die Flucht des syrischen Machthabers Baschar al-Assad aus Damaskus bedeutet eine Zeitenwende in Nahost – vergleichbar mit dem Sturz Saddam Husseins im Zuge der US-Irak-Invasion 2003. Das schreibt mein Kollege Markus Bickel im Table.Spezial: “Wie der Sturz Assads die Machtverhältnisse in Nahost verschiebt”.
Was die Einnahme der syrischen Hauptstadt durch die Islamisten der Al-Qaida-Nachfolgeorganisation Hayat Tahrir al-Scham in den kommenden Tagen bringt, kann zur Stunde noch niemand sagen. Auch nicht in Brüssel, wo die neue EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas gerade ihr Amt angetreten hat.
“Das Ende von Assads Diktatur” sei eine positive Entwicklung, schrieb Kallas auf der Plattform X. Der Sturz des Regimes zeige auch die Schwäche von Assads Unterstützern, Russland und Iran. Kallas kündigte an, die EU werde in der Region nun “mit allen konstruktiven Partnern zusammenarbeiten”.
Das ist ein Anfang. Bleibt zu hoffen, dass Syrien das Schicksal Libyens oder auch Afghanistans erspart bleibt. Leider steht die Demokratie als Staatsform aktuell weder in Europa noch weltweit so hoch im Kurs, dass es leicht wird, in Syrien Mitstreiter für sie zu finden. Das wird eine der vielen geopolitischen Herausforderungen der zweiten Amtszeit von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen werden.
Kommen Sie gut in die neue Woche,
Im vergangenen Mandat hat die Generaldirektion Umwelt (DG ENV) der Von-der-Leyen-Kommission NGOs dafür bezahlt, gegen das Freihandelsabkommen Mercosur vorzugehen. Im Anhang zum Vertrag, der mit der NGO European Environmental Bureau abgeschlossen wurde, heißt es etwa, dass die NGO die EU und die Mitgliedstaaten in der Sache lobbyieren möge. Ziel sei, die Ratifizierung des Handelsabkommens zu stoppen. Dies steht im Widerspruch zum Ziel von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und des damaligen Handelskommissars Valdis Dombrovskis, das Handelsabkommen abzuschließen.
Im sogenannten Arbeitspaket (working package) des Vertrages heißt es, die NGO solle als Arbeitsnachweis in der Sache ein Treffen mit der Kommission belegen sowie mit vier Europaabgeordneten, die sich mit Handel beschäftigen. Außerdem solle die NGO Lobbyschreiben an Europaabgeordnete und die Kommission schicken. Die DG ENV verpflichtet die NGO zudem, mit EU-Mitteln eine andere DG der Kommission, die DG GROW, zu lobbyieren.
In der schriftlichen Antwort der Kommission an den Haushaltskontrollausschuss des Europaparlaments bestreitet die Kommission den Inhalt des Vertrags nicht. Vielmehr heißt es dazu: Bei dem Vertrag sei es darum gegangen, sich “für eine nachhaltigere und fairere EU-Handelsagenda einzusetzen”. Ziel sei gewesen, die Ratifizierung des Abkommens “in seiner aktuellen Version” zu stoppen.
Die betroffene NGO, European Environmental Bureau (eeb), ist eine EU-Dachorganisation von Umwelt-NGOs aus 41 Ländern. In Deutschland sind etwa Mitglied:
Mit dem Vertrag, den Table.Media in Auszügen gesehen hat, bekommt die NGO einen Betriebskostenzuschuss im Rahmen des Life-Programms in Höhe von 700.000 Euro jährlich. Es geht um zwei Bewilligungen von Betriebskostenzuschüssen mit den Titeln LIFE21NGO/BE/EEB sowie LIFE22NGO/BE/EEB.
Operativ zuständig für den Abschluss und Inhalt dieses und vieler ähnlicher Verträge im Life-Programm im Rahmen des Mehrjährigen Finanzrahmens MFR (2021 bis 2027) ist die Exekutivagentur CINEA (European Climate, Infrastructure and Environment Executive Agency) unter Leitung von Paloma Alba Garrote.
CINEA wurde 2021 gegründet, um Teile des Green Deals operativ umzusetzen. CINEA ist den DGs ENV und CLIMA untergeordnet. Für DG ENV und DG CLIMA waren zum Zeitpunkt des Abschlusses der Verträge Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius zuständig sowie Frans Timmermans, Vize-Präsident der Kommission für den Green Deal.
Im Zuge der Entlastung des EU-Haushalts 2023 hat der Haushaltskontrollausschuss des Europaparlaments die Gestaltung von Verträgen zur NGO-Finanzierung untersucht. Rund 30 Verträge sind von Abgeordneten unter höchster Geheimhaltungsstufe eingesehen worden. Bei der heutigen Sitzung des Haushaltskontrollausschusses muss sich Haushaltskommissar Piotr Serafin kritischen Fragen stellen.
Weitere Beispiele von Verträgen, die bemängelt werden, sind die Abmachungen mit Carbon Market Watch (LIFE21NGO/BE/CMW; LIFE22NGO/BE/CMW). Die NGO, zu deren Gründern auch Brot für die Welt und Misereor gehören, wird verpflichtet, Abgeordnete des Europaparlaments zu lobbyieren. Carbon Market Watch hat Gelder aus dem EU-Haushalt in Höhe von 205.000 Euro jährlich bekommen.
Die NGO-Mitarbeiter sollen etwa eine bestimmte Anzahl von Treffen mit Abgeordneten nachweisen. Ihnen werden konkrete Sätze mit auf den Weg gegeben, die sie in EU-Gesetzen unterbringen sollen. Dieser Ansatz gilt unter dem Prinzip der Gewaltenteilung als verfassungsrechtlich problematisch, weil die Exekutive Geld ausgibt, um die Legislative zu beeinflussen.
Der Vertrag mit HEAL, Health and Environment Alliance, soll Unterstützung für Verbote von Glyphosat und PFAS organisieren. Er sieht etwa Treffen mit drei bis fünf Kabinettsmitgliedern von Kommissaren sowie Gespräche mit Vertretern der EU-Ratspräsidentschaft und EU-Umweltministern vor entscheidenden Räten vor. HEAL erhielt 598.000 Euro jährlich aus dem EU-Haushalt.
Der Vertrag mit Client Earth soll auch den Kohleausstieg in Deutschland 2030 beschleunigen. Client Earth ist eine Umweltrechtsorganisation, die weltweit acht Standorte hat und mit juristischen Klagen Dinge verändern will. Client Earth hat 350.000 Euro im Jahr aus dem EU-Haushalt bekommen. Der Vertrag sieht etwa vor, dass die NGO Klagen einreicht gegen die Kohlekraftwerke Garzweiler und Boxberg. Ziel sei auch, die Schließung des Steinkohlekraftwerkes Datteln 4 in NRW zu erreichen.
Client Earth will demnach zudem juristisch gegen Landwirtschaft in Naturschutzgebieten vorgehen.* Es geht darum, auf dem Gerichtswege Ausnahmegenehmigungen der Behörden für Bauern anzufechten. Landwirte und Behörden sollen nachweisen müssen, dass die Aktivitäten in den Schutzgebieten keinen Schaden an der Umwelt anrichten.
Ein Whistleblower hat 2023 erstmals auf die umstrittenen Verträge aufmerksam gemacht. Der Haushaltskontrollausschuss des Europaparlaments hat danach zunächst stichprobenartig Verträge eingesehen und die Verstöße dokumentiert.
Inzwischen werden die Verträge zwischen CINEA und NGOs systematisch überprüft. Seit Monaten laufen die Gespräche mit der Kommission. Der Ausschuss hat der Kommission Fragen zur schriftlichen Beantwortung und Aufklärung vorgelegt. Der damalige Landwirtschaftskommissar Janusz Wojciechowski und Klimakommissar Wopke Hoekstra wurden bereits im Ausschuss befragt.
Die Kommission hat nach Informationen von Table.Briefings intern die Verträge geprüft. Das Corporate Management Board, ein internes Kontrollgremium, war damit beschäftigt. Die Generalsekretärin der Kommission, Ilze Juhansone und die Generaldirektorin BUDG, Stephanie Riso, haben sich darum gekümmert.
Danach gab die DG BUDG einen neuen Leitfaden zur Finanzierung heraus. Table.Briefings liegt dieser neue zweiseitige Leitfaden vor. Einschneidende Maßnahmen werden nicht ergriffen. Es wird lediglich warnend auf mögliche Rufschädigung für die EU hingewiesen, wenn NGOs im Auftrag der Kommission andere EU-Institutionen lobbyierten.
Auch Serafin, der heute in den Ausschuss kommt, hat bereits schriftliche Antworten auf rund 20 Fragen des Ausschusses übermittelt. Die Kommission bestreitet in ihren Antworten nicht die bemängelten Inhalte der Verträge. Ein Schuldbewusstsein sucht man aber vergebens. Nur an einer Stelle kommt so etwas wie Verständnis für die Kritik des Parlaments auf. So heißt es etwa in einer schriftlichen Antwort: “Die Kommission hat immer wieder gesagt, dass die Betriebskostenzuschüsse, wenn sie gekoppelt sind an detaillierte Aktivitäten bei EU-Institutionen und ihren Repräsentanten, ein Reputationsrisiko mit sich bringen – selbst dann, wenn sie nicht den rechtlichen Rahmen verletzen.”
Serafin wird aber heute wohl auch wieder zurückweisen, dass die Kommission Verantwortung hat. In den Antworten der Kommission heißt es dazu immer wieder, dass “die Einrichtungen, die im Rahmen solcher Finanzhilfen Mittel erhalten, in vollem Umfang und allein für ihre eigene Auffassung verantwortlich bleiben, die möglicherweise nicht mit der Auffassung der Kommission übereinstimmt”.
Die Kommission hat inzwischen offenbar reagiert. Sie soll mit einem Schreiben die NGOs aufgefordert haben, künftig das Lobbyieren von Europaabgeordneten und anderen EU-Institutionen zu unterlassen. Darüber haben betroffene NGOs in den Medien berichtet. Der Haushaltskontrollausschuss versucht, weiter die Hintergründe aufzuklären.
*In der ursprünglichen Fassung des Artikels hatten wir geschrieben, Client Earth habe sich verpflichtet, 30 Klagen gegen landwirtschaftliche Betriebe einzureichen, die in Schutzgebieten ihren Aktivitäten nachgehen. Das ist so nicht korrekt.
Bundesdigitalminister Volker Wissing erwartet eine gute Zusammenarbeit mit der neuen Exekutiv-Vizepräsidentin Henna Virkkunen (Technologische Souveränität, Sicherheit und Demokratie). “Sie hat einen sehr innovationsfreundlichen Ansatz, das begrüße ich“, sagte Wissing am Rande des Telekom-Rats in Brüssel im Gespräch mit Table.Briefings. “Daher glaube ich, dass wir mit unserem Anspruch auf mehr Wettbewerb bei ihr auf offene Ohren stoßen.” Innovationsfreundliche Regulierung sei das Entscheidende in der neuen Legislatur. Dabei erwartet Wissing eine weiterhin gute Zusammenarbeit mit den USA im Digitalbereich.
Der Rat billigte am Freitag in Brüssel Schlussfolgerungen zur EU-Agentur für Cybersicherheit (ENISA) und zum Weißbuch der Kommission zur Zukunft der Konnektivität. Außerdem führten die Minister eine Orientierungsaussprache über die Ziele des Programms 2030 für das digitale Jahrzehnt.
Beim Treffen hatte sich Wissing am Freitag für einen besseren Schutz der Infrastruktur starkgemacht. “Infrastrukturen werden immer sicherheitsrelevanter. Deswegen betrachten wir ihre Sicherheit als vorrangiges Anliegen.” So brauche Europa etwa mehr Resilienz bei den Unterseekabeln. Zuletzt waren zwei Unterseekabel in der Ostsee beschädigt worden. Schweden ermittelt wegen Sabotage.
“Wir müssen konsequent in neue Unterseekabel investieren, um so Redundanzen aufzubauen. Wir brauchen auch zusätzliche Reparaturkapazitäten, damit wir uns im Falle einer Beschädigung wehren können.” Diese Aufgabe könne man nicht allein dem privaten Sektor überlassen, sagte Wissing weiter. Sie liege im öffentlichen Sicherheitsinteresse und sei eine Aufgabe, “die nicht im nationalen Alleingang gelöst werden kann, das ist eine klassisch europäische Aufgabe.”
Henna Virkkunen, die zum ersten Mal an dem Rat teilnahm, kündigte an, sie wolle Europa zu einem KI-Kontinent machen. “Es ist kein Geheimnis, dass wir uns einen etwas schlankeren AI Act gewünscht hätten“, sagte Wissing im Rückblick auf die Verhandlungen zum AI Act. Aber am Ende sei es ein akzeptabler Kompromiss gewesen. “Ich sehe auch eine Chance in der Regulierung, weil wir dadurch Vertrauen für die Marke ,AI made in Europe’ etablieren können.” Er sei sicher, dass das “Vertrauen in künstliche Intelligenz ein ganz entscheidender Marktvorteil sein kann”.
Dabei versuchte er die Befürchtungen vieler Unternehmen zu zerstreuen, dass Deutschland erneut Gold-Plating betreibt und bei der Umsetzung des AI Acts das Gesetz unnötig verkompliziert. “Das wollen wir auf keinen Fall”, sagte der Minister. “Eine bürokratiearme Umsetzung des AI Acts ist ganz in meinem Sinne.” Doch wegen des Bruchs der Ampel liegt das Umsetzungsgesetz auf Eis.
Thema beim Rat war auch der kommende Digital Networks Act. “Ausgehend vom Weißbuch zur Zukunft des Telekommunikationsmarktes wünsche ich mir eine Debatte, wie wir die Wettbewerbsfähigkeit insgesamt innovationsgetrieben und ohne staatliche Eingriffe steigern können“, sagte Wissing. Dazu müssten Teile des Wettbewerbs- und Unternehmensrechts auf den Prüfstand. “Wenn wir die Spielregeln für alle so verbessern, dass Unternehmen wachsen können und global wettbewerbsfähig sind, brauchen wir auch keine Milliardenfonds für ausgesuchte Branchen.”
Wissing forderte, die mit dem Digital Services und dem Digital Markets Act (DSA und DMA) bereits eingeleitete Regulierung anzupassen. “Wir müssen uns die Plattformregulierung kontinuierlich und immer wieder neu anschauen und nachjustieren, wenn es notwendig ist.” Mit dem DSA habe die EU ein vielversprechendes Instrument, um Plattformen zur Verantwortung zu ziehen für illegale Inhalte. “Jetzt muss er seine Wirksamkeit beweisen, zum Beispiel mit den Verfahren gegen Tiktok.” Deswegen begrüße er, dass Virkkunen sich genau anschaue, was während der Wahlen passiert und die Daten sichere, um sie später auswerten zu können.
Wissing zog eine positive Bilanz zur bisherigen Zusammenarbeit in der Digitalpolitik mit den USA. “Wir haben Kooperationen mit den USA vereinbart, die sehr gut funktionieren und sehr wertvoll sind.” Es seien auch künftig viele Fragen zu klären, etwa zum Umgang mit Daten und neuen technologischen Möglichkeiten. “Die Hoffnung ist natürlich, dass wir diese guten Dialogformate fortsetzen können.”
Bisher habe es aber noch keine Gespräche mit den neuen Entscheidungsträgern gegeben. “Ich möchte deswegen nicht mit Vorurteilen starten, sondern einfach die Gespräche abwarten.” Wissing stellte jedoch klar: “Wir sind nicht bereit, unsere Politik außerhalb unserer Wertevorstellungen zu gestalten. Das heißt, wir werden uns bei unseren Entscheidungen immer an unseren Werten orientieren und erwarten das auch von unseren Partnern in den USA.” Dabei gebe es auch Situationen, wo man im Rahmen seiner Wertevorstellungen einen ‘Deal’ machen könne. “Aber das ist der Rahmen, innerhalb dessen wir uns bewegen. Wir werden sehen, was möglich ist.”
Es liege jedoch auch im amerikanischen Interesse, wenn beide Seiten Forschungsergebnisse etwa im Bereich autonomes Fahren austauschten und die Regulatorik aufeinander abstimmten. “Wenn die Märkte sich regulatorisch vollkommen auseinanderentwickeln, kann man mit solchen Technologien nur schwer global Geschäfte machen.”
Wissing forderte: “Wir müssen in Europa stärker zusammenarbeiten.” Er habe in Brüssel viele bilaterale Gespräche geführt und immer wieder daran erinnert, “dass wir uns stärker einigen müssen in industrie- und energiepolitischen Fragen. Wenn wir gemeinsam Lösungen voranbringen, können wir mit unseren Antworten weltweit Einfluss auf die Regulierung von Zukunftstechnologien nehmen.”
Annulliert ein Verfassungsgericht eine demokratische Wahl, sollte es dafür unzweifelhafte Gründe haben. Es wird sich erweisen müssen, ob das rumänische Verfassungsgericht darüber verfügte, als es am vergangenen Freitag den ersten Wahlgang zur Präsidentschaftswahl vom 24. November 2024 annullierte und die für den 8. Dezember 2024 angesetzte Stichwahl absagte.
Nach einer Wiederauszählung der Stimmen hatten die Verfassungsrichter einige Tage zuvor das Wahlergebnis mit dem überraschenden Sieg des Rechtspopulisten Călin Georgescu vor der konservativ-liberalen Politikerin Elena Lasconi (Union Rettet Rumänien, USR) noch als gültig bestätigt. Die Neuansetzung der Präsidentschaftswahl wird für das kommende Frühjahr erwartet.
In ihrer einstimmig getroffenen Entscheidung stützten sich die neun Verfassungsrichter auf Informationen der rumänischen Geheimdienste. Denen zufolge hatte ein “ausländischer staatlicher Akteur” durch massive Cyber-Attacken und tausende Online-Konten in den sozialen Netzwerken Tiktok und Telegram unrechtmäßig Einfluss genommen auf die Wahlentscheidung.
Tatsächlich war der 62-jährige Agraringenieur Georgescu im Wahlkampf physisch kaum in Erscheinung getreten. Seine EU- und NATO-kritischen politischen Botschaften hatte er via Video-Clips in sozialen Netzwerken verbreitet. Dass dies mit finanzieller und logistischer Unterstützung Russlands geschehen war, bestreitet Georgescu, der Rumäniens Neutralität im Ukraine-Krieg propagiert.
Trotz abgesagter Stichwahl suchte Georgescu am Sonntagmorgen sein Wahllokal auf, um seine Stimme abzugeben. Bei der Gelegenheit fragten ihn Journalisten nach seiner persönlichen Bekanntschaft mit dem Crypto-Investor Bogdan Peșchir, dessen Häuser und Büros in Brașov die Ermittlungsbehörden am Samstag durchsuchten. Peșchir soll zwischen dem 24. Oktober und dem 24. November 2024 mehreren Tiktok-Nutzern 381.000 Dollar bezahlt haben, um für Georgescu zu werben, ohne dies als politische Werbung zu kennzeichnen. Geogescu bestritt, Peșchir zu kennen.
Es ist ein Verstoß gegen rumänisches Wahlrecht, über soziale Medien politische Inhalte zu verbreiten, ohne sie als politische Werbung zu kennzeichnen. Ob der Verstoß aber schwer genug wiegt, um die Präsidentschaftswahl zu annullieren, ist umstritten.
Rumäniens scheidender Ministerpräsident Marcel Ciolacu, der als Kandidat der post-kommunistischen Sozialdemokraten (PSD) als Drittplatzierter aus dem Rennen um das höchste Amt im Staate ausgeschieden war, wertete den Abbruch der Wahl als “einzig korrekte Lösung”. Ihm zufolge zeigten die von den nationalen Geheimdiensten ermittelten Informationen, “dass das Ergebnis der Abstimmung durch die Einmischung Russlands eklatant verfälscht wurde“.
Völlig konträr dazu und erstaunlich unisono verurteilten dagegen die beiden vermeintlichen Kontrahenten im Stechen Georgescu und Lasconi den Richterspruch. Mit ihm, so erklärten sie jeweils unabhängig voneinander, werde “die rumänische Demokratie mit Füßen getreten”. “In der Demokratie”, so kritisierte die URS-Kandidatin, “werden Präsidenten nicht durch eine einfache Unterschrift oder durch Verhandlungen hinter den Kulissen ernannt”. Stattdessen sei “der Wille des rumänischen Volkes zu respektieren”. In den vergangenen Jahren hat sich ihre Partei als Anti-Korruptionspartei profiliert.
Obwohl die westlich orientierten Parteien bei den Parlamentswahlen am 1. Dezember eine Mehrheit gegenüber den nationalistischen behaupteten, galt zuletzt Georgescu als Favorit für das Amt des Staatsoberhaupts. Elena Lasconi gab sich am Freitag dennoch überzeugt, “dass ich gewonnen hätte”. Für die bevorstehende Wahlwiederholung demonstrierte sie Zuversicht und den Willen, “unsere Demokratie zu verteidigen”. Sie werde gewinnen, “weil das rumänische Volk weiß, dass ich für es kämpfen werde und es für ein besseres Rumänien vereinen werde”, sagte sie.
Călin Georgescu wertete die Verfassungsgerichtsentscheidung als “Staatsstreich”. Der Rechtsstaat befinde sich “im künstlichen Koma”, weil “die Justiz politischen Anordnungen untergeordnet” sei, beschied er. Damit spielte er darauf an, dass die neun Verfassungsrichter mehrheitlich von den führenden Parteien der vergangenen Jahre, der sozialdemokratischen PSD und der nationalliberalen PNL, nominiert wurden. Das “korrupte System in Rumänien”, sagte Georgescu, habe “einen Pakt mit dem Teufel geschlossen”.
So komplex die Entscheidung des Verfassungsgerichts in Rumänien ist, so simplifizierend scheint zuweilen der Blick von Außen. “Putin hat Angst vor funktionierenden Demokratien”, kommentierte etwa Tobias Cremer, außenpolitischer Sprecher der Europa-SPD. Seine Einflussnahme auf die rumänische Präsidentschaftswahl beweise, wie sehr sein System unter Druck gerate. Den Autoren von Visegrad Insight, Adrian Mihaltianu und Bianca Felseghi, zufolge genügt es indes nicht, Georgescus Erfolg auf Tiktok zu schieben. Dies könne erklären, wie Georgescu seine nationalistischen und isolationistischen Botschaften verbreitete, aber nicht ihre Resonanz. Dafür seien “globale Trends hin zu anti-systemischem Wahlverhalten” in Betracht zu ziehen und die spezifischen Frustrationen der Rumänen.
Der Sturz des Regimes des syrischen Machthabers Baschar al-Assad ist weltweit begrüßt worden. “Die grausame Assad-Diktatur ist zusammengebrochen”, schrieb Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf der Plattform X. “Dieser historische Wandel in der Region bietet Chancen, ist aber nicht ohne Risiken.” Europa sei bereit, die Wahrung der nationalen Einheit und den Wiederaufbau eines syrischen Staates zu unterstützen, der alle Minderheiten schützt. Die Kommission stehe in Kontakt mit europäischen und regionalen Politikern und beobachte die Entwicklungen.
Bundeskanzler Olaf Scholz sagte am Sonntag: “Das syrische Volk hat entsetzliches Leid erfahren. Das Ende der Assad-Herrschaft über Syrien ist daher eine gute Nachricht.” Der designierte US-Präsident Donald Trump schrieb, Assads Beschützer Wladimir Putin sei “nicht mehr daran interessiert” gewesen, “ihn zu schützen”. Syriens zweite Schutzmacht Iran befinde sich “wegen Israel und dessen Kampferfolg” ebenfalls in einem geschwächten Zustand, schrieb Trump auf der Plattform Truth Social.
“Die Zukunft gehört uns”, sagte Abu Mohammed Al-Golani am Sonntag im syrischen Fernsehen. Der Anführer der Gruppe Hajat Tahrir al-Scham (HTS) gilt als zentral für die künftigen Machtverhältnisse in Damaskus. Er genießt die Unterstützung der Türkei und Qatars, die als Sieger aus der historischen Wende in Damaskus hervorgehen. Russland und Iran hingegen, die Assad seit Beginn der Proteste gegen dessen Regime 2011 militärisch unterstützt hatten, verlieren ihre Schlüsselstellung im Herzen der arabischen Welt.
Grundlage für einen friedlichen Übergang in die Post-Assad-Ära könnte die UN-Resolution 2254 von 2015 bilden, die einen nationalen Dialog zur Bildung einer Regierung nationaler Einheit vorsieht. Dafür sprachen sich neben Scholz am Sonntag auch Repräsentanten der Türkei und Qatars aus, die syrische Sunnitenmilizen über Jahre unterstützt hatten, um Assad militärisch zu stürzen. “Jetzt kommt es darauf an, dass in Syrien schnell Recht und Ordnung wieder hergestellt werden”, sagte Scholz. “Alle Religionsgemeinschaften, alle Minderheiten müssen jetzt und in Zukunft Schutz genießen.” Mehr dazu lesen Sie bei Security.Table. mbr
Leitmärkte für CO₂-reduzierte Produkte sollen eine herausgehobene Rolle im Clean Industrial Deal spielen. “Grüne Leitmärkte werden ein zentrales, wenn nicht das zentrale Element im Clean Industrial Deal sein”, sagte Robert Gampfer, Referent für Klima und Energie bei der Vertretung der EU-Kommission in Berlin. Die neue Kommission werde den “Industrial Decarbonisation Accelerator Act”, die geplante gesetzliche Grundlage für grüne Leitmärkte, aber wohl noch nicht im Rahmen des ersten 100-Tage-Programms erarbeiten, sondern erst einige Monate später vorstellen, sagte Gampfer bei einer Veranstaltung des Thinktanks Agora Energiewende in Berlin.
Neben Anreizen für “saubere Technologien” sollen Leitmärkte auch CO₂-arm hergestellten industriellen Grundstoffen wie “grünem” Stahl Nachfrage verschaffen, die derzeit kostspieliger sind als klimaschädlichere Konkurrenzprodukte. Die Verwendung von CO₂-reduziertem Stahl würde etwa einen Pkw um ein bis drei Prozent verteuern. Eine neue Agora-Studie schlägt daher eine Reihe von Instrumenten vor, um grüne Leitmärkte zu etablieren, darunter:
Letzteren hat die deutsche Stahlindustrie bereits entwickelt: den “Low-emission Steel Standard” (LESS). Aus Sicht von Martin Theuringer, Geschäftsführer der Wirtschaftsvereinigung Stahl, würden Standards wie LESS in der öffentlichen Beschaffung oder für die Autoindustrie zwar CO₂-arm hergestellten Grundstoffen einen Markt in Europa verschaffen. Aber auch nicht-europäische Hersteller könnten entsprechend hergestellte Produkte in Europa verkaufen – wodurch eine ergrünte europäische Grundstoffindustrie neue Konkurrenz bekäme. Investitionen in klimafreundliche Stahlproduktionstechnologien würden sich so nicht rechnen.
Theuringer plädierte bei der Veranstaltung zusätzlich für protektionistische Maßnahmen. “Es wird nicht reichen, Grenzwerte festzulegen”, sagte er. “Da hoffe ich, dass wir auf europäischer Ebene auch mehr in diese Richtung denken: Wir müssen grüne Leitmärkte verbinden mit dem Thema Local Content und Buy European.”
Ein europäisches Grünstahl-Label empfiehlt auch eine am Montag erscheinende Studie des Thinktanks Epico KlimaInnovation zur Transformation der europäischen Stahlproduktion, die Table.Briefings vorab vorlag. Das LESS-Label wird in der Studie aber kritisch gesehen.
Es bestehe die Gefahr des Greenwashings, denn LESS benachteilige die besonders CO₂-arme Stahlproduktion aus Schrott in Elektrolichtbogenöfen. LESS bevorzuge stattdessen die Rohstahlherstellung aus Eisenerz in Direktreduktionsanlagen, deren Errichtung in Deutschland mit etwa sieben Milliarden Euro gefördert wird. Dadurch werde auch das Sammeln und Recycling von Stahlschrott im Sinne einer Kreislaufwirtschaft behindert, denn die Verwendung von Primäreisen werde dadurch potenziell billiger als das Recycling, sagte Studienkoautor Julian Parodi zu Table.Briefings.
Ebenfalls am Montag trifft Bundeskanzler Olaf Scholz nach eigenen Angaben Stahlmanager, Betriebsräte und Gewerkschaftsvertreter. Scholz sagte der Funke-Mediengruppe, die Sicherung der Stahlindustrie habe “geostrategische Bedeutung”. Er forderte die EU-Kommission zum Schutz der europäischen Stahlindustrie vor “Dumping-Stahl aus dem Ausland” auf. av
Die Europäische Union steht vor der Aufgabe, ihre technologische Abhängigkeit von Anbietern außerhalb Europas zu verringern und ihre digitale Infrastruktur eigenständig und wettbewerbsfähig zu gestalten. Dies ist das zentrale Ergebnis der Policy Studie “Time to Build a European Digital Ecosystem”. Die Studie der Foundation for European Progressive Studies (FEPS) und der Friedrich-Ebert-Stiftung lag Table.Briefings vorab vor.
Die Studie unterstreicht die Bedeutung, bestehende digitale Vorschriften durchzusetzen und eine Europäische Digitale Industriepolitik (EDIP) zu schaffen, um Innovation voranzutreiben und europäische Werte zu sichern. Dabei analysieren die acht Autoren der Studie, wie geopolitische Spannungen und Abhängigkeiten von nicht-europäischen Technologieunternehmen die Innovationsfähigkeit und Werte Europas beeinträchtigen.
Sie fordern die Schaffung eines “Euro Stack” – eines technologischen Systems, das europäische Hardware, Daten, Künstliche Intelligenz und Governance vereint. Dieses Vorhaben soll dazu beitragen, die technologische Eigenständigkeit Europas zu stärken und Abhängigkeiten zu reduzieren.
Die Studie hebt auch die Bedeutung nachhaltiger und energieeffizienter KI-Entwicklung sowie eines verbesserten Schutzes von Arbeitnehmerrechten durch klare Regeln für den Einsatz von Algorithmen am Arbeitsplatz hervor. Die Durchsetzung bestehender Gesetze wie der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) und des Digital Markets Act (DMA) betrachten die Autoren als entscheidend, um fairen Wettbewerb und Transparenz sicherzustellen.
Die Empfehlungen zielen darauf ab, Europas digitale Infrastruktur zukunftssicher zu machen, Innovationen zu fördern und die technologische Entwicklung stärker an gesellschaftlichen Zielen auszurichten. So heißt es in der Studie: “Die Entwicklung von KI ist kein Selbstzweck.” Öffentliche Investitionen in KI sollten ausdrücklich an gesellschaftliche Werte gebunden sein. Anstatt mit Big Tech finanziell zu konkurrieren, sollte die EU ihren strategischen Einfluss nutzen, um ein gerechteres technologisches Ökosystem aufzubauen. Dazu solle sie klare Bedingungen an KI-Investitionen knüpfen. vis
Jaume Duch wurde 1962 in Barcelona geboren, arbeitete aber 37 Jahre lang als hochrangiger EU-Beamter mehrere hundert Kilometer von der Costa del Maresme entfernt. Die letzten zwei Jahrzehnte arbeitete er in Brüssel als Sprecher und Generaldirektor für Kommunikation des EU-Parlaments. Nun kehrt er in seine Heimat zurück als Minister für die Europäische Union und Auswärtige Angelegenheiten.
Duch studierte Rechtswissenschaften an der Universität von Barcelona und spezialisierte sich auf EU-Recht. Zwischen 1986 und 1990 war er Professor für internationales öffentliches Recht an der Universität Barcelona und Koordinator von Seminaren über Organe und Politiken der EU. Im Jahr 1986, dem Jahr des EU-Beitritts Spaniens, begann er zudem für europäische Organisationen zu arbeiten. Duch erinnert sich: “Ich war der erste Professor, der internationales Recht auf Katalanisch unterrichtete“.
Nun betritt er die aktive politische Bühne zu einem für Katalonien bedeutenden Zeitpunkt. Nach 14 Jahren separatistischer Regionalregierung ist seit Sommer die katalanische Sozialistische Partei (PSC) wieder am Zug in Barcelona. Bei der Wahl im Mai erhielten die Sozialisten unter Salvador Illa die meisten Stimmen und Sitze (42), wenn auch keine absolute Mehrheit (68). Ein Deal mit den Separatisten sicherte der Region Steuerautonomie und Illa das Amt des Präsidenten der Generalitat.
In dieser besonderen Situation sieht Duch einen historischen Moment für Katalonien. “Wir können jetzt Teil der Lösung sein”, sagt er im Gespräch mit Table.Briefings. Diese Regierung wolle zum Fortschritt Spaniens beitragen. Man sei sich darüber im Klaren, dass der Fortschritt Kataloniens mit dem Fortschritt Spaniens als Ganzes zusammenhänge, sagte Duch.
Das Angebot, der Regierung Illa beizutreten, kam für den Kommunikationsexperten überraschend, aber doch zur richtigen Zeit. Im Mai fanden die Europawahlen und einen Monat später die Wahlen in Katalonien statt. Der Wechsel in den EU-Institutionen bedeutete, dass Duch sein Amt in Brüssel niederlegen konnte, ohne die laufenden Prozesse einer Legislaturperiode zu unterbrechen. “Ich hätte als Sprecher des EU-Parlaments weitermachen können und war überrascht, dass man mir einen Sitz in der Regierung Illa angeboten hat.” Er habe sich geehrt gefühlt, und die Entscheidung sei ihm leicht gefallen, gesteht er.
Duch hält die steuerliche Unabhängigkeit Kataloniens und die Förderung des Katalanischen als Amtssprache in der EU für richtig. “Das Finanzierungssystem für autonome Regionen in Spanien ist nicht mehr an die katalanische oder spanische Realität angepasst”, sagt er und fordert eine Neuausrichtung der Finanzierungspolitik. Dass Katalanisch offizielle EU-Amtsprache wird, sei eine Frage der sprachlichen Gerechtigkeit, findet Duch. Katalanisch werde von etwa zehn Millionen Menschen gesprochen. “Es gibt also mehr Menschen, die Katalanisch sprechen, als manch andere EU-Amtssprachen”.
Am 19. November verabschiedete die Generalitat von Katalonien den Brüsseler Plan. Duchs Ministerium hat die Federführung für den “Pla Brussel·les”. Der Plan definiert, wie Katalonien seine Präsenz in EU-Gremien wie Rat, Kommission, Parlament und dem Europäischen Ausschuss der Regionen ausbauen kann. Der Plan setzt Schwerpunkte auf den Wohnungsbau, die Gemeinsame Agrarpolitik, den nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen und die Anerkennung des Katalanischen als Amtssprache der EU.
Das Miteinander von Spanien, Katalonien und Europa ist für Duch sowohl auf politischer als auch auf persönlicher Ebene wichtig. Er definiert sich als Katalane, Spanier und Europäer zugleich und betont, keine Ideologien oder Parteikürzel stünden für ihn im Vordergrund, sondern Vorschläge, die dem Wohl der Bürger dienen. Isabel Cuesta
die Flucht des syrischen Machthabers Baschar al-Assad aus Damaskus bedeutet eine Zeitenwende in Nahost – vergleichbar mit dem Sturz Saddam Husseins im Zuge der US-Irak-Invasion 2003. Das schreibt mein Kollege Markus Bickel im Table.Spezial: “Wie der Sturz Assads die Machtverhältnisse in Nahost verschiebt”.
Was die Einnahme der syrischen Hauptstadt durch die Islamisten der Al-Qaida-Nachfolgeorganisation Hayat Tahrir al-Scham in den kommenden Tagen bringt, kann zur Stunde noch niemand sagen. Auch nicht in Brüssel, wo die neue EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas gerade ihr Amt angetreten hat.
“Das Ende von Assads Diktatur” sei eine positive Entwicklung, schrieb Kallas auf der Plattform X. Der Sturz des Regimes zeige auch die Schwäche von Assads Unterstützern, Russland und Iran. Kallas kündigte an, die EU werde in der Region nun “mit allen konstruktiven Partnern zusammenarbeiten”.
Das ist ein Anfang. Bleibt zu hoffen, dass Syrien das Schicksal Libyens oder auch Afghanistans erspart bleibt. Leider steht die Demokratie als Staatsform aktuell weder in Europa noch weltweit so hoch im Kurs, dass es leicht wird, in Syrien Mitstreiter für sie zu finden. Das wird eine der vielen geopolitischen Herausforderungen der zweiten Amtszeit von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen werden.
Kommen Sie gut in die neue Woche,
Im vergangenen Mandat hat die Generaldirektion Umwelt (DG ENV) der Von-der-Leyen-Kommission NGOs dafür bezahlt, gegen das Freihandelsabkommen Mercosur vorzugehen. Im Anhang zum Vertrag, der mit der NGO European Environmental Bureau abgeschlossen wurde, heißt es etwa, dass die NGO die EU und die Mitgliedstaaten in der Sache lobbyieren möge. Ziel sei, die Ratifizierung des Handelsabkommens zu stoppen. Dies steht im Widerspruch zum Ziel von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und des damaligen Handelskommissars Valdis Dombrovskis, das Handelsabkommen abzuschließen.
Im sogenannten Arbeitspaket (working package) des Vertrages heißt es, die NGO solle als Arbeitsnachweis in der Sache ein Treffen mit der Kommission belegen sowie mit vier Europaabgeordneten, die sich mit Handel beschäftigen. Außerdem solle die NGO Lobbyschreiben an Europaabgeordnete und die Kommission schicken. Die DG ENV verpflichtet die NGO zudem, mit EU-Mitteln eine andere DG der Kommission, die DG GROW, zu lobbyieren.
In der schriftlichen Antwort der Kommission an den Haushaltskontrollausschuss des Europaparlaments bestreitet die Kommission den Inhalt des Vertrags nicht. Vielmehr heißt es dazu: Bei dem Vertrag sei es darum gegangen, sich “für eine nachhaltigere und fairere EU-Handelsagenda einzusetzen”. Ziel sei gewesen, die Ratifizierung des Abkommens “in seiner aktuellen Version” zu stoppen.
Die betroffene NGO, European Environmental Bureau (eeb), ist eine EU-Dachorganisation von Umwelt-NGOs aus 41 Ländern. In Deutschland sind etwa Mitglied:
Mit dem Vertrag, den Table.Media in Auszügen gesehen hat, bekommt die NGO einen Betriebskostenzuschuss im Rahmen des Life-Programms in Höhe von 700.000 Euro jährlich. Es geht um zwei Bewilligungen von Betriebskostenzuschüssen mit den Titeln LIFE21NGO/BE/EEB sowie LIFE22NGO/BE/EEB.
Operativ zuständig für den Abschluss und Inhalt dieses und vieler ähnlicher Verträge im Life-Programm im Rahmen des Mehrjährigen Finanzrahmens MFR (2021 bis 2027) ist die Exekutivagentur CINEA (European Climate, Infrastructure and Environment Executive Agency) unter Leitung von Paloma Alba Garrote.
CINEA wurde 2021 gegründet, um Teile des Green Deals operativ umzusetzen. CINEA ist den DGs ENV und CLIMA untergeordnet. Für DG ENV und DG CLIMA waren zum Zeitpunkt des Abschlusses der Verträge Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius zuständig sowie Frans Timmermans, Vize-Präsident der Kommission für den Green Deal.
Im Zuge der Entlastung des EU-Haushalts 2023 hat der Haushaltskontrollausschuss des Europaparlaments die Gestaltung von Verträgen zur NGO-Finanzierung untersucht. Rund 30 Verträge sind von Abgeordneten unter höchster Geheimhaltungsstufe eingesehen worden. Bei der heutigen Sitzung des Haushaltskontrollausschusses muss sich Haushaltskommissar Piotr Serafin kritischen Fragen stellen.
Weitere Beispiele von Verträgen, die bemängelt werden, sind die Abmachungen mit Carbon Market Watch (LIFE21NGO/BE/CMW; LIFE22NGO/BE/CMW). Die NGO, zu deren Gründern auch Brot für die Welt und Misereor gehören, wird verpflichtet, Abgeordnete des Europaparlaments zu lobbyieren. Carbon Market Watch hat Gelder aus dem EU-Haushalt in Höhe von 205.000 Euro jährlich bekommen.
Die NGO-Mitarbeiter sollen etwa eine bestimmte Anzahl von Treffen mit Abgeordneten nachweisen. Ihnen werden konkrete Sätze mit auf den Weg gegeben, die sie in EU-Gesetzen unterbringen sollen. Dieser Ansatz gilt unter dem Prinzip der Gewaltenteilung als verfassungsrechtlich problematisch, weil die Exekutive Geld ausgibt, um die Legislative zu beeinflussen.
Der Vertrag mit HEAL, Health and Environment Alliance, soll Unterstützung für Verbote von Glyphosat und PFAS organisieren. Er sieht etwa Treffen mit drei bis fünf Kabinettsmitgliedern von Kommissaren sowie Gespräche mit Vertretern der EU-Ratspräsidentschaft und EU-Umweltministern vor entscheidenden Räten vor. HEAL erhielt 598.000 Euro jährlich aus dem EU-Haushalt.
Der Vertrag mit Client Earth soll auch den Kohleausstieg in Deutschland 2030 beschleunigen. Client Earth ist eine Umweltrechtsorganisation, die weltweit acht Standorte hat und mit juristischen Klagen Dinge verändern will. Client Earth hat 350.000 Euro im Jahr aus dem EU-Haushalt bekommen. Der Vertrag sieht etwa vor, dass die NGO Klagen einreicht gegen die Kohlekraftwerke Garzweiler und Boxberg. Ziel sei auch, die Schließung des Steinkohlekraftwerkes Datteln 4 in NRW zu erreichen.
Client Earth will demnach zudem juristisch gegen Landwirtschaft in Naturschutzgebieten vorgehen.* Es geht darum, auf dem Gerichtswege Ausnahmegenehmigungen der Behörden für Bauern anzufechten. Landwirte und Behörden sollen nachweisen müssen, dass die Aktivitäten in den Schutzgebieten keinen Schaden an der Umwelt anrichten.
Ein Whistleblower hat 2023 erstmals auf die umstrittenen Verträge aufmerksam gemacht. Der Haushaltskontrollausschuss des Europaparlaments hat danach zunächst stichprobenartig Verträge eingesehen und die Verstöße dokumentiert.
Inzwischen werden die Verträge zwischen CINEA und NGOs systematisch überprüft. Seit Monaten laufen die Gespräche mit der Kommission. Der Ausschuss hat der Kommission Fragen zur schriftlichen Beantwortung und Aufklärung vorgelegt. Der damalige Landwirtschaftskommissar Janusz Wojciechowski und Klimakommissar Wopke Hoekstra wurden bereits im Ausschuss befragt.
Die Kommission hat nach Informationen von Table.Briefings intern die Verträge geprüft. Das Corporate Management Board, ein internes Kontrollgremium, war damit beschäftigt. Die Generalsekretärin der Kommission, Ilze Juhansone und die Generaldirektorin BUDG, Stephanie Riso, haben sich darum gekümmert.
Danach gab die DG BUDG einen neuen Leitfaden zur Finanzierung heraus. Table.Briefings liegt dieser neue zweiseitige Leitfaden vor. Einschneidende Maßnahmen werden nicht ergriffen. Es wird lediglich warnend auf mögliche Rufschädigung für die EU hingewiesen, wenn NGOs im Auftrag der Kommission andere EU-Institutionen lobbyierten.
Auch Serafin, der heute in den Ausschuss kommt, hat bereits schriftliche Antworten auf rund 20 Fragen des Ausschusses übermittelt. Die Kommission bestreitet in ihren Antworten nicht die bemängelten Inhalte der Verträge. Ein Schuldbewusstsein sucht man aber vergebens. Nur an einer Stelle kommt so etwas wie Verständnis für die Kritik des Parlaments auf. So heißt es etwa in einer schriftlichen Antwort: “Die Kommission hat immer wieder gesagt, dass die Betriebskostenzuschüsse, wenn sie gekoppelt sind an detaillierte Aktivitäten bei EU-Institutionen und ihren Repräsentanten, ein Reputationsrisiko mit sich bringen – selbst dann, wenn sie nicht den rechtlichen Rahmen verletzen.”
Serafin wird aber heute wohl auch wieder zurückweisen, dass die Kommission Verantwortung hat. In den Antworten der Kommission heißt es dazu immer wieder, dass “die Einrichtungen, die im Rahmen solcher Finanzhilfen Mittel erhalten, in vollem Umfang und allein für ihre eigene Auffassung verantwortlich bleiben, die möglicherweise nicht mit der Auffassung der Kommission übereinstimmt”.
Die Kommission hat inzwischen offenbar reagiert. Sie soll mit einem Schreiben die NGOs aufgefordert haben, künftig das Lobbyieren von Europaabgeordneten und anderen EU-Institutionen zu unterlassen. Darüber haben betroffene NGOs in den Medien berichtet. Der Haushaltskontrollausschuss versucht, weiter die Hintergründe aufzuklären.
*In der ursprünglichen Fassung des Artikels hatten wir geschrieben, Client Earth habe sich verpflichtet, 30 Klagen gegen landwirtschaftliche Betriebe einzureichen, die in Schutzgebieten ihren Aktivitäten nachgehen. Das ist so nicht korrekt.
Bundesdigitalminister Volker Wissing erwartet eine gute Zusammenarbeit mit der neuen Exekutiv-Vizepräsidentin Henna Virkkunen (Technologische Souveränität, Sicherheit und Demokratie). “Sie hat einen sehr innovationsfreundlichen Ansatz, das begrüße ich“, sagte Wissing am Rande des Telekom-Rats in Brüssel im Gespräch mit Table.Briefings. “Daher glaube ich, dass wir mit unserem Anspruch auf mehr Wettbewerb bei ihr auf offene Ohren stoßen.” Innovationsfreundliche Regulierung sei das Entscheidende in der neuen Legislatur. Dabei erwartet Wissing eine weiterhin gute Zusammenarbeit mit den USA im Digitalbereich.
Der Rat billigte am Freitag in Brüssel Schlussfolgerungen zur EU-Agentur für Cybersicherheit (ENISA) und zum Weißbuch der Kommission zur Zukunft der Konnektivität. Außerdem führten die Minister eine Orientierungsaussprache über die Ziele des Programms 2030 für das digitale Jahrzehnt.
Beim Treffen hatte sich Wissing am Freitag für einen besseren Schutz der Infrastruktur starkgemacht. “Infrastrukturen werden immer sicherheitsrelevanter. Deswegen betrachten wir ihre Sicherheit als vorrangiges Anliegen.” So brauche Europa etwa mehr Resilienz bei den Unterseekabeln. Zuletzt waren zwei Unterseekabel in der Ostsee beschädigt worden. Schweden ermittelt wegen Sabotage.
“Wir müssen konsequent in neue Unterseekabel investieren, um so Redundanzen aufzubauen. Wir brauchen auch zusätzliche Reparaturkapazitäten, damit wir uns im Falle einer Beschädigung wehren können.” Diese Aufgabe könne man nicht allein dem privaten Sektor überlassen, sagte Wissing weiter. Sie liege im öffentlichen Sicherheitsinteresse und sei eine Aufgabe, “die nicht im nationalen Alleingang gelöst werden kann, das ist eine klassisch europäische Aufgabe.”
Henna Virkkunen, die zum ersten Mal an dem Rat teilnahm, kündigte an, sie wolle Europa zu einem KI-Kontinent machen. “Es ist kein Geheimnis, dass wir uns einen etwas schlankeren AI Act gewünscht hätten“, sagte Wissing im Rückblick auf die Verhandlungen zum AI Act. Aber am Ende sei es ein akzeptabler Kompromiss gewesen. “Ich sehe auch eine Chance in der Regulierung, weil wir dadurch Vertrauen für die Marke ,AI made in Europe’ etablieren können.” Er sei sicher, dass das “Vertrauen in künstliche Intelligenz ein ganz entscheidender Marktvorteil sein kann”.
Dabei versuchte er die Befürchtungen vieler Unternehmen zu zerstreuen, dass Deutschland erneut Gold-Plating betreibt und bei der Umsetzung des AI Acts das Gesetz unnötig verkompliziert. “Das wollen wir auf keinen Fall”, sagte der Minister. “Eine bürokratiearme Umsetzung des AI Acts ist ganz in meinem Sinne.” Doch wegen des Bruchs der Ampel liegt das Umsetzungsgesetz auf Eis.
Thema beim Rat war auch der kommende Digital Networks Act. “Ausgehend vom Weißbuch zur Zukunft des Telekommunikationsmarktes wünsche ich mir eine Debatte, wie wir die Wettbewerbsfähigkeit insgesamt innovationsgetrieben und ohne staatliche Eingriffe steigern können“, sagte Wissing. Dazu müssten Teile des Wettbewerbs- und Unternehmensrechts auf den Prüfstand. “Wenn wir die Spielregeln für alle so verbessern, dass Unternehmen wachsen können und global wettbewerbsfähig sind, brauchen wir auch keine Milliardenfonds für ausgesuchte Branchen.”
Wissing forderte, die mit dem Digital Services und dem Digital Markets Act (DSA und DMA) bereits eingeleitete Regulierung anzupassen. “Wir müssen uns die Plattformregulierung kontinuierlich und immer wieder neu anschauen und nachjustieren, wenn es notwendig ist.” Mit dem DSA habe die EU ein vielversprechendes Instrument, um Plattformen zur Verantwortung zu ziehen für illegale Inhalte. “Jetzt muss er seine Wirksamkeit beweisen, zum Beispiel mit den Verfahren gegen Tiktok.” Deswegen begrüße er, dass Virkkunen sich genau anschaue, was während der Wahlen passiert und die Daten sichere, um sie später auswerten zu können.
Wissing zog eine positive Bilanz zur bisherigen Zusammenarbeit in der Digitalpolitik mit den USA. “Wir haben Kooperationen mit den USA vereinbart, die sehr gut funktionieren und sehr wertvoll sind.” Es seien auch künftig viele Fragen zu klären, etwa zum Umgang mit Daten und neuen technologischen Möglichkeiten. “Die Hoffnung ist natürlich, dass wir diese guten Dialogformate fortsetzen können.”
Bisher habe es aber noch keine Gespräche mit den neuen Entscheidungsträgern gegeben. “Ich möchte deswegen nicht mit Vorurteilen starten, sondern einfach die Gespräche abwarten.” Wissing stellte jedoch klar: “Wir sind nicht bereit, unsere Politik außerhalb unserer Wertevorstellungen zu gestalten. Das heißt, wir werden uns bei unseren Entscheidungen immer an unseren Werten orientieren und erwarten das auch von unseren Partnern in den USA.” Dabei gebe es auch Situationen, wo man im Rahmen seiner Wertevorstellungen einen ‘Deal’ machen könne. “Aber das ist der Rahmen, innerhalb dessen wir uns bewegen. Wir werden sehen, was möglich ist.”
Es liege jedoch auch im amerikanischen Interesse, wenn beide Seiten Forschungsergebnisse etwa im Bereich autonomes Fahren austauschten und die Regulatorik aufeinander abstimmten. “Wenn die Märkte sich regulatorisch vollkommen auseinanderentwickeln, kann man mit solchen Technologien nur schwer global Geschäfte machen.”
Wissing forderte: “Wir müssen in Europa stärker zusammenarbeiten.” Er habe in Brüssel viele bilaterale Gespräche geführt und immer wieder daran erinnert, “dass wir uns stärker einigen müssen in industrie- und energiepolitischen Fragen. Wenn wir gemeinsam Lösungen voranbringen, können wir mit unseren Antworten weltweit Einfluss auf die Regulierung von Zukunftstechnologien nehmen.”
Annulliert ein Verfassungsgericht eine demokratische Wahl, sollte es dafür unzweifelhafte Gründe haben. Es wird sich erweisen müssen, ob das rumänische Verfassungsgericht darüber verfügte, als es am vergangenen Freitag den ersten Wahlgang zur Präsidentschaftswahl vom 24. November 2024 annullierte und die für den 8. Dezember 2024 angesetzte Stichwahl absagte.
Nach einer Wiederauszählung der Stimmen hatten die Verfassungsrichter einige Tage zuvor das Wahlergebnis mit dem überraschenden Sieg des Rechtspopulisten Călin Georgescu vor der konservativ-liberalen Politikerin Elena Lasconi (Union Rettet Rumänien, USR) noch als gültig bestätigt. Die Neuansetzung der Präsidentschaftswahl wird für das kommende Frühjahr erwartet.
In ihrer einstimmig getroffenen Entscheidung stützten sich die neun Verfassungsrichter auf Informationen der rumänischen Geheimdienste. Denen zufolge hatte ein “ausländischer staatlicher Akteur” durch massive Cyber-Attacken und tausende Online-Konten in den sozialen Netzwerken Tiktok und Telegram unrechtmäßig Einfluss genommen auf die Wahlentscheidung.
Tatsächlich war der 62-jährige Agraringenieur Georgescu im Wahlkampf physisch kaum in Erscheinung getreten. Seine EU- und NATO-kritischen politischen Botschaften hatte er via Video-Clips in sozialen Netzwerken verbreitet. Dass dies mit finanzieller und logistischer Unterstützung Russlands geschehen war, bestreitet Georgescu, der Rumäniens Neutralität im Ukraine-Krieg propagiert.
Trotz abgesagter Stichwahl suchte Georgescu am Sonntagmorgen sein Wahllokal auf, um seine Stimme abzugeben. Bei der Gelegenheit fragten ihn Journalisten nach seiner persönlichen Bekanntschaft mit dem Crypto-Investor Bogdan Peșchir, dessen Häuser und Büros in Brașov die Ermittlungsbehörden am Samstag durchsuchten. Peșchir soll zwischen dem 24. Oktober und dem 24. November 2024 mehreren Tiktok-Nutzern 381.000 Dollar bezahlt haben, um für Georgescu zu werben, ohne dies als politische Werbung zu kennzeichnen. Geogescu bestritt, Peșchir zu kennen.
Es ist ein Verstoß gegen rumänisches Wahlrecht, über soziale Medien politische Inhalte zu verbreiten, ohne sie als politische Werbung zu kennzeichnen. Ob der Verstoß aber schwer genug wiegt, um die Präsidentschaftswahl zu annullieren, ist umstritten.
Rumäniens scheidender Ministerpräsident Marcel Ciolacu, der als Kandidat der post-kommunistischen Sozialdemokraten (PSD) als Drittplatzierter aus dem Rennen um das höchste Amt im Staate ausgeschieden war, wertete den Abbruch der Wahl als “einzig korrekte Lösung”. Ihm zufolge zeigten die von den nationalen Geheimdiensten ermittelten Informationen, “dass das Ergebnis der Abstimmung durch die Einmischung Russlands eklatant verfälscht wurde“.
Völlig konträr dazu und erstaunlich unisono verurteilten dagegen die beiden vermeintlichen Kontrahenten im Stechen Georgescu und Lasconi den Richterspruch. Mit ihm, so erklärten sie jeweils unabhängig voneinander, werde “die rumänische Demokratie mit Füßen getreten”. “In der Demokratie”, so kritisierte die URS-Kandidatin, “werden Präsidenten nicht durch eine einfache Unterschrift oder durch Verhandlungen hinter den Kulissen ernannt”. Stattdessen sei “der Wille des rumänischen Volkes zu respektieren”. In den vergangenen Jahren hat sich ihre Partei als Anti-Korruptionspartei profiliert.
Obwohl die westlich orientierten Parteien bei den Parlamentswahlen am 1. Dezember eine Mehrheit gegenüber den nationalistischen behaupteten, galt zuletzt Georgescu als Favorit für das Amt des Staatsoberhaupts. Elena Lasconi gab sich am Freitag dennoch überzeugt, “dass ich gewonnen hätte”. Für die bevorstehende Wahlwiederholung demonstrierte sie Zuversicht und den Willen, “unsere Demokratie zu verteidigen”. Sie werde gewinnen, “weil das rumänische Volk weiß, dass ich für es kämpfen werde und es für ein besseres Rumänien vereinen werde”, sagte sie.
Călin Georgescu wertete die Verfassungsgerichtsentscheidung als “Staatsstreich”. Der Rechtsstaat befinde sich “im künstlichen Koma”, weil “die Justiz politischen Anordnungen untergeordnet” sei, beschied er. Damit spielte er darauf an, dass die neun Verfassungsrichter mehrheitlich von den führenden Parteien der vergangenen Jahre, der sozialdemokratischen PSD und der nationalliberalen PNL, nominiert wurden. Das “korrupte System in Rumänien”, sagte Georgescu, habe “einen Pakt mit dem Teufel geschlossen”.
So komplex die Entscheidung des Verfassungsgerichts in Rumänien ist, so simplifizierend scheint zuweilen der Blick von Außen. “Putin hat Angst vor funktionierenden Demokratien”, kommentierte etwa Tobias Cremer, außenpolitischer Sprecher der Europa-SPD. Seine Einflussnahme auf die rumänische Präsidentschaftswahl beweise, wie sehr sein System unter Druck gerate. Den Autoren von Visegrad Insight, Adrian Mihaltianu und Bianca Felseghi, zufolge genügt es indes nicht, Georgescus Erfolg auf Tiktok zu schieben. Dies könne erklären, wie Georgescu seine nationalistischen und isolationistischen Botschaften verbreitete, aber nicht ihre Resonanz. Dafür seien “globale Trends hin zu anti-systemischem Wahlverhalten” in Betracht zu ziehen und die spezifischen Frustrationen der Rumänen.
Der Sturz des Regimes des syrischen Machthabers Baschar al-Assad ist weltweit begrüßt worden. “Die grausame Assad-Diktatur ist zusammengebrochen”, schrieb Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf der Plattform X. “Dieser historische Wandel in der Region bietet Chancen, ist aber nicht ohne Risiken.” Europa sei bereit, die Wahrung der nationalen Einheit und den Wiederaufbau eines syrischen Staates zu unterstützen, der alle Minderheiten schützt. Die Kommission stehe in Kontakt mit europäischen und regionalen Politikern und beobachte die Entwicklungen.
Bundeskanzler Olaf Scholz sagte am Sonntag: “Das syrische Volk hat entsetzliches Leid erfahren. Das Ende der Assad-Herrschaft über Syrien ist daher eine gute Nachricht.” Der designierte US-Präsident Donald Trump schrieb, Assads Beschützer Wladimir Putin sei “nicht mehr daran interessiert” gewesen, “ihn zu schützen”. Syriens zweite Schutzmacht Iran befinde sich “wegen Israel und dessen Kampferfolg” ebenfalls in einem geschwächten Zustand, schrieb Trump auf der Plattform Truth Social.
“Die Zukunft gehört uns”, sagte Abu Mohammed Al-Golani am Sonntag im syrischen Fernsehen. Der Anführer der Gruppe Hajat Tahrir al-Scham (HTS) gilt als zentral für die künftigen Machtverhältnisse in Damaskus. Er genießt die Unterstützung der Türkei und Qatars, die als Sieger aus der historischen Wende in Damaskus hervorgehen. Russland und Iran hingegen, die Assad seit Beginn der Proteste gegen dessen Regime 2011 militärisch unterstützt hatten, verlieren ihre Schlüsselstellung im Herzen der arabischen Welt.
Grundlage für einen friedlichen Übergang in die Post-Assad-Ära könnte die UN-Resolution 2254 von 2015 bilden, die einen nationalen Dialog zur Bildung einer Regierung nationaler Einheit vorsieht. Dafür sprachen sich neben Scholz am Sonntag auch Repräsentanten der Türkei und Qatars aus, die syrische Sunnitenmilizen über Jahre unterstützt hatten, um Assad militärisch zu stürzen. “Jetzt kommt es darauf an, dass in Syrien schnell Recht und Ordnung wieder hergestellt werden”, sagte Scholz. “Alle Religionsgemeinschaften, alle Minderheiten müssen jetzt und in Zukunft Schutz genießen.” Mehr dazu lesen Sie bei Security.Table. mbr
Leitmärkte für CO₂-reduzierte Produkte sollen eine herausgehobene Rolle im Clean Industrial Deal spielen. “Grüne Leitmärkte werden ein zentrales, wenn nicht das zentrale Element im Clean Industrial Deal sein”, sagte Robert Gampfer, Referent für Klima und Energie bei der Vertretung der EU-Kommission in Berlin. Die neue Kommission werde den “Industrial Decarbonisation Accelerator Act”, die geplante gesetzliche Grundlage für grüne Leitmärkte, aber wohl noch nicht im Rahmen des ersten 100-Tage-Programms erarbeiten, sondern erst einige Monate später vorstellen, sagte Gampfer bei einer Veranstaltung des Thinktanks Agora Energiewende in Berlin.
Neben Anreizen für “saubere Technologien” sollen Leitmärkte auch CO₂-arm hergestellten industriellen Grundstoffen wie “grünem” Stahl Nachfrage verschaffen, die derzeit kostspieliger sind als klimaschädlichere Konkurrenzprodukte. Die Verwendung von CO₂-reduziertem Stahl würde etwa einen Pkw um ein bis drei Prozent verteuern. Eine neue Agora-Studie schlägt daher eine Reihe von Instrumenten vor, um grüne Leitmärkte zu etablieren, darunter:
Letzteren hat die deutsche Stahlindustrie bereits entwickelt: den “Low-emission Steel Standard” (LESS). Aus Sicht von Martin Theuringer, Geschäftsführer der Wirtschaftsvereinigung Stahl, würden Standards wie LESS in der öffentlichen Beschaffung oder für die Autoindustrie zwar CO₂-arm hergestellten Grundstoffen einen Markt in Europa verschaffen. Aber auch nicht-europäische Hersteller könnten entsprechend hergestellte Produkte in Europa verkaufen – wodurch eine ergrünte europäische Grundstoffindustrie neue Konkurrenz bekäme. Investitionen in klimafreundliche Stahlproduktionstechnologien würden sich so nicht rechnen.
Theuringer plädierte bei der Veranstaltung zusätzlich für protektionistische Maßnahmen. “Es wird nicht reichen, Grenzwerte festzulegen”, sagte er. “Da hoffe ich, dass wir auf europäischer Ebene auch mehr in diese Richtung denken: Wir müssen grüne Leitmärkte verbinden mit dem Thema Local Content und Buy European.”
Ein europäisches Grünstahl-Label empfiehlt auch eine am Montag erscheinende Studie des Thinktanks Epico KlimaInnovation zur Transformation der europäischen Stahlproduktion, die Table.Briefings vorab vorlag. Das LESS-Label wird in der Studie aber kritisch gesehen.
Es bestehe die Gefahr des Greenwashings, denn LESS benachteilige die besonders CO₂-arme Stahlproduktion aus Schrott in Elektrolichtbogenöfen. LESS bevorzuge stattdessen die Rohstahlherstellung aus Eisenerz in Direktreduktionsanlagen, deren Errichtung in Deutschland mit etwa sieben Milliarden Euro gefördert wird. Dadurch werde auch das Sammeln und Recycling von Stahlschrott im Sinne einer Kreislaufwirtschaft behindert, denn die Verwendung von Primäreisen werde dadurch potenziell billiger als das Recycling, sagte Studienkoautor Julian Parodi zu Table.Briefings.
Ebenfalls am Montag trifft Bundeskanzler Olaf Scholz nach eigenen Angaben Stahlmanager, Betriebsräte und Gewerkschaftsvertreter. Scholz sagte der Funke-Mediengruppe, die Sicherung der Stahlindustrie habe “geostrategische Bedeutung”. Er forderte die EU-Kommission zum Schutz der europäischen Stahlindustrie vor “Dumping-Stahl aus dem Ausland” auf. av
Die Europäische Union steht vor der Aufgabe, ihre technologische Abhängigkeit von Anbietern außerhalb Europas zu verringern und ihre digitale Infrastruktur eigenständig und wettbewerbsfähig zu gestalten. Dies ist das zentrale Ergebnis der Policy Studie “Time to Build a European Digital Ecosystem”. Die Studie der Foundation for European Progressive Studies (FEPS) und der Friedrich-Ebert-Stiftung lag Table.Briefings vorab vor.
Die Studie unterstreicht die Bedeutung, bestehende digitale Vorschriften durchzusetzen und eine Europäische Digitale Industriepolitik (EDIP) zu schaffen, um Innovation voranzutreiben und europäische Werte zu sichern. Dabei analysieren die acht Autoren der Studie, wie geopolitische Spannungen und Abhängigkeiten von nicht-europäischen Technologieunternehmen die Innovationsfähigkeit und Werte Europas beeinträchtigen.
Sie fordern die Schaffung eines “Euro Stack” – eines technologischen Systems, das europäische Hardware, Daten, Künstliche Intelligenz und Governance vereint. Dieses Vorhaben soll dazu beitragen, die technologische Eigenständigkeit Europas zu stärken und Abhängigkeiten zu reduzieren.
Die Studie hebt auch die Bedeutung nachhaltiger und energieeffizienter KI-Entwicklung sowie eines verbesserten Schutzes von Arbeitnehmerrechten durch klare Regeln für den Einsatz von Algorithmen am Arbeitsplatz hervor. Die Durchsetzung bestehender Gesetze wie der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) und des Digital Markets Act (DMA) betrachten die Autoren als entscheidend, um fairen Wettbewerb und Transparenz sicherzustellen.
Die Empfehlungen zielen darauf ab, Europas digitale Infrastruktur zukunftssicher zu machen, Innovationen zu fördern und die technologische Entwicklung stärker an gesellschaftlichen Zielen auszurichten. So heißt es in der Studie: “Die Entwicklung von KI ist kein Selbstzweck.” Öffentliche Investitionen in KI sollten ausdrücklich an gesellschaftliche Werte gebunden sein. Anstatt mit Big Tech finanziell zu konkurrieren, sollte die EU ihren strategischen Einfluss nutzen, um ein gerechteres technologisches Ökosystem aufzubauen. Dazu solle sie klare Bedingungen an KI-Investitionen knüpfen. vis
Jaume Duch wurde 1962 in Barcelona geboren, arbeitete aber 37 Jahre lang als hochrangiger EU-Beamter mehrere hundert Kilometer von der Costa del Maresme entfernt. Die letzten zwei Jahrzehnte arbeitete er in Brüssel als Sprecher und Generaldirektor für Kommunikation des EU-Parlaments. Nun kehrt er in seine Heimat zurück als Minister für die Europäische Union und Auswärtige Angelegenheiten.
Duch studierte Rechtswissenschaften an der Universität von Barcelona und spezialisierte sich auf EU-Recht. Zwischen 1986 und 1990 war er Professor für internationales öffentliches Recht an der Universität Barcelona und Koordinator von Seminaren über Organe und Politiken der EU. Im Jahr 1986, dem Jahr des EU-Beitritts Spaniens, begann er zudem für europäische Organisationen zu arbeiten. Duch erinnert sich: “Ich war der erste Professor, der internationales Recht auf Katalanisch unterrichtete“.
Nun betritt er die aktive politische Bühne zu einem für Katalonien bedeutenden Zeitpunkt. Nach 14 Jahren separatistischer Regionalregierung ist seit Sommer die katalanische Sozialistische Partei (PSC) wieder am Zug in Barcelona. Bei der Wahl im Mai erhielten die Sozialisten unter Salvador Illa die meisten Stimmen und Sitze (42), wenn auch keine absolute Mehrheit (68). Ein Deal mit den Separatisten sicherte der Region Steuerautonomie und Illa das Amt des Präsidenten der Generalitat.
In dieser besonderen Situation sieht Duch einen historischen Moment für Katalonien. “Wir können jetzt Teil der Lösung sein”, sagt er im Gespräch mit Table.Briefings. Diese Regierung wolle zum Fortschritt Spaniens beitragen. Man sei sich darüber im Klaren, dass der Fortschritt Kataloniens mit dem Fortschritt Spaniens als Ganzes zusammenhänge, sagte Duch.
Das Angebot, der Regierung Illa beizutreten, kam für den Kommunikationsexperten überraschend, aber doch zur richtigen Zeit. Im Mai fanden die Europawahlen und einen Monat später die Wahlen in Katalonien statt. Der Wechsel in den EU-Institutionen bedeutete, dass Duch sein Amt in Brüssel niederlegen konnte, ohne die laufenden Prozesse einer Legislaturperiode zu unterbrechen. “Ich hätte als Sprecher des EU-Parlaments weitermachen können und war überrascht, dass man mir einen Sitz in der Regierung Illa angeboten hat.” Er habe sich geehrt gefühlt, und die Entscheidung sei ihm leicht gefallen, gesteht er.
Duch hält die steuerliche Unabhängigkeit Kataloniens und die Förderung des Katalanischen als Amtssprache in der EU für richtig. “Das Finanzierungssystem für autonome Regionen in Spanien ist nicht mehr an die katalanische oder spanische Realität angepasst”, sagt er und fordert eine Neuausrichtung der Finanzierungspolitik. Dass Katalanisch offizielle EU-Amtsprache wird, sei eine Frage der sprachlichen Gerechtigkeit, findet Duch. Katalanisch werde von etwa zehn Millionen Menschen gesprochen. “Es gibt also mehr Menschen, die Katalanisch sprechen, als manch andere EU-Amtssprachen”.
Am 19. November verabschiedete die Generalitat von Katalonien den Brüsseler Plan. Duchs Ministerium hat die Federführung für den “Pla Brussel·les”. Der Plan definiert, wie Katalonien seine Präsenz in EU-Gremien wie Rat, Kommission, Parlament und dem Europäischen Ausschuss der Regionen ausbauen kann. Der Plan setzt Schwerpunkte auf den Wohnungsbau, die Gemeinsame Agrarpolitik, den nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen und die Anerkennung des Katalanischen als Amtssprache der EU.
Das Miteinander von Spanien, Katalonien und Europa ist für Duch sowohl auf politischer als auch auf persönlicher Ebene wichtig. Er definiert sich als Katalane, Spanier und Europäer zugleich und betont, keine Ideologien oder Parteikürzel stünden für ihn im Vordergrund, sondern Vorschläge, die dem Wohl der Bürger dienen. Isabel Cuesta