ursprünglich hatte die EU-Kommission geplant, heute den Wettbewerbsfähigkeitskompass (Competitiveness Compass) vorzustellen. Aber der Text ist noch nicht ganz fertig, und die Kommissionspräsidentin, die ihn präsentieren wollte, erholt sich weiterhin von ihrer schweren Lungenentzündung. Gemäß einem Entwurf der “Liste des points prévus” – die voraussichtliche Kommissionsagenda für die kommenden Wochen – soll der Kompass nun am 29. Januar bekannt gegeben werden.
Ziel ist es, die Stoßrichtung der EU-Wirtschaftspolitik der kommenden Jahre vorzugeben. Der Kompass soll aus den drei großen Berichten des vergangenen Jahres von Enrico Letta, Mario Draghi und Sauli Niinistö eine Synthese ziehen und deren Empfehlungen zu EU-Zielen machen. Ranghohe Vertreter der Kommission warnen jedoch davor, zu viel von dem Kompass zu erwarten. Viel Neues, das nicht schon in den politischen Leitlinien der Kommissionspräsidentin und in den Mission Letters der Kommissare steht, werde darin nicht zu lesen sein.
Ein Stück konkreter dürfte es erst am 26. Februar werden. Dann plant die Kommission, den Clean Industrial Deal vorzustellen, ebenso das Omnibus-Paket zur Reduktion von Berichtspflichten sowie einen Aktionsplan für erschwingliche Energie.
Einen geduldigen Start in den Tag wünscht Ihnen
Vertreter von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) erhielten in der ersten Amtszeit von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen deutlich häufiger Zugang zu Kommissaren und deren Kabinettsmitgliedern als zuvor. Sie bekamen so die Gelegenheit, Einfluss insbesondere auf die Gesetzgebungsvorschläge der Fit-for-55-Strategie zu nehmen.
2747 Mal trafen sich Kommissare und deren Kabinettsmitlieder in den vergangenen fünf Jahren mit NGO-Vertretern. Das sind 200 Treffen oder acht Prozent mehr als in der Juncker-Kommission. Das geht aus einer Auswertung hervor, die Table.Briefings auf Basis der von der Kommission veröffentlichten Daten des Transparenzregisters vorgenommen hat.
Im Dezember hatte eine Auswertung von Table.Briefings gezeigt, dass die Gesamtanzahl der Lobbykontakte der Kommission unter Ursula von der Leyen um 19 Prozent zurückgegangen war. Die neuen Daten zeigen, dass der Einbruch der Kontakte von Wirtschaftsvertretern für diese Entwicklung ursächlich ist. Die erste Kommission unter von der Leyen traf sich auf Kommissars- und Kabinettsebene deutlich weniger mit Einzelunternehmen und Unternehmensverbänden als die Juncker-Kommission: So gab es 1600 Treffen weniger mit Einzelunternehmen und 1500 Treffen weniger mit Unternehmensverbänden. Das entspricht einem Rückgang um 28 und 31 Prozent.
Auch zwischen 2019 und 2024 machten Treffen mit Wirtschaftsvertretern aber den größten Teil der Kontakte mit Interessenvertretern aus (siehe Grafik). Der prozentuale Anteil der NGO-Kontakte an allen Lobbyistentreffen stieg demnach von 15,9 auf 22,2 Prozent. Treffen mit Interessensvertretern von Unternehmen und Unternehmensverbänden hatten in der Juncker-Kommission einen Anteil von 67,5 Prozent. Im vergangenen Mandat sank der Anteil auf 62 Prozent.
Ein Sprecher der Kommission warnt davor, zu viel in die Daten hineinzuinterpretieren: “Man muss sehen, wie viele Einladungen versandt wurden, wie viele Antworten darauf gegeben wurden, und man muss die Vorbereitungsarbeit berücksichtigen.” Konkrete Daten dazu habe die Behörde jedoch nicht. “Politikgestaltung (Policy making) ist etwas, das sich über die Zeit wandelt“, sagte der Sprecher weiter.
Für Lobbyisten in Brüssel haben persönliche Treffen mit der Kommission einen hohen Stellenwert. Sie räumen Gesprächen in der Regel mehr Priorität ein als schriftlichen Stellungnahmen.
Besonders offen für NGO-Interessenvertreter war Frans Timmermans, Vizepräsident der Kommission und zuständig für den Green Deal. Der Niederländer, unter dessen Regie die Vorschläge zu den CO₂-Flottengrenzwerten mit dem Verbrenner-Aus, das Naturwiederherstellungsgesetz sowie die Pestizidverordnung vorgelegt wurden, zeigte sich besonders zugänglich für NGOs. Er hatte mit seinem Kabinett mit Abstand die meisten Treffen mit Interessenvertretern, obwohl sich Timmermans bereits im Sommer 2023 zurückgezogen hatte, um in die nationale Politik der Niederlande zurückzukehren.
Den besten Draht der Interessenvertreter ins Kabinett Timmermans hatte T+E. Der Dachverband von vielen nationalen Umwelt-NGOs wie der Deutschen Umwelthilfe setzt sich für den Abschied von der Verbrennertechnologie bei Pkw, Lieferwagen und schweren Nutzfahrzeugen ein. Zudem ist T+E ein Verfechter des Umstiegs auf batterieelektrische Fahrzeuge. Den Einsatz alternativer Kraftstoffe wie E-Fuels oder Biofuels im Straßenverkehr bekämpft die NGO massiv.
Interessenvertreter der Automobilindustrie bemängelten, dass die T+E-Forderungen wiederholt Eingang gefunden hätten in die Regulierung etwa bei der CO₂-Flottengesetzgebung, den Schadstoffgrenzwerten Euro 7, dem Ausbau der öffentlichen Lade- und Tankinfrastruktur (AFIR) und der Erneuerbaren-Energien-Richtlinie.
Daneben kamen viele umweltpolitische NGOs mit Timmermans zusammen, zum Beispiel die European Climate Foundation und der WWF. Die einzigen Unternehmen, die oft Zugang bekamen, waren Shell und Bloomberg, bei den Verbänden kamen der niederländische Arbeitgeberverband, der Verband der europäischen Automobilhersteller (ACEA) sowie Solar Power Europe zum Zuge.
Ansprechpartner der Autoindustrie in der Kommission war Binnenmarktkommissar Thierry Breton, der allerdings als einfacher Kommissar hierarchisch Timmermans untergeordnet war. Von der Leyen mied den Kontakt mit den Chefs von BMW, Mercedes und VW. Erst als sie wiedergewählt und ihre neue Kommission noch nicht im Amt war, traf sie die Auto-CEOs zu persönlichen Gesprächen während einer Sitzungswoche des Parlaments in Straßburg im Herbst 2024.
In der Wirtschaft und bei einigen Kommissionsbeamten wird der privilegierte Zugang von NGOs zum Kabinett Timmermans rückblickend als folgenreich kritisiert. In der Kommission hört man Stimmen, die einen Zusammenhang mit dem vermehrten Aufbau von bürokratischen Lasten sehen. Die Einführung vieler Berichtspflichten sei nur möglich gewesen, weil die Kommission zu wenig Kontakte mit der Wirtschaft gehabt habe. Die Folgen der EU-Gesetzgebung auf den konkreten Alltag in den Unternehmen seien so zu wenig beachtet worden.
Vertreter von Unternehmen, zumal aus der deutschen Wirtschaft, bemängelten immer wieder, dass sie mit dem Ausscheiden von Günther Oettinger aus der Kommission 2019 so gut wie keine Zugänge mehr zu Mitgliedern des College gehabt hätten. Von der Leyen hat im neuen Mandat den Fokus geändert und setzt nun vor allem auf die Wettbewerbsfähigkeit der EU. Dieser Strategiewechsel, so die Erwartung, dürfte sich auch bei den Zugängen zeigen, die die Interessenvertreter in den nächsten fünf Jahren haben.
Auffällig ist: Die Nähe der NGOs ist 2019 bis 2024 lediglich auf der Ebene des College zu beobachten. Auf Ebene der Generaldirektoren blieb der Anteil der NGO-Treffen über die vergangenen zehn Jahre konstant bei rund 15 Prozent aller Treffen. Dies legt nahe, dass die Entscheidung über den Zugang für Interessensvertreter stark von den Kommissaren und ihren Kabinettschefs persönlich getroffen wird. In ihrem zweiten Mandat hat von der Leyen beim Zuschnitt der Portfolios darauf geachtet, dass kein Kommissar wieder eine so zentrale Machtposition bekommt wie Timmermans. Mit Markus Grabitz und Stefanie Weber
Die Kommission plant, die Verwaltung von Funkfrequenzen in Europa zu reformieren. Auch dieses Vorhaben soll auf das Ziel einzahlen, die digitale Souveränität der EU zu stärken und den digitalen Binnenmarkt zu fördern. Dies hat die Kommission in ihrem Weißbuch “Wie lässt sich der Bedarf an digitaler Infrastruktur in Europa decken?” hinterlegt, das der Vorbereitung eines kommenden Digital Networks Acts dienen soll.
Doch auch wenn sich niemand explizit gegen eine Harmonisierung wehrt, so gibt es dennoch Unstimmigkeiten in Details. Etwa die Frage: Wie kann eine Schultheateraufführung störungsfrei stattfinden, wenn ein Bundeswehrkonvoi vorbeifährt? Diese innerdeutsche Diskussion wird so oder so ähnlich auch in anderen Mitgliedstaaten geführt werden.
So hebt etwa Heike Raab, Staatssekretärin in Rheinland-Pfalz und Koordinatorin der Rundfunkkommission der Länder, “die Bedeutung der nationalen Zuständigkeiten im Bereich der Frequenzverwaltung” hervor. Und sie freut sich, dass sowohl die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme als auch der Ministerrat in seinen Ratsschlussfolgerungen zum Weißbuch das ebenso sehen.
Der Plan für den Digital Networks Act geht noch auf die Initiative von Ex-Kommissar Thierry Breton zurück. Vizepräsidentin Henna Virkkunen hat aber bereits angekündigt, dass sie diesen Plan weiter vorantreiben will.
Mit der Harmonisierung des Frequenzspektrums will die Kommission eine effizientere Nutzung der knappen Frequenzen gewährleisten und EU-weite digitale Dienste ermöglichen. Derzeit ist die Harmonisierung von Frequenzen ein langwieriger Prozess. Er erfordert die Einbeziehung von Nicht-EU-Ländern durch die CEPT (Europäische Konferenz der Verwaltungen für Post und Telekommunikation).
Die Kommission sieht in diesem Prozess ein Risiko für die digitale Souveränität der EU. Daher möchte sie sicherstellen, dass Entscheidungen über Frequenzen in Europa primär EU-Akteure treffen. Um dies zu erreichen, schlägt sie verschiedene Optionen vor. Dazu gehört etwa die Einrichtung eines Ad-hoc-Ausschusses aus EU-Mitgliedstaaten oder die Aufgabe der CEPT-Beteiligung.
Der Rat betont in seiner Schlussfolgerung die zentrale Rolle der Mitgliedstaaten im Spektrummanagement und betrachtet die Frequenzverwaltung als wichtige nationale Kompetenz. Er argumentiert, dass die nationale Steuerung notwendig ist, um auf spezifische Bedürfnisse und Herausforderungen – wie grenzüberschreitende Störungen – flexibel reagieren zu können, ohne den Verwaltungsaufwand oder die Entscheidungsdauer zu erhöhen.
Auch im deutschen Digitalministerium sieht man das so. “Bei den Frequenzen ist uns wichtig, dass wir zu einer besseren Abstimmung kommen”, sagte Digitalminister Volker Wissing am Rande des Ministerrats zu Table.Briefings. Aber Frequenzvergabe und Frequenzpolitik müsse einerseits in den etablierten Foren bleiben, etwa bei der Weltfunkkonferenz der Internationalen Fernmeldeunion (ITU). “Andererseits brauchen wir bei der Zuteilung der Frequenzen eine starke Rolle der nationalen Ebene“, fügte Wissing hinzu.
Die starke Rolle auf deutscher Ebene spielen die Länder. Vor dem Hintergrund der technischen Entwicklungen und der geopolitischen Lage sei es richtig, dass sich die EU mit der digitalen Infrastruktur Europas und deren Weiterentwicklung beschäftige, sagt Raab. “Gerade, wenn es um das Thema der Rundfunkfrequenzen geht“, sei es ihr wichtig, “dass die nationalen Spielräume und Zuständigkeiten gewahrt werden”.
Dabei gibt es bereits innerhalb Deutschlands Streit. Denn Frequenzen sind knapp und begehrt. Nicht nur für den Mobilfunk (5G) oder neue Anwendungen, wie das autonome Fahren. Auch um die Rundfunk- und Kulturfrequenzen (UHF-TV-Frequenzen im Bereich 470 bis 694 MHz).
Auf der Weltfunkkonferenz 2023 (WRC23) fiel zwar die Entscheidung, dass der Rundfunk in dem Frequenzbereich alleiniger Primär- und die Veranstaltungsbranche Sekundärnutzer bleibt. Letztere braucht die Frequenzen unter anderem für drahtlose Mikrofone, In-Ear-Monitore, Videokameras sowie für die interne Kommunikation. Doch nun macht die Bundeswehr den bisherigen Nutzern den Frequenzbereich streitig und beansprucht zusätzliche Frequenzbereiche im UHF-Spektrum.
Aktuell stattet die Bundeswehr mehrere Tausend Fahrzeuge des Heeres mit digitalen Funkgeräten aus, um verschlüsselt und abhörsicher miteinander und mit anderen Nato-Partnern funken zu können. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums teilte auf Anfrage mit, dass die “zunehmende Digitalisierung” zu steigenden Bedarfen in unterschiedlichste Frequenzbereichen führten.
“Das bedeutet im Hinblick auf die geänderte Sicherheitslage, dass auch die Nutzung des verfügbaren Frequenzspektrums in einer ausgewogenen Balance zwischen wirtschaftlichen, kulturellen und sicherheitspolitischen Anforderungen anzupassen ist.” Man befinde sich hinsichtlich der Umsetzung der militärischen Mitnutzung des UHF-Bands aktuell in der “konstruktiven Abstimmung mit den Bandnutzern, den Ländern sowie mit den betroffenen Ressorts”.
Begehrt ist der Frequenzbereich beim aus den gleichen Gründen, aus denen auch Theater und Konzertveranstalter ihn schätzen. “Dieser Bereich ist wegen seiner technischen Eigenschaften – zum Beispiel der Durchdringung von Wänden oder Kulissen – und der europäischen Harmonisierung ideal”, sagt Jochen Zenthöfer, Ko-Vorsitzender des Verbands drahtloser Produktionstechnik (APWPT) und Sprecher der Initiative SOS – Save Our Spectrum. “Künstler können so mit dem gleichen Equipment in ganz Europa touren“.
Die Bundeswehr habe ihren Bedarf erst nach der WRC23 angemeldet, betont Zenthöfer. Deutschland habe sich dort noch für die Position von Rundfunk und Kultur eingesetzt. Nun gibt es Streit zwischen dem Verteidigungsministerium und den Bundesländern. Das Verteidigungsministerium habe zunächst versucht, die Mitnutzung der Frequenzen im Kabinettsverfahren durchzusetzen, was Heike Raab aber stoppte.
Aus technischen Gründen könnten die Bundeswehr sowie Rundfunk und Kulturbranche die Frequenzen nicht in größerem Umfang gleichzeitig nutzen. “Da sind die gegenseitigen Störungen zu groß“, sagt Raab auf Anfrage. Zur künftigen militärischen (Mit-)Nutzung des TV-UHF-Bandes würden Gespräche zwischen Bund, Ländern und Betroffenen geführt, koordiniert unter Federführung des BMDV. Ziel sei es, ein Konzept zur künftigen Nutzung des TV-UHF-Bandes zu erarbeiten.
“Meines Erachtens ist es wichtig, dem Rundfunk die Terrestrik als kostengünstigen und niederschwelligen Übertragungsweg zu erhalten und auch die Möglichkeit offenzuhalten, 5G Broadcast als eine für mobile Endgeräte optimierte Übertragungstechnologie einzuführen”, sagt Raab. Die terrestrischen Frequenzen, die über erdgebundene Antennen statt über Satelliten funktionieren, spielten für die mediale Teilhabe eine ganz besondere Rolle. Die drahtlose Produktionstechnik sei nicht nur unabdingbar für professionelle Rundfunkmedienproduktionen, sondern auch “für die Existenz der Kultur- und Kreativwirtschaft“, betont Raab. “Medien und Kultur müssen alle erreichen.”
Der Frequenzbereich zwischen 470 und 694 MHz sei bereits europaweit für drahtlose Mikrofone und terrestrische Fernsehausstrahlung standardisiert. Es sei quasi ein europäischer Binnenmarkt für Kulturfrequenzen, sagt Zenthöfer. Er verweist auf Italien, wo die terrestrische Fernsehausstrahlung 80 Prozent der Haushalte erreicht. Eine Änderung dieses Frequenzbereichs, etwa durch die Bundeswehr oder auch die Nato, “würde Italien vor große Herausforderungen stellen”, meint er.
Momentan beantragt die Bundeswehr nach Angaben von Zenthöfer Versuchsfunklizenzen für 18 Kasernenstandorte, um die Frequenzen innerhalb dieser Gelände nutzen zu dürfen. Problematisch seien aber nicht nur die Standorte. “Ein weiteres Problem sind die Marschrouten der Bundeswehr, bei denen es zu Störungen von Fernsehgeräten und Mikrofonen kommen könnte”, sagt Zenthöfer. Wenn also draußen Panzer rollen, fallen beim Popkonzert oder der Schultheateraufführung die Mikrofone aus.
Als Lösungsansatz schlägt er vor, dass die Bundesnetzagentur als neutrale Stelle eine Plattform zur Koordinierung der Frequenznutzung schafft. Kritisch sieht er die Idee einer europäischen Frequenzbehörde. “Ich befürchte, dass die Interessen der Kultur- und Veranstaltungsbranche gegenüber denen des Mobilfunks in den Hintergrund geraten würden”, sagt Zenthöfer.
Die Energiepreise in der EU können laut einer Analyse des Internationalen Währungsfonds durch den Ausbau von CO2-armer Energieerzeugung global wettbewerbsfähiger werden. “Auch wenn es unwahrscheinlich ist, dass die EU die Energiepreislücke zu den USA vollständig schließen wird, könnte die Kombination von erneuerbarer Energieversorgung und Marktintegration einen großen Fortschritt darstellen“, schreibt der IWF in einem Hintergrunddokument für das Treffen der EU-Finanzminister in der kommenden Woche. Der 16-seitige Bericht zur Vertiefung des europäischen Energiebinnenmarkts liegt Table.Briefings vor.
Die zur Kostensenkung “unweigerlich nötige” Abkehr von fossilen Energien hin zu Energieträgern mit niedrigen Grenzkosten erfordere außerdem eine schnelle und umfassende Elektrifizierung, heißt es in dem Bericht weiter. Zu den Energien mit niedrigen Grenzkosten zählt neben den Erneuerbaren üblicherweise auch die Atomenergie. Elektrifizierung meint die Umstellung von Maschinen, Fahrzeugen und Heizungen von Gas und Öl auf Strom. Ein gemeinsamer Ansatz auf EU-Ebene sei bei Weitem der kostengünstigste Weg, um die Umstellung zu erreichen, schreibt der IWF.
Zur Senkung der Energiekosten schlägt der Internationale Währungsfonds mehrere Maßnahmen vor, um den EU-Energiebinnenmarkt zu stärken:
Der Bericht für die EU-Minister zitiert auch eine noch unveröffentlichte IWF-Untersuchung zu den Auswirkungen der stark gestiegenen Energiepreise nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine. Demnach haben Energieeffizienzmaßnahmen den Rückgang des Produktionspotenzials in der Eurozone auf einen Prozentpunkt abgefedert: “Das ist zwar weniger als ursprünglich von vielen befürchtet, aber immer noch beträchtlich und wird sich bis 2027 auf einen Produktionsverlust von fast 200 Milliarden Euro pro Jahr belaufen.”
Staaten wie Deutschland und Italien hätten dabei stärkere Verluste zu verzeichnen als andere Länder. Gründe seien ihr hoher Energieverbrauch und die geringeren Möglichkeiten, ihre Produktion auf weniger energieintensive Güter umzustellen. ber
Laufende Bemühungen zum Bürokratieabbau dürfen nach Ansicht von Gewerkschaften und Umweltverbänden nicht dazu führen, Umwelt- und Sozialstandards in der EU abzusenken. Die Kommission müsse garantieren, dass Vereinfachungen von EU-Gesetzen den sozial-ökologischen Wandel nicht behindern oder verzögern, schreiben die NGOs in einem Brief an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
Zu den rund 270 Unterzeichnern gehören CAN Europe, das European Environmental Bureau, die Gewerkschaftsverbände EPSU und ETUC sowie Lobby Control, der BUND und die DUH. Bereits jetzt zeigten sich Diskrepanzen zwischen Zusicherungen, dass Vereinfachungen nicht zu Deregulierung führen würden, und konkreten Plänen, schreiben die Organisationen. Dabei verweisen sie auf die jüngste Verschiebung der Anti-Entwaldungsverordnung um ein Jahr. ber
Der Luftfahrt-Umweltbericht 2025 der Europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA) verdeutlicht, dass die europäische Luftfahrtbranche trotz einiger Fortschritte weiterhin vor erheblichen Problemen beim Klimaschutz steht. Die Zahl der Flüge könnte demnach bis 2050 auf 13,8 Millionen jährlich ansteigen. Obwohl technologische Verbesserungen und nachhaltige Flugkraftstoffe zur Emissionsminderung beitragen, seien zusätzliche Maßnahmen erforderlich, um die Klimaziele zu erreichen.
Insbesondere der Anstieg der NOx-Emissionen stelle die Branche vor Herausforderungen. Die sind laut EASA von 478.000 Tonnen im Jahr 2005 auf 644.000 Tonnen im Jahr 2023 gestiegen und dürften ohne eine Verbesserung der Triebwerkstechnologie bis 2030 weiter zunehmen.
Um die europäischen und internationalen Umweltziele der Branche zu erreichen, empfiehlt der Bericht eine beschleunigte Einführung nachhaltiger Technologien wie Sustainable Aviation Fuels (SAF), die Optimierung des Luftverkehrsmanagements und die Weiterentwicklung des Single European Sky. Es gehe darum, dass “Wachstum und Emissionen durch technologische und betriebliche Lösungen und die Einführung von SAF” entkoppelt werden.
Die Umweltorganisation Transport & Environment übt derweil Kritik an den Wachstumsplänen der Branche. Das Passagieraufkommen auf EU-Flughäfen werde sich bis 2050 gegenüber 2019 mehr als verdoppeln, teilt T&E mit Verweis auf Prognosen von Airbus und Boeing mit.
Die NGO kritisiert, dass der positive Umwelteffekt der SAF-Nutzung neutralisiert würde, wenn der Flugverkehr gleichzeitig zunehme. SAF seien nur eine brauchbare Lösung, wenn das Verkehrsaufkommen nicht exponentiell ansteige. luk
Die Mindestlohn-Richtlinie sollte nach Sicht des zuständigen EuGH-Generalanwalts Nicholas Emiliou in seiner Gesamtheit für ungültig erklärt werden. Das legte der Zypriote am Dienstag in seinen Schlussanträgen für das Verfahren dar. Hauptgrund für Emiliou: Mit der Richtlinie überschreite die EU ihre gesetzgeberischen Kompetenzen im Hinblick auf Entgelte. Hintergrund ist, dass Dänemark auf Annullierung der Mindestlohn-Richtlinie vor dem Europäischen Gerichtshof klagt. Schweden hat sich als Streitbeihelfer dem Verfahren angeschlossen.
Das Arbeitsentgelt ist von den Kompetenzen der Union laut dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union ausgenommen. Der Rat und das Parlament selbst argumentieren, dass das Gesetz nur Mechanismen zur Ermittlung von Mindestlöhnen anrege, die sich die Länder selbst geben können. Damit greife man nicht in die Lohngestaltung der Länder ein.
Emiliou interpretierte die Zuständigkeit bei den Löhnen wesentlich enger, als viele Beobachter es erwartet haben. Um sicherzustellen, dass die Union sich tatsächlich nicht in Entgelte einmische, müssten nach Meinung des Generalanwalts auch Lohnfindungsmechanismen zu den Feldern gezählt werden, in die sich die Union nicht einmischen dürfe. So schrieb Emiliou: “Ich bin der Auffassung, dass die Verfasser der EU-Verträge beabsichtigt haben, Maßnahmen vom Anwendungsbereich der EU-Maßnahmen auszuschließen, die unter anderem die Harmonisierung des Lohnniveaus betreffen, aber darauf nicht beschränkt sind.”
Er argumentiert weiter: “Andernfalls könnte der Unionsgesetzgeber alle anderen Aspekte der Lohnfindungssysteme der Mitgliedstaaten harmonisieren, […] indem er eine bestimmte Formel oder einen bestimmten Betrag vorschreibt.” In seinen Ausführungen zur Richtlinie schloss sich Emiliou zudem der Sorge Dänemarks an, dass aus dem aktuellen Text durchaus ein Anspruch auf einen Mindestlohn abgeleitet werden könne. Emiliou geht davon aus, dass die Richtlinie in ihrer Gesamtheit hauptsächlich auf die Lohnsetzung abzielt. Daher sei die Richtlinie vollständig zu annullieren.
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) sieht sich durch diese Einschätzung bestätigt: “Die Schlussanträge des Generalanwaltes zur Mindestlöhnerichtlinie sind an Klarheit nicht zu überbieten. Sie beweisen: Die Zweifel der Arbeitgeber an der Mindestlöhnerichtlinie waren immer wohlbegründet”, hieß es in einem schriftlichen Statement. Man hoffe nun, dass die Richterinnen und Richter dem Generalanwalt folgten.
Der Europäische Gewerkschaftsbund nannte die Stellungnahme des Generalanwalts dagegen eine “Außenseitermeinung“. Auch Rechtsexperten hatten im Gespräch mit Table.Briefings gesagt, dass sie die Richtlinie mit EU-Recht vereinbar sehen oder zumindest erwarten, dass sie in weiten Teilen unbeanstandet bleiben dürfte.
Die Schlussanträge des Generalanwaltes sind nur eine Empfehlung an die Richter des EuGHs. Oft halten sie sich an diese Empfehlungen, aber längst nicht immer. Wann die Richter ihr Urteil verkünden, steht derzeit noch nicht fest. Sollten die Richter der ersten Einschätzung des Generalanwalts folgen, hätte dies wohl weitreichende Auswirkungen für die Sozialpolitik in der EU. lei
China schränke den Zugang europäischer Hersteller von Medizinprodukten zum chinesischen Beschaffungsmarkt auf eine “unfaire und diskriminierende” Weise ein. Das ist das Fazit eines neuen Berichts, den die Kommission am gestrigen Dienstag veröffentlichte. Das Papier ist ein notwendiger Zwischenschritt in der aktuellen Untersuchung der Kommission zum internationalen Beschaffungsinstrument (International Procurement Instrument – IPI) im Bereich der Medizinprodukte in China.
Die Untersuchung ist die erste Anwendung des IPI. Ziel des Instruments ist, öffentliche Beschaffungsmärkte in Drittstaaten für EU-Firmen zu öffnen. Vorerst scheint dieses Ziel nicht erreicht zu werden. China weigert sich, die “Buy China”–Politik und andere Maßnahmen unilateral zurückzunehmen, die von der EU als diskriminierend wahrgenommen werden.
Im Verlauf der Gespräche hatte China der Kommission vorgeschlagen, die Untersuchung einzustellen und stattdessen über ein bilaterales Abkommen über die öffentliche Beschaffung zu verhandeln. Die Kommission lehnte dies mit der Begründung ab, dass die Untersuchung im Rahmen des IPI sich nur auf den Medizinprodukte-Sektor fokussiere. EU-Beamte sehen das Angebot eines umfassenden bilateralen Abkommens als Ablenkungsmanöver, welches das Problem für die europäischen Medizinprodukte-Hersteller nicht behebt.
In einem nächsten Schritt prüft die Kommission nun laut EU-Beamten, ob es im Interesse der EU ist, Ausgleichsmaßnahmen gegen chinesische Medizinprodukte-Hersteller im europäischen Markt zu treffen. Chinesische Anbieter könnten in Beschaffungsprozessen benachteiligt oder sogar ausgeschlossen werden. Die Maßnahmen gelten aber nur für Beschaffungsaufträge im Wert von fünf Millionen Euro oder mehr und sind zeitlich begrenzt. Die Kommission muss für das weitere Vorgehen keine gesetzliche Frist berücksichtigen.
Unterdessen gehen die Gespräche auf politischer Ebene weiter. Am Dienstag telefonierten der chinesische Staatschef Xi Jinping und António Costa, Präsident des Europäischen Rats, miteinander. Freitag wird Handelskommissar Maroš Šefčovič den chinesischen EU-Botschafter treffen und mit ihm die aktuellen Handelsthemen besprechen. jaa
Der ehemalige polnische Ministerpräsident und PiS-Politiker Mateusz Morawiecki ist zum neuen Chef der nationalkonservativen Parteienfamilie EKR gewählt worden. Morawiecki löst Giorgia Meloni ab, italienische Ministerpräsidentin und Chefin der Fratelli d’Italia. Meloni hatte die Parteienfamilie vier Jahre geführt.
Vize wurden Carlo Fidanza (Italien), Marion Maréchal (Frankreich) und George Simion (Rumänien). Generalsekretär bleibt Antonio Giordano. Maréchal ist die Enkelin des Front-National-Gründers Jean-Marie Le Pen. Sie hat vor der Europawahl die Partei Reconquête, die als rechtsradikal gilt, in die EKR-Parteienfamilie geführt. mgr
Die Nato überwacht wichtige Kabel und Leitungen in der Ostsee künftig mit deutlich mehr Schiffen, Flugzeugen und Drohnen. “Ich kann heute bekanntgeben, dass die Nato die Operation Baltic Sentry startet”, sagte Nato-Generalsekretär Mark Rutte auf einer Pressekonferenz zum Abschluss eines Ostsee-Gipfels in der finnischen Hauptstadt Helsinki. Es gehe darum, die maritime Präsenz und Überwachung in Schlüsselbereichen des Bündnisses zu verstärken.
Als einen Teil der Bemühungen nannte Rutte auch eine Initiative zur Nutzung neuer Technologien. Dazu gehört auch eine kleine Flotte von Marinedrohnen, die eine verbesserte Überwachung und Abschreckung gewährleisten soll.
Mit dem Gipfel in Helsinki reagieren die beteiligten Nato-Länder Deutschland, Dänemark, Estland, Finnland, Lettland, Litauen, Polen und Schweden auf mehrere Vorfälle, bei denen zuletzt Leitungen und Kabel in der Ostsee mutmaßlich vorsätzlich gekappt wurden.
Bei dem jüngsten Vorfall steht der Öltanker Eagle S unter Verdacht, eine Stromleitung und mehrere Kommunikationskabel an Weihnachten absichtlich beschädigt zu haben, indem er seinen Anker auf dem Meeresgrund hinter sich hergezogen haben soll. Die finnische Kriminalpolizei hat das Schiff festgesetzt und ermittelt wegen möglicher Sabotage. dpa
Kurz nach der Regierungserklärung von Frankreichs neuem Premierminister François Bayrou ist ein Misstrauensvotum gegen dessen Regierung beantragt worden. Abgeordnete der linken Partei La France Insoumise (LFI) begründeten den Schritt mit der Zusammensetzung des Mitte-rechts-Kabinetts sowie Bayrous Haushaltspolitik. Es wird zwar erwartet, dass die Regierung das Votum überlebt. Der Schritt verdeutlicht aber die Instabilität des Kabinetts, das nicht über eine eigene Mehrheit verfügt.
Die Abstimmung ist frühestens am Donnerstag möglich. Die Grünen kündigten bereits an, gegen das Kabinett von Bayrou zu stimmen. Die Rechtsnationalen um Marine Le Pen ließen durchblicken, der Regierung zunächst nicht das Vertrauen zu entziehen. Sie schlossen jedoch nicht aus, dies – wie zuvor bei Bayrous Vorgänger Michel Barnier – zu einem späteren Zeitpunkt zu tun. Die Sozialisten drohten zunächst weiterhin damit, gegen die Regierung zu stimmen.
Um das zu verhindern, hatte Bayrou zuvor angeboten, die Rentenreform von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron auf den Prüfstand zu stellen. Die Sozialpartner erhielten drei Monate Zeit, eine sozial gerechtere Ausgestaltung der Rentenreform ohne Mehrkosten auszuarbeiten, sagte Bayrou in seiner Regierungserklärung. Auch die Anhebung des Renteneintrittsalters von 62 auf 64 Jahre könne dabei angefasst werden. Wenn keine Einigung auf eine Alternative gelinge, bleibe die Rentenreform von 2023 in Kraft.
Bayrous Angebot richtet sich gezielt an die Sozialisten. Diese hatten signalisiert, im Fall von Zugeständnissen bei der Rente das Misstrauensvotum nicht zu unterstützen.
Die im Frühjahr 2023 ohne Abstimmung durchs Parlament geboxte Rentenreform hatte in Frankreich zu monatelangen Massenprotesten geführt. Begründet wurde das Schlüsselvorhaben von Macrons zweiter Amtszeit mit einem Loch in der Rentenkasse. dpa
Herbert Kickl möchte “Österreich ehrlich regieren”. Das versprach der Parteichef der FPÖ in einer Pressekonferenz, bevor er sich mit einem siebenköpfigen Team in die Koalitionsverhandlungen mit der konservativen ÖVP begab. Erstmals seit 1945 könnte Österreich einen ultrarechten Bundeskanzler bekommen – einen hobbymäßigen Extremsportler, der ebenso diszipliniert eine teils rechtsradikale Politik verfolgt und mit seinen Reden provoziert.
Kickl schimpft etwa die EU den “größten Kriegstreiber, den dieser Kontinent je gesehen hat”, verspricht seinen Wählern eine “Festung Österreich” und will “Flüchtlinge, die glauben, sich nicht an unsere Regeln halten zu müssen” im Stile von “Remigration” (“Ich weiß gar nicht, was an diesem Wort so böse sein soll”) abschieben. Er inszeniert sich als einer, der gegen die “Eliten” antritt: gegen EU, Nato und Weltgesundheitsorganisation. Er sei der “Volkskanzler“. Den Begriff hat Kickl von Hitler entlehnt. 1941 stand im Duden dazu: “Begriff für Hitler zum Ausdruck der Verbundenheit zwischen Volk und Führer.”
Auch in einer Neujahrsrede provozierte Kickl mit belasteten Begriffen, drohte etwa mit einer “Fahndungsliste”, auf der “Systempolitiker” wie Ex-Kanzler Karl Nehammer oder Interimskanzler Alexander Schallenberg stünden, die “Volksverrat” begangen hätten. Mit seinen Provokationen spreche Kickl auch Coronaleugner und Verschwörungsanhänger an, analysiert die Extremismusforscherin Julia Ebner im Guardian. Heute sei die FPÖ so rechtsradikal wie noch nie, und das mit Erfolg.
Kickls politischer Aufstieg begann als Redenschreiber von Jörg Haider und später als Stratege für Heinz-Christian Strache. Als dieser im Zuge der Ibiza-Affäre baden ging, übernahm Kickl eine marode Partei und führte sie drei Jahre später zum Wahlsieg bei den Europa- und Nationalratswahlen. Aktuell liegt die FPÖ in Umfragen bei über 35 Prozent und regiert in fünf von neun Bundesländern mit. Kickl ist, anders als die charismatischen Populisten Haider und Strache, allerdings gar nicht so beliebt bei den eigenen Wählern: Nur zwei Prozent stimmten seinetwegen für die Partei.
Sein Privatleben hält Kickl gerne bedeckt. Der heute 56-Jährige wuchs in einer Arbeitersiedlung in Radenthein, Kärnten, auf. Seine Familie war eher unpolitisch, er selbst ein “guter Schüler mit Widerstandsgeist” gewesen. Nach der Matura und dem Wehrdienst studierte er Philosophie in Wien, brach das Studium aber ab. Kickl ist verheiratet und hat einen 24-jährigen Sohn.
Er kritisiert wiederholt die hohen Politikergehälter, erhält aber zusätzlich zu seinem Nationalratsgehalt von der Wiener FPÖ monatlich 10.000 Euro für Medienarbeit. Im Auto liegt meist seine Kletterausrüstung für spontane Touren, er läuft Marathon und hat einen Extremtriathlon absolviert.
Ebenso diszipliniert soll er politisch vorgehen. Kickl gilt als Einzelkämpfer und fremdelt mit den “elitären” Burschenschaftern. Gleichzeitig sind einige seiner engsten Vertrauten, die als Ministerkandidaten gehandelt werden, Mitglied in Burschenschaften – darunter etwa Reinhard Teufel. Er war Kickls Kabinettschef im Innenressort und ist Teil der radikalen Innsbrucker Brixia. Früher war Teufel in Kontakt mit dem österreichischen Rechtsextremisten und Mitgründer der Identitären, Martin Sellner.
In “Kickl beim Wort genommen” dokumentiert die Journalistin Nina Horaczek seine Positionen in gesammelten Zitaten: die fehlende Abgrenzung zu den Identitären, Angriffe auf Medien und Menschenrechte sowie auf die EU und den Bundespräsidenten, die Idee, Österreich abzuschotten, oder etwa seine Haltung zu Russland und der Ukraine.
Nimmt man den Provokateur Kickl beim Wort – in seiner Rede zur möglichen Kanzlerschaft fiel das Wort “Ehrlichkeit” immerhin 20-mal – so bekommt man eine Vorstellung seiner Europa- und Außenpolitik. Mit dem EU-Austritt droht Kickl beispielsweise nicht mehr eindeutig, er war in der Vergangenheit aber eine Option.
Zudem unterschrieb er gemeinsam mit Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán und Tschechiens Ex-Premier Andrej Babiš ein “Patriotisches Manifest“, das die Nationalstaaten vor einem angeblichen europäischen “Zentralstaat” schützen solle. Vom Green Deal, ESG-Berichtspflichten oder dem EU-Renaturierungsgesetz hält Kickl wenig.
Stattdessen fordert die FPÖ ein Ende der “verantwortungslosen” EU-Sanktionen gegen Russland und setzt im Wahlprogramm weiter auf russisches Gas. Auch Selenskyj müsse sich bewegen, findet Kickl. Auf Telegram ließ Kickl zudem Anfang 2023 wissen, “Österreich hätte als neutraler Staat niemals in diese Kriegstreiberei einstimmen dürfen”. Die von der ÖVP initiierte Teilnahme am europäischen Luftverteidigungssystem Skyshield ist für ihn eine “neutralitätsfeindliche Nato-Annäherung”. Zudem will die FPÖ alle Abkommen und völkerrechtlichen Verträge neu evaluieren.
An Kickls Vorstellungen zur Europa- und Außenpolitik könnten die laufenden Koalitionsverhandlungen noch am ehesten scheitern, nachdem sich bereits am Montag FPÖ und ÖVP auf eine Budgetsanierung einigen konnten, um ein EU-Defizitverfahren abzuwenden. Die Trümpfe hat allerdings Kickl in der Hand – und das ließ er auch den potenziellen Juniorpartner wissen. Wenn die ÖVP nicht mitspiele, gebe es eben Neuwahlen. Lukas Bayer
ursprünglich hatte die EU-Kommission geplant, heute den Wettbewerbsfähigkeitskompass (Competitiveness Compass) vorzustellen. Aber der Text ist noch nicht ganz fertig, und die Kommissionspräsidentin, die ihn präsentieren wollte, erholt sich weiterhin von ihrer schweren Lungenentzündung. Gemäß einem Entwurf der “Liste des points prévus” – die voraussichtliche Kommissionsagenda für die kommenden Wochen – soll der Kompass nun am 29. Januar bekannt gegeben werden.
Ziel ist es, die Stoßrichtung der EU-Wirtschaftspolitik der kommenden Jahre vorzugeben. Der Kompass soll aus den drei großen Berichten des vergangenen Jahres von Enrico Letta, Mario Draghi und Sauli Niinistö eine Synthese ziehen und deren Empfehlungen zu EU-Zielen machen. Ranghohe Vertreter der Kommission warnen jedoch davor, zu viel von dem Kompass zu erwarten. Viel Neues, das nicht schon in den politischen Leitlinien der Kommissionspräsidentin und in den Mission Letters der Kommissare steht, werde darin nicht zu lesen sein.
Ein Stück konkreter dürfte es erst am 26. Februar werden. Dann plant die Kommission, den Clean Industrial Deal vorzustellen, ebenso das Omnibus-Paket zur Reduktion von Berichtspflichten sowie einen Aktionsplan für erschwingliche Energie.
Einen geduldigen Start in den Tag wünscht Ihnen
Vertreter von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) erhielten in der ersten Amtszeit von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen deutlich häufiger Zugang zu Kommissaren und deren Kabinettsmitgliedern als zuvor. Sie bekamen so die Gelegenheit, Einfluss insbesondere auf die Gesetzgebungsvorschläge der Fit-for-55-Strategie zu nehmen.
2747 Mal trafen sich Kommissare und deren Kabinettsmitlieder in den vergangenen fünf Jahren mit NGO-Vertretern. Das sind 200 Treffen oder acht Prozent mehr als in der Juncker-Kommission. Das geht aus einer Auswertung hervor, die Table.Briefings auf Basis der von der Kommission veröffentlichten Daten des Transparenzregisters vorgenommen hat.
Im Dezember hatte eine Auswertung von Table.Briefings gezeigt, dass die Gesamtanzahl der Lobbykontakte der Kommission unter Ursula von der Leyen um 19 Prozent zurückgegangen war. Die neuen Daten zeigen, dass der Einbruch der Kontakte von Wirtschaftsvertretern für diese Entwicklung ursächlich ist. Die erste Kommission unter von der Leyen traf sich auf Kommissars- und Kabinettsebene deutlich weniger mit Einzelunternehmen und Unternehmensverbänden als die Juncker-Kommission: So gab es 1600 Treffen weniger mit Einzelunternehmen und 1500 Treffen weniger mit Unternehmensverbänden. Das entspricht einem Rückgang um 28 und 31 Prozent.
Auch zwischen 2019 und 2024 machten Treffen mit Wirtschaftsvertretern aber den größten Teil der Kontakte mit Interessenvertretern aus (siehe Grafik). Der prozentuale Anteil der NGO-Kontakte an allen Lobbyistentreffen stieg demnach von 15,9 auf 22,2 Prozent. Treffen mit Interessensvertretern von Unternehmen und Unternehmensverbänden hatten in der Juncker-Kommission einen Anteil von 67,5 Prozent. Im vergangenen Mandat sank der Anteil auf 62 Prozent.
Ein Sprecher der Kommission warnt davor, zu viel in die Daten hineinzuinterpretieren: “Man muss sehen, wie viele Einladungen versandt wurden, wie viele Antworten darauf gegeben wurden, und man muss die Vorbereitungsarbeit berücksichtigen.” Konkrete Daten dazu habe die Behörde jedoch nicht. “Politikgestaltung (Policy making) ist etwas, das sich über die Zeit wandelt“, sagte der Sprecher weiter.
Für Lobbyisten in Brüssel haben persönliche Treffen mit der Kommission einen hohen Stellenwert. Sie räumen Gesprächen in der Regel mehr Priorität ein als schriftlichen Stellungnahmen.
Besonders offen für NGO-Interessenvertreter war Frans Timmermans, Vizepräsident der Kommission und zuständig für den Green Deal. Der Niederländer, unter dessen Regie die Vorschläge zu den CO₂-Flottengrenzwerten mit dem Verbrenner-Aus, das Naturwiederherstellungsgesetz sowie die Pestizidverordnung vorgelegt wurden, zeigte sich besonders zugänglich für NGOs. Er hatte mit seinem Kabinett mit Abstand die meisten Treffen mit Interessenvertretern, obwohl sich Timmermans bereits im Sommer 2023 zurückgezogen hatte, um in die nationale Politik der Niederlande zurückzukehren.
Den besten Draht der Interessenvertreter ins Kabinett Timmermans hatte T+E. Der Dachverband von vielen nationalen Umwelt-NGOs wie der Deutschen Umwelthilfe setzt sich für den Abschied von der Verbrennertechnologie bei Pkw, Lieferwagen und schweren Nutzfahrzeugen ein. Zudem ist T+E ein Verfechter des Umstiegs auf batterieelektrische Fahrzeuge. Den Einsatz alternativer Kraftstoffe wie E-Fuels oder Biofuels im Straßenverkehr bekämpft die NGO massiv.
Interessenvertreter der Automobilindustrie bemängelten, dass die T+E-Forderungen wiederholt Eingang gefunden hätten in die Regulierung etwa bei der CO₂-Flottengesetzgebung, den Schadstoffgrenzwerten Euro 7, dem Ausbau der öffentlichen Lade- und Tankinfrastruktur (AFIR) und der Erneuerbaren-Energien-Richtlinie.
Daneben kamen viele umweltpolitische NGOs mit Timmermans zusammen, zum Beispiel die European Climate Foundation und der WWF. Die einzigen Unternehmen, die oft Zugang bekamen, waren Shell und Bloomberg, bei den Verbänden kamen der niederländische Arbeitgeberverband, der Verband der europäischen Automobilhersteller (ACEA) sowie Solar Power Europe zum Zuge.
Ansprechpartner der Autoindustrie in der Kommission war Binnenmarktkommissar Thierry Breton, der allerdings als einfacher Kommissar hierarchisch Timmermans untergeordnet war. Von der Leyen mied den Kontakt mit den Chefs von BMW, Mercedes und VW. Erst als sie wiedergewählt und ihre neue Kommission noch nicht im Amt war, traf sie die Auto-CEOs zu persönlichen Gesprächen während einer Sitzungswoche des Parlaments in Straßburg im Herbst 2024.
In der Wirtschaft und bei einigen Kommissionsbeamten wird der privilegierte Zugang von NGOs zum Kabinett Timmermans rückblickend als folgenreich kritisiert. In der Kommission hört man Stimmen, die einen Zusammenhang mit dem vermehrten Aufbau von bürokratischen Lasten sehen. Die Einführung vieler Berichtspflichten sei nur möglich gewesen, weil die Kommission zu wenig Kontakte mit der Wirtschaft gehabt habe. Die Folgen der EU-Gesetzgebung auf den konkreten Alltag in den Unternehmen seien so zu wenig beachtet worden.
Vertreter von Unternehmen, zumal aus der deutschen Wirtschaft, bemängelten immer wieder, dass sie mit dem Ausscheiden von Günther Oettinger aus der Kommission 2019 so gut wie keine Zugänge mehr zu Mitgliedern des College gehabt hätten. Von der Leyen hat im neuen Mandat den Fokus geändert und setzt nun vor allem auf die Wettbewerbsfähigkeit der EU. Dieser Strategiewechsel, so die Erwartung, dürfte sich auch bei den Zugängen zeigen, die die Interessenvertreter in den nächsten fünf Jahren haben.
Auffällig ist: Die Nähe der NGOs ist 2019 bis 2024 lediglich auf der Ebene des College zu beobachten. Auf Ebene der Generaldirektoren blieb der Anteil der NGO-Treffen über die vergangenen zehn Jahre konstant bei rund 15 Prozent aller Treffen. Dies legt nahe, dass die Entscheidung über den Zugang für Interessensvertreter stark von den Kommissaren und ihren Kabinettschefs persönlich getroffen wird. In ihrem zweiten Mandat hat von der Leyen beim Zuschnitt der Portfolios darauf geachtet, dass kein Kommissar wieder eine so zentrale Machtposition bekommt wie Timmermans. Mit Markus Grabitz und Stefanie Weber
Die Kommission plant, die Verwaltung von Funkfrequenzen in Europa zu reformieren. Auch dieses Vorhaben soll auf das Ziel einzahlen, die digitale Souveränität der EU zu stärken und den digitalen Binnenmarkt zu fördern. Dies hat die Kommission in ihrem Weißbuch “Wie lässt sich der Bedarf an digitaler Infrastruktur in Europa decken?” hinterlegt, das der Vorbereitung eines kommenden Digital Networks Acts dienen soll.
Doch auch wenn sich niemand explizit gegen eine Harmonisierung wehrt, so gibt es dennoch Unstimmigkeiten in Details. Etwa die Frage: Wie kann eine Schultheateraufführung störungsfrei stattfinden, wenn ein Bundeswehrkonvoi vorbeifährt? Diese innerdeutsche Diskussion wird so oder so ähnlich auch in anderen Mitgliedstaaten geführt werden.
So hebt etwa Heike Raab, Staatssekretärin in Rheinland-Pfalz und Koordinatorin der Rundfunkkommission der Länder, “die Bedeutung der nationalen Zuständigkeiten im Bereich der Frequenzverwaltung” hervor. Und sie freut sich, dass sowohl die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme als auch der Ministerrat in seinen Ratsschlussfolgerungen zum Weißbuch das ebenso sehen.
Der Plan für den Digital Networks Act geht noch auf die Initiative von Ex-Kommissar Thierry Breton zurück. Vizepräsidentin Henna Virkkunen hat aber bereits angekündigt, dass sie diesen Plan weiter vorantreiben will.
Mit der Harmonisierung des Frequenzspektrums will die Kommission eine effizientere Nutzung der knappen Frequenzen gewährleisten und EU-weite digitale Dienste ermöglichen. Derzeit ist die Harmonisierung von Frequenzen ein langwieriger Prozess. Er erfordert die Einbeziehung von Nicht-EU-Ländern durch die CEPT (Europäische Konferenz der Verwaltungen für Post und Telekommunikation).
Die Kommission sieht in diesem Prozess ein Risiko für die digitale Souveränität der EU. Daher möchte sie sicherstellen, dass Entscheidungen über Frequenzen in Europa primär EU-Akteure treffen. Um dies zu erreichen, schlägt sie verschiedene Optionen vor. Dazu gehört etwa die Einrichtung eines Ad-hoc-Ausschusses aus EU-Mitgliedstaaten oder die Aufgabe der CEPT-Beteiligung.
Der Rat betont in seiner Schlussfolgerung die zentrale Rolle der Mitgliedstaaten im Spektrummanagement und betrachtet die Frequenzverwaltung als wichtige nationale Kompetenz. Er argumentiert, dass die nationale Steuerung notwendig ist, um auf spezifische Bedürfnisse und Herausforderungen – wie grenzüberschreitende Störungen – flexibel reagieren zu können, ohne den Verwaltungsaufwand oder die Entscheidungsdauer zu erhöhen.
Auch im deutschen Digitalministerium sieht man das so. “Bei den Frequenzen ist uns wichtig, dass wir zu einer besseren Abstimmung kommen”, sagte Digitalminister Volker Wissing am Rande des Ministerrats zu Table.Briefings. Aber Frequenzvergabe und Frequenzpolitik müsse einerseits in den etablierten Foren bleiben, etwa bei der Weltfunkkonferenz der Internationalen Fernmeldeunion (ITU). “Andererseits brauchen wir bei der Zuteilung der Frequenzen eine starke Rolle der nationalen Ebene“, fügte Wissing hinzu.
Die starke Rolle auf deutscher Ebene spielen die Länder. Vor dem Hintergrund der technischen Entwicklungen und der geopolitischen Lage sei es richtig, dass sich die EU mit der digitalen Infrastruktur Europas und deren Weiterentwicklung beschäftige, sagt Raab. “Gerade, wenn es um das Thema der Rundfunkfrequenzen geht“, sei es ihr wichtig, “dass die nationalen Spielräume und Zuständigkeiten gewahrt werden”.
Dabei gibt es bereits innerhalb Deutschlands Streit. Denn Frequenzen sind knapp und begehrt. Nicht nur für den Mobilfunk (5G) oder neue Anwendungen, wie das autonome Fahren. Auch um die Rundfunk- und Kulturfrequenzen (UHF-TV-Frequenzen im Bereich 470 bis 694 MHz).
Auf der Weltfunkkonferenz 2023 (WRC23) fiel zwar die Entscheidung, dass der Rundfunk in dem Frequenzbereich alleiniger Primär- und die Veranstaltungsbranche Sekundärnutzer bleibt. Letztere braucht die Frequenzen unter anderem für drahtlose Mikrofone, In-Ear-Monitore, Videokameras sowie für die interne Kommunikation. Doch nun macht die Bundeswehr den bisherigen Nutzern den Frequenzbereich streitig und beansprucht zusätzliche Frequenzbereiche im UHF-Spektrum.
Aktuell stattet die Bundeswehr mehrere Tausend Fahrzeuge des Heeres mit digitalen Funkgeräten aus, um verschlüsselt und abhörsicher miteinander und mit anderen Nato-Partnern funken zu können. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums teilte auf Anfrage mit, dass die “zunehmende Digitalisierung” zu steigenden Bedarfen in unterschiedlichste Frequenzbereichen führten.
“Das bedeutet im Hinblick auf die geänderte Sicherheitslage, dass auch die Nutzung des verfügbaren Frequenzspektrums in einer ausgewogenen Balance zwischen wirtschaftlichen, kulturellen und sicherheitspolitischen Anforderungen anzupassen ist.” Man befinde sich hinsichtlich der Umsetzung der militärischen Mitnutzung des UHF-Bands aktuell in der “konstruktiven Abstimmung mit den Bandnutzern, den Ländern sowie mit den betroffenen Ressorts”.
Begehrt ist der Frequenzbereich beim aus den gleichen Gründen, aus denen auch Theater und Konzertveranstalter ihn schätzen. “Dieser Bereich ist wegen seiner technischen Eigenschaften – zum Beispiel der Durchdringung von Wänden oder Kulissen – und der europäischen Harmonisierung ideal”, sagt Jochen Zenthöfer, Ko-Vorsitzender des Verbands drahtloser Produktionstechnik (APWPT) und Sprecher der Initiative SOS – Save Our Spectrum. “Künstler können so mit dem gleichen Equipment in ganz Europa touren“.
Die Bundeswehr habe ihren Bedarf erst nach der WRC23 angemeldet, betont Zenthöfer. Deutschland habe sich dort noch für die Position von Rundfunk und Kultur eingesetzt. Nun gibt es Streit zwischen dem Verteidigungsministerium und den Bundesländern. Das Verteidigungsministerium habe zunächst versucht, die Mitnutzung der Frequenzen im Kabinettsverfahren durchzusetzen, was Heike Raab aber stoppte.
Aus technischen Gründen könnten die Bundeswehr sowie Rundfunk und Kulturbranche die Frequenzen nicht in größerem Umfang gleichzeitig nutzen. “Da sind die gegenseitigen Störungen zu groß“, sagt Raab auf Anfrage. Zur künftigen militärischen (Mit-)Nutzung des TV-UHF-Bandes würden Gespräche zwischen Bund, Ländern und Betroffenen geführt, koordiniert unter Federführung des BMDV. Ziel sei es, ein Konzept zur künftigen Nutzung des TV-UHF-Bandes zu erarbeiten.
“Meines Erachtens ist es wichtig, dem Rundfunk die Terrestrik als kostengünstigen und niederschwelligen Übertragungsweg zu erhalten und auch die Möglichkeit offenzuhalten, 5G Broadcast als eine für mobile Endgeräte optimierte Übertragungstechnologie einzuführen”, sagt Raab. Die terrestrischen Frequenzen, die über erdgebundene Antennen statt über Satelliten funktionieren, spielten für die mediale Teilhabe eine ganz besondere Rolle. Die drahtlose Produktionstechnik sei nicht nur unabdingbar für professionelle Rundfunkmedienproduktionen, sondern auch “für die Existenz der Kultur- und Kreativwirtschaft“, betont Raab. “Medien und Kultur müssen alle erreichen.”
Der Frequenzbereich zwischen 470 und 694 MHz sei bereits europaweit für drahtlose Mikrofone und terrestrische Fernsehausstrahlung standardisiert. Es sei quasi ein europäischer Binnenmarkt für Kulturfrequenzen, sagt Zenthöfer. Er verweist auf Italien, wo die terrestrische Fernsehausstrahlung 80 Prozent der Haushalte erreicht. Eine Änderung dieses Frequenzbereichs, etwa durch die Bundeswehr oder auch die Nato, “würde Italien vor große Herausforderungen stellen”, meint er.
Momentan beantragt die Bundeswehr nach Angaben von Zenthöfer Versuchsfunklizenzen für 18 Kasernenstandorte, um die Frequenzen innerhalb dieser Gelände nutzen zu dürfen. Problematisch seien aber nicht nur die Standorte. “Ein weiteres Problem sind die Marschrouten der Bundeswehr, bei denen es zu Störungen von Fernsehgeräten und Mikrofonen kommen könnte”, sagt Zenthöfer. Wenn also draußen Panzer rollen, fallen beim Popkonzert oder der Schultheateraufführung die Mikrofone aus.
Als Lösungsansatz schlägt er vor, dass die Bundesnetzagentur als neutrale Stelle eine Plattform zur Koordinierung der Frequenznutzung schafft. Kritisch sieht er die Idee einer europäischen Frequenzbehörde. “Ich befürchte, dass die Interessen der Kultur- und Veranstaltungsbranche gegenüber denen des Mobilfunks in den Hintergrund geraten würden”, sagt Zenthöfer.
Die Energiepreise in der EU können laut einer Analyse des Internationalen Währungsfonds durch den Ausbau von CO2-armer Energieerzeugung global wettbewerbsfähiger werden. “Auch wenn es unwahrscheinlich ist, dass die EU die Energiepreislücke zu den USA vollständig schließen wird, könnte die Kombination von erneuerbarer Energieversorgung und Marktintegration einen großen Fortschritt darstellen“, schreibt der IWF in einem Hintergrunddokument für das Treffen der EU-Finanzminister in der kommenden Woche. Der 16-seitige Bericht zur Vertiefung des europäischen Energiebinnenmarkts liegt Table.Briefings vor.
Die zur Kostensenkung “unweigerlich nötige” Abkehr von fossilen Energien hin zu Energieträgern mit niedrigen Grenzkosten erfordere außerdem eine schnelle und umfassende Elektrifizierung, heißt es in dem Bericht weiter. Zu den Energien mit niedrigen Grenzkosten zählt neben den Erneuerbaren üblicherweise auch die Atomenergie. Elektrifizierung meint die Umstellung von Maschinen, Fahrzeugen und Heizungen von Gas und Öl auf Strom. Ein gemeinsamer Ansatz auf EU-Ebene sei bei Weitem der kostengünstigste Weg, um die Umstellung zu erreichen, schreibt der IWF.
Zur Senkung der Energiekosten schlägt der Internationale Währungsfonds mehrere Maßnahmen vor, um den EU-Energiebinnenmarkt zu stärken:
Der Bericht für die EU-Minister zitiert auch eine noch unveröffentlichte IWF-Untersuchung zu den Auswirkungen der stark gestiegenen Energiepreise nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine. Demnach haben Energieeffizienzmaßnahmen den Rückgang des Produktionspotenzials in der Eurozone auf einen Prozentpunkt abgefedert: “Das ist zwar weniger als ursprünglich von vielen befürchtet, aber immer noch beträchtlich und wird sich bis 2027 auf einen Produktionsverlust von fast 200 Milliarden Euro pro Jahr belaufen.”
Staaten wie Deutschland und Italien hätten dabei stärkere Verluste zu verzeichnen als andere Länder. Gründe seien ihr hoher Energieverbrauch und die geringeren Möglichkeiten, ihre Produktion auf weniger energieintensive Güter umzustellen. ber
Laufende Bemühungen zum Bürokratieabbau dürfen nach Ansicht von Gewerkschaften und Umweltverbänden nicht dazu führen, Umwelt- und Sozialstandards in der EU abzusenken. Die Kommission müsse garantieren, dass Vereinfachungen von EU-Gesetzen den sozial-ökologischen Wandel nicht behindern oder verzögern, schreiben die NGOs in einem Brief an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
Zu den rund 270 Unterzeichnern gehören CAN Europe, das European Environmental Bureau, die Gewerkschaftsverbände EPSU und ETUC sowie Lobby Control, der BUND und die DUH. Bereits jetzt zeigten sich Diskrepanzen zwischen Zusicherungen, dass Vereinfachungen nicht zu Deregulierung führen würden, und konkreten Plänen, schreiben die Organisationen. Dabei verweisen sie auf die jüngste Verschiebung der Anti-Entwaldungsverordnung um ein Jahr. ber
Der Luftfahrt-Umweltbericht 2025 der Europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA) verdeutlicht, dass die europäische Luftfahrtbranche trotz einiger Fortschritte weiterhin vor erheblichen Problemen beim Klimaschutz steht. Die Zahl der Flüge könnte demnach bis 2050 auf 13,8 Millionen jährlich ansteigen. Obwohl technologische Verbesserungen und nachhaltige Flugkraftstoffe zur Emissionsminderung beitragen, seien zusätzliche Maßnahmen erforderlich, um die Klimaziele zu erreichen.
Insbesondere der Anstieg der NOx-Emissionen stelle die Branche vor Herausforderungen. Die sind laut EASA von 478.000 Tonnen im Jahr 2005 auf 644.000 Tonnen im Jahr 2023 gestiegen und dürften ohne eine Verbesserung der Triebwerkstechnologie bis 2030 weiter zunehmen.
Um die europäischen und internationalen Umweltziele der Branche zu erreichen, empfiehlt der Bericht eine beschleunigte Einführung nachhaltiger Technologien wie Sustainable Aviation Fuels (SAF), die Optimierung des Luftverkehrsmanagements und die Weiterentwicklung des Single European Sky. Es gehe darum, dass “Wachstum und Emissionen durch technologische und betriebliche Lösungen und die Einführung von SAF” entkoppelt werden.
Die Umweltorganisation Transport & Environment übt derweil Kritik an den Wachstumsplänen der Branche. Das Passagieraufkommen auf EU-Flughäfen werde sich bis 2050 gegenüber 2019 mehr als verdoppeln, teilt T&E mit Verweis auf Prognosen von Airbus und Boeing mit.
Die NGO kritisiert, dass der positive Umwelteffekt der SAF-Nutzung neutralisiert würde, wenn der Flugverkehr gleichzeitig zunehme. SAF seien nur eine brauchbare Lösung, wenn das Verkehrsaufkommen nicht exponentiell ansteige. luk
Die Mindestlohn-Richtlinie sollte nach Sicht des zuständigen EuGH-Generalanwalts Nicholas Emiliou in seiner Gesamtheit für ungültig erklärt werden. Das legte der Zypriote am Dienstag in seinen Schlussanträgen für das Verfahren dar. Hauptgrund für Emiliou: Mit der Richtlinie überschreite die EU ihre gesetzgeberischen Kompetenzen im Hinblick auf Entgelte. Hintergrund ist, dass Dänemark auf Annullierung der Mindestlohn-Richtlinie vor dem Europäischen Gerichtshof klagt. Schweden hat sich als Streitbeihelfer dem Verfahren angeschlossen.
Das Arbeitsentgelt ist von den Kompetenzen der Union laut dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union ausgenommen. Der Rat und das Parlament selbst argumentieren, dass das Gesetz nur Mechanismen zur Ermittlung von Mindestlöhnen anrege, die sich die Länder selbst geben können. Damit greife man nicht in die Lohngestaltung der Länder ein.
Emiliou interpretierte die Zuständigkeit bei den Löhnen wesentlich enger, als viele Beobachter es erwartet haben. Um sicherzustellen, dass die Union sich tatsächlich nicht in Entgelte einmische, müssten nach Meinung des Generalanwalts auch Lohnfindungsmechanismen zu den Feldern gezählt werden, in die sich die Union nicht einmischen dürfe. So schrieb Emiliou: “Ich bin der Auffassung, dass die Verfasser der EU-Verträge beabsichtigt haben, Maßnahmen vom Anwendungsbereich der EU-Maßnahmen auszuschließen, die unter anderem die Harmonisierung des Lohnniveaus betreffen, aber darauf nicht beschränkt sind.”
Er argumentiert weiter: “Andernfalls könnte der Unionsgesetzgeber alle anderen Aspekte der Lohnfindungssysteme der Mitgliedstaaten harmonisieren, […] indem er eine bestimmte Formel oder einen bestimmten Betrag vorschreibt.” In seinen Ausführungen zur Richtlinie schloss sich Emiliou zudem der Sorge Dänemarks an, dass aus dem aktuellen Text durchaus ein Anspruch auf einen Mindestlohn abgeleitet werden könne. Emiliou geht davon aus, dass die Richtlinie in ihrer Gesamtheit hauptsächlich auf die Lohnsetzung abzielt. Daher sei die Richtlinie vollständig zu annullieren.
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) sieht sich durch diese Einschätzung bestätigt: “Die Schlussanträge des Generalanwaltes zur Mindestlöhnerichtlinie sind an Klarheit nicht zu überbieten. Sie beweisen: Die Zweifel der Arbeitgeber an der Mindestlöhnerichtlinie waren immer wohlbegründet”, hieß es in einem schriftlichen Statement. Man hoffe nun, dass die Richterinnen und Richter dem Generalanwalt folgten.
Der Europäische Gewerkschaftsbund nannte die Stellungnahme des Generalanwalts dagegen eine “Außenseitermeinung“. Auch Rechtsexperten hatten im Gespräch mit Table.Briefings gesagt, dass sie die Richtlinie mit EU-Recht vereinbar sehen oder zumindest erwarten, dass sie in weiten Teilen unbeanstandet bleiben dürfte.
Die Schlussanträge des Generalanwaltes sind nur eine Empfehlung an die Richter des EuGHs. Oft halten sie sich an diese Empfehlungen, aber längst nicht immer. Wann die Richter ihr Urteil verkünden, steht derzeit noch nicht fest. Sollten die Richter der ersten Einschätzung des Generalanwalts folgen, hätte dies wohl weitreichende Auswirkungen für die Sozialpolitik in der EU. lei
China schränke den Zugang europäischer Hersteller von Medizinprodukten zum chinesischen Beschaffungsmarkt auf eine “unfaire und diskriminierende” Weise ein. Das ist das Fazit eines neuen Berichts, den die Kommission am gestrigen Dienstag veröffentlichte. Das Papier ist ein notwendiger Zwischenschritt in der aktuellen Untersuchung der Kommission zum internationalen Beschaffungsinstrument (International Procurement Instrument – IPI) im Bereich der Medizinprodukte in China.
Die Untersuchung ist die erste Anwendung des IPI. Ziel des Instruments ist, öffentliche Beschaffungsmärkte in Drittstaaten für EU-Firmen zu öffnen. Vorerst scheint dieses Ziel nicht erreicht zu werden. China weigert sich, die “Buy China”–Politik und andere Maßnahmen unilateral zurückzunehmen, die von der EU als diskriminierend wahrgenommen werden.
Im Verlauf der Gespräche hatte China der Kommission vorgeschlagen, die Untersuchung einzustellen und stattdessen über ein bilaterales Abkommen über die öffentliche Beschaffung zu verhandeln. Die Kommission lehnte dies mit der Begründung ab, dass die Untersuchung im Rahmen des IPI sich nur auf den Medizinprodukte-Sektor fokussiere. EU-Beamte sehen das Angebot eines umfassenden bilateralen Abkommens als Ablenkungsmanöver, welches das Problem für die europäischen Medizinprodukte-Hersteller nicht behebt.
In einem nächsten Schritt prüft die Kommission nun laut EU-Beamten, ob es im Interesse der EU ist, Ausgleichsmaßnahmen gegen chinesische Medizinprodukte-Hersteller im europäischen Markt zu treffen. Chinesische Anbieter könnten in Beschaffungsprozessen benachteiligt oder sogar ausgeschlossen werden. Die Maßnahmen gelten aber nur für Beschaffungsaufträge im Wert von fünf Millionen Euro oder mehr und sind zeitlich begrenzt. Die Kommission muss für das weitere Vorgehen keine gesetzliche Frist berücksichtigen.
Unterdessen gehen die Gespräche auf politischer Ebene weiter. Am Dienstag telefonierten der chinesische Staatschef Xi Jinping und António Costa, Präsident des Europäischen Rats, miteinander. Freitag wird Handelskommissar Maroš Šefčovič den chinesischen EU-Botschafter treffen und mit ihm die aktuellen Handelsthemen besprechen. jaa
Der ehemalige polnische Ministerpräsident und PiS-Politiker Mateusz Morawiecki ist zum neuen Chef der nationalkonservativen Parteienfamilie EKR gewählt worden. Morawiecki löst Giorgia Meloni ab, italienische Ministerpräsidentin und Chefin der Fratelli d’Italia. Meloni hatte die Parteienfamilie vier Jahre geführt.
Vize wurden Carlo Fidanza (Italien), Marion Maréchal (Frankreich) und George Simion (Rumänien). Generalsekretär bleibt Antonio Giordano. Maréchal ist die Enkelin des Front-National-Gründers Jean-Marie Le Pen. Sie hat vor der Europawahl die Partei Reconquête, die als rechtsradikal gilt, in die EKR-Parteienfamilie geführt. mgr
Die Nato überwacht wichtige Kabel und Leitungen in der Ostsee künftig mit deutlich mehr Schiffen, Flugzeugen und Drohnen. “Ich kann heute bekanntgeben, dass die Nato die Operation Baltic Sentry startet”, sagte Nato-Generalsekretär Mark Rutte auf einer Pressekonferenz zum Abschluss eines Ostsee-Gipfels in der finnischen Hauptstadt Helsinki. Es gehe darum, die maritime Präsenz und Überwachung in Schlüsselbereichen des Bündnisses zu verstärken.
Als einen Teil der Bemühungen nannte Rutte auch eine Initiative zur Nutzung neuer Technologien. Dazu gehört auch eine kleine Flotte von Marinedrohnen, die eine verbesserte Überwachung und Abschreckung gewährleisten soll.
Mit dem Gipfel in Helsinki reagieren die beteiligten Nato-Länder Deutschland, Dänemark, Estland, Finnland, Lettland, Litauen, Polen und Schweden auf mehrere Vorfälle, bei denen zuletzt Leitungen und Kabel in der Ostsee mutmaßlich vorsätzlich gekappt wurden.
Bei dem jüngsten Vorfall steht der Öltanker Eagle S unter Verdacht, eine Stromleitung und mehrere Kommunikationskabel an Weihnachten absichtlich beschädigt zu haben, indem er seinen Anker auf dem Meeresgrund hinter sich hergezogen haben soll. Die finnische Kriminalpolizei hat das Schiff festgesetzt und ermittelt wegen möglicher Sabotage. dpa
Kurz nach der Regierungserklärung von Frankreichs neuem Premierminister François Bayrou ist ein Misstrauensvotum gegen dessen Regierung beantragt worden. Abgeordnete der linken Partei La France Insoumise (LFI) begründeten den Schritt mit der Zusammensetzung des Mitte-rechts-Kabinetts sowie Bayrous Haushaltspolitik. Es wird zwar erwartet, dass die Regierung das Votum überlebt. Der Schritt verdeutlicht aber die Instabilität des Kabinetts, das nicht über eine eigene Mehrheit verfügt.
Die Abstimmung ist frühestens am Donnerstag möglich. Die Grünen kündigten bereits an, gegen das Kabinett von Bayrou zu stimmen. Die Rechtsnationalen um Marine Le Pen ließen durchblicken, der Regierung zunächst nicht das Vertrauen zu entziehen. Sie schlossen jedoch nicht aus, dies – wie zuvor bei Bayrous Vorgänger Michel Barnier – zu einem späteren Zeitpunkt zu tun. Die Sozialisten drohten zunächst weiterhin damit, gegen die Regierung zu stimmen.
Um das zu verhindern, hatte Bayrou zuvor angeboten, die Rentenreform von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron auf den Prüfstand zu stellen. Die Sozialpartner erhielten drei Monate Zeit, eine sozial gerechtere Ausgestaltung der Rentenreform ohne Mehrkosten auszuarbeiten, sagte Bayrou in seiner Regierungserklärung. Auch die Anhebung des Renteneintrittsalters von 62 auf 64 Jahre könne dabei angefasst werden. Wenn keine Einigung auf eine Alternative gelinge, bleibe die Rentenreform von 2023 in Kraft.
Bayrous Angebot richtet sich gezielt an die Sozialisten. Diese hatten signalisiert, im Fall von Zugeständnissen bei der Rente das Misstrauensvotum nicht zu unterstützen.
Die im Frühjahr 2023 ohne Abstimmung durchs Parlament geboxte Rentenreform hatte in Frankreich zu monatelangen Massenprotesten geführt. Begründet wurde das Schlüsselvorhaben von Macrons zweiter Amtszeit mit einem Loch in der Rentenkasse. dpa
Herbert Kickl möchte “Österreich ehrlich regieren”. Das versprach der Parteichef der FPÖ in einer Pressekonferenz, bevor er sich mit einem siebenköpfigen Team in die Koalitionsverhandlungen mit der konservativen ÖVP begab. Erstmals seit 1945 könnte Österreich einen ultrarechten Bundeskanzler bekommen – einen hobbymäßigen Extremsportler, der ebenso diszipliniert eine teils rechtsradikale Politik verfolgt und mit seinen Reden provoziert.
Kickl schimpft etwa die EU den “größten Kriegstreiber, den dieser Kontinent je gesehen hat”, verspricht seinen Wählern eine “Festung Österreich” und will “Flüchtlinge, die glauben, sich nicht an unsere Regeln halten zu müssen” im Stile von “Remigration” (“Ich weiß gar nicht, was an diesem Wort so böse sein soll”) abschieben. Er inszeniert sich als einer, der gegen die “Eliten” antritt: gegen EU, Nato und Weltgesundheitsorganisation. Er sei der “Volkskanzler“. Den Begriff hat Kickl von Hitler entlehnt. 1941 stand im Duden dazu: “Begriff für Hitler zum Ausdruck der Verbundenheit zwischen Volk und Führer.”
Auch in einer Neujahrsrede provozierte Kickl mit belasteten Begriffen, drohte etwa mit einer “Fahndungsliste”, auf der “Systempolitiker” wie Ex-Kanzler Karl Nehammer oder Interimskanzler Alexander Schallenberg stünden, die “Volksverrat” begangen hätten. Mit seinen Provokationen spreche Kickl auch Coronaleugner und Verschwörungsanhänger an, analysiert die Extremismusforscherin Julia Ebner im Guardian. Heute sei die FPÖ so rechtsradikal wie noch nie, und das mit Erfolg.
Kickls politischer Aufstieg begann als Redenschreiber von Jörg Haider und später als Stratege für Heinz-Christian Strache. Als dieser im Zuge der Ibiza-Affäre baden ging, übernahm Kickl eine marode Partei und führte sie drei Jahre später zum Wahlsieg bei den Europa- und Nationalratswahlen. Aktuell liegt die FPÖ in Umfragen bei über 35 Prozent und regiert in fünf von neun Bundesländern mit. Kickl ist, anders als die charismatischen Populisten Haider und Strache, allerdings gar nicht so beliebt bei den eigenen Wählern: Nur zwei Prozent stimmten seinetwegen für die Partei.
Sein Privatleben hält Kickl gerne bedeckt. Der heute 56-Jährige wuchs in einer Arbeitersiedlung in Radenthein, Kärnten, auf. Seine Familie war eher unpolitisch, er selbst ein “guter Schüler mit Widerstandsgeist” gewesen. Nach der Matura und dem Wehrdienst studierte er Philosophie in Wien, brach das Studium aber ab. Kickl ist verheiratet und hat einen 24-jährigen Sohn.
Er kritisiert wiederholt die hohen Politikergehälter, erhält aber zusätzlich zu seinem Nationalratsgehalt von der Wiener FPÖ monatlich 10.000 Euro für Medienarbeit. Im Auto liegt meist seine Kletterausrüstung für spontane Touren, er läuft Marathon und hat einen Extremtriathlon absolviert.
Ebenso diszipliniert soll er politisch vorgehen. Kickl gilt als Einzelkämpfer und fremdelt mit den “elitären” Burschenschaftern. Gleichzeitig sind einige seiner engsten Vertrauten, die als Ministerkandidaten gehandelt werden, Mitglied in Burschenschaften – darunter etwa Reinhard Teufel. Er war Kickls Kabinettschef im Innenressort und ist Teil der radikalen Innsbrucker Brixia. Früher war Teufel in Kontakt mit dem österreichischen Rechtsextremisten und Mitgründer der Identitären, Martin Sellner.
In “Kickl beim Wort genommen” dokumentiert die Journalistin Nina Horaczek seine Positionen in gesammelten Zitaten: die fehlende Abgrenzung zu den Identitären, Angriffe auf Medien und Menschenrechte sowie auf die EU und den Bundespräsidenten, die Idee, Österreich abzuschotten, oder etwa seine Haltung zu Russland und der Ukraine.
Nimmt man den Provokateur Kickl beim Wort – in seiner Rede zur möglichen Kanzlerschaft fiel das Wort “Ehrlichkeit” immerhin 20-mal – so bekommt man eine Vorstellung seiner Europa- und Außenpolitik. Mit dem EU-Austritt droht Kickl beispielsweise nicht mehr eindeutig, er war in der Vergangenheit aber eine Option.
Zudem unterschrieb er gemeinsam mit Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán und Tschechiens Ex-Premier Andrej Babiš ein “Patriotisches Manifest“, das die Nationalstaaten vor einem angeblichen europäischen “Zentralstaat” schützen solle. Vom Green Deal, ESG-Berichtspflichten oder dem EU-Renaturierungsgesetz hält Kickl wenig.
Stattdessen fordert die FPÖ ein Ende der “verantwortungslosen” EU-Sanktionen gegen Russland und setzt im Wahlprogramm weiter auf russisches Gas. Auch Selenskyj müsse sich bewegen, findet Kickl. Auf Telegram ließ Kickl zudem Anfang 2023 wissen, “Österreich hätte als neutraler Staat niemals in diese Kriegstreiberei einstimmen dürfen”. Die von der ÖVP initiierte Teilnahme am europäischen Luftverteidigungssystem Skyshield ist für ihn eine “neutralitätsfeindliche Nato-Annäherung”. Zudem will die FPÖ alle Abkommen und völkerrechtlichen Verträge neu evaluieren.
An Kickls Vorstellungen zur Europa- und Außenpolitik könnten die laufenden Koalitionsverhandlungen noch am ehesten scheitern, nachdem sich bereits am Montag FPÖ und ÖVP auf eine Budgetsanierung einigen konnten, um ein EU-Defizitverfahren abzuwenden. Die Trümpfe hat allerdings Kickl in der Hand – und das ließ er auch den potenziellen Juniorpartner wissen. Wenn die ÖVP nicht mitspiele, gebe es eben Neuwahlen. Lukas Bayer