe für ein EU-Lieferkettengesetz (Corporate Due Diligence Directive, CSDDD) auf der Zielgrade nicht erheblich verwässert. Lobbyisten haben bereits sowohl den Entwurf der Kommission als auch den Entwurf des Rats abgeschwächt. Außerdem gibt es noch weitergehende Änderungswünsche der Lobby für den vorgeschlagenen regulatorischen Rahmens für Menschenrechtsschutz in Lieferketten.

    US-Regierung drängt auf Ausnahmen für eigene Unternehmen

    So drängt US-Finanzministerin Janet Yellen die EU, Unternehmen mit Hauptsitz außerhalb der Gemeinschaft von den Pflichten auszunehmen. Zudem fordert der Vorsitzende des International Sustainability Standards Board, Emmanuel Faber, Europa auf, das verwandte Gesetz zur Berichterstattung über die Nachhaltigkeit so einzuschränken, dass die Unternehmen nicht mehr alle Risiken für Mensch und Umwelt melden müssen. Wenn sich Yellen und Faber durchsetzen sollten, wären die Folgen fatal, denn das EU-System für Wirtschaft und Menschenrechte würde nur die Anteilseigner selbst schützen und US-Firmen, die in Europa Geschäfte machen, einen Freifahrtschein geben.

    Die vor einem Jahr verabschiedete EU-Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen zwingt alle in Europa tätigen Firmen – darunter etwa 4000 mit Hauptsitz außerhalb der EU – dazu, öffentlich über alle wesentlichen Nachhaltigkeitsrisiken zu berichten. Zu Fabers Bestürzung hat Europa einen neuen Ansatz der “doppelten Wesentlichkeit” eingeführt. Demnach müssen Unternehmen über jedes Nachhaltigkeitsrisiko berichten, das entweder für die Anteilseigner des Unternehmens oder für die Menschen und den Planeten von Bedeutung ist. Faber bevorzugt dagegen den alten Ansatz der “finanziellen Wesentlichkeit”. Demnach müssen Unternehmen Nachhaltigkeitsrisiken nur melden, wenn sie den finanziellen Wert des Unternehmens für seine Anteilseigner gefährden.

    Alte Methode verhindert Wirksamkeit von ESG-Investitionen

    Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass genau dies Fortschritte durch ESG behindert. Das belegt ein neuer Bericht des NYU Stern Center for Business and Human Rights zur Wirkungsweise der finanziellen Wesentlichkeit. Demnach behindert eine Vorgehensweise nach der alten Methode, dass das System von Investitionen auf der Grundlage von Umwelt-, Sozial- und Governance-Kriterien (ESG)  Wirkung entfaltet.

    Denn die meisten aktuellen ESG-Rahmenwerke bewerten, wie Umwelt- oder Sozialrisiken den Unternehmen schaden können, und nicht, wie Unternehmen der Welt schaden können. Das ist kontraproduktiv, denn Unternehmen schaden oft der Umwelt oder der Gesellschaft, ohne gleichzeitig ihren Anteilseignern zu schaden. So können Unternehmen sich umweltschädigend verhalten, wenn es profitabel ist – und wenn die rechtlichen oder reputationsbezogenen Konsequenzen nicht vorhanden oder überschaubar sind. Unmoral im Geschäftsleben kann gewinnbringend, legal und skandalfrei sein. Manches Fehlverhalten ist sogar so profitabel, dass es für ein Unternehmen finanziell rational sein kann, Skandale und rechtliche Sanktionen in Kauf zu nehmen. Unternehmen, die sich schädlich verhalten, können versuchen, sich vor der Rechenschaftspflicht zu schützen, indem sie Lobbyarbeit betreiben und Prozesse führen, um das Regelwerk zu schwächen, in Länder mit geringer Regulierung abwandern oder Aufgaben auslagern, bei denen es zu Arbeits- und Menschenrechtsverletzungen kommen kann.

    Berichterstattung von Unternehmen ist unzureichend für nachhaltige Entwicklung

    Daher kann die Kopplung von ESG an die finanzielle Wesentlichkeit Unternehmen belohnen, die sich vor den rechtlichen Konsequenzen drücken. Auch ihre Reputation muss nicht zwingend leiden: Wo Medien und die Zivilgesellschaft schwach sind, kommen Skandale selten ans Licht. Und selbst wenn Skandale ans Tageslicht kommen, wissen viele Kunden und Arbeitnehmer nichts von ethischen Fragen oder interessieren sich nicht dafür. Ein Bedarf an neuen regulatorischen Mechanismen wie dem EU-Lieferkettengesetz entsteht, wenn die Unternehmen nicht durch den bestehenden rechtlichen oder marktwirtschaftlichen Druck diszipliniert werden, über die Kosten, die sie Mensch und Umwelt auferlegen, Rechenschaft abzulegen.

    Unternehmensberichterstattung alleine ist noch kein derartiger Rechenschaftsmechanismus. Die Theorie hinter der Nachhaltigkeitsberichterstattung besteht darin, Investoren mit den Daten auszustatten, die sie benötigen, um Unternehmen zu disziplinieren. Bedauerlicherweise kommt der NYU-Bericht zu dem Schluss, dass viele ESG-Fonds in ihrer Rolle als wirksame Kontrolleure versagen. ESG-Ratings sind sogar so inkohärent, dass die Unternehmen nicht wissen, welches Verhalten sie fördern oder verhindern. Einige führende US-amerikanische ESG-Fonds sind praktisch nicht von Marktindizes zu unterscheiden und enthalten große Anteile problematischer Aktien. Damit die ESG-Investoren tatsächlich wirksam werden könnten, schlägt der NYU-Bericht einige Reformen vor.

    Diese wichtige Regulierung kann derzeit nur die EU vollbringen

    Weil die meisten ESG-Investoren versagen, wenn es darum geht, freiwillig Nachhaltigkeitsdaten sinnvoll zu nutzen, braucht es einen verpflichtenden Ansatz im Bereich ESG. Das EU-Lieferkettengesetz würde die Unternehmen dazu zwingen, einen riesigen Schritt über die letztjährige Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung hinauszugehen: Sie müssten nicht nur über Umwelt- und Sozialrisiken berichten, sondern sie auch in ihrer globalen Wertschöpfungskette durch effektive Maßnahmen adressieren. Ein starkes Lieferkettengesetz würde die Unternehmen also gewissermaßen dazu zwingen, Nachhaltigkeitsdaten endlich sinnvoll zu nutzen. Das hätte revolutionäres Potenzial für die Verbesserung der natürlichen und sozialen Lebensgrundlagen – wenn es richtig gemacht wird.

    Das Gesetz muss global anwendbar sein, weil der Schutzbedarf in den Wertschöpfungsketten global ist. Wird das Gesetz nicht auch auf Unternehmen angewendet, die Waren oder Dienstleistungen in die EU liefern, entstände für Unternehmen ein Anreiz, ihren Hauptsitz in ein Land mit schwacher Regulierung zu verlegen. Das würde nicht nur der Sache an sich, sondern Europa auch noch ökonomisch schaden.

    Diese wichtige Regulierungsaufgabe fällt Europa zu, da die USA in diesem Bereich höchstens eine lückenhafte Unternehmensberichterstattung vorschreiben werden und hoffen, dass ESG-Investoren ihre Arbeit tun. Die EU ist der einzige Player, der im Jahr 2023 einen globalen Menschenrechtsschutz in Wertschöpfungsketten durchsetzen kann, so wie die USA im Jahr 1977 der einzige Akteur waren, der eine globale Korruptionsbekämpfung durchsetzen konnte.

    Race to the Top in Gang setzen

    Wie damals bei der Korruptionsbekämpfung könnte eine jetzige EU-Lieferkettenregulierung einen sich selbst verstärkenden, positiven Kreislauf schaffen. Ein wirksames EU-Lieferkettengesetz würde für globale Unternehmen einen Anreiz darstellen, hohe ESG-Standards einzuhalten, um den Zugang zum EU-Markt zu erhalten. Gleichzeitig könnte sie andere Länder unter Druck setzen, ähnliche Vorschriften einzuführen, um für multinationale Unternehmen attraktiv zu bleiben, die sich an europäische Regelwerke halten müssen. Der “Brüssel Effekt” des Marktortsprinzips würde einen erheblichen Anreiz für Unternehmen und Staaten weltweit darstellen, Menschenrechte und Umwelt stärker zu schützen, um den Anschluss an einen der größten Binnenmärkte der Welt nicht zu verlieren. Ähnliches ist bei der EU-Regulierung im digitalen Bereich zu beobachten. So könnte Brüssel ein “Race to the Top” in Gang setzen, was zu einer gerechteren Weltwirtschaft führen könnte. Diese Chance sollte sich die EU nicht entgehen lassen.

    Michael Goldhaber ist Senior Research Scholar am NYU Stern Center for Business and Human Rights und Autor des Berichts “Making ESG Real: A Return to Values-Driven Investing.

    Stéphane Brabant ist Rechtsanwalt in Paris und Senior Partner bei Trinity International AARPI in Paris, spezialisiert auf Unternehmen und Menschenrechte.

    Daniel Schönfelder ist als European Legal Advisor für das Responsible Contracting Project tätig und wirkt als Jurist in einem Großkonzern an der Umsetzung des deutschen Lieferkettengesetzes mit.

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