Deutschland und Frankreich streiten seit Monaten über die Reform des Strommarktes – es geht um die Förderung der Atomenergie und günstigen Strom für die eigene Industrie. Nun fordert Eurelectric-Präsident Leonhard Birnbaum Paris und Berlin zu einer schnellen Lösung auf. “Als europäischer Energieverband haben wir kein Interesse daran, dass die Strommarktreform an Themen scheitert, die eigentlich jenseits der Frage des Marktdesigns liegen”, sagt der seit Juni amtierende Eurelectric-Chef in unserem Interview, das Sie in dieser Ausgabe lesen können.
Die Diskussion in Brüssel drehe sich gar nicht mehr um das Strommarktdesign, sie sei zu einer industriepolitischen Debatte geworden, klagt der Energiemanager, der auch als Eon-CEO für seine klaren Worte bekannt ist. Insgesamt fehle es der Kommission an Schwerpunkten, die State-of-the-Union-Rede “von Frau von der Leyen war eine ganz lange Liste. Aber was sind denn die zwei, drei Dinge, die wirklich zählen?“, fragt Birnbaum provokant.
Derzeit werde die Wirtschaft von einer Flut an Regulierungen überrollt, die überhaupt keine Prioritäten erkennen lassen: “Kann man auch mal ein paar Gesetzesvorhaben fallen lassen?” Welche Schwerpunkte Birnbaum als Eurelectric-Präsident setzen möchte, lesen Sie im vollständigen Interview.
Herr Birnbaum, hängt die Zukunft der europäischen Industrie allein von niedrigen Energiepreisen ab?
Die Probleme der europäischen Industrie sind aus meiner Sicht vielfältiger. Wir haben ganz klar ein Problem zwischen den großen Machtblöcken dieser Welt. Und dafür sind wir weder geopolitisch noch institutionell passend aufgestellt. Wir sind als Europa nicht innovativ genug. Wir haben keine ausreichende Infrastruktur. Was unsere Finanzierungsmöglichkeiten angeht, sind wir zu abhängig von den angelsächsischen Kapitalmärkten.
Und der europäische Binnenmarkt?
Wir haben zwar 400 Millionen Kunden. Aber dann schauen Sie sich die Digitalmärkte an, wo wir es geschafft haben, mit 27 Auslegungen der Datenschutzgrundverordnung den europäischen Markt zu atomisieren. Neue Geschäftsmodelle setzen sich deshalb in den USA durch, die wir dann übernehmen müssen. Für einige Sektoren mögen die Energiepreise entscheidend sein, aber wenn wir die Frage der Wettbewerbsfähigkeit auf die Energiekosten reduzieren, machen wir es uns zu einfach.
Um genau diese energieintensiven Sektoren sorgen sich der Bundeswirtschaftsminister und die Ministerpräsidenten. Sie wollen den Strompreis für einige Jahre subventionieren, bis erneuerbare Energien den Preis drücken – auf fünf oder sechs Cent. Wie lang wäre diese Überbrückungsphase?
Am Ende ist ein subventionierter Industriestrompreis eine politische Entscheidung. Man muss nur drei Fragen beantworten. Die erste haben Sie gerade gestellt: Wie lange dauert das? Im Moment ist die Hoffnung, dass nach fünf, sechs Jahren die Brücke überflüssig wird, weil dann die Fossilen teurer sind als die Erneuerbaren. Mag sein, aber an dieser Spekulation will ich mich nicht beteiligen. Die zweite Frage ist: Wenn die Brücke länger wird, wie komme ich dann wieder runter von den Zahlungen? Das ist bei jeder Subvention die Frage, wenn sie einmal eingeführt wurde. Und drittens: Sind die finanziellen Mittel so am besten eingesetzt? Und wer bezahlt? Die Kunden, die nicht begünstigt werden, müssen natürlich höhere Kosten tragen.
Der deutsche Vorstoß wird auch mit der Sorge begründet, dass Frankreich seine Industrie über den Strompreis künftig noch stärker unterstützt. Paris versucht das über die Strommarktreform, die gerade in der EU läuft. Teilen Sie diese Bedenken?
Die Energiepolitik in Brüssel dreht sich gar nicht mehr um das Strommarktdesign, sie ist zu einer industriepolitischen Debatte geworden. Wir erleben eine Diskussion über den Industriestrompreis zwischen Deutschland und Frankreich. Als europäischer Energieverband haben wir kein Interesse daran, dass die Strommarktreform an Themen scheitert, die eigentlich jenseits der Frage des Marktdesigns liegen.
Kurz gesagt geht es um die Modernisierung von Kraftwerken über staatlich abgesicherte Differenzverträge und die Umverteilung von Gewinnen – vor allem aus dem Betrieb von Atomkraftwerken.
Eurelectric will keine rückwirkende Anwendung von Differenzverträgen auf existierende Erzeugungskapazitäten. Das haben wir von Anfang an gesagt. Aber jetzt gibt es dieses Unterthema: Was ist mit den Gewinnen von Kernkraftwerken, die eine Verlängerung der Laufzeit bekommen? Ist das neue Kapazität, weil sie ja sonst nicht zur Verfügung gestanden hätte? Ich hoffe, dass Frankreich und Deutschland einen Weg finden, der die Diskussion für beide Seiten abräumt. Als Energieunternehmen wollen wir, dass die Debatte um das Strommarktdesign zügig abgeschlossen wird.
Mal abgesehen vom Spezialfall Atomenergie: Wem sollen Erlöse aus neuen Kraftwerken zufließen, wenn die Strompreise wieder exorbitant steigen? Die Kommission wollte eine Aufteilung auf alle Stromkunden. Andere möchten die Einnahmen für die Industrie nutzen. Am Ende könnte es den nationalen Regierungen überlassen bleiben.
Ich halte es für schwierig, wenn jeder Mitgliedstaat selbst über die Verteilung von Einnahmen aus Differenzverträgen entscheidet. Die Stärkung des europäischen Marktes muss im Interesse aller Europäer sein, und der Strompreis wird sich auf immer mehr Güter auswirken. Wenn ich den EU-Ländern sehr große Freiheitsgrade gebe, die Preise für Endkunden zu beeinflussen, dann muss ich mir zumindest darüber im Klaren sein, dass dies massive Auswirkungen auf den gemeinsamen Binnenmarkt hat.
Mit der Strommarktreform ist auch die Frage nach Kapazitätsmärkten für regelbare Kraftwerke wieder hochgekocht. Polen möchte sogar alte Kohlekraftwerke weiter staatlich stützen. Kann das Land seine Versorgung nicht klimafreundlicher sichern?
Ich habe mir sagen lassen, dass Polen kurzfristig tatsächlich Probleme hätte, wenn es seine alten Kohlekraftwerke aus dem System nehmen würde. Deshalb halte ich die übergangsweise Ausnahme bei den CO₂-Grenzwerten für einen akzeptablen Wunsch. Polen macht ja eine Energiewende und zwar auch mit erneuerbaren Energien – nicht nur mit Kernenergie, die irgendwann mal kommt. Und die Polen wollen kein Backup mit Gaskapazitäten schaffen, wie wir das in Deutschland diskutieren. Das liegt auch an der Sensitivität des Landes, seine Unabhängigkeit sicherzustellen. Ich würde aus der Frage nach Kapazitätsmechanismen für polnische Kohlekraftwerke keine Grundsatzdiskussion für Europa machen. Das kann Polen bilateral mit der Kommission klären.
Die Frage von CO₂-Grenzwerten für Kapazitätsmechanismen sollte also nicht mit der Novelle der Strommarkt-Verordnung behandelt werden?
Die Frage sollte zumindest nicht die Novelle blockieren.
Sie haben die Pläne des Bundeswirtschaftsministeriums für neue Gaskraftwerke angesprochen. Für die Einführung von Kapazitätsmechanismen gibt es ein europäisches Prozedere, das aber Jahre dauert. Hat Deutschland die Einführung von Kapazitätsmärkten einfach verschlafen?
Sagen wir es mal so: Deutschland hat sich sehr auf das Abschalten fokussiert und ist offensichtlich sehr spät dran. Wenn wir die Kapazität an Gaskraftwerken, die jetzt zur Diskussion steht, noch fertig bekommen wollen bis 2030, dann ist es eher fünf nach zwölf als fünf vor zwölf. Ich habe aber keine klare Vorstellung davon, wie die Prüfung von Kapazitätsmechanismen in Brüssel beschleunigt werden kann.
Was gerade auf EU-Ebene beschleunigt wird, ist der Ausbau der erneuerbaren Energien und der Stromnetze. Genügen die Erleichterungen aus der Erneuerbaren-Richtlinie für das nötige Tempo?
Es ist ein hilfreicher Schritt in die richtige Richtung, aber es ist allein nicht ausreichend. Wir brauchen keine punktuellen Ausnahmen, wir brauchen flächendeckend eine Vereinfachung des Systems – und zwar auf allen Ebenen. Nur ein Beispiel aus der Windbranche: Für Transporte von Rotorblättern erhält man von der Autobahngesellschaft des Bundes keine Genehmigungen in akzeptabler Zeit. Das geht weiter mit diversen anderen Bundesanstalten, den Genehmigungsbehörden in 16 Bundesländern, den DIN-Ausschüssen. Wir brauchen überall ein anderes Mindset. Wir müssen Sachen möglich machen. Der Kanzler redet vom Deutschlandtempo. Und im Tagesgeschäft habe ich mit Behörden zu tun, die sagen: Ich habe hier meine Vorschrift.
Noch einmal zurück auf die europäische Ebene: Die Kommissionspräsidentin hat in Straßburg eine neue Phase des Green Deals ausgerufen. Was bedeutet es für die nächste europäische Legislatur, wenn die Energiepolitik stärker von der Industriepolitik beeinflusst wird?
Mit der Energiekrise haben sich die Gewichte verschoben. Der Green Deal war sehr stark auf Nachhaltigkeit ausgerichtet. Jetzt ist es nicht mehr das einzige, um das wir uns kümmern können. Das bedeutet nicht, dass wir keine Energiewende mehr machen wollen, die wird weiterlaufen. Aber es ist eben nicht so, dass alles automatisch gut wird, wenn wir uns nur um die Energiewende kümmern. Wenn ich mir einen Rat erlauben darf, dann wäre es schön, wenn die Europäer Prioritäten erkennen lassen würden. Kann man auch mal ein paar Gesetzesvorhaben fallen lassen? Wenn alles wichtig ist, ist nichts wichtig. Das ist eine eisenharte Regel. Die Rede von Frau von der Leyen war eine ganz lange Liste. Aber was sind denn die zwei, drei Dinge, die wirklich zählen?
Sie haben sicher eine Vorstellung.
Als Eurelectric-Präsident habe ich drei Prioritäten. Das eine ist Versorgungssicherheit. Mit der Energiekrise ist sie wieder zurück auf der Agenda. Nummer zwei: Wir brauchen eine bessere Infrastruktur. Ich sage das nicht nur für die Energiewirtschaft. Es gilt auch für die digitale Infrastruktur. Und Nummer drei: Wir brauchen eine faire Verteilung von Risiken und Benefits. Welche Prioritäten sich die Kommission setzt, ist mir eigentlich egal, solange sie sich welche setzt. Aber im Moment werden wir von einer Flut an Regulierungen in allen möglichen Bereichen überrollt, die überhaupt keine Prioritäten erkennen lassen. Solche Schwerpunkte würde ich mir wünschen.
Die Nacht zum 1. Oktober wird für die Verantwortlichen in Brüssel und Kiew, aber auch in Moskau eine unruhige werden. Dann werden in der Slowakei die Stimmen der vorgezogenen Parlamentswahlen ausgezählt. Sollten sich die Umfragen bestätigen, könnte der Urnengang in dem kleinen Land mit fünf Millionen Einwohnern einen Richtungswechsel bringen, der dem Westen nicht gefallen würde.
Das bürgerliche Lager, seit vier Jahren in Bratislava an der Macht, steht gemeinsam mit Präsidentin Zuzana Čaputová fest an der Seite der ukrainischen Nachbarn. Zu Beginn des russischen Überfalls gab es in der Bevölkerung eine Welle der Solidarität mit den Zehntausenden Flüchtlingen. Doch die Mehrheit der Slowaken fordert mittlerweile ein Ende der Unterstützung für die Ukraine.
Mit ihrem Stimmungswandel könnte sie dem früheren Ministerpräsidenten Robert Fico zu einem Comeback verhelfen. Dessen Mantra lautet: “Dieser Krieg ist nicht unser Krieg”. Fico erteilt den Sanktionen der EU gegen Russland eine klare Absage. Scharf kritisierte er auch die Lieferung eines Luftabwehrsystems nach Kiew: Mit ihnen wollten der damalige Premier Eduard Heger und Präsidentin Čaputová – für Fico “lächerliche amerikanische Figuren” – die Slowakei angeblich in den Krieg hineinziehen. Auch ein Militärabkommen zwischen dem Nato-Mitglied Slowakei und den USA lehnt Fico entschieden ab.
Noch ist es nicht ausgemacht, dass Fico tatsächlich Wahlsieger wird und eine Koalition schmieden kann. In einer am Sonntag veröffentlichten Umfrage des TV-Senders Markiza kommt seine nationalistische SMER-SDD auf 18,9 Prozent Zustimmung, der Vorsprung auf die liberale Partei Fortschrittliche Slowakei schrumpfte auf 2,4 Prozentpunkte. Doch wenn es so kommt, bräche neben Ungarn womöglich ein weiteres Land aus der Ukraine-Koalition heraus.
Es kommt nur selten vor, dass Wahlen von einem außenpolitischen Thema beherrscht und letztlich entschieden werden könnten. Und natürlich ist auch den Slowaken das Hemd näher als der Rock. Doch Fico hat ihnen eingeredet, dass alle innen- und wirtschaftlichen Probleme des Landes letztlich mit der Ukraine zusammenhingen.
Wer großzügig Waffen nach Kiew schicke und sich vor allem um Flüchtlinge sorge, argumentierte er, der bestehle die eigene Bevölkerung, die angesichts alltäglicher Probleme nicht aus noch ein wisse. Zu dieser demagogischen Linie Ficos gesellt sich zunehmend ein Moskau verehrender Panslawismus, “der in der Slowakei schon immer sehr viel ausgeprägter gewesen ist als beispielsweise in Tschechien”, wie der in Prag lebende einstige slowakische Bürgerrechtler Fedor Gál beklagt.
Zahlen sprechen Bände: Einer aktuellen Globsec-Umfrage zufolge sehen nur 40 Prozent der Slowaken in Russland den Schuldigen für den Krieg gegen die Ukraine. Hingegen sagen 34 Prozent, dass die russische Aggression vom Westen provoziert wurde. 76 Prozent sind entschieden gegen Russland-Sanktionen, 69 Prozent lehnen jegliche Militärhilfe für die Ukraine ab.
Dieses Ergebnis basiert nach Meinung von Globsec auf einem Zusammentreffen gleich mehrerer Faktoren. In der Slowakei offenbare sich ein Vertrauensmangel in Institutionen und eine Gesellschaft, die dazu neige, Fehlinformationen zu glauben. Dann brauche es nur noch starke politische Akteure, die die Frustration und die Ängste der Menschen für sich ausschlachten.
Die russische Propaganda bearbeitet das Land vor allem über die sozialen Netzwerke intensiv, und sie feiert bemerkenswerte Erfolge. Es genügt dabei im Wesentlichen, wenn sie die Probleme der Slowaken als direkte Folge der EU-Sanktionen beschreibt. Die Slowaken leiden unter der höchsten Inflationsrate aller Euro-Länder und stöhnen vor allem unter hohen Energie- und Lebensmittelpreisen.
Die Frustrierten machen die Bürgerlichen und ihre Regierungszeit verantwortlich für die Probleme. Eine Regierungszeit, die wegen persönlicher Animositäten der Protagonisten turbulent war, mehrere Kabinette verschlang und nun vorzeitig zu Ende geht. Hans-Jörg Schmidt
Italien und die EU wollen rasch auf die in den vergangenen Tagen stark gestiegene Zahl von Migranten und Flüchtlingen reagieren, die auf der italienischen Insel Lampedusa angekommen sind. Die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni forderte bei einem Besuch auf Lampedusa mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Sonntag ein gemeinsames Vorgehen der 27 EU-Staaten sowie Migrationsabkommen mit den nordafrikanischen Staaten.
Von der Leyen sprach von einem Zehn-Punkte-Plan der Kommission und forderte andere EU-Staaten zur Solidarität mit Italien auf. “Ich biete eine koordinierte Antwort der italienischen und europäischen Verantwortlichen an”, sagte sie. Teil des Plans sei es, die Hilfe für die tunesische Küstenwache zu beschleunigen. Von der Leyen warb zudem über eine Ausweitung der legalen Zuwanderung. Zudem müsse geprüft werden, ob die EU eine neue Militärmission im Mittelmeer starten solle, um die Schleppertätigkeiten besser überwachen zu können. Zu dem Plan gehört außerdem eine “Verstärkung der Grenzüberwachung auf See und der Überwachung aus der Luft, auch durch Frontex”.
Am Samstag berieten die Innenminister von Italien, Spanien, Frankreich und Deutschland mit EU-Innenkommissarin Ylva Johansson über das weitere Vorgehen. Das Gespräch werde am Montag fortgesetzt, teilte das Innenministerium in Berlin mit. Die Bundesregierung hat unterdessen ihr Programm zur zusätzlichen Aufnahme von Migranten aus Italien gestoppt, weil die Regierung in Rom ihre Verpflichtungen zur Rücknahme von Schutzsuchenden nach den sogenannten Dublin-Regeln nicht einhalte. rtr
Der Exekutivvizepräsident der Europäischen Kommission, Valdis Dombrovskis, erklärte, es werde einige Tage dauern, bis eine Reaktion auf die Antwort der Mercosur-Länder auf ein Schreiben der EU zum Abschluss des Handelsabkommens zwischen den beiden Regionen vorliege.
“Es besteht auf beiden Seiten die Bereitschaft, sich zu engagieren und Fortschritte beim Mercosur-Handelsabkommen zu erzielen”, sagte Dombrovskis am Freitag auf einer Pressekonferenz zum Abschluss eines Treffens der Finanzminister Lateinamerikas und der Europäischen Union in Santiago de Compostela.
Das Handelsabkommen sollte 2019 nach zwei Jahrzehnten Verhandlungen abgeschlossen werden, wurde aber aufgrund von Umweltbedenken auf Eis gelegt. “Wir werden unsererseits alles daran setzen, dass unter der spanischen Präsidentschaft eine Einigung erzielt wird“, sagte die amtierende Wirtschaftsministerin Nadia Calvino.
Anfang dieses Jahres hatte die EU dem Mercosur ein Addendum zum Abkommen vorgelegt, das Umweltschutzbestimmungen enthielt, um den Vorbehalten vieler EU-Mitgliedstaaten Rechnung zu tragen. Am Mittwochabend hatte der Mercosur die Antwort versandt.
“Ich begrüße, dass die Mercosur-Staaten die Wichtigkeit von nachhaltiger Entwicklung anerkennen und der Ausarbeitung eines zusätzlichen Instruments zur Stärkung der Nachhaltigkeit im Abkommen zustimmen”, teilte Anna Cavazzini mit, die handelspolitische Sprecherin der Grünen. Allerdings werde ein solches Instrument an Schlagkraft verlieren, wenn es nicht sanktionsbewährt sei, wie es der Mercosur fordere.
Laut Cavazzini enthält die Antwort auch die Forderung nach einem “neuen Mechanismus zur Wiederherstellung des Gleichgewichts bei dem im Rahmen des Assoziierungsabkommens ausgehandelten Handelszugeständnissen, wenn diese Zugeständnisse aufgrund innerstaatlicher Rechtsvorschriften der EU ausgesetzt oder annulliert werden”. Dies impliziere eine Neuverhandlung, ein weiteres Instrument oder eine Schwächung von Gesetzen wie dem zu entwaldungsfreien Lieferketten. rtr/ber
Die spanische Ratspräsidentschaft hat ihren sechsten Kompromissvorschlag zur Schadstoffregulierung Euro 7 vorgelegt. Das Dokument erwähnt E-Fuels nur in einem Erwägungsgrund. Damit wird deutlich, dass die Bundesregierung, die sich für eine E-Fuels-Regelung in Euro 7 starkgemacht hat, kein Gehör fand. Der Kompromissvorschlag, der Table.Media vorliegt, soll die Basis für die Einigung auf EU-Botschafterebene im AStV 1 sein, die die spanische Ratspräsidentschaft am 25. September erzielen will.
Auffällig an dem Vorschlag ist, dass immer noch die Grenzwerte für den Partikelabrieb von Bremsen bei Pkw und Lieferwagen identisch sind. Bei den mittelschweren Nutzfahrzeugen sollen die Hersteller die Einhaltung der Grenzwerte nun nur noch über die Dauer von zehn Jahren garantieren. Bei den schweren Nutzfahrzeugen liegt dieser Wert bei 15 Jahren. Bei den Fristen für die Einführung sieht der Vorschlag vor, dass der Legislativvorschlag bei schweren Nutzfahrzeugen im Wesentlichen 48 Monate nach Veröffentlichung im Amtsblatt in Kraft tritt. Unter der Annahme, dass die Kommission 30 Monate für die sekundäre Gesetzgebung benötigt, bleiben der Industrie nur 18 Monate Zeit für die Entwicklungsarbeit, wenn die Gesetzgebung abgeschlossen ist.
Bei leichten Nutzfahrzeugen schlägt Spanien vor, dass die Grenzwerte von Euro 6 beibehalten werden. Auch die Bedingungen der Tests sollen sich nach den Vorgaben der bisherigen Schadstoffregulierung von Euro 6 richten. Bei den Fristen für die Einführung sieht der Vorschlag vor, dass die Regelungen bei leichten Nutzfahrzeugen im Wesentlichen 24 Monate nach Veröffentlichung im Amtsblatt in Kraft treten. Unter der Voraussetzung, dass die Kommission zwölf Monate für die sekundäre Gesetzgebung braucht, bleiben den Herstellern also nur zwölf Monate für die Entwicklungsarbeit, wenn die Gesetzgebung abgeschlossen ist. mgr
Polen, die Slowakei und Ungarn kündigten am Freitag eigene Beschränkungen für ukrainische Getreideeinfuhren an, nachdem die Europäische Kommission beschlossen hatte, ihr Einfuhrverbot für die fünf EU-Nachbarn der Ukraine nicht zu verlängern.
Das Einfuhrverbot der EU gilt seit Mai. Brüssel wollte damit verhindern, dass einzelne Mitgliedstaaten einseitige Verbote verhängen. Danach durfte die Ukraine durch diese Länder exportieren, sofern die Erzeugnisse anderswo verkauft wurden.
Die EU ließ dieses Verbot am Freitag auslaufen, nachdem die Ukraine zugesagt hatte, Maßnahmen zur Verschärfung der Kontrolle der Ausfuhren in die Nachbarländer zu ergreifen. Das Thema ist jetzt, da die Landwirte ihre Ernte einfahren und sich auf den Verkauf vorbereiten, besonders heikel.
EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis hatte am Freitag gesagt, die Länder sollten von einseitigen Maßnahmen gegen die Einfuhr ukrainischen Getreides absehen. Polen, die Slowakei und Ungarn führten jedoch umgehend ihre eigenen Beschränkungen für ukrainisches Getreide wieder ein. Die Durchfuhr ukrainischer Erzeugnisse werden sie aber weiterhin zulassen. rtr
Die EU-Mitgliedstaaten halten an ihrem Zeitplan fest, die Reform der europäischen Schuldenregeln bis zum Ende des laufenden Jahres abzuschließen. EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni führte am Rande des informellen Ecofin im spanischen Santiago de Compostela aus, alle Mitgliedstaaten hätten in der Sitzung Kompromissbereitschaft signalisiert, die Arbeiten zu intensivieren und fristgerecht eine Einigung zu erzielen. Eine Einigung über ein neues Fiskalregelwerk bis Ende Dezember ist notwendig, da zu diesem Zeitpunkt die bestehenden Ausnahmeregeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts auslaufen.
Auch Bundesfinanzminister Christian Lindner unterstrich seine Bereitschaft, in den kommenden Monaten eine Einigung zu erzielen, sieht aber noch weiteren Gesprächsbedarf. “Wir sind bereit und arbeiten hart dafür, dass man bis zum Ende des Jahres zusammenkommt”, führte der FDP-Politiker am Rande der Beratungen aus. Die spanische Finanzministerin Nadia Calviño unterstrich, eine erste Einigung solle bereits beim nächsten regulären Treffen der Finanzminister im Oktober erreicht werden.
Die Eurogruppe verständigte sich zudem darauf, die Kandidatur von Piero Cipollone, dem stellvertretenden Gouverneur der Banca d’Italia, als neues Mitglied des EZB-Direktoriums zu unterstützen. Cipollone soll zum 1. November seinem Landsmann Fabio Panetta nachfolgen. Mit Blick auf die Nachfolge des scheidenden Präsidenten der Europäischen Investitionsbank (EIB), Werner Hoyer, werden inzwischen Calviño die besten Chancen zugerechnet, hieß es, zumal sich in der Bundesregierung Kanzler Olaf Scholz für die amtierende Ratspräsidentin stark machen würde. Allerdings fehle noch eine endgültige Verständigung zwischen Berlin und Paris. cr/rtr/dpa
Die irische Datenschutzaufsichtsbehörde DPC hat gegen den Betreiber des vor allem bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen beliebten Onlinevideodienst TikTok eine hohe Strafe verhängt: 345 Millionen Euro soll der Betreiber nun zahlen. Das gab die Behörde am Freitagnachmittag bekannt. Grund ist der Umgang des Anbieters mit den Daten von Kindern unter 17 Jahren. In dem Verfahren, das seit 2020 lief, wurde die irische Aufsicht abermals über den Europäischen Datenschutzausschuss (EDPB) zu einem härteren Vorgehen verpflichtet – auch auf Betreiben deutscher Aufsichtsbehörden.
Die DPC hatte das Verfahren im September 2021 aus eigenem Antrieb begonnen. Binnen drei Monaten muss TikTok jetzt die beanstandeten Punkte korrigieren – sonst drohen weitere Strafen. Wesentliche Verstöße stellte die Datenschutzaufsicht darin fest, dass TikTok Kinder nicht ausreichend auf der Plattform schützt. So hätte TikTok die Profile von Kindern etwa standardmäßig auf öffentlich eingestellt. Auch angemessene Informationen für diese wesentliche Nutzergruppe hätte die Plattform nicht zur Verfügung gestellt.
Auf Betreiben der italienischen Datenschutzaufsicht, der Berliner Datenschutzbeauftragten und der baden-württembergischen Aufsichtsbehörde prüfte der europäische Datenschutzausschuss über die ursprünglich von der DPC hinaus vorgesehenen Punkte. Die Berliner Aufsicht wollte unter anderem eine Verletzung des Fairness-Grundsatzes durch die Nutzung von irreführenden Gestaltungstechniken festgestellt wissen. TikTok nutze diese sogenannten Dark Patterns, um Kinder davon abzuhalten, ihre Profile im nichtöffentlichen Modus zu betreiben. Insbesondere zwei Pop-Up-Fenster wurden dafür als Belege herangezogen.
Die vorgetragenen Argumente des Anbieters überzeugten die Mehrheit im Europäischen Datenschutzausschuss nicht. Hieraus dürften sich auch für andere Anbieter Prüfnotwendigkeiten ergeben. “Social Media-Anbieter haben eine Verantwortlichkeit, Auswahlmöglichkeiten nicht in einer unfairen Art und Weise zu gestalten – speziell bei Kindern. Das gilt insbesondere, wenn damit Menschen in Entscheidungen gedrängt werden, die ihre eigenen Datenschutzinteressen verletzen”, sagt Anu Talus, die finnische Vorsitzende des Datenschutzausschusses. Auswahlmöglichkeiten für Privatsphäreeinstellungen müssten hingegen neutral und objektiv dargelegt werden. Mit dem Digital Services Act wurden die Regeln für Nutzerführungs-Vorschriften zuletzt noch einmal nachgeschärft. fst
“Die Sprache ist die Seele eines Landes und verdient viel Aufmerksamkeit”, erklärte einst die katalanische Schriftstellerin Mercè Rodoreda. Sie sagte dies mit großer Liebe zur katalanischen Sprache, dem Grundpfeiler unseres Landes Katalonien, der uns stützt und zusammenhält und uns wie alle romanischen Sprachen als Europäer definiert.
Eine Sprache, die auf eine über tausendjährige Geschichte zurückblicken kann, die zur kulturellen und sprachlichen Vielfalt und Bereicherung Europas beiträgt und keinesfalls nur von einer Minderheit gesprochen wird, sondern vielmehr ihre volle Lebendigkeit erhalten hat und eine der 15 meistgesprochenen Amtssprachen des Kontinents darstellt.
Katalanisch verdient, wie alle Sprachen, große Beachtung. Für die Regierung von Katalonien haben der Schutz, die Förderung und die umfassende Normalisierung der Sprache absolute Priorität. Daher fordern wir seit Jahren, was am kommenden 19. September im Rat für Allgemeine Angelegenheiten der Europäischen Union debattiert werden wird. Nämlich, dass Katalanisch als Amtssprache der Europäischen Union aufgenommen wird, was eine einstimmige Entscheidung der 27 Mitgliedstaaten erfordert.
Für Europa und die Gesellschaft Kataloniens ist dies eine ausgezeichnete Gelegenheit, eine große historische Anomalie zu korrigieren und die sprachlichen Rechte von Millionen europäischer Bürger zu gewährleisten, um sie der überwiegenden Mehrheit der europäischen Bürger gleichzustellen, was bisher nicht geschehen ist.
Wir Katalanen sind uns bewusst, dass diese Chance an einigen Orten in Europa möglicherweise argwöhnisch aufgenommen werden könnte. Wir fordern jedoch keine Bevorzugung, sondern nur die sprachliche Gleichstellung. Wir sind Europäer, glauben an Europa und möchten lediglich mit Europa so sprechen, wie es fast alle unsere Mitbürger tun: in unserer Sprache.
Katalonien hat jahrhundertelang unter einem ausgrenzenden spanischen Nationalismus gelitten, der alle Instrumente des Staates genutzt hat, um die anderen historischen Sprachen zurückzudrängen. Von der Franco-Herrschaft wurde die katalanische Sprache verboten und verfolgt, als eines der Instrumente der Diktatur zur Unterdrückung jeglicher Differenz. Auch heute gibt es einige spanische Parteien, die eine vollständige Normalisierung unserer Sprachen verhindern möchten. Es ist dieselbe – gegen Gleichheit, Mehrsprachigkeit und Vielfalt gerichtete – Haltung, die so viele Konflikte in Spanien und in Europa selbst verursacht hat und von den Werten der Union abweicht. Wir in Katalonien möchten gemeinsam mit Europa verhindern, dass diese ausgrenzende Haltung weiterhin Erfolg hat.
Einige Stimmen haben finanzielle Schwierigkeiten als Argument gegen die Anerkennung weiterer Amtssprachen vorgebracht. Wir sind der Auffassung, dass der Schutz der Bürgerrechte nicht von finanziellen Debatten abhängig gemacht werden sollte. In jedem Fall erinnern wir jedoch daran, dass die jährlichen Ausgaben der Institutionen für Übersetzungen nur 0,2 Prozent des gemeinschaftlichen Haushalts ausmachen und dass die neuen Technologien die Kosten in den kommenden Jahren beträchtlich senken können. Darüber hinaus steht die Regierung von Katalonien den europäischen Institutionen bei der Suche nach Mechanismen zur Überwindung aller Hindernisse zur Verfügung.
Andere Stimmen schlagen vor, der Aufnahme weiterer Amtssprachen Grenzen zu setzen. Das ist ein fragwürdiges Argument, weil die einzige Bedingung für die Aufnahme in den Kreis der Amtssprachen der Europäische Union darin besteht, in einem Mitgliedstaat Amtssprache zu sein. Es gibt derzeit nur fünf Sprachen in Europa, die trotz ihres Status als Amtssprache in einem Mitgliedstaat noch keine Amtssprache der Union sind. Eine davon ist Katalanisch. Es ist in mehreren Gebieten des spanischen Staates eine vollberechtigte Amtssprache und wird von mehr Menschen gesprochen als einige der bereits zu den Amtssprachen der europäischen Institutionen zählenden Sprachen.
Ferner ist uns bewusst, dass eine falsche Vorstellung besteht: Es handle sich um eine vorübergehende Forderung der spanischen Regierung, die derzeit im Rat den Vorsitz führt, aufgrund der komplexen politischen Situation nach den Wahlen zum spanischen Parlament während der Verhandlungen zur Bildung einer neuen Regierung. Das ist völlig falsch. Die Forderung der Aufnahme von Katalanisch als Amtssprache der europäischen Institutionen ist ein vor über einem Jahr während der Verhandlungen zwischen den Regierungen Spaniens und Kataloniens zur Lösung des Souveränitätskonflikts zwischen den Parteien gegebenes Versprechen der spanischen Regierung, das jetzt eingelöst werden soll. Der Wunsch, unsere Sprache in Europa sprechen zu können, ist eine langjährige Forderung, basierend auf der tiefen pro-europäischen Überzeugung der katalanischen Gesellschaft und begründet durch die Anerkennung unseres Autonomiestatuts.
Der Rat für Allgemeine Angelegenheiten der Europäischen Union debattiert am 19. September nicht über die Wiederwahl von Pedro Sánchez als spanischer Regierungschef. Dies ist nicht seine Befugnis und nicht seine Aufgabe. Der Rat debattiert über die Anerkennung der sprachlichen Rechte von zehn Millionen europäischer Bürger. Dies ist der einzige Blickwinkel, der seine Entscheidung leiten sollte. Auf dem Spiel steht der Einsatz der Europäischen Union für Freiheit, Gleichheit und Mehrsprachigkeit unter dem uns verbindenden Motto: In Vielfalt geeint.
Wir Katalanen stellen keine Ausnahmeforderung an Europa, sondern wir fordern genau das Gegenteil, das heißt wir möchten keine Ausnahme mehr sein.
Pere Aragonès i Garcia ist Präsident der Regierung von Katalonien
Deutschland und Frankreich streiten seit Monaten über die Reform des Strommarktes – es geht um die Förderung der Atomenergie und günstigen Strom für die eigene Industrie. Nun fordert Eurelectric-Präsident Leonhard Birnbaum Paris und Berlin zu einer schnellen Lösung auf. “Als europäischer Energieverband haben wir kein Interesse daran, dass die Strommarktreform an Themen scheitert, die eigentlich jenseits der Frage des Marktdesigns liegen”, sagt der seit Juni amtierende Eurelectric-Chef in unserem Interview, das Sie in dieser Ausgabe lesen können.
Die Diskussion in Brüssel drehe sich gar nicht mehr um das Strommarktdesign, sie sei zu einer industriepolitischen Debatte geworden, klagt der Energiemanager, der auch als Eon-CEO für seine klaren Worte bekannt ist. Insgesamt fehle es der Kommission an Schwerpunkten, die State-of-the-Union-Rede “von Frau von der Leyen war eine ganz lange Liste. Aber was sind denn die zwei, drei Dinge, die wirklich zählen?“, fragt Birnbaum provokant.
Derzeit werde die Wirtschaft von einer Flut an Regulierungen überrollt, die überhaupt keine Prioritäten erkennen lassen: “Kann man auch mal ein paar Gesetzesvorhaben fallen lassen?” Welche Schwerpunkte Birnbaum als Eurelectric-Präsident setzen möchte, lesen Sie im vollständigen Interview.
Herr Birnbaum, hängt die Zukunft der europäischen Industrie allein von niedrigen Energiepreisen ab?
Die Probleme der europäischen Industrie sind aus meiner Sicht vielfältiger. Wir haben ganz klar ein Problem zwischen den großen Machtblöcken dieser Welt. Und dafür sind wir weder geopolitisch noch institutionell passend aufgestellt. Wir sind als Europa nicht innovativ genug. Wir haben keine ausreichende Infrastruktur. Was unsere Finanzierungsmöglichkeiten angeht, sind wir zu abhängig von den angelsächsischen Kapitalmärkten.
Und der europäische Binnenmarkt?
Wir haben zwar 400 Millionen Kunden. Aber dann schauen Sie sich die Digitalmärkte an, wo wir es geschafft haben, mit 27 Auslegungen der Datenschutzgrundverordnung den europäischen Markt zu atomisieren. Neue Geschäftsmodelle setzen sich deshalb in den USA durch, die wir dann übernehmen müssen. Für einige Sektoren mögen die Energiepreise entscheidend sein, aber wenn wir die Frage der Wettbewerbsfähigkeit auf die Energiekosten reduzieren, machen wir es uns zu einfach.
Um genau diese energieintensiven Sektoren sorgen sich der Bundeswirtschaftsminister und die Ministerpräsidenten. Sie wollen den Strompreis für einige Jahre subventionieren, bis erneuerbare Energien den Preis drücken – auf fünf oder sechs Cent. Wie lang wäre diese Überbrückungsphase?
Am Ende ist ein subventionierter Industriestrompreis eine politische Entscheidung. Man muss nur drei Fragen beantworten. Die erste haben Sie gerade gestellt: Wie lange dauert das? Im Moment ist die Hoffnung, dass nach fünf, sechs Jahren die Brücke überflüssig wird, weil dann die Fossilen teurer sind als die Erneuerbaren. Mag sein, aber an dieser Spekulation will ich mich nicht beteiligen. Die zweite Frage ist: Wenn die Brücke länger wird, wie komme ich dann wieder runter von den Zahlungen? Das ist bei jeder Subvention die Frage, wenn sie einmal eingeführt wurde. Und drittens: Sind die finanziellen Mittel so am besten eingesetzt? Und wer bezahlt? Die Kunden, die nicht begünstigt werden, müssen natürlich höhere Kosten tragen.
Der deutsche Vorstoß wird auch mit der Sorge begründet, dass Frankreich seine Industrie über den Strompreis künftig noch stärker unterstützt. Paris versucht das über die Strommarktreform, die gerade in der EU läuft. Teilen Sie diese Bedenken?
Die Energiepolitik in Brüssel dreht sich gar nicht mehr um das Strommarktdesign, sie ist zu einer industriepolitischen Debatte geworden. Wir erleben eine Diskussion über den Industriestrompreis zwischen Deutschland und Frankreich. Als europäischer Energieverband haben wir kein Interesse daran, dass die Strommarktreform an Themen scheitert, die eigentlich jenseits der Frage des Marktdesigns liegen.
Kurz gesagt geht es um die Modernisierung von Kraftwerken über staatlich abgesicherte Differenzverträge und die Umverteilung von Gewinnen – vor allem aus dem Betrieb von Atomkraftwerken.
Eurelectric will keine rückwirkende Anwendung von Differenzverträgen auf existierende Erzeugungskapazitäten. Das haben wir von Anfang an gesagt. Aber jetzt gibt es dieses Unterthema: Was ist mit den Gewinnen von Kernkraftwerken, die eine Verlängerung der Laufzeit bekommen? Ist das neue Kapazität, weil sie ja sonst nicht zur Verfügung gestanden hätte? Ich hoffe, dass Frankreich und Deutschland einen Weg finden, der die Diskussion für beide Seiten abräumt. Als Energieunternehmen wollen wir, dass die Debatte um das Strommarktdesign zügig abgeschlossen wird.
Mal abgesehen vom Spezialfall Atomenergie: Wem sollen Erlöse aus neuen Kraftwerken zufließen, wenn die Strompreise wieder exorbitant steigen? Die Kommission wollte eine Aufteilung auf alle Stromkunden. Andere möchten die Einnahmen für die Industrie nutzen. Am Ende könnte es den nationalen Regierungen überlassen bleiben.
Ich halte es für schwierig, wenn jeder Mitgliedstaat selbst über die Verteilung von Einnahmen aus Differenzverträgen entscheidet. Die Stärkung des europäischen Marktes muss im Interesse aller Europäer sein, und der Strompreis wird sich auf immer mehr Güter auswirken. Wenn ich den EU-Ländern sehr große Freiheitsgrade gebe, die Preise für Endkunden zu beeinflussen, dann muss ich mir zumindest darüber im Klaren sein, dass dies massive Auswirkungen auf den gemeinsamen Binnenmarkt hat.
Mit der Strommarktreform ist auch die Frage nach Kapazitätsmärkten für regelbare Kraftwerke wieder hochgekocht. Polen möchte sogar alte Kohlekraftwerke weiter staatlich stützen. Kann das Land seine Versorgung nicht klimafreundlicher sichern?
Ich habe mir sagen lassen, dass Polen kurzfristig tatsächlich Probleme hätte, wenn es seine alten Kohlekraftwerke aus dem System nehmen würde. Deshalb halte ich die übergangsweise Ausnahme bei den CO₂-Grenzwerten für einen akzeptablen Wunsch. Polen macht ja eine Energiewende und zwar auch mit erneuerbaren Energien – nicht nur mit Kernenergie, die irgendwann mal kommt. Und die Polen wollen kein Backup mit Gaskapazitäten schaffen, wie wir das in Deutschland diskutieren. Das liegt auch an der Sensitivität des Landes, seine Unabhängigkeit sicherzustellen. Ich würde aus der Frage nach Kapazitätsmechanismen für polnische Kohlekraftwerke keine Grundsatzdiskussion für Europa machen. Das kann Polen bilateral mit der Kommission klären.
Die Frage von CO₂-Grenzwerten für Kapazitätsmechanismen sollte also nicht mit der Novelle der Strommarkt-Verordnung behandelt werden?
Die Frage sollte zumindest nicht die Novelle blockieren.
Sie haben die Pläne des Bundeswirtschaftsministeriums für neue Gaskraftwerke angesprochen. Für die Einführung von Kapazitätsmechanismen gibt es ein europäisches Prozedere, das aber Jahre dauert. Hat Deutschland die Einführung von Kapazitätsmärkten einfach verschlafen?
Sagen wir es mal so: Deutschland hat sich sehr auf das Abschalten fokussiert und ist offensichtlich sehr spät dran. Wenn wir die Kapazität an Gaskraftwerken, die jetzt zur Diskussion steht, noch fertig bekommen wollen bis 2030, dann ist es eher fünf nach zwölf als fünf vor zwölf. Ich habe aber keine klare Vorstellung davon, wie die Prüfung von Kapazitätsmechanismen in Brüssel beschleunigt werden kann.
Was gerade auf EU-Ebene beschleunigt wird, ist der Ausbau der erneuerbaren Energien und der Stromnetze. Genügen die Erleichterungen aus der Erneuerbaren-Richtlinie für das nötige Tempo?
Es ist ein hilfreicher Schritt in die richtige Richtung, aber es ist allein nicht ausreichend. Wir brauchen keine punktuellen Ausnahmen, wir brauchen flächendeckend eine Vereinfachung des Systems – und zwar auf allen Ebenen. Nur ein Beispiel aus der Windbranche: Für Transporte von Rotorblättern erhält man von der Autobahngesellschaft des Bundes keine Genehmigungen in akzeptabler Zeit. Das geht weiter mit diversen anderen Bundesanstalten, den Genehmigungsbehörden in 16 Bundesländern, den DIN-Ausschüssen. Wir brauchen überall ein anderes Mindset. Wir müssen Sachen möglich machen. Der Kanzler redet vom Deutschlandtempo. Und im Tagesgeschäft habe ich mit Behörden zu tun, die sagen: Ich habe hier meine Vorschrift.
Noch einmal zurück auf die europäische Ebene: Die Kommissionspräsidentin hat in Straßburg eine neue Phase des Green Deals ausgerufen. Was bedeutet es für die nächste europäische Legislatur, wenn die Energiepolitik stärker von der Industriepolitik beeinflusst wird?
Mit der Energiekrise haben sich die Gewichte verschoben. Der Green Deal war sehr stark auf Nachhaltigkeit ausgerichtet. Jetzt ist es nicht mehr das einzige, um das wir uns kümmern können. Das bedeutet nicht, dass wir keine Energiewende mehr machen wollen, die wird weiterlaufen. Aber es ist eben nicht so, dass alles automatisch gut wird, wenn wir uns nur um die Energiewende kümmern. Wenn ich mir einen Rat erlauben darf, dann wäre es schön, wenn die Europäer Prioritäten erkennen lassen würden. Kann man auch mal ein paar Gesetzesvorhaben fallen lassen? Wenn alles wichtig ist, ist nichts wichtig. Das ist eine eisenharte Regel. Die Rede von Frau von der Leyen war eine ganz lange Liste. Aber was sind denn die zwei, drei Dinge, die wirklich zählen?
Sie haben sicher eine Vorstellung.
Als Eurelectric-Präsident habe ich drei Prioritäten. Das eine ist Versorgungssicherheit. Mit der Energiekrise ist sie wieder zurück auf der Agenda. Nummer zwei: Wir brauchen eine bessere Infrastruktur. Ich sage das nicht nur für die Energiewirtschaft. Es gilt auch für die digitale Infrastruktur. Und Nummer drei: Wir brauchen eine faire Verteilung von Risiken und Benefits. Welche Prioritäten sich die Kommission setzt, ist mir eigentlich egal, solange sie sich welche setzt. Aber im Moment werden wir von einer Flut an Regulierungen in allen möglichen Bereichen überrollt, die überhaupt keine Prioritäten erkennen lassen. Solche Schwerpunkte würde ich mir wünschen.
Die Nacht zum 1. Oktober wird für die Verantwortlichen in Brüssel und Kiew, aber auch in Moskau eine unruhige werden. Dann werden in der Slowakei die Stimmen der vorgezogenen Parlamentswahlen ausgezählt. Sollten sich die Umfragen bestätigen, könnte der Urnengang in dem kleinen Land mit fünf Millionen Einwohnern einen Richtungswechsel bringen, der dem Westen nicht gefallen würde.
Das bürgerliche Lager, seit vier Jahren in Bratislava an der Macht, steht gemeinsam mit Präsidentin Zuzana Čaputová fest an der Seite der ukrainischen Nachbarn. Zu Beginn des russischen Überfalls gab es in der Bevölkerung eine Welle der Solidarität mit den Zehntausenden Flüchtlingen. Doch die Mehrheit der Slowaken fordert mittlerweile ein Ende der Unterstützung für die Ukraine.
Mit ihrem Stimmungswandel könnte sie dem früheren Ministerpräsidenten Robert Fico zu einem Comeback verhelfen. Dessen Mantra lautet: “Dieser Krieg ist nicht unser Krieg”. Fico erteilt den Sanktionen der EU gegen Russland eine klare Absage. Scharf kritisierte er auch die Lieferung eines Luftabwehrsystems nach Kiew: Mit ihnen wollten der damalige Premier Eduard Heger und Präsidentin Čaputová – für Fico “lächerliche amerikanische Figuren” – die Slowakei angeblich in den Krieg hineinziehen. Auch ein Militärabkommen zwischen dem Nato-Mitglied Slowakei und den USA lehnt Fico entschieden ab.
Noch ist es nicht ausgemacht, dass Fico tatsächlich Wahlsieger wird und eine Koalition schmieden kann. In einer am Sonntag veröffentlichten Umfrage des TV-Senders Markiza kommt seine nationalistische SMER-SDD auf 18,9 Prozent Zustimmung, der Vorsprung auf die liberale Partei Fortschrittliche Slowakei schrumpfte auf 2,4 Prozentpunkte. Doch wenn es so kommt, bräche neben Ungarn womöglich ein weiteres Land aus der Ukraine-Koalition heraus.
Es kommt nur selten vor, dass Wahlen von einem außenpolitischen Thema beherrscht und letztlich entschieden werden könnten. Und natürlich ist auch den Slowaken das Hemd näher als der Rock. Doch Fico hat ihnen eingeredet, dass alle innen- und wirtschaftlichen Probleme des Landes letztlich mit der Ukraine zusammenhingen.
Wer großzügig Waffen nach Kiew schicke und sich vor allem um Flüchtlinge sorge, argumentierte er, der bestehle die eigene Bevölkerung, die angesichts alltäglicher Probleme nicht aus noch ein wisse. Zu dieser demagogischen Linie Ficos gesellt sich zunehmend ein Moskau verehrender Panslawismus, “der in der Slowakei schon immer sehr viel ausgeprägter gewesen ist als beispielsweise in Tschechien”, wie der in Prag lebende einstige slowakische Bürgerrechtler Fedor Gál beklagt.
Zahlen sprechen Bände: Einer aktuellen Globsec-Umfrage zufolge sehen nur 40 Prozent der Slowaken in Russland den Schuldigen für den Krieg gegen die Ukraine. Hingegen sagen 34 Prozent, dass die russische Aggression vom Westen provoziert wurde. 76 Prozent sind entschieden gegen Russland-Sanktionen, 69 Prozent lehnen jegliche Militärhilfe für die Ukraine ab.
Dieses Ergebnis basiert nach Meinung von Globsec auf einem Zusammentreffen gleich mehrerer Faktoren. In der Slowakei offenbare sich ein Vertrauensmangel in Institutionen und eine Gesellschaft, die dazu neige, Fehlinformationen zu glauben. Dann brauche es nur noch starke politische Akteure, die die Frustration und die Ängste der Menschen für sich ausschlachten.
Die russische Propaganda bearbeitet das Land vor allem über die sozialen Netzwerke intensiv, und sie feiert bemerkenswerte Erfolge. Es genügt dabei im Wesentlichen, wenn sie die Probleme der Slowaken als direkte Folge der EU-Sanktionen beschreibt. Die Slowaken leiden unter der höchsten Inflationsrate aller Euro-Länder und stöhnen vor allem unter hohen Energie- und Lebensmittelpreisen.
Die Frustrierten machen die Bürgerlichen und ihre Regierungszeit verantwortlich für die Probleme. Eine Regierungszeit, die wegen persönlicher Animositäten der Protagonisten turbulent war, mehrere Kabinette verschlang und nun vorzeitig zu Ende geht. Hans-Jörg Schmidt
Italien und die EU wollen rasch auf die in den vergangenen Tagen stark gestiegene Zahl von Migranten und Flüchtlingen reagieren, die auf der italienischen Insel Lampedusa angekommen sind. Die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni forderte bei einem Besuch auf Lampedusa mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Sonntag ein gemeinsames Vorgehen der 27 EU-Staaten sowie Migrationsabkommen mit den nordafrikanischen Staaten.
Von der Leyen sprach von einem Zehn-Punkte-Plan der Kommission und forderte andere EU-Staaten zur Solidarität mit Italien auf. “Ich biete eine koordinierte Antwort der italienischen und europäischen Verantwortlichen an”, sagte sie. Teil des Plans sei es, die Hilfe für die tunesische Küstenwache zu beschleunigen. Von der Leyen warb zudem über eine Ausweitung der legalen Zuwanderung. Zudem müsse geprüft werden, ob die EU eine neue Militärmission im Mittelmeer starten solle, um die Schleppertätigkeiten besser überwachen zu können. Zu dem Plan gehört außerdem eine “Verstärkung der Grenzüberwachung auf See und der Überwachung aus der Luft, auch durch Frontex”.
Am Samstag berieten die Innenminister von Italien, Spanien, Frankreich und Deutschland mit EU-Innenkommissarin Ylva Johansson über das weitere Vorgehen. Das Gespräch werde am Montag fortgesetzt, teilte das Innenministerium in Berlin mit. Die Bundesregierung hat unterdessen ihr Programm zur zusätzlichen Aufnahme von Migranten aus Italien gestoppt, weil die Regierung in Rom ihre Verpflichtungen zur Rücknahme von Schutzsuchenden nach den sogenannten Dublin-Regeln nicht einhalte. rtr
Der Exekutivvizepräsident der Europäischen Kommission, Valdis Dombrovskis, erklärte, es werde einige Tage dauern, bis eine Reaktion auf die Antwort der Mercosur-Länder auf ein Schreiben der EU zum Abschluss des Handelsabkommens zwischen den beiden Regionen vorliege.
“Es besteht auf beiden Seiten die Bereitschaft, sich zu engagieren und Fortschritte beim Mercosur-Handelsabkommen zu erzielen”, sagte Dombrovskis am Freitag auf einer Pressekonferenz zum Abschluss eines Treffens der Finanzminister Lateinamerikas und der Europäischen Union in Santiago de Compostela.
Das Handelsabkommen sollte 2019 nach zwei Jahrzehnten Verhandlungen abgeschlossen werden, wurde aber aufgrund von Umweltbedenken auf Eis gelegt. “Wir werden unsererseits alles daran setzen, dass unter der spanischen Präsidentschaft eine Einigung erzielt wird“, sagte die amtierende Wirtschaftsministerin Nadia Calvino.
Anfang dieses Jahres hatte die EU dem Mercosur ein Addendum zum Abkommen vorgelegt, das Umweltschutzbestimmungen enthielt, um den Vorbehalten vieler EU-Mitgliedstaaten Rechnung zu tragen. Am Mittwochabend hatte der Mercosur die Antwort versandt.
“Ich begrüße, dass die Mercosur-Staaten die Wichtigkeit von nachhaltiger Entwicklung anerkennen und der Ausarbeitung eines zusätzlichen Instruments zur Stärkung der Nachhaltigkeit im Abkommen zustimmen”, teilte Anna Cavazzini mit, die handelspolitische Sprecherin der Grünen. Allerdings werde ein solches Instrument an Schlagkraft verlieren, wenn es nicht sanktionsbewährt sei, wie es der Mercosur fordere.
Laut Cavazzini enthält die Antwort auch die Forderung nach einem “neuen Mechanismus zur Wiederherstellung des Gleichgewichts bei dem im Rahmen des Assoziierungsabkommens ausgehandelten Handelszugeständnissen, wenn diese Zugeständnisse aufgrund innerstaatlicher Rechtsvorschriften der EU ausgesetzt oder annulliert werden”. Dies impliziere eine Neuverhandlung, ein weiteres Instrument oder eine Schwächung von Gesetzen wie dem zu entwaldungsfreien Lieferketten. rtr/ber
Die spanische Ratspräsidentschaft hat ihren sechsten Kompromissvorschlag zur Schadstoffregulierung Euro 7 vorgelegt. Das Dokument erwähnt E-Fuels nur in einem Erwägungsgrund. Damit wird deutlich, dass die Bundesregierung, die sich für eine E-Fuels-Regelung in Euro 7 starkgemacht hat, kein Gehör fand. Der Kompromissvorschlag, der Table.Media vorliegt, soll die Basis für die Einigung auf EU-Botschafterebene im AStV 1 sein, die die spanische Ratspräsidentschaft am 25. September erzielen will.
Auffällig an dem Vorschlag ist, dass immer noch die Grenzwerte für den Partikelabrieb von Bremsen bei Pkw und Lieferwagen identisch sind. Bei den mittelschweren Nutzfahrzeugen sollen die Hersteller die Einhaltung der Grenzwerte nun nur noch über die Dauer von zehn Jahren garantieren. Bei den schweren Nutzfahrzeugen liegt dieser Wert bei 15 Jahren. Bei den Fristen für die Einführung sieht der Vorschlag vor, dass der Legislativvorschlag bei schweren Nutzfahrzeugen im Wesentlichen 48 Monate nach Veröffentlichung im Amtsblatt in Kraft tritt. Unter der Annahme, dass die Kommission 30 Monate für die sekundäre Gesetzgebung benötigt, bleiben der Industrie nur 18 Monate Zeit für die Entwicklungsarbeit, wenn die Gesetzgebung abgeschlossen ist.
Bei leichten Nutzfahrzeugen schlägt Spanien vor, dass die Grenzwerte von Euro 6 beibehalten werden. Auch die Bedingungen der Tests sollen sich nach den Vorgaben der bisherigen Schadstoffregulierung von Euro 6 richten. Bei den Fristen für die Einführung sieht der Vorschlag vor, dass die Regelungen bei leichten Nutzfahrzeugen im Wesentlichen 24 Monate nach Veröffentlichung im Amtsblatt in Kraft treten. Unter der Voraussetzung, dass die Kommission zwölf Monate für die sekundäre Gesetzgebung braucht, bleiben den Herstellern also nur zwölf Monate für die Entwicklungsarbeit, wenn die Gesetzgebung abgeschlossen ist. mgr
Polen, die Slowakei und Ungarn kündigten am Freitag eigene Beschränkungen für ukrainische Getreideeinfuhren an, nachdem die Europäische Kommission beschlossen hatte, ihr Einfuhrverbot für die fünf EU-Nachbarn der Ukraine nicht zu verlängern.
Das Einfuhrverbot der EU gilt seit Mai. Brüssel wollte damit verhindern, dass einzelne Mitgliedstaaten einseitige Verbote verhängen. Danach durfte die Ukraine durch diese Länder exportieren, sofern die Erzeugnisse anderswo verkauft wurden.
Die EU ließ dieses Verbot am Freitag auslaufen, nachdem die Ukraine zugesagt hatte, Maßnahmen zur Verschärfung der Kontrolle der Ausfuhren in die Nachbarländer zu ergreifen. Das Thema ist jetzt, da die Landwirte ihre Ernte einfahren und sich auf den Verkauf vorbereiten, besonders heikel.
EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis hatte am Freitag gesagt, die Länder sollten von einseitigen Maßnahmen gegen die Einfuhr ukrainischen Getreides absehen. Polen, die Slowakei und Ungarn führten jedoch umgehend ihre eigenen Beschränkungen für ukrainisches Getreide wieder ein. Die Durchfuhr ukrainischer Erzeugnisse werden sie aber weiterhin zulassen. rtr
Die EU-Mitgliedstaaten halten an ihrem Zeitplan fest, die Reform der europäischen Schuldenregeln bis zum Ende des laufenden Jahres abzuschließen. EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni führte am Rande des informellen Ecofin im spanischen Santiago de Compostela aus, alle Mitgliedstaaten hätten in der Sitzung Kompromissbereitschaft signalisiert, die Arbeiten zu intensivieren und fristgerecht eine Einigung zu erzielen. Eine Einigung über ein neues Fiskalregelwerk bis Ende Dezember ist notwendig, da zu diesem Zeitpunkt die bestehenden Ausnahmeregeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts auslaufen.
Auch Bundesfinanzminister Christian Lindner unterstrich seine Bereitschaft, in den kommenden Monaten eine Einigung zu erzielen, sieht aber noch weiteren Gesprächsbedarf. “Wir sind bereit und arbeiten hart dafür, dass man bis zum Ende des Jahres zusammenkommt”, führte der FDP-Politiker am Rande der Beratungen aus. Die spanische Finanzministerin Nadia Calviño unterstrich, eine erste Einigung solle bereits beim nächsten regulären Treffen der Finanzminister im Oktober erreicht werden.
Die Eurogruppe verständigte sich zudem darauf, die Kandidatur von Piero Cipollone, dem stellvertretenden Gouverneur der Banca d’Italia, als neues Mitglied des EZB-Direktoriums zu unterstützen. Cipollone soll zum 1. November seinem Landsmann Fabio Panetta nachfolgen. Mit Blick auf die Nachfolge des scheidenden Präsidenten der Europäischen Investitionsbank (EIB), Werner Hoyer, werden inzwischen Calviño die besten Chancen zugerechnet, hieß es, zumal sich in der Bundesregierung Kanzler Olaf Scholz für die amtierende Ratspräsidentin stark machen würde. Allerdings fehle noch eine endgültige Verständigung zwischen Berlin und Paris. cr/rtr/dpa
Die irische Datenschutzaufsichtsbehörde DPC hat gegen den Betreiber des vor allem bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen beliebten Onlinevideodienst TikTok eine hohe Strafe verhängt: 345 Millionen Euro soll der Betreiber nun zahlen. Das gab die Behörde am Freitagnachmittag bekannt. Grund ist der Umgang des Anbieters mit den Daten von Kindern unter 17 Jahren. In dem Verfahren, das seit 2020 lief, wurde die irische Aufsicht abermals über den Europäischen Datenschutzausschuss (EDPB) zu einem härteren Vorgehen verpflichtet – auch auf Betreiben deutscher Aufsichtsbehörden.
Die DPC hatte das Verfahren im September 2021 aus eigenem Antrieb begonnen. Binnen drei Monaten muss TikTok jetzt die beanstandeten Punkte korrigieren – sonst drohen weitere Strafen. Wesentliche Verstöße stellte die Datenschutzaufsicht darin fest, dass TikTok Kinder nicht ausreichend auf der Plattform schützt. So hätte TikTok die Profile von Kindern etwa standardmäßig auf öffentlich eingestellt. Auch angemessene Informationen für diese wesentliche Nutzergruppe hätte die Plattform nicht zur Verfügung gestellt.
Auf Betreiben der italienischen Datenschutzaufsicht, der Berliner Datenschutzbeauftragten und der baden-württembergischen Aufsichtsbehörde prüfte der europäische Datenschutzausschuss über die ursprünglich von der DPC hinaus vorgesehenen Punkte. Die Berliner Aufsicht wollte unter anderem eine Verletzung des Fairness-Grundsatzes durch die Nutzung von irreführenden Gestaltungstechniken festgestellt wissen. TikTok nutze diese sogenannten Dark Patterns, um Kinder davon abzuhalten, ihre Profile im nichtöffentlichen Modus zu betreiben. Insbesondere zwei Pop-Up-Fenster wurden dafür als Belege herangezogen.
Die vorgetragenen Argumente des Anbieters überzeugten die Mehrheit im Europäischen Datenschutzausschuss nicht. Hieraus dürften sich auch für andere Anbieter Prüfnotwendigkeiten ergeben. “Social Media-Anbieter haben eine Verantwortlichkeit, Auswahlmöglichkeiten nicht in einer unfairen Art und Weise zu gestalten – speziell bei Kindern. Das gilt insbesondere, wenn damit Menschen in Entscheidungen gedrängt werden, die ihre eigenen Datenschutzinteressen verletzen”, sagt Anu Talus, die finnische Vorsitzende des Datenschutzausschusses. Auswahlmöglichkeiten für Privatsphäreeinstellungen müssten hingegen neutral und objektiv dargelegt werden. Mit dem Digital Services Act wurden die Regeln für Nutzerführungs-Vorschriften zuletzt noch einmal nachgeschärft. fst
“Die Sprache ist die Seele eines Landes und verdient viel Aufmerksamkeit”, erklärte einst die katalanische Schriftstellerin Mercè Rodoreda. Sie sagte dies mit großer Liebe zur katalanischen Sprache, dem Grundpfeiler unseres Landes Katalonien, der uns stützt und zusammenhält und uns wie alle romanischen Sprachen als Europäer definiert.
Eine Sprache, die auf eine über tausendjährige Geschichte zurückblicken kann, die zur kulturellen und sprachlichen Vielfalt und Bereicherung Europas beiträgt und keinesfalls nur von einer Minderheit gesprochen wird, sondern vielmehr ihre volle Lebendigkeit erhalten hat und eine der 15 meistgesprochenen Amtssprachen des Kontinents darstellt.
Katalanisch verdient, wie alle Sprachen, große Beachtung. Für die Regierung von Katalonien haben der Schutz, die Förderung und die umfassende Normalisierung der Sprache absolute Priorität. Daher fordern wir seit Jahren, was am kommenden 19. September im Rat für Allgemeine Angelegenheiten der Europäischen Union debattiert werden wird. Nämlich, dass Katalanisch als Amtssprache der Europäischen Union aufgenommen wird, was eine einstimmige Entscheidung der 27 Mitgliedstaaten erfordert.
Für Europa und die Gesellschaft Kataloniens ist dies eine ausgezeichnete Gelegenheit, eine große historische Anomalie zu korrigieren und die sprachlichen Rechte von Millionen europäischer Bürger zu gewährleisten, um sie der überwiegenden Mehrheit der europäischen Bürger gleichzustellen, was bisher nicht geschehen ist.
Wir Katalanen sind uns bewusst, dass diese Chance an einigen Orten in Europa möglicherweise argwöhnisch aufgenommen werden könnte. Wir fordern jedoch keine Bevorzugung, sondern nur die sprachliche Gleichstellung. Wir sind Europäer, glauben an Europa und möchten lediglich mit Europa so sprechen, wie es fast alle unsere Mitbürger tun: in unserer Sprache.
Katalonien hat jahrhundertelang unter einem ausgrenzenden spanischen Nationalismus gelitten, der alle Instrumente des Staates genutzt hat, um die anderen historischen Sprachen zurückzudrängen. Von der Franco-Herrschaft wurde die katalanische Sprache verboten und verfolgt, als eines der Instrumente der Diktatur zur Unterdrückung jeglicher Differenz. Auch heute gibt es einige spanische Parteien, die eine vollständige Normalisierung unserer Sprachen verhindern möchten. Es ist dieselbe – gegen Gleichheit, Mehrsprachigkeit und Vielfalt gerichtete – Haltung, die so viele Konflikte in Spanien und in Europa selbst verursacht hat und von den Werten der Union abweicht. Wir in Katalonien möchten gemeinsam mit Europa verhindern, dass diese ausgrenzende Haltung weiterhin Erfolg hat.
Einige Stimmen haben finanzielle Schwierigkeiten als Argument gegen die Anerkennung weiterer Amtssprachen vorgebracht. Wir sind der Auffassung, dass der Schutz der Bürgerrechte nicht von finanziellen Debatten abhängig gemacht werden sollte. In jedem Fall erinnern wir jedoch daran, dass die jährlichen Ausgaben der Institutionen für Übersetzungen nur 0,2 Prozent des gemeinschaftlichen Haushalts ausmachen und dass die neuen Technologien die Kosten in den kommenden Jahren beträchtlich senken können. Darüber hinaus steht die Regierung von Katalonien den europäischen Institutionen bei der Suche nach Mechanismen zur Überwindung aller Hindernisse zur Verfügung.
Andere Stimmen schlagen vor, der Aufnahme weiterer Amtssprachen Grenzen zu setzen. Das ist ein fragwürdiges Argument, weil die einzige Bedingung für die Aufnahme in den Kreis der Amtssprachen der Europäische Union darin besteht, in einem Mitgliedstaat Amtssprache zu sein. Es gibt derzeit nur fünf Sprachen in Europa, die trotz ihres Status als Amtssprache in einem Mitgliedstaat noch keine Amtssprache der Union sind. Eine davon ist Katalanisch. Es ist in mehreren Gebieten des spanischen Staates eine vollberechtigte Amtssprache und wird von mehr Menschen gesprochen als einige der bereits zu den Amtssprachen der europäischen Institutionen zählenden Sprachen.
Ferner ist uns bewusst, dass eine falsche Vorstellung besteht: Es handle sich um eine vorübergehende Forderung der spanischen Regierung, die derzeit im Rat den Vorsitz führt, aufgrund der komplexen politischen Situation nach den Wahlen zum spanischen Parlament während der Verhandlungen zur Bildung einer neuen Regierung. Das ist völlig falsch. Die Forderung der Aufnahme von Katalanisch als Amtssprache der europäischen Institutionen ist ein vor über einem Jahr während der Verhandlungen zwischen den Regierungen Spaniens und Kataloniens zur Lösung des Souveränitätskonflikts zwischen den Parteien gegebenes Versprechen der spanischen Regierung, das jetzt eingelöst werden soll. Der Wunsch, unsere Sprache in Europa sprechen zu können, ist eine langjährige Forderung, basierend auf der tiefen pro-europäischen Überzeugung der katalanischen Gesellschaft und begründet durch die Anerkennung unseres Autonomiestatuts.
Der Rat für Allgemeine Angelegenheiten der Europäischen Union debattiert am 19. September nicht über die Wiederwahl von Pedro Sánchez als spanischer Regierungschef. Dies ist nicht seine Befugnis und nicht seine Aufgabe. Der Rat debattiert über die Anerkennung der sprachlichen Rechte von zehn Millionen europäischer Bürger. Dies ist der einzige Blickwinkel, der seine Entscheidung leiten sollte. Auf dem Spiel steht der Einsatz der Europäischen Union für Freiheit, Gleichheit und Mehrsprachigkeit unter dem uns verbindenden Motto: In Vielfalt geeint.
Wir Katalanen stellen keine Ausnahmeforderung an Europa, sondern wir fordern genau das Gegenteil, das heißt wir möchten keine Ausnahme mehr sein.
Pere Aragonès i Garcia ist Präsident der Regierung von Katalonien